Der Blick zurück kann manchmal sinnvoll sein, um sich selbst zu prüfen. Vertritt man immer noch dieselben Positionen wie vor einigen Jahren? Dieser Post sammelt sämtliche Artikel, von denen ich der Überzeugung bin, dass sie krasse Fehlschläge waren und dass die Aussagen nicht mehr gültig sind. Ich lasse dabei Prognosen weitgehend außen vor; die scheinen mir nicht wirklich spannend zu sein. Wenn ich was wichtiges vergessen habe, schreibt mir in den Kommentaren. Natürlich gibt es auch das Gegenstück.
Außenpolitik
Meine Analyse von Greta Thunbergs Wirkung ist durchaus noch korrekt, aber sieht man sich an, wie schnell das den Bach runterging, muss man das wohl hier einsortieren.
Der oberflächliche SPD-Pazifismus (2017)
Während meine Kritik der Oberflächlichkeit des SPD-Pazifismus sehr zutreffend bleibt, waren meine Gedanken zur Rolle der Bundeswehr in der EU reichlich bekloppt und wirklichkeitsfremd.
Mit Oxi den Gordischen Knoten durchschlagen (2015)
Meine Vorstellung, dass Griechenland aus dem „Nein“ bei der Euro-Volksabstimmung irgendwelchen Nutzen ziehen würde, war reichlich naiv, milde ausgedrückt.
Bildung
Präsenzunterricht wird überschätzt – von den Chancen des Fernunterrichts (2021)
Ich bleibe zwar dabei, dass der Präsenzunterricht deutlich überschätzt wird. Das liegt aber mehr an der aktuellen Umsetzung. Mein Optimismus zum Fernunterricht jedenfalls war deutlich überzogen.
Warum ein Handyverbot in Klassenzimmer und Hörsaal falsch ist (2018)
Ähnlich wie beim Präsenzunterricht war mein Optimismus auch bezüglich der Handynutzung bei Jugendlichen im Unterricht zu groß. Die Forschungslage erweitert sich gerade ständig und sieht für meine Thesen nicht gut aus.
Während ich dabei bleibe, dass die Jugend von heute nicht gerade schlimm ist, darf man diverse Entwicklungen der frühen 2020er Jahre nicht ausklammern, die auf einen gegenläufigen Trend hindeuten. Besonders betrifft das zunehmende Gewalt – oder wenigstens ihre Rezeption. Auch scheint „Schulversagen“ wieder stärker um sich zu greifen, wobei unklar ist, ob das ein Corona-Effekt ist.
Deliberationen
Warum sich Bernd Lucke mit Gregor Gysi zum Bier treffen sollte (2014)
Die Idee, dass die AfD 2014 in einer der LINKEn ähnlichen Krise war und sich zerspalten würde, war reichlich bekloppt. Sie zeigt auch ein deutliches Missverständnis über die rechtsradikale Natur der AfD, die sich seither deutlich offenbart hat.
Deutschland
Berufsverbot für Prinzen, Führerscheinentzug für Terroristen (2022)
Während weiterhin die Gefährlichkeit des rechten Terrors korrekt eingeschätzt bleibt, ist der linke Extremismus gefährlicher als von mir dargestellt – und den Islamismus habe ich überhaupt nicht thematisiert.
Rotes Teflon, grüner Schwamm, gelbes Sieb (2022)
Um es einmal milde auszudrücken, die Stabilität der Ampel ist nicht eben etwas, das einen Trend konstituiert hat.
Die zweite Welle – Ein Versagen auf allen Ebenen (2022)
Ich bin bei Corona inzwischen ziemlich von meinen damaligen Ansichten abgekommen. Vor allem die Frage der Realisierbarkeit der Politik ist durch einen tiefen Pessimismus gegenüber der Gesellschaft in Zweifel geraten. Die mangelnde Akzeptanz selbst niedrigschwelliger Maßnahmen und die Polarisierung haben mich echt zutiefst erschüttert.
Die Ampel: Eine verpasste Chance? (2018)
Ich glaube nicht mehr, dass die Ampel 2005 oder 2009 viel anders ausgesehen hätte als 2021. Daher…nicht gut gealtert.
Der alternativlose Linksruck (2017)
Ich glaube immer noch nicht, dass es ein zentraler Fehler Merkels war, die CDU in die Mitte zu rücken. Aber „alternativlos“ war definitiv zu stark.
Meine Wahl: SPD – Das erreichbare Maximum (2017) // Die wichtigste Bundestagswahl seit 2005 (2017)
Ich glaube, ich habe keine Wahl bei einer Bundestagswahl so sehr bereut wie die der SPD 2017. Was für eine Shitshow. – Ich stehe ehrlich gesagt nicht mal mehr hinter dieser Mini-Aussage von „wichtigste seit 2005“. Wow.
Der Mythos von der Beliebigkeit der CDU (2015)
Ich habe die Irrelevanz der Merkel’schen Richtungsentscheidungen einerseits und den Kontrast Leipzigs andererseits zu sehr pointiert.
Europa
Die Prognose eines Endes der griechischen Demokratie war…fehlerbehaftet.
Gesellschaft
Wie konntet ihr nur so leben (2015)
Die in dem Artikel getätigten Analysen und Vorhersagen hatten eine deutlich geringere Halbwertszeit, als ich vollmundig angekündigt hatte. Um es mal milde zu sagen.
Medien
Einfamilienhäuser wurden nicht der nächste Veggieday.
Die klassischen Medien, nicht die sozialen Medien, sind das Problem bei der Polarisierung (2018)
Die Rolle der Sozialen Medien habe ich ehrlich gesagt unterschätzt. Zwar wird in der Debatte die Rolle der klassischen Medien völlig unterbelichtet, aber das ändert nichts an meiner Übertreibung.
Warum Bloombergs Kandidatur das Krebsgeschwür der Demokratie ist (2020)
Bloombergs Kandidatur war dann am Ende doch bedeutungslos. Auch die damalige Kritik, wesentlich zu tief in die rhetorische Kiste gegriffen zu haben, was die Überschrift angeht, muss ich mir wohl gefallen lassen.
Modern Monetary Framing (2019)
Ich war viel zu optimistisch, was die Durchsetzung der MMT in der demokratischen Partei angeht. Vor allem die Inflation durch Covid und Ukrainekrieg dürfte dem endgültig einen Riegel vorgeschoben haben.
Obamas „Long Game“: Ist nachhaltiger Wandel möglich? (2013)
Ich denke, ich war wesentlich zu optimistisch bezüglich der Wirkung von Obamas Präsidentschaft. Oder es ist einfach nur der Kopfschmerz über die aktuelle Lage.
Wahlkampf 2016
Ein Versagen der Umfrageinstitute? (2016)
Ich denke ich war, auch um mich selbst ein wenig besser dastehen zu lassen, zu freundlich zu den Umfrageinstituten.
Die Kandidaten 2016: Ben Carson (2015)
Ich habe Carson damals völlig überschätzt. Gleicher Fehler, wie ihn so viele Leute 2012 mit Rick Santorum und Herman Cain gemacht haben.
Die Kandidaten 2016 – Donald Trump (2015)
Es ist nicht so sehr, dass irgendetwas in diesem Artikel falsch wäre, sondern vielmehr, dass er deutlich zeigt, dass ich damals noch keine Ahnung hatte, wer Trump war oder wie gefährlich er sein würde.
Warum 2016 ein Duell Clinton vs. Bush wird (2015)
Muss ich angesichts der Überschrift noch mehr sagen?
Wirtschaft
Die Schuldenbremse ist tot (2021)
Das war deutlich voreilig. Die Schuldenbremse ist eher verwundet als tot.
Der kommende Paradigmenwechsel – keine Angst mehr vor der Inflation (2021)
Ich glaube, ich lag mit wenig Analysen so falsch wie mit dieser.
Das große volkswirtschaftliche Experiment – Keynes ist wieder da (2021)
Hier gilt dasselbe wie für die Inflation. Ich habe die Zeichen ziemlich falsch gelesen. Eher ist der Protektionismus zurück als Keynes.
Dereguliert die Äcker! (2015)
Dass die Wohnungskrise nur lösbar sein wird, wenn man die Bedingungen für neues Bauen erleichtert, bleibt richtig. Ich bin aber angesichts der Klimakrise skeptisch geworden, ob wir wirklich die Äcker deregulieren sollten und nicht eher die Städte.
Nur wer gar nichts macht, macht auch nichts verkehrt. Große Geister irren groß 😉
Danke 🙂
Sehr interessant, vor allem Deine Andeutungen, die ich nicht immer verstehe. Z.B. bei folgenden beiden Zitaten.
Was meinst du mit (bei: Die Jugend von heute (2017)):
„…darf man diverse Entwicklungen der frühen 2020er Jahre nicht ausklammern, die auf einen gegenläufigen Trend hindeuten.“
Und was meinst Du mit (bei: Die zweite Welle – Ein Versagen auf allen Ebenen (2022)):
„…ist durch einen tiefen Pessimismus gegenüber der Gesellschaft in Zweifel geraten.“
Ich hab beides mal etwas ausgeführt.
Sehr schöner Bericht. Zeigt Größe und Stärke, wer gibt schon gern Fehler zu?
Ich habe keine systematische Sammlung meiner politischen Fehleinschätzungen. Drei krasse Ausrutscher sind mir aber passiert:
– Ende der 90er hatte ich volles Vertrauen in die Euro-Konstrukteure. Wer Kritik am Euro und dem darunterliegenden Zentralbanksystem äußerte, war für mich ein Idiot.
– Bis 2022 fand ich Nord Stream 2 sinnvoll, hielt das Projekt sogar für einen der wenigen durchdachten Bausteine in der Energiewende.
– Ebenso bis 2022 habe ich Russland nicht für wirklich gefährlich gehalten. Der osteuropäische Blick auf Russland existierte für mich nicht. Eine schreckliche und schrecklich peinliche Fehlleistung,
Danke!
– War ich zu jung für.
– Hatte ich nie eine echte Meinung hüh oder hott.
– Ich auch!
Tja. Nachdem ich 2016 mehrere Wetten gewann, die Trump erst als Präsidentschaftskandidaten und dann als Präsidenten vorhersagten, verlor ich gleich im Anschluss mehrere dadurch, dass ich glaubte, der Mann würde aufgerieben vom Amt nach einem Jahr hinschmeissen 🙂 .
Im langjährigen Rückblick lag ich bei politischen Prognosen aller Art vermmutlich ebenso häufig falsch wie richtig, wenn nicht öfter falsch. Was bei einer prinzipiell offenen, nicht determinierten, Zukunft der Regelfall sein sollte.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ernstgemeinte Frage: waren das ernsthafte, durchargumentierte Prognosen oder eher Kontrarianismus und Bauchgefühl? Ich erinnere mich noch an einen Kumpel, der 2016 vor der Brexitabstimmung meinte, er hätte das Gefühl, dass sie sich für Austritt entscheiden würden, aber begründen könne er es nicht. Zählt das als Prognose? Ich meine nein.
Hmmm, ne Mischung, würde ich sagen. Anstoss dazu gab meine Beobachtung einer bestimmten twitter-Blase in 2015, die für Trump regelrecht brannten. Etwas, das ich bei keinem anderen Kandidaten sah.
Ist zwar keinen Streit wert, aber – jede konkrete Vorhersage (zum Zeitpunkt X wird Y eintreten) ist eine Prognose, egal, wie sie zustandekam.
Meine Frage ist halt: war es eine klare Prognose (so wird es kommen) oder ein „vielleicht und ich sag halt mal“.
Ich hatte einige hundert Euro verwettet 🙂 . Beantwortet das die Frage nach „klar“?
Yes. Gratulation!
Danke. Aber wie oben beschrieben – wie gewonnen, so zerronnen.
Ja, aber commitment!