Wie konntet ihr so leben?

Manchmal hat man, wenn man vom erhobenen Standpunkt der Gegenwart zurückblickt, dieses Gefühl dass die Menschen vor 20 Jahren einige Dinge als normal akzeptiert haben, die einem heute völlig blödsinnig vorkommen. Aus heutiger Perspektive gehören dazu wohl die im Vergleich geradezu lächerlich schlechten und teuren Kommunikationsmöglichkeiten (Briefe! Ferngespräche! Abrechnung nach Minuten!), die Haltung gegenüber Frauen (siehe hier), gegenüber Homosexuellen oder Transgenderpersonen, gegenüber der Kindeserziehung und vieles mehr. Nicht für alle diese Faktoren können die Leute was. Gerade technologisch waren die 1990er eben noch nicht so weit wie heute. Die Frage, die man sich stellen muss ist daher eher, ob man nicht hätte viel früher beginnen müssen, die entsprechende Technologie zu entwickeln. Ich frage mich in letzter Zeit immer häufiger, wie meine eigenen Kinder in 20 oder 30 Jahren über unsere Gegenwart denken werden. Beim Anblick welchen Phänomens werden sie dich denken: „Wie konntet ihr nur so leben?“ Und wir werden hilflos mit den Schultern zucken und sagen „Haben alle so gemacht“, wie es meine Eltern eben auch tun würden. Ich will im Folgenden einige Bereiche aufstellen, von denen ich denke, dass sie unter die Frage fallen werden. Und gleich vorangestellt – ich bin da auch kein Heiliger, der schon jetzt quasi vorbeugend alles richtig macht. Aber genug der Vorrede – Wie können wir nur so leben?

Auto fahren – Ich gehe fest davon aus, dass in 20 Jahren niemand mehr selbst Auto fährt, sondern dass alle Autos selbstfahrend sind. Ich gehe außerdem davon aus, dass der Konsens sein wird, dass es kaum so etwas Unverantwortliches gibt wie selbst Auto zu fahren. Allein in Deutschland sind 2014 3386 Menschen durch Verkehrsunfälle ums Leben gekommen. Das ist natürlich nur noch ein schwaches Echo von 1970, wo in Gesamtdeutschland 21.000 Menschen an Verkehrsunfällen starben, bei niedrigerem Verkehrsaufkommen als heute. Trotzdem ist es blanker Wahnsinn, für die Freiheit, selbst ein Auto steuern zu dürfen, jährlich über 3000 Tote und 330.000 Verletzte hinzunehmen. In den USA töten alleine die erschreckend schlecht regulierten Trucks 4000 Personen pro Jahr. Weltweit sieht die Statistik noch wesentlich düsterer aus: 1,24 Millionen Menschen lassen weltweit jährlich im Verkehr ihr Leben. Da kommt so manche Seuche nicht mit. Wenn mich meine Kinder (oder deren Kinder) um 2035 dann also fragen, wie wir je so verantwortungslos sein konnten, selbst Auto zu fahren – und das oft genug übermüdet oder sonstwie eingeschränkt – werde ich wahrscheinlich nur hilflos die Schultern zucken können und sagen „Hat jeder so gemacht“.

Energie – Ein weiterer Faktor, von dem ich überzeugt bin ist, dass es in der nahen Zukunft nur noch eine Energiequelle geben wird: Solar. Wind- und Wasserkraft sind zu beschränkt und gerade im Fall von Wasserkraft auch zu landschaftsschädigend, aber natürlich kein Vergleich mit dem, was wir jetzt seit Jahrzehnten nutzen: fossile Brennstoffe und Nukleartechnologie. Wenn eine Alternative dazu erst einmal verfügbar ist wird sich wahrscheinlich auch jeder fragen, wie wir nur so dämlich sein konnten, Kohle zu verbrennen und unser eigenes Klima zu zerstören, oder Nuklearabfälle tonnenweise zu produzieren, für die man wohl auch 2035 noch kein sicheres Endlager haben wird. In diese Kategorie gehört natürlich auch die Frage, warum um Gottes Willen die oben erwähnten Autos Benzin verbrennen statt elektrisch zu sein. Ich weiß nicht, welche Antwort ich meinen Kindern hier einmal geben soll. Klar, die mächtigen Industrien haben die Politik gekauft und alles, aber es ist ja jetzt nicht gerade so dass man mich allzu oft beim Protestieren oder Energiesparen beobachtet hätte.

Fleisch – So wie uns heute unbegreiflich ist, welche Tierquälerei früher einmal gang und gebe war, so gehe ich davon aus, dass unsere nachfolgenden Generationen es als eine unserer großen Sünden sehen werden, dass wir Tiere getötet haben, um ihr Fleisch zu essen. Und ich sage dass als jemand, der praktisch jeden Tag Fleisch isst. Meine Vermutung ist auch nicht, dass wir alle zu Vegetariern werden, sondern dass es möglich werden wird, Fleisch einfach im Labor zu züchten. Warum man dann unter furchtbaren Bedingungen Tiere züchtet, die unter dem Gewicht ihres eigenen Fleischs zusammenbrechen, um sie dann zu töten, wird vermutlich unerklärbar sein. „Selektive Ignoranz“ ist wahrscheinlich das Einzige, was man dem entgegnen kann. Wir wollten es nicht wissen, wollten uns nicht damit befassen, weil Fleisch einfach gut schmeckt. Und wie bei so vielen anderen Technologien haben wir viel zu spät angefangen, nach Alternativen zu suchen.

Freiheit – Wir bewegen uns bereits seit einer geraumen Weile langsam aber sich in eine Richtung, die das traditionelle Verständnis von Freiheit – dass ich tun und lassen kann was ich will solange es nicht explizit ein Gesetz dagegen gibt – zugunsten paternalistischerer Regelungen und gesellschaftlicher Zwänge eingeschränkt wird.  Dies gilt besonders für selbstzerstörerisches Verhalten oder solches, das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit andere negativ beeinflusst. So ist zum Beispiel überraschend, dass es immer noch keine Null-Promille-Regel beim Autofahren gibt. Auch das Rauchen an Orten, an denen andere gezwungen sind den Rauch abzubekommen (zum Beispiel Bushaltestellen) fällt in diese Kategorie. Dazu kommt eine ganze Reihe von Themen, bei der Staat steuernd eingreifen kann, etwa das Nudging oder härtere Maßnahmen wie eine Zuckersteuer. Noch immer dürfen wir schmutzigen Strom oder mit ausbeuterischer Arbeit gefertigte T-Shirts kaufen, wenn wir wollen. Und so weiter. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Richtung noch weit mehr sehen werden, die die traditionelle Freiheit von Verhalten und Konsum gegenüber heute deutlich einschränkt.

Internationalisierung – Die heutige Generation der 15-35-jährigen ist deutlich kosmopolitischer als die ihrer Eltern. Sie spricht häufig gut genug Englisch, um sich international verständigen zu können und hat dank des Internets und billiger Flugreisen auch mehr Kontakt mit anderen (industrialisierten) Ländern als ihre Elterngeneration. Aktuell ist dies allerdings noch ein Phänomen, das auf die wohlhabenderen Schichten beschränkt ist. Ich würde davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt, besonders, wo die kosmopolitischere Generation selbst Kinder bekommt. Selbst wenn man mangels Geld nie selbst ins Ausland reist, ermöglicht das Internet eine früher unvorstellbare Kommunikationsmöglichkeit und schafft die weltweit einheitliche Popkultur einen gemeinsamen Referenzrahmen, der früher schlicht nicht gegeben war. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich diese Entwicklung zurückdreht, eher, dass sie sich verstärkt.

Diese Entwicklungen sehe ich mehr oder weniger als gegeben an. Daneben gibt es eine Reihe von Entwicklungen, auf die ich hoffe, bei denen ich aber nicht sonderlich optimistisch bin.

Müll – Wir produzieren eine Unmenge von Müll, der einfach nicht verschwindet. Allem voran ist dabei Plastikmüll, der mittlerweile in den Ozeanen zu einer ernsthaften Gefahr wird. Ich hoffe schwer, dass man in 20 Jahren sagen wird „Warum haben die damals nicht schon [Name eines noch zu erfindendenden, extrem belastbaren Materials das sich trotzdem innerhalb eines kurzen Zeitrahmens rückstandslos auflöst] genutzt?“. Ich bin aber eher skeptisch, ob das auch so passieren wird.

Arbeit – Die Automatisierung und Digitalisierung ist ein sehr reales Problem, das Stand 2015 noch weitgehend verdrängt wird. Genausowenig wie frühere Rationalisierungswellen wird sie sich aufhalten lassen, weswegen die Frage ist, was mit all den Menschen passieren soll, die dann nicht mehr gebraucht werden. Die Vollbeschäftigung als Idealzustand wird immer weniger zu halten sein.  Ich bin hier sehr pessimistisch und gehe von einer lang anhaltenden Verweigerungshaltung aus, die zu einer deutlichen Belastung der Sozialsysteme führen wird. Im Idealfall findet die Gesellschaft neue Wege, den Alltag jenseits der Erwerbsarbeit neu zu strukturieren. Dieses Thema ist aber so komplex, dass es hier nur gestreift werden kann.

Insgesamt kann diese Liste nur unvollständig bleiben. Mit Sicherheit werden einige dieser Prognosen so nicht eintreffen, und mit Sicherheit wird es Entwicklungen geben, die aktuell noch gar nicht vorhergesagt werden können. Als Gedankenspiel allerdings ist es interessant genug, und ich möchte die Leser dazu einladen, ihre Meinung zu meinen Prognosen ebenso der Kommentarspalte anzuvertrauen wie ihre eigenen.

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  • Ralf 31. August 2015, 17:53

    Ich glaub Deine Beschreibungen sind eher wie die „westliche Welt“ in Zukunft sein wird, nicht die „ganze Welt“. Ich hab etwa Schwierigkeiten mir im Jahre 2035 selbstfahrende Autos im Tschad oder in Peru vorzustellen.

    Ansonsten Zustimmung zu Auto und Internationalisierung.

    Was Energie angeht, wird Solarenergie sicher an Bedeutung zunehmen. Aber einen Rueckgang der Nukleartechnologie kann ich beim besten Willen nicht erkennen, zumindest nicht im Zeitraum der folgenden 20 Jahre. Im Gegenteil. Gegenwaertig blueht der Sektor ueberall ausser in Deutschland …

    Zustimmung bei Freiheit und ich wuerde da noch erheblich weiter gehen. Ich befuerchte die Ueberwachung wird noch staerker zunehmen, verfassungsmaessig garantierte Freiheiten werden weiter zurueckgeschraubt werden, Demokratie wird zunehmend abgebaut werden (Politische Entscheidungen etwa raus aus dem oeffentlichen Parlament in die Hinterzimmer der Maechtigen verlegt werden (siehe z.B. TTIP)). Auch wenn die EU mal als „richtiger Staat“ uebernimmt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Buergerrechte da so stark vertreten sein werden, wie in den gegenwaertigen nationalen Verfassungen, gerade dort wo wirtschaftliche Interessen entgegenstehen. Die politische Partizipation der Buerger insgesamt wird weiter abnehmen.

    Was Fleisch angeht, liegst Du aus meiner Sicht komplett daneben. Ich sehe nicht, dass es moeglich sein wird, kuenstliches Fleisch in hinreichender Qualitaet und in ausreichender Menge im Labor zu erzeugen, das auch noch preislich mit „richtigem Fleisch“ konkurrieren kann. Selbst wenn das moeglich waere, gibt es eher einen Trend hin zu „Natuerlichkeit“ und „organischen Produkten“, auch da wo es ueberhaupt keinen Sinn macht. Man nehme etwa die erstaunliche Ablehnung gen-modifizierter Produkte, fuer die sich zwar kaum eine rationale Begruendung findet, die aber, weil sie so emotial vorgebracht wird, eine ganze Massenwiderstandsbewegung inspiriert hat. Kuenstlichem Fleisch wuerde es moeglicherweise aehnlich gehen.

    Was den Muell angeht, da werden wir wohl erfolgreicher werden, aber da eine wachsende Welt immer mehr Muell produziert, werden unsere Fortschritte letztlich wohl leider wieder kompensiert werden.

    Was Arbeit angeht, sehe ich keine plausible Loesung. Wird wohl immer mehr Menschen geben, die aus der Gesellschaft heraus fallen. Armut wird stetig wachsen und zum Massenphaenomen werden. Und mit einer immer kleiner werdenden Gruppe an Teilhabenden, wird wohl irgendwann auch der wirtschaftliche Fortschritt zum Halten kommen. Ergebnis koennte die dystopische Welt von „Running Man“ sein … 😉

  • Ariane 31. August 2015, 21:26

    Spannender Artikel!

    ich blicke zwar in vielen Dingen auch optimistisch in die Zukunft und glaube auch an neue Theorien, trotzdem würde ich in einigen Punkten widersprechen:

    Autos Yeah das wär toll und ist eine Entwicklung, der ich mit großer Vorfreude entgegen sehe. ich weiß aber nicht, ob es sich wirklich so extrem durchsetzen wird. Selbst dann werden vermutlich noch Unfälle passieren und man hat immer noch das leidige Platzproblem, weil Autos auf den Straßen und Parkplätzen Platz wegnehmen und es zu teils ewig langen Wartezeiten kommt.

    Fleisch Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, Fleich „nachzuzüchten“ und würde Ralf zustimmen, evtl würde das auch nicht angenommen werden, weil der momentane Trend extrem zu Natürlichkeit geht. Ich könnte mir vorstellen, dass es mit dem Fleischkonsum eher wird wie mit dem Rauchen und er durch gesellschaftliche Ächtung/Einschränkungen niedriger wird. Womit ich gleich zu Freiheit übergehe: Im Grunde stimme ich dir zu, aber wenn man heutige Entwicklungen weiterdenkt, ist das oft widersprüchlich. Gut möglich, dass etwas verbotenes wie Marihuana in 20 Jahren überall erlaubt ist, andererseits aber Fleischkonsum erschwert wird. Ich glaube, dieses Thema hängt extrem von gesellschaftlichen Trends ab. Vor 20 Jahren war Homosexualität auch teils noch verboten und wird heute gleichgestellt. Daher denke ich, es muss nicht unbedingt dauerhaft in eine bestimmte Richtung gehen, es kann auch sein, dass Trends sich plötzlich umkehren.
    Genausowenig glaube ich, dass die politische Partizipation wie Ralf sagt, insgesamt abnehmen wird (da halte ich die Internationalisierung auch für einen wichtigen Faktor). Was wir heute erleben, ist zb oft, dass große Projekte gar nicht mehr so aufmerksam verfolgt werden, die Leute aber durchdrehen, wenn irgendwo eine Bahnstrecke gebaut wird (oder nebenan ein Flüchtlingsheim). Ich denke, die Entwicklung wird sich fortsetzen. Große frühere Aktivitäten, etwa in einer Partei oder Verein o.ä., werden weniger, dafür gibt es viele kleine Projekte, auf die man sich konzentriert.

    Arbeit Da wird sicherlich eine große Umwälzung auf uns zukommen. Ich halte das aber auch für ein Finanzierungsproblem. Es ist ja nicht so, dass es gar nichts mehr zu tun gibt. Eigentlich alle (ehemals) staatlichen Stellen sind krass unterbesetzt: Lehrer, Erzieher, Altenpfleger, Kontrolleure usw. Dazu kommen noch Privatisierungen wie bei der Post: Wo früher ein Briefträger rumgefahren ist, fahren jetzt mehrere usw.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass der Staat zb irgendwann vor der Frage steht, ob er zig Millionen Arbeitslose durchfüttert oder sich lieber mehr Altenpfleger oder Behördenmenschen sucht. Ich denke, es könnte in den nächsten 20 Jahren die Frage aufkommen, ob der Staat selbst aktiver wird oder sich mehr Macht aus den Händen nehmen lässt, siehe auch die Randbewegungen von links und rechts in vielen Ländern.

  • CitizenK 1. September 2015, 11:03

    Was ich schon heute nicht verstehe: Warum setzt man nicht bei den Problemen an, für die es bereits technische Lösungen gibt: Energie und Müll.

    Ralf hat ja leider recht: Die Atomindustrie erlebt weltweit eine Wiederauferstehung. Selbst die doppelt gebeutelten Japaner machen einfach weiter. Briten, und US-Amerikaner sowieso. Frankreich will den Anteil von Atomstrom immerhin reduzieren.

    Ich frage mich ganz ernsthaft: Sind die dümmer als die Deutschen? Oder sind die Deutschen wirklich paranoid? Von Energieeinsparung (Stichwort Nanowatt, selbst in den USA) redet kaum noch einer. Wenn trotz Tschernobyl und Fukushima, bei voller Information durch Medien und Internet da kein Umdenken erfolgt – woher soll die Hoffnung kommen?

    Müll: Selbst bei Elektroschrott, der relativ einfach und wahrscheinlich sogar kostendeckend recycelt werden könnte, tut sich wenig bis nichts, bzw. das Zeug wird in Drittweltländer „exportiert“.

    Die kommenden Jahre werden ohnehin von der Flüchtlingsfrage beherrscht werden. Die kommt in Stefans Katalog noch gar nicht vor.

    • Stefan Sasse 1. September 2015, 12:26

      Die kommt nicht vor, weil ich nicht davon ausgehe, dass das als eine unserer großen Dummheiten gesehen werden wird.

    • Tim 1. September 2015, 14:10

      @ CitizenK

      Allerdings hat die Kernenergie global noch nie eine große Rolle bei der Energieerzeugung gespielt. Momentan liegt sie bei vielleicht 5 % des Weltprimärenergieverbrauchs. Kernenergie war nie eine sehr bedeutende Energiequelle und wird es auch nie sein. Wenn schon „Wiederauferstehung“, dann Wiederauferstehung eines Winzlings. 🙂

  • Tim 1. September 2015, 13:56

    @ CitizenK

    Was ich schon heute nicht verstehe: Warum setzt man nicht bei den Problemen an, für die es bereits technische Lösungen gibt: Energie und Müll.

    Ganz einfach: weil es – zumindest für unser Energieproblem – noch keine Lösung gibt. Windkraft und Photovoltaik liefern derzeit knapp 4-5 % der in Deutschland benötigten Energie, und das auch nur deshalb, weil die umliegenden Ländern durch passende Im- und Exporte noch mitspielen und wir noch Backup-Kraftwerke haben. Biomasse wird zunehmend unpopulär. Wie sollen wir langfristig also die restlichen 95 % beschaffen? Und zwar so beschaffen, daß es bezahlbar ist? Niemand weiß es.

    Da alle anderen größeren Probleme im wesentlichen durch Energieeinsatz lösbar sind, stehen wir hier wirklich vor einer kolossalen Menschheitsaufgabe. Meiner Meinung nach ist der sich aus heutiger Sicht abzeichnende Energiekollaps das mit Abstand größte Problem der Zukunft. Packen wir’s an.

    • Stefan Sasse 2. September 2015, 19:07

      Naja, die Antwort ist eigentlich relativ klar: Sonnenenergie. Alles andere ist bescheuert.

      • Tim 3. September 2015, 06:46

        🙂

        Natürlich Sonnenenergie, aber eine „Lösung“ ist das noch lange nicht. Die Leute (in Deutschland) glauben, die Energiewende wäre ein voller Erfolg, dabei ist sie erst einen winzigen Schritt vorangekommen. 15 Jahre sind verstrichen, und noch immer wird blinde Produktion gefördert statt verläßliche Versorgung (eine Folge des politischen Hintergrunds des EEGs, denke ich – „Trittin-Rente“). Nach all den Jahren weiß immer noch kein Mensch, wie teuer verläßliche Photovoltaik-Energie eigentlich wird.

        Hinzu kommen die externen Effekte. Desertec ist auf lange Sicht tot. Alle EU-Staaten kochen ihr eigenes Energiewende-Süppchen und konterkarieren damit den vom Prinzip her ja idealen Emissionsrechtehandel. Dabei sollte Europa wegen seiner vielfältigen Klimaregionen eigentlich ein guter Platz für ein umfassendes alternatives Energiesystem sein.

        Nein, eine Lösung ist nicht in Sicht, weil die Leute das Problem noch gar nicht begriffen haben und die Politik daher weiterhin Quatsch produzieren kann.

        • Stefan Sasse 3. September 2015, 08:15

          Absolut. Aber hier kann – und wird – in 20 Jahren einiges passieren. Was Tesla und SolarWorld etwa gerade vorexerzieren wird hoffentlich Breitenwirkung haben, und Aldi (ausgerechnet!) geht da ja auch schon mit gutem Beispiel voran.

  • In Dubio 2. September 2015, 08:51

    Interessantes Gedankenspiel – nur leider lässt Du Dich zu sehr von Deinem eigenen Wertesystem treiben.

    Was wird das dominierende Problem (oder Plural) in den kommenden Jahrzehnten? Darum wird sich unser Leben aufbauen. Erstens: Du hältst die entwickelten Länder weiterhin für außerordentlich innovativ. Wieso ist das ein Parameter? Der Großteil der Top20-Staaten inklusive China vergreist rapide. Doch alte Menschen machen keine bahnbrechenden Erfindungen.

    Diese Gesellschaften sehen sich vor ganz andere Herausforderungen gestellt als die, ob wir zukünftig künstlich gezüchtetes Fleisch essen. Einige Big Player haben den Ball bereits aufgenommen. So wird forciert an Medikamenten gegen Demenz und Alzheimer geforscht, denn derzeit dämmert jeder über 90jährige nur noch seinem Ende entgegen.

    Der Trend in die Ballungszentren wird lange anhalten, das ist ein weltweites Phänomen. Dies erleichtert die Versorgung der Alten und erhöht gleichzeitig die Mobilität. Ob die Menschen da selbst fahren werden oder sich kutschieren lassen, ist eine sekundäre Frage. Tatsächlich verzichten mehr und mehr Menschen auf einen automobilen Untersatz. DAS wiederum ist die eigentliche Herausforderung der Automobilindustrie. Das Auto spricht aber auch die Emotion der Bewegung an. Früher sind viele Menschen lieber geritten, obwohl es auch Kutschen zum bequemeren Reisen gab. Und so werden immer Menschen lieber selbst „reiten“, sei es im Roadster oder auf dem Motorrad (ein ziemlich unsinniges Fortbewegungsmittel!) als sich chauffieren zu lassen.

    Keine Gesellschaft wird es sich leisten können, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht arbeitet. Demgemäß wird mit fortschreitender Technisierung und Individualisierung der Arbeitswelt die Trennung in ein Prekaritat, das Anweisungen von Computern erhält und solchen, die Programme schreiben und bestimmen, zunehmen. Die einen werden noch schlechter als heute, die anderen besser als heute verdienen.

    Die einen werden bis ins hohe Alter gefragt sein und von den Erträgen ihres Könnens wie ihres Kapitals auskömmlich leben können. Die anderen werden auf die Leistungen des jeweiligen Sozialsystems angewiesen sein. Da gerade die obere Hälfte der Einkommenspyramide sich die eigenen Lebensbedingungen immer mehr wird malen können, wird die Segregation eher zunehmen und die Unteren perspektivlos verarmen lassen.

    Hier ist Politik gefragt, den Prozess zu steuern und Entwicklungen abzufedern. Meiner Ansicht nach sind hierzu insbesondere sozialdemokratische und liberale Parteien befähigt, Ideen zu entwickeln und einen Konsens herbeizuführen, da sie die gesellschaftlichen Kräfte vertreten, auf die es ankommen wird. Zuviel sozial wird Entwicklungen hemmen und Volkswirtschaften abkoppeln mit der Folge von Wohlstandsverlusten für alle. Eine zu starke Zerfaserung der Gesellschaften wird Menschen weiter emotional vereinsamen lassen. Ich glaube allerdings eher, dass konservative Parteien weiter dominieren werden.

    Leider sprichst Du im wesentlichen Punkte an, die einer grünen Wohlfühlwelt entsprechen und schreibst diese Träume in die Zukunft. Ob allerdings unsere Form der Mülltrennung global vermittelbar ist, daran bestehen doch inzwischen erhebliche Zweifel.

    • Stefan Sasse 2. September 2015, 19:31

      Klar bestimmt mein Wertesystem meine Sicht auf die Welt – genauso wie deines es bei dir tut, wie man an deiner Antwort ja auch gut erkennen kann. 🙂

      Das Thema mit der Vergreisung und der dazu passenden Medizin wird Sicherheit ein Wichtiges werden, da stimme ich dir absolut zu. Nur passt es nicht zum Thema des Posts: mir ging es nicht darum, Voraussagen zu machen was in 20 Jahren alles wichtig sein wird, sondern darüber zu reden, was man dann als altmodisch/barbarisch/dumm ansehen wird. Das ist nicht dasselbe. Aber wie gesagt, ich stimme dir in der Bedeutung des Themas zu.

      Beim Thema Reiten vs. Kutsche würden mich deine Quellen interessieren. Meines Wissens nach nämlich ist jeder, der es sich leisten konnte, in der Kutsche gefahren. Gerade den Adel hast du nicht auf dem Pferd durch die Landschaft reiten sehen, wenn er eine Kutsche nehmen konnte. Nur ging das natürlich nicht immer, je nach Wegsamkeit. Aber einen Trend zum selber Reiten kann ich historisch nicht ausmachen, höchstens in der Verklärung hinterher (siehe Cowboy).

      Ich sehe derzeit auch absolut keine Möglichkeit, wie die Hälfte der Gesellschaft nicht arbeiten und trotzdem auskömmlich leben soll. Ich habe auch nur die Hoffnung, dass das in 20 Jahren dank eines Fortschritts, den wir heute noch nicht erkennen, möglich sein wird – glaube aber nicht daran. Ich wäre allerdings vorsichtig, allzu deterministisch von unseren heutigen Erwerbsmodellen auszugehen und sie quasi ad infinitum fortzuschreiben.

      Das gilt auch für Mülltrennung: unser aktuelles System ist dämlich, weil es extrem aufwändig und nervig für den Einzelnen ist, aber es ist halt besser als die Alternative, alles im Freien auf einen großen Haufen zu werfen. Wenn aber die Technik gut genug ist, den Müll eigenständig zu sortieren, gibt es für die aktuelle Mülltrennung – die auch wegen der ineffizienten verschiedenen Müllabfuhrwägen und -termine die Umwelt verschmutzt – keine Begründung mehr.

      Ich glaube auch, dass die konservativen Parteien noch eine Weile dominieren werden. Grundsätzlich währt aber in der Politik nichts ewig, wie Helmut Kohl zu seinem Leidwesen erfahren musste.

  • Wirtschaftswurm 4. September 2015, 08:54

    Solarenergie wird natürlich weiter zunehmen, 2011 lag der Anteil der Solarenergie am Primärenergieverbrauch aber immer noch unter 2% in Deutschland. Dass wir da in 20 oder 30 Jahren bei 100% sind, ist unmöglich.

    Beim Thema Auto stimme ich dir zu. Menschengesteuerte Autos werden dann auch einfach aus Sicherheitsgründen nicht mehr neu zugelassen.

    Das Thema Fleisch sehe ich komplett anders. Aber gut, schon heute gibt es Lebensmittel mit zig künstlichen Zusatzstoffen, die aber groß damit werben, dass sie „xyz-frei“ sind. Und vielleicht werden ja irgendwann sogar Nationalparks verboten, weil da Tiere andere Tiere fressen.

    Beim Thema Freiheit wirst du wohl leider recht haben. Aber irgendwann wird die Bevormundung vielleicht so überdreht sein, dass eine Gegenbewegung entsteht. So wie jetzt bereits gegen den Feminismus. In einer unfreien Welt wird es dieses Gegenbewegung aber schwer haben.

    • Stefan Sasse 5. September 2015, 07:25

      Vorsicht dass wir hier nicht unterschiedliche Freiheitsdefinitionen verwenden. Meine Prognose läuft nicht auf eine Einschränkung von Meinungsfreiheit oder anderen Bürgerrechten hinaus, sondern auf eine Einschränkung der Freiheit dessen, was wir konsumieren und tun können. Da gab und gibt es immer schon Einschränkungen, ohne dass wir in einer „unfreien Welt“ landen.

      • Wirtschaftswurm 7. September 2015, 20:38

        Die Frage ist, ob man das politisch so scharf voneinander trennen wird.

  • CitizenK 4. September 2015, 10:25

    Rührend, euer Kinderglaube an die Schöne Neue Welt selbstfahrender Autos.
    Hacker? Softwarefehler? Nicht programmierbare Situation? Aber nicht doch. Fortschritt! Das werden spannende Gerichtsverfahren.

    • Stefan Sasse 4. September 2015, 13:27

      Genauso wie betrunkene Autofahrer, Leute die telefonierend Unfälle verursachen, Leute die schlicht nicht gut fahren können, Unfälle durch abgelenkte Fahrer und so weiter. Da haben wir heute schon massenhaft Gerichtsverfahren. Ich garantiere dir, dass die „kindischen“ selbstfahrenden Autos sicherer sein werden als die jetztige Situation.

      • CitizenK 4. September 2015, 16:04

        @ Stefan

        Hoffentlich hast Du recht und nicht ich.

        • Stefan Sasse 4. September 2015, 18:35

          Irgendwas wird sicher mal passieren. Irgendein Arschloch wird ein Auto hacken und einen Unfall damit produzieren oder irgendsoetwas, aber ich hoffe doch dass wir das dann genauso betrachtet und geahndet wie jemand, der aktuell absichtlich jemandem reinfährt.

  • Thomas Schmitz 7. September 2015, 12:11

    Ich stimme Ralfs ersten Zeilen absolut zu – das Zukunftsbild wird (bestenfalls) die Tendenz der westlichen Welt beschreiben, wahrscheinlich sogar eher nur die deutsche Sicht darauf. Wishful thinking.

    Ich bin davon überzeugt, dass nichts, absolut nichts von dem eintreten wird, und Deine wie meine Kinder diese Fragen nicht stellen werden (sie werden gänzlich andere Fragen stellen).

    Europas Bedeutung in der Welt nimmt rapide ab. Insbesondere wird Deutschland erkennen, dass die Entwicklungen aller genannten Gebiete (deren Bedeutung ich nicht abstreite) weder auf andere Teile Europas noch auf den Rest der Welt übertragen werden können.

    Ein Beispiel: Deutschlands wirtschaftliche Kraft, die Energiewende zu stemmen, hängt einzig an einem schwachen Euro. Ist der wieder stark, wird Deutschland schnell wieder dahin kommen, Jobs über Umweltschutz zu stellen. Ist nichts ungewohntes, denn schließlich macht das der Rest der Welt auch so.

    In 2035 stellt Deutschland weit weniger als 1% der Weltbevölkerung, wer sollte also auf diese sonderbaren Zweibeiner hören, die bei einer roten Fußgängerampel stehen bleiben und mit einem Handtuch ihren Anspruch auf eine Poolliege untermauern.

    Ich würde in 2035 von meinen Kindern folgende Fragen erwarten:

    „Warum stirbt Deutschland aus, während die übrige Welt aus den Nähten platzt?“

    „Was hat Deutschland in 2015 unternommen, um militante Islamisten dazu zu bringen, im „heutigen“ Deutschland nicht ständig Terroranschläge zu begehen?“

    „Warum durftet ihr praktisch unzensiert und unüberwacht im Internet surfen, während wir heute ein lückenloses „Internet-Fahrtenbuch“ führen müssen?“

    „Wie konnte es sein, dass deutsche Neonazis weitgehend unbehelligt gegen Flüchtlinge vorgehen konnten – jenen Flüchtlingen, die heutige das Rückgrat unserer Gesellschaft bilden?“

    „Musstet ihr wirklich noch ins Büro fahren?“

    Nun ja, auch das ist reine Spekulation. Aber sicherlich weniger realitätsfern als die (aus meiner Sicht etwas zu) gutmenschlich formulierte Zukunftsvision des Autors.

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