Olaf Scholz ist kein großer Kommunikator. Das nicht eben eine rasend neuartige Feststellung; wir wussten das schon, ehe er Kanzlerkandidat der SPD wurde. Christine Lambrecht hat kein besonders Interesse an der Bundeswehr gehabt, bevor sie Verteidigungsministerin wurde, und wäre lieber Justizministerin geblieben, was wegen Koalitionsarithmetik nicht ging. Die Partei hatte schon lange Zeit ein eher problematisches Verhältnis zu Russland, Putin und Gasprom. Gerhard Schröder betrieb schamlosen Lobbyismus spätestens, als er die Schlüssel zum Kanzleramt abgab, und wahrscheinlich schon davor. Ein stabiler Wahlkampf und ein sehr unstabiler Wahlkampf seiner beiden Gegner*innen verhalfen Scholz dann überraschend nach 16 Jahren Merkelregierung zum Einzug in eben jenes Kanzleramt. Abgesehen von Wirecard ist bislang alles an bekannten Schwächen der SPD aufs Tablett gekommen – und in den Umfragen ist davon praktisch nichts zu spüren. Was ist da los?
Ich komme deswegen auf diese Frage, weil das ja keine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe in meiner eigenen Blase – also vor allem der Twittertimeline – seit Wochen massive Kritik an Scholz im Speziellen und der SPD im Allgemeinen, aber Konsequenzen hat das in den Umfragen praktisch keine. Die Landtagswahlen in Saarland und Schleswig-Holstein waren ohnehin von bundespolitischen Themen praktisch völlig befreit und entschieden sich auf Basis lokaler Kandidat*innen und Themen, und es sieht nicht so aus, als würde das in Nordrhein-Westfalen großartig anders werden. Die CDU hat zwar gegenüber der Bundestagswahl leicht zugelegt, profitiert aber auch in keinster Weise vom Wechsel zu Merz (oder leidet darunter, sie ist einfach kein Faktor).
Ein Teil davon ist sicherlich dem Ausnahmezustand des Ukrainekriegs geschuldet, der alle anderen Themen von der Agenda drängt und besonders der besten Opposition, die Deutschland je hatte, wenig Profilierungsspielraum lässt. Aber schauen wir auf eine aktuelle Bundestagsumfrage, ist die bemerkenswert stabil:
BUNDESTAGSWAHL | Sonntagsfrage Infratest dimap/ARD
Union: 26%
SPD: 22% (-2)
GRÜNE: 20% (+2)
AfD: 11%
FDP: 8% (-1)
LINKE: 4% (+1)
Sonstige: 9%Änderungen zur letzten Umfrage vom 28. April 2022
Verlauf: https://t.co/hsxgiA6QD4#btw #btw25 pic.twitter.com/c9itnjjrV8
— Deutschland Wählt (@Wahlen_DE) May 13, 2022
Ja, sicher, die CDU hat etwas zugelegt, aber das war absolut zu erwarten (und ich hab das ja auch mehrfach prophezeit). Aber die Merz so oft zugeschriebene Rückkehr in den 35%+-Bereich lässt weiter auf sich warten. Die SPD ist minimal abgesunken, aber innerhalb der Fehlertoleranz. Die Grünen haben leicht zugelegt, zurück in die Umfragebereiche vom Frühjahr 2021. Die FDP, LINKE und AfD verharren quasi. Das spricht jetzt nicht eben dafür, dass sich die Meinungen zur Ampel geändert hätten, zu Scholz, zu sonst irgendwas. Die einzigen, die das tatsächlich behaupten könnten, sind die Grünen. Und hier wurde bestenfalls der Boden gutgemacht, den man durch den beknackten Wahlkampf verloren hat, weil Habeck und vor allem Baerbock die Erwartungen im Amt deutlich übertreffen und zu Deutschlands beliebtesten Minister*innen wurden.
Aber bleiben wir noch einen Moment bei Scholz. Der Soziobloge hat das schön auf den Punkt gebracht:
Der Kanzler bleibt im Hintergrund während Habeck und Baerbock rausgehen und liefern. Normal. Das Sternenflotten Kommando tut ja auch nix. Die Kapitäne gehen raus und liefern Ergebnisse. Kann man sagen, gut dass Scholz die Wahl gewonnen hat und nicht Baerbock.
— Soziobloge (@soziobloge) May 14, 2022
Ja, der Mann kommuniziert weitgehend in Schwurbelphrasen und ohne große Emotionen (wenn man von dem einen Ausbruch beim DGB absieht), und ja, er hat keine großen Projekte und bremst vor allem an allen Ecken und Enden. Aber das als bahnbrechende Erkenntnis zu verkaufen und zu kritisieren, als hätte er je etwas anderes versprochen, verwundert mich doch sehr. Scholz ist im Wahlkampf explizit als Merkel 2.0 aufgetreten, als eine Fortsetzung ihrer Kanzlerschaft mit sozialdemokratischen Mitteln. Das war explizit, und es hat, anders als 2017, 2013 und 2009, wohl vor allem deswegen funktioniert, weil a) der SPD-Wahlkampf sauber war, b) die CDU und Grünen einen miserablen Wahlkampf geführt haben und c) die CDU zwei Jahre lang (und eigentlich immer noch) einen bitteren internen Grabenkampf ausgefochten hat, wie sie mit dem Merkel-Erbe umgehen will.
Ich halte das für ziemlich zentral. Merkel hat das Amt mit einer Zustimmungsrate von 80% verlassen. 80%! Durch ihre gesamten 16 Jahre Kanzlerinnenschaft war sie praktisch nie unter den 50%. Es gehört schon viel Selbstillusion dazu zu glauben, dass man mit einer Positionierung gegen Merkel reüssieren können würde. Scholz wäre nicht Kanzler, wären nicht all diese Faktoren zusammengekommen (und wurde es auch so nur extrem knapp). Seine Zufriedenheitswerte sind auch eher mittelmäßig; aktuell ist er auf einem Rekordniedrigstand von 46%.
Aber die Konkurrenz bleibt wenig attraktiv. Ein Wechsel zur CDU scheint der Wählendenschaft auch nicht attraktiv. Ich will in diesem Artikel gar nicht versuchen, die großen Erklärungsansätze zu bieten, ich stelle das Ganze vielmehr als Fragen. Die Landtagswahlen jedenfalls geben in meinen Augen wenig Aufschluss. Sie unterscheiden sich radikal von der Situation im Bund. Das Saarland ist bekanntlich nur so groß wie das Saarland, und Schleswig-Holstein ist jetzt auch nicht eben repräsentativ für Gesamtdeutschland. Es würde meine These stützen, Günther zur Zukunft der CDU zu erklären, aber…es ist Schlewsig-Holstein. Weitgehend ländlich, 2,8 Millionen Einwohner*innen. In beiden Fällen dominierten doch eher länderspezifische Personen und Themen.
Etwas anders ist das im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Hier wurde vergangenen Sonntag gewählt, das Land ist recht divers, seine Wirtschaftskraft ist hoch, und so weiter – was aber bei Bayern alless auch zutreffen würde. Hier siegte wie in Schleswig-Holstein klar die CDU, wenngleich nicht gar so überragend wie Genosse Günther. Die SPD konnte sich über ihre 27,5% kaum freuen, weil das einen historischen Tiefstand für NRW darstellt. Die FDP bangt zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels mit 5,0% um den Wiedereinzug, die Grünen verdreifachten (!) ihr Ergebnis.
Aber erneut: all das sind Landtagswahlen. Im Bund profitiert die CDU nicht vom Erfolg von Wüst und Günther, die SPD nicht vom Erfolg Rehlingers. Stegner zog die Bundes-SPD, Hans nicht die Bundes-CDU herunter. Nein, was sich zeigt ist eine generelle Tendenz im Bund: die SPD bleibt Teflon, an der quasi alles abperlt. Sie macht wenig, und es bleibt nicht viel hängen. Die Grünen sind ein Schwamm und saugen Wählendenstimmen auf, und die FDP verliert in den Ländern, aber nicht groß im Bund. Die AfD bleibt, wie sie steht, die LINKE hängt stabil unter der 5%-Hürde, die CDU bleibt stärkste Partei und kann sich davon, wenn es wieder für die Ampel reicht, ein Sandwich kaufen, vorausgesetzt, jemand gibt noch 5€ dazu. Diese Stabilität ist bemerkenswert.
Ich stelle deswegen vor allem Fragen, weil ich die Antworten nicht habe. Vielleicht kann ja jemand in den Kommentaren etwas dazu sagen.
1) Wie relevant ist die linke Basis für die SPD, vor allem die Pazifismus-/Russlandverstehenden-Connection?
2) Ist das Hoch der Grünen eine ukrainische Blase?
3) Kommt der relativ schlechte Stand der FDP vor allem daher, dass die Themen gerade ungeschickt sind?
4) Haben die Ergebnisse der Landtagswahlen doch mehr Aussagekraft für den Bund, als ich hier bereit bin zuzugestehen?
5) Gibt es überhaupt so etwas wie Wechselwählende von der FDP zu den Grünen? Oder sind die Wählendenwanderungen weiterhin in den alten Blöcken, rekrutiert sich also der leichte CDU-Zugewinn aus den leichten FDP- und SPD-Verlusten?
6) Ist die LINKE nur wegen ihrer Führungsprobleme und internen Querelen so schwach, oder ist ihr, gerade mit Russland, endgültig das Rückgrat gebrochen? Und wenn, warum hat sie dann seit Putins illegalem Angriffskrieg keine Bewegung in den Umfragen?
7) Ich wäre geneigt, die schlechte Performance der NRW-FDP auch Ministerin Gebauer zuzuschreiben, aber warum schadete dann Karin Prien nicht der SH-CDU?
8) Warum flog die AfD aus dem Landtag von Schleswig-Holstein, verlor aber im Saarland und in Nordrhein-Westfalen kaum an Stimmen?
Für mich läuft das alles sehr stark darauf hinaus, dass die Länder einfach derart unterschiedlich gepolt sind, dass sie für den Bund kaum Aussagekraft besitzen. Die Leute wählen offensichtlich auf beiden Ebenen völlig anders. Nehmen wir nur mal mein Heimatland Baden-Württemberg. Hier wurden die Grünen triumphal im Landtag bestätigt, während sie bei der Bundestagswahl um die 5% herumkrebsen. In Bayern steht eine Partei zur Wahl, die es in anderen Bundesländern gar nicht gibt. Im Osten ticken die Uhren eh offensichtlich vollkommen anders, in den Stadtstaaten ohnehin auch. Bleiben Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, über die ich ehrlich gesagt keinen Überblick habe. Aber das alles führt mich zu Frage
9) Sind die Wahlergebnisse des Bundes letztlich ein Durchschnitt aus allen Bundesländern, so dass die Landtagswahlen effektiv Teildemografien repräsentieren, oder ist es eben so, dass die Landtagswahlen genau das sind – Landtagswahlen, und die Wählenden da einen riesigen Unterschied machen?
Ich bin einfach völlig unsicher. Und auf euren Input gespannt!
In den Kernaussagen kann ich dem zustimmen. Deine Bewunderung für Merkel aus demoskopischer Sicht kann ich jedoch erwartungsgemäß nicht teilen. Ja, Merkel hatte immer rekordhohe Zustimmungswerte. Nur zeigt das deutlich die Schwäche der deutschen Demokratie, nicht ihre Stärke. Dass ein Amtsinhaber nach so langer Zeit auf einem solchen Plateau tanzt, ist in westlichen Demokratien einmalig. Einmalig bedeutet unter demokratietheoretischen Aspekten: schlecht.
Jemand kann hohe Zustimmungswerte genießen und es zahlt trotzdem nicht dort ein, wo es zählt. Das war bei Merkel nach 2013 der Fall. Es bringt der CDU nichts, wenn Grünen-Anhänger ihren Kandidaten toll finden. Unter Unionswählern jedenfalls war die Alt-Kanzlerin teilsweise weniger gelitten als bei den Anhängern der linken Parteien. Die Frage, was von Merkel bewahrenswert sei, ist entschieden: nichts. Sie selbst hat kein Interesse, ihr Erbe zu pflegen und ihre Mit-Kombattanten wurden schnell abgeräumt.
Dennoch wird Friedrich Merz nicht Kanzler. Dazu sind seine Popularitätswerte zu schlecht, gerade seine Persönlichkeitswerte wie Sympahtie. Er wird ein Übergangsvorsitzender bleiben und sollte nicht den Laschet-Fehler machen, trotz hoher Ablehnung in der Bevölkerung nach der Kanzlerkandidatur zu greifen.
Ich sehe Scholz nicht so schlecht, wie seine Werte sind. Dass er ein schlechter Kommunikator ist, macht ihn nicht zu einem schlechten Regierungschef. Auch Kohl und Merkel konnten nicht gut mit ihren Wählern kommunizieren. Das ist zweifellos ein großes Manko, aber nicht alles. Scholz ist in einer extrem schwierigen Lage und muss das Land in einer Zeit führen, um die ihn niemand beneidet. Nach sechs Monaten den Stab zu brechen, wäre arg verfrüht.
Auch schlecht für die Demokratie: der Amtsbonus nimmt bei Wahlen überhand. Demokratie lebt vom Wechsel (er muss nicht so extrem sein wie in NRW, wo alle 5 Jahre die Regierung gewechselt wird). Immer die bisherigen zu wählen, lässt ein Land vergreisen. Schleswig-Holstein zeichnet sich vor allem durch seine Nähe zu Dänemark aus. Der ziemlich sozial und links orientierte Südschleswigsche Wählerverband hat in den grenznahen Gebieten seine Hochburgen. Das nördlichste Bundesland würde keinen konfrontativen, sehr konservativen Ministerpräsidenten vertragen.
Für die FDP sind Dreierkonstellationen, ob Jamaika oder Ampel, besonders gefährlich. Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in NRW wurde ihnen von professionellen Beobachtern gute Arbeit bescheinigt und dennoch wurden die Liberalen hart abgestraft. Erfolge zahlen nicht ein. Mit der Abschaffung der Corona-Maßnahmen löste die Partei ein wichtiges Wahlversprechen ein und zeigte sich durchsetzungsstark. Es hat nichts genützt. Die Frage ist offen: was würde die FDP zuverlässig in den zweistelligen Bereich heben?
Zu Deinen Fragen:
1) Wahrscheinlich nicht relevant. Die SPD ist, anders als die Selbstwahrnehmung der mittleren Ebene, eine Funktionspartei.
2) Nein, definitiv nicht. Die Grünen sind in Deutschland die Wohlfühlpartei. In keinem anderen größeren Land können Umweltparteien solche Resultate erzielen. Selbst Skandale haben kaum bis keinen Einfluss auf ihre Popularität. Die Frage ist eher: wie lange trägt so etwas? Angela Merkel (siehe oben) zeigte: das kann sehr viele Jahre funktionieren.
3) Nein. Siehe oben. So wie die FDP bei Jungwählern gewinnt, verliert sie offensichtlich bei älteren.
4) Landtagswahlen verlieren an Bedeutung für die Bundespolitik. Das ist eine sehr lang laufende Entwicklung.
5) Meist nicht. Es gab Bundestagswahlen, da gab es praktisch keinen Austausch zwischen den Anhängern von Grünen und FDP. Die NRW-Wahl ist da ein Unikum, die Liberalen haben massiv an die Grünen verloren.
6) Die Linkspartei hat im Osten ihr Alleinstellungsmerkmal und damit ihre Homebase verloren. Die Mitglieder der LINKEN sind sehr alt, die Führungsriege oft sehr jung. Das funktioniert nicht zusammen.
7) Die FDP hat zweimal in der Koalition massiv zugunsten des Amtsinhabers verloren. Annahme: es sind vor allem ältere Wähler, die gewechselt sind.
8) Die AfD hat sich in NRW ein schlechtes Ergebnis nicht steigern können. Da sind 5,5% desaströs.
9) Wieder: Landtagswahlen koppeln sich immer stärker vom Bundestrend ab und eignen sich damit nur noch sehr eingeschränkt als Seismograph für die Parteien. Eigentlich schlecht für die Demokratie.
Einmalig bedeutet unter demokratietheoretischen Aspekten: schlecht.
Ohne auf die Frage der Qualität Merkels eingehen zu wollen: das kannst du so als Regel schlicht nicht formulieren. Ja, unter Merkel litt der Diskurs, der Meinungskampf, es war vieles „alternativlos“, aber dazu gehören halt immer mindestens zwei. Und Merkels Stil hat die deutsche Demokratie extrem stabil gehalten, und sicher DEMOKRATISCH, als sie in Ländern wie USA und GB den Bach runterging und in FR zumindest gefährdet war. Das kann man nicht ignorieren. Diese Medaille hat zwei Seiten.
Die Frage, was von Merkel bewahrenswert sei, ist entschieden: nichts.
Das halte ich höflich gesagt für eine sehr steile These, aber dazu morgen oder übermorgen mehr.
Dennoch wird Friedrich Merz nicht Kanzler. Dazu sind seine Popularitätswerte zu schlecht, gerade seine Persönlichkeitswerte wie Sympahtie. Er wird ein Übergangsvorsitzender bleiben und sollte nicht den Laschet-Fehler machen, trotz hoher Ablehnung in der Bevölkerung nach der Kanzlerkandidatur zu greifen.
Du meinst, er lässt jemand anderen aus der CDU 2025 Kanzlerkandidat sein? Das sehe ich überhaupt nicht. Ich teile deine Analyse, aber ich glaube weder, dass Merz‘ Ego das zulassen wird noch dass die CDU eine gangbare Alternative aufbieten kann.
Ich sehe Scholz nicht so schlecht, wie seine Werte sind. Dass er ein schlechter Kommunikator ist, macht ihn nicht zu einem schlechten Regierungschef. Auch Kohl und Merkel konnten nicht gut mit ihren Wählern kommunizieren. Das ist zweifellos ein großes Manko, aber nicht alles. Scholz ist in einer extrem schwierigen Lage und muss das Land in einer Zeit führen, um die ihn niemand beneidet. Nach sechs Monaten den Stab zu brechen, wäre arg verfrüht.
Ich habe überhaupt nichts zu Scholz‘ Performance gesagt. Ich finde nicht mal seine Kommunikation soooo problematisch.
Auch schlecht für die Demokratie: der Amtsbonus nimmt bei Wahlen überhand.
Good point, das hab ich völlig übersehen. Eine Frage dazu: in den USA ist der Amtsbonus seit Jahr und Tag gigantisch (> 80% Wiederwahlquote in den Staaten). Da wurde das noch nie als Problem identifiziert?
Für die FDP sind Dreierkonstellationen, ob Jamaika oder Ampel, besonders gefährlich.
Und doch verloren sie am härtesten in der bürgerlichen Traumkoalition in NRW. Wie erklärst du das? Angesichts der geringen Vergleichsmenge sehe ich auch hier die Formulierung einer allgemeinen Regel sehr skeptisch. Und wie erklärst du die Stabilität im Bund?
Die Frage ist offen: was würde die FDP zuverlässig in den zweistelligen Bereich heben?
Geht das überhaupt? Ich dachte mich daran erinnern zu können, dass deine eigenen Analysen der FDP einen vergleichsweise geringen Stammwählendenanteil bescheinigen, was „zuverlässig“ ja praktisch ausschlösse, nein?
1) Ja, aber was ist mit Schwesig, Schröder, Steinmeier?
2) Wann wäre es aber doch eine Blase, oder? Bin verwirrt.
3) Ok, aber was ist deine Erklärung? Wie du schon schreibst, sie lösen eigentlich alle ihre Wahlversprechen ein. Das half der SPD auch nie, aber warum?
4) Hatten sie die früher mehr? Oder war das schon immer eine Fehlwahrnehmung? Und wenn dem so ist, warum?
5) Oh, cool, ich hab noch gar keine Wanderungsanalysen gesehen. Eine Idee woran das liegt?
6) Good riddance.
7) Auch hier: warum?
8) Hm, so gesehen.
9) Weiß nicht, ich fand den Trend zum „Abstrafen“ bei Landtagswahlen eigentlich schlimmer. Und in den USA haben wir den genau gegenteiligen Effekt, da haben die Staatenwahlen sich fast komplett auf die Bundespolitik ausgerichtet, mit nicht eben positiven Effekten.
Ja, unter Merkel litt der Diskurs, der Meinungskampf, es war vieles „alternativlos“
Das meine ich überhaupt nicht. Ich meine nicht Merkels Agieren, sondern der geschönte Blick auf sie. Selbst in ihrer Endphase, selbst als viele in der Pandemie Entscheidungen der Politik falsch fanden, wurde Merkel in der Bevölkerung immer entlastet: Sie sei halt schlecht beraten, sie habe halt keine guten Leute um sich u.ä. Und schau‘ Dir die Reaktion auf ihre Entschuldigung im April 2021 an: Der Irrwitz der von ihr maßgeblich beförderten Bundesnotbremse wurde ihr nicht zur Last gelegt, sondern ihre angeblich honrige Haltung der Entschuldigung.
Ein Joe Biden, ein Emmanuel Macron, auch ein Sanchez können auf so viel Gutmütigkeit nicht hoffen.
Und Merkels Stil hat die deutsche Demokratie extrem stabil gehalten, und sicher DEMOKRATISCH, als sie in Ländern wie USA und GB den Bach runterging und in FR zumindest gefährdet war.
Das ist widerlegt. Obwohl Merkel im politischen Gedächtnis längst vergessen ist, erleben die großen Parteien gerade jetzt, in der Nach-Merkel-Ära einen neuen Aufschwung. Die letzten Wahlen wurden von konsensorientierten Politikern gewonnen. Wenn Merkel der Stabilisator gewesen wäre, hätte es mit ihrem Abgang zu Disruptionen kommen müssen. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Großbritannien ist nicht gefährdet. Boris Johnson verstößt gegen zahlreiche ehrwürdige Regeln, aber das sagt nur etwas über seinen Charakter aus, nicht über die Demokratie auf der Insel. Die Franzosen haben gerade zum ersten Mal seit Jacques Chirac einen Präsidenten bestätigt. Der musste übrigens bei seiner Wiederwahl gegen den Rechtsextremisten Le Pen antreten. Seine Tochter ist dagegen ein Abbild an Mäßigung.
Du meinst, er lässt jemand anderen aus der CDU 2025 Kanzlerkandidat sein?
Die Entscheidung trifft in der CDU niemand alleine. Schon gar nicht nach dem Desaster von 2021. Wüsts Gewicht in der Partei wird nach diesem Wahltag enorm wachsen, egal ob der Ministerpräsident bleibt oder aus der Opposition agieren muss. Über 35% in NRW ist ein Pfund.
Good point, das hab ich völlig übersehen. Eine Frage dazu: in den USA ist der Amtsbonus seit Jahr und Tag gigantisch (> 80% Wiederwahlquote in den Staaten). Da wurde das noch nie als Problem identifiziert?
Kann ich gar nicht so viel dazu sagen. In den USA sind traditionell viele Staaten in der Hand einer Partei. In Deutschland wurden außer Bayern und Hessen alle Bundesländer in den letzten 20 Jahren von wechselnden Parteien regiert. Dass die Menschen denjenigen mehr vertrauen, die sie bisher regiert haben, ist nicht per se zu kritisieren. Die Dosis macht auch hier das Gift.
Ich weiß nicht, wann die FDP zuletzt in einer Regierung (mit Zugewinnen) bestätigt wurde. Das muss zu Helmut Kohls Zeiten gewesen sein. Selbst in Hessen, als man mit Roland Koch regierte, wurde der Konservative nach einer Legislaturperiode mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet. Hier halte ich es durchaus für problematisch, wenn eine (unterstützende) Partei praktisch nie für ihr Mitregieren belohnt wird. Bei den Grünen ist das völlig anders. Auch im Bund verliert die FDP an Zustimmung.
Geht das überhaupt? Ich dachte mich daran erinnern zu können, dass deine eigenen Analysen der FDP einen vergleichsweise geringen Stammwählendenanteil bescheinigen, was „zuverlässig“ ja praktisch ausschlösse, nein?
Die FDP hat ihre Stammwählerschaft seit 1998 von einstmals 3% mehr als verdoppelt. NRW ist eigentlich ein gutes Pflaster für die Partei, dort hatte sie oft über dem Bundesschnitt liegende Ergebnisse. Schaut man sich die sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung an, dann sollte die FDP heute zuverlässig Ergebnisse oberhalb der 10% abliefern können, zumindest im Westen.
1) Ja, aber was ist mit Schwesig, Schröder, Steinmeier?
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es in der Bevölkerung eine überwältigende Ablehnung Russlands gäbe. Wenn ich mir die Votings unter Artikeln und die Kommentare ansehe, dann fällt mir die Zerrissenheit auf. Schwesig gilt aus Sicht der Wähler nicht als zentral, die Distanzierung von Schröder ist enorm und der Bundespräsident wird ohnehin über den Parteien schwebend angesehen.
2) Wann wäre es aber doch eine Blase, oder?
Die Ergebnisse der Grünen sind keine Blase. Zuletzt wurde ihre Stammwählerschaft mit 14,5% taxiert. Interessanter ist die Frage, was Deutschland hier von Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien unterscheidet. Warum kommt hier eine grüne Partei in den Rang eines möglichen Mitbewerbers um die Führung der Regierung, während die linksalternativen Milieus in anderen Ländern vielleicht kleiner sind und oder sich anders sortieren?
3) Ok, aber was ist deine Erklärung? Wie du schon schreibst, [die Liberalen] lösen eigentlich alle ihre Wahlversprechen ein.
Die Frage ist: sind es Wahlversprechen für das Herz der Anhängerschaft? Da habe ich starke Zweifel. Die Abschaffung der Coronabedingten Maßnahmen sind bei den Jungwählern der Liberalen höchst populär. Da hat die FDP zumindest in Schleswig-Holstein auch eher gewonnen. Aber es ist kein Herzensanliegen für ältere Wähler der Partei gewesen. Dort waren die Maßnahmen nicht wesentlich unpopulärer als im Rest der Bevölkerung. Ich bin nicht typisch. Die älteren Wähler waren immer mit den Versprechen von Steuersenkungen und Steuerreformen mit der Partei verbunden. Hier konnte die FDP so wenig liefern wie bei dem Punkt solider Staatsfinanzen. Vielleicht war es bei den letzten beiden Wahlen aber auch ein kommunikatives Problem gewesen. Vor fünf Jahren kämpften in diesen Ländern die Charismatiker Kubicki und Lindner. Buchholz und Stamm haben nicht annähernd die Ausstrahlung der Alphatiere.
4) Hatten sie die früher mehr?
Ja, ist so. Bis Anfang des Jahrtausends galten Landtagswahlen als Korrektur zur Bundespolitik. Die regionalen Regierungen waren klarer nach Parteifarben sortiert und waren politisch wie verfassungsrechtlich ein Gegenposten. Heute schaut niemand mehr, wie sich der Bundesrat zusammensetzt, es ist ungleich schwerer über die Länderkammer politische Macht zu entfalten.
5) Oh, cool, ich hab noch gar keine Wanderungsanalysen gesehen. Eine Idee woran das liegt?
Lief in der ARD kurz nach 18 Uhr. Die FDP hat mit 110.000 Wählern fast so viele an die Grünen verloren wie an die CDU. Woran das liegt? Das ist eine hochdotierte Preisfrage. Mir fällt auf Anhieb keine Erklärung, schon gar keine fundierte ein.
7) Auch hier: warum?
Siehe oben.
9) Weiß nicht, ich fand den Trend zum „Abstrafen“ bei Landtagswahlen eigentlich schlimmer.
Es hat immer zwei Seiten. In den großen Demokratien gibt es überall solche „Korrekturwahlen“. Gehört zu dem Aspekt der Checks & Balances.
Großbritannien ist nicht gefährdet. Boris Johnson verstößt gegen zahlreiche ehrwürdige Regeln, aber das sagt nur etwas über seinen Charakter aus, nicht über die Demokratie auf der Insel.
Das sehe ich erheblich anders. Der Premierminister hat ein strukturelles Problem, denn er hat die Lüge zum System erhoben und sukzessive wird der britische Rechtsstaat ausgehöhlt:
Wahrheit und liberale Demokratie sind miteinander verknüpft. Wenn ein Volk seine Regierung zur Rechenschaft ziehen will, braucht es Zugang zu objektiver Wahrheit, zu nachprüfbaren Fakten. Wo das von einer übermächtigen Exekutive zerstört wird, entsteht die Gefahr autoritärer Regierungen unter dem Deckmantel der Demokratie. Polen und Ungarn haben es vorgemacht.
In Großbritannien gibt es kein System der checks and balances, keine zusammenhängend geschriebene, kodifizierte Verfassung, auf die man in Krisenzeiten zurückgreifen könnte. Die britische Verfassung ist stattdessen ein fragiles Geflecht von Konventionen, uralten Regeln und Präzedenzfällen ohne eindeutige Regelungen, was wann gilt und wie das von wem entschieden wird. Es funktionierte bislang nach dem sogenannten Good-Chaps-Prinzip, also der Annahme, dass moralisch integre Politiker die Seele dieses Durcheinanders schon richtig interpretieren würden. Die Briten sind damit letztlich auf den guten Willen ihrer einmal gewählten Regierung angewiesen. Ein Premierminister, der sich bewusst nicht mehr an die Regeln und den Geist dieser ungeschriebenen Verfassung halten will, deren Prinzipien gar aktiv zu zerstören versucht, ist ein Fall, der nicht vorgesehen ist und für den es deshalb auch kaum Gegenmittel gibt.
Und Johnson ist gerade dabei, mit Hilfe einer Justizreform die unliebsamen Eingriff der Judiakativen auf das Regierungshandeln zurückzufahren. Und dabei bedient er sich wieder der Lüge.
Interessant, Sie scheinen sich in Großbritannien etwas auszukennen.
Der Premierminister kann nicht zerstören, was nicht geschrieben steht. Das war bei Trump anders. Unzweifelhaft hat der Bewohner von Downing Street No. 10 umfangreiche Machtbefugnisse. Die hat der französische Präsident aber auch und selbst einen Bundeskanzler zu stürzen ist extrem schwer. In der deutschen Nachkriegsgeschichte gelang das nur ein einziges Mal.
Im Vereinigten Königreich gibt es Nachwahlen, wenn ein Abgeordneter verstirbt oder zurücktritt. Solche Nachwahlen haben selten Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse, in der Regierungszeit von John Major allerdings doch, der Ende 1996 seine Mehrheit im Parlament durch Nachwahlen verlor.
Ich meine nicht Merkels Agieren, sondern der geschönte Blick auf sie.
Völlig korrekt. Die Sanftheit, Zurückhaltung und echte Liebe, mit der sie in den Medien angefasst wurde, dürfte in allen westlichen Demokratien der letzten 50 Jahre absolut einmalig sein. Selbst bei seltener Kritik lieferten die Medien die Entschuldigung wie die Reinwaschung Merkels immer gleich mit, nicht mal das mussten ihre Spin-Doktoren übernehmen. War schon ne interessante Beobachtung an einem Berufsstand, zu dessen Kernkompetenzen Distanz gehören sollte …
Gruss,
Thorsten Haupts
These: Das lag auch schlicht daran, dass Merkel substanziell nicht angreifbar war (musst ja für was einstehen, wenn man dich kritisieren will) und umgekehrt charakterlich halt über jeden Zweifel erhaben, da gab es keinen Skandal. In 16 Jahren nichts. Keine Bonusmeilen, kein Bobbycar, nicht mal ne faulige Kartoffel aus dem Fenster geworfen oder so.
Ja, völlig klar. Womit die Behandlung von Merkel denn auch die psychologischen und intellektuellen Grenzen des deutschen Durchschnittsjournalisten markieren. Sagen wir höflich – ich bin nicht beeindruckt.
Genauso wie der Durschnittslesenden.
Ich meinte nicht die Medien, sondern politisch wenig interessierte Bürger. Die stellen immerhin die Mehrheit unter den Wählern.
Selbst in ihrer Endphase, selbst als viele in der Pandemie Entscheidungen der Politik falsch fanden,
„Viele“, ja, aber nie auch nur annähernd eine Mehrheit. Das ist halt das Thema: ja, es gibt genug Leute die sie doof finden, aber sie hatte halt immer eine sehr solide Mehrheit der Deutschen, die zufrieden waren.
Ein Joe Biden, ein Emmanuel Macron, auch ein Sanchez können auf so viel Gutmütigkeit nicht hoffen.
Hätten sie die Zustimmungswerte, dann schon.
Die Entscheidung trifft in der CDU niemand alleine. Schon gar nicht nach dem Desaster von 2021. Wüsts Gewicht in der Partei wird nach diesem Wahltag enorm wachsen, egal ob der Ministerpräsident bleibt oder aus der Opposition agieren muss. Über 35% in NRW ist ein Pfund.
Ich wette mit dir: Merz wird Kanzlerkandidat 2025.
zu USA: Mir ist immer noch unklar, warum das Phänomen da zwar viel krasser ist als bei uns, es aber bei uns problematischer sein soll.
FDP Mitregierung: Hast du eine Erklärung für dieses Phänomen?
FDP Potenzial: Warum realisiert sie es dann nicht?
1) Ich glaub das gar nicht, deswegen frage ich ja. Ich hätte eher argumentiert, dass dieser Flügel der SPD HILFT.
2) Sehr gute Frage. Das Wahlrecht spielt sicher eine wichtige Rolle; dazu haben sich in vielen anderen Ländern liberale Parteien breit genug aufgestellt, die linksliberalen Elemente mitzunehmen, während die FDP das hierzulande nicht schafft und den Grünen überlässt. Wir haben effektiv zwei liberale Parteien.
3) Aber die sind doch erst seit einem halben Jahr weg? Macht das so viel aus?
4) Ja, ist auch viel unübersichtlicher. Der Bundesrat ist bei zwei Lagern natürlich deutlich besser zu „gamen“. Heute könnte ich ja nicht mal taktisch diesbezüglich abstimmen, wenn ich wällte.
5) So geht es mir auch. Totales Mysterium, und mich wundert, wie wenig die Frage gestellt wird.
9) Ja, nur wenn es zum Automatismus wird ist scheiße.
Wir haben effektiv zwei liberale Parteien.
ROFLMAO.
Vergleichsweise viele fanden Merkel gut, haben ihre Partei aber nicht gewählt. Ich hatte das vor einigen Monaten hier aufgelistet: die Hälfte der Stammwähler der CDU wollten die Partei 2021 definitiv nicht mehr wählen, wenn der bisherige Kurs fortgesetzt würde. Ich bestreite doch nicht, dass Merkel bis zuletzt populär war. Der Punkt ist: das zahlte nach 2013 nicht mehr auf das Konto der Union ein. Und mein Argument: Merkels hohe Popularitätswerte gründen auf einer außerordentlichen Behäbigkeit des deutschen Elektorats.
Ich wette mit dir: Merz wird Kanzlerkandidat 2025.
Ah, wieder Lust auf eine Wette? 😉 Okay, Deal. Einsatz bekannt: Flasche südamerikanischen (oder australischen) Rotwein gegen Kaste Wasser.
zu USA: Mir ist immer noch unklar, warum das Phänomen da zwar viel krasser ist als bei uns, es aber bei uns problematischer sein soll.
Du sagst doch immer, das wäre ein Problem. Ich wiederspreche da nicht.
FDP Mitregierung: Hast du eine Erklärung für dieses Phänomen?
Wenn ich die hätte, würde ich mich als Berater im Hans-Dietrich-Genscher-Haus andienen. Ich denke, es hat einiges mit der Charakterstruktur liberaler Wähler zu tun: enorm anspruchsvoll und volatil, wenn es an Erfolgen mangelt. Liberale sind zwar konsensfähig und sie erwarten ihre Partei in der Regierung. Aber sie erwarten dort Ergebnisse. Peinlichkeiten wie die von Spiegel oder Lambrecht dulden sie nicht, das zeigte sich sehr klar 2013. Da musste man sich als Anhänger für die FDP schämen. Und das will niemand.
Obwohl die FDP heute nicht mehr die Funktionspartei früherer Jahre ist, ist der Anteil von Stammwählern zu abgegebenen Stimmen doch vergleichsweise klein im Vergleich zu anderen Parteien. Bei der letzten Bundestagswahl z.B. holten Union und Grüne kaum mehr Stimmen als Stammwähler vermutet werden.
Dazu passt, dass zwar regelmäßig 15-16 Prozent die FDP als ihre erste Wahl nennen, ein wesentlicher Teil davon aber immer wieder zur CDU switcht.
1) Ich glaub das gar nicht, deswegen frage ich ja. Ich hätte eher argumentiert, dass dieser Flügel der SPD HILFT.
Warum? Schwesig funktioniert im Osten und hat trotz Stiftung ein phantastisches Ergebnis eingefahren. Schröder und Steinmeier werden kaum noch mit der SPD und ihrer Politik assoziiert. Die sind neutral gestellt.
2) Sehr gute Frage. Das Wahlrecht spielt sicher eine wichtige Rolle; dazu haben sich in vielen anderen Ländern liberale Parteien breit genug aufgestellt, die linksliberalen Elemente mitzunehmen, während die FDP das hierzulande nicht schafft und den Grünen überlässt. Wir haben effektiv zwei liberale Parteien.
Da ist was dran, aber nicht sehr viel. In einigen Demokratien haben die liberalen Parteien populistische Aspekte im rechten Spektrum. Die deutsche FDP hat das unter Westerwelle ein Stück probiert. Vor allem aber deckt die Partei im Wählermarkt Schattierungen ab, die in anderen Demokratien von den konservativen Parteien eingesammelt werden. Dort, wo die liberalen Parteien zentraler positioniert sind, sind die Milieus mit idealistisch gesinnten Bürgern auch kleiner. Schließlich sind auch die Klimaaktivisten in Deutschland besonders stark vertreten und ein Viertel (?) aller Greenpeace-Mitglieder kommt aus Deutschland. Eine so links positionierte liberale (das Wort fällt mir an der Stelle schwer) Partei wie die Grünen in Deutschland gibt es in anderen Ländern nicht.
3) Aber die sind doch erst seit einem halben Jahr weg? Macht das so viel aus?
Die sind schon viel länger weg. Aber natürlich, beide sind Wählermagnete, das haben ihre Wahlergebnisse immer gezeigt, die waren auch gemessen an den Landesverhältnissen immer deutlich überdurchschnittlich.
Totales Mysterium, und mich wundert, wie wenig die Frage gestellt wird.
Ich verstehe total, warum es zwischen den Wählergruppen so wenig Überschneidungen gibt. Ich verstehe wenig, warum ein ehemals Grün-Anhänger zur FDP und umgekehrt wechselt. Kommt vor, aber normalerweise eher selten bei diesen Parteien.
Schon merkwürdig. Kaum einer mag Merkel, und doch war sie die beliebteste Politikerin auch unter CDU-Wählenden. Die wollten sie nicht wählen, und doch schaffte sie höhere Ergebnisse als jeder andere und sorgte verlässlich für CDU-Regierungen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Merkel immer noch Kanzlerin wäre, wenn sie 2021 wieder angetreten wäre.
Wette gilt.
Ah ok, nein, das ist ein Problem. Dann sind wir uns einig.
Deine Beschreibung der FDP-Wählendenschaft ist natürlich schmeichelhaft, aber genau deswegen verstehe ich es ja nicht: die FDP liefert doch?
1) Ich glaube, das ist eher der Kontrast. Unter den demokratischen Parteien ist die SPD die russlandfreundlichste.
2) Genau, wie gesagt, ich denke, in Deutschland ist das ganze liberale Spektrum anders verteilt als in vielen anderen Ländern. Gefühlt reaktivieren wir gerade die alte Dichothomie von Fortschritts- und Nationalliberalen. Eigentlich auch spannend.
3) Ok.
Genau, so geht es mir auch.
Schon merkwürdig. Kaum einer mag Merkel, und doch war sie die beliebteste Politikerin auch unter CDU-Wählenden.
Das stimmt ja nicht. Und das im doppelten Sinne. Es bestreitet doch niemand, dass Merkel außerordentlich populär war. Das ist übrigens einer meiner Kritikpunkte. Und natürlich kenne ich einige CDU-Wähler, die sie dauerhaft sympathisch fanden. Meist weibliche Wähler. Aber Du hättest mal hier in meinem Ort – einer früheren Hochburg der CDU mit Ergebnissen weit jenseits der 50% – im Wahlkampf 2017 erleben müssen. Nein, diese Stadt wählt nicht AfD, aber sie hat inzwischen einen schwulen Bürgermeister von der FDP (der das allerdings nicht laut plakatiert hat) mit 63,5% der Stimmen. Diese alte Stadt von Kaiser Barbarossa im Herzen Hessens konnte mit Merkel meist nichts anfangen. 2017 erlebte die Kanzlerin hier ein Spießrutenlaufen und ein unendliches Pfeifkonzert, wo ihr nur die Lautsprecher halfen. Die CDU holte hier mit 31% nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis, wo die Kanzlerin keine Zugkraft besaß.
Merkel war eben in der CDU nicht sonderlich beliebt. Und das wusste sich durchaus. Sie war nur so lange gelitten, wie sie die Macht garantierte. Und 2021 hätte sie sie garantiert verloren.
Wette gilt.
Ist vermerkt. 🙂
Deine Beschreibung der FDP-Wählendenschaft ist natürlich schmeichelhaft, aber genau deswegen verstehe ich es ja nicht: die FDP liefert doch?
Ja und nein. Sie liefert bei Herzensthemen der Jungwähler, deswegen auch das sehr gute Ergebnis in Schleswig-Holstein (17% meiner Erinnerung nach). Aber sie liefert nicht bei den älteren, ohnehin schwarz-gelb zugeneigten Klientel. Leider ist das die viel zahlreichere Gruppe. Diese Leute hätten es am liebsten, wenn die FDP sofort zu Jamaika wechseln und Friedrich Merz zum Bundeskanzler wählen würde.
2) Genau, wie gesagt, ich denke, in Deutschland ist das ganze liberale Spektrum anders verteilt als in vielen anderen Ländern. Gefühlt reaktivieren wir gerade die alte Dichothomie von Fortschritts- und Nationalliberalen. Eigentlich auch spannend.
Das eigentlich liberale Spektrum ist in Kontinentaleuropa sehr dünn. Liberal versteht sich klassisch als Antipode zum staatlichen Schutz und Kontrolle. So verstanden hat die Pandemie wieder vor Augen geführt, wie schmall die liberale Basis, die Eigenverantwortung und Grundrechte als Bibel hat, ist. Du verstehst Liberalität völlig anders, wo der Staat erst Rechte gewährt (und einschränken kann). Liberalität bezieht sich dabei auf neue Lebensmodelle, auf Förderung von Minderheiten (durch den Staat) und der Schutz dieser. Und deswegen lehnen Leute wie Thorsten Haupts und ich Dein Liberalitätsverständnis ab, wo eine Partei, die zu einem Drittel von Beamten gewählt wird, Freiheitsgarant sein könnte.
Die FDP steht 15 Jahren in einem krassen Wandel. Ähnlich wie die Linkspartei wird sie von Jungen bevorzugt, aber bei den Mitgliedern getragen von den Älteren. Und beide haben sehr unterschiedliche Interessen und Neigungen.
Die CDU hat eine halbe Million Mitglieder. Du wirst von allem möglich was finden. Meiner Ansicht nach projizierst du deine eigene Abneigung zu sehr auf die Partei als Ganzes.
Heißt das nicht irgendwie auch, dass dieses Klientel ein Problem mit Demokratie hat, halb satirisch gesprochen? Schließlich gehört das Akzeptieren des Wahlergebnisses auch dazu, und das Leben ist halt kein Wunschkonzert. Aber ja, ich versteh den Punkt natürlich. Nur: die FDP verhindert höhere Steuern, verhindert Tempolimit, usw., das sind doch deren Herzensthemen…?
2) Du präsentierst dich etwas als texanischer Scharfschütze: du definierst „liberal“ einfach als dich und stellst dann fest, dass es ein kleiner, feiner Zirkel ist. Ich würde eher das Gegenteil behaupten: Deutschland ist wesentlich liberaler geworden. Aber das ist letztlich Semantik.
Ja, aber das Problem haben ja alle Parteien letztlich. Die Grünen haben ja auch keine Mitgliedschaft, die im Schnitt unter 30 ist…
Du interpretierst mich völlig falsch. Mir ist die CDU nicht wichtig, ungefähr so wie die Grünen. Ich könnte mich als Anhänger einer liberalen Partei wie Bolle über schwache CDU-Kandidaten freuen, schließlich zahlt die Schwäche der Union immer auf das Konto der liberal-bürgerlichen Partei ein. Also tiefenentspannt.
Aber ich bin interessiert, Vorgänge – politische, wirtschaftliche, sportliche – zu analysieren. Das ist mein Hauptfach. Da wäre es absoluter Humbug, Analysen nach eigenem Wohlgefallen zu machen. Wem soll das etwas bringen? Ich schaue mit dem analystischen Auge auch auf die LINKE, die mir absolut fern steht, ich bewerte den FC Bayern, dem ich alles Schlechte wünsche und so schaue ich auf Unternehmen. Analysen, die nicht den Kern treffen, sind Mist.
Gelnhausen ist eine typische CDU-Hochburg, unter normalen Umständen. Mit 30.000 Einwohnern das gemalte konservative Ideal, überdurchschnittliche Einkommen, viele Kleinselbständige wie Handwerker, Rechtsanwälte, Apotheker, kleine und mittelgroße Unternehmen mit konservativen, christlichem Hinterland im Vogelsberg bis hin nach Fulda. Wenn die CDU dort nicht 35-40 Prozent holt, hat sie gesamtdeutsch ein großes Problem.
Der Fehler Merkels war ganz offensichtlich, dass sie ihre Parteipolitik stark auf Wechselwähler ausgerichtet hat. Wechselwähler sind aber Shopper und sind so schnell weg wie sie gekommen sind. Sie verbinden wenig mit der Partei, die sie wählen. Jedes Unternehmen und jede Organisation bis hin zum Fußballverein braucht Laufkundschaft, um überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. Aber die Basis sind immer die Stammkunden. Ohne breit angelegte Stammkundschaft ist der Absturz immer nur eine Frage der Zeit. Als Merkel weg war, war die CDU entkernt. Das war 1998 ganz anders.
Aber ja, ich versteh den Punkt natürlich. Nur: die FDP verhindert höhere Steuern, verhindert Tempolimit, usw., das sind doch deren Herzensthemen…?
Du magst verstehen, aber Du kannst Dich nicht reinfühlen. Stell‘ Dir vor, die FDP hätte den Grünen den Verzicht auf die Rückabwicklung des Atomausstiegs als politisches Zugeständnis verkauft. Hättest Du gesagt, toller Deal?
Der Verzicht auf ein generelles Tempolimit bedeutet nichts weiter als die Fortschreibung des Status quo. Es gab eigentlich nur eine Koalitionsoption, wo eine generelles Tempolimit auf Autobahnen problemlos möglich gewesen wäre, die sehr unwahrscheinliche linke Option. In allen anderen Varianten – Jamaika, große Koalition – hätte die Veränderung des Status quo einen politischen Preis gehabt. Die SPD war nie bereit, diesen zu bezahlen.
Die Grünen haben dem Tempolimit, das sie nicht hätten durchsetzen können, einen politischen Preis umgehängt. Und die FDP hat dafür bezahlt. Genauso verhält es sich mit den anderen Faustpfänden aus bürgerlicher Sicht: Die Schuldenbremse steht immerhin im Grundgesetz, der Verzicht auf höhere Schulden verlangt eigentlich nicht nach einem politischen Preis. Deutliche Steuerveränderungen haben in Deutschland immer einen absoluten Konsens in den Regierungsparteien erfordert, mindestens. Tatsächlich lassen sich die großen Steuern (Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Vermögensteuern) nicht ohne einen breiten gesellschaftlichen Konsens verändern.
Es hat sich bewahrheitet, was meine ersten Gedanken bei der Veröffentlichung des Sondierungspapiers waren: Die FDP mag sich auf wichtigen Politikfeldern durchgesetzt haben, aber sie hat nichts geerntet, was sich plakatieren ließe.
2) Vergiß nicht: Ich bin es gewohnt, dass meine politischen Vorstellungen nicht annähernd in Erfüllung gehen. Das ist das Schicksal eines extrem freiheitlich gesonnenen Menschen in einem strukturkonservativen Land mit hoher idealistischer Gesinnung und einem Übermaß gesellschaftspolitischer Solidarität (Gemeinschaftssinn). Ich lebe in einem Land, wo eine kleine liberale Partei ihr gesamtes politisches Kapital dafür aufwenden muss, den verfassungsrechtlichen Status quo ante bei den Grundrechten wieder herzustellen – etwas, wofür in allen anderen europäischen Ländern kein politischer Preis irgendeiner Gruppierung entrichtet wurde.
Also, ich weiß sehr gut, was es bedeutet, politisch nichts zu bekommen. 🙂
Ja, aber das Problem haben ja alle Parteien letztlich. Die Grünen haben ja auch keine Mitgliedschaft, die im Schnitt unter 30 ist…
Die Grünen haben seit ihrer Gründung einen behaarlichen Zustrom junger Menschen. Ihre Mitgliederschaft ist relativ ausbalanciert im Vergleich zu den anderen Parteien. CDU und SPD sind stark überaltert. Jedes Jahr sterben bei ihnen mehr Mitglieder als neue eintreten. Da reden wir gar nicht von Austritten. Die FDP hat seit 20 Jahren einen starken Zustrom junger Menschen, der aber auch zwischen 2009 und 2014 abriss. In dieser Zeit traten viele Talente wieder aus. Die Grünen haben so etwas nie erlebt.
Das sind die Mitglieder. Bei den Wählern findet auf FDP-Seite ein gewisser Austausch statt. Beispielhaft steht dafür vor Jahren die Trennung von der Apothekerlobby zugunsten junger Start-uper. Die FDP braucht die schwarz-gelb gesinnten liberalen Wähler genauso wie die jungen Digitalisierungsfreaks. Das Problem: die Interessen sind durchaus sehr verschieden. Beispiel: die Legalisierung von Canabis ist für junge Menschen wichtig und interessant. Ältere Menschen, und da machen FDP-Anhänger keine Ausnahme, lehnen die Legalisierung rundherum ab. Und das ist ein Nebenthema.
Du bist bei Merkel alles, aber „tiefenentspannt“ und „nicht wichtig“ ist es sicherlich nicht 😀
Generell: die Zeiten der Volksparteien sind vorbei. Merkel hat mit ihrer Attraktivität auf Wechselwählende die Position der CDU über den Peak hinaus gehalten und verlängert. Du hast schon recht, ewig konnte das nicht gehen. Ihre Leistung ist, dass sie das überhaupt so lange geschafft hat.
Ich weiß, dass „Verhindern“ nicht so geil ist, aber das ist ja letztlich das Programm, mit dem sei rein sind. Die Dinge, die sie gestalten wollen, liegen in dem für Jüngere attraktiven Bereich: bürgerrechtliche Verbesserungen, das Digitale stärken, etc. „Solide Haushaltspolitik“ ist immer Verhinderungspolitik. Mir ist daher unklar, wie diese Forderung hätte anders umgesetzt werden sollen. Aber du hast sicherlich Recht damit, dass ich das nicht fühlen kann; mir ist das FDP-Milieu sehr fremd. Daher bin ich für Erklärungen dankbar – und deswegen stelle ich so viele blöde Fragen. Würdest du unterschreiben, dass die FDP in der Ampel aktuell das gleiche Problem hat wie die SPD in der GroKo? Setzt viel um, wird aber dafür nicht belohnt?
2) Ich war mal links. Glaub mir, „politisch nichts bekommen“ kenne ich 😀
Wobei Grüne und FDP ja insgesamt wenig Mitglieder haben verglichen mit CDU und SPD, oder?
Ich bin bei der CDU tiefenentspannt. Ich brauchte für mein Urteil über Merkel nicht 16 Regierungsjahre. Genauso wenig halte ich Merz für geeignet, da brauche ich auch keine 16 Jahre.
Merkels „Wahlerfolge“ werden wir in 10 Jahren abschließend bewerten können. Kann sein, dass sich dann einer von uns korrigieren muss.
Ich weiß, dass „Verhindern“ nicht so geil ist, aber das ist ja letztlich das Programm, mit dem sei rein sind.
Mussten. Zur Wahrheit gehört, die Wunschkoalition war das weder für Habeck noch für die FDP. Die Pflöcke werden ja weit vor dem Wahltag gesetzt. Die beiden linken Partner wollten einen hohen Mindestlohn, Ausweitung des Sozialniveaus und, unterstützt durch die Sondersituation der Pandemie, eine Ausweitung der Kreditaufnahme. Die bürgerlichen Parteien wollten all das nicht. Dazu spielt die Zeit der FDP nicht in die Hände: Für generelle Steuersenkungen ist schlicht kein Platz, die Gesellschaft altert und ist mehr denn je auf Sicherheit bedacht und bei den Ministerien hat Lindner keine glückliche Hand bewiesen. Normalerweise nimmt ein Koalitionspartner immer mindestens ein Ministerium mit Außenbezug. Das AA war nicht zu bekommen, aber Verteidigung hätte die FDP haben können. Und sie hatte dafür auch noch eine klasse Kandidatin. Auch in NRW hat er sich vor 5 Jahren mit dem Bildungsministerium vergriffen.
Die FDP will Bildung als Kernkompetenz, aber sie vergisst: in den Ländern, wo echte Exekutivfunktionen liegen, ist das ein Seuchenministerium, immer gut für Wahlniederlagen, aber nie für Wahlsiege. Und im Bund hat das Ministerium kaum Kompetenzen und nicht einmal Repräsentationsfunktionen, weshalb Bildungsminister, egal wie viel sie von der Sache verstehen, immer unauffällig bleiben.
Daher bin ich für Erklärungen dankbar – und deswegen stelle ich so viele blöde Fragen.
Klar, wie soll man sonst etwas erfahren? Das ist schon richtig. 😉
Würdest du unterschreiben, dass die FDP in der Ampel aktuell das gleiche Problem hat wie die SPD in der GroKo? Setzt viel um, wird aber dafür nicht belohnt?
Nein. Lindner sucht noch nach Hebeln, er ist sichtlich bemüht, ein guter Finanzminister zu sein, aber die Zeiten sind dafür extrem schwer. Dazu ist er noch Parteichef, tanzt auf zwei Hochzeiten. Der Lindner aus dem Wahlkampf ist ein anderer als der im Ministerium und damit geht ein Glaubwürdigkeitsproblem einher. Das hat Habeck nicht, der redet 2022 wie 2021. Buschmann und Bettina Stark-Watzinger
machen solide bis gute Arbeit, aber unterhalb der Wahrnehmung. Volker Wissing ist für unerklärliche Aussetzer gut.
Aber das sind nicht die Kernkompetenzen, die immer auf Steuern, Wirtschaft und Diplomatie lagen. Und da findet die FDP nicht statt. Die Klientel der Partei ist sehr anspruchsvoll und hat kein Problem, ihre eigentlich präferierte Partei auch mal in den Keller zu schicken. Ich mein‘, mehr als eine Halbierung in NRW trotz insgesamt guter Regierungsarbeit und Daten, das ist heftig.
Das Kernproblem der SPD ist bis heute – das zeigen übrigens die Wahlanalysen – dass sie keinen echten Markenkern mehr besitzt. In Nachbefragungen werden ihr nur noch mittlere Kompetenzwerte bei der sozialen Gerechtigkeit zugesprochen. Sie lebt von ihrer Funktion – 2021 wurde sie aufgrund fehlender Alternativen als Kanzlerpartei benötigt – und einzelnen Köpfen. Köpfe sind das A und O in der modernen Demokratie.
Wobei Grüne und FDP ja insgesamt wenig Mitglieder haben verglichen mit CDU und SPD, oder?
Die Grünen ziehen gewaltig an, sie liegen inzwischen bei über 130.000 Mitglieder. Das ist übrigens auch ein irritierender Punkt: meist besitzen Mitgliederzahl und Anteile an Wahlergebnissen in der langen Reihe einen Zusammenhang. In den letzten 20 Jahren haben Grüne und FDP ähnliche Wahlergebnisse auf Bundesebene erzielt. Allerdings sind die Grünen in den Ländern eindeutig vorn. Trotzdem liegen die Alternativen inzwischen bei der doppelten Zahl an Mitgliedern.
Erstaunlich. Laut einer neuen Studie wünschen sich junge Menschen niedrigere Steuern und sind überzeugt, ihre Glückes eigener Schmied zu sein. Mit solchen Ansichten wären sie bei der FDP besser aufgehoben als bei den Grünen. Also, es ist nicht so leicht nachzuvollziehen.
Meine Meinung zu Merz kennst du 😉 Allerdings hat er mich bisher positiv überrascht.
Ich weiß nicht, was Wunschkoalition angeht. Natürlich hätten die Grünen Grün-Rot gerne genommen, aber unter den möglichen Koalitionen war die Ampel die bestmögliche. Zustimmung beim Rest. Verteidigungsministerium sehe ich als riesige verpasste Chance der FDP.
Zustimmung für FDP/SPD-Analyse.
Wählende waren noch nie konsistent.
@ Stefan Pietsch 15. Mai 2022, 20:06
Hallo Stefan,
Wird Dich nicht wundern: weitgehende Zustimmung.
@ Stefan Sasse 15. Mai 2022, 20:48
Ja, unter Merkel litt der Diskurs, der Meinungskampf, es war vieles „alternativlos“, aber dazu gehören halt immer mindestens zwei.
In diesem Falle nicht. Merkel konnte „Macht“, aber sonst nicht viel. Sie hat Probleme dadurch „gelöst“, dass sie allen gegen besseres Wissen erzählte, dass es keine Probleme gäbe. Das hat den Diskurs genauso zuverlässig unterdrückt wie die Problemlösung. Der Scherbenhaufen, den sie hinterließ, ist riesengroß.
Und Merkels Stil hat die deutsche Demokratie extrem stabil gehalten, und sicher DEMOKRATISCH, als sie in Ländern wie USA und GB den Bach runterging und in FR zumindest gefährdet war. Das kann man nicht ignorieren. Diese Medaille hat zwei Seiten.
Hat meines Erachtens wenig mit Merkel zu tun, sondern eher mit der ideologischen Grundausrichtung Deutschlands. Unsere Prämisse ist „die Würde des Menschen“, die der anderen Länder „Freiheit“. Das sind die beiden Seiten der Medaille, und haben mit Merkel nichts zu tun.
[Die Frage, was von Merkel bewahrenswert sei, ist entschieden: nichts.]
Das halte ich höflich gesagt für eine sehr steile These, aber dazu morgen oder übermorgen mehr.
Dann warte ich solange mit meiner Replik, und schließe mich bis dahin der steilen These an.
Ich bin kein Merkel-Fan. Ich halte ihre Kanzlerschaft für eine der schlechtesten der Republik. Aber ich plädiere dafür, Maß zu wahren.
Waren die deutschen Bürger/Wähler blöd? Ich krieg das nicht zusammen. Warum wurde sie international von Staatschefs so gelobt („exceptional leader“)? Hat sie denen genützt, weil sie deutsche Interessen zurückgestellt hat? Wohl kaum – in Brüssel hat sie die ja immer knallhart durchgesetzt – mehrere EU-Verfahren als Beleg.
Unter den blinden ist der Einäugige König :-). Die sichtbaren Alternative, auf die die ausländischen Regierungen fixiert waren, hiessen Kaczinski, Orban, LePen, Trump. Und bei DER Alternative sieht selbst die personifizierte untere Mittelmässigkeit wie Merkel aus wie Gold.
Abgesehen davon erwartet (!) das Ausland von einem starken Staat wie Deutschland, dass er sich durchsetzt bzw. den ernsthaften Versuch dazu unternimmt (die leiden nicht unter einem Nationalismus-Verdrängungskomplex). Merkel tat das ohne Triumphgeschrei und unter Wahrung der oberflächlichen Einheit der EU, also genug, um sie zu loben.
Gruss,
Thorsten Haupts
Exakt.
@ CitizenK 16. Mai 2022, 16:51
Waren die deutschen Bürger/Wähler blöd?
Es wird das gewählt, was man sieht, nicht das, was ist.
Ich krieg das nicht zusammen. Warum wurde sie international von Staatschefs so gelobt („exceptional leader“)? Hat sie denen genützt, weil sie deutsche Interessen zurückgestellt hat? Wohl kaum – in Brüssel hat sie die ja immer knallhart durchgesetzt – mehrere EU-Verfahren als Beleg.
Ich glaube, die Lobs waren auch taktischer Natur. Bis vor Kurzem hat man auch Putin über den grünen Klee gelobt. Das ist mehr so diplomatische Höflichkeit.
„Unter Unionswählern jedenfalls war die Alt-Kanzlerin teilsweise weniger gelitten als bei den Anhängern der linken Parteien.“
*citation needed*
„Das nördlichste Bundesland würde keinen konfrontativen, sehr konservativen Ministerpräsidenten vertragen.“
„Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in NRW wurde ihnen von professionellen Beobachtern gute Arbeit bescheinigt…“
Von welchen?
„…und dennoch wurden die Liberalen hart abgestraft.“
Simple Erklärung – die Zugpferde Lindner und Kubicki sind nun in Berlin.
Gerade die schleswig-holsteinische Politik war doch jahrzehntelang extrem polarisiert – ich sage nur Barschel-Affäre und Heide-Mörder.
Da jetzt nach Umfragen aus der Historie zu suchen, ist mir zu viel Suche. Das ist mir die Sache nicht wert. Aber dennoch: Das Bild zeigt sich doch auch hier – willkürlich zusammengesetzt – im Blog: Konservative wie Erwin Gabriel und Thorsten Haupts lehnen die Merkel-Politik vehement ab, während Anhänger linker Parteien, von Stefan über Ariane bis zu Ihnen, dem doch viel Positives abgewinnen können. Klares Signal ist auch der Durchmarsch von Merz gegen Braun und der Rückzug der Merkelianer aus den Parteigremien.
Von welchen?
Verschiedene Journalisten. Ich habe, anders als z.B. vor 5 Jahren, keinen Verriss gelesen. Sie können sich unmöglich auf den Standpunkt stellen, dass eine staatstragende Partei wie die FDP 25 Jahre nur schlechte Regierungspolitik abliefert, weshalb sie sofort wieder in die Opposition verbannt werden müsste. Soweit würde jemand wie ich ja längst nicht bei den Grünen gehen.
Gerade die schleswig-holsteinische Politik war doch jahrzehntelang extrem polarisiert – ich sage nur Barschel-Affäre und Heide-Mörder.
Sie wissen, wann Barschel war? Das waren die Achtziger. Die meisten Wähler von damals sind längst tot. Der Heide-„Mörder“ war wahrscheinlich eine SPD-interne Angelegenheit. Schon Peter Harry Carstensen war kein sonderlich konservativer im Sinne von rechter Ministerpräsident.
„…der Durchmarsch von Merz…“
Im dritten Anlauf nach einer verlorenen Bundestagswahl. Und das hat schon eine größere Aussagekraft als die naturgemäß extrem kleine Stichprobe an Blog-Kommentatoren.
„…dass eine staatstragende Partei wie die FDP 25 Jahre nur schlechte Regierungspolitik abliefert…“
Darum geht es ja nicht, sondern um jeweils fünf Jahre in zwei Landesregierungen. Welche Faktoren da im einzelnen zum Niedergang geführt haben, muß uns jemand erzählen, der sich mit den dortigen Verhältnissen auskennt. Bis dahin halte ich meine Einschätzung für plausibel: „Simple Erklärung – die Zugpferde Lindner und Kubicki sind nun in Berlin.“
„Sie wissen, wann Barschel war? Das waren die Achtziger. Die meisten Wähler von damals sind längst tot.“
Ich bin quicklebendig und erinnere mich sehr gut daran. Als ich damals meine Großeltern aus ihrem Urlaub in Bayern nach Hause fuhr, kam die Todesmeldung im Radio. Mein Großvater, ein alter CDU-Mann, kommentierte: „Da hat sich also Barschel tatsächlich umgebracht.“
Die Affäre zog sich bekanntlich noch viele Jahre hin und führte 1993 zum Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten und SPD-Bundesvorsitzenden Björn Engholm.
@ sol1 16. Mai 2022, 11:36
[„…der Durchmarsch von Merz…“]
Im dritten Anlauf nach einer verlorenen Bundestagswahl. Und das hat schon eine größere Aussagekraft als die naturgemäß extrem kleine Stichprobe an Blog-Kommentatoren.
Karrenbauer und Laschet hätten ohne Merkels schützende Hand keine Chancen gehabt.
„Karrenbauer und Laschet hätten ohne Merkels schützende Hand keine Chancen gehabt.“
Aber genau das zeigt ja, welchen enorme Popularität sie innerhalb ihrer eigenen Partei hatte.
@ sol1 16. Mai 2022, 17:21
Aber genau das zeigt ja, welchen enorme Popularität sie innerhalb ihrer eigenen Partei hatte.
Nein. Das zeigt, welchen Einfluss sie bei den Funktionären hatte …
In solchen Sachen wirken stets zwei, drei Sachen gleichzeitig:
– mein Team
– meine Politik
– meine Karriere
Zu Zeiten der Griechenland-Rettung, die recht übergangslos in die Flüchtlingskrise überging, waren weite Teile der Parteibasis gegen Merkels Politik. Je höher die Parteifunktion, je besser die Möglichkeit auf einen Posten, umso folgsamer stellt man sich an.
Die Bundestagsabgeordneten der CDU wurden rasch und geräuscharm auf Kurs gebracht, hatten dann aber extrem harte Zeiten, das Thema in den Ortsverbänden zu verankern. Da gab es Versammlungen, in denen es laut wurde und man kurz vor Schlägereien stand.
Im Norden nicht so, aber im Westen, wo man eben mit sehr großen Migrationsgruppen gesegnet ist, wo es eine teilweise stark ausgeprägte Klan-Kriminalität gibt, war wirklich die Kacke am Dampfen.
@ sol1 16. Mai 2022, 17:21
Nachtrag:
Aber genau das zeigt ja, welchen enorme Popularität sie innerhalb ihrer eigenen Partei hatte.
Hab nochmal drüber nachgedacht. Bei meiner Betrachtung ist mir ein Fehler unterlaufen: Ja, die Kanzlerin war stets deutlich populärer als ihre Politik. Ein bisschen Verdrängen bzw. Entkoppeln, so nach dem Motto „Wenn das der Führer wüsste“.
Liegst also nicht so falsch mit Deiner Betrachtung, selbst wenn ihre Politik echt teilweise zu Aufruhr führte.
Ja, das ist alles total inkonsistent.
Das Merz-Lager hatte selbst unter den Funktionären immer eine relative Mehrheit. Unter den Mitgliedern war es zweifellos eine deutliche absolute Mehrheit. Und was hat eine verlorene Bundestagswahl mit dem Rückzug der Merkelianer zu tun?
Darum geht es ja nicht, sondern um jeweils fünf Jahre in zwei Landesregierungen.
Nein, das ist weitreichender. Wann wurde die FDP zuletzt als Regierungspartner bestätigt? Vielleicht einmal in Schleswig-Holstein, aber sonst nie in den letzten 25 Jahren. Bei diesem Picture wäre die Fokussierung auf zwei Wahlen in einer Woche eine unzulässige Einschränkung.
Ich bin quicklebendig und erinnere mich sehr gut daran.
Ich auch. Aber damals war ich gerade 20 und hatte noch nie an einer Bundestagswahl teilgenommen. Wer damals aber CDU-Wähler im typischen Alter ab Mitte 40 war, hat heute gute Chancen, von der Wahl wegen Tod oder Senilität ausgeschlossen zu sein. Vor 25 Jahren änderte sich das politische Klima im Norden.
„Das Merz-Lager hatte selbst unter den Funktionären immer eine relative Mehrheit. Unter den Mitgliedern war es zweifellos eine deutliche absolute Mehrheit.“
Dafür hätte ich gerne Daten.
„Und was hat eine verlorene Bundestagswahl mit dem Rückzug der Merkelianer zu tun?“
Daß nach der Niederlage von Laschet das Gegenmodell zu ihm sich durchsetzte, lag auf der Hand.
„Wann wurde die FDP zuletzt als Regierungspartner bestätigt?“
2021 mit der Ampel in Rheinland-Pfalz.
„Aber damals war ich gerade 20 und hatte noch nie an einer Bundestagswahl teilgenommen.“
Der Median der Wählerschaft dürfte Jahrgang 1970 sein, und das heißt, daß die Hälfte der SH-Wähler während der Barschel-Affäre Stimmrecht hatte.
Dafür hätte ich gerne Daten.
Das verwundert. Das steht doch in den Wahlergebnissen. Merz errang in den ersten Wahlgängen unter den Delegierten (den Funktionären) jeweils um die 44% und lag damit in Front – und beide Male ohne Unterstützung von Parteigranden (beim ersten Mal hatte er Schäuble auf seiner Seite). Über die Zustimmung 2018 unter den Mitgliedern gibt es natürlich keine harten Daten. Aber das Ergebnis Anfang des Jahres lässt keinen Zweifel, dass Merz auch zuvor der Liebling der Basis war, dafür war es zu eindeutig.
Hören Sie, ich mache Merz damit nicht zum Kanzler oder einem Politiker mit hohen Zustimmungswerten in der Gesellschaft. Aber Sie zeigen in Bezug auf Union und FDP eine Einseitigkeit, selbst schwer Bestreitbares in Abrede stellen zu wollen, das dann doch verwundert.
Daß nach der Niederlage von Laschet das Gegenmodell zu ihm sich durchsetzte, lag auf der Hand.
Nee. Erstens war AKK nicht der Gegenentwurf zu Merkel und Laschet nicht Opposition zu AKK. Vor allem aber stimmte dieses Jahr ein ganz anderes Elektorat, nämlich die Parteimitglieder, ab. Das darf man durchaus werten.
2021 mit der Ampel in Rheinland-Pfalz.
Die FDP verlor auf ohnehin niedrigem Niveau weiter. Darunter hätte nur der Rausschmiss aus dem Landtag gestanden. Dass die anderen Parteien die Mini-FDP brauchten, ist kaum als Bestätigung zu werten.
Der Median der Wählerschaft dürfte Jahrgang 1970 sein, und das heißt, daß die Hälfte der SH-Wähler während der Barschel-Affäre Stimmrecht hatte.
Ist wusste gar nicht, dass man 1987 mit 17 Jahren das Stimmrecht bekam. 🙂 Sie halten die Menschen für enorm nachtragend, bis in den Tod, oder was? Vor allem müssen Sie doch schauen, wer 1987 gewählt hat. Und damals wie heute sind das nicht vorrangig 18jährige, sondern Mitte 40jährige aufwärts.
„Die FDP verlor auf ohnehin niedrigem Niveau weiter. Darunter hätte nur der Rausschmiss aus dem Landtag gestanden. Dass die anderen Parteien die Mini-FDP brauchten, ist kaum als Bestätigung zu werten.“
Na, jetzt werden aber die Torpfosten verschoben. Mit einer Ausgangsbasis von 6,2 % ist es ein Erfolg, erstens im Landtag zu bleiben und zweitens weiter in der Regierung.
Ebenfalls noch keine 25 Jahre her ist übrigens die Bestätigung der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen 2008. Der fehlte dann übrigens 2013 ein einziger Sitz zum Weiterregieren, wobei die FDP 1,7 Prozentpunkte gewann.
„Ist wusste gar nicht, dass man 1987 mit 17 Jahren das Stimmrecht bekam.“
Bei der durch die Affäre ausgelösten Neuwahl 1988 hatte man es. Und natürlich prägte diese Affäre die Landespolitik weit in die 1990er hinein.
„Und damals wie heute sind das nicht vorrangig 18jährige, sondern Mitte 40jährige aufwärts.“
Das Interesse an Politik ist von der Jugend an ziemlich gleichbleibend, auch wenn sich die Ansichten natürlich im Laufe des Lebens ändern.
Auch nicht dermaßen, das ist ein Mythos.
Na, jetzt werden aber die Torpfosten verschoben.
Nein, die verschieben Sie. Ich habe von Beginn der Diskussion an gesagt, die FDP wurde in den letzten 25 Jahren gefühlt in keiner Regierung bestätigt, in dem sie Stimmen gewonnen hätte. Schließlich funktioniert das ja auch bei den anderen Parteien. Und dabei hatte ich durchaus solche Modelle wie in Rheinland-Pfalz im Kopf. Sonst hätte ich das ja nicht so formuliert.
Nun versuchen Sie nachzuweisen, dass die FDP doch sehr wohl auch in Regierungen gewonnen hätte – und tun sich selbst mit Beispielen außerordentlich schwer. Das ist schon irgendwo witzig. 😉
Der fehlte dann übrigens 2013 ein einziger Sitz zum Weiterregieren, wobei die FDP 1,7 Prozentpunkte gewann.
Ja, ich erinnere mich noch an eine ARD-Reportage am Tag danach. Die Journalisten haben versucht, FDP-Wähler vor die Kamera zu bekommen, doch keiner wollte. Den Leuten war es peinlich. Denn die Liberalen hatten damals einen schlechten Ruf und bei den Zugewinnen handelte es sich sehr offensichtlich um Leihstimmen der CDU. Man wollte die im Feuer stehende FDP nicht vollends absaufen lassen.
Bei der durch die Affäre ausgelösten Neuwahl 1988 hatte man es.
Sie wollen jetzt nicht echt mit mir um ein (Lebens-) Jahr feilschen, oder? Das Argument ist doch nicht, ob die heute starken Wählerschichten 1987 17 oder 18 Jahre waren. Das Argument ist, dass es für damalige Teenager seit Ewigkeiten überholt ist, was mal in den Achtzigerjahren war.
Das Interesse an Politik ist von der Jugend an ziemlich gleichbleibend, auch wenn sich die Ansichten natürlich im Laufe des Lebens ändern.
Hab‘ ich was nicht mitbekommen? Unter 35jährige wählen viel seltener als über 35jährige. Das ist nicht nur in Deutschland so. Sonst hätten wir auch nicht den BREXIT bekommen. Und den meisten ist es tatsächlich herzlich egal, was sie mal als Teenager gewählt haben. Ich z.B. habe nie Helmut Kohl gewählt, die FDP abgelehnt und Lafontaine bewundert. Heute zolle ich Kohls Lebensleistung immerhin Respekt (vor 30 Jahren undenkbar), steht der FDP nahe und sehe den Saarländer als selbstzerstörerisch. So ändern sich die Zeiten.
@ Stefan Pietsch 16. Mai 2022, 23:30
Vor allem aber stimmte dieses Jahr ein ganz anderes Elektorat, nämlich die Parteimitglieder, ab. Das darf man durchaus werten.
Ich denke auch, dass das der entscheidende Unterschied ist. Zwei Wahlen durch die Gremien, zweimal hat nicht geklappt. Beim dritten Mal die Parteimitglieder gefragt, auch, um aus dem Feuer herauszukommen.
Und nach der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer wurde gehadert, nach der Wahl von Armin Laschet wurde gehadert, nach der Wahl von Friedrich März gab es keine Diskussionen mehr.
Wie viel davon Erschöpfung ist? Ich denke, da wäre viel gehadert worden, wenn er 2018 gewonnen hätte.
Zu NRW/FDP: Nicht wenige FDP-Wähler haben wohl taktisch CDU gewählt, um Wüst im Amt zu halten.
Und die Schulpolitik, besonders der Umgang mit Corona, hat einiges beigetragen. Jedenfalls mein Eindruck als regelmäßiger Hörer des NRW-Podcasts Politikum.
Stamp war als Überbringer schlechter Nachrichten allen Eltern in NRW mit Kindern im Kita Alter während der Pandemie wohl bekannt. Offenbar galt dann doch „Kill the messenger“.
Medial gelang es der FDP nach dem Weggang von Lindner nach Berlin nicht einen adäquaten Ersatzkommunikator zu finden. Die FDP hat, abgesehen von der Bildungspolitik, keine schlechte Regierungsarbeit abgeliefert, war aber extrem schlecht darin, diese zu kommunizieren. Das versagen in der Bildungspolitik, war dann das Faktum, dass beim Wähler verfing.
Wird aber spannend, welche Partei sich das Schulministerium zumuten will: 2017 wurde die SPD maßgeblich wegen der Schulministerin abgewählt, 2022 die FDP – insofern wird die nächste Besetzubg höchst spannend…
Kning4711 15. Mai 2022, 23:37
Die FDP hat, abgesehen von der Bildungspolitik, keine schlechte Regierungsarbeit abgeliefert, war aber extrem schlecht darin, diese zu kommunizieren. Das Versagen in der Bildungspolitik, war dann das Faktum, dass beim Wähler verfing.
Das Versagen der grünen Bildungspolitik zuvor war deutlich größer. Dadurch lag der Fokus stark auf diesem Thema.
So als Nachwehe quasi?
Ich hab auch schon gehört dass die NRW-Grünen die Legislatur davor ein Desaster waren, kann mich da jemand erleuchten, was los war?
@ Stefan Sasse 16. Mai 2022, 16:12
Ich hab auch schon gehört dass die NRW-Grünen die Legislatur davor ein Desaster waren, kann mich da jemand erleuchten, was los war?
Hatte ich damals was zu geschrieben. Größter Fauxpax war die die Inklusion: Jeder konnte sein Kind unabhängig von der (Lern-)Behinderung / -Einschränkung auf jede Schule geben. Diese Chance, ihre Kinder von einer „Sonderschule“ auf eine „normale“ Schule zu bringen wurde von vielen Eltern genutzt.
Stark vereinfacht: Dort hielten die Kinder, die eigentlich eine besondere Betreuung gebraucht hätten (und vorher auch hatten – zwei Lehrer:innen pro Klasse, Stärke eher unter 20 Schüler:innen), die anderen kinder vom Lernen ab, während die Standard-lehrer mit den Neuankömmlingen hoffnungslos überfordert waren; viele hochleistungsfähige Spezialschulen wurden wg. Schülermangel geschlossen.
Danke!
Quasi wie bei Eisenmann in BaWü?
„Warum flog die AfD aus dem Landtag von Schleswig-Holstein, verlor aber im Saarland und in Nordrhein-Westfalen kaum an Stimmen?“
Mein Spezialgebiet, also kann ich auch gleich eine Antwort darauf geben.
Die Verluste waren in allen Ländern ähnlich (Saarland – 0,5 %; Schleswig-Holstein – 1,5 %; NRW voraussichtlich knapp zwei Prozent).
Wobei man die Verluste im Saarland schwerer gewichten muß, denn bei der Bundestagswahl hatte die AfD dort mit 10 % ihr bestes Ergebnis in einem Westland. Zur Wahlkampfperformance kann ich noch ergänzen, daß ich eine Woche nach der Wahl in meiner alten Heimat war und kein einziges AfD-Plakat gesehen habe – aber viele von den Grünen, der FDP und der Linken, die bekanntlich gescheitert sind.
Der AfD in SH hat in der Schlußphase ein besonders absurdes Störmanöver geschadet:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163296.afd-schleswig-holstein-aerger-mit-der-voelkischen-ex-vorsitzenden.html
Auch der Wahlkampf in NRW lief nicht rund. Wegen formeller Schlampereien konnten mehrere Diektkandidaten nicht antreten.
Die Verluste scheinen übrigens hauptsächlich darauf zu basieren, daß viele frühere AfD-Wähler der Urne fernblieben:
https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-05-15-LT-DE-NW/analyse-wanderung.shtml
DAS passt allerdings ins Bild; die Studien ergeben ja permanent, dass die AfD-Wählenden kaum zurückzugewinnen, sondern nur zu demobilisieren sind.
@ Stefan Sasse 15. Mai 2022, 22:43
… dass die AfD-Wählenden kaum zurückzugewinnen, sondern nur zu demobilisieren sind.
Ja, der Zug ist 2015 abgefahren; zumindest für den Teil der Wähler, die nicht von rechts außen, sondern von der CDU oder von den Linken kamen. Die anderen waren vorher eh nicht dabei.
Das ist glaube ich auch eine wichtige Unterscheidung. Letztlich hat Hillary das 2016 ja schon mit ihrem „basket of deplorables“ richtig angesprochen, aber da galt mal wieder ein shoot the messenger.
Ein paar Gedanken aus der Perspektive eines langjährigen interessierten Beobachters:
1) Nicht kriegsentscheidend
2) Eher eine Folge der Schwäche von SPD und LINKEN.
3) Die FDP hat – ausgerechnet in NRW – die Bildung übernommen. Das tut man einfach nicht :-).
4) Individuell sind LTW-Ergebnisse immer bundespolitisch bedeutungslos (es sei denn, sie ändern mehrheitsverhältnisse im Bundesrat), kumuliert gehen sie Wahlergebnissen (insbesondere Wechseln) im Bund immer voraus.
5) Heute alles absolut volatil, d.h., es sind praktisch alle Wechsel vorstellbar.
6) Die Ukrainekrise war für die LINKE keine Ursache, sondern nur das öffentliche Sichtbarwerden einer schon lange schwelenden Krise.
7) Schul- und Bildungspolitik ist seit den siebzigern (Gesamtschuldiskussionen) in NRW ein besonders heisses Pflaster. Nicht bergleichbar mit anderen Bundeslämdern. Hätte die FDP wissen müssen.
8) Wählerdemobilisierung in SH?
9) Siehe 4.
Gruss,
Thorsten Haupts
3) lol
4) Angesichts der Grünen-Ergebnisse hoffe ich dass du Recht hast 😀
5) True.
6) Ja, aber die elektorale Krise kam ja VORHER. Das wundert mich. Stört keine der verbliebenen Wähler*innen das?
7) Oh, ok, interessant. Woran liegt das?
8) Möglich.
Zu 7) in aller Kürze:
NRW war in den siebzigern und frühen achtzigern das bundesdeutsche Hauptkampfland „Gesamtschulen“ versus „dreigliedriges Schulsystem“, ein in erster Linie von strukturkoservativen Elternvereinigungen versus Bildungspolitiker in der SPD ausgetragener Kampf, der von der Union nur adoptiert werden musste.
Und dieser Kampf wurde mit allen Merkmalen einer echten Glaubensauseinandersetzung entsprechend erbittert ausgetragen. Seitdem ist (Schul)Bildungspolitik ein vollständig vermintes Gelände. Das gab es in dieser Intensität in keinem anderen Bundesland.
Gruss,
Thorsten Haupts
Verstehe. Danke!
Landtagswahlen wie Umfragen deuten an, dass das SPD-Ergebnis in der Tat des bestmögliche in günstigen Umständen war. Ansonsten sind die Landtagswahlen vor allem ein Stimmungstest für die Bundesländer, jeder Wähler weiss, dass es hier nicht um Panzer und Russland geht. Aber sie bestätigen, was man über das Parteiensystem weiss. Gute Kandidaten mobiliseren für CDU wie für SPD. SPD und Grüne teilen sich ein erhebliches Wählerpotenzial, die lokale Konstellation entscheidet, wo die Stimmen hinwandern. Die FDP kann die Merkel-Enttäuschten CDU – Wähler nicht mehr mobiliseren, sie wählen jetzt entweder nicht oder CDU.
Die Twitter-Unzufriedenheit mit Scholz ist ein Blasenthema. Der normale Wähler ist nicht fasziniert von Marder-Panzern, das ist ein Spezialthema, und der normale Wähler weiss auch, dass sowas nie so einfach ist, wie es jemand in einer Talkshow sagt und es leuchtet dem normalen Wähler sofort ein, dass man nicht einfach alle Bundeswehrbestände (von denen er immer hört, sie seien nicht gross) nach Ukraine liefern kann. Kein Wunder, dass die FDP davon nicht profitiert.
Die Grünen haben wieder ein Hoch. Ob sie es verstetigen können, hängt von zwei Faktoren ab:
– werden sie aus ihren Wahlkampffehlern lernen
– können sie den rot-grün Wechselwählern in einem Wahlkampf Scholz vs CDU-Kandidat verklickern, dass es eine gute Idee ist, Grün statt Rot zu wählen. Das wird ihr Knackpunkt für den nächsten Wahlkampf.
Stimme dir zu.
„Hätte die FDP wissen müssen“
Heißt das, die Partei deines Vertrauens soll nur solche Ressorts nehmen, mit denen man Wahlen gewinnen kann?
Die „Bildungspartei“ hätte ja zeigen können, dass sie es besser kann.
@ CitizenK 16. Mai 2022, 10:36
Die „Bildungspartei“ hätte ja zeigen können, dass sie es besser kann.
Hat sie auch. Aber „Besser“ heißt nicht immer „gut genug“.
Wo hat Sie das gezeigt? Ich meine ganz konkret?
Bei den Teilzeit-Berufsschulen und an den Hochschulen hat NRW die schlechtesten Betreuungsrelationen in Deutschland. Die Relation der Bildungsausgaben pro Teilnehmer zu den Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte pro Einwohner fällt bei den Grundschulen, den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe und bei den Teilzeit-Berufsschulen besonders ungünstig aus. Der Anteil erfolgreicher Absolventen an allen Abgängern von Berufsfachschulen, Fachoberschulen und Fachschulen betrug im Jahr 2019 nur 67,4 Prozent und war damit so niedrig wie in keinem anderen Bundesland (Bundesdurchschnitt: 80 Prozent).
Nach wie vor erreichen zu viele NRW Schüler das unterste Niveau der Kompetenzstufen insb. bei Mathe und Naturwissenschaften.
Hinzu kommt eine katastrophale Kommunikation des Bildungsministeriums während der Pandemie.
Boah, krass. Woher kommt das alles?
@ Kning4711 16. Mai 2022, 16:29
Wo hat Sie das gezeigt? Ich meine ganz konkret?
Wie gesagt, „besser als …“ heißt nicht gut.
Aber die Bildungspolitik wurde schon von den Vorgängern (auch vor der grünen Vorgängerin) stiefmütterlich behandelt. Zu viele andere Probleme in NRW, und mit Kohlestopp und anderen Umbrüchen zu wenig Fokus, zu wenig Knete. Die haben Integrationsprobleme, das es kracht. Da sind Niedersachsen und Schleswig-Holstein fein raus.
War ja zumindest ihr Anspruch.
Ich habe von den Nordländern zu wenig Ahnung für wirklich konkretes, kann aber ein paar Thesen beisteuern, die vielleicht anderes Licht auf deine Fragen werfen:
0) Es ist sträflich, wie sehr der eigentliche Wahlgewinner vernachlässigt wird: Die ‚Partei der Nichtwähler‘. Die meiste Wählerwanderung ging dorthin. Und da muss die Dimensionsachse Technokratie – Populismus beobachtet werden: Nur die, die sich dort richtig positionieren, profitieren davon.
1) Die SPD hat schon mehrmals (1914 ff, 1979 ff, 1998 ff ) massiv die Pazifisten vergrätzt, was ihr jedes Mal dauerhaft weh getan hat. Warum sollte es diesmal anders sein?.
2) Zynisch: NRW wählt Arbeitsplatzgaranten. Von der roten Kohlesubvention zur grünen Waffensubvention (Thyssen-Krupp, Rheinmetall) Und gerade erlebt ‚schmutzige‘ Energie aus den ‚richtigen‘ Ländern ein Greenwashing als ‚freedom-energy‘. Warum nicht auch die total umweltfreundliche Braunkohle?
3) und 5) Wozu zwei ‚Parteien der Besserverdienenden‘ ? Die Grünen sind verkaufen eine solche Politik einfach besser (emotionaler). Außerdem kann die FDP mangels außenpolitischer Präsenz nicht vom ‚rally behind the flag‘ profitieren.
4) und 9) Das was die Landtagswahlen so verhängnisvoll macht, ist, dass sie Politik auf ‚politics‘ reduziert. ‚policies‘ oder gar ‚polity‘ werden vernachlässigt. Und selbst ‚politics‘ wird reduziert auf den Stil von Sport- oder Klatschberichten: Tabellenplätze und Heiratsanträge.
6) und 8) Beide Parteien sind hochpopulistisch, konnten aber den Politikfrust (siehe 0) nicht auffangen. Die Linke wegen Zerstrittenheit und Unentschlossenheit. Die AfD, weil sie im permanenten Krisenmodus der letzten Jahre außer Pöbeleien nichts Eigenes geliefert hat.
7) Es ist natürlich auch eine Frage des medialen bias. Kein Bildungsminister konnte während der Coronakrise eine gute Leistung zeigen. Aber durch irgendwelche dummen Zitate oder was auch immer wurde Gebauer über das eigene Land hinweg von den Medien (die da eben doch ein Rudelverhalten zeigen) zur Coronaversagerin aufgebaut und ist aus dieser Rolle nicht mehr herausgekommen.
0) Ehrlich gesagt kann ich das nicht mehr hören. Dieses ständige Rechnen mit der „Partei der Nichtwählenden“. Wer nicht zur Wahl geht, geht nicht zur Wahl. Es ist müßig, darüber nachzudenken, was die Leute damit ausdrücken wollen. Zur Demokratie gehört eben das Wählen. Decisions are made by those who show up. Wer sich dazu nicht bereitfinden kann – es ist echt nicht viel Aufwand – verwirkt in meinen Augen auch das Recht, sich danach zu beklagen, nicht gefragt worden zu sein.
1) So dauerhaft, dass die SPD nach 1914 und 1979 jeweils neue Höchststände erreicht hat. Und 1999 hat ihr auch überhaupt nicht geschadet.
2) Das ist mir zu pauschal und weit gefasst. Als ob signifikante Wählendenschichten wegen der Arbeitsplätze bei Rheinmetall ausgerechnet GRÜN wählen würden (!).
3/5) Ja, das wäre meine Blasen-Theorie.
4/9) Als ob das im bund besser wäre.
6/8) Von mir aus können die gerne weg 😀
7) Aber da ist sie ja nicht die einzige.
0 ) Da kommen wir nicht zusammen: Wenn annähernd 50% des Demos wegbrechen, ist das ein Defizit für die Demokratie – egal ob das durch ‚harte‘ voter supression oder ‚weiche‘ Entfremdung von der politischen Kaste stattfindet.
Und wenn du in diesem Zusammenhang an 6/8) denkst: Du weißt hoffentlich aus der Geschichte, dass die AfD nach historischen Maßstäben für radikale/populistische Bewegungen ein Kindergeburtstag ist. Da ist leider viel Raum nach oben.
1) Jedes Mal hat sich die SPD damit Konkurrenten herangezüchtet.
2) Du hast Recht: Nicht Arbeitsplätze, sondern Börsenkurse. Aber ‚weapon dealers choice‘ wäre ein guter Claim. Immerhin sind sie auch in den anderen Flächenländern mit starker Rüstungsindustrie (Baden-Württemberg, Bayern) vergleichsweise stark.
4) Es passiert in den Ländern nur häufiger. 16 mal der gleich Wanderzirkus: Prognosen, Wahl’analyse‘, Koalitionsspekulation. Nicht ohne Grund ist in D nach der Wahl vor der Wahl.
0) Ja, aber das hängt nicht an der Wahlbeteiligung. In Weimar war die immer >80%, und schau mal, wie gesund die Demokratie war. /Ironie
1) 1914 sehe ich, aber das war glaube ich unvermeidbar. 1998 – ich nehme an du meinst die LINKE. Aber das war 2004, nicht 1998.
2) Ja, aber nicht wahlentscheidungsentscheidend, das kann ich mir nicht vorstellen.
4) Wo ist das denn nicht so? 😀
Stefan Sasse 16. Mai 2022, 16:04
0) Ehrlich gesagt kann ich das nicht mehr hören. Dieses ständige Rechnen mit der „Partei der Nichtwählenden“. Wer nicht zur Wahl geht, geht nicht zur Wahl. Es ist müßig, darüber nachzudenken, was die Leute damit ausdrücken wollen.
Da verstehe ich Dich überhaupt nicht. Wenn die Politik die Hälfte der Menschen nicht mehr erreicht, ist doch etwas faul. Was ist, wenn die Wahlbeteiligung unter 30 Prozent sinkt? Immer noch egal?
Was ist, wenn ein Populist kommt, der diese Leute erreicht? Immer noch egal? Dann schimpfst Du wieder los, wie über die AfD, und erklärst die alle zu Idioten oder Arschlöchern. Aber diese Wahlverweigerung ist nicht die Krankheit, sie ist nur das Symptom.
Wenn die Politik die Hälfte der Menschen nicht mehr erreicht, ist doch etwas faul.
Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust. Demokratietheoretisch hat Stefan S. völlig Recht – wer nicht will, der hat schon. Und wer zu faul, zu träge oder zu feige ist, selbst zu wählen oder – wenn er/sie mit dem politischen Angebot unzufrieden ist – selbst eine Alternative zu gründen, ist echt selbst schuld. In der Demokratie – die ist anspruchsvoll – sind Wähler keine halben Kinder, die einen Anspruch auf ein attraktives Angebot von anderen haben! Wir haben die Aristokratie … abgeschafft.
Auf der anderen Seite ist praktisch klar, dass die Gefahr für die Demokratie wächst, je höher die Zahl der Nichtwähler ist. Desinteresse oder Bequemlichkeit können blind für Gefahren machen. Nur spricht das im Ergebnis für etwas, was eine klare Mehrheit in Deutschland vorgibt zu hassen: Polarisierung. Gibt nichts, was bisherige Nichtwähler schneller an die Urne holt, als das. Die AfD war in den letzten Jahren in dieser Hinsicht ein Demokratiegeschenk (und wahrscheinlich einer der Gründe, warum Stefan die Wahlbeteiligung so kleinredet).
Gruss,
Thorsten Haupts
Die zwei Herzen habe ich auch, aber gerade schlägt das von dir erstgenannte lauter. Wird sich bestimmt auch wieder ändern.
Wenn es so einfach wäre. Wenn Wahlenthaltung sich einigermaßen gleichmäßig über alle Schichten und alle Altersgruppen verteilen würde, könnte man das Schulterzucken ja akzeptieren. Doch so ist es nicht. Die Verweigerung an der Urne verteilt sich extrem ungleich. Über 50jährige sind besonders fleißige Wähler, Gutverdienende und Gutsituierte auch. Eine linke Partei der Postmaterialisten wie die Grünen kann genau deshalb zulasten der Kleine-Leute-Partei die LINKE Wähleranteile gewinnen. Das freut jene, die sich nicht darum kümmern müssen, was ein SUV-BEV kostet – 8.000 Euro kommen ohnehin vom Staat. Dem Besitzer eines 20 Jahre alten Golfs wird dagegen das Fahren zum Wocheneinkauf verleidet.
Ergebnis von Wahlen. Aber eben auch von Wahlen, wo bestimmte Schichten sich ausgegrenzt fühlen und sich selbst ausgrenzen. Aus der Warte kann man sicher auch verstehen, dass die Akzeptanz der Demokratie und der Politik leidet.
So schaut’s aus.
Das ist korrekt. Ich glaube, aus diesen Schichten rekrutieren sich auch die größten Verluste von SPD und CDU, die einzigen Parteien, die sie je signifikant vertraten.
Nein, eher nicht. Die LINKE und die AfD, die zeitweise die unzufriedenen, ja wütenden Nichtwähler aufgesogen haben, verlieren diese instabile Klientel. Im Grunde will sie keiner haben, das zeigte vor Jahren schon eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, weshalb sich die LINKE ja stärker auf die urbane Wählerschaft in den Städten konzentriert hat – und damit in Konkurrenz zu den Grünen geriet. Die AfD hat die Stimmen gerne genommen, damit aber eine immer rechtsextremistische Politik gemacht – was nicht so in Übereinstimmung ist mit den Interessen von armen Menschen, von denen viele auch eine Migrationsgeschichte besitzen.
Jetzt haben diese Bürger wieder keine politische Heimat, wodurch sich die sehr niedrigen Wahlbeteiligungen erklären.
Jetzt haben diese Bürger wieder keine politische Heimat, …
Dann müssen sie sich diese selber schaffen! Das ist der Preis einer egalitären Demokratie – es existiert keine Elite mehr, die man dafür in die Pflicht nehmen könnte.
Gruss,
Thorsten Haupts
Die AfD wurde von einer elitären Professorengruppe mit ordentlich Finanzmitteln, Beziehungen und Know-how gegründet. Erfolgreiche linke Parteien für das Proletariat sind da wesentlich schwerer aufzustellen. Das gilt erst recht unter den skizzierten Bedingungen des Wählermarktes. Nichtwähler sind eine sehr flüchtige, weil wütende Klientel. Sie sorgen heute für Erfolge und morgen für drastische Abstürze. Das haben sowohl die LINKE als auch die AfD in den vergangenen 20 Jahren zur Genüge erlebt, Parteien, die vor allem von diesen Wählern leben.
Es geht mir um das Wichtigste in einer repräsentativen Demokratie: Repräsentanz.
Das ist auch mein Argument. Würden die wählen, würde man um sie werben.
Macht Sinn. Aber die wurden doch in der Bonner Republik schon von den Volksparteien vertreten, oder? Grüne und FDP waren es ja wohl nicht, da bleiben ja nur die. Und die Wahlbeteiligung war damals noch um 80%.
Die Gesellschaft ist viel individualistischer und gespaltener. Statistisches Merkmal ist die Einkommensspreizung. Wir haben eine Vervielfachung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund, die Bildungsabschlüsse (und damit Lebenschanchen) haben sich breit aufgefächert.
Das ist eine Spanne, die selbst Volksparteien nicht mehr abdecken können. Im Ruhrgebiet arbeiteten vor 30 Jahren noch viel mehr Menschen. Sie waren zum Großteil Arbeiter mit ähnlichen Einkommen mit traditionellem Familienbild. Der Abstand zur Metropole Köln war nicht so groß. Heute sind im Ruhrgebiet teilweise 30% der Menschen seit einer Generation arbeitslos, gesellschaftlich und kulturell desillusioniert mit Transfereinkommen, die weit hinter den Markteinkommen in Köln zurückbleiben. So wurde NRW zum Swing State.
Große Teile dieser (potentiellen) Wähler sind selbst für die CDU und die SPD nicht mehr erreichbar. Sie können ihnen keine Politikangebote machen, die nicht im Widerspruch zu den Interessen ihrer Kerngruppen liegen. Dazu besitzen sie keine Glaubwürdigkeit, denn sie haben aus Sicht der Betroffenen die Modernisierungen nicht verhindert, die zur Verschlechterung der Lage der Abgehängten geführt hat.
Deswegen braucht es eigene Parteien. Unter diesem Aspekt habe ich die Linkspartei immer für demokratietheoretisch notwendig angesehen. Ich sage auch heute nicht, die Partei sollte verschwinden, denn ich frage mich als Demokrat: wer soll das Prekariat eigentlich politisch vertreten?
Genau, ich bestreite gar nicht, dass die Zeit der Volksparteien rum ist. Daher ja auch meine These, dass Merkels Kurs die einzige Möglichkeit von Ergebnissen um 40% war. Und auch damit ist es jetzt rum. Mein Punkt war auch eher der: sie haben diese Menschen FRÜHER erreicht. Inzwischen nicht mehr, u.a. aus den von dir genannten Gründen. Seither sackt die Wahlbeteiligung ab. Und ich bin auch in der Folgerung bei dir, nur: die LINKE kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Sie haben das in den 2000er und zeitweise den 2010er Jahren versucht, als sie in ihrer ganzen Identität die Hartz-IV-Partei waren. Geholfen hat’s: nichts.
Genau, ich bestreite gar nicht, dass die Zeit der Volksparteien rum ist.
Das halte ich nicht mehr für zwingend. Pandemie und Krieg setzen Zeichen, dass die Deutschen ein großes Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit und staatlicher Regulierung haben. Es kann sein, dass das Bundestagswahlergebnis von 45% für die beiden großen Parteien die Bottom Line markiert. In mehreren Wahlen kamen nun entweder die CDU oder die SPD auf Werte von Mitte 40%. Im Saarland ist seit ewigen Zeiten wieder die absolute Mehrheit für eine drin gewesen, in Schleswig-Holstein schrammte Daniel Günther nur knapp daran vorbei. Und selbst in Ostdeutschland holte Manuela Schwesig fast 40%.
Merkel hat die von Dir genannten Ziele aber weit verfehlt: sie konnte weder die Zustimmung unter Frauen signifikant ausbauen und in den Großstädten verlor die Union weiter an Boden. Hamburg, Köln und Frankfurt sind nicht mehr CDU-regiert. 2005 erreichte Merkel 35% (alle Zahlen aus dem Kopf), 2009 waren es 33%, 2013 42% und 2017 abschließend 33%. Mit anderen Worten: Merkel konnte die vorgegebenen Ziele nicht annähernd erreichen.
die LINKE kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Sie haben das in den 2000er und zeitweise den 2010er Jahren versucht, als sie in ihrer ganzen Identität die Hartz-IV-Partei waren. Geholfen hat’s: nichts.
Wie gesagt: ich hielt den Weg von Katja Kipping für falsch. Ja, die traditionelle Klientel der Linkspartei ist unberechenbar. Aber mit den Grünen in den Großstädten in Konkurrenz zu gehen, war hochgefährlich.
Die Länder waren schon immer anders als der Bund. Ich rede nur vom Bund. Klar, kann sein dass das von dir angesprochene Zusammengehörigkeitsbedürfnis reinkickt, aber ich sehe es aktuell nicht. Wir werden sehen.
Ich weiß nicht, ob sie sie „nicht erreicht“. Die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen war schon immer deutlich unter der vom Bund. Und wir haben ja schon öfter festgestellt, dass in Deutschland gerade wenig Polarisierung herrscht und Konsens existiert. Viele haben offensichtlich mit Status Quo wenig Probleme, egal, wer ihn gerade verwaltet.
Heißt das, die Partei deines Vertrauens …
Huh?
Ich sach mal so: Der Scholz will nicht so enden wie Helmut Schmidt, also nicht von seiner Partei in den Allerwertesten getreten werden, denn dass das passiert, ist keine geringe Gefahr. Er wurde von einem erlauchten Minimalkreis, der an einem Bistrotisch genügend Platz hätte, als Kandidat ausbaldowert. Die von morgens bis abends ununterbrochen beklatschte und besungene „Basis“ hatte dabei nichts zu bestellen. Da die den Scholz als Kandidat (Vorsitz) schon mal abserviert hatten (von Herrn Kühnert seinerzeit mit Jubel begleitet) , war mit deren Wohlwollen auch nicht unbedingt zu rechnen^.
Parteifritzen, jedenfalls die, die nicht ganz oben rangieren, glauben halt gerne dass ihnen die Köder schmecken müssen. Die Fische interessieren nicht. Das ist bei der CDU auch nicht viel anders.
Jetzt muss Scholz die SPD entputinisieren und macht das gaaaaaaanz ganz vorsichtig. Und nett zur NATO ist bei den Genossen nu mal auch nicht der ganz große Renner. Schmidt folgte seinem Gewissen (Kantianer) und da ging es bekanntlich auch zentral um eine militärpolitische Frage. Selbiges hat er höher gestellt ls die Partei. Das Ergebnis ist bekannt. Das scheint beim Scholz grundlegend anders zu sein. Der will halt dranbleiben.
Der gute Herr Merz feiert bei der nächsten Bundestagswahl (einigermaßen zeitgleich) seinen 70. Geburtstag. Er wäre zum Startzeitpunkt der zweitälteste nach Adenauer, der war 73. Natürlich ist das eigentlich kein Argument, aber draußen im Lande schon; IMHO. Anders als anno ’49 und in den frühen Jahren danach ist das imagemäßig ein Handicap. Der wird das also nicht, tippe ich mal. Die Mitglieder lieben den zwar und meinen gleichzeitig, mehr ist nicht nötig. Die Großkopferten werden hoffentlich anders denken. Mal sehn.
1) dass die relevant ist, erkennt manfrau an Scholzens Rumgeeiere
2) Vor allem eine HabeckBaerbock-Hype. Ob sich das hält, wird man sehen. Hypes sind gefährlich, weil labil.
3) Eher daher, dass die Union die FDP aussaugt. Ein steinaltes Thema.
4) Ja; wenn „am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären“, wie das immer so schön heißt. Is aber nicht; da braucht man also nicht groß dran rumdoktern.
5) Die Leute da draußen sind in der Regel keine Politjunkies. Aus Politjunkie-Sicht völlig unlogisches Wechselverhalten gibt’s offenbar.
6) Die LINKE killt sich selbst. Ein Markt wäre durchaus vorhanden, inklusive Putinverstehermarkt.
7) Die meisten Leute – auch in den genannten Ländern – wissen gar nicht, wer das ist. Die gucken nach den Häuptlingen und fertig.
8) Prozente und Prozentpunkte sowie die Stimmen ohne Anteilsberechnung (also unerachtet der Beteiligungsquote) kann man unterscheiden ^.
Beim Anteil hat die AfD in SH ca. 25,5 % verloren, in NRW 27. Bei den Stimmen ist das noch heftiger. Saarland ist richtig. Da war das milder. Da sind viele von der Linkspartei zur artverwandten AfD abgewandert, sach ich mal. Da können Experten noch so viel zetern, dass das politisch eigentlich „falsch“ ist.
9) Schwierig. Ein guter Test ist, wenn beide Wahlen in einzelnen Ländern mal am gleichen Tag stattfinden. Kommt mitunter vor. Zum Beispiel Hessen 2013:
CDU-L 38,8, Bu in Hessen 39,2 . SPD: 30,7 zu 28.8. Grünens 11,1 zu 9,9. Linke 5,2 zu 6,0. FDP 5,0 zu 5,6. AfD 4,1 zu 5,6.
Bei den Kleinen also ein relativ deutliches auseinander halten (prozentual, nicht Punkte), bei den Großen weniger.
man müsste die Leut halt fragen (aber jetzt ist es zu spät) um zu wissen, was dahintersteckt. Vielleicht hat sich dieser der jener Politologie-Fritze ja mal damit beschäftigt.
Ich bin sehr skeptisch bei dieser nachträglichen Verklärung von Schmidt. Davon abgesehen haben wir erst ein halbes Jahr Scholz; Gerhard Schröder würde ich jetzt auch nicht auf Basis der Performance bis Sommer 1999 bewerten wollen.
1) Guter Punkt.
2) Ja, das wäre auch mein Bauchgefühl. Verrückt, oder? Wer hätte im November drauf gewettet, dass BAERBOCK eines von zwei großen Pfunden der Grünen sein würde, mit denen sie wuchern können?
3) Ausnahme 2009. Da ging’s andersrum.
4) Ist halt alles, woran man sich halten kann.
5) Ja, aber nicht viel, das ist mein Punkt. Ein paar Leute hast immer.
6) Ja, neige ich auch dazu.
7) Wenn überhaupt…
8) ok.
„Wer hätte im November drauf gewettet, dass BAERBOCK eines von zwei großen Pfunden der Grünen sein würde, mit denen sie wuchern können?“
Ich. Und ich hätte darauf verwiesen, daß sie in der Endphase des Wahlkampfs durchaus wieder in dern Tritt gekommen war, während die Kampagne von Laschet weiter kollabierte.
@ sol1 16. Mai 2022, 17:31
Ich. Und ich hätte darauf verwiesen, dass sie in der Endphase des Wahlkampfs durchaus wieder in Tritt gekommen war, während die Kampagne von Laschet weiter kollabierte.
Im Nachhinein: da hast Du sicherlich Recht behalten; aber Deine Sicht entstand auch durch Deine politische Vorprägung. Meine Vorprägung war anders; für mich musste sie erstmal wieder auf Null kommen.
Was mich nicht davon abhält, gut zu finden, was sie gerade macht.
Ich hatte eine ähnliche Prägung und hab’s auch nicht erwartet.
Da ist aber mehr als Wohlwollen in der Bewertung. Tatsächlich konzentrierte sich der Grünen-Wahlkampf ab Mitte / Ende Juli nur noch auf die Kernwählerschaft. Andere gesellschaftliche Gruppen wurden nicht mehr angesprochen, plakatiert wurde, was der links-grünen Community gefällt. Damit wollte man ein Wahlergebnis zwischen 16-18 Prozent absichern. Aber selbst das korrigierte innerparteiliche Mindestziel verfehlte Baerbock mit 14,8%. Tatsächlich standen die Grünen den gesamten Wahlkampf über nicht so schlecht da wie sie am Ende rausliefen.
Das kann man kaum mit „wieder Tritt gefasst“ beschreiben.
Ich bezog mich auf die Auftritte in den Fernsehdebatten, wo sie wesentlich sattelfester war als Scholz und Laschet.
Das reichte zwar nicht, um das Ruder in den Umfragen rumzureißen, und wer genau hinhörte, konnte wissen, daß sie mehr drauf hatte, als ihr die Spötter zustanden.
Und obendrein war ja nach dem Zeitpunkt November gefragt, und da zeigte sich, daß die Grünen unter der Führung von Habeck und Baerbock sich gut auf die neue Rolle in einer Ampelkoalition einstellten.
Das bleibt schöngefärbt. Das Wahlergebnis war der Endpunkt eines stetigen Abwärtstrends, ein mehrmonatiger Prozess. Die Ansprüche an das Triell waren scheinbar von Ihnen auch nicht hoch. Sowohl Scholz als auch Laschet sind sehr schlechte Kommunikatoren. Baerbocks Reden vor der grünen Basis waren auch schlecht. Aber im Triell setzte sie immerhin einen positiven Kontrapunkt, der flugs von ihren Kontrahenten immitiert wurde. Sie stellte sich in ihrem Abschlussstatement vor ihr Pult und signalisierte Offenheit.
Ansonsten bleiben mir weiter nur Wiederholungen: Sie hat das Ministeramt mit der geringsten Exekutivfunktion inne. Rückschlüsse auf Regierungskönnen ist da schwierig. Was man sieht: sie setzt den richtigen Ton, sie produziert gute Bilder, sie spricht an und hat einen offenen Umgang. Die große Herausforderung liegt aber nicht bei ihr, sondern bei Habeck.
Das ist korrekt. Ich habe auch immer nur den Wahlkampf kritisiert; daher ja auch mein Szenario, dass sie sich im AA profilieren könnte. Was sie ja auch tut 🙂
@ sol1 16. Mai 2022, 21:29
Ich bezog mich auf die Auftritte in den Fernsehdebatten, wo sie wesentlich sattelfester war als Scholz und Laschet.
„Sattelfest“ wäre nicht mein Ausdruck gewesen, aber sie hat klarer und eindeutiger kommuniziert und mich in den Diskussionen mehr überzeugt als die anderen beiden. Wenn da nur diese Partei nicht gewesen wäre … 🙂
Ich ging nicht davon aus, dass sie sich so schnell erholen würde. Ich habe es als potenzielles Szenario genannt, das weiß ich sicher (und ich weiß auch, dass das hier im Blog als Möglichkeit (!) bestritten wurde, finis Baerbockiae und so), aber erwartet hab ich’s nicht.
„Ich ging nicht davon aus, dass sie sich so schnell erholen würde.“
Das hing natürlich von Umständen ab, die keiner von uns vorhersehen konnte. Andererseits war aber auch nicht zu erwarten, daß sie sich wie Maas kaltstellen lassen würde.
@ sol1 17. Mai 2022, 11:23
Andererseits war aber auch nicht zu erwarten, daß sie sich wie Maas kaltstellen lassen würde.
Der Kerl war schon als Justizminister derart untragbar, dass man ihn nicht alleine hätte unter Leute lassen dürfen.
Ich stufe ihn als deutlich schlimmer / schädlicher / ineffektiver ein als Frau Merkel. und wer mich bzw. meine Einstellung zu der Frau kennt, weiß, was das bedeutet.
Klar, aber Westerwelle wollte auch ein großer Gestalter im AA sein und seine Amtszeit war ein Desaster.
@ Stefan Sasse 17. Mai 2022, 14:27
Klar, aber Westerwelle wollte auch ein großer Gestalter im AA sein und seine Amtszeit war ein Desaster.
Nein, er hat uns aus Libyen rausgehalten.
Was hätten wir denn da gemacht? Diverse Staaten haben auch mit „ja“ gestimmt, ohne deswegen involviert zu sein. Das hat nichts miteinander zu tun. Dieses „Nein“ im Sicherheitsrat war ein diplomatischer Patzer.
@ Stefan Sasse 18. Mai 2022, 18:44
Sehe ich KOMPLETT gegensätzlich. Libyen war ziemlich ausschließlich Sarkozys Thema, und aus meiner Wahrnehmung war Gaddafi das deutlich kleinere Übel im Vergleich zu dem, was da jetzt abgeht.
Wir sind trotzdem in der NATO geblieben. Und selbst, wenn ein weiteres „Ja“ keinen Unterschied gemacht hätte, so sendete es doch eine Botschaft in die gleiche Richtung wie die Ablehnung Schröders und Fischers zum Irak-Krieg.
Darüber hinaus liegt mir die Methode nicht, ein Land kurz und klein zu hauen und die Bevölkerung dann mit einem Haufen Scherben und mit extremistischen, gewalttätigen Warlords zurückzulassen. Das war absehbar, weil das immer das Ergebnis ist.
Letztlich gab es eh keine guten Optionen, und meine Fachkenntnis reicht nicht weit genug, um dir da entschieden widersprechen zu können. Von daher – streich das aus Westerwelles schwarzer Liste. Am schlimmsten war eh die Euro-Politik. Auch wenn da Schäuble federführend war.
„Da sind viele von der Linkspartei zur artverwandten AfD abgewandert, sach ich mal.“
Tatsächlich waren es 4000 Stimmen und damit genug, um die AfD über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven:
https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-saarland-103.html
Allerdings relativiert sich das, wenn man bedenkt, daß Die Linke von 69.000 auf 12.000 Stimmen abstürzte.
Ja, ganz richtig. Wie immer bei Statistiken fische ich mir das heraus und isoliere das dann, was meine Schreibtischthesen abstützt^. Von der Linkspartei aus betrachtet ging der fetteste Brocken an die SPD, an zweiter Stelle die Nichtwähler. In der Schadensbilanz der Linken war der Abgang zur AfD relativ gesehen nicht so heftig, das stimmt natürlich. Von der Afd her gesehen haben die von Linkens einen Nettozugang; an zweiter Stelle diesbezüglich die CDU, immerhin. ansonsten nur Abgänge oder Saldo 0, insgesamt die Abgänge deutlich höher als die Zugänge.
Politisch muss man den ganzen Salat natürlich so abschmecken, dass es passt. So mach ich das immer^.
Wie die Demoskopiefritzen das überhaupt alles so genau rauskriegen, weiß ich auch nicht. Wie wissen die was von den Verstorbenen? Weggezogene, Zugezogene, Neuwähler (nicht zwingend Erstwähler; können auch Altwähler nach Pause sein) werden auch noch reingepackt.
Na ja, egal. Im Liliputländchen an der Saar sagt das wahrscheinlich eh alles nicht viel.
Was noch helfen könnte :
Die ARD hat hier ihr ganzes Statistikmaterial ( cum grano salis: Infratest liefert methodisch schnell und umfangreich, aber nicht unbedingt die zuverlässigsten Zahlen) :
https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-05-15-LT-DE-NW/
thx!
Ich wäre geneigt, die schlechte Performance der NRW-FDP auch Ministerin Gebauer zuzuschreiben, aber warum schadete dann Karin Prien nicht der SH-CDU?
Das ist eine sehr gute Frage. Mit dem Hintergrund, dass meine halbe erweiterte Verwandtschaft aus Lehrern in NRW besteht (ich bin da irgendwie aus der Art geschlagen), versuche ich mich an einer Antwort:
Prien könnte hier tatsächlich ihr KMK-Vorsitz in die Hände spielen. Das erbitterte Schimpfen auf die KMK gehört nach meiner Erfahrung in Lehrerkreisen zur gerne gepflegten Folklore, und dadurch, dass man Frau Prien damit bereits mit abgefrühstückt hat, fällt es schwerer, sich nochmal separat über ihre Performance auf Landesebene aufzuregen.
Wenn allerdings in besagter familiärer Runde der Name „Gebauer“ fällt, schlägt einem blanker Hass entgegen, der weit über das Normalmaß hinausgeht. Zwar ist, wie bereits erwähnt wurde, Schulpolitik in NRW traditionell ein besonders gefährliches Minenfeld, irgendwas scheint Frau Gebauer aber besonders falsch gemacht zu haben.
Leider kann ich nicht berichten, was das angeblich sein soll. Wenn alle anfangen, sich immer weiter gegenseitig in ihre Wut einzusteigen, klinke ich mich normalerweise aus. Der Abend ist dann meist eh gelaufen.
Ich meine, ich wohn nicht in NRW und weiß wenig, aber ich kann die Gebauer nicht leiden! Deren Aussagen waren so beknackt, das ist durch die ganze Republik geflossen. Vielleicht war in SH auch einfach nur Günther stärker und hat Prien quasi „verwässert“, während Gebauer halt die profilierteste FDP-Ministerin in NRW war?
Halte ich für plausibel.
Die sehr negative Reaktion auf die Personalie Gebauer resultiert insb. aus der Kommunikationsleistung. Mein Sohn geht erst seit letztem Sommer in die Grundschule, insofern waren wir von den kommunikativen Chaos nur sehr begrenzt bertoffen. Es gab aber eine ganze Reihe von Situationen in denen die Schulleitungen und Lehrkräfte zeitgleich wie die Eltern aus den Medien erfahren mussten, was das Bildungsministerium gerade umgesetzt haben wollte. Das sorgte dann entsprechend für erheblichen Stress bei allen Beteiligten.
Am Anfang der Pandemie hielt ich das noch für erklärbar, da alle Stellen sich auf die geänderte Situation einstellen mussten, jedoch war in der ministerialen Kommunikation nicht erkennbar, dass dort in irgendeiner Form aus der bescheidenen Kommunikation am Anfang gelernt wurde und das ganze verbessert wurde. Im Gegenteil, statt in Szenarien zu denken und sich entsprechend vorzubereiten, wartete man immer auf die buchstäblich letzte Sekunde und brannte Eltern, Schüler und Lehrer durch das hin und her immer weiter aus.
Hinzu kam mangelndes Leadership von Frau Gebauer, so dass Sie zurecht in meinen Augen abgewählt wurde. Im übrigen scheint Sie aktuell sogar gar nicht sicher zu sein, ob sie Ihr Landtagsmandat antreten wird. In NRW brauchst Du als Minister zwingend das Landtagsmandat. Offenbar hat sie neue Pläne…
Aber das war in jedem Bundesland so. Deswegen meine Unsicherheit.