Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Warum ich meine eigenen Coronaregeln mache
Guten Tag, mir ist klar, dass es nicht unproblematisch ist – aber ich habe inzwischen meine eigenen Coronaregeln gemacht. Und zwar aus Notwehr. Die gerade amtlich gültigen Coronaregeln sind in den Hintergrund getreten, weil es fast unmöglich geworden ist, der Komplexität und dem aberwitzigen Umfang samt der ständigen Änderungen zu folgen. Und wirklich unmöglich, Konsistenz, Logik und Vernunft darin zu erkennen. Stattdessen habe ich aus den medial vermittelten Erkenntnissen von Fachleuten, aus situativer Abwägung und auch nach Erträglichkeit eigene Coronaregeln entwickelt. Sie funktionieren für mich viel besser als die Regeln des Staates und des Landes Berlin, in dem ich lebe. Schon deshalb, weil ich sie nach einem Jahr Pandemie immer noch anwenden kann, ohne durchzudrehen. Das ist vielleicht ähnlich wie bei Diäten: Die beste ist oft die, die man durchhält, und nur selten die, die auf dem Papier am besten wirkt. Meine Regeln haben damit zu tun, dass meiner Ansicht nach geimpfte Personen anders behandelt werden können als ungeimpfte. Und dass die Gefahr in Innenräumen lauert und kaum draußen. Oder dass es keinen besonders großen Unterschied macht, ob eine Person zu Besuch kommt oder ein Paar, das ohnehin zusammenlebt. Sie sind übrigens in vielen (aber nicht allen) Fällen härter als die offiziellen, aber darum geht es eigentlich nicht. Denn obwohl ich meine Position vor mir und der Öffentlichkeit rechtfertigen kann, halte ich diese Entwicklung für nicht besonders gut. Sie erscheint mir nur weniger schlecht als das, was an offizieller, pandemischer Maßgabe gerade im Angebot ist. Ab und an tue ich im Alltag etwas, was entlang der aktuellen Forschungslage unproblematisch oder erzvernünftig, faktisch aber verboten ist. Meine These ist, dass die meisten Menschen sich selbst ein Coronaregelwerk geschaffen haben, und zwar wie ich aus Notwehr gegen die Unverständlichkeit, Unnachvollziehbarkeit und auch Unsinnigkeit des staatlichen Regelwerks. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)
Ich kann Lobo völlig nachvollziehen und möchte mich anschließen. Es ist einfach sinnlos geworden, noch irgendwie mit den aktuellen Regeln hinterherkommen zu wollen. Ich habe sogar die EVA-App installiert und bekomme immer die neuesten Verordnungen meines Landkreises direkt aufs Handy, aber trotzdem ist in dem Wirrwarr der wöchentlichen Regeländerungen praktisch nicht mehr ersichtlich, was gerade eigentlich zählt. Ich habe das an meinem Geburtstag vergangenes Wochenende gemerkt: am Tag danach sagte ich im Gespräch zu einem Bekannten, dass ich nicht groß gefeiert habe, weil ja eh nur eine Person außerhalb des Haushalts erlaubt sei. Der korrigierte mich; das gelte erst ab heute, am Wochendene waren noch zwei Personen erlaubt. Auch die Ausgangssperre ab 21 Uhr gelte erst ab heute, nicht schon am Wochenende, wie ich angenommen hatte.
Ich operiere seit Monaten nach dem gleichen Prinzip: Ich trage überall Maske. Ich treffe mich mit so wenig Menschen wie möglich. Ich halte Abstand. Das sind simple Regeln, die man sich merken und die man einhalten kann. Sie sind, wie Lobo auch beschreibt, meist wesentlich strenger als der Wust, der gerade gilt. Das laufende Kommunikationsdesaster dieser Regierung ist nicht mehr auszuhalten. Mein eigener emotionaler Haushalt ist durch die permanenten Regeländerungen und die Belastung durch die Einschränkungen inzwischen nur noch in einem Dauerzustand des mütend seins; einer Mischung aus müde und wütend. Ich denke, vielen geht es genauso. Jede Verlautbarungen aus Berlin oder Stuttgart ruft bei mir dieselbe Kombination aus Erschöpfung und kalter Wut hervor. Das ist kein gesunder Zustand, nicht für mich und nicht für die Politik und Gesellschaft. #DankeMerkel
Die Frage, um die es dabei geht, ist nur scheinbar einfach: Ist die deutsche koloniale Erfahrung auf die Zeit beschränkt, in der Deutschland formal eine Kolonialmacht war, auf die Jahre von 1884 bis 1919 also? Oder spielte der koloniale Gedanke auch darüber hinaus eine Rolle, bildet eine wichtige Kontinuität der deutschen Geschichte, mit grundsätzlicherem Erklärungspotenzial auch und gerade für die Zeit des Nationalsozialismus? Noch immer wird die deutsche Kolonialvergangenheit in der Öffentlichkeit verdrängt oder verniedlicht. Stattdessen verklärt man das deutsche Kolonialreich nostalgisch oder siedelt es irgendwo zwischen Pfadfinderabenteuer oder früher Entwicklungshilfe an. Es sei auch nur von sehr kurzer Dauer – und damit Auswirkung – gewesen, heißt es, als sage Dauer etwas über Intensität und Folgen. Immerhin währte die deutsche Kolonialherrschaft 35 Jahre und damit mehr als doppelt so lange wie das »Dritte Reich«. Und die deutsche Herrschaft über Namibia hatte zehn Mal so lange Bestand wie die über Teile der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Die katastrophalen Auswirkungen auf die Kolonisierten werden in der öffentlichen Wahrnehmung fast vollständig ausgeblendet. Das allein ist schon schlimm genug. Doch darüber hinaus führt die koloniale Amnesie auch zu einer bedenklichen Leerstelle im Verständnis der Verbrechen des »Dritten Reiches« – und damit auch in deren Aufarbeitung. Denn zumindest der Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion steht unverkennbar in einer kolonialen Tradition. Deutschlands koloniale Ambitionen endeten nicht 1919 mit dem Verlust der Kolonien in Afrika, sondern erst 1945. Nun war auch der zweite Versuch, ein Kolonialreich zu gründen, diesmal im Osten, endgültig gescheitert. (Jürgen Zimmerer, SpiegelOnline)
Zimmerer fasst noch einmal schön seine zentralen Thesen zusammen, die zum absurden Vorwurf geführt haben, er versuche den Holocaust zu relativieren. Dass die Nationalsozialisten ein Kolonialprogramm in Osteuropa hatten, und dass dieses Kolonialprogramm personelle und organisatorische Kontinuitäten hatte, ist seit Jahrzehnten Stand der Forschung. Zimmerer erwähnt dies nicht explizit, aber eine solche koloniale Agenda wurde von den Rechten bereits im Ersten Weltkrieg verfolgt (wen das interessiert, dem empfehle ich das Buch „Kriegsland im Osten„, das das schön aufarbeitet). Die Fieberträume späterer Nazi-Operateure begannen mit dem Versprechen der Hindenburg/Ludendorff-OHL, den Veteranen Bauernhöfe im eroberten Polen und Litauen zu geben und sie als Inseln für die Germanisierung und Neuordnung Osteuropas zu nutzen. Der Vertrag von Brest-Litowsk diente diesem Ziel, das unter den Nazis um eine genizidale Komponente ergänzt wurde. Aber die Struktur und Leitlinien dieser Politik finden sich im Imperialismus, wo das alles bereits in Afrika erprobt wurde – mit desaströsen Konsequenzen für die Bevölkerung, auch wenn das besonders in Deutschland seither verdrängt wurde.
3) Die unwürdige Larmoyanz der deutschen Wirtschaftslobbyisten
Die Bestimmung verdient an dieser Stelle noch einmal eine so detaillierte Beschreibung, damit klar wird, was die Bundesregierung an diesem Dienstag beschlossen hat. Bei Lichte besehen ist es nämlich nicht viel mehr als eine schlichte Selbstverständlichkeit, die da noch einmal niedergeschrieben wurde – vergleichbar vielleicht mit der Vorschrift, ein Geländer an einem Baugerüst zu installieren, um die Arbeiter vor dem Herabstürzen zu sichern. Umso bemerkenswerter ist der Aufschrei vieler Verbandsvertreter. […] Handelsverbandschef Börner verwies darauf, dass neun von zehn Unternehmen ihre Mitarbeiter bereits auf das Coronavirus testeten oder es in Kürze tun würden. Tatsächlich belegt die jüngste Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass das zumindest bei den Großbetrieben nicht so weit weg ist von der Realität. Wieso, um alles in der Welt, machen die Wirtschaftsvertreter dann so einen Wind? Schließlich lautet ihr Credo doch sonst regelmäßig, wenn es um unvermeidbare Notwendigkeiten geht, solle man lieber zu einer staatlichen Regelung greifen, die gleiche Rahmenbedingungen im Wettbewerb schafft. Damit nicht am Ende die Vernünftigen die Dummen sind. Der wahre Grund für die Empörung dürfte vor allem einen Grund haben: Es geht darum, wer am Ende die Rechnung bezahlt. Nach Schätzungen des Wirtschaftsrats der CDU geht es um mehr als sieben Milliarden Euro pro Monat. Das könnten manche kleine und mittelständische Unternehmen nicht stemmen, heißt es dort. Auch der Präsident des Verbands der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, fordert Hilfestellungen. Noch weiter geht Nordmetall-Chef Nico Fickinger: Der Staat solle die Testkits bezahlen und darüber hinaus klarstellen, dass die Zeit, die für den Test benötigt wird, nicht als Arbeitszeit gerechnet wird. […] Dabei setzt sich der Chor der Kritiker vor allem aus Vertretern jener Branchen zusammen, die bislang von den Folgen der Pandemie einigermaßen verschont geblieben sind. Viele Unternehmen haben normal weiter produziert, andere konnten ihre Belegschaft halten, weil die Regelungen für das Kurzarbeitergeld großzügig ausgeweitet wurden. Insgesamt hat die Regierung ja immerhin 1,7 Milliarden Euro bereitgestellt. […] Angst und bange werden kann einem bei der Frage, wo diese Anspruchshaltung der Wirtschaftsvertreter hinführt, wenn es um die Lösung von Problemen mit ganz anderer Tragweite geht. Etwa beim Klimawandel. Die Verteilungskämpfe, die unserer Gesellschaft bevorstehen, werden jedenfalls eine völlig neue Dimension erreichen, wenn Dürren, Überschwemmungen oder Extremwetter unsere Lebensgrundlage völlig verändern. Mit den Kampeters, Wollseifers und Fickingers dieser Welt werden diese Fragen kaum noch einigermaßen gerecht zu lösen sein. (Michael Kröger, SpiegelOnline)
Ich stimme den Wirtschaftslobbyisten, die wie immer ihre Liebe für die Macht des Staates dann entdecken, wenn der ihre Verluste sozialisieren soll, völlig zu. Sie sind absolute Heuchler und völlig inkohärent in ihrer Argumentation, aber hier haben sie Recht. Wenn der Staat im Rahmen der Pandemie so etwas wie die Testungen verlangt, hat er auch die Infrastruktur zu stellen beziehungsweise die Kosten zu übernehmen. Ich habe da null Geduld für den Vorwurf von „Larmyanz“ oder „gerechte Verteilung“. Die gerechte Verteilung wird am ehesten erreicht, wenn der Staat das übernimmt und fertig; jede andere Lösung, wo zahlreiche Einzelmaßnahmen und Micromanagment betrieben wird, kann nur ineffizienter und ungerechter sein.
Aber: Das gilt halt immer, und nicht nur dann, wenn die Unternehmen versuchen wollen, die Kosten ihres Geschäfts auf die Allgemeinheit umzulegen. In dem Fall ist das berechtigt. Die Pandemie betrifft uns alle, und sie trifft mit völlig unterschiedlicher Härte. Wo kleine Selbstständige oftmals an den Rand des Ruins oder darüber hinaus getrieben werden, können manche Großunternehmen mit Kurzarbeit und Corona-Hilfen sogar Plus machen und die Krise als Chance nutzen, um Merkels Lieblingsphrase einmal passgenau zu verwenden. Die einzige Möglichkeit, die Wirtschaft nicht noch zusätzlich durch arbiträre Testkostenübernahme zu verzerren ist, es über den Staat zu machen.
Das führt in meine Grundsatzkritik zur wirtschaftlichen Bewältigung der Pandemie, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich an der Stelle die Unterstützung der Unternehmenslobbyisten wieder verliere; die haben ja jetzt, was sie wollten. Aber in meinen Augen hätten die Pandemiekosten GENERELL übernommen werden müssen. Das überbürokratische System, das leider die instinktive Reaktion des deutschen Staates ist, hat hier denselben Effekt, den es in jeder Krise hat: viel zu kompliziert sein, viel zu lang brauchen, unzureichend sein.
Woher kommt dieser tief verwurzelte Glaube?
Man sagt: Wenn wir unsere Autorität verlieren, dann haben wir nicht mehr die Möglichkeit, Recht durchzusetzen, was Blödsinn ist. Die Bürgerinnen und Bürger würden es sehr wohl verstehen, wenn man sagte: Wir haben als Polizei hier einen Fehler gemacht und arbeiten das jetzt transparent auf. Das aber macht man nicht, weil man Angst hat, das Image der unantastbaren Institution zu verlieren. Um zu sagen, wir wollen kein Fehlverhalten, weder durch rassistisches Verhalten noch durch übermässige Gewalt noch durch rechtsextreme Entwicklungen, dazu bräuchte es eine Fehlerkultur. Ein Polizeiführer jedoch versteht sich als Führer und nicht als jemand, der sich um seine Untergebenen auch psychisch zu kümmern hat, der einem schwierigen Beamten sagt: «Okay, pass auf. Du bist jetzt fünf-, sechsmal aufgefallen, durch Gewalt beispielsweise. Wir müssen das angehen.»Wie könnte man das angehen?
Die typisch deutsche Reaktion ist: ein Disziplinarverfahren, das möglichst nicht publik gemacht wird. In den USA wird inzwischen eine andere Strategie verfolgt. Man hat erkannt, dass Verhalten nur durch positive Angebote geändert werden kann. Fortbildung, Coaching, Supervision, Anti-Aggressions-Training oder eine Familientherapie. Das können Sie in Deutschland vergessen. Es ist ein No-Go. Dann würde man eingestehen, ein Problem zu haben.Es geht also einfach immer so weiter?
Drei Punkte müsste man angehen, und dann könnte man schnell viel bewirken. Erstens: eine Fehlerkultur entwickeln. Fehler transparent aufarbeiten und externe Untersuchungseinrichtungen aufbauen. Zweitens: Führungskräfte sensibilisieren, so wie das in der Schweiz durchaus der Fall ist, wo man Leute von aussen holt, die eine andere Sichtweise und Sensibilität haben. In Deutschland hat ein Polizeiführer nie etwas anderes gelernt als Polizist. Er hat nie gelernt, anders zu denken als im System Polizei. Die meisten, aber zum Glück nicht alle, sind nicht sensibilisiert für Probleme, die es im eigenen Haus geben kann. (Daniel Ryser, Republic.ch)
Das ist ein super langes Interview mit sehr vielen wichtigen Punkten, ihr solltet es unbedingt ganz lesen! Ich könnte praktisch jede Antwort herausziehen und einen längeren Kommentar dazu schreiben, aber ich nehme jetzt einfach mal diesen hier. Ich tue das vor allem deshalb, weil das Grundproble – wenngleich nicht so scharf – in jeder Institution vorhanden ist. Kritik zuzulassen und Fehler einzugestehen erfordert eine entsprechende Kultur, und die wird bedauerlicherweise von den wenigsten Institutionen gepflegt.
Ich habe darüber in meinem Artikel „Vom Wert der Entschuldigung“ geschrieben, und das Thema liegt mir sehr am Herzen, weil ich dasselbe Problem in meinem eigenen Beruf immer und immer wieder erlebe. Viele Lehrkräfte (und Schulleitungen) haben ein Riesenproblem mit dem Eingestehen von Fehlern. In Unternehmen oder Institutionen sind die Führungskräfte sowieso in weiten Teilen völlig unfähig dazu, eine vernünftige Fehlerkultur zu etablieren. Da muss noch so viel passieren, aber in der Polizei ist es wegen den oben beschrieben Dynamiken ganz besonders problematisch.
Ein weiterer Beleg übrigens zu der im Interview auch geäußerten These, dass die Zurückhaltung der Polizei bei Querdenker-Demos im Gegensatz zu linken Protesten vor allem politisch beziehungsweise in der Mentalität der Polizei zu suchen ist: Die direkte Aussage eines Polizeisprechers, die Querdenker seien halt aus der „Mitte der Gesellschaft„, weswegen man nicht hart zulangen wolle, ist eine Bankrotterklärung für all jene, die immer noch versucht haben, die Fiktion einer neutralen Polizei aufrechtzuerhalten. Offensichtlich agiert die Polizei politisch (gegen links), das war bisher nur mit zwei zugekniffenen Augen zu leugnen. Interessant ist hier vielleicht auch die Vergangenheit: das einzige Mal, als die Polizei Demonstrant*innen aus der „Mitte der Gesellschaft“ so behandelte wie sie normalerweise Demonstrant*innen von links behandelt, war bei den S21-Protesten. Das Resultat war ein Regierungswechsel und eine Delegitimation der Polizei bei ihren bisherigen Unterstützerschichten. Kein Wunder fassen die die Querdenker*innen nicht an. Nur: Mit Rechtsstaat hat das alles nichts zu tun.
5) Post-Merkel Germany May Be Shaded Green
But these are not the Greens of the Cold War, a radical party appalled by the nuclear standoff between the Soviet Union and the United States over a divided Europe. The Greens are now centrist, eager for power, with a surprisingly gimlet-eyed view of international affairs and of how Germany needs to change without alienating big business. […] Jana Puglierin, the director of the European Council on Foreign Relations in Berlin, said: “The Greens are the only party that can rock the boat a bit, especially on China and Russia. They will strike a better balance between the economy and human rights.’’ […] Led by two pragmatists, or “realos,” the German Greens honor their “fundis,” the more idealistic among them, without allowing them to marginalize the party, as in the past. […] Even Mr. Röttgen, the Christian Democrat who is chairman of the Bundestag foreign policy committee, said that “however embarrassing for me, the Greens have the clearest stance of all the parties on China and Russia.” They would make “a much more realistic and preferable partner for us on foreign policy,” he said. Wolfgang Streeck, a leftist German economist, once famously called the Greens “the vegetarian section of the Christian Democrats,” noted Hans Kundnani of Chatham House, a research organization based in London. In the way the party criticizes Russia and China on the grounds of democracy and human rights, Mr. Kundnani said, it is similar to American neoconservatives. “The German Greens are now a pragmatist centrist party,” said Ulrich Speck of the German Marshall Fund in Berlin. “They want to be part of the government and play a big role, with a focus on greening the economy. They think there are enough in business who understand that this is the future.” (Steven Erlanger, New York Times)
Ich verlinke diesen Artikel hier hauptsächlich, um zu zeigen, wie sehr die Wahrnehmung einiger Kommentatoren (bewusst ungegendert) hier im Blog eine Außenseitermeinung darstellt. Die Grünen sind eine Mitte-Links-Partei, die ungefähr so radikal ist wie die CDU, FDP oder sie SPD auch. Die maßlosen Vorwürfe von Radikalismus, die hier immer wieder aufgebracht werden, sind schon fast neurotisch.
Besonders hingewiesen sei noch einmal auf den Aspekt der Außenpolitik. Es ist total verrückt, dass die Partei, bei der 1999 noch Farbbeutel wegen des Kosovokriegs flogen, nur 20 Jahre später die Partei in Deutschland ist, die am geschlossensten hinter dem 2%-Ziel und der NATO steht. Selbst auf die CDU ist da ja seit der Wahl Laschets nur noch bedingt Verlass. Die SPD und FDP sind ja völlig abgerutscht. Das ist komplett absurd.
6) When should the U.S. have left Afghanistan?
Unlike the wars in Vietnam or Iraq, the war in Afghanistan was not a war of choice. America had been attacked, in a spectacular fashion, and the organization loudly claiming responsibility was sanctioned, protected, and supported by the Taliban government. We had to fight — and we had to fight to win. But achieving anything that could be plausibly described as victory posed the same challenges as those other wars: defeating a ruthless and determined insurgency in a country with which we share little cultural affinity on behalf of a corrupt and incompetent government of questionable legitimacy in the eyes of its people. We simply don’t have a very good track record of winning such wars — and neither does anyone else. In other words, in retrospect we could have left Afghanistan at any time, and in retrospect there was no good time to leave. The original mission — which was an obvious, reasonable, and popular response to al Qaeda’s attacks — was never realistically likely to be achieved. We can investigate all the mistakes that were made — and there were many — but if we did everything right, we still probably would have failed. And yet, in this case, it’s inconceivable that we wouldn’t have tried. That should be a very sobering lesson for the stewards of American power. If history is any guide, we probably won’t learn it. (Noah Millmann, The Week)
Der Afghanistan-Krieg ist aussichtlos, seit über 15 Jahren, und irgendwann müssen wir das Land verlassen. Das ist auch seit 15 Jahren klar. Dass es dafür keinen geeigneten Zeitpunkt gab genauso, und dass es nie einen geben wird ebenso. Man muss es Biden hoch anrechnen, dass er bereit ist, den gewaltigen politischen Preis zu bezahlen, den der Abzug kosten wird. Denn dass nach dem NATO-Abzug die Taliban das Land zurückerobern werden ist kein Szenario, sondern Gewissheit. Afghanistan stehen Massaker und blutige Unterdrückung ins Haus. Es ist ein Desaster mit Ansage.
Akzeptabel finde ich den NATO-Abzug unter zwei Bedingungen:
Erstens muss die NATO alles afghanische Personal inklusive Familien evakuieren, das mit ihnen zusammengearbeitet hat. Allzu oft haben westliche Armeen das bei ihren Abzügen nicht getan (man denke an die USA in Südvietnam), und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Leute von den Taliban alle ermordet werden würden. Ohne dieses Personal wäre der Einsatz nicht möglich gewesen. Sie haben ihr Leben riskiert, um die westliche Vision Wirklichkeit werden zu lassen; wir schulden ihnen Asyl. In dem Zusammenhang bin ich einmal mehr positiv von Annegret Krampp-Karrenbauer überrascht, die sich mehr und mehr zum Star des Kabinetts Merkel IV entwickelt und die bereits entsprechende Maßnahmen ergreift und klar als Bedingung formuliert. Ist ihre Qualität als Verteidigungsministerin eine Folge des verlorenen Machtkampfs, weil sie nichts zu verlieren hat, oder ging mit ihrem Scheitern als CDU-Vorsitzende wirklich etwas verloren? Wir werden es nie erfahren. Wobei, angesichts der akutellen Alternative wissen wir es eigentlich.
Zweitens müssen alle Abschiebungen nach Afghanistan, die bereits vorher angesichts der Sicherheitslage eine absolute Travestie waren, sofor gestoppt werden. Angesichts des zu erwartenden Sieg der Taliban und den ebenfalls zu erwartenden Massakern wäre es nahe am Mord, jetzt noch Flüchtlinge zurück nach Afghanistan zu schicken.
7) „Etwas reißt“ (Interview mit Julia Friedrichs)
Den größten Druck in dieser Situation muss die arbeitende Bevölkerung aushalten, die „Working Class“, für die es Ihrer Ansicht nach gar keinen richtigen deutschsprachigen Namen – und somit auch keine gemeinsame Identität – mehr gibt. Zeigt sich in dieser Sprach- und Identitätslosigkeit genau das Problem?
Absolut. Die Menschen, die ich für das Buch getroffen habe, begreifen ihr Ringen um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen als Einzelkampf. Es gibt kein geteiltes Bewusstsein dafür, dass man als nicht vermögende, arbeitende Bevölkerung in einer gemeinsamen Lage ist, aus der man sich auch gemeinsam herausbewegen müsste. Und ich glaube, das fängt tatsächlich bei der Sprachlosigkeit an. Der Begriff der „Arbeiterklasse“ ist in Deutschland bereits stark besetzt und verbraucht. Man spricht stattdessen von den „einfachen Leuten“ oder der „hart arbeitenden Mitte“. Mit der auch in den angelsächsischen Ländern unverbrauchteren Bezeichnung der „Working Class“ folge ich den US-Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, die damit Menschen meinen, die allein von ihrer Arbeit leben müssen. Das betrifft in Deutschland immerhin 50 Prozent der Bevölkerung. Die Definition hat den Vorteil, dass sie auch Menschen ohne Vermögen umfasst, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht arbeiten, arbeiten können oder dürfen.
Die Working Class, die Sie porträtieren, das sind Reinigungskräfte, Büroangestellte, Freiberufler. Wie kann eine so diverse Gruppe eine gemeinsame Klassenidentität entwickeln?
Am Ende teilen diese Menschen eben doch dasselbe Schicksal. Für sie alle ist es in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schwieriger geworden, von ihrer Arbeit zu leben, geschweige denn dabei noch etwas anzusparen. Die prekarisierenden Veränderungen am Arbeitsmarkt – Lohnstagnation, Wegfall von Festanstellungen, Outsourcing, fehlende Anerkennung – sind etwas, das von Ungelernten bis hin zu exzellent Ausgebildeten im Grunde alle verbindet. Daher wäre es auch möglich, ein gemeinsames Bewusstsein aufzubauen, je mehr man über diese Dinge spricht und die verbindenden Mechanismen aufzeigt. (Tom Wolfahrt, Freitag)
Ich lasse jetzt mal stehen, ob der Begriff „working class“ in Deutschland besser als der der Arbeiterklasse funktionieren kann, aber die Analyse ist solide. Ein ziemlich großer, wenngleich sicherlich nicht mehrheitlicher Sockel der Menschen in Deutschland lebt außerhalb jeder realistischen Reichweite eines Mittelschichtenstils, und diese ökonomische Deprivation ist so ziemlich das einzige verbindende Element. Das aber ist genau das Problem, denn dass diese disparate, heterogene Gruppe irgendwie ein gemeinsames Bewusstsein und Willen zum Handeln entwickelt scheint mir ein linkes Hirngespinst zu sein, das zudem noch von schlechten Analysen behindert (siehe Fundstück 10).
8) The One Argument Conservatives Have Made Against Every New Social Program
The reason this critique is likely to pop up again and again is that conservatives have made it against every new social benefit. Whatever next step in the welfare state was never just a single step but an unstoppable slide down an icy slope toward socialism. […] What’s notable about these critiques is, first, they assume a political dynamic that is little in evidence. There are instances where the establishment of a new benefit creates political demand for still more benefits. (The paradigmatic example is Franklin Roosevelt’s New Deal, which seemingly established a constituency for bigger government but is also historically sui generis.) But it is just as common for welfare-state expansions to sate voters’ appetites. The establishment of Medicare sawed off a potential constituency for universal health care. The most potent argument Republicans mounted against Obamacare was that it threatened Medicare; angry voters in 2009 were appearing at rallies demanding the government keep its hands off their Medicare. Every other industrialized democracy in the world has implemented universal health insurance, yet none of them has created a permanent left-wing majority. Indeed, parties on the left have been in broad retreat across the western world. If anything, the Republican party has performed unusually badly in comparison with other parties of the right; if America’s meager welfare state is not the cause, it certainly isn’t helping much. […] This insistence on turning every specific programmatic design question into an abstract conflict over socialism is one of the defining pathologies of the American right. (Strain is one of the more thoughtful conservatives, which makes his endorsement all the more revealing.) A mature governing party can make practical distinctions between market failures that require correction and government overreach. The conservative movement has never developed any interest in doing so. The Republican party won’t be able to govern until it lets go of its fear that any new social benefit would send us hurtling down the road to serfdom. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Das ist natürlich nichts Neues bei den Republicans. Es macht mich aber neugierig: diese Argumentation ist schon spezifisch amerikanisch, oder? Konservative und Liberale lehnen natürlich auch in Europa grundsätzlich erstmal neue Sozialprogramme ab, aber diese Argumentation von wegen „sonst kommt Sozialismus“ sieht man hierzulande eher weniger, da wird stärker auf die Finanzierbarkeit und solche policy-Argumente Wert gelegt. Ich mag mich aber irren, bitte gerne kommentieren!
Das gleiche Argument kann man übrigens in Deutschland auch für Linke (und LINKE) beim Thema Auslandseinsätze bzw. Eindämmung gegen Russland anbringen. Denn jede Schraube, die für die Bundeswehr bestellt wird, ist für die LINKE ja gleich der Beweis für die Militarisierung Deutschlands. Das ist genauso schwachsinnig. Und etwas, das die amerikanische Linke nicht macht. Merkwürdige Spiegel-Symmetrie, die da läuft.
9) Annalena Baerbock: the woman who could become Germany’s first Green chancellor
Whether Baerbock or Habeck emerges as candidate, the two are expected to front the party’s campaign jointly. It could get rough. The better the Greens do in the polls, the more the CDU/CSU and FDP will accuse them of being in league with radical leftists and the more the SPD will accuse them of being bourgeois do-gooders who do not get social justice. Still, that all three mainstream rivals will be led into the election by rather underwhelming white men may weaken their attacks against a Green party capable of radiating freshness and change. The aftermath of the vote on 26 September will, as ever, come down to the numbers. It may be that the only arithmetically and politically viable coalition will be one led by the CDU/CSU, with the Greens as partners. The price of their support would likely be the incorporation of large parts of their landmark environmental and investment agenda into the coalition agreement, and several major ministries; probably the powerful finance ministry, plus perhaps a new climate mega-ministry and the foreign ministry. Baerbock would almost certainly get the biggest or second-biggest of these portfolios. That is the most likely outcome. But increasingly conceivable, at least, is an election result in which the CDU/CSU, wracked as it is by corruption scandals, disputes over Germany’s pandemic response and weariness after the long Merkel years, falls far enough that the other parties can oust it. This could mean a government of both the Greens and the SPD plus one of the FDP or (less likely) the socialist Left party. Neither the FDP nor the Left would make an easy negotiating or governing partner, but informal soundings via back channels have begun. The result, assuming the Greens are the largest of these other parties, would be a chancellor Baerbock or a chancellor Habeck; a first in the history of the federal republic. A party colleague predicts a Baerbock chancellorship would be “European and transatlantic” in essence and that: “The expectations and ambition level would be massive. There would be a lot of attention to how she handled ethical and moral questions.” (Jeremy Cliffe, The New Statesman)
Angesichts der heutigen Nachrichten von der offiziellen Kandidat*innenkür ist dieses lange, ausführliche und gelungene Porträt Baerbocks im New Statesman noch aktueller als zu dem Zeitpunkt, als ich begann den Artikel zu schreiben; es sei daher empfohlen. Ich möchte nur noch mal den Punkt herausgreifen, dass die Grünen die Partei sind, die der CDU gerade am nächsten steht – was, wie in Fundstück 5 angesprochen, der Wahrnehmung mancher doch deutlich widerspricht. Die Koalitionsdynamiken haben wir ja bereits an anderer Stelle diskutiert.
Sahra Wagenknecht scheint mir vielmehr aus der Zeit gefallen zu sein. Es wirkt, als wäre sie irgendwo zwischen den Achtzigern und frühen Neunzigern stecken geblieben. Sie versteht sich als traditionelle Linke; als konservative Linke, wenn man so will. Geboren und sozialisiert im „Arbeiter- und Bauernstaat“, dreht sich bis heute alles bei ihr um die Arbeiterklasse. Arbeiterinnen und Arbeiter machen gegenwärtig noch ein Viertel aller Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe aus. Ihre Zahl ist über die Jahrzehnte massiv geschrumpft. 75 Prozent ernährt der Dienstleistungssektor, rund ein Prozent die Landwirtschaft. […] In ihrer Fixierung auf Arbeiter richtet die 51-Jährige ihre Ansprache primär an Bundesbürger ohne Zuwanderungsgeschichte. Arbeiter, die seit Mitte der 50er eingewandert sind, so wie meine Eltern, die als „Gastarbeiter“ den Rücken krumm gemacht haben, hat sie nicht im Blick. Sie adressiert sie jedenfalls mit ihrer Wortwahl nicht, obwohl bereits mehr als 26 Prozent aller Arbeiter einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Der gesellschaftliche Wandel ist augenscheinlich an ihr vorbeigegangen. […] Die klassischen Arbeiter sind über die Jahrzehnte des Strukturwandels selbst zur Minderheit geworden und haben sich von SPD und Linken abgekoppelt. Die meisten fühlen sich bei anderen Parteien besser aufgehoben – und das gilt nicht nur für die AfD; vor allem CDU/CSU und die Grünen formulieren selbstverständlich ebenfalls Angebote an Arbeiter. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wurde die AfD unter ihnen zwar die stärkste Kraft, die Linke jedoch rangierte auf dem letzten Platz. Mit mageren drei Prozent. Sogar noch deutlich hinter der FDP. Ein ähnliches Bild für die Linke ergibt sich in Rheinland-Pfalz. Es ist wichtig, sich für Arbeiter, Beschäftigte im Niedriglohnsektor und Arbeitslose in Deutschland politisch zu engagieren. Darüber hinaus fühlen sich benachteiligte Deutsche ohne sogenannten Migrationshintergrund nach meinen Beobachtungen zu Recht häufig übergangen und in ihren Nöten, Ängsten und Sorgen alleingelassen. Das müssen sich alle Parteien selbstkritisch vorhalten. Diese Gruppen brauchen eine politische Vertretung. Dass sich Sahra Wagenknecht für sie einsetzt, ist also gut und richtig. (Lamya Kaddor, T-Online)
Wie bereits in den vorherigen Fundstücken angesprochen scheint Wagenknecht tatsächlich vor allem nicht in der Lage, ihre alten Denkmuster zu überwinden und arbeitet schlicht in veralteten Strukturen. Der Gegensatz zwischen den Anliegen von Minderheiten und der „Arbeiterklasse“ ist künstlich und basiert auf der fixen Idee, die Arbeiterklasse sei a) ein homogener Block und b) ticke links. Aber das ist offensichtlich beides nicht mehr der Fall, und dass Wagenknecht das nicht sieht, bedingt ihre elektorale Irrelevanz. Wie ich bereits im letzten Vermischten schrieb, sie ist eine miese Politikerin. Eigentlich gehört sie in einen Think-Tank.
11) Müssen wir uns bei Merkel entschuldigen?
Müssen wir uns bei Frau Merkel entschuldigen? Ein paar Gedanken über die Verantwortung der Medien in dieser Krise. […] Ich würde die These aufstellen, dass das zögerliche Vorgehen in der zweiten/dritten Welle auch auf den Gegenwind aus den Medien – Teilen der Medien – zurückzuführen ist. Wir haben dazu beigetragen, dass nicht früher schärfer eingegriffen wurde und wir jetzt im Dauerlockdown sind. Wir schaffen das kommunikative Umfeld, in dem Politiker handeln.Insofern tragen wir eine Verantwortung. Das bedeutet nicht, dass es einen Meinungskorridor gäbe, aber dass wir uns bei dem was wir schreiben den Stand der Forschung berücksichtigen.Insofern tragen wir eine Verantwortung. Das bedeutet nicht, dass es einen Meinungskorridor gäbe, aber dass wir uns bei dem was wir schreiben den Stand der Forschung berücksichtigen. Und in dieser Phase der Krise haben sich die Modelle der Epidemiologen einfach als zuverlässig erwiesen. Da kann man 1000 x Streeck et al featuren – es stimmt einfach nicht was sie sagen und das kann man wissen. Insofern wir das mit Verweis auf Binnenpluralismus doch tun tragen wir dazu bei, dass sich die Krise länger hinzieht. Binnenpluralismus ist hier nicht die relevante journalistische Kategorie, das wäre Wahrheit. Und Wahrheit wird approximiert durch Wissenschaft. Man würde ja auch nicht im Krieg eine Zeitung haben wollen die schreibt die Panzer stehen erst in Moskau wenn sie schon in Dresden stehen. Deshalb ja, vielleicht müssen wir uns doch entschuldigen. (Mark Schieritz, Twitter)
Sorry, Herr Schieritz, aber nein, müssen wir nicht. Die (Selbst-)Kritik, dass die unterirdische Berichterstattung in den Medien zu dem Druck beigetragen hat, unter dem die Politik ihre abartig schlechten Entscheidungen getroffen hat, unterstreiche ich voll und ganz. Aber genauso, wie ich nicht bereit bin, die Wählenden von ihrer Verantwortung zu entbinden, genauso wenig finde ich es akzeptabel, jemand, der einen Amtseid geleistet hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und der Regierungsverantwortung übernehmen will, verantwortungsfrei zu stellen, als ob es nicht eine (wenngleich machtpolitisch und menschlich nachvollziehbare) Entscheidung wäre, diesem Druck nachzugeben. Nein, wer Kanzler*in sein will, muss nötigenfalls den Druck aushalten und gegen den Strom schwimmen. Das ist inakzeptabel.
„einiger Kommentatoren (bewusst ungegendert)“
Schreib doch einfach „männlicher Kommentatoren“ wenn Du deren Geschlecht unbedingt betonen möchtest (woher kennst Du das eigentlich bei Leuten ohne Klarnamen?).
So viel zum Thema „beilaüfig“ 😉
Weil ich die Klarnamen der Leute kenne. Und du Korinthenkacker hättest mich sofort kritisiert hätte ich die Einschränkung nicht gemacht, also tu nicht so scheinheilig! 😀
Verstehe.
Nein, bei männliche Kommentatoren hätte ich nichts gesagt 🙂
Aber eine Einschränkung ist sowohl wenn du sonst nicht genderst (dann weiß man nicht, ob du es generisch meinst oder nicht) als auch wenn du sonst genderst (dann weiß man nicht, ob du das Innen bewusst oder aus Versehen weg gelassen hast) zum eindeutigen Verständnis wichtig.
Bleibt die Frage, warum das Geschlecht der Kommentatoren überhaupt eine Rolle spielt?
Tut es nicht. Ich hatte nur erwartet, dass du mich darauf hinweist, weil es in dem Fall nur Männer sind. ^^ Da bist du selbst Schuld. 😛
Guilty as charged 😉
zu 1)
tja, Stefan, das haste gerade was gelernt, und es ist schon wieder anders
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-union-einigen-sich-auf-lockerung-bei-ausgangssperren-a-49196938-adcb-4db8-8bd0-8e4edaf02177
1) Warum ich meine eigenen Coronaregeln mache
Das gilt auch in anderen Ländern. Die Politik hat die Menschen verloren. Man kann viele Menschen sehr kurzfristig auf ein großes Ziel einschwören, verbunden mit persönlichen Entbehrungen. Man kann auch eine verschworene Truppe für eine längere Zeit auf ein großes Ziel vergattern. Man kann aber nicht vielen für lange Zeit Entbehrungen zumuten, noch dazu ohne klare Zieldefinition. Dass unsere Politiker diese einfachen Regeln der Menschenführung nicht beherrschen, ist erschreckend.
3) Die unwürdige Larmoyanz der deutschen Wirtschaftslobbyisten
Das Problem ist nicht die Testpflicht für Unternehmen, was die meisten längst freiwillig tun. Das Problem ist die fehlende Testpflicht für Arbeitnehmer, die sich in großer Zahl Tests verweigern.
5) Post-Merkel Germany May Be Shaded Green
Ausgerechnet die linksliberale New York Times als Leumund für die angebliche Mittigkeit einer Partei heranzuführen, die in ihrem Wahlprogramm darauf baut, dass alle so denken wie sie selber – sonst könne sie es nicht umsetzen (Stichwort: Absolutismus), ist nicht gerade überzeugend. Das ist übrigens die Zeitung, die zuletzt ein paar prominente Mitarbeiter verloren hat, weil diese mit dem sehr einseitigen, um nicht zu sagen Cancel Culture-Kurs der Zeitung nicht weiter mittragen wollen.
6) When should the U.S. have left Afghanistan?
Eine sehr widersprüchliche Argumentation. Wenn Afghanistan immer noch so instabil ist, warum überlässt man es dann sich selber? Wenn wir aus dem Land abziehen können, dann können wir auch dahin abschieben.
Ich habe mich zuletzt mit ein paar Afghanen unterhalten und darin Bestätigung erhalten. Die Clangesellschaft ist innerlich noch deutlich verfeindet, es braucht einen neutralen Puffer / Schiedsrichter, der die gewaltbereiten Parteien auseinanderhält wie der Lehrer auf dem Schulhof die Raufbolde. Nur so lässt sich eine Befriedung des Landes erreichen. Die Afghanen selbst sehen die UN-Truppen als vorteilhaft.
Die Taliban wiederum sind nicht die Gotteskrieger von 2001. Deswegen werden sie auch in den gesellschaftlichen Diskurs eingebunden.
10) Aus der Zeit gefallen
Die Arbeiterklasse ist nicht automatisch links oder rechts. Aber linke Parteien haben die Arbeiter immer als ihre bevorzugte Wählergruppe gesehen, denen es zum gesellschaftlichen Aufstieg zu verhelfen gilt. Auch heute noch behaupten das SPD und Linkspartei und auch Annalena Baerbock widmete den sozial Benachteiligten das erste Kapitel ihrer Kandidatenrede. Da muss man dann schon hinschauen, ob solche Parteien, die so werben, tatsächlich erreichen, was sie angeblich erreichen wollen.
1) Ja.
3) Ich denke da wird von beidem was dabei sein. Aber damit sind wir wieder bei 1) Schlechte Politik.
5) Wir sind da jetzt 20 Jahre. Der Staat wird sofort kollabieren wenn wir weg sind. Warum sollte das in nochmal 20 Jahren besser sein?
10) Korrekt.
@ Stefan Pietsch 19. April 2021, 13:11
10) Aus der Zeit gefallen
Aber linke Parteien haben die Arbeiter immer als ihre bevorzugte Wählergruppe gesehen, denen es zum gesellschaftlichen Aufstieg zu verhelfen gilt.
Ja. Auch eine Art intellektuelle Arroganz der Linken zu glauben, dass gerade sie am Besten wissen, was die „Arbeiterklasse“ will und braucht.
(Nur zum provozieren: Mit der gleichen Denke – den Wilden Bewusstsein und Kultur bringen – waren viele Kolonial“herren“ in der dritten Welt unterwegs)
man es stets besser weiß als seine Schäfchen, was die wollen und brauchen. Erinnert mich manch.
(((Grrrr . das nach der Klammer gehört da natürlich nicht mehr hin.
Sorry )))
Kolonialherren ist mir zu hart, aber ein gewisser Paternalismus ist schon dabei.
Aber gilt das nicht für jede Partei? Parteien die sich um „die Mitte“ kümmern wollen sind dieser Gruppe gegenüber paternalistisch? Wo ist die Exklusivität Linke/Arbeiterklasse?
Das „wir wissen was für euch am besten ist“ ist bei den Arbeiter-Klasse-Fans schon besonders ausgeprägt. Denk nur mal an dieses „gegen ihre Interessen wählen“, was gerade aus der Bernie-/Corbyn-Ecke immer gerne kommt.
Das die, zum Beispiel im Falle Trump/Republikaner, durchaus auch gegen ihre materiellen und gesundheitlichen Interessen wählen ist aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen.
Genau, gegen ihre MATERIELLEN Interessen. Aber nicht gegen ihre Interessen, period-
Aber genau so habe ich solche Aussagen auch immer interprätiert, das ist schon auch ein bisschen ‚bad faith reading‘ Deinerseits, auf welche ‚Interessen‘ sollte es sich denn sonst beziehen?
Ich würde aber auch noch ’stated interests‘ / erklärte Ziele hinzufügen. Denn die ökonomischen Interessen werden ja ständig betont. Und diejenigen die ‚wählen gegen ihre Interessen‘ für falsch halten, sind ja diejenigen die von den erklärten Interessen abweichende Interessen annehmen / unterstellen. Das ist zwar völlig legitim, mache ich bei Wagenknecht ja umgekehrt auch. Nur werden diese angenommenen Interessen eben nicht nur nicht erklärt, sondern sogar explizit, brüskiert, empört mit beiden Händen von sich gewiesen.
Wieso soll diejenige arrogant und überheblich sein, welche die erklärten Interessen für die tatsächlichen Interessen hält und nicht diejenige die Interessen annimmt von denen sich explizit distanziert wird?
Das ist wahlweise schizophren oder absurd…
Ist das aber nicht generell ein Problem des Wählens? Das läuft meiner Meinung nach weitaus irrationaler ab als allgemein angenommen.
1) Warum ich meine eigenen Coronaregeln mache
ich habe inzwischen meine eigenen Coronaregeln gemacht. Und zwar aus Notwehr. Die gerade amtlich gültigen Coronaregeln sind in den Hintergrund getreten, weil es fast unmöglich geworden ist, der Komplexität und dem aberwitzigen Umfang samt der ständigen Änderungen zu folgen. Und wirklich unmöglich, Konsistenz, Logik und Vernunft darin zu erkennen.
Genau das! Mein Reden seit längerem.
3) Die unwürdige Larmoyanz der deutschen Wirtschaftslobbyisten
Wenn der Staat im Rahmen der Pandemie so etwas wie die Testungen verlangt, hat er auch die Infrastruktur zu stellen beziehungsweise die Kosten zu übernehmen.
Zustimmung.
Ergänzend sei vielleicht noch erwähnt, dass nach einem guten Jahr Corona die Test-Strategie der Bundesregierung immer noch nicht steht, und dass nach meinem Kenntnisstand bislang nicht vorgesehen ist, die Ergebnisse der Unternehmenstests da einzubinden.
Aber: Das gilt halt immer, und nicht nur dann, wenn die Unternehmen versuchen wollen, die Kosten ihres Geschäfts auf die Allgemeinheit umzulegen.
Es ist erklärtes Ziel des Staats, „Gerechtigkeit“ herstellen zu wollen. Wenn jeder, der sich irgendwie benachteiligt fühlt, Laut geben darf, warum nicht auch die Wirtschaft?
Das überbürokratische System, das leider die instinktive Reaktion des deutschen Staates ist, hat hier denselben Effekt, den es in jeder Krise hat: viel zu kompliziert sein, viel zu lang brauchen, unzureichend sein.
Absolut richtig!
5) Post-Merkel Germany May Be Shaded Green
Die Grünen sind eine Mitte-Links-Partei, die ungefähr so radikal ist wie
die CDU, FDP oder sie SPD auch. Die maßlosen Vorwürfe von Radikalismus, die hier immer wieder aufgebracht werden, sind schon fast neurotisch.
Radikal …, maßlos …, neurotisch …? Und Du hast kein Problem mit Deinen Formulierungen, aber damit, dass man die Partei der Grünen „links“ nennt?
Ich sehe Baerbock und Habeck, sehe Özdemir, Palmer oder Kretschmann.
Es gibt eine klare Mitte-links-Kommunikation durch diese Führungs“kräfte“. Aber wenn Du in die Partei hineinhorchst, findest Du diese Stimmung bzw. Grundtendenz nur bedingt wieder; die parteiinternen Forderungen durch die Basis sind fast durch die Bank weg links, zumindest deutlich mehr links als grün.
Ein wenig wie bei der SPD, deren Führung (nicht Sakia Esken; das kann man ja nicht Führung nennen) in der Regel einen pragmatischeren Einschlag hat als die Mitglieder. Ähnlich wie in der CDU, wo sich die Großkopferten – etwa Angela Merkel, Norbert Röttgen, Peter Altmaier, Armin Laschet, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Ralph Brinkhaus –moderater geben als die spürbar konservativere Basis.
Besonders hingewiesen sei noch einmal auf den Aspekt der Außenpolitik. Es ist total verrückt, dass die Partei, bei der 1999 noch Farbbeutel wegen des Kosovokriegs flogen, nur 20 Jahre später die Partei in Deutschland ist, die am geschlossensten hinter dem 2%-Ziel und der NATO steht.
Ist schon geil … Aber mach dazu mal eine Mitglieder-Befragung 🙂
6) When should the U.S. have left Afghanistan?
They should never have gone there
Erstens muss die NATO alles afghanische Personal inklusive Familien evakuieren, das mit ihnen zusammengearbeitet hat. Allzu oft haben westliche Armeen das bei ihren Abzügen nicht getan (man denke an die USA in Südvietnam), und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Leute von den Taliban alle ermordet werden würden.
Einverstanden. AKK versucht das gerade mit unseren Helfern. Ich drücke ihr die Daumen.
11) Müssen wir uns bei Merkel entschuldigen?
ogottogottogott … verdreht Welt….
3) Darf sie ja.
5) Ich hab kein Problem die Grünen links zu nennen sondern damit: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiCl5WVq4rwAhVOO-wKHX2oArUQFjAAegQIBhAD&url=http%3A%2F%2Fwww.deliberationdaily.de%2F2019%2F09%2Fgruene-kreuzritter%2F&usg=AOvVaw0zyTPTBc2XWvtyCKe3Xixl Das WAR maßlos.
6) Jein. Osama erledigen war schon gut.
11) Ja.
@ Stefan Sasse 19. April 2021, 14:45
zu 5)
Ich hab kein Problem die Grünen links zu nennen sondern damit: …
Ich verstehe die Abneigung gegen die Rhetorik, aber da stehen viele zutreffende Sachen drin. Schade, dass Stefan Pietsch sich nicht immer die gleiche Mühe bei anderen Parteien gibt 🙂
zu 6)
Jein. Osama erledigen war schon gut.
Den hatten die Taliban im Vorfeld zur Auslieferung angeboten, aber die USA bevorzugten den Krieg.
6) Seriously? Da schau mal das wusste ich gar nicht. War das ernstzunehmen?
@ Stefan Sasse 20. April 2021, 07:49
6) Seriously? Da schau mal das wusste ich gar nicht. War das ernstzunehmen?
Ich denke, ja. Bin Laden hatte in Afghanistan um Asyl gebeten und erhalten unter der Bedingung, die Füße unter dem Tisch zu halten. 9/11 war nicht gerade das, was die Taliban unter „Füße unter dem Tisch halten“ gemeint hatten. Dazu war Bin Laden „Ausländer“, kein Afghane. Hätte ihnen nicht sonderlich weh getan, den auszuliefern.
Und Bin Laden wäre nie gefunden worden, hätten die Pakistani nicht irgendwann den USA einen Tipp gegeben.
Aber Du kennst ja Dick Cheney.
Oh Mann. Ein Grund mehr, die aktuelle Rehabilitierung von Bush junior so furchtbar zu finden. Der war echt schlimmer als Trump.
Nicht ernsthaft. Bush hatte in extrem schweren Zeiten die Präsidentschaft inne. Und er war Transatlantiker. Dazu hat er seine Partner noch höflich und respektvoll behandelt. Das alles gilt für Trump nicht.
Völlig korrekt. Aber Bush hat mit dem „War on Terror“ einen weltweiten Schaden angerichtet, an den Trump nicht auch nur im Ansatz rankommt. Das ist bis heute nicht auch nur ansatzweise wieder gutgemacht. Sofern die Republicans nicht 2022 und 2024 wieder gewinnen, wird Trump denke ich viel mehr Episode bleiben als Bush.
Bush hat auch positive Seiten gehabt, etwa bei Medicare D oder der Grundidee des „compassionate conservatism“. Gar keine Frage. Aber Patriot Act, War on Terror…da kommt Trump nicht ran. Nicht mal die Staatsfinanzen hat er so nachhaltig zerrütten können wie Dubbya, und er hat sich echt Mühe gegeben.
Hätte ein anderer Präsident nicht einen „War on Terror“ ausgerufen? Unter dem Druck hätte jeder gestanden nach dem an 9/11 so viele Menschen in den USA umgekommen sind wie seit Pearl Habor nicht mehr.
Den Einsatz in Afghanistan hätte jeder Präsident damals machen müssen. Ebenso die organisierte Jagd auf Qaida-Terroristen. Auf das Konto Bush gehen damit der Irakkrieg, Guantanamo, die Aufhebung des Verdikts zu Folter. Keine Frage, sehr viel. Die letzten beiden Punkte sehe ich relativ. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies auch ein demokratischer Amtsinhaber hätte tun müssen, sehe ich je nach Auslegung zwischen 25 und 75 Prozent.
Bleibt der Irakkrieg. Dieser hat aber weit weniger Todesopfer gefordert als der Bürgerkrieg in Syrien, den Obama mit seiner Passivität erst angestachelt und Chemiewaffeneinsätze geduldet hat. Trump hat das fortgesetzt, der Brutalität der syrischen wie russischen Regierung erst freies Geleit gegeben und langjährige Verbündete fallengelassen. In die Zeit von Trump fällt auch die Wandlung der Türkei in eine Diktatur.
Ist Unterlassen genauso schlimm wie Agieren? Manchmal schon. An der Zahl der Toten gemessen hat Trump nicht wenig Blut an den Händen. Was eine konsequente Position bewirken und welches Leid verhindert werden kann, zeigt die Biden-Administration in diesen Tagen: Nachdem Putin an der Ostgrenze der Ukraine das größte Truppenkontingent seit Jahrzehnten zu einem angeblichen Manöver zusammenzog, ließ der US-Präsident keinen Zweifel, dass bei einer Verletzung der Grenzen eine sehr harte Reaktion erfolgen würde. Gestern erklärte Putin den Rückzug der Truppen. Mit der mächtigsten Militärmacht der Welt legt sich der russische Präsident nicht an. Obama dagegen hat gekniffen, als Assad die von ihm gezogenen roten Linien überschritt. Das allein hatte den Tod vieler Syrer zur Folge.
Zu den Schulden: Bush regierte acht Jahre in Kriegszeiten, Trump nur vier in Friedenszeiten. Bush steigerte den Schuldenstand der USA von 5,7 Billionen US-$ auf 10,0 Billionen US-$. Unter Obama ging es weiter rauf auf 19,6 Billionen US-$ und nun unter Trump auf 26,9 Billionen US-$.
Aber: Trumps Gesamt-Steigerungsrate betrug 38%, Bush lag bei 77%. Der absolute Schuldenkönig dagegen war Obama mit einem Plus von 95%. Unter Bush legte das Pro-Kopf-Einkommen um 33% zu, Trump schaffte einen Zuwachs von knapp 15%. Und Obama? Schlecht, der schaffte gerade in acht Jahren eine Steigerung des durchschnittlichen Einkommens um gerade 20%. Die Einkommensungleichheit hat übrigens eher weiter abgenommen, die Armutsquote ist mit um 0,175 – 0,178 ziemlich stabil.
Rein von den ökonomischen Daten ist also Obama der Loser in dieser Reihe.
Selbstverständlich! Aber nicht jeder Präsident hätte danach den Irak überfallen. – Ich arbeite diese These in meiner neuen Artikelserie deutlich ausführlicher aus.
Ich wehre mich etwas gegen „tun müssen“; die Wahrscheinlichkeit, dass er es getan HÄTTE, würde ich ähnlich taxieren (wobei 25-75% natürlich ein extrem weites Feld ist).
Ich würde Trump nicht die Entwicklungen in der Türkei vorwerfen wollen. Er hätte gerne mehr gegenhalten können, aber da haben die USA praktisch keinen Einfluss. Das sollte man nicht überschätzen. Ähnliches gilt auch für den syrischen Bürgerkrieg, der wäre auch ausgebrochen ohne dass die USA rhetorisch gegen Assad geschossen haben. Der Irak war demgegenüber mutwillig und AUSSCHLIESSLICH auf die Handlungen der USA zurückzuführen. Deswegen mache ich da so einen großen Unterschied.
Ich bin sehr unsicher bezüglich Syrien, muss ich zugeben. Ich sehe auf der einen Seite völlig deine Position, auf der anderen Seite hätte das aber auch alles noch schlimmer machen können. Schwer zu sagen. Ich lass mich da gerne überzeugen, aber ich bräuchte solidere Argumente. Deine Deutung der Ukrainekrise halte ich in Grundzügen für korrekt, aber in der Beurteilung übertrieben.
Da Obama derjenige Präsident war, in dessen Amtszeit die Finanzkrise fiel, sind die Zahlen auch wenig verwunderlich.
Das lasse ich ja absolut gelten, muss gelten: niemand außer Bush hätte den Irak überfallen.
Ich war in den Nullerjahren oft in den Vereinigten Staaten, 9/11 habe ich das Finanzchef eines an der amerikanischen NASDAQ notierten, israelischen Unternehmens erlebt, zur Zeit übrigens der zweiten Intifada. Meine Hochzeitsreise habe ich 2004 in New York verbracht. Drei Jahre nach dem Terrorakt trauerten tausende mit Anzeigen in Tunnelröhren wie am Ground Zero und Vermisste und Gestorbene. Ich glaube, ich habe einen ganz guten Eindruck über die Stimmung im Land erhalten.
In Israel habe ich gelernt, dass die Juden den Tag der Schoah Jom haScho’a bewusst auf den Aufstand im Warschauer Ghetto bezogen, nicht nur als Zeichen der Trauer, sondern auch des Wehrens. Der Staat Israel lebt seit seiner Gründung nach diesem Prinzip: Nie wieder. So empfinden auch die Amerikaner (wenn mir der Vergleich misslungen ist, bitte ich um Entschuldigung).
Bush hatte schon einen Rückhalt in der Bevölkerung für die Abkehr vom Folterverbot. So schlecht der Irakkrieg geführt (und begründet ) war, so professionell war der Sieg über das Taliban-Regime geplant. Das hätte wiederum nicht jede Regierung so gut hinbekommen.
Deswegen bin ich der Überzeugung, kein Präsident hätte es sich auch nur erlauben können, nicht mit einem massiven Gegenschlag auf 9/11 zu reagieren. In Medien und Bevölkerung kochten schon Ende September / Anfang Oktober die Emotionen hoch, weil die USA noch immer keine sichtbaren Maßnahmen eingeleitet hatten. Im 4. Quartal waren Bushs Zustimmungswerte auf einem Allzeithoch von 90% mit erst langsam sinkender Tendenz. Anfang des Irakkrieges gingen sie nochmal kurz auf 71% hoch.
Also, die große Mehrheit der Amerikaner wollte für das Trauma Vergeltung. Deswegen hätte jeder Präsident zur damaligen Zeit die „Samthandschuhe ausziehen“ müssen.
Auch Bush konnte den Terrorakt nicht verhindern. So wie Obama den Bürgerkrieg in Syrien nicht hätte verhindern können. Das Entscheidende ist, was für eine Reaktion darauf erfolgte. Obamas Appeasement hatte keinen Nutzen, im Gegenteil. Diktatoren fürchten die harte Hand des Weltpolizisten, das war schon bei Saddam Hussein so, der nach seiner Niederlage im ersten Golfkrieg es vermied, die Amerikaner zu sehr zu provozieren. Auch Putin lebt danach. Als Trump einen Militärschlag für einen Giftgasanschlag ankündigten, traten die Russen freundlich beiseite.
Putin ist kein Spieler. Er will sehen, dass sein Gegenüber Härte kann.
Ich bin absolut kein Militärexperte. Ich kenne mich mit Militärstrategien kein bisschen aus. Aber ich bin Verhandlungsexperte. Die eigene Position muss immer glaubwürdig sein. Wenn der andere sehen will, muss er sehen. Das hat Obama nicht gehabt und nicht gemacht.
Bush hatte zwei Kriege geführt! Dazu hatte er eine Wirtschaftskrise, das Platzen der New Economy-Blase zu bewältigen, was damals zu einem der heftigsten Börsenabstürze geführt hatte. Logisch, dass das auf den Staatshaushalt schlug. Also, da bist Du wieder sehr freundlich zu Obama.
Beide haben lange regiert, anders als Trump. Zeit genug also, das Land wieder so auf den Wachstumspfad zu bringen, dass die Kosten wieder kompensiert werden konnten. Bush ist das 2002 beherzt mit kurzfristigen Steuererleichterungen und Steuerschecks angegangen, was den Absturz dann sehr abfederte und die USA – anders als Deutschland – schnell wieder im Wachstum nach oben schwingen ließ. Dazu tat man nichts, um den Zusammenbruch großer Unternehmen wie Enron zu verhindern.
Obama versuchte jedoch eine andere, sehr kostspielige (europäische) Variante. Er versuchte Global Player wie GM mit sehr viel Steuergeld zu retten und gab Subventionen statt Steuerschecks. Ergebnis: weniger effektiv.
Jepp, das argumentiere ich im nächsten Artikel auch. 2004 war die amerikanische Bevölkerung noch mehrheitlich für Bush und seinen War on Terror. Ein Jahr später sah das schon anders aus. Dieser Stimmungsumschwung ist das Interessante.
Ich verstehe, wohin du mit dem Vergleich willst, und ich stimme dir völlig zu. Die USA MUSSTEN zurückschlagen. Ich habe null Geduld mit Pazifist*innen, die da in so Kitsch rummachen von wegen „halt auch die andere Wange hin“ blabla.
Afghanistan: Ich kenne mich zu wenig mit den Details des Feldzugs aus um das beurteilen zu können, I’ll take your word for it.
Anderer Präsident: Ich gehe davon aus, dass Gore es bei Schlägen gegen die Taliban belassen. Eventuell eine Invasion, aber selbst da bin ich skeptisch. Aber massiver Gegenschlag: 100%.
Obama hatte halt keine Mehrheit. Vergiss nicht das Kongressvotum. Sein Instinkt war ja, harte Hand zu zeigen. Aber es war offensichtlich, dass weder Bevölkerung noch Kongress mitgingen. Ob das besser war? Schlechter? Ich hab keine Ahnung. Dass die USA deswegen unglaubwürdig waren ist aber absolut korrekt.
Schau dir die Wirtschaftszahlen halt mal an. Die Kriege Bushs liefen unter Obama ja auch weiter. Er hatte ja deren Kosten UND die von der Finanzkrise, beides übrigens Bush-Altlasten. Sorry, aber die kann man ihm wirklich nur partiell anlasten.
Ich widerspreche dir heftigst, dass die Krisenreaktion der USA „europäisch“ war. Aber dazu kommen wir in Artikel 4 der Serie!
Man sollte auch nicht vergessen, dass die syrischen Unruhen, zumindest die Entstehung von ISIS schon auch auf den Irakkrieg zurück gehen. Das waren im Prinzip die alten Eliten, unterstützt von Saudi-Arabien. Assad ist mit Russland verbündet, der Iran ebenfalls, das im Irak nach dem Krieg eingesetzte, ironischerweise von den USA unterstützte, Regime gehört aber ebenfalls in diese Einflusssphäre. Das macht das Ganze kompliziert.
Und noch ein Hinweis ohne auf die konkrete Situation einzugehen, auf richtig/falsch oder in irgendeiner Weise Partei zu ergreifen. „Das“ Volk gibt es ja nicht, es gibt Mehrheiten und so klein die Minderheit auch sein mag, die Pazifisten sind und waren natürlich auch Teildes gleichen Volkes. Das auch zum Thema ‚Stimmungsumschwung / -schwünge“ im Allgemeinen. Viele sind davon auch deswegen immer wieder überrascht, weil sie versuchen „den Volkswillen“ statisch, anstatt als Dynamik zu analysieren. Oft ehrlich gesagt auch mit allerlei Vorurteilen bzw. Stereotypen beladen
@Stefan
Das ist absolut richtig. Ich habe damals meine amerikanischen Freunde gefragt, was los wäre. Ja, wegen dem Irakkrieg. Da habe ich geantwortet: Ja, aber das wusstet ihr doch schon 2004, dass das eine Schmäre war. Kurz, so richtig konnte den plötzlichen Stimmungsumschwung niemand erklären.
Die Amerikaner hatten einfach den ewigen Feind der Taliban, die sogenannte „Nord-Allianz“, angestachelt und diesen mit Luftunterstützung bei der Vertreibung der Gotteskrieger geholfen. So musste kein amerikanischer Soldat am Boden in Gefechten eingesetzt werden. Erst als das neue Regime in Kabul installiert war, wurden Stationierungsverträge geschlossen. Das war aber kein richtiger Krieg.
Die Bush-Regierung hatte damit aus dem Desaster der Russen die richtigen Schlüsse gezogen und sich nicht in verlustreichen Gefechten verzettelt. Ob so eine andere Regierung mit weniger militärerfahrenen Ministern vorgegangen wäre? Damals galt das jedenfalls als Scoop.
Mein Punkt war, ob eine andere Regierung nicht auch gezwungen gewesen wäre, so etwas wie Guantanamo zu errichten oder das Folterverbot gegenüber Terroristen zu lockern. Schlimme Vergehen der Bush-Administration, keine Frage. Dass ein anderer Präsident ähnlich gehandelt hätte, habe ich mit 25 – 75 Prozent gewertet. Gore hätte das sicher nur in geringem Umfange gemacht, Clinton in einem größeren. Oder vielleicht auch gar nicht. Das lässt sich einfach nicht sagen. Andererseits waren Qaida-Terroristen keine netten Kleinkriminellen und die vielen Kriegsgefangenen (die nicht so genannt werden durften) mussten ja irgendwo hingebracht werden. Das gleiche Problem besteht ja mit den IS-Kämpfern, wo sich die Europäer elegant der Verantwortung entziehen, in dem sie die Türken die Drecksarbeit erledigen lassen.
Natürlich sind die USA längst kriegsmüde gewesen. Obama hätte kein Mandat für eine Bodeninvasion bekommen, selbst wenn sie sinnvoll gewesen wäre (was ich nicht sehe). Aber sein Taktieren war nettestenfalls naiv zu nennen.
Kriege sind in der heißen Phase besonders teuer, aus naheliegenden Gründen. Man benötigt hohe Kontigentzahlen und Material wird großzügig vernichtet. Die Stationierungskosten sind dagegen ein Klacks. Der Klacks kostete die USA im Falle Iraks nach meinen Wissen 230 – 270 Milliarden US-$ per anno.
Üppig, erklärt aber in keinem Fall knapp 10 Billionen Dollar Zusatzverschuldung. Die Finanzkrise lässt sich bei ehrlicher Betrachtung eigentlich auf Clinton zurückführen. Es wäre aber zu viel verlangt, so die Verantwortung an Präsidenten zuzuweisen, das vieles davon zwingend ist oder einfach zur jeweiligen Zeit nicht gesehen werden konnte. Auf diese Art harte Daten zuteilen zu wollen, macht die Sache unseriös.
Zwei Thesen von Dir lassen sich nicht halten: die Konservativen sind nicht automatisch die größeren Schuldenmacher (so wie umgekehrt auch nicht). Und: Bush war nicht der große Versager, als der er seinerzeit gesehen wurde.
Als der Republikaner ins Amt kam, hatte ich eine sehr ablehnende Haltung zu ihm. Das lag an einer Vielzahl von Gründen, seinem Wahlkampf, seiner durchschnittlichen Intelligenz, der Art des Sieges über Gore und dass er Bill Clinton nachfolgte. Diese Haltung hat sich während der acht Jahre nicht geändert. Bei Obama war es völlig anders, euphorisch bei der Amtseinführung, desillusioniert nach vier Jahren. Im historischen Maßstab sind beides keine schlechten Präsidenten, aber schwache Amtsinhaber gewesen. Obama ragt wegen etwas heraus, für das er nichts konnte: seiner Hautfarbe.
Der letzte herausragende Präsident ist vor mehr als 20 Jahren geschieden. Wie sich die Präsidentschaft Bidens anlässt, könnte sie endlich wieder eine herausragende werden. Ich bin wirklich hoffnungsfroh.
Wenn ich die Außenpolitik der Clinton-Ära anschaue – was der einzige Vergleichsmaßstab ist – ergibt sich ein gemischtes Bild. Seit 1993 (Mogadischu) hatten die USA eine gehörige Skepsis gegenüber „boots on the ground“. In Serbien und im Kosovo kamen die Besatzungstruppen auch erst nach dem Krieg, im Irak beschränkte man sich auf Luftangriffe. Nur, natürlich war nichts davon 9/11. Ich nehme daher die einzige andere Ressource, auf die ich zurückgreifen kann: Präsident Bartlet hätte Truppen geschickt. Was du daraus machst hängt davon ab, wie viel Identitätsüberlapp du „West Wing“ mit der demokratischen Partei in den frühen 2000er Jahren gibst. Ich würde mal als Grundthese formulieren: hätte sich die Gelegenheit geboten, hätte auch Gore auf die Nordallianz zurückgegriffen. Ob er die Gelegenheit gehabt hätte, kann ich nicht beurteilen.
Stimme dir in der Kritik des „Drecksarbeit machen lassens“ völlig zu. Einen Ausweg sehe ich auch nicht. Ich denke es ist wahrscheinlich, dass Clinton hier härter vorgegangen wäre als Gore, aber beide sicherlich nicht in dem Ausmaß der Bush-Regierung. Lesser of two evils, and all of that.
Wenn ohnehin nichts zu gewinnen war, wie naiv kann das Taktieren dann sein? – Ich bin mir nicht sicher, was genau dein Vorwurf ist. Du sagst es war klar, dass nichts zu holen war, aber gleichzeitig hätte Obama glaubhafter drohen müssen? Wie? Oder ist dein Vorwurf, dass er sich nicht von Anfang an rausgehalten hat?
Ich meine, die 10 Billionen Dollar unter Obama waren viel zu wenig, von daher teile ich deine Kritik an seiner Verschuldung. 😛
Bush war ein katastrophaler Präsident, während Obama zu den besseren (wenngleich nicht besten, da bin ich etwas von abgekommen) gehört. Er hat weit mehr geleistet als nur die Hautfarbe. Siehe auch dieser Artikel von Jan und mir von 2014: http://www.deliberationdaily.de/2014/09/warum-obama-alles-andere-als-eine-enttaeuschung-ist/
Ich halte Clinton dagegen für keinen sonderlich herausragenden Präsidenten. Aber zu denen kommt bald der nächste Podcast, vielleicht interessiert er dich ja (die erste Folge ist schon raus und behandelt Roosevelt bis Johnson). Siehe hier: https://www.patreon.com/posts/48878224
@Floor Acita
Man sollte auch nicht vergessen, dass die syrischen Unruhen, zumindest die Entstehung von ISIS schon auch auf den Irakkrieg zurück gehen.
Das ist eine These. Kann man so sehen, muss man nicht. Dabei bestreite ich gar nicht, dass sie aus dem untergegangenen Irakregime entstanden sind. Vielleicht kann ich mit einer Anekdote deutlicher machen, was ich eigentlich meine: Vor einigen Jahren habe ich für ein Unternehmen in einer sehr stark schrumpfenden Industrie gearbeitet, die mal als sehr wichtig galt. Um dort Unternehmen am Leben zu halten, müssen sie wie der Markt (oder auch schneller) schrumpfen, wodurch Menschen entlassen werden. Besser ausgedrückt: rausfallen. Nur, was machen die Rausgefallenen, wenn sie nicht mehr gelernt haben als die Maschinen des Unternehmens zu reparieren, das sie gerade entlassen hat? Richtig, sie bieten sich den Kunden als Freelancer zu weit niedrigeren Preisen an und machen so dem bisherigen Arbeitgeber heftig Konkurrenz.
Waren die Entlassungen also falsch, weil man sich ja nur neuen Wettbewerb herangezüchtet hat? Nein, denn ohne hätte man nicht überleben können.
Die IS-Kämpfer waren zu Saddams Zeiten keine netten Moscheegänger. Die wurden nur mit der Knute unter dem Deckel gehalten. Ich bin nicht der Ansicht, man müsse jede Diktatur auf der Welt mit ausländischen Truppen stürzen. Ich bin aber auch nicht der Ansicht, dass der Erhalt von Dikaturen sinnvoll ist, um nicht den immer beschwerlichen, risikohaften und oft gefährlichen Weg zu einer zivilen Gesellschaft gehen zu müssen.
Hätte sich Putin Assads angenommen, wenn die Amerikaner die Hand fest auf Syrien gehabt hätten? Schließlich schaltete sich Moskau erst nach Jahren ein, in denen die USA keine klare Position bezogen hatten. So erst konnte Russland eindeutig Partei ergreifen und Kriegspartei werden.
Jein, Syrien war ja seit dem Kalten Krieg ein Klientelstaat Russlands. Eigentlich gingen die USA da eher ungewöhnlich aggressiv vor.
Das weiß ich. Die Russen waren aber 2011 nicht da.
Nicht physisch, nein. Aber vergessen sollte man das nicht.
Stefan Sasse 23. April 2021, 11:55
Ich bin sehr unsicher bezüglich Syrien, muss ich zugeben. Ich sehe auf der einen Seite völlig deine Position, auf der anderen Seite hätte das aber auch alles noch schlimmer machen können.
Den Irak-Krieg hätte vermutlich ein anderer Präsident als George W. Bush bleiben lassen. Aber offenbar hatte Saddam Hussein im Krieg zuvor (wg. des irakischen Überfalls auf Kuweit) ein Attentat auf George Bush sen. Bei dessen Bagdad-Besuch geplant, über das Sohnemann immer noch sauer war.
Wenn ich das noch richtig im Kopf habe, versprach Obama im Wahlkampf, die Jungs aus dem Irak heimzuholen, und wollte liefern. Entgegen der Warnungen des Militärs und der Geheimdienste zog er durch. Direkte und indirekte Folge war das Erstarken des IS, und. (im Umfeld des „arabischen Frühlings“) das Überschwappen nach Syrien. Assad hatte sehr früh erkannt, dass es um seinen Kopf ging, und ging sehr schnell sehr hart hart gegen die protestierende Bevölkerung vor.
Als Obama klar wurde, was er angerichtet hatte, gab es eigentlich nur zwei sehr schlechte Optionen: Reingehen, Assad abservieren, und zumindest zu versuchen, eine Demokratie einzurichten – oder zuschauen. Er wählte eine dritte Variante, die einzige, von der ihm alle abrieten: „religiös moderate“ Rebellen mit Informationen und Waffen zu versorgen. Beides wurde nach und nach vom IS eingesammelt, und das Chaos war da.
Obama zog rote Linien, die er nicht halten konnte – die Weltmacht hatte das erste Mal nach Vietnam so richtig geschwächelt. Der Iran füllte das Machtvakuum im Irak, die Russen das in Syrien.
Schwer zu sagen.
Noch schlimmer? Wie?
In Syrien mischten auf eigene Kappe die Türkei, Iran, Israel, Russland, Amerika, Frankreich und die Kurden mit (Aufzählung unvollständig); teils als Gegner, teils als Verbündetete. Und das Drama, dass mit George W. Bush startete, ist nach zwei Amtszeiten von Obama und einer Amtszeit von Trump immer noch nicht durch.
PS: Dass Obamas kaufmännische Bilanz durch die Finanzkrise 2008/2009 entschuldigt ist, sehe ich auch so.
Die Attentatsgeschichte kenne ich, aber ich bin nicht 100% sicher ob die je belegt wurden. – Davon abgesehen ist sie als Begründung für einen Krieg nicht sonderlich gut geeignet, das ist nur eine Anekdote. Wie Robert Draper in seinem Buch (hier besprochen: http://www.deliberationdaily.de/2020/11/buecherliste-oktober-2020/) dargelegt hat, steckte da ne ganze Menge Leute dahinter, und denen waren Dubbys Gefühle gegenüber Daddy relativ egal.
Ich bezweifle, dass der IS ohne den irakischen Abzug nicht erstarkt wäre. Und wenn – der Irak ist der gleiche Schlamassel wie Afghanistan. Wie lange sollen westliche Truppen da bleiben, töten und sterben? 30 Jahre? 40 Jahre? Der Fehler war die Besetzung. Einen richtigen Moment für den Abzug gibt es nicht. Wie in Vietnam, wie in Afghanistan. Quagmire.
Was das Desaster angeht stimme ich dir völlig zu.
Der Attentatsversuch auf George Bush 1993 ist belegt.
https://fas.org/irp/agency/doj/oig/fbilab1/05bush2.htm
Afghanistan war schon lange kein Kampfeinsatz mehr, sondern ein Stationierungsauftrag. Die Aufgaben der Truppen ist da polizeiähnlich und wird von der Bevölkerung mehrheitlich befürwortet. Die Alliierten-Truppen waren in Deutschland eben auch über 40 Jahre.
Ich weiß dass es den Versuch gab, mir geht es um die Bedeutung des Versuchs für die Motivation 2003.
Endgültig wird das nur Bush selbst beantworten können. Verbrieft ist, dass Bush sehr früh, im November 2001 nach dem Irak fragte. Und es ist auch verbrieft, dass er auf die Verweise aus seinem Kabinett, der Irak sei kein Rückzugsort von Qaida-Terroristen, reagierte: Der wollte meinen Dad ermorden. Zitat Bush. Alles andere ist zugegeben zusammengereimt, aber Bush war persönlich engagiert.
Stellt sich die Frage, warum Colin Powell bis zuletzt gegen den Einsatz war. Warum das öffentliche Beharren auf Saddam zuerst von Bush selbst kam. Und warum man so offensichtlich einen Kriegsgrund konstruierte. Das ist einmalig in der jüngeren Geschichte. 🙂
Ja, und irgendwie mittlerweile als Fragestellung total verdrängt.
*hust*
Man sollte auch nicht vergessen, dass die syrischen Unruhen, zumindest die Entstehung von ISIS schon auch auf den Irakkrieg zurück gehen. Das waren im Prinzip die alten Eliten, unterstützt von Saudi-Arabien. Assad ist mit Russland verbündet, der Iran ebenfalls, das im Irak nach dem Krieg eingesetzte, ironischerweise von den USA unterstützte, Regime gehört aber ebenfalls in diese Einflusssphäre. Das macht das Ganze kompliziert.
Und noch ein Hinweis ohne auf die konkrete Situation einzugehen, auf richtig/falsch oder in irgendeiner Weise Partei zu ergreifen. „Das“ Volk gibt es ja nicht, es gibt Mehrheiten und so klein die Minderheit auch sein mag, die Pazifisten sind und waren natürlich auch Teildes gleichen Volkes. Das auch zum Thema ‚Stimmungsumschwung / -schwünge“ im Allgemeinen. Viele sind davon auch deswegen immer wieder überrascht, weil sie versuchen „den Volkswillen“ statisch, anstatt als Dynamik zu analysieren. Oft ehrlich gesagt auch mit allerlei Vorurteilen bzw. Stereotypen beladen…
2)
Das erinnert mich an einen Beitrag in einem deiner letzten Vermischten, da hattest du ja auch angemerkt, dass die Debatte über die Ukraine (oder generell Osteuropapolitik) oft an den Imperialismus erinnert. Diese Kolonialgeschichte wird extrem verdrängt, weil alle immer nur an Afrika denken und die internationale Aufarbeitung (logischerweise) ganz andere Schwerpunkte setzt als wir sie in Deutschland bräuchten. Diese Idee, dass die EU und Russland einfach so die Gebiete unter sich aufteilen, ist ja immer noch extrem präsent.
4) Sehr gutes Interview: hier übrigens ein Beispiel, wenn DemonstrantInnen nicht „aus der Mitte der Gesellschaft“ kommen (Polizei Hamburg mal wieder):
https://taz.de/Polizeigewalt-gegen-schwarze-Jugendliche/!5761065&s=hamburg+polizei/
Es geht hier ja nicht nur um einzelne Fehlerkultur, gerade bei der Polizei war auch die Wagenburgmentalität in der Politik extrem ausgeprägt, man erinnere nur an die Angriffe auf Esken, nur weil sie angedeutet hat, dass es ein strukturelles Problem geben könnte. Das war ja fast als hätte sie ACAB gerufen. Im Grunde bräuchte es jemanden wie AKK im Innenministerium (in allen 16 Stück + Bund), der sich überhaupt mal traut, das strukturelle Problem zu benennen.
6) Erstmal absolute Zustimmung zu deinen Bedingungen für den Afghanistan-Rückzug. Immerhin hat man den Vorteil, dass man das ganze halbwegs geordnet angehen kann.
Ist ihre Qualität als Verteidigungsministerin eine Folge des verlorenen Machtkampfs, weil sie nichts zu verlieren hat, oder ging mit ihrem Scheitern als CDU-Vorsitzende wirklich etwas verloren?
Es ist ja wirklich tragisch, zwei Wochen später und kein Mensch hätte diese Thüringen-Sache mehr interessiert. Andererseits denke ich schon, dass sie jetzt den Vorteil hat, ihr Ministeramt ohne politischen Druck führen zu können. Es passt auch wirklich zu ihr und ich fand übrigens ihren Schneid schon immer am besten an ihr. Man muss auch ehrlich zugeben, dass eine Kanzlerinkandidatur als amtierende Verteidigungsministerin in Deutschland auch wirklich nicht besonders klug wäre. (gut, angesichts der Alternativen gerade vielleicht doch^^).
7)
Das aber ist genau das Problem, denn dass diese disparate, heterogene Gruppe irgendwie ein gemeinsames Bewusstsein und Willen zum Handeln entwickelt scheint mir ein linkes Hirngespinst zu sein, das zudem noch von schlechten Analysen behindert
Naja die „Besitzlosen“ würde vielleicht besser passen. Insgesamt denke ich aber auch, dass man sich generell von der Idee einer „Arbeiterklasse“ verabschieden sollte. Dafür ist das viel zu heterogen, das sind eben nicht mehr die Kohlekumpel, sondern das zieht sich ja zu (überspitzt) Analphaten in prekären Jobs zu hochstudierten Leuten, die ein Volontariat nach dem anderen machen. Das ist viel zu heterogen, um da ein Bewusstsein gemeinsam herauszubilden. Dann muss man aber auch damit aufhören, so zu tun, als wäre der Arbeiter nur ein weißer Bauarbeiter, der noch nie etwas von Diskriminierung gehört hat und sich nur für sein Bankkonto interessiert.
9) Ich freue mich, dass es Baerbock geworden ist und halte sie auch für eine ziemlich ideale Kandidatin. Die Professionalität, mit der das gerade bei den Grünen abläuft (schön im Kontrast zur völlig kaputten Union) ist wirklich erstaunlich, ich fand auch die Reden heute absolut staatstragend. Völlig verkehrte Welt 😉
Ich musste heute auch nochmal an die geplatzten Jamaika-Verhandlungen denken und dass die Grünen da wirklich eine Richtungsentscheidung getroffen haben, vielleicht war es für sie der größte Glücksfall. Ihr Regierungsanspruch ist seitdem viel deutlicher geworden, auch für die eigene Basis. Ich denke vor vier Jahren hätte es da viel mehr Konflikte gegeben. Mittlerweile haben sie auch das Alleinstellungsmerkmal, als Partei wirklich innerlich gefestigt zu wirken, während die Union schwere Auflösungserscheinungen zeigt, die SPD total in der Bedeutungslosigkeit versinkt und die Linke und FDP halt so als Koalitions-Schreckgespenster mitlaufen.
2) Guter Punkt.
4) Jepp.
7) Ich sag ja, ich bin echt unsicher bei dem Begriff…
9) Ja, möglich.
7 )
Ja, richtig, die Suche nach dem revolutionären Subjekt war noch nie einfach^, was sich auch in vielfältiger Wortschöpfung ausdrückt. Und es ist ferner richtig, was auch Stefan Sasse angesprochen hat, dass es bei denen da unten eigentlich schon immer an „Homogenität“ gemangelt hat. Selbst bei der guten, alten Arbeiterklasse, als die industrielle Welt hierzulande noch mächtig unter Dampf stand, kann man z.B. auch noch den durchaus bedeutenden Linkskatholizismus (Zentrum) erwähnen, der im industrialisierten Rheinland und auch bei den Montanarbeitern in Oberschlesien Erfolge hatte. Spuren davon gab es auch noch in der Nachkriegs-CDU bis hin zu Nobbi Blüm.
Also komplex alles, klar. Die von Stefan Sasse beanstandeten „schlechten Analysen“ der Linken ist indes genau das, worauf Frau W. hinaus will, denn zunehmend erkennbar ist, dass die Rechte womöglich bessere Analysen im Köcher hat 🙁 . Weniger die AfD (entwickelt sich eher zum Sauhaufen) aber durchaus Le Pen ist da führend. Sie hat alles Neo-Liberale, das bei ihrem Vater noch Bedeutung hatte, in den Müll geschmissen. Wenn bei Linksens z.B. über die Frage „geschlossener Handelsstaat“ versus „Globalismus über alles“ nicht mehr diskutiert wird, übernehmen das andere.
9) Klar, operativ regeln Grünens das wie weiland die CDU zu Adenauers Zeiten, während die Union im grünen 80er-Jahre-Modus unterwegs ist. Aber am Ende des Tages wird’s schon zu schwarz-grün kommen (in dieser Reihenfolge) 😎 Die konservative und uncoole Lösung also.
Ihrem rechts-konservativen Publikum das Ampeln zu erklären brächte die FDP in die Bredouille, weswegen das von den Grünen heftig beworben werden mag; grünerseits hat man ja mittlerweile adenauersche Kaltblütigkeit entdeckt.
7) Ja.
9) Ja.
🙂
der Linken ist indes genau das, worauf Frau W. hinaus will, denn zunehmend erkennbar ist, dass die Rechte womöglich bessere Analysen im Köcher hat
Jein, ich denke es ist nicht unbedingt die Analyse, aber die Rechte hat da deutlich den Klassenkampf für sich entdeckt (den Wagenknecht ja auch vermisst), während die moderne Linke da schon von weg ist (was ich auch richtig finde btw). Und Klassenkampf lässt sich halt super mit Anti-Establishement verbinden und das mögen Rechte auch gerne.
(Passt übrigens auch zu Stefans Punkt 8) Und ich glaube, da setzt so eine Nostalgie bei Wagenknecht oder auch Thierse ein, dass das jetzt für das Gros der Bevölkerung nicht so ganz die erste Sorge ist, ob morgen der Sozialismus vor der Tür steht oder umgedreht, das Kapital bezwungen wird. Da schlägt dann das Hufeisen zu, irgendein Kapital bezwingen finden die Ränder gut^^
Und das ist ja auch viel einfacher als kleinteilige Sachpolitik und zu der gehören Geldsorgen nun mal genauso wie zb die Angst von Frauen abends allein auf den Straßen, die Angst von anders aussehenden Menschen vor der Polizei oder die Anerkennung von Homosexualität.
9)
Die konservative und uncoole Lösung also.
Jep, ist die wahrscheinlichste Lösung, aber ich hab da wirklich keine Lust drauf, am liebsten wäre mir ja Grün-Rot, nur wo sollen die Stimmen dafür herkommen?
Das setzt sowohl die FDP als auch die LINKE unter Druck, die beide doch zu durcheinander wirken für eine Regierungsbeteiligung. Die LINKE zerlegt sich eher darüber und die FDP ist noch zu sehr an die Union gekettet. Bisschen schade, die Pandemie hat Lindner ja auch ein bisschen gerettet, analog zu AKK. Es hilft den Männern wirklich immer am Stuhl zu kleben, er hätte da seinen Vorsitz auch verlieren können.
Das kann sich ja alles noch etwas drehen, bin auch nicht sicher, wie sich der Wahlkampf entwickelt. Alle gegen die Union wäre halt klug, ist der größte Kuchen und das hilft vor allem den Grünen und der FDP.
Und wenn sie strategisch und weniger ideologisch denken, könnten sie in einer Ampel vermutlich alle am meisten umsetzen und die SPD verwaltet das schön für sie weg, sodass ein Regierungswechsel nicht so holprig wäre.
Punkt 5) Dem stimme ich absolut zu. Gerade in der Außenpolitik schätze ich deren Kompetenz sehr hoch ein, gerade in der klaren Positionierung gegenüber Rußland.
Auch eine stärkere Betonung ökologischer Aspekte kommt den Überzeugungen und Wünschen der Mehrheit in Schwellenländern entgegen. Das wird nämlich dort viel weniger als „Luxusproblem“ gesehen, als sich viele Deutsche vorstellen.
Good point!
Zu 2
Ich verstehe die Vehemenz des Kulturkampfes nicht. Vergleichende Muster relativieren ja nicht den Holocaust als ein besonderes Verbrechen wenn Sie denn der Erklärung dienen. Ist es Angst, dass man gegenüber Burundi, Tansania oder Namibia tatsächlich Entschädigung leisten muss, wenn man durch historische Aufarbeitung den Verbrechen eindeutige deutsche Verantwortlichkeit zuschreibt?
Könnte ein spannender Test für eine neue grün geführte Bundesregierung werden, wie hältst Du es mit den Wiedergutmachungsentschädigungen für Griechenland, Polen, Namibia und Co?
Mir auch völlig unklar.
Beutekunst zurückgeben, keine Entschädigungen. Wenn auch nur, weil das ein Fass ohne Boden ist.
Es bedarf dazu einer internationalen/ UN-Regelung. Schließlich ist Deutschland davon sehr negativ betroffen, besitzt aber nicht viel solcher Werke. Da reicht mal Symbolpolitik nicht.
Behaupte ich ja nicht.
Ich fürchte auch, dass hier Symbol-Politik als Schuldeingeständnis gewertet würde und dann immer weitere Ansprüche gestellt würden. Ich teile den Ansatz für eine gemeinsamen Prozess, wenn auch ziemlich illusorisch, denn Franzosen und Briten hätten hier weitaus mehr zu verlieren.
Eventuell gibt es hier alternative Möglichkeiten z.B. könnte sich Deutschland in Sachen Corona-Hilfe in diesen Länden besser engangieren und Wirtschaftsförderung betreiben.
Es ist ohnehin sehr schade, dass Deutschland Afrika als strategieschen PArtner aus den Augen verloren hat. Da waren wir schon mal weiter…
Deutschland und Strategie schließen sich quasi aus.
@ Stefan Sasse 20. April 2021, 14:41
Deutschland und Strategie schließen sich quasi aus.
🙂 🙂
Zu 6:
Inzwischen scheint ja eine neue Option ins Spiel zu kommen. China soll mit einer UN-mandatierten Friedensmission liebäugeln, getragen von Regionalmächten (vgl. https://www.scmp.com/news/china/diplomacy/article/3129707/china-may-send-peacekeeping-force-afghanistan-after-us-troops)
Auch hier eine spannende Frage für Deutschland, dass ja sehr gerne das Primat der UNO betont: würde man sich an einer China geführten Mission beteiligen?
7) Ich verstehe nach wie vor den Unterschied ökonomischer Fragen („kollektiv“) / Identitätsfragen („individuell“) nicht. Jedes Individuum ist ein Amalgam aus allen darunter fallenden Fragen. Ausgangspunkt für beides kann Egalität (Ich will was xyz auch hat / das xyz gleich behandelt werden) oder Liberalität sein (so viele Menschen wie möglich sollen grösstmögliche Entscheidungsfreiheit / Möglichkeiten haben, sowohl auf dem Papier als auch de-facto [das letzte ist der entscheidende Punkt]). Alles weitere ergibt sich aus dem intersektionellen Ansatz.
Notwendig ist nicht „Klassenbewusstsein“ an sich, sondern das „big tent“ hat 2 Voraussetzungen: Sehe ich mich als jemand der die für mich relevanten real-herrschenden Zustände verändern will (um sich einem der beiden Ziele Egalität/Liberalität anzunähern) UND sehe ich das gleiche Bestreben einer anderen Gruppe als Allianz/Unterstützung in diesem Vorhaben (und eben weder als irrelevant oder gar Konkurrenz).
Der Schulterschluss erfolgt über die Frage Rad weiter drehen, möglichst still halten, oder gar zurück drehen.
Ich glaube die Democrats in den USA sind einerseits genau in dieser Auseinandersetzung und beweisen gleichzeitig bereits, dass es funktionieren kann…
Da bin ich völlig bei dir. Deswegen finde ich Wagenknecht ja so kontraproduktiv.
Das reicht noch nicht einmal, Ihre Argumentation könnte in Amerika nicht nur von ‚old school Linken‘, sondern 1:1 von Ben Shapiro & Konsorten kommen… Da ist mittlerweile kein Unterschied mehr erkennbar (was dieses Thema angeht)
Korrekt.
1) Ein Mini-Beispiel, wie die individuellen Regeln, die sich die aalermeisten machen, von mehr ‚Corona_Klugheit‘ zeugt als die ‚offizielle‘ Betrachtungsweise: Treppenhäuser. Inzwischen tragen die meisten dort Masken -obwohl dieser Bereich nie angemessen (hohe Personenfrequenz, auch Fremde, geringe Luftzirkulation) von Politk/Medien thematisiert wurde.
4) “ das einzige Mal, als die Polizei Demonstrant*innen aus der „Mitte der Gesellschaft“ so behandelte wie sie normalerweise Demonstrant*innen von links behandelt, war bei den S21-Protesten.“ wenn du ein bisschen weiter zurück schaust, findest du das gleiche Muster bei den Protesten gegen Kernkraftwerke (z.B. WAA Wackersdorf) oder Flughafenausbauten (z.B. Startbahn West). In allen Fällen hatte die Politik den Ton angegeben und eine breit gestreute Opposition mit dem Label ‚linksradikal‘ versehen, und die Polizei hatte entsprechend gehandelt.
5) Die außenpolitische Haltung der Grünen-Spitze lässt sich auch dadurch erklären, wie viele der Funktionäre durch die Unterstützung transatlantischer Organisationen ihre Karrire geboostet haben (z.B. Cem Özdemir, der nach seiner Bonusmeilenaffäre über den German Marshal Fund und die Atlantik-Brücke wieder zurück in die Politik gekommen ist). Annalena Baerbock wäre wohl jetzt auch nicht ohne die Protektio des WEF („Young Global Leader“) dort wo sie ist. Andererseits gefällt mir der Begriff ‚gimlet-eyed‘ gut, die Grünen sind gar nicht so ideologisch auf die NATO eingeschworen (insbesondere was Kernwaffen betrifft): https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/baerbock-fordert-abzug-der-us-atomwaffen-aus-deutschland-a3435599.html
6) Aus ethischen Gründen bin ich voll bei dir, dass diese Verpflichtung besteht. Andererseits würde der Auszug von gut ausgebildetetem Personal den letzten Funken Hoffnung zunichte machen, dass in dem Land irgendwann wieder funktionierende Institutionen und Strukturen entstehen.
11) zu der Frage, ob ‚die Medienschaffenden‘ oder ‚das Volk‘ eine Bringschuld gegenüber ‚der Politik‘ haben, möchte ich wieder mal auf Brechts Gedicht ‚Die Lösung‘ zum 17. Juni 1953 erinnern.
1) Guter Punkt!
4) War das auch so breit wie bei S21? Also die Demonstrierendenzusammensetzung? Und gab es da auch Blowback?
5) Ist ja nicht verwerflich. Ich würde meine Karriere auch von Transatlantikern boosten lassen.
6) Die Taliban werden dieses Personal ermorden, und wenn nicht, sicher nicht zulassen dass es eine Funktion ausübt.
11) Die Medienschaffenden haben keine Verpflichtung gegenüber der Politik, sondern gegenüber der Gesellschaft. Ansonsten Zustimmung.
4) War das auch so breit wie bei S21? Also die Demonstrierendenzusammensetzung?
Also zumindest die Anti-Akw-Proteste würde ich als eine frühe Hochzeit/Liebelei mit der bürgerlich-konservativen Mitte und der jungen Ököbewegung ansehen. Gerade weil da logischerweise besonders viele AnwohnerInnen dabei waren – und übrigens auch viele Landwirte, bzw in der Einöde verwachsene Menschen. War früher häufiger in der Gegend um Gorleben (kann niemanden verdenken, auf die Idee zu kommen, da Atommüll hinzukarren, sorry^^) und da ist Anti-AKW bestimmt kein Thema, das nur linksgrünversiffte Chaoten interessiert.
Das ist ja auch sehr ähnlich zu S21, da vermischen sich regionale Themen mit Lokalkolorit mit überregionalen Themen.
4) Wie Ariane gesagt hat… Ich kann nur einen ergänzenden Filmtip liefern: „Wackersdorf“ liefert ein so genaues Zeitbild, dass ein befreundeter Zeitzeuge mir gesagt hat, der Film könnte eine Dokumentation sein.
5) Ich gehe davon aus, dass das längst geschehen ist und du deshalb einen harmlosen älteren Herren wie Wladimir Putin als skrupellosen Machiavellisten hinstellst 😉
Ah genau, ich glaub den Film hab ich auch mal gesehen oder eine Rezension drüber gelesen.
Die Bürger (und der Landrat!) von Wackersdorf waren ebenso wenig Chaoten wie damals die Bauern und Winzer von Wyhl.
Welch ein Gegensatz zu der Ansammlung von asozialen Hohlköpfen bei den sogenannnte Querdenker-„Demos“.
@ Stefan Sasse 21. April 2021, 08:26
11)
Die Medienschaffenden haben keine Verpflichtung gegenüber der Politik, sondern gegenüber der Gesellschaft.
Keine Zustimmung: Welche Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft? Die der Unterhaltung? dann bist Du bei der BILD gut aufgehoben.
Die Medien haben gegenüber jedem, über den sie berichten, die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit.
Ob und wie sie das erfüllen, ist ein langes, trauriges Kapitel aus dem Buch „Hätte, hätte, Fahrradkette“
Na, da sehe ich schon mehr. Die Medien haben eine hervorgehobene, durch das Grundgesetz besonders geschützte Position. Damit geht eine gewisse Verantwortung einher, die natürlich nicht rechtlich einklagbar sein kann, aber auf die ein moralischer Anspruch besteht.
@ Stefan Sasse 22. April 2021, 07:58
Na, da sehe ich schon mehr. Die Medien haben eine hervorgehobene, durch das Grundgesetz besonders geschützte Position.
Die sie oft genug missbrauchen.
Damit geht eine gewisse Verantwortung einher, die natürlich nicht rechtlich einklagbar sein kann, aber auf die ein moralischer Anspruch besteht.
Da lachen einige Jungs von Springer noch drüber, seitdem sie das zum ersten Mal gehört haben.
Aber dieser Punkt ist in dem Moment erfüllt, wo sie wahrhaftig berichten.
Was ist schon „wahrhaft“? Das ist ja keine prüfbare Kategorie.
4) In allen Fällen hatte die Politik den Ton angegeben und eine breit gestreute Opposition mit dem Label ‚linksradikal‘ versehen, und die Polizei hatte entsprechend gehandelt.
Ja das stimmt, Bauprojekte sind ja sowieso irgendwie ein beliebtes Spielfeld, denk mal an den Hambacher Forst oder zb Proteste gegen Windkrafträder. Das eine sind auch die Antifa persönlich, das andere die bürgerliche Mitte. Bei S21 kam das schön alles zusammen, das war ein richtiger Clash.
Da spielt auch eine Rolle, dass sich das Demogeschehen grundlegend verändert hat, aber immer noch im Kopf ist, dass Gefahr hauptsächlich von linken, jungen SteinewerferInnen ausgeht. Siehe auch das mit der Pressefreiheit, was auch hauptsächlich auf Querdenkerdemos zurückzuführen ist:
https://www.tagesschau.de/inland/rog-pressefreiheit-deutschland-corona-101.html
Da hätte man bei Pegida & Co. eigentlich schon umdenken müssen. Man denke nur umgedreht mal an die teils sehr großen Demonstrationen vor Corona zum Thema FFF. Das hat sich ja wirklich gedreht, die Jugendlichen machen recht friedliche Umweltdemos und die bürgerliche Mitte wird quasi zu gewaltaffinen Chaoten. Man stelle sich mal vor bei FFF oder Black Lives Matter würden Politikerpuppen als Häftlinge oder am Galgen dargestellt.
Und dieser Umschwung ist in den Köpfen noch überhaupt nicht angekommen,
Oh sorry, war als Antwort an Cimo gedacht.
Doppelte Maßstäbe, ja.
Ach, ist das die neue Storyline?
Robert Habeck:
Grünen-Chef Robert Habeck hat das Verhalten der überwiegend friedlichen Demonstranten gegen die Corona-Politik scharf kritisiert. (..) Es habe keine Distanzierung von den Podien gegeben, keinen Aufruf, rechtsextreme Fahnen runterzunehmen.
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesvorsitzender. Foto: Jörg Carstensen/dpa/archiv
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesvorsitzender. Foto: Jörg Carstensen/dpa/archiv
(Foto: Jörg Carstensen/dpa/archiv)
„Da kann es kein Wegschauen mehr geben und im Zweifelsfall müssen diese Demonstrationen verlassen werden“, sagte Habeck an die Adresse der bis zu 38.000 Demonstranten, von denen der Großteil friedlich protestierte. „Da kann es keinen Welpenschutz mehr geben.“ Rechtsextreme hätten die Demonstration „systematisch genutzt, um die Symbole der Demokratie zu attackieren“ und ihr rechtes Gedankengut zu verbreiten.
https://www.n-tv.de/ticker/Habeck-kritisiert-fehlende-Distanzierung-der-Demo-Teilnehmer-von-Rechtsextremen-article22005720.html
Hm. Grüne sind ja Aufrechte, keine Heuchler, die mit zweierlei Maß messen.
Letzte Woche demonstrierten viele in Berlin gegen den Wegfall des verfassungswidrigen Mietendeckels. Darunter waren zahlreiche Grüne, erkennbar an den Parteifahnen, zusammen mit gewalttätigen Linksextremisten, die auf Polizisten schlugen.
Ich habe das Internet durchforstet, ich habe keine Distanzierung von einem Spitzengrünen gelesen. Bitte helft mir. Robert Habeck hat sich auch noch nicht geäußert, der war wohl mit der Kanzlerkandidatur beschäftigt.
Berlins Innensenator (sprich: Verfassungsschutzsenator) hat den Protestierern via Interview zugeworfen, sie sollten sich nicht an die Polizisten halten. Die könnten nichts dafür, dass CDU und FDP gegen ein verfassungswidriges Gesetz geklagt hätten. Unausgesprochen: schlagt mit Euren Knüppeln auf CDU- und FDP-Vertreter.
Da bleibt einem die Spucke weg.
Euer Problem ist: Ihr wollt Ungleiches (Straftaten versus Ordnungswidrigkeiten) gleich und Gleiches (Gewalt) ungleich behandelt wissen. Dafür braucht man natürlich eine Sprachpolizei.
Ich meine mich erinnern zu können, dass Sie CitizenK vor kurzem noch vorgeworfen haben zwischen gewalttätigen und nicht gewalttätigen Vergehen unterschieden zu haben, als es um den Vergleich links/rechts als Gefahr für die Demokratie ging, muss mich wohl geirrt haben…
Unser Recht hat viele Hierarchien. Über allem steht die Verfassung mit den Grundrechten. Dann kommt die einfachen Gesetze und zum Schluss ordnungsrechtliche Anweisungen.
Für jeden ist klar, dass jemand, der falsch parkt (Ordnungswidrigkeit), nicht auf der Flucht vor der Feststellung seiner Personalien erschossen werden darf (Recht auf körperliche Unversehrtheit). Linke haben sogar darauf bestanden, dass die Grenzen nicht mit Waffengewalt gegen widerrechtliches Betreten geschützt werden dürfen.
Nun soll die Polizei nicht nur einschreiten, sondern Demonstrationen auflösen und die Behörden von vornherein verbieten, weil Autos falsch geparkt werden könnten, sorry, Masken nicht (korrekt) getragen werden könnten.
Die Beachtung von juristischen Hierarchien sind zur Abwägung von Verhältnismäßigkeiten wichtig. Das gilt auch für die Polizei.
Auch falsch geparkte Autos haben schon zu schweren Unfällen geführt. Aber das geht im juristischen Rauschen unter. Das mutwillige Verbreiten eines gefährlichen Virus ist ja nur eine „Ordnungswidrigkeit“.
Tun Sie bitte nicht so, als hätten Sie es nicht verstanden. Niemand käme wegen falsch geparkter Autos auf die Idee, Grundrechte einzuschränken oder (zeitweise) zu verweigern, wie die Idee bei den Demonstrationsverboten ist.
Die Demonstranten sind typischerweise nicht erkrankt, sichtbares Zeichen, dass sie infektiös sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie selbst infiziert sind, liegt statistisch bei 6 Promille. Mit anderen Worten bei einer Demo mit 10.000 Teilnehmern befinden sich ungefähr 60 Infizierte darunter. Nun tragen viele eben auch Maske, was das Risiko weiter senkt, ungeschützt auf einen Infizierten zu treffen. Dazu ist es nötig, noch mehr als eine Minute ohne Wahrung des Mindestabstandes neben einer solchen Person zu stehen. Mit anderen Worten: selbst ein unwissentlich Virusträger, der die Maskenregel missachtet, wird nur mit einer sehr, sehr niedrigen Wahrscheinlichkeit im untersten Promillebereich andere anstecken.
Die Menge macht’s, keine Frage. Aber das Demonstrationsrecht ist ein Individualrecht. Sie kennen das vom Asylrecht: Wir können Afghanen nicht pauschal das Recht auf Asyl verweigern, weil nur 10% anerkannt werden. Jeder einzelne hat ein Anrecht, dass sein Recht gewürdigt wird.
Wie anders denken Sie, wenn es nicht um Flüchtlinge geht, sondern Mitmenschen, die Ihnen politisch missliebig sind.
Ich weiß überhaupt nicht, wieso du hier jetzt die Grünen und den Habeck mit reinbringst, meine Antwort war absolut nicht parteipolitisch gefärbt.
Es ging hier um die allgemeine Wahrnehmung von Protesten – vornehmlich von der Polizei/Medien. Nicht von Politik.
Hier übrigens auch ein schönes Beispiel, der Staatsschutz ermittelt gegen „Abstellen von Gegenständen auf dafür nicht genehmigten Flächen“ (dagegen waren die Bremer Staatsschutzermittlungen wegen eines George Floyd-Graffitis ja noch Pipifax)
https://www.br.de/nachrichten/bayern/protest-gegen-corona-gedenken-in-muenchen,STDp73E
Euer Problem ist: Ihr wollt Ungleiches (Straftaten versus Ordnungswidrigkeiten) gleich und Gleiches (Gewalt) ungleich behandelt wissen. Dafür braucht man natürlich eine Sprachpolizei.
Na klar, weißte noch, wie du meintest, Lübcke wusste halt, worauf er sich einlässt? Vielleicht doch nochmal nachdenken, bevor man anderen doppelte Maßstäbe und Heuchelei vorwirft.
Ich weiß überhaupt nicht, wieso du hier jetzt die Grünen und den Habeck mit reinbringst
Habeck hat einen Maßstab formuliert. Der sollte vor allem gegen einen selbst bzw. die eigene Partei gelten, bevor er an andere angelegt wird.
Na klar, weißte noch, wie du meintest, Lübcke wusste halt, worauf er sich einlässt?
Ich denke, Du begehst gerade Rufmord. Bring‘ das Zitat oder tue das, was sich sonst gehört.
Ich begehe keine Zitatschlachten, aber du kannst sicher sein, dass es nicht ausgedacht oder „interpretiert“ ist. Und wenn du meinst, ich begehe Rufmord, dann schreib deine Anzeige und gut ist.
Und ich habe hier extra Politiker nicht mit hineingenommen, weil ich es da normaler finde, das „parteipolitisch“ zu nutzen. Das ist aber nun mal genau das, was die Polizei – genau wie Verwaltung, etc – nicht tun dürfen.
Das ist auch einfach schlechte und gefährliche Sicherheitspolitik, wenn man sich – übrigens – mehr von seinen Gefühlen als den Tatsachen leiten lässt und meint, nur junge, linke Chaoten werfen Steine. Dann sitzt man plötzlich mit drei Polizisten am Reichstag oder verbarrikadiert im Kapitol und ist mal wieder sehr erstaunt und schockiert. (dieses ständige Erstaunen ist ja mittlerweile schlimmer für die Politikverdrossenheit als alles andere).
Es gab da einen Wechsel im Demonstrationsgeschehen, seit einigen Jahren schon und es wäre gut, das zur Kenntnis zu nehmen. Und damit meine ich eben nicht Habeck oder dich, sondern die zuständigen Sicherheitsbehörden, das ist nämlich deren Pflicht. Dafür haben sie ja das Gewaltmonopol, da gelten andere Maßstäbe als hier oder bei Lanz oder hier dem Morningbriefingdings.
Du kannst nicht jemand etwas Niederträchtiges vorwerfen, und dann achselzuckend weitergehen: „Hab‘ ich mir nicht ausgedacht.“ Doch, hast Du sehr wohl. Neben Deiner Lüge bekommt der Leser dann noch einen Eindruck über Deinen nicht vorhandenen Stil. Was auch ein Stil ist.
Wollen wir den Konflikt an der Stelle beenden und drüber schlafen bitte?
Weil bei Stefan immer die Grünen schuld und böse sind 😛
@ Stefan Sasse 21. April 2021, 13:35
Weil bei Stefan immer die Grünen schuld und böse sind
Nein. Weil die das tun, was sie sonst anderen vorwerfen.
Wir hatten schon Diskussionen, was passiert, wenn man einer Demo ist, und dort Vertreter des schwarzen Blocks losmachen. Gegen ein paar Chaoten kann man nichts tun, war da eine Antwort, wie sollten wir die aus der Demo entfernen, war eine Antwort.
Wer sich machtlos sieht beim Agieren linker Chaoten, sollte sich auch machtlos fühlen, wenn die Rechten das machen
Wobei es grundsätzlich leichter wäre, sich auf das Verhalten als auf die politische Seite zu kaprizieren. Wer Gewalt ausübt, gehört weggesperrt – mir egal, warum er das tut. Das gilt für linke, rechte und querdenkende Chaoten gleichermaßen.
@ Ariane 21. April 2021, 06:33
Querdenker = rechts = rechtsextrem = ???
Ich liebe diese Simplifizierungen. Die machen das Leben und das Denken immer so schön einfach. 🙂
Nein, so einfach ist es nicht. Genau wie bei einer Umweltdemo halt nicht alle linksextrem sind 😉
Aber die Rechtsextremen haben sich schon das Milieu ausgesucht und sich da rangehängt. Und wer den Reichstag stürmen will, ist halt sicher kein besorgter Bürger, der mit den Infektionsmaßnahmen nicht einverstanden ist.
Es ging mir auch gar nicht so direkt um die politische Konnotation, sondern mehr um das Aggressionspotenzial und das ist da reichlich vorhanden.
Es ist ja nicht soooo ungewöhnlich, dass bei Demonstrationen auch sowas wie „Krawalltouristen“ dabei sind, die einfach Bock haben, sich mit Polizisten zu prügeln oder Zerstörungen anrichten, ich kann mir vorstellen, dass das da auch eine Rolle spielt und das wäre eine gewisse Verschiebung, das war nämlich vornehmlich eher ein Problem auf linker Seite, siehe zb 1.-Mai. Oder beim Fußball auch zu beobachten, die Hooligan-Sachen spielen sich ja auch in den letzten Jahren oft eher auf rechter Seite an, HoGeSa zum Beispiel.
Das ist ja im Kern unpolitisch, der Anlass interessiert ja gar nicht mehr, da gehts nur um Krawall und vielleicht noch „Selbstermächtigung“. Insgesamt könnte es aber ein Indikator dafür sein, wo gerade das Aggressionspotenzial steckt und das hat sich jetzt eher zur „bürgerlichen Mitte“ hin verschoben als zu Demonstrationen von Jugendlichen, wo man das vielleicht eher vermuten würde. Ich würde das eben auch nicht einfach so abtun und die einfach als friedliche Demonstration bezeichnen, über die man sich keine Sorgen machen muss.
Siehe dazu auch diesen Artikel in der Zeit:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-04/querdenker-demonstration-berlin-proteste-corona-massnahmen-notbremse
@ Ariane 22. April 2021, 02:03
Mich nervt immer wieder Deine einseitige Etikettenkleberei.
Die Querdenker sind nicht „die bürgerliche Mitte“, z.B. Nur weil einige von denen weder links noch rechts sind, macht sie das nicht zur „Mitte“.
Warum immer dieses Verallgemeinern, wenn es passt, und das Beschweren, wenn das gleiche Verhalten von einer „sympathischen“ Gruppe kommt?
Warum nicht: „Wer Gewalt ausübt, ist fällig“?
Die sollen von mir aus demonstrieren, bis der Arzt kommt (bzw. in diesem Fall kommt er recht bald, zu recht vielen). Erst die Gewalt, erst das Überschreiten von Grenzen und Gesetzen, macht die Sache problematisch. Und dann ist mir egal, wer das macht und warum.
Dir offenbar nicht. Schade.
Das wäre schön, aber die Polizei sieht das offensichtlich anders. Die waren es ja, die das Etikett geklebt haben!
7) und 10) und ein Gutteil der Fundstücke vom 16.04. sowie überhaupt
Nachdem hier im Forum weitgehend Konsens herrscht, dass die Differenzen zwischen ‚traditionellen‘ und ’neuen‘ Linken im Wesentskern ein Generationenkonflikt ist, möchte ich eine These aufstellen, woher diese Entfremdung kommt – sozusagen mein persönliches Hufeisen: Die ‚woke‘ Linke steht inhaltlich und methodisch dem Neoliberalismus unangenehm nahe.
Das beginnt bei klassisch linken Positionen, die sie aufgegeben hat(z.B. Pazifismus) ; unter diesen sticht insbesondere die universell freie Rede hervor. Von der „Freiheit der Andersdenkenden“ (mit Ausnahme offener Faschisten) ist es ein deutlicher Abstieg zur ‚cancel culture‘
Der nächste Punkt sind die falschen Freunde. So wie der Zuspruch der AfD zu Wagenknecht einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt, so erregt auf der anderen Seite die Unterstützung, die die ‚woke‘-Kultur durch (klassische) Medienoligarchen und die ‚Robber Barons‘ der Digitalkonzerne genießen, Misstrauen.
Eine weitere Rolle spielt der Wechsel des Fokus linken Denkens von materiellem zu kulturellem Kapital (Aufmerksamkeit und Deutungshoheit). Hieraus resultiert auch der andere Blick, der statt materiell messbaren (Lohnungleichheit) lieber subjektiv ‚gefühlte‘ (Sprachdiskriminierung) Ungerechtigkeiten in den Mittelpunkt rückt.
Und – hart gesprochen – in Bezug auf kulturelles Kapital agiert die neue Linke erzkapitalistisch – Klassendünkel, rücksichtslose Akkumulation, Herausdrängen von Konkurrenten (z.B. Wagenknecht) aus dem Meinungsmarkt.
Und dann ist da noch der Elefant im Raum: die Klassenfrage. Es gibt selbstverständlich immer noch eine Arbeiterklasse und ein Präkariat, jeweils definiert durch materielle Lebensumstände. Angesicht der massiven Ungerechtigkeit materieller Klassenunterschiede wirken die kleinen Konflikte, die ‚die linken‘ gegen ‚die Rechten‘ ausfechten wie Nebenkriegsschauplätze -schlimmer noch: wie Prokrastination. Weil die großen Probleme zu schwer sind (dazu muss man sich mit den Mächtigen anlegen), machen wir lieber sauber (z.B. die Sprache). Und weil es immer irgendeinen total wichtigen Streit um die Deutungshoheit gibt, bleibt die Klassenfrage halt liegen.
Aber das problematischste ist der Mangel eines utopischen Gegenentwurfs. Die Uhr Klimawandel und Ressourcenübernutzung wird wahrscheinlich einen Systemwechsel notwendig machen – und andere haben Pläne zur digitalen Komplettdiktatur. Der progressive Ansatz klingt eher wie „Weiter so, aber alle ein bisschen netter zueinander“…
„die Differenzen zwischen ‚traditionellen‘ und ’neuen‘ Linken im Wesentskern ein Generationenkonflikt ist“
Aber hat das, was Sie „woke“ Linke nennen, nicht erstmals seit Jahrzehnten wieder das Thema Klasse mit anderen Themen zusammengebracht (Stichwort Intersektionalität)? Früher gab es quasi eine, sagen wir, altmarxistische Linke (dafür standen die klassischen Kommunistischen Parteien) auf der einen, und eine bewegungsorientierte, eher antiautoritäre Linke auf der anderen Seite. Die neuen sozialen Bewegungen haben aber mehr oder weniger nur ihr eigenes Ding durchgezogen und es gab nur wenig Berührungspunkte miteinander. Könnte auch damit zu zun haben (und daher bin ich generall bei der Übernahme amerikanischer Debatten und Begriffe extrem skeptisch), dass diese in Deutschland erst zeitlich später und in einem anderen Kontext auftraten: die Frauenbewegung kam hier erst in den Siebzigern richtig groß raus, die Emanzipation der Schwulen und Lesben begann allmählich erst in den Achtzigern und die Debatten über Rassismus erst in den Neunzigern.
„Die ‚woke‘ Linke steht inhaltlich und methodisch dem Neoliberalismus unangenehm nahe.“
Wegen Individualismus statt Kollektivismus? Auch da bin ich skeptisch. Erstens gab es das auch schon bei den vormarxistischen Sozialisten oder bei Freigeistern wie Oscar Wilde (von ihm kam der Satz „Socialism will lead to individualism“) und zweitens waren die gleichen Gruppierungen, die gemeinhin als „woke“ gelten, auch schon bei Occupy Wall Street dabei – und da ging es ja eindeutig eher um materialistische Themen.
„Der nächste Punkt sind die falschen Freunde. So wie der Zuspruch der AfD zu Wagenknecht einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt, so erregt auf der anderen Seite die Unterstützung, die die ‚woke‘-Kultur durch (klassische) Medienoligarchen und die ‚Robber Barons‘ der Digitalkonzerne genießen, Misstrauen.“
Jüngst scheint aber gerade der Wagenknecht-Ansatz bei bürgerlich-konservativen Medien wie FAZ, Welt oder NZZ gut anzukommen, die doch einst als die Speerspitze eben jener „Robber Barons“ galten. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Debatte nicht zu einem größeren Gefecht hochgejazzt wird, als sie ist. Unterm Strich geht’s ja beiden Seiten um eine Form von Gleichheit und das taugt als Basis doch schon mal ganz gut: wirtschaftliche Gleichheit, Gleichheit der Geschlechter, der sexuellen Orientierungen und Hautfarben. Die klassische Arbeiterklasse ist ja auch in Deutschland in zunehmenden Maße nicht nur weiß (in den USA und Großbritannien wahrscheinlich sogar die ethnisch gemischteste Klasse überhaupt). Wenn man aber von außen diese Front immer weiter aufreißt, ist jedenfalls keinem geholfen.
Jüngst scheint aber gerade der Wagenknecht-Ansatz bei bürgerlich-konservativen Medien wie FAZ, Welt oder NZZ gut anzukommen,
Naja, aber das liegt doch nun eher an den Lästereien über skurrille Minderheiten und FFF. Da verbindet man sich eher über die Gegner als über gemeinsame Ziele. Und der altweiße Habitus, sich über die Jugend von heute aufzuregen, das zieht immer, da nimmt man zur Not auch die Klassenkämpferin.^^
Aber genau deswegen hat bevanite Recht! Denn wenn das die ‚gemeinsamen Gegner‘ sind, ist die ‚woke Linke‘ wohl kaum mit FAZ, Welt oder NZZ alliiert oder wird gar von denen hofiert…
Die woke Linke wird von FAZ, Welt und NZZ hofiert….?! Das ist doch deren Feindbild Nummer 1.
Eben?! 🙂
cimourdain hatte geschrieben:
„So wie der Zuspruch der AfD zu Wagenknecht einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt, so erregt auf der anderen Seite die Unterstützung, die die ‚woke‘-Kultur durch (klassische) Medienoligarchen und die ‚Robber Barons‘ der Digitalkonzerne genießen, Misstrauen.“
bevanite hat geantwortet:
„Jüngst scheint aber gerade der Wagenknecht-Ansatz bei bürgerlich-konservativen Medien wie FAZ, Welt oder NZZ gut anzukommen, die doch einst als die Speerspitze eben jener „Robber Barons“ galten.“
Das wollte ich unterstreichen, dem wollte ich zustimmen.
Das hatte
Dann hab ich dich missverstanden sorry.
Danke, mehr oder weniger so sehe ich es auch! Der Klassenkampf ist nicht verschwunden, er ist vielmehr mit anderen Themen ‚unterdrückerischer Systeme‘ verwoben, Intersektionalität eben.
Und weil es immer irgendeinen total wichtigen Streit um die Deutungshoheit gibt, bleibt die Klassenfrage halt liegen.
Ich weiß nicht, ich glaube die Welt bzw Wünsche sind da heute einfach komplexer geworden. Gut, vermutlich waren sie früher auch nicht so einfach und der Klassenkampf das Nonplusultra.
Aber ich denke, es hat auch mit der Individualisierung zu tun (was auch die passende Verbindung vielleicht zum Neoliberalismus ist), es ist ein passendes, verbindendes Element.
Es ist damit auch mehr vom rein Funktionalen weggekommen, die Leute wollen nicht einfach nur einen blöden, aber gutbezahlten Job haben, zwei Kinder bekommen und dann in Ruhe sterben mit einer okayen Rente. Das sind sozusagen die Grundbedürfnisse, die sind nicht unwichtig geworden, aber sie reichen eben auch nicht mehr. Sie wollen auch lieben, wen sie wollen. Gute Arbeitsbedingungen, eine gute Work-Life-Bilanz. Sicherheit! (das kann Planung betreffen, die Umwelt, Corona, nachts allein auf die Straße gehen etc). Das sind nichtmaterielle Werte, bei denen mehr Geld auf dem Konto nicht hilft und ein kollektivistischer Klassenkampf auch nicht.
Und es geht auch um Anerkennung und Gehör finden, vielleicht noch mehr als um das Ziel. Es liegt ja eine wahnsinnige Überheblichkeit darin, wenn andere Ziele außer dem Klassenkampf einfach zum „Gedöns“ erklärt werden. Das iat ja selbst eine moralische Überhöhung, nur um dann anderen vorzuwerfen, sie hypermoralisieren Umweltfragen oder Sexismus. Ich denke, die Kunst und das Erfolgsrezept würden eher darin liegen, die Probleme miteinander zu verbinden, weil sie ja oft genug miteinander zusammenhängen. Siehe materielle (Un-)Abhängigkeit von Frauen oder migrantische Aufstiegsbiographien, die oft genug auch nicht gelingen.
„Das sind sozusagen die Grundbedürfnisse, die sind nicht unwichtig geworden, aber sie reichen eben auch nicht mehr.“
Das kann/könnte ja aber nur jemand sagen, deren Grundbedürfnisse gedeckt sind / nicht darum kämpfen braucht. Nein, ich glaube, dass die Grenze zwischen ökonomisch links und gesellschaftlich links einfach dämlich ist und selbst politisch motiviert ausgenutzt wird. Da müssen beide Seiten einander zuzören und sich klar werden, wer der gemeinsame politische Gegner ist.
Wagenknecht repräsentiert übrigens keine ‚der beiden Seiten‘ die ich meine, sie ist keine Klassenkämpferin, denn sonst würde sie die Bühne die ihr geboten wird genau dafür nutzen, über ökonomische Themen/Bedürfnisse sprechen, anstatt auf Leute einzudreschen die keine Fürsprecher haben, dabei aber so tun als trete man nach oben…
Ich hab das früher/jahrelang so gesehen, aber es geht nur darum wer Alliierte und Gegner sind und warum. Man wird sehen wie sich das in Deutschland weiter entwickelt, aber in Amerika sind mehr Klassenkämpfer in den Parlamenten (Bundes-Congress und Staats-Häuser/Senate) als in den letzten 40 Jahren.
Die Leute die Themen wie Armut, prekäre Jobs, Arbeiterklasse, Streiks etc in die politische Auseinandersetzung zurück gebracht, „ver-mainstream-t“ haben, tragen Namen wie Ro Khanna, Cori Bush, Ilhan Omar, Nina Turner oder Alexandria Ocasio-Cortez, nicht Joe Smith. Und sie reden ebenfalls über gender, race (black lives matter) und Umweltthemen. Aber sie haben den Klassenkampf zurück gebracht, ohne Frage. Dagegen redet Wagenknecht ja gar nicht über die Themen die angeblich verdrängt werden, sondern trägt sogar zu deren Verdrängung bei, macht den Streit ja selbst und jetzt auf, ignoriert wer ihr dafür Applaus gibt, wessen ökonomische Interessen von diesen Unterstützern vertreten werden, ob das ihrem erklärten Ziel dient.
Zitat Floor Acta:
„Dagegen redet Wagenknecht ja gar nicht über die Themen die angeblich verdrängt werden,“
Stimmet nicht, IMHO.
Zitat:
„denn sonst würde sie die Bühne die ihr geboten wird genau dafür nutzen, über ökonomische Themen/Bedürfnisse sprechen.“
Geschieht im Buch, reichlich.
Hab das ominöse Ding ja inzwischen gelesen, was schnell geht, weil süffig und harmlos, kein Fußnotenapparat, den der Bildungsbürger so liebt. Ihr Programm „für Gemeinsamkeit, Zusammenhalt und Wohlstand“, das einen breiteren Raum einnimmt als das Austeilen in Sachen „Lifestyle“, ist ein Warenhauskatalog mit zahllosen klassischen sozial-demokratischen Bauklötzchen; gähn. Als modernisierte Freiburger Thesen der FDP könnte das auch durchgehen. Kann man alles im Detail durchdiskutieren und mehr oder weniger zustimmen oder auch nicht, aber selbst falls man/frau alles bejubeln sollte, gäb’s keine Revolution sondern „innere Reformen“ , wie das bei Willy Brandt mal so hieß.
Aber klar, sie ist halt nicht post-strukturalistisch, queertheoretisch und all so was unterwegs; die Diskriminierungen sind bei ihr nicht wie Reiskörner hingeschmissen, vielmehr gilt für sie die gute alte Theorie von Haupt- und Nebenwiderspruch. Die Dinge müssen hierarchisch sortiert werden und das Ökonomische ist nicht u.a., sondern – Vorrang beanspruchend – zentral.
Und ja, Nationalstaat wird diskutiert, unter anderem, aber natürlich brav auf links (man kann mal nebenher erwähnen, dass der moderne Nationalstaat von links kommt). Falls AfDler jubeln, sind das auch nur PR-Furze, aber sie provoziert das natürlich auch mit ihren Prenzlauer-Berg-Breitseiten, denn wenn man/frau ein Buch kapitalistisch verkaufen will (eitel ist sie halt auch^), empfehlen sich kabarettistisch aufgemotzte fetzige Beispiele über Latte-macchiato-Gentrifizierungs-Gewinner und so, angeblich aus dem prallen Leben, damit die Twitter-Kirmes-Gemeinde sich ganz furchtbar aufregt, was wiederum klassische Kommentatoren zum „Diskurs“ anregt. Und wenn Markekting-Fritzen schon vor der Veröffentlichung dann noch Häppchen durchsickern lassen, wird alles gut.
Sie folgt hat auch gewissen Marktgesetzen, so was nennt man, glaub ich, wohl Dialektik^. Nur gehn die Leut dann halt auch schon nach der schmissigen Ouvertüre raus und gucken sich die angeblich sehenswerte, aber dröge Oper gar nich mehr an.
Stimme ich zu.
@Stefan
Zum Verständnis deinerseits: Ich habe West Wing nie gesehen. Ich sehe zwar ab und zu Serien, habe aber als alter weißer Mann eine Vorliebe für Hollywoodfilme, vorzugsweise mit Cary Grant, Harrison Ford und Marilyn Monroe. Du kannst auch mit Top Gun argumentieren, der erste Film, den ich mit meiner Frau gesehen habe. Dort beichtete ich ihr, dass ich eigentlich kurzsichtig sei, aber aus Eitelkeit bisher Brille getragen hatte. Soweit.
Bush hat ja nicht so genial den Afghanistan-Feldzug geführt, weil er ein toller Stratege ist. Aber in seinem Kabinett waren hochdekorierte Militärs und der Apparat dahinter. Das war das Werk von Top-Profis. Irak das von Amateuren. Bush selbst soll ganz früh darauf erpicht gewesen sein, das Problem Saddam ein für allemal zu erledigen. Seine Berater lehnten das ab. „Das ist der, der meinen Dad töten wollte“, bezog sich auf den Attentatsversuch des irakischen Geheimdienstes auf Bush senior Mitte der Neunzigerjahre. Ich habe dem Texaner da immer ein ganzes Stück persönliche Motive unterstellt. Weil aber das Kabinett so militärisch ausgerichtet war, hätte ich Gore nicht die kluge Kriegsführung zugetraut. Denn seins hätte ganz anders ausgesehen.
Wir hatten ja festgestellt, warum Bush kein guter Präsident war. Wegen Irak, wegen Guantanamo, wegen der Foltergeschichte. Und wegen der Verschuldung. Aus meiner Betrachtung bleibt nur Irak. Die anderen zählen natürlich auch schwer, jedoch nur relativ, weil andere Präsidenten zumindest in die Richtung gedacht hätten. So kann man Kriegsgefangene weder umbringen noch freilassen. Man muss sie festsetzen bis der Konflikt gelöst ist. Das ist ein Problem, das jeder Präsident hätte lösen müssen.
Obama hat die Rolle als Weltpolizist aufgegeben. Weil er zu einem ganzen Stück Pazifist ist. Doch die größte Militärmacht der Welt, die dazu eine Demokratie und führende Wirtschaftsnation ist, kann nicht abseits stehen, wenn auf der Welt gravierende Menschenrechtsverletzungen von Staaten der Weltgemeinschaft begangen werden. Das wusste Bill Clinton, auch kein Bellezist, und das weiß Joe Biden. Auch Putin hat anscheinend keinen Zweifel, dass Biden die amerikanische Streitmacht losschicken würde, würde er rote Linien überschreiten. Deswegen musste er ja gestern den Spieß umdrehen.
Wie gesagt, ich bin alles andere als ein Militärexperte. Ich kann keine abgestimmten Taktiken empfehlen. Aber starke Präsidenten haben nie Zweifel gelassen, notfalls militärisch so zu intervenieren, dass es dem Aggressor weh tut.
Wenn wir uns über die Fakten einig sind, dass Obama der Schuldenmeister war, sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Es war ja nicht das, was Du erwartet hattest und jetzt suchst Du allerhand Begründungen. Sei Dir unbenommen. Aber das war ja nicht die Grundthese. 🙂
Ich suche noch, was Obama neben der nach ihm benannten Gesundheitsreform Herausragendes geleistet hat. Wenn ich es gefunden habe, gebe ich Dir Bescheid. Kann etwas dauern.
Ich halte Clinton dagegen für keinen sonderlich herausragenden Präsidenten.
Das lässt mich Haare raufend zurück. Welche Indikatoren Du auch nimmst, die Bill Clinton-Jahre waren die besten der letzten 70 Jahre. Staatsfinanzen (Verschuldung, Steuereinnahmen und Steuerquoten), Wirtschaftsdaten (Wachstum, Arbeitslosigkeit, Investitionen, Mobilität Fortune 500), Ansehen der USA im Ausland, alles top. Dazu hat er Sozialreformen eingeleitet und umgesetzt. Er hat als erster und bis heute einziger einen Friedensvertrag zwischen Juden und Palästinensern erfolgreich verhandelt, historisch. Und er hat einen jahrelangen Bürgerkrieg, den schlimmsten auf europäischen Boden seit dem Ende des Dritten Reiches, schnell beendet.
Ich weiß wirklich nicht, was Du für das Prädikat „herausragend“ benötigst. Wahrscheinlich war für Dich Jesus auch nicht besonders. Der hat ja nicht einmal lange gelebt und nix erobert.
In aller Kürze: TV-Serie 1999-2006, in der ein fiktiver Präsident nach dem Modell Bill Clintons regierte. War damals ein liberaler Wunschtraum, heute eher…problematisch. Und dieser Präsident war, quasi als Ausgleich für den Liberalismus, ein ziemlicher Hawk.
Ich denke, du musst Bush zumindest den Patriot Act und die furchtbare Krisenreaktionspolitik noch um den Hals hängen. Was die Schulden angeht stimme ich dir zu, die sind weniger schlimm. Gut, dass du es feststellst 😛
Obama und Pazifist…?
Ich befürchte, dass deine starke Hand ein wenig eine Tautologie ist. Wenn Assad eingezogen hätte, wäre die Reaktion der USA „glaubhaft“ und Obama „stark“ gewesen. Letztlich ist das ein Label, das retrospektiv je nach Erfolg aufgeklebt wird, weswegen ich da sehr skeptisch bin. Zum Rest des geleisteten siehe den verlinkten Artikel, aber bereits die Gesundheitsreform ist eine Großtat. Da ist übrigens Bill Clinton krachend dran gescheitert.
Mein Argument ist eine Abwandlung von deinem: Auch Jerry Brown und Paul Tsongas hätten die boomende Wirtschaft gehabt, genauso wie Bush und Dole. Die Sozialreformen darfst du gerne zählen, aber verstehst sicher, dass die für mich eher kein Erfolg sind. Bleibt der Balkan, wo ich dir zustimme. Ich sage ja nicht Clinton sei schlecht, aber herausragend?
Ich habe Bush immer als schlimmen Präsidenten gesehen. Ja, Patriot Act. Ich bin sicher, Du siehst seit dieser Woche Angela Merkel auch als eine ganz schlimme Kanzlerin.
Das allererste Mal, dass ich ein etwas milderes Bild von George W. Bush bekommen habe, was am letzten Tag seiner Präsidentschaft. Nach der Erzählung des Star-Reporters Bob Woodward weigerte sich Bush noch in den letzten Stunden beharrlich, dem ultimativen Drängen von Dick Cheney nachzugeben und Lewis Libby zu begnadigen. Cheneys Argument: Wir lassen niemanden auf dem Schlachtfeld zurück. Doch es widersprach Bushs Gerechtigkeitsempfinden, hier der Justiz in den Arm zu fallen. Er erließ ihm nur die 30-monatige Haftstrafe.
Libby wurde 2018 von Donald Trump vollständig begnadigt.
Auch sein Verhalten gegenüber Obama war vorbildlich und er wehrte sich gegen die Radikalisierung der GOP. Das alles macht ihn nicht im Nachhinein zu einem guten Präsidenten. Aber vielleicht ist er nicht der schlechteste Präsident der vergangenen 200 Jahre.
Natürlich hat Bush eine katastrophale Finanzpolitik betrieben. Das begann direkt mit der Amtsübernahme und er zerstörte die äußerst solide Finanzbasis, die Bill Clinton geschaffen hatte. Wer hätte schon gedacht, dass Barack Obama das hätte toppen können?
Bill Clinton ist an dem Projekt der Gesundheitsreform gescheitert, weil dies der First Lady überlassen hatte. Erstmalig in der Geschichte übernahm diese nicht nur Repräsentationsaufgaben, sondern war politisch für eine Sache verantwortlich. Hillary setzte das aufgrund ihrer politischen Dickköpfigkeit (höflich formuliert) binnen einen Jahres in den Sand und hinterließ verbrannte Erde. Ja, das fällt auf den Präsidenten, der hernach seiner Frau politische Kompetenzen entziehen musste.
Mir fehlt an Dir der objektive Maßstab. Du bewertest die Spitzenpolitiker nach Deiner politischen Opportunität. Du leistest Dir nicht die Neutralität, die notwendig wäre. Was macht jemanden zu einem großen, herausragenden Regierungschef? Wo sind die objektiven Kriterien, die Du sowohl an Deine Lieblinge als auch Gegner gleichermaßen anlegen würdest?
Es gibt bei Bill Clinton kein wesentliches Kriterium, wo er unterdurchschnittlich abschneiden würde. Alles, was für die Prosperität einer Gesellschaft wie einer Volkswirtschaft relevant sind bis hin zur außenpolitischen Anerkennung, erfüllt der Charismatiker. Sofort als Bush das Amt übernahm, drehten die Anzeigen bei den Staatsfinanzen wieder in den roten Bereich, sank das Ansehen der USA in der Welt, bracht die zweite Intifada in Israel aus. Das war praktisch unmittelbar nach dem Ende von Clintons Präsidentschaft. Da ist es nicht mehr möglich, von Zufälligkeiten und günstigen Zeiten für den einen und ungünstigen Zeiten für den anderen zu sprechen.
Obama erlebte das Glück eines langjährigen Wirtschaftsbooms in der Welt. Er erlebte das Glück des Zusammenbruchs von Diktaturen im arabischen Raum. Dennoch schaffte er es, Rekordschulden aufzuhäufen, die Staatsfinanzen nachhaltig zu schädigen und dass in seiner Zeit im Weißen Haus aus Revolutionen ein Flächenbrand aus Blut wurde. Bush senior und Bill Clinton haben Konflikte befriedet, Obama solchen erst zum Feuer verholfen.
Nochmal: für historische Einordnungen brauchen wir objektivierbare Maßstäbe, nicht Gefühle.
Ich sehe Angela Merkel nicht erst seit dieser Woche als schlimme Kanzlerin, aber sicherlich nicht wegen der Corona-Maßnahmen. Aber der Vergleich ist interessant; erlaube mir, den ein bisschen länger zu verdauen.
Ich glaube sofort, dass Bush ein charakterlich integrer Mensch ist. Es gibt mWn auch keine Skandale seit seiner Präsidentschaft, irgendwelche persönliche Korruption, etc. Dasselbe gilt übrigens auch für Mitt Romney. Dagegen war Bill Clinton charakterlich schon ein bisschen ein Schwein (weswegen er ja auch beinahe die Präsidentschaft verlor und was maßgeblich zur Niederlage 2000 beitrug). Nur, mir ist das für die Bewertung der Präsidentschaft weitgehend egal. Ich teile deinen milden Blick auf die Begnadigung (weil das die Präsidentschaft betrifft), aber angesichts Guantanmo etc. ist das echt nicht mehr als eine einzelne Geste, die im Gegensatz, nicht im Einklang, zu seinem sonstigen Regierungshandeln steht. Ob er oder sein Kabinett (Cheney…!) dafür verantwortlich waren, ist zweitrangig. Er war Präsident. The buck stops here.
Verhalten gegen Obama: Völlige Zustimmung, das war klasse. Stellt Obama ja auch selbst immer wieder raus. Obamas gegenüber Trump im Übrigen auch!
Obamas Finanzpolitik war wesentlich solider als die Bushs. Nimm mal die ideologische Brille ab.
Es war ja klar, dass Hillary bei dir verantwortlich sein würde 😀 Ich hab draif gewartet.
Und der Maßstab fehlt nicht, nein. Ich habe etwa im Kanzlerranking einen von persönlichen Opportunitäten weitgehend freien Maßstab anzulegen versucht; einen ähnlichen Versuch siehst du im letzthin verlinkten Podcast. Oder glaubst du, Adenauer wäre bei mir auf Platz 1, würde ich meinen politischen Opportunitäten folgen?
Clinton schneidet, außer bei der charakterlichen Integrität, nirgends unterdurchschnittlich ab. Er war ein guter Präsident. Er war nur nicht HERAUSRAGEND gut. Das ist alles. Ich meine, es reicht ihm wahrscheinlich knapp in die Top 5 der modernen Präsidenten! Aber halt nicht auf die Top 3, würde ich sagen. Zumindest nicht, wenn ich meine persönliche Opportunität beiseite lasse 😉
Auch Clinton erlebte einen langjährigen Wirtschaftsbooms. Vor allem aber das Glück, dass sein Vorgänger nicht zwei gigantisch teure Kriege anfing und die Finanzwirtschaft kollabierte.
Nochmal: für historische Einordnungen brauchen wir objektivierbare Maßstäbe, nicht Gefühle.
Der Bundestag hat am Mittwoch ein Gesetz beschlossen, nachdem das Colatrinken im öffentlichen Raum mit bis zu 5 Jahren Haft bestraft werden kann:
§ 74 Infektionsschutzgesetz
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine in § 73 Absatz 1 oder Absatz 1a Nummer 1 bis 7, 11 bis 20, 22, 22a, 23 oder 24 bezeichnete vorsätzliche Handlung begeht (..).
In § 73 Infektionsschutzgesetz Nummer 11j ist dazu aufgeführt:
entgegen § 28b Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 fünfter Halbsatz eine Speise oder ein Getränk verzehrt,
https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__73.html
Ich denke, das kommt Deinen Anforderungen an den USA Patriot Act doch ziemlich nahe. Kein Scherz.
Bill Clinton hatte hervorragende Approval Rates, bevor er das Amt verließ. Die Amerikaner hatten längst ihren Frieden gemacht. Al Gore hatte einen miserablen, arroganten Wahlkampf geführt und dafür die Quittung bekommen. Und Hillary: das war die zeitgenössische Beurteilung von TIME Magazine bis SPIEGEL. Ich wiederhole, was damals geschrieben wurde. Prügel‘ also die Autoren von vor knapp 30 Jahren.
Barack Obama ist ein Gentleman, Clinton nicht. Das ist einfach als Konsens.
Welches Ranking Du auch nimmst, in den letzten 50 Jahren gehören Ronald Reagan und Bill Clinton immer zu den herausragenden Präsidenten der US-Geschichte. Man muss schon in den Sechzigerjahre gehen, um anerkannt bessere zu finden. Nix mit Top 5, wie Du meinst, sondern eher Top 2.
https://www.cbsnews.com/pictures/presidents-ranked-worst-best/28/
Barack Obama wird auch häufiger genannt, aber vor allem wegen seines honorigen Charakters, nicht seiner politischen Leistungen. Da gehe ich absolut mit, Obama brachte all die charakterlichen Eigenschaften mit, die man sich für einen Präsidenten wünscht. Keine zwei Meinungen. Übrigens: Trump zählt nicht zu den Top-Präsidenten. 😉
Clinton hatte für den Boom einiges getan und konnte auf die hervorragende Vorarbeit eines charismatischen Vorgängers aufbauen: Ronald Reagan. Unter seiner Präsidentschaft entstand die New Economy, das Silicon Valley, der Ausbau der Globalisation, die kluge Nutzung der Erträge der Reaganomics. Und nebenbei waren seine außenpolitischen Erfolge eben auch beeindruckend. Warum meinst Du denn, waren die USA in den Neunzigerjahren nicht nur hoch anerkannt, sondern selbst in Deutschland beliebt?
Halt‘ mich auf dem Laufenden über den Podcast. Transcript wäre auch eine nette Sache, denn immer einer Stunde hören ist sehr zeitaufwendig.
Ja, aber das wäre ein Arsch voll Arbeit, und die Leute wollen das hören, nicht lesen 🙂
Wieso? Ein Transcript ist doch schnell erstellt? Ja, ich bin altmodisch. Ich mag bei WhatsApp auch nicht die Sprachnachrichten.
Von einem einstündigen Podcast?! Hast du da irgendein Programm für? Ich kenn keines.
Ich habe vor kurzem ein 35-minütiges Gespräch mit Tape-Call transcripiert. Also, da sollte es genügend, allerdings kostenpflichtige Möglichkeiten geben.
Ich verstehe worauf du rauswillst. Ich halte das zitierte Gesetz für absurd und bescheuert, aus diversen Gründen. In aller Kürze: allein das aktuelle Chaos der Verordnungen gerade garantiert, dass praktisch keine Sau das kennt. Da werden Millionen jeden Tag unabsichtlich dagegen verstoßen, und das allein macht es zu einem miesen Gesetz. Aber: Gerade das macht es auch nicht vergleichbar mit dem Patriot Act. Denn sind wir ehrlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat. Wäre das Gesetz in Ungarn erlassen worden, hätte ich keinen Zweifel, dass morgen hunderte Regierungsgegner*innen wegen Colatrinken im Knast sitzen. Aber siehst du ernsthaft irgendein deutsches Gericht jemanden deswegen zu fünf Jahren Haft verurteilen? Schon allein, weil der Vorsatz kaum nachzuweisen ist. Der Patriot Act dagegen setzte Leute auf eine geheime Terrorliste, die ihnen massiv Bürgerrechte nahm, ohne Möglichkeit das auch nur einzusehen oder anzufechten. Nein, Stefan, der Patriot Act spielt in einer völlig anderen Liga, die berechtigte Kritik am Infektionsschutzgesetz hin oder her.
Bezüglich Reagan: Du wirst mir zugestehen, dass ich ihn für eine ziemliche Katastrophe halte. In einer objektiven Ranking muss er natürlich in die Top5, deswegen habe ich die ja so benannt 🙂 Und ich widerspreche dir bei keinen von Clintons Leistungen.
„Da werden Millionen jeden Tag unabsichtlich dagegen verstoßen, und das allein macht es zu einem miesen Gesetz“.
Allerdings. Das Gesetz ist eine Monströsität – offenbar der „Rechtsicherheit“ geschuldet. Nur verständlich für Juristen. Ich gestehe, das ich bei der Lektüre des Gesetztestextes nicht nachvollziehen konnte, ob man nun für die Cola in den Knast muss oder nicht. Aber es wäre auch schon schlimm genug, wenn man wegen eines Bußgeldes deshalb prozessieren müsste.
Exakt.
Das Gesetz hat eine extremistische Note. Und die völlig überzogenen Strafen für Lappalien zeigen es. Die Grünen verhindern, dass sich das Bundesverfassungsgericht ausführlich über ein hoch umstrittenes Gesetz beugen kann. Auch das sollte nihct vergessen werden. Zur Oppositionsarbeit gehört, die Rechte der Opposition nutzen zu können. Es sind nur 25% der Abgeordneten erforderlich, um eine Normenkontrollklage in Karlsruhe einreichen zu können. Doch dies verweigern die Grünen. So wird den Nicht-Regierungsfraktionen an einer wichtigen Schwelle unseres Rechtsstaates der Zahn gezogen.
Der generalistische Blick: Deutsche Richter orientieren sich beim Strafmaß am unteren Bereich des vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmens. Und die Richter werden das Gesetz als solches erkennen, was es ist: Der Versuch des Staates, den Bürger für die seine Grundrechte zu bestrafen. Dieses Gesetz ist ein schlimmer Übergriff und eine Besonderheit in der deutschen Rechtsgeschichte. Irgendwann wird es uns sehr peinlich sein.
Don’t get me wrong: Bush ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sich mein Amerika zu einem Land verändert hat, das seine Offenheit verloren hat. Ich habe mit solchen Gesetzen wie den USA Patriot Act mitgelitten. Aber es ging um Einordnungen. Irak war etwas, was nur Bush getan hätte und hat. Bei den anderen „Vergehen“ habe ich eine Einordnung versucht. Da war er auch Getriebener seiner Zeit. Übrigens erschien drei Jahre zuvor der Film „Ausnahmezustand“ mit Denzel Washington, der in beängstigender Weise viel vorwegnahm, was nach 2001 Realität wurde.
Wenn Du in allem zustimmst, verstehe ich nicht Deine immer noch „schlechte“ Einordnung. Nixon, Ford, Carter, Reagan, Bush I & II, Clinton, Obama und dieser Milliardär da. Es ist schwer, da jemand vor Clinton zu sehen, außer Reagan.
Du vergisst Roosevelt. Der muss Platz 1 besetzen. Wenn wir dann meine Metrik weiterverwenden – einflussreichste US-Präsidenten – käme als nächstes Reagan. Wenn wir die besten nehmen, würde ich vermutlich Truman und Obama noch vor Clinton setzen, aber ich weiß, dass du anderer Meinung bist. Rechnen wir ohne Parteivorlieben, muss auch Eisenhower hoch platziert werden. Schwierig tue ich mit Johnson; der hat viele tolle Sachen, aber Vietnam zieht ihn natürlich runter. Kennedy hat die Welt nicht gesprengt, das kann man gar nicht hoch genug werten. Und Bush Senior war ein ziemlich verantwortungsvoll und generell ordentlich agierender Präsident. Also ist schon etwas komplexer.
Stopp, stopp junger Mann! Mit moderneren Geschichte meine ich, und das habe ich gestern auch angeführt, die letzten 50 Jahre. Ich bin nicht so tief in amerikanischer Geschichte wie Du, also kann ich mich vor allem aus meinem Fundus an Erfahrung und damit als zeitgenössischer Beobachter bedienen. Da hört es eigentlich bei Reagan auf, mit etwas gutem Willen bekomme ich noch Carter (noch politisch interessiert erlebt), Ford und Nixon hin. Von Kennedy weiß ich im wesentlichen, dass meine Traumfrau Marilyn Monroe ihm ein Ständchen gebracht hat und seine Amtszeit irgendwie vor dem regulären Ablauf abgebrochen wurde.
Nein, ernsthaft, JFK markiert eine Zeitenwende, er war in vieler Hinsicht innovativ und wird von vielen Historikern zu den großen Präsidenten gezählt. Aber – das war nicht mein Vergleichszeitraum. Bush senior war außenpolitisch durch sehr gutes und seriöses Management sehr erfolgreich, wirtschaftspolitisch aber nicht und er hatte bei den Umbrüchen eine passive Rolle, anders als Clinton, der Camp David vermittelte.
Dann reden wir schlicht von unterschiedlichen Dingen. Der Beginn der modernen Präsidentschaft wird von praktisch allen Historiker*innen bei Roosevelt angesetzt (wenngleich einige wenige Teddy Roosevelt nehmen). Alle vernünftigen Vergleiche nehmen den als Metrik. Wenn du natürlich erst bei Nixon anfängst, klar, dann rutscht logischerweise Clinton weiter hoch. A rising tide lifts all boats. Aber davon spreche ich ja nicht. Wie gesagt, ich empfehle dir den Podcast, wir gehen darin auch kurz darauf ein, warum man bei Roosevelt beginnt (Stichwort: imperial presidency).
Selbstverständlich sehe ich Clinton nicht auf einer Stufe mit FDR, vielleicht nicht mal mit Truman. Aber ich kenne hier die amerikanische Geschichte viel zu wenig als mir da eine Wertung erlauben zu können. Eine Wertung traue ich mir allein bei den letzten 50 Jahren zu. Und da rangiert Bill Clinton für mich klar auf Platz 2.
Für mich auch.
Gut, dann sind wir ja befriedet. 🙂
In den Podcast habe ich reingehört. Wie gesagt, sehr interessant. Handicap: die Länge.
Die meisten Hörer*innen sehen das als Feature 😀
Wie gesagt, Du hast hier einen alten Herrn im Blog. 🙂
Im Übrigen möchte ich hier noch etwas anbringen. Du hast, neben anderen, nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung „Spinner“ (die ich verwendet habe) oder „Covidioten“ (die andere verwendet haben) für die Demonstrierenden unangemessen beleidigend ist. Fair enough. Hab aber bitte auch deine eigene Sprache unter Kontrolle. Dem Infektionsschutzgesetz eine „extremistische Note“ zu unterstellen ist nämlich mindestens genauso daneben.
Ich kenne keinen Wissenschaftler, der Covidiot oder Spinner als Teil der Analyse verwendet. Mit dem Notbremsegesetz verhält es sich jedoch anders. Es beinhaltet mehrere Aspekte, die als eindeutig verfassungswidrig beurteilt werden. So sind Ausgangssperren nach einhelliger Ansicht von Grundrechtsexperten verfassungswidrig. Die Einschätzung wurde bereits von verschiedenen Verwaltungsgerichten bestätigt.
Die Strafen, wie die von mir angeführte, gehen extrem weit über den üblichen Ordnungsrahmen hinaus. Und es ist eine ziemlich eindeutige Position, dass die Regierung mit diesem Gesetz sehenden Auges ein Urteil „verfassungswidrig“ kassieren wird.
Zudem, letzter Punkt, wurden solch drastische Maßnahmen in anderen Ländern erst bei wesentlich höheren Inzidenzwerten verhängt. Kurz, dieses Gesetz geht extrem weit. Vorsichtig ausgedrückt.
„Der Bundestag hat am Mittwoch ein Gesetz beschlossen, nachdem das Colatrinken im öffentlichen Raum mit bis zu 5 Jahren Haft bestraft werden kann“
Sicher? § 28b Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 bezieht sich meinem Verständnis nach auf illegal betriebene Gastronomie? Es geht also um den Verzehr in eben einem solchen/nach illegal abgeschlossenem Erwerb, nicht „in der Öffentlichkeit“ per se, deshalb ist Satz (i) direkt darüber auch auf das Gegenüber/den Verkäufer bezogen?
Sag ich doch. Das ist ein unrealistisches Maximalszenario. Die Unsicherheit ist das Problem.
Ja, aber ich bin mir nicht sicher ob das wirklich nur der Politik selbst oder nicht auch den Medien und teilweise der Bevölkerung selbst anzulasten ist (letzteres natürlich nur ‚on the margin‘). Was wollen die Leute denn? Einheitliche Regeln, faire Regeln, Verschärfungen, Lockerungen, Inzidenz/Impfstatus-abhängig oder -unabhängig? Das Gesetz versucht alles unter einen Hut zu bringen.
Aber wir kennen ja in der Regel die allerwenigsten Gesetze im Wortlaut, dagegen kann ich eigentlich erwarten, dass zur Recherche von ‚Journalisten‘ auch das Studium dieses Gesetzes, den Vergleich mit Landesverordnungen, vielleicht Regelungen im Ausland gehört und der Wesensgehalt erfasst und im verständlicher Sprache wiedergegeben wird und damit den Bürger neben dem prinzipiellen Vertrauen in die Institutionen zu seiner Kontrollfunktion befähigt. Und nicht hauptsache viele, möglichst seichte click-bait Artikel aus sound bites die der Leser wahrscheinlich eh schon im Wortlaut auf Dauerschleife gehört hat raushaut, Informationsgehalt nahe null. Das ist aber nicht nur ein Problem Deutschlands, nebenbei bemerkt. Ich habe heute einen Artikel auf CNN über Griechenland gelesen, der mir zu 50% aus Presseerklärungen der Tourismus Industrie und 50% generischer Kritik an Urlaub zusammengesetzt schien. Unabhängig der Wertung oder „Seite“ hat er mehrere faktisch falsche Hämmer beinhaltet die andernorts mind. 3 Pinochios verdient hätten. Darüberhinaus nicht wirklich was beigetragen…
Auf Deutschland und das Infektionsschutzgesetz zurück zu kommen, ja, ist alles unklar aber m.E. ist die Debatte im Vorfeld und die Reaktion auch stark von ‚genereller Müdigkeit bis Aggression‘ einerseits und fehlendem Vertrauen (zu Recht?) / zerschlagenem Porzellan sowohl zwischen Bürgern und Politik, Bürgern und Medien, Medien und Politik geprägt. In Unternehmen würde man davon sprechen das ’notwendige Vertrauensverhältnis‘ sei nicht mehr gegeben … und das macht mir Angst…
„…und fehlendem Vertrauen (zu Recht?) / zerschlagenem Porzellan…“
Das Fragezeichen ist mir wichtig
Völlig richtig.
Nein, die Ausgabe der Cola wird ebenfalls mit bis zu 5 Jahren bestraft. Und es geht um den Verzehr der Cola, ob in der Gaststätte oder auf einem Platz, ist unerheblich. Wohlgemerkt, dabei handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit nicht eine Straftat. Mir ist nichts Vergleichbares erinnerlich.
Auch wenn dies an Extremfälle gebunden ist, es ist selbst Extremismus. Mit 5 Jahren werden mittelschwere Straftaten wie Betrug oder Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung geahndet.
Das der Verkauf an sich ebenso strafbar ist, ist eben in Satz i geregelt, das meinte ich ja. Trotzdem geht es um den Verzehr im Zusammenhang mit illegaler Gastronomie, nicht um „ich hab ein Wasser im Rucksack und trinke es in der Öffentlichkeit“….
Anyway, das nur als Randbemerkung.
Nicht strafbar – ordnungswidrig. Schwarzfahren ist strafbar, falsch Parken ist nur ordnungswidrig.
Stellen Sie sich einen Moment vor, ins Strafgesetzbuch würde aufgenommen, dass Schwarzfahrer unter bestimmten Bedingungen – z.B. Kontrolleur eine auf die Acht gegeben, zu bis zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt werden könnten. Extremfall, sicher, aber prinzipiell möglich.
Ich glaube, es wäre der Punkt, wo wir uns einig wären: als Maximalstrafe überzogen. Warum sind wir uns das nicht beim Level darunter, Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes?
Ich nehme an, die wollen gewerbsmäßige Verstöße mit drunter aufnehmen. Beispielsweise jemanden, der Cola in landesweitem Umfang entgegen der Bestimmungen unter die Leute bringt und anstiftet, die Regeln zu brechen oder so was. Die Colatrinkenden selbst sind jedenfalls nicht gemeint, das ist uns glaube ich allen klar.
Im Recht hat „annehmen“ keinen Platz. Damit kommst Du vor keinem Richter durch. Und nein, „gewerbsmäßig“ ist ein Begriff aus dem Strafrecht, wir bewegen uns im Bereich des Ordnungsrechts. Auch wer 20 mal falsch parkt, kann nie dies „gewerbsmäßig“ tun. Wer aber 20 Urkunden fälscht, tut dies möglicherweise „gewerbsmäßig“. Es geht allein um das Cola-Trinken.
Nein, die Einordnung soll den abschreckenden Charakter deutlich machen, zeigt aber nur die Übergriffigkeit.
§ 74 Infektionsschutzgesetz lautet komplett:
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine (..) bezeichnete vorsätzliche Handlung begeht und dadurch eine (..) genannte Krankheit, einen in § 7 genannten Krankheitserreger oder eine in einer Rechtsverordnung nach § 15 Absatz 1 oder Absatz 3 genannte Krankheit oder einen dort genannten Krankheitserreger verbreitet.
(Paragrafenbezeichnungen der besseren Lesbarkeit herausgenommen).
Dieses festzustellen und entsprechend zu ahnden, ist jedoch Aufgabe des Strafrechts und von Richtern, nicht von Behörden und Polizisten.
Hinzu kommt übrigens noch die Verkürzung des Rechtsweges. Bisher konnten die Bürger vor den Verwaltungsgerichten gegen solche Anordnungen klagen. Nun geht das nur noch über den sehr teuren und wenig aussichtsreichen Weg über das Bundesverfassungsgericht. Das kann man als Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland werten.
Ich nehme an, als Laie. Vor Gericht müssen Sachen bewiesen werden.
Letztlich könnten wir zum Ursprung zurückkehren: übergriffig ja, doof ja, aber Patriot Act? Nein.