Wagenknecht führt mit Putin vor dem Grill Kulturkämpfe gegen Janet Yellen und Markus Söder – Vermischtes 16.04.2021

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Wagenknecht warnt vor „immer skurrileren Minderheiten“

Wörtlich schrieb Wagenknecht: „Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu lenken, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein.“ Als Beispiel für solche „Marotten“ nennt sie sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Ethnie. Arme Menschen, die lediglich „weiß und hetero“ seien, würden dagegen den angeblich begehrten Opferstatus nicht erhalten. […] Wagenknecht hatte bereits 2018 versucht, Politik für die Gleichbehandlung von LGBTI pauschal als unwichtig darzustellen. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz seien lediglich „Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten“ (queer.de berichtete). […] Die nach wie vor anhaltende Popularität Wagenknechts innerhalb von Partei und Fraktion zeigt einen großen Unterschied zwischen Homophobie in der Linkspartei und bei SPD und Grünen. Denn das Duo Thierse/Palmer hat in ihren Parteien nichts (mehr) zu sagen: Thierse ist schon längst aus der aktiven Politik ausgestiegen, während Palmer in seiner Partei weitgehend isoliert ist und seine Autorität nur aus seinem Bürgermeisterposten herleitet. Wagenknecht und ihre menschenverachtenden Äußerungen scheinen hingegen in der Mitte der Partei zu wachsen. (Dennis Klein, queer.de)

Mit „immer skurrileren Minderheiten“ kennt Wagenknecht sich ja aus. *Mic-Drop* Aber ernsthaft, Wagenknecht erhält gerade genau die massive Aufmerksamkeit, auf die sie es mit ihren überzogenen Thesen abgesehen hatte, von daher: alles richtig gemacht. Die Frau ist ohnehin weniger Politikerin als Publizistin mit angeschlossenem Marketingbüro im Bundestag. Dass sie gerade begeistert in der FAZ hoch und runter besprochen wird verwundert nicht, ich würde ein Buch von Markus Söder über die Notwendigkeit einer weltoffenen Politik und Bewältigung der Klimakrise auch besprechenswert finden.

Aber Wagenknecht setzt damit das ständige Werben um AfD-Wählende fort, das sie seit der Flüchtlingskrise begreift. Ihr Ehegatte dürfte da aus „Fremdarbeiter“-Erfahrung zustimmen. Ich halte wenig von dem Versuch, über rassistische und homophobe dog-whistles diese Wählendenschichten gewinnen zu wollen. Zum einen, weil Wagenknechts Behauptung von der AfD als Arbeiterpartei einfach nicht greift (genausowenig übrigens, wie die ständige Wiederholung der Behauptung, Trump sei von „den Arbeitern“ gewählt worden, diese Aussage richtiger gemacht hätte). Wer auf sie hörte, würde keinen Erfolg damit haben.

Letztlich ist Wagenknechts Wahl auf Listenplatz in NRW aber auch nur ein Signal dafür, dass es zu R2G im Bund wieder nicht kommen wird. Ihre Berufsopposition, der sie ja auch einen guten Teil ihrer Außenwirkung verdankt – nur dort wo keine Verantwortung zu tragen ist kann man ideologisch rein und unberührt bleiben – wird ihr Scherflein dazu beitragen. Da hilft auch diese Kampfansage an die eigenen möglichen Koalitionspartner nicht. Ihr wird es aber ordentlich Tantiemen in die Kasse spülen. Es sei ihr gegönnt, der Kapitalismus funktioniert auch für seine Gegner*innen.

2) „Führt keine Kulturkämpfe!“ (Interview mit Anne Applebaum)

Teilen Sie die Analyse, dass die Alternative nicht mehr rechts oder links ist, sondern liberal oder illiberal?

Das kommt auf die Gesellschaft an, Deutschland ist anders als die USA. Aber ja: Um die Kräfte des Illiberalismus zu schlagen, kann es sehr breite Koalitionen brauchen. Liberale, Konservative, Linke, Grüne. Das Parteiensystem verändert sich, ob Christ- oder Sozialdemokrat, ob mitterechts oder mittelinks, die Unterscheidung entspricht nicht mehr den politischen Fragen.

Führ bloß keine Kulturkämpfe, das ist einer Ihrer Leitsätze.

Ja, sei vorsichtig mit Kulturkämpfen, weil du sie verlieren kannst und sie Leute spalten, und wenn sie mal gespalten sind, wird es schwer, über etwas anderes zu sprechen.

Populisten brauchen Kulturkämpfe: Familie vs. Gender, Christentum vs. Islam, Diesel vs. Elektro, weil sie genau das anstreben, die Spaltung und Vermeidung, über die Lösung gemeinsamer Probleme zu sprechen.

Kulturkämpfe füttern Verschwörungsdenken und konzentrieren sich auf symbolische Fragen, die die Leute wütend machen. Für Liberale und Leute, die sich um die Demokratie sorgen, ist es wichtig, sich über die Grundlagen eines Kulturkampfes klarzuwerden, es braucht also die Behandlung der Wurzeln von Kulturkämpfen: richtige Bildungspolitik, Einwanderungspolitik, Sozialpolitik, Regulierung des Internets, man muss darauf achten, dass Leute sich nicht ausgeschlossen fühlen. Dumme Streits auf links-rechts-Twitter beinhalten keine Lösungen für die ganze Gesellschaft. (Peter Unfried, taz)

Ähnlich dem Thema von Fundstück 1 ist dieses Interview mit Anne Applebaum, wenngleich etwas Gehaltvoller als Wagenknechts Provokationen. Applebaum ist eine Konservative, das nur für den Hintergrund. Mir ist das deswegen wichtig zu betonen, weil sie völlig korrekt die Kulturkämpfe auf beiden Seiten des politischen Spektrums ausmacht. Das absurde ist, dass diese zur Zeit ja vor allem von rechts geführt werden. Die Rechte braucht diese Kulturkämpfe, um die eigene Basis zu mobilisieren, und die Ironie an der Geschichte ist, dass sie sämtliche dieser Kulturkämpfe verliert – wie bereits die letzten Dekaden.

Solange sie im Gegenzug Wahlen gewinnt, ist das ein attraktiver Tausch (den Linke schon viel früher hätten erkennen müssen), aber das ist eine zunehmend wackelige Annahme, vor allem im Mutterland dieser Kulturkämpfe, den USA. Aber selbst in Osteuropa verfängt die Rhetorik immer weniger, müssen Orban und Konsorten zu immer extremeren Aussagen greifen, um einen schwindenden Enthusiasmus zu generieren. Das sind gute Nachrichten. Meine Prognose ist, dass die Ära der Kulturkämpfe im Abwind ist und sich in den nächsten Jahren weiter abflauen wird. Bin gespannt, ob ich damit richtig liege 🙂

3) Moskau sieht sich im Krieg mit dem Westen

Machen wir uns nichts vor: Tatsächlich geht es nicht um den Donbas und auch nicht um die Krim – obwohl das Problem der Wasserversorgung dort Russland sicher zu schaffen macht – und schon gar nicht um die NATO-Osterweiterung. In Osteuropa wird in härterer Währung bezahlt: es geht um Macht und Legitimität und für den Westen auch um Werte. Hier entscheidet sich nämlich, welche politischen Ordnungsmodelle sich auf diesem Kontinent durchsetzen: Imperium oder Nation, Demokratie oder Autokratie, Recht oder Willkür. Diese grundlegenden Unterscheidungen machen den Konflikt mit Moskau grundsätzlich und damit auch gefährlich. Wie bereits im Kalten Krieg stehen der Westen und Russland wieder für unterschiedliche Modelle und Vorstellungen. Die russische Führung hat das lang erkannt und wähnt sich deshalb – aus eigener Perspektive zu Recht – im Krieg mit dem Westen, was das Gros der westlichen Politik nicht wahrhaben will. Wenn man diesen grundsätzlichen Gegensatz verstanden hat, wird auch klar, warum Deutschland, Europa und der Westen in dieser Auseinandersetzung einen langen Atem brauchen. Es geht zunächst nur um Konfliktmanagement, nicht um conflict resolution. Doch auch dazu bedarf es einer entschlossenen Politik mit klarer Rhetorik. Kluge Diplomatie sieht nicht zu, sie interveniert. In Berlin und Paris ist es bereits vergessen, doch in Kiew weiß man: Die Zögerlichkeit des Westens im Jahr 2014 hatte einen hohen Preis, den die Ukraine bezahlt hat. In diesen Tagen entscheidet sich, wieviel Handlungsspielraum Moskau in diesem Sommer bekommt. Noch ist es nicht zu spät, eine Neuauflage von 2014 zu verhindern. (Jan C. Behrends, Salonkolumnisten)

Da ist nichts zu verhindern. Selbstverständlich ist es dazu zu spät. Wie sollte das denn noch funktionieren? Als ob die EU, Deutschland vorne dran, sich zu einer einheitlichen und glaubhaften Abschreckung zusammenfinden würde. Wenn die Jahre seit 2014 eins bewiesen haben, dann, dass niemand bereit ist, für die Ukraine etwas zu riskieren. Unsere völlige Schnitzpiepe im Außenamt, Heiko Maas, hat mit seinem unerträglichen Bothsiderismus das Seinige dazu beigetragen (von wegen „rufen beide Seiten auf sich friedlich zu einigen“). Wirklich, das Kabinett Merkel IV vereinigt einige der größten Pfeifen aller Zeiten in den Ministerien. Das ist doch echt systemisch langsam.

Eine weitere Bemerkung: Es handelt sich hier nicht um einen Systemkonflikt. Das ist keine Neuauflage des Kalten Kriegs. Russland ist da wesentlich weiter als viele westliche Beobachtende. Ebenso wie China wollen sie niemanden bekehren, haben keine Notwendigkeit, die Überlegenheit ihres eigenen Systems zu beweisen. Alles, was Putin will, ist nackte Machtpolitik betreiben, und genau das tut er. Da gibt es keinen Wettstreit der Ideen. Das ist Interessenpolitik von Nationalstaaten wie im 19. Jahrhundert. Alles, was fehlt, ist eine Berliner Kolonialkonferenz zur Aufteilung der unglücklichen Opfer.

4) Your Diet Is Cooking the Planet

Reforming the food system to save the planet is going to require new corporate practices, and new laws and regulations at the national and international levels. But individual consumer behaviors matter as well—more than you might think. Your diet is likely one of your biggest sources of climate emissions. But what should you do? Eat locally? Get your food from small-scale farmers? Choose organics and fair trade? Avoid processed foods? Eat seasonally? The choices are many; the stakes are high. But experts on land use, climate change, and sustainable agriculture told me that two habits tower above all others in terms of environmental impact. To help save the planet, quit wasting food and eat less meat. […] Households, not restaurants or schools or corporate cafeterias, are the dominant wasters. The problem is worse in the United States than in most other countries, and it has worsened over time. When you toss a spoiled chicken breast or moldy tomato into the trash, you’re wasting a greenhouse-gas-intensive product. You’re also sending it to a landfill, where it will emit methane. […] The main, mooing offender is beef. Cattle are responsible for roughly two-thirds of the livestock sector’s greenhouse-gas emissions, while beef and dairy products are responsible for about one-tenth of global emissions overall. Gram for gram, beef produces roughly eight times more greenhouse-gas emissions than farmed fish or poultry, 12 times more than eggs, 25 times more than tofu, and even more compared with pulses, nuts, root vegetables, bananas, potatoes, bread, or maize. (Annie Lowrey, The Atlantic)

Die Bedeutung unserer Ernährung für die Rettung des Weltklimas gehört zu den immer wieder verblüffendsten und schmerzhaftesten Erkenntnissen. Die Elektrifizierung des Verkehrs ist ja eine Geschichte, das ändert wenig am eigenen Lebensstil. Aber auf Fleischprodukte zu verzichten, nur noch saisonales Obst und Gemüse zu verzehren und die Lebensmittelverschwendung einzudämmen – was auch einen Verzicht auf die lange eintrainierten ästhetischen Vorlieben bedeutet, mit gleichfarbigem, druckstellenfreiem Gemüse etc. – dürfte eine wesentlich schwierigere politische Forderung sein als praktisch alle anderen Klimaschutzmaßnahmen. Ich habe keine Ahnung, wie man das politisch verkaufen will. Jeder Versuch ist effektiv politischer Selbstmord. Siehe Veggie-Day.

5) Janet Yellen’s proposal to revolutionize corporate taxation

One of the key legal strategies that corporations use to avoid tax is by stashing their money overseas. Google, for instance, books much of its profit in Ireland, where the headline corporate tax rate is 12.5 percent (and in practice lower than that) and Bermuda, where the corporate tax is zero. As Saez and Zucman explain, companies do this basically through trickery. By selling assets that have no market price (above all intellectual property) to foreign subsidiaries for cheap, they can then book profits relating to those assets there and pay little in tax. In an economic sense, this is tantamount to fraud. There is not anything like the level of business activity that would justify all those profits being „made“ in Ireland or Bermuda. They are overwhelmingly profits made elsewhere that are sheltered from tax authorities through accounting gimmicks. […] Now, America is so big and powerful that it could probably destroy tax havens by itself. Biden’s tax plan would double the tax rate U.S. companies pay on their foreign profits, which would strike a substantial blow by itself. […] But Yellen is pushing a different argument. The corporate tax race to the bottom is a poisonous zero-sum game — the benefits to Ireland or Bermuda must come at the expense of other countries, and erode the global rate of corporate tax over the long term. It follows that it is in the interest of all nations to set up a universal minimum standard so that nobody is tempted to go for beggar-thy-neighbor development strategies. That holds even for Ireland, where the flood of corporate money has badly corrupted national politics, and the average Irish person barely sees any of those fake profits anyway. (Ryan Cooper, The Week)

Wie bereits in meinem Artikel zur policy-Revolution unter Joe Biden geschrieben, bewegt sich die ganze finanz- und wirtschaftspolitische Diskussion in den USA gerade in einem Ausmaß, das eineN Europäer*in nur vor Neid erblassen lassen kann. Die Erkenntnis, dass das globale tax regime zu nichts anderem als einem race to the bottom führt, das unter den Volkswirtschaften nur Verlierer produziert, ist in progressiven Kreisen längst Allgemeingut, aber der gesamtwirtschaftliche Analphabetismus des Mainstreams hat sich dieser Erkenntnis leider allzu lange verweigert. Ich glaube nicht, dass gegen den konservativen Konsens Europas, gerade Deutschlands, hier irgendwelche Reformen möglich sind. Aber vielleicht retten uns die Amerikaner erneut vor der Borniertheit unserer eigenen Eliten, wie das schon in der Finanzkrise passiert ist. Nur dass dieses Mal der Leidensdruck in Europa nicht annähernd groß genug ist. Aber wer weiß, möglicherweise finden die USA ja auch ganz andere Verbündete in den G20. Man wird ja noch hoffen dürfen. Die Mechanik ist im Übrigen dieselbe wie beim Mindestlohn auch. Der Wettbewerb wird durch die Unterschranken nicht zerstört, sondern überhaupt erst ermöglicht, auch wenn neoklassische Ideolog*innen das nicht sehen wollen.

6) Ugly Lives Matter

Wissenschaftler sind da schon weiter. Unter Testpersonen ist die Einigkeit oft sehr groß, wer hässlich ist. Im Alltag sind Menschen auch oft sehr einig. […] Der Hamburger Sozialpsychologe Hans-Peter Erb beschreibt Schönheit als eine Form der Durchschnittlichkeit. „Das hängt damit zusammen, dass unser Gehirn symmetrische Formen leichter verarbeiten kann. Das löst ein positives Gefühl aus. Wir freuen uns darüber. Das attraktive Gesicht ist also eigentlich ein Durchschnittsgesicht.“ Schönheit ist auch keine reine Kulturfrage. Deutsche und Japaner sind relativ einig, welche Vertreter der jeweils anderen hübsch sind. Sogar der Blick von Babys verharrt länger auf Fotos von objektiv attraktiven Menschen. […] Individuelle Nachteile passen nicht in das Schema, mit dem sonst über Diskriminierung gesprochen wird. Es gibt keine Unterdrücker, kein Patriarchat wie im Sexismus, keine weiße Vorherrschaft wie im Rassismus. Es ist nämlich nicht die verschworene Gemeinschaft der Schönen, die Hässliche missachtet, sondern es sind alle Menschen. Viele Hässliche missachten sich sogar selbst oder andere Hässliche. […] Auch Steffen Augsberg kann den Hässlichen nicht helfen. Er ist Jurist und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Er hat das Recht, das Thema dort vorzuschlagen. Bekäme es eine Mehrheit, würde der Ethikrat ein Papier schreiben, eine Arbeitsgruppe einsetzen und der Bundesregierung etwas empfehlen, zum Beispiel, dass die Koalition das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ändert. Augsberg will das aber nicht. „Das ist ein komplexes gesellschaftliches, für den Ethikrat kaum geeignetes Thema. Es geht um die Akzeptanz des Zufalls; aber es gibt auch Verbindungslinien zur allgemeinen sozialen Ungleichheit. So kann ein vergleichsweise unattraktives Kind, das in eine wohlhabende Familie geboren wird, langfristig nicht nur erfolgreicher, sondern auch attraktiver sein als das hübschere Kind aus prekäreren Verhältnissen, das frühzeitig ungesund ernährt wird.“ Es gibt viele Ungerechtigkeiten im Leben. Manche sind weniger intelligent als andere. Sie können nichts dafür und haben doch lebenslange Nachteile, in der Schule, im Beruf, aber auch in der persönlichen Gesundheit, die Intelligenteren leben gesünder, das zeigen Studien. Es gibt Menschen, die haben eine sportliche Natur, andere haben mit 30 den ersten Bandscheibenvorfall. Es gibt Farbenblinde, die nicht Piloten werden, und Leute mit einer krächzenden Stimme, die nie Radiomoderatoren werden. „Es gibt Leute, denen fällt es leichter, morgens um 7 Uhr aufzustehen und direkt an den Schreibtisch zu gehen. Andere haben ein größeres Schlafbedürfnis“, sagt Augsberg. Kurzum: Manche haben mehr Glück als andere, bei den meisten ist es eine Mischung aus vielem. (Justus Bender, FAZ)

Justus Bender hat hier einen sehr klugen, reflektierten, langen und lesenswerten Artikel geschrieben. Das Problem ist natürlich unlösbar. Ich bin unsicher, ob er damit darauf hinauswill, dass Anti-Diskriminierung-Politiken generell sinnlos sind – eine Meinung, die ich sicher nicht teile – oder ob er nur einen Bereich aufzeigen will, in dem sie  naturgemäß nicht greifen können. Aber es ist wertvoll, sich diese Mechanismen bewusst zu machen. Ein weiterer solcher Faktor, den Bender nicht erwähnt, ist übrigens Körpergröße – alle US-Präsidenten sind überdurchschnittlich groß, und in seinem letzten Artikel hat Stefan Pietsch ein schönes Beispiel für Körpergrößendiskriminierung gebracht, als eines seiner vielen abwertenden Formulierungen gegen Armin Laschet dessen Körpergröße von nur 1,70m war (mit der er gegen die 1,94m Markus Söders natürlich alt aussieht). Hier kann ich als 1,70m-Mann (ich gebe meine Größe immer mit 1,71m an, wie der traurige Körpergrößen-Loser, der ich bin) natürlich voll mit Laschet fühlen. Kleine Männer und Frauen werden ebenfalls diskriminiert. Dicke Menschen werden diskriminiert. Und eben hässliche. Wir Menschen sind für die Welt, die wir uns gebastelt haben, irgendwie generell nicht geeignet, habe ich manchmal das Gefühl. Das beste, was wir in diesen Fällen tun können, ist, uns diese Mechanismen bewusst zu machen und zu versuchen, sie in unserem Alltag bewusst zu umgehen. Damit werden wir notwendigerweise scheitern, aber jedes Mal, in dem es doch gelingt, ist ein Gewinn.

7) Mitch McConnell Learns It Isn’t Personal—It’s Strictly Business

“Corporations are people, my friend,” Romney replied. He was jeered in the crowd, and jeered even more by Democrats afterward. “I don’t care how many times you try to explain it,” Barack Obama said on the stump. “Corporations aren’t people. People are people.” Ten years later, there’s been a strange inversion. Corporations, responding to pressure from Democrats, are acting more like people—using their clout to weigh in on legislation and social-justice issues that don’t immediately affect their taxes or bottom line. Republicans, meanwhile, are furious at the idea that companies might act this way. “My warning, if you will, to corporate America is to stay out of politics,” Senate Minority Leader Mitch McConnell said Tuesday. “It’s not what you’re designed for. And don’t be intimidated by the left into taking up causes that put you right in the middle of America’s greatest political debates.” In arguing that companies should absolutely continue to donate money to politicians, but also that they should stay out of politics, McConnell embraced the tortured position that money, and only money, is speech—and that actual speech is not speech. Although McConnell quickly and unconvincingly tried to walk his comments back (“I didn’t say that very artfully,” he said Wednesday. “They’re certainly entitled to be involved in politics”), it’s clear that his original view is gaining sway among Republicans. Governor Brian Kemp of Georgia called Major League Baseball’s decision to move the All-Star Game from Atlanta “cancel culture,” while Lieutenant Governor Dan Patrick of Texas was blunter. “You’ve meddled in a lot of issues lately … Stay out of things you don’t know anything about, and if you want to get involved, then you’re taking that risk,” he warned companies that have criticized voting-law changes under consideration in his state. Noting that many corporations have moved to Texas seeking low taxes and minimal regulation, he said, “Don’t, on one hand, say ‘Thank you, Texas,’ while, on the other hand, slap us in the face. We’re not going to put up with it anymore.” What these politicians are expressing is the fury of people who thought they had a deal, and have learned that they don’t, at least not on the old terms. The old arrangement was simple: The fiscally conservative wing of the Republican Party would push for lighter regulation, lower corporate taxes, and lower taxes on the high earners who ran corporations. In return, the corporations would cut generous checks to Republicans and remain circumspectly quiet about the culture-war issues that the social-conservative wing of the party cared about. (David A. Graham, The Atlantic)

Man erwartet natürlich nichts als blanke Inkonsistenz und Heuchelei, was die Positionen der Republicans angeht, aber ihr radikaler Umschwung zum Thema „Persönlichkeitsrechte von Unternehmen“ ist geradezu erheiternd. Es ist vor allem die Offenheit, mit der sie ihren Unmut kommunizieren. „Unternehmen, die sich in die Politik einmischen, sind toll, aber nur, wenn sie es für uns machen. Wenn nicht, werden wir versuchen sie zu bestrafen.“ Das ist die Mentalität, mit der Putin Russland regiert. Besonders geil war dazu Mitch McConnells eilig nachgeschobener Kommentar, dass man selbstverständlich weiter die Geldspenden der Unternehmen haben wolle, aber sie mögen sich doch bitte aus der Politik heraushalten. Das ist geradezu rührend.

Dieser innerparteiliche Konflikt der GOP ist aber aus anderen Gründen interessant. Er dient nämlich als deutlicher Indikator dafür, dass die Republicans eine Minderheitenpartei sind. Profitberechnungen von Privatunternehmen sind ziemlich unbestechlich. Und die amerikanischen Firmen, das wird bereits seit mehreren Jahren deutlich – man denke an Nikes Sponsoring-Deal mit Colin Kaepernick, Pepsis Werbespot mit Cailtyn Jenner, etc. – sehen keinen Wert in der Identitätspolitik der GOP. Immer mehr Unternehmen wenden sich davon ab. Nicht einmal eine urkonservative Institution wie NASCAR beteiligt sich an diesen Kulturkämpfen, sondern kommuniziert progressive Werte nach außen. Die Republicans verlieren (siehe Fundstück 2) den Kulturkampf auf allen Ebenen, und wie immer schlagen ihre autokratischen Instinkte durch. Sie wollen wie Putin die Macht des Staates nutzen, um gewaltsam ihre Minderheitenposition durchzusetzen. Von einem Clinton’schen „Sister Souljah-Moment“ sind sie weit entfernt. Und deswegen sind die Democrats gerade im Aufwind.

8) What I learned rewatching The West Wing in the Biden era

The West Wing is what you get if you take the outlook of the most committed Democrats during the two terms of Bill Clinton’s presidency, add an overlay of rhetorical grandiosity derived from John F. Kennedy’s speeches, and toss in a dash of Jimmy Carter’s Christian piety, with Carter’s Southern Baptist evangelicalism swapped out for the flinty New England Catholicism of the fictional President Josiah „Jed“ Bartlet (played by Martin Sheen). When the show originally aired, this was a liberal fantasy, but it was one grounded in the real world. It was a sanctified vision of how the resolutely center-left Democrats who took over the party in 1992 understood themselves. […] On every other issue, Clintonism reigns. Fear of deficits — and public opinion — limits every spending proposal. The boundaries of the possible are set by Republicans, who are often quite willing to cut a deal, but only if it gets them a tax cut or shrinks the size of government. Remember Bill Clinton’s post-1994 State of the Union speeches that went on forever as the president rattled off dozens of initiatives so modest even many Republicans would politely applaud them? The West Wing gives us a world in which that’s all a Democratic president can ever do — and it treats this not as a necessary compromise with a temporary political reality but as something as unchangeable as the law of gravity and somehow also the highest calling of democratic politics as such. But if the show’s policy stances now feel like they emanate from a bygone political era, its treatment of women comes off today like a dispatch from an entirely different, and thoroughly archaic, sociocultural epoch. This is a show that in nearly episode of its first six seasons matter-of-factly dramatizes the White House Deputy Chief of Staff (Josh Lyman played by Bradley Whitford) harassing, belittling, mocking, emotionally abusing, and fragrantly condescending to his assistant Donna Moss (Janel Moloney). And that’s far from all. Hardly an episode goes by in the show’s first four Sorkin-dominated seasons without two or more of the male characters making gratuitous comments about the importance of „speaking as men“ or „acting as men.“ (One half expects them to punctuate these lines by butting heads and grunting.) And the most devastating put-down anyone in the Bartlet White House can utter is that someone has „sounded like a girl.“ (Damon Linker, The Week)

Ich bin mir auch ohne einen Rewatch ziemlich sicher, dass „The West Wing“ heute unerträglich ist. Ich habe dasselbe Gefühl mit meinem geliebten „Battlestar Galactica“, oder auch „The Wire“ (siehe dazu mein ausführlicher Serien-Post auf Nerdstream Era). Sie sind Produkte ihrer Zeit, und die letzten 20 Jahre waren eine Zeit radikaler gesellschaftlicher und politischer Transformation. Die Welt 2021 unterscheidet sich fundamental von der von 2001. Es ist ja gerade die Geschwindigkeit dieses Wandels und seine Tiefe, die so viele Menschen zurückgelassen und verwirrt hat und die den reaktionären backlash befüttert, von dem die AfD, Trump, Orban und Konsorten leben. Es ist ein Fehler von Progressiven so zu tun, als ob es diesen Wandel nicht gäbe. Der Kulturkampf tobte fast drei Jahrzehnte, und er ist entschieden – mit einem überragenden Sieg der Progressiven. Und jeder Kampf kennt Verlierer. Zwar sind 30 Jahre eine vergleichsweise kurze Zeit, aber es reicht für eine komplette Generation – und damit auch dafür, dass Leute, die in den 1990er und 2000er Jahren an der Speerspitze des Fortschritts standen, 2021 wirken wie Dinosaurier. Deswegen die wütend-verwirrten Artikel eines Wolfgang Thierse, deswegen das Buch von Sarah Wagenknecht (siehe Fundstück 1). An einem gewissen Punkt fühlten auch sie sich abgehängt, und es ist dieser Punkt, an dem sie den Anschluss verloren und offen für reaktionäre Botschaften wurden. Der Wandel von „The West Wing“ vom liberalen Utopia zum Artefakt einer überwundenden Ära ist ein Symptom dieser Entwicklung.

9) Trump finally jumps the shark

I think Trump may have finally jumped the shark. […] But now? Either Trump is the sorest loser in the history of American democracy — the Big Baby his critics always claimed he was — or else he really did win in a landslide and yet nonetheless allowed himself to be deposed and banished to South Florida while Joe Biden effortlessly took over the White House in a coup. Either way, he looks very small indeed. […] The great irony here is that Trump has been so successful at remaking the GOP in his own image that the party doesn’t really need him anymore. Sure, they’ll try to avoid provoking his wrath. But every viable candidate for president in 2024 is going to be following Trump’s lead on immigration, trade, and waging a rhetorically ferocious culture war against the left — and most of them will be doing it without Trump’s own considerable personal liabilities, including the hatred of a large swath of the electorate. Put in slightly different terms, the 2020 election results show that Trump has given Republicans a potentially fruitful way forward — but also that he can’t be the one to lead the way there because he’s a drag on the party. Trump’s own dead weight, and not some cockamamie conspiracy, is what accounts for his loss last year despite Republicans doing so well down ballot. (Damon Linker, The Week)

Ich hoffe ja, dass Linker damit Recht hat. Zwar halte ich es wie er für extrem unwahrscheinlich, dass Trump jemals für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden wird – dafür schützt das US-Rechtssystem die Reichen und Mächtigen viel zu sehr, und wie ich bereits öfter gesagt habe wäre es auch sehr problematisch, Ex-Präsident*innen vor Gericht zu bringen – aber es mag durchaus sein, dass er auf einem deutlich absteigenden Ast ist. Ich halte es aber nicht für ausgemacht, dass es der GOP möglich sein wird, ihn zu ersetzen. Denn egal, was man über Trump sagen mag, er war authentisch in seinem Hass, authentisch in seinem sense of grievance, authentisch in seiner Verachtung für die Eliten – und ebenso authentisch in seinem beständigen, drängenden Verlangen, von ihnen akzeptiert zu werden. Die meisten Republicans – Menschen wie Ted Cruz oder Lindsay Graham – spielen das alles nur, und ihre Basis spürt das. Es gibt einige Leute, allen voran Josh Crawley und Ron deSantis, die das Potenzial haben, diese Rolle auszufüllen. Aber von den Erfahrungen 2018 und den Nachwahlen in Georgia 2020 und Wisconsin 2021 her zu urteilen fällt es der GOP schwerer als vermutet, das Feuer von Hass und Erregung aufrechtzuerhalten, das sie die letzten Jahre angetrieben hat.

10) Laschet versus Söder: Stiller Sieger gegen lauten Verlier?

In der Fraktion meldeten sich deutlich mehr Söder-Anhänger als Laschet-Unterstützer zu Wort. Und doch ist das Lamento über die Aussprache zwischen zwei Bewerbern um die Kanzlerkandidatur das Gegenteil eines Dramas. Zwar ist die zur Schau getragene Harmonie der vergangenen Woche zunächst hinüber. Aber beide Seiten wahrten die Facon. Und intern räumen Gesprächspartner ein, dass die jeweils andere Seite ja durchaus Argumente für ihren Kandidaten habe. So sind die Umfrageergebnisse von Markus Söder weiterhin ausgesprochen stark, während Armin Laschet an der demoskopischen Front schwach abschneidet. Ganz aktuell fragte Forsa für den RTLT/ntv-Trendbarometer, „welche Person des öffentlichen Lebens“, egal ob Politiker, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, Künstler oder sonstiger Prominenter, man gern „als Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler“ sähe. Ergebnis: 36 Prozent nannten Söder, elf Prozent den Grünen-Chef Robert Habeck, je zehn Prozent dessen Co-Vorsitzende Annalena Baerbock und den SPD-Kandidaten Olaf Scholz, fünf Prozent den CDU-Politiker Friedrich Merz – und nur drei Prozent Armin Laschet. Doch der Hinweis der Christdemokraten darauf, dass Umfragen nicht alles sind, ist ebenfalls überzeugend. Laschet selbst weist immer wieder darauf hin, dass er als Spitzenkandidat der CDU vor der Landtagswahl am 14. Mai 2017 deutlich hinter der von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geführten SPD zurücklag. Das zuvor zitierte Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte am 28. April, also zwei Wochen vor der Wahl letztmalig die Stimmung an Rhein und Ruhr gemessen und für die CDU nur 29 Prozent vorausgesagt, dafür aber für die SPD 35 Prozent erwartet. Stattdessen kam die CDU mit einem Zugewinn von 6,7 Prozentpunkten auf 33 Prozent, während die SPD fast acht Punkte verlor und auf 31,2 Prozent abstürzte. Und dann sind da noch die Erfahrungen der vorigen Bundestagswahl: Infratest/Dimap sah im Februar 2017 für den Fall einer Direktwahl des Bundeskanzlers den SPD-Kandidaten mit 50 Prozent deutlich vor Amtsinhaberin Angela Merkel, die bei nur 34 Prozent taxiert wurde. Im März führte Schulz immerhin noch mit 45 zu 36 Prozent vorne. Im November erzielte die Union dann aber 32,9 Prozent, während die Sozialdemokraten mit 20,5 Prozent das bislang schlechteste Bundestagsergebnis einfuhr. (Ansgar Graw, The European)

Keine Frage, Laschets persönliche Werte sind verheerend, und wie Stefan Pietsch völlig zurecht herausgestellt hat ist es mehr als unwahrscheinlich, dass er bis September dreißig bis vierzig Prozent bei Beliebtheitsumfragen gut machen wird. Aber ich halte diese Umfragen für irreführend. Im September findet die Bundestagswahl statt, nicht die Kanzler*innenwahl. Egal, was Wahlplakate und horse race journalism auch vorgaukeln, zur Wahl stehen Parteien, nicht Einzelpersonen. Man sollte nicht vergessen, dass in Umfragen im Frühjahr vor der Bundestagswahl 2017 Martin Schulz bei der Direktwahl-Umfrage mit 50% vor Angela Merkels 34% führte. Um es vorsichtig auszudrücken: das half der SPD nur sehr eingeschränkt. Das gilt noch mehr für Markus Söder, dessen CSU nur in einem einzigen Bundesland überhaupt wählbar ist.

Vor allem aber: bis September kann viel passieren. Nehmen wir für einen Moment an, der unbeliebte Laschet wird Kandidat. Über den Sommer werden die Corona-Auflagen wegen des Fortschreitens der Impfkampagne deutlich gelockert, und im September wird es sich anfühlen, als sei die Pandemie besiegt. Normalität ist wieder da. Die Grünen haben es geschafft, sich um Kopf und Kragen zu reden (eine Wette mit ungefähr 50:50-Chancen, konservativ geschätzt), die SPD versinkt weiter in der Bedeutungslosigkeit und die Menschen haben wieder erkannt, warum sie Christian Lindner und die FDP nicht leiden können. Ein Szenario, in dem Laschets CDU um die 35% der Stimmen holt und dann eine Regierung mit den gedemütigten Grünen (und vielleicht sogar FDP) anführt, ist alles, aber nicht weit hergeholt. Das muss natürlich nicht so kommen, aber es wäre vermessen, die Umfragewerte von April linear in den September fortzuschreiben. Laschets Verbündeter ist die Zeit. Die Frage ist nur, ob er welche bekommt.

11) Je­de:r Dritte zu Unrecht abgelehnt

Von 68.061 überprüften Bescheiden der Bundesbehörde erklärten die Gerichte im vergangenen Jahr demnach 21.224 für rechtswidrig. Die Quote der Entscheidungen, die nach einer gerichtlichen Überprüfung aufgehoben wurden, stieg somit nach einem Rückgang in den vergangenen Jahren wieder an. 2017 lag sie noch bei 40,8 Prozent, sank dann 2018 auf 31,4 Prozent und 2019 auf 26,4 Prozent. Gegen fast drei Viertel (73 Prozent) aller ablehnenden Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wird geklagt, wie es weiter hieß. Besonders hoch ist die Erfolgsquote bei Afghan:innen: Hier wurden nach den Angaben 60 Prozent der gerichtlich überprüften Bamf-Bescheide kassiert. (taz)

Es ist dieselbe Geschichte wie bei Hartz-IV auch: die Bürokratie produziert tonnenweise Entscheidungen, die vor Gericht keinen Bestand haben. Vermutlich wäre die Quote noch schlimmer, würden alle Betroffenen vor Gericht ziehen, was in beiden Fällen eher unwahrscheinlich sein dürfte. Ich bin allerdings unsicher, wie das zu interpretieren ist. Diese Entscheidungen sind qua Natur umstritten, und die Prärogative der Behörden – möglichst viele Sanktionen bei Hartz-IV, möglichst viele Ablehnungen bei Asylanträgen – prallen natürlich immer wieder frontal auf die grund- und menschenrechtlichen Ansprüche. Eine umgekehrt großzügigere Praxis würde vermutlich auch viele Fehlentscheidungen produzieren; man erinnere sich nur an den Visa-Skandal des grünen Außenministeriums in den 2000er Jahren.

Auffallend ist allerdings das Schweigen derer, die in jedem gekippten Corona-Mandat einen Beweis für die Totalität des Staates und die nahende Diktatur sehen. Wo quasi jede gerichtliche Entscheidung gegen die Pandemieverordnungen der Beleg für einen massiven Angriff auf den Rechtsstaat ist, herrscht komplettes Schweigen gegenüber dem mittlerweile seit fünfzehn Jahren andauernden gerichtlichen Massenaufheben von ähnlich gelagerten Beschlüssen bei Hartz-IV-Empfangenden oder dem seit einer halben Dekade andauernden Massenablehnen von Leuten, die man nicht ablehnen dürfte. Aber beim einen geht es eben um die eigene Haut, und beim anderen nur um Schwache der Gesellschaft, zu denen man keinen Bezug hat. Das ist menschlich, aber nicht besonders schön.

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  • Stefan Pietsch 16. April 2021, 13:00

    1) Wagenknecht warnt vor „immer skurrileren Minderheiten“

    Als Wagenknecht den Fraktionsvorsitz niederlegte, hagelte es Häme, nicht zuletzt aus ihrer eigenen Partei. Es war FDP-Chef Lindner vorbehalten, sein Bedauern über den Abgang der politischen Gegnerin auszudrücken. Kluge Köpfe sollten eigentlich immer gebraucht werden. Im Abgang zeigt sich, wer Stil besitzt.

    Aber hat Wagenknecht nicht recht? Die AfD erhielt bei der letzten Bundestagswahl fast genauso viele Stimmen von den selbsternannten Arbeiterparteien SPD und LINKE wie von der Union, nämlich 900.000. Dazu kamen 1,2 Millionen Nichtwähler, die traditionell eher aus dem prekären Bereich kommen. Dazu wird die AfD zu einem weit höheren Teil von Arbeitslosen und Menschen mit einfachen Tätigkeiten gewählt.
    https://www.diw.de/de/diw_01.c.761730.de/publikationen/wochenberichte/2020_17_1/wohin_die_waehlerschaft_bei_der_bundestagswahl_2017_wanderte.html

    Ist es nicht richtig, dass die LINKE vor einigen Jahren beschlossen hat, sich zur Großstadt-Lifestyle-Partei umzuschminken? Ist es nicht richtig, dass Grüne vor allem bei einer sehr saturierten Klientel reüssieren? Ist es nicht richtig, dass fast 90% der Bevölkerung mit dem Gendersprech nichts anfangen können, das fast auschließlich in den Milieus von Grünen und Linkspartei gepflegt wird? Und ist es nicht richtig, dass sich in den anderen großen Demokratien das gleiche Bild zeigt?

    Wahrheit tut oft weh. Bedeutet Gleichheit nicht, dass es egal sein muss, welches Geschlecht jemand hat, welche Hautfarbe er trägt und welche sexuellen Neigungen er hat? Ist es nicht richtig, dass diese satten Wohlstandskinder nun die Gesellschaft in immer kleinere Portiönchen aufteilen? Nur noch Schwarze dürfen Schwarze übersetzen und synchronisieren, z.B. Jeder, der sich benachteiligt fühlt, ist benachteiligt, Debatten unstatthaft. Jan Fleischhauer hat in seiner wöchentlichen Kolumne aufgezeigt, welcher Druck auf Andersgesinnte ausgeübt wird, um nicht mit ihm zu sprechen.
    https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/die-focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-druck-der-gruppe-am-ende-meines-podcast-experiments-steht-eine-furchtbar-deprimierende-erkenntnis_id_13176587.html

    Ist das alles nicht richtig?

    5) Janet Yellen’s proposal to revolutionize corporate taxation

    Race to the bottom. Staaten mit maßvoller Besteuerung sind prosperierender als solche mit hohen Steuerlasten. Das gilt insbesondere, wenn man die sehr homogenen Skandinavier aus der Betrachtung nimmt. Deutschland zeigt, dass es eher ein Race to the ceiling gibt. Unter Merkel hat sich das Land an die Spitze der Einkommensbelastung vorgearbeitet, ohne echten Ehrgeiz, davon wegzukommen. Hohe Einkommensbelastung heißt, die Menschen haben wenig zur eigenen Gestaltung zur Verfügung, zur Vermögensbildung z.B. Gut, dass dann die Vermögensungleichheit ziemlich hoch ist. Also, zumindest so lange die staatliche Umverteilung durch Transfers wie Renten nicht berücksichtigt werden.

    10) Laschet versus Söder: Stiller Sieger gegen lauten Verlier?

    Laschets Werte sind aber nicht erst seit gestern im Keller. Sie sind es seit 3 Jahren. Gerade gestern hat ein prominenter Demoskop darauf hingewiesen: Ja, es ist möglich, innerhalb weniger Monate sehr viel an Popularität zu verlieren. Aber es ist ungleich schwerer, an Zustimmung zuzulegen. Das ist ein sehr langwieriger Prozess und nicht binnen Monaten zu bewerkstelligen. Heute veröffentlicht INSA eine Analyse, wonach die Union mit Laschet auf 27 Prozent käme, mit Söder jedoch auf 38 Prozent – Stichwort: Kandidatenfaktor, gell? 😉
    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kanzlerkandidatur-soeder-in-umfrage-weiter-deutlich-vor-laschet-17296021.html

    Die Union hat 5 Monate. Nicht 2 oder 5 Jahre.

    • Stefan Sasse 16. April 2021, 13:59

      1) Wagenknecht ist ein kluger Kopf, sie ist nur eine Hypothek als Politikerin. Und als Lindner hätte ich ihren Abgang auch bedauert; niemand war so ein Garant für die Irrelevanz der LINKEn wie sie.

      5) Muss schön sein in deiner Fantasiewelt. Ein race to the ceiling haben wir vielleicht bei der Belastung der Mittelschicht, aber sicherlich nicht bei der von Unternehmen.

      10) Erneut: Deine Argumente sind stichhaltig. Ich sage nur, dass auch andere Szenarien denkbar sind. In der Politik sind fünf Monate eine sehr lange Zeit.

      • CitizenK 16. April 2021, 14:32

        1) Man sollte Stefan Pietschs Punkte nicht einfach so abtun. Da ist schon was dran. Und: Diese Kulturkämpfe verdecken die Frage nach Ungleichheit und Ungerechtigkeit. First things first, Zeit und Kraft und Ressourcen sind nicht unendlich.

        • Stefan Sasse 16. April 2021, 18:54

          Ich wollte das nicht abtun, ich wollte zustimmen! Sorry wenn das unklar war. Sie ist ein kluger Kopf. Sie gehört aber in einen Thinktank, nicht ins Parlament.

      • Stefan Pietsch 16. April 2021, 16:07

        1) Wie gesagt, im Abgang zeigt sich der Stil. Wirst Du verstehen, wenn Du irgendwann Deiner Einrichtung den Rücken kehrst – freiwillig oder gezwungenermaßen. Es gibt übrigens keinen Grund für Dich anzunehmen, Lindner habe das aus politischen Gründen getan.

        Und nein, nicht Wagenknecht war Garant für die Irrelevanz, sondern die Mehrheitsverhältnisse in der Partei. Kannst Du gerade schön sehen.

        5) Stichwort Wirtschaftskompetenz. Deutschland hat eine insgesamt hohe Steuer- und Abgabenquote. Objektiv und gefühlsmäßig entsprechen die staatlichen Leistungen nicht den Erwartungen. Lösung der Linken: schieben wir Deutschland doch an die Spitze aller Belastungen, dann bekommen wir vielleicht mäßige Leistungen.

        Nein, nicht nur die Mittelschicht ist spitzenmäßig belastet, sämtliche Einkommensgruppen, vor allem auch untere und solche ohne Kinder. Der Traum vom Singlesein ist in Deutschland besonders teuer.

        Du glaubst auch, dass der Hund die Hundesteuer zahlt. Steuern werden immer von Menschen gezahlt, das ist auch bei Unternehmen so. Entweder von den Eigentümern, von den Lieferanten, den Arbeitnehmern oder der Umwelt. Sie wird immer von den Schwächsten in der Kette getragen. Das ist eine wissenschaftlich fundierte Erkenntnis, an die Professor Thomas Straubhaar dieser Tage erinnerte. Aber der versteht wahrscheinlich auch nichts von Wirtschaft.
        https://www.welt.de/wirtschaft/article230236589/Die-Google-Steuer-ist-ein-teurer-Weg-die-Schwachen-zu-belasten.html?cid=onsite.onsitesearch

        Ich habe 2019 hier dazu einen längeren Artikel geschrieben, warum es unsinnig ist, Unternehmen zu besteuern. Ohne Unternehmenssteuern würde die Jagd nach Steueroasen abnehmen. Wer würde schon sein Unternehmen in Luxemburg, auf den Cayman Islands oder in Singapur ansiedeln, wenn er da auch leben müsste? Oder würdest Du wegen Deinem Hund und zur Vermeidung der Hundesteuer auswandern? Siehste. Vielleicht verstehe ich nichts von Wirtschaft, aber von den menschlichen Schwächen schon.
        http://www.deliberationdaily.de/2019/02/schafft-die-unternehmenssteuern-ab/

    • bevanite 18. April 2021, 19:56

      Ist es nicht richtig, dass die LINKE vor einigen Jahren beschlossen hat, sich zur Großstadt-Lifestyle-Partei umzuschminken?

      Ist dies nicht eher eine Wahrnehmung von Leuten, die – wie Sie offensichtlich auch – generell mit einem großstädtisch-urbanen Lebensstil frösteln? Die Linke hatte, ähnlich wie die PDS vorher, schon immer in den Großstädten ihre Hauptwählerschaft (in alten und neuen Bundesländern). Und es ist durchaus legitim, sein Wählerspektrum zu erweitern, wenn es sich in die bisherige Agenda eingliedern lässt: soziale Gleichheit kann ja sowohl Hartz-IV-Empfänger als auch sexuelle Minderheiten ansprechen. Von staatlichen Kürzungen und niedrigen Löhnen sind sie am Ende nämlich alle betroffen.

      Ist es nicht richtig, dass Grüne vor allem bei einer sehr saturierten Klientel reüssieren?

      Das war vor 20 Jahren wohl richtiger als heute. Ich schrieb gerade unter einem anderen Artikel, dass die neuen Umfragehochs der Grünen auch mit einer neuen Orientierung in der Sozial- und Wirtschaftspolitk zu tun haben könnten.

      Ist es nicht richtig, dass fast 90% der Bevölkerung mit dem Gendersprech nichts anfangen können, das fast auschließlich in den Milieus von Grünen und Linkspartei gepflegt wird?

      Es haben auch 90% der Bevölkerung nie das Wort „woke“ abseits der Präteritum-Form von „wake“ gehört und trotzdem wollen ihnen Konservative seit einigen Monaten einreden, dass der „Wokeismus“ der drohende Untergang des Abendlandes sei… Wie soll es die Leute stören, wenn sie es kaum oder nur in sehr speziellen Medien wahrnehmen, aber es in ihrem Alltag faktisch keine Rolle spielt? Die Gegner von progressiver Geschlechterpolitik machen daraus eine viel größere Affäre als es letztendlich ist.

      Und ist es nicht richtig, dass sich in den anderen großen Demokratien das gleiche Bild zeigt?

      Es ist ein Ausdruck, dass sich die Gesellschaft in den letzten 40 Jahren gewandelt hat. Die „skurrilen Minderheiten“ wollen auch etwas vom Kuchen abbekommen und das steht ihnen zu. Das muss auch von jenen anerkannt werden, die sich diesen Anteil nicht erkämpfen mussten.

      Und Fleischhauer ist nun wahrlich kein guter Kronzeuge. Der Mann legt nun schon seit über einem Jahrzehnt immer die gleiche Platte auf und vermarktet seine politische Konversion. Mitunter amüsant, so eine Selbstdemontage zu lesen, aber für mich keine Quelle ernsthafter politischer Debatten.

      • Stefan Sasse 18. April 2021, 20:51

        100% bei dir.

      • Stefan Pietsch 18. April 2021, 21:54

        Ist dies nicht eher eine Wahrnehmung von Leuten, die – wie Sie offensichtlich auch – generell mit einem großstädtisch-urbanen Lebensstil frösteln?

        Zum einen: Ich liebe die Großstadt. Ich fühle mich in den Metropolen wohl, weil man nur dort viel machen kann und anonym ist. Zum anderen: Wie schon vor vier Jahren geschrieben, war das Kippings Politik, abgeleitet aus einer zuvor in Auftrag gegebenen Studie die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der Grund war ein ökonomischer: Menschen in prekären Verhältnissen wählen selten und sie sind den Parteien untreu. Ich nenne sie die „H….“ des Wählermarktes. Sie können aber nicht einen Programm-Schirm spannen, der junge Großstädter und mittelalte und alte Großstädter in prekären Lebenslagen anspricht. Vor allem kann das eine Kleinpartei nicht.

        Das war vor 20 Jahren wohl richtiger als heute. Ich schrieb gerade unter einem anderen Artikel, dass die neuen Umfragehochs der Grünen auch mit einer neuen Orientierung in der Sozial- und Wirtschaftspolitk zu tun haben könnten.

        Wunschdenken. Dagegen sprechen demoskopische wie sozioökonomische Studien des DIW. Und dagegen sprechen die Wählernachbefragungen, gerade wieder nach den letzten Landtagswahlen. Sie müssen es sich nur ansehen.

        Meine Mum jedenfalls weiß nicht, was „woke“ ist. Sie können aber jemanden nicht einreden, dass etwas schlimm wäre, wenn die gar nicht wissen, was das ist. Das ist Unsinn.

        Von welchem Kuchen? Was für ein Stück? Wer in Parlamenten representiert sein will, muss sich in Parteien bewerben. Wer in Unternehmen Karriere machen will, sollte dieses planen und nicht erwarten, dass die Karriere zu einem kommt. Und wer nicht dauerhaft Single sein will, sollte sich offen für andere Menschen zeigen und an seinem Auftritt wie Aussehen arbeiten. Bedenklich, dass man so etwas heute sagen muss.

        Und Fleischhauer ist nun wahrlich kein guter Kronzeuge.

        Fleischhauer hat unbestechliche Belege gebracht. Der ist nicht Kronzeuge in eigener Sache. Bitte lesen.

  • CitizenK 16. April 2021, 14:15

    5) Das sieht der IWF inzwischen auch so:
    https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/internationaler-waehrungsfonds-iwf-fordert-hoehere-steuern-fuer-reiche-a-f5a12ca7-72e5-482e-9032-d742a1e435f8

    6) Samuel Beckett’s Mantra:
    ​“TRY AGAIN. FAIL AGAIN. FAIL BETTER.”

  • Dennis 16. April 2021, 14:28

    Mal ne Frage zu Wagenknecht:

    Hast Du das Buch, das seit 48 Stunden auf dem Markt ist, eigentlich gelesen ?

    Okay, mach dir nichts draus, ich auch nicht und der zitierte Typ von queer.de mit Sicherheit auch nicht. Gut, braucht man auch nicht unbedingt, weil die Argumentationslinie bereits bekannt ist und im Prinzip auch von diversen anderen Leute vertreten wird. Hier ein Beispiel,

    https://en.wikipedia.org/wiki/Blue_Labour

    Arnaud Montebourg in Frankreich könnten man auch nennen.

    Zitat Stefan Sasse:
    „Die Frau ist ohnehin weniger Politikerin als Publizistin mit angeschlossenem Marketingbüro im Bundestag.“

    Gemach, gemach; Wieso der/die eine oder andere in der Blogosphäre und/oder auf twitter et al. rumturnt, obwohl Aufmerksamkeit etwas der Verdammung würdiges ist, müsste dann gelegentlich noch geklärt werden, und dann gleich dazu die Frage, wie Politik ohne Publizistik überhaupt funktionieren soll.

    Zitat:
    „Aber Wagenknecht setzt damit das ständige Werben um AfD-Wählende fort,“

    Ich bin nicht der Meinung, dass das streng verboten ist. Dass diejenigen, die eine Partei wählen mit selbiger deckungsgleich sind, dürfte eh nur sehr mäßig der Fall sein, zumal wenn man den Protestcharakter in Anbetracht der Wutbürgergesellschaft in Rechnung stellt. Warum waren die AfD-Wähler eigentlich mal lieb und nett, als die noch SPD (u.a.) gewählt haben? Die „Politik“, die AfD mit Empörungsritualen und Schaum vor dem Mund klein zu kriegen funktioniert offenbar eher nicht so prächtig^. Für diese eher schlichte Form der AfD-Gegnerschaft bleibt nur die Hoffnung, dass besagte Partei Fehler macht, möglichst große.

    Zitat:
    „Letztlich ist Wagenknechts Wahl auf Listenplatz in NRW aber auch nur ein Signal dafür, dass es zu R2G im Bund wieder nicht kommen wird.“

    Das kommt sowieso nicht, weil die Linke insgesamt völlig im Arsch ist und sich zu wenige mit der Frage ernsthaft auseinander setzen, warum das so ist. Zu den letzteren Wenigen zähle ich durchaus Wagenknecht. Okay, es gibt in ihrem mittlerweile schon „berühmten“ neusten Buch offenbar unsachliche polemische Spitzen, worauf sich die Empfindsamen, die ihrerseits im austeilen aber ggf. gar nicht so empfindsam sind, sich in Empörungstrara stürzen, was wiederum die Aufmerksamkeit hoch treibt. Geschenkt. Wenn die Anti-Wagenknechtler*innen das nicht wollen, warum ignorieren diese sie nicht einfach? Man/frau fühlt sich offenbar getroffen, verbunden mit der dunklen Ahnung deep down inside: Im Kern und allen Schaum beiseite könnte an ihren Theorien was dran sein.

    und dann ins 2):

    Zitat:
    „Meine Prognose ist, dass die Ära der Kulturkämpfe im Abwind ist und sich in den nächsten Jahren weiter abflauen wird.“ 

    Glaub ich nicht. Kulturkämpfe sind so alt wie die Menschheit

    Zitat:
    „Bin gespannt, ob ich damit richtig liege“

    Wenn ja, musste das, was „Politik“ heißt ersatzlos verschwinden. Könnte ja sein, ist aber unwahrscheinlich. Das, was im Zitat vor und nach vs. steht „Familie vs. Gender, Christentum vs. Islam, Diesel vs. Elektro“ kann man übrigens auch jeweils umdrehen. Gegen Kulturkämpfe zu sein heißt, seine Position für so wahr und unumstößlich zu halten, dass nur Verrückte, Irre und Böswillige Einwendungen erheben können. Klar, Kämpfe führen – mal grob gesprochen – zu Siegern und Verlieren. Falls ich nicht bei den Siegern bin, handelt es sich um einen bösen Kulturkampf, im anderen Fall hat einfach die Wahrheit gesiegt. Ist am Ende des Tages so ähnlich wie „cancel culture“ oder auch „Ideologie“. Wenn man selbst entsprechend unterwegs ist, heißt das offiziell nicht so.

    Zitat:
    „Applebaum ist eine Konservative, das nur für den Hintergrund. “

    Ähm… warum fällt eine Positionierung dieser Art eigentlich nicht unter die Überschrift Kulturkampf? Wer nicht der Meinung ist, dass man „progessiv“ und „konservativ“ wegen Belanglosigkeit beliebig austauschen kann, befindet sich im Kulturkampf.

    zu 4)
     Zitat:
    „Ich habe keine Ahnung, wie man das politisch verkaufen will. “

    Ich auch nicht. Warum sollten diejenigen, die erstmals an die Fleischtöpfe kommen, zum Beispiel in China, zurückstehen, obwohl die bereits Vollgefressenen das nicht getan haben und das auch nicht zu tun gedenken?

    zu 5)
    Zustimmung. Wagenknecht würde wahrscheinlich auch zustimmen ^^.

    6)
    Nu ja, nach dieser Theorie müsste Wagenknecht von dir ja einen Bonus bekommen^, kriegt sie aber anscheinend nicht, also ist die Theorie schon widerlegt^. Und Kohl und Merkel wiederum wurden offenbar nicht diesbezüglich „diskriminiert“, was unter ästhetischen Gesichtspunkten – falls die Theorie zuträfe – ja hätte erwartet erwartet werden müsste, und der aktuelle Bundesminister für Wirtschaft hat’s ja auch weit gebracht. Das Ganze ist womöglich auch wieder Wasser auf Wagenknechts Mühlen, indem hier gelangweilte Sozialforscher krampfhaft in den Krümeln nach angeblichen Diskriminierungen suchen (Polemik Ende).

    Zitat:
    „Ich bin unsicher, ob er damit darauf hinauswill, dass Anti-Diskriminierung-Politiken generell sinnlos sind “

    Kann sein, wäre der übliche dirty trick, also darauf hinaus laufend, „natürliche“ und deshalb unabänderliche und somit gerechtfertigte Gründe heranzuziehen. Indes würde ich die Causa in diesem Fall wagenknechtianisch eher unter pille-palle abbuchen.

    zu 10)

    Zitat:
    „eine Wette mit ungefähr 50:50-Chancen, konservativ geschätzt“

    Wenn schon wetten, dann richtig. Ein return von einem Euro bei einem Euro Einsatz ist keine Wette^ .

    Ich sach mal so: Der Herr L von der Partei C wird sowohl Kandidat wie auch Kanzler – wenn nix dazwischen kommt.

    • Stefan Sasse 16. April 2021, 18:52

      1) Nein, das ist aber auch nicht nötig. Wagenknecht vertritt diese Thesen ja nicht erst seit gestern. Und die entsprechenden Stellen wurden ja weit genug publiziert, damit sich Leute drüber aufregen (in der taz) und es geil finden (in der FAZ und WELT).
      Natürlich kannst du um AfD-Wählende werben. Nur wird es schwierig, gleichzeitig um Nicht-AfD-Wählende zu werben.

      2) Stimme dir völlig zu; ich meinte auch eher: die Ära, in der Kulturkämpfe das alles dominierende Thema sind.

      4) Ich rede gar nicht von China, ich rede von hier!

      6) Warum, du weißt ja nicht wie auf eine hässliche Wagenknecht reagieren würde 😀

      • Rauschi 17. April 2021, 19:18

        Zu1)

        Wenn man will, das die AfD verschwindet, wie soll das gehen, ohne denen Wähler abzuziehen. Die wenigsten wählen aus Überzeugung, sondern als Protest. Das man als Linke auch das Potential ausschöpft, spielt keine Rolle?
        Ich vertrete ja schon länger die Überzeugung, das niemand auf eine Partei fest gelegt ist, sondern verschiedene Richtungen in sich trägt, je nach Thema.
        Ich würde es begrüßen, wenn der AfD maximal viele Wähler entzogen werden, Sie nicht?

        • bevanite 18. April 2021, 16:51

          „Wenn man will, das die AfD verschwindet, wie soll das gehen, ohne denen Wähler abzuziehen. Die wenigsten wählen aus Überzeugung, sondern als Protest.“

          Der Anteil der Leute, die „aus Protest“ wählen, dürfte nicht so hoch sein und sich auf bestimmte Regionen in den neuen Ländern beschränken. Selbst da habe ich Zweifel und als Ossi kann ich das mit den „Protest wählen“ auch nicht mehr hören – ist es nach über 30 Jahren nicht langsam an der Zeit, Ostdeutschen zuzustehen, dass sie politisch erwachsen sind und eigene Entscheidungen am Wahlzettel treffen? Und dass damit vielleicht auch bestimmte Überzeugungen einhergehen?

          Schauen Sie sich mal die Wahlprogramme der Linkspartei und der AfD an: Wo sehen Sie denn da Potential für gemeinsame Wähler*innen, wenn es in Renten-, Wirtschafts-, Sicherheits-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik die fundamentalsten Unterschiede von allen im Bundestag vertretenen Parteien gibt? Die letzte Landtagswahl in Thüringen war schon ein Indikator: dort waren Rentner*innen (neben Jungwählerinnen) die Gruppe, die am resistentesten gegen die AfD waren.

          Die einzigen Leute, die Sie wahrscheinlich im Auge haben, waren jene Leute in den neuen Ländern, die die PDS/Linke vor allem gewählt haben, weil sie vornehmlich als die „ostdeutsche Partei“ wahrgenommen wurde. Aber die konservatien Mittelständler*innen in den alten Ländern, die in absoluten Zahlen stärker wiegen und auch das Parteiprogramm prägen, haben wirtschaftlich und kulturell völlig andere Interessen (die Position zur Wiedereinführung der Wehrpflicht ist da nur ein besonders krasses Beispiel). Seit dem Abgang von Frauke Petry ist die AfD vom Führungspersonal auch die einzige rein westdeutsche Partei.

          • Stefan Sasse 18. April 2021, 17:58

            Das ist die unsterbliche Legende mit den Protestwähler*innen, die für ihre Entscheidungen irgendwie nicht verantwortlich sein sollen. Unerträgliche Infantilisierung der Politik und der Wählenden, habe ich schon mal drüber geschrieben:
            http://www.deliberationdaily.de/2017/06/schuld-sind-immer-die-anderen/

            • Rauschi 21. April 2021, 06:13

              Das ist die unsterbliche Legende mit den Protestwähler*innen, die für ihre Entscheidungen irgendwie nicht verantwortlich sein sollen.
              Wer sagt denn sowas? Ich jedenfalls nicht, es geht darum das die „Mitte“ doch versuchen sollte, die Menschen wieder in diese Richtung befürworten.
              Hat mit Verantwortung abschieben nicht das geringste zu tun.

              Unerträgliche Infantilisierung der Politik
              Die Infantilisierung läuft bei Corona seit einem Jahr, das stört Sie nicht?
              Da machen Sie aber auch andere (Querdenkenr, Antisemiten Nazis) für die Politk verantwortlich, oder habe ich das falsch verstanden?

          • Rauschi 21. April 2021, 06:18

            Die einzigen Leute, die Sie wahrscheinlich im Auge haben, waren jene Leute in den neuen Ländern, die die PDS/Linke vor allem gewählt haben, weil sie vornehmlich als die „ostdeutsche Partei“ wahrgenommen wurde.
            Ich habe da überhaupt niemand speziellen im Kopf, ich finde es nur absurd, ausgerechnet bei diesen Wählern anzunehmen, das die ihre Ansichten und Meinungen nicht ändern können/wollen. Warum machen wie Wahlen, wenn die erste Wahl für immer bleibt, warum dann merh als Erstwähler fragen?
            Die extermen Ränder zu schwächen sollte ein Anliegen aller Demokraten sein, habe ich bislang gedacht.
            Scheint hier aber nur bei der AfD nicht so zu sein, nur haben deren Wähler ja früher eindeutig auch jemand anderen gewählt.
            Ich möchte da niemanden verloren geben, ganz einfach.

  • Stefan Sasse 17. April 2021, 10:20

    • Stefan Pietsch 17. April 2021, 11:17

      Abscheulich. Der Tweet.

      Wenn schon die Forderung, Migration zu begrenzen, einen Rechtsradikalen formt, sind wir mehrheitlich ein Volk von Rechtsextremisten.

      Dazu bestätigt es: Die politische Linke hat die Seiten gewechselt und gibt den Rechten recht. Menschen sind nicht gleich, sie sind unterschiedlich in Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung, woraus sich unterschiedliche Rechte ableiten. Und über die angeblichen Befindlichkeiten angeblich Benachteiligter ist nicht mehr zu diskutieren, sondern dies zu akzeptieren.

      • CitizenK 17. April 2021, 11:37

        „…woraus sich unterschiedliche Rechte ableiten“
        Da haben Sie sich doch hoffentlich nur verschrieben?

        • Stefan Pietsch 17. April 2021, 11:46

          Nein. Das ist die heutige Sicht der Lifestyle-Linken, nicht meine.

        • Dennis 17. April 2021, 12:25

          Ich finde, Herr Pietsch hat in diesem Punkt schon recht. Das ist in Stenogrammform des Elend der Linken. Universalismus war mal, denn dazu müsste man Mehrheiten gewinnen (sagt ja schon der Name) und möglichst nicht nur ad hoc, sondern „strukturell“ ; da das bei Linkens offensichtlich kaum noch jemand anstrebt, braucht man sich damit eigentlich nicht mehr zu beschäftigen. Ausführlich zu diesem Thema äußert sich übrigens auch Thierse aktuell bei „phoenix persönlich“.

  • Erwin Gabriel 17. April 2021, 12:02

    @ STEFAN SASSE on 16. APRIL 2021

    2) „Führt keine Kulturkämpfe!“ (Interview mit Anne Applebaum)

    Manchmal frage ich mich, wie ein so kluger Kopf wie Du sich derart naiv und überheblich äußern kann …

    Die Rechte braucht diese Kulturkämpfe, um die eigene Basis zu mobilisieren, …

    Vorab: Ich denke, dass Dich da Deine profunden Kenntnisse der amerikanischen Verhältnisse auf dieses schmale Brett bringen.

    Die Rechte braucht diese Kulturkämpfe also? Da fehlt mir erst einmal eine Definition, was Du DIESMAL unter der Rechten zusammenfasst; Du bist bei verschiedenen Begriffen immer sehr „flexibel“. In den USA braucht die Rechtsaußen-Rechtsextrem-Rechte á la Tea Party den Kulturkampf, so wie hier die AfD. Aber das sind weder „die Rechte“ noch die Konservativen, das sind Extremisten.

    Dann braucht die Linke Kulturkämpfe nicht? Es gibt seit geraumer Zeit auf linker Seite erhebliche Vorbehalte gegen überdurchschnittlichen Besitz und Wohlstand – „den Reichen wegnehmen“ ist kein Kulturkampf? Dann hast Du von linker / grüner / progressiver Seite ein ständiges Verlangen danach, andere Menschen in dieses Land zu holen, die von uns mit „durchgefüttert“ werden sollen. Die brutalen Auswirkungen auf finanziell Schwache werden genauso ignoriert wie die Auswirkungen auf gesellschaftliche Entwicklungen (Frauenbild, Judenfeindlichkeit etc).

    Bei Anreizen für Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, die wir in diesem Land seit Jahrzehnten an jeder Stelle brauchen, herrscht im Vergleich zur „Anwerbung“ von Flüchtlingen großes Schweigen. Wow, wie progressiv …

    … und die Ironie an der Geschichte ist, dass sie sämtliche dieser Kulturkämpfe verliert – wie bereits die letzten Dekaden.

    Au weia – wie kommst Du darauf? Ganz harter Ausschlag nach naiv-links!

    „Gesellschaft“ ist kein Zustand, Gesellschaft ist ein Prozess. Das bedeutet, dass Veränderungen Teil der Gesellschaft sind. Das wissen auch Konservative wie ich, oder Liberale wie Stefan P. Veränderungen lassen sich nicht aufhalten oder verhindern, man kann bestenfalls Tempo und Richtung beeinflussen.

    Sich dafür feiern, dass sich die Gesellschaft überhaupt bewegt, ist albern – bei einem natürlichen Prozess Abwarten und Zuschauen sind keine feiernswerten Leistungen.

    Die „Progressiven“ haben bei weitem nicht alles erreicht, was sie erreichen wollten, und die „Konservativen“ haben bei weitem nicht alles verhindert, was sie verhindern wollten – wie stets. Und für jeden zu harten Ausschlag, zu großen Entwicklungssprung gibt es einen korrigierenden Rückschlag, (etwa bei der Zuwanderungspolitik). Gilt genauso für z harte Bremsmanöver: Zu hohes oder zu geringes Tempo geht nur mit Zwang.

    Meine Prognose ist, dass die Ära der Kulturkämpfe im Abwind ist und sich in den nächsten Jahren weiter abflauen wird. Bin gespannt, ob ich damit richtig liege.

    Ich glaube nicht.

    Die Klimakrise steht vor der Tür (Global), Bevölkerungskatastrophe in Afrika steht vor der Tür (Europa), eine Wirtschaftskrise, maßgeblich verursacht durch schlechtes Corona-Management, steht vor der Tür (Deutschland), ein Strukturwandel enormen Ausmaßes steht vor der Tür (von der Digitalisierung der Behörden über geopolitische Verschiebungen mit enormen Einflüssen auf unsere Wirtschaft) – all diese Themen werden die nächsten zwanzig, dreißig Jahre enorme Rollen spielen.

    Unsere Gesellschaft wird sich in den nächsten zwanzig Jahren DEUTLICH stärker verändern als in den letzten zwanzig Jahren, wird DEUTLICH größerem Druck ausgesetzt sein; nicht durch von Progressiven oder Konservativen angestrebte Entwicklungen, sondern durch das, was in der Welt passiert (und man herumschlampert und Zeit vertrödelt wie wir).

    Kann mir nicht vorstellen, dass das ohne extreme politische Ausschläge über die Bühne gehen wird.

    • Stefan Sasse 17. April 2021, 19:54

      Ja sorry das war unrpäzise. Ich meinte den rechten Rand, also dezidiert nicht so was die CDU.

      • Erwin Gabriel 18. April 2021, 10:43

        @ Stefan Sasse 17. April 2021, 19:54

        Ja sorry das war unrpäzise. Ich meinte den rechten Rand, also dezidiert nicht so was die CDU.

        Dann bin ich, was das Kulturkampf-Bedürfnis von rechts(außen) angeht, bei Dir. Wo nicht, ist die Einseitigkeit.

        • Stefan Sasse 18. April 2021, 13:35

          Jeder betreibt Identitätspolitik; kein CSU-Wahlkampf ohne „mia san mia“, keiner der FDP ohne Betonung der Freiheit, keiner der SPD ohne Gerechtigkeit, etc. Nur haben die Rechtspopulisten das gerade zum Fokus erhoben, wo es bei den anderen nur mitläuft.

          • Erwin Gabriel 19. April 2021, 13:41

            @ Stefan Sasse 18. April 2021, 13:35

            Jeder betreibt Identitätspolitik; …

            Sag ich doch …

            Nur haben die Rechtspopulisten das gerade zum Fokus erhoben, wo es bei den anderen nur mitläuft.

            So, jetzt ist es richtig 🙂

            • Stefan Sasse 19. April 2021, 14:43

              Danke. Fluch der Perspektive. Für mich war’s klar 😀

              • Erwin Gabriel 19. April 2021, 20:31

                @ Stefan Sasse 19. April 2021, 14:43

                Danke. Fluch der Perspektive.

                Falls Dich das tröstet: ich habe auch eine. 🙂

  • Erwin Gabriel 17. April 2021, 12:40

    @ STEFAN SASSE on 16. APRIL 2021

    6) Ugly Lives Matter

    Das Problem ist natürlich unlösbar.

    Zustimmung

    Ein weiterer solcher Faktor, den Bender nicht erwähnt, ist übrigens Körpergröße – alle US-Präsidenten sind überdurchschnittlich groß, und in seinem letzten Artikel hat Stefan Pietsch ein schönes Beispiel für Körpergrößendiskriminierung gebracht, als eines seiner vielen abwertenden Formulierungen gegen Armin Laschet dessen Körpergröße von nur 1,70m war (mit der er gegen die 1,94m Markus Söders natürlich alt aussieht). Hier kann ich als 1,70m-Mann (ich gebe meine Größe immer mit 1,71m an, wie der traurige Körpergrößen-Loser, der ich bin) natürlich voll mit Laschet fühlen. Kleine Männer und Frauen werden ebenfalls diskriminiert. Dicke Menschen werden diskriminiert. Und eben hässliche.

    Ja. Du wehrst Dich ja immer dagegen, wenn ich mit meiner genetischen Vorprägung daherkomme, aber es gibt sie halt. Man kann dagegen bis zu einem gewissen Punkt anerziehen, aber Du wirst auf wirklich lange Zeit nicht in der Lage sein, derartige Kriterien, die sich in der Urzeit unserer Menschwerdung entwickelt haben, aus unseren Köpfen zu entfernen.

    • Stefan Sasse 17. April 2021, 19:55

      Ja, aber das ist ja kein Grund, dieses Bohren dicker Bretter nicht mit Leidenschaft und Augenmaß in Angriff zu nehmen.

      • Erwin Gabriel 19. April 2021, 20:33

        @ Stefan Sasse 17. April 2021, 19:55

        Ja, …

        Den an dieser Stelle ausbleibenden Widerspruch zur genetischen Vorprägung nehme ich erfreut zur Kenntnis, …

        …aber das ist ja kein Grund, dieses Bohren dicker Bretter nicht mit Leidenschaft und Augenmaß in Angriff zu nehmen.

        … und schließe mich hier leichten Herzens an.

  • Erwin Gabriel 17. April 2021, 12:41

    @ STEFAN SASSE on 16. APRIL 2021

    10) Laschet versus Söder: Stiller Sieger gegen lauten Verlier?

    Man sollte nicht vergessen, dass in Umfragen im Frühjahr vor der Bundestagswahl 2017 Martin Schulz bei der Direktwahl-Umfrage mit 50% vor Angela Merkels 34% führte. Um es vorsichtig auszudrücken: das half der SPD nur sehr eingeschränkt. Das gilt noch mehr für Markus Söder, dessen CSU nur in einem einzigen Bundesland überhaupt wählbar ist.

    Das heißt genaugenommen: Nichts!

    Das muss natürlich nicht so kommen, aber es wäre vermessen, die Umfragewerte von April linear in den September fortzuschreiben.

    Irgendwie lese ich immer nur Andeutungen, dass Laschet noch aufholen könnte. Ich vermute aber eher das Gegenteil.

    Laschets Verbündeter ist die Zeit. Die Frage ist nur, ob er welche bekommt.

    Nein. Zeit ist ein Faktor, der für, aber auch gegen Laschet sprechen kann. Da das die Zukunft betrifft, wissen wir es beide nicht, und auch kein anderer.

    Wenn JETZT der Zeitpunkt ist, den Kanzlerkandidaten der Union zu bestimmen, müssen die JETZT vorliegenden Informationen berücksichtigt werden. Und da spricht, selbst wenn man die Umfragewerte außen vorlässt, doch recht wenig für den Mann aus Aachen.

    • Stefan Sasse 17. April 2021, 19:55

      Ok, korrekter Einwand. Laschets Chance ist die Zeit, und die Frage ist, ob er aus den von dir genannten Gründen welche bekommt.

      • Erwin Gabriel 17. April 2021, 21:21

        @ Stefan Sasse

        Laschets Chance …

        … für eine Verbesserung liegt, selbst wenn man ihm alle Zeit der Welt gibt, bestenfalls bei 50%. Die Chance ist größer, dass er weiter abfällt.

        • Stefan Sasse 17. April 2021, 22:09

          Kein Widerspruch. Aus dem Bauch raus würde 2:1 oder 3:1 sagen. Gegen ihn.

          • Erwin Gabriel 18. April 2021, 10:44

            Stefan Sasse 17. April 2021, 22:09

            Kein Widerspruch. Aus dem Bauch raus würde 2:1 oder 3:1 sagen. Gegen ihn.

            Zustimmung, schließe mich an

      • Stefan Pietsch 18. April 2021, 12:15

        Weder noch. Laschets Image ist festgefahren und das im Keller. Da kommt niemand so leicht raus, nicht in 5 Monaten aber auch nicht in einem Jahr. Laschet müsste entweder etwas absolut Herorisches tun oder einfach mal für 2-3 Jahre eine anerkannt solide Politik. Meiner Schätzung nach bekommt er aber diese Chance nicht mehr in seiner politischen Karriere, er ist immerhin 60, ihr tut gerade so als wäre das ein Jungspund.

        Denkt mal wie Schachspieler, zwei, drei Züge voraus. Angenommen, er wird doch noch Kanzlerkandidat. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundestagswahl dann für die Union bitterböse daneben geht, liegt bei 70-80 Prozent. Unterstellen wir das mal. Eine Wendung wäre von zahlreichen Faktoren abhängig, die Laschet nicht beeinflussen kann und von einem ganz wesentlichen, seiner Akzeptanz. Dummerweise ist er ein ziemlich schlechter Redner, der ähnlich wie AKK große Schwierigkeiten hat, seine Botschaften rüberzubringen. Und die Bilder von Markus Lanz, wo er, der CDU-Chef, nach der Abkanzlung von Merkel wie ein Häufchen Elend saß, „Ach, Herr Lanz“, „Nein, Herr Lanz“, „Nein“, „Ich beteiligte mich daran nicht“. Derzeit kann sich kein Wähler – egal ob mit der Union symphathisierend oder nicht – vorstellen, dass so jemand das Land repräsentieren kann.

        Da sind 5 Monate verdammt kurz, so ein Bild zu wenden. Zur Erinnerung: Wie lange brauchten gefallene Stars wie zu Guttenberg, Lindner, Westerwelle, Özdemir um sich von ihren schlechten Werten zu erholen? Jahre, wobei bis auf Westerwelle sie diese aufgrund ihrer Jugend hatten.

        Angenommen, die Union landet bei 25% und in der Opposition. Glaubt irgendjemand ernsthaft, der gescheiterte Kanzlerkandidat Laschet hätte eine realistische Chance, sich länger als Parteivorsitzender zu halten? Sechs Monate später muss er sein Amt als Ministerpräsident verteidigen, seine Machtbastion. Doch die Aussichten sind heute nicht optimistisch. Würde eine Ampel in Berlin die Regierungsgeschäfte übernehmen, könnte das auch in Düsseldorf die Schwarzen hinwegfegen.

        Laschets Position ist mehr als fragil. In dieser Situation spielt er mit allem. Er hofft, dass ihn die Union trotz desaströser Persönlichkeitswerte nominiert und er anschließend sich mit irgendeinem Ergebnis in das Amt des Kanzlers hievt. Würde das passieren, sind die Chancen der CDU auch nicht besonders, in NRW Schwarz-Gelb zu bestätigen. In Berlin auf ein historisches Tief geschrumpft, in Düsseldorf wieder die Macht verloren. Das scheint noch die beste Option für Laschet.

        Wer ist hier der, der nur auf eigene Rechnung spielt?

        • Stefan Sasse 18. April 2021, 13:39

          Ich stimme dir in allem was du sagst zu. Aber: Laschet ist rock bottom. Der wird ziemlich sicher auch nicht mehr tiefer fallen.

          Noch ein anderer Aspekt: für die CDU ist es auch eine Frage der Patronage. Die Kontrolle des Kanzleramts erlaubt das Ausgeben ziemlich vieler Beute in Form von Posten und Einfluss. Wenn Söder da einzieht, wird das CSU-Land. Spielt mit Sicherheit auch eine Rolle.

          • Stefan Pietsch 18. April 2021, 14:33

            Damit spricht aber gerade kein Argument für Laschet.

            Kann sein. Tatsächlich betritt die Republik mit einem CSU-Kanzler oder auch einer grünen Kanzlerin absolutes Neuland. Zwei Parteien, die auf Bundesebene vor allem Lobbygruppen und Milieus gepflegt haben, werden demnächst aller Wahrscheinlichkeit die Regierung anführen. Zumindest einer.

            Ein Bundeskanzler kann schon von den Möglichkeiten her einzelne Gruppen nicht so einfach und zielgerichtet bedienen, wie das z.B. einem Verkehrsminister möglich ist. Dazu kommt, dass die CSU im Gegenzug mindestens zwei Ministerien abgeben müsste. Das Kanzleramt kann zwar einzelne Gesetzesvorhaben an sich ziehen. Es hat aber kaum eine Möglichkeiten, die Details eines Verkehrswegeplans maßgeblich zu beeinflussen oder die Neuansiedlung von Behörden zu bestimmen.

            Gleiches gilt übrigens für die Grünen. Auch sie müssten einen hohen Preis für den Chefposten bezahlen. Das gilt vor allem in einer Ampelkonstellation, wo sie mit zwei Partnern wären und diese großzügig bedienen müsste, oder in einer grün-schwarzen Koalition, wo die Union praktisch gleich stark wäre und für den Verlust des Kanzleramtes kompensiert werden müsste.

    • Erwin Gabriel 19. April 2021, 20:50

      @ STEFAN SASSE on 16. APRIL 2021

      10) Laschet versus Söder: Stiller Sieger gegen lauten Verlierer?

      Die Grünen sind mit ihrer Kandidatin klar, die Union hat sich immer noch nicht entschieden – jetzt wird es aber langsam peinlich.

      Laschet wäre aus zahlreichen Gründen gut beraten gewesen, Söder die Kanzlerschaft anzubieten. Spätestens als sich anbahnte, dass das nicht eine normale politische Auseinandersetzung um den besten Mann, sondern eine handfeste Macht- und Rechthab-Veranstaltung ist, hätte einer der beiden Kandidaten die Größe haben müssen, um zurückzuziehen – und sei es nach dem Motto „Der Klügere gibt nach“. Groß oder klug ist offenbar keiner von beiden. Inzwischen haben beide zur Genüge bewiesen, dass sie rechthaberisch, borniert, eitel und egoistisch sind; keine Eigenschaften, die man von einem Kanzler erwartet.

      Sich nicht nur deutlich später als angekündigt, sondern nach den Grünen festzulegen, ist ein Riesenfehler. die Grünen können nun nach dem Motto „Ist uns doch egal, wer Gegenkandidat ist“ selbstbewusst auftreten, die Union hat hier viel Souveränität verloren.

      Dieses Verhalten der Union in den vergangenen Tagen könnte Wahlentscheidend werden.

      • Stefan Sasse 20. April 2021, 07:49

        Glaube ich ehrlich gesagt nicht, aber wir werden sehen.

        • Erwin Gabriel 21. April 2021, 19:51

          Reine Neugier:

          Glaubst Du, dass die Chancen für die Grünen nun besser / schlechter / gleich stehen?

          • Stefan Sasse 22. April 2021, 08:03

            Ich habe nicht die geringste Ahnung. In meinen Augen ist es noch zu früh, um irgendwelche Aussagen zu machen, deswegen war ich ja auch bezüglich der Analysen zur Unions-Kanzlerkandidatur so skeptisch. Bis September ist noch lange hin. Aus dem Bauch heraus halte ich die Personalie eh für völlig überbewertet, weswegen ich zu „es hat sich praktisch nichts geändert“ neige. Aber wie gesagt, wirklich eine fundierte Analyse habe ich dazu nicht.

  • Erwin Gabriel 17. April 2021, 12:43

    @ STEFAN SASSE on 16. APRIL 2021

    11) Je¬de:r Dritte zu Unrecht abgelehnt

    Aber beim einen geht es eben um die eigene Haut, und beim anderen nur um Schwache der Gesellschaft, zu denen man keinen Bezug hat. Das ist menschlich, aber nicht besonders schön.

    Es ist eine ganz normale Reaktion, dass man sich um seine eigenen Bedürfnisse und die seiner Familie intensiver kümmert als um die von anderen, denen es schlecht gehen mag, aber zu denen man keinen Bezug hat. Und was Dir offenbar nicht klar ist: Nicht jeder Beamte oder Angestellte, der etwas ablehnt – ob es ein Asyl-Antrag oder ein Hartz-IV-Zuschuss ist – tut das aus „unschönen“ Motiven. Jeder, der was auch immer ablehnt, sieht einen guten Grund dafür.

    Dann muss man irgendwann zur Kenntnis nehmen, dass wir Gesetze haben, die wir nicht grundlegend für alle auf ewig umsetzen können. Niemand benennt den wirklichen Preis für diese unsere „Haltung“, und kaum einer wäre bereit, ihn zu bezahlen (und die, die es wären, würden darunter verstehen, andere den Preis zahlen zu lassen). Aber wie ich dieses Land kenne, wird man erst reagieren, wenn es zu spät ist.

    • Stefan Sasse 17. April 2021, 19:57

      Würde auch nie behaupten, dass diese Ablehnung aus unlauteren Motiven entstehen! Mir geht es vielmehr um die Untermauerung meiner früheren Argumentation, dass die Rechtmäßigkeit eben Schrödingers Gesetzen unterliegt; es erfordert zur entgültigen Klärung eben oft mal Gerichte. Dazu ist die Judikative ja auch da! Mein Punkt ist ja gerade, dass ich BAMF und Arbeitsagentur NICHT mangelnde Rechtsstaatlichkeit vorwerfen möchte; ich kann das dann aber auf der anderen Seite auch nicht R2G in Berlin vorwerfen.

  • Mathias 18. April 2021, 10:27

    4) Als ich vor 20 Jahren Vegetarier wurde, war das Klima-Argument noch nicht so präsent; zumindest für mich und mein Umfeld war das Argument eher das Tierleid. Als die Klimakatastrophe und Ressourcenverschwendung mehr und mehr in den Fokus rückten, dachte ich, JETZT ist es so weit, JETZT, wo es sie selbst oder wenigstens andere *Menschen* betrifft, kapieren sie es. Ja, ich war so naiv.

    Vor dem Supermarktregal entscheiden dann halt doch vor allem auch der Preis, die Gewohnheit und der Geschmack. Aber da gibt es ein paar Tendenzen, die mir Hoffnung machen: Dass der vegane Aufschnitt im Kühlregal öfter mal ganz unauffällig zwischen dem aus tierischem Fleisch liegt, die Vielfalt an veganen Ersatzprodukten, die in den letzten 10 Jahren wirklich eine gewaltige Entwicklung durchgemacht haben und nichts mehr mit dem Grünkernbratling von damals zu tun haben … und nicht zuletzt „Clean Meat“ aus dem Labor. Wird noch ein paar Jahre dauern, bis das wirklich zum Fliegen kommt, aber am Ende wird das uns retten … und nicht Videos von Tiertransporten, berichte von den Tier- und Menschenunwürdigen Verhältnissen in den Schlachthäusern oder über die Abholzung der Regenwälder, die drölfzehnte Zoonosen-Pandemie oder dramatische Appelle von Medizinern wegen der nachlassenden Effektivität von Antibiotika. Entweder das, oder wir haben echt gelitten.

    6) I feel you … 🙁

  • Erwin Gabriel 18. April 2021, 10:59

    @ Mathias 18. April 2021, 10:27

    Vor dem Supermarktregal entscheiden dann halt doch vor allem auch der Preis, die Gewohnheit und der Geschmack.

    Meine Frau und ich, beide Anfang 60, haben vier Töchter; 3 von denen pendeln zwischen vegan und vegetarisch (immer wieder ruft der Käse …).
    Wir liegen unter Dauerfeuer, dieses oder jenes nicht mehr zu kaufen, und gelegentlich kochen die, wenn sie zu Besuch sind. Ist eine ganz andere Küche mit vielen asiatischen Einschlägen, etwas ganz anderes als „Kohlroulade ohne Füllung“. Teilweise nicht mein Ding, teilweise atemberaubend lecker.

    Ich habe uns auch vor ein paar Monaten Veggie-Junk-Food gemacht: Burger mit hochwertigem Fleisch-Ersatz(teurer als Rinderhack?!). War super-lecker. Meine Frau versuchte das wieder, kaufte ein etwas billigeres Produkt, das nicht schmeckte.

    Aber unseren Fleischkonsum haben wir in den letzten zwei, drei Jahren auf ein Drittel oder Viertel heruntergefahren, Wurst auf bestenfalls 10 % runter, Käse ordentlich hoch. Zu meiner Überraschung ist es eher teurer geworden, sich ohne zu große Geschmacksabstriche vom Fleisch in Richtung Gemüse / Soja zu bewegen.

    • Stefan Sasse 18. April 2021, 11:09

      Bei mir genauso. Mein Fleischkonsum ist im Winter nahe Null, im Sommer wegen Grillen etwas höher. Käse esse ich wenig. Ich esse Fisch und Meeresfrüchte und Eier.

      Beyond Meat sind so geile Burger, ich würde niemals Fleisch anfassen. Aber viele Ersatzburger schmecken mir nicht so gut wie die – muss man durchprobieren. Fleischersatz (also vegetarische Schnitzel) esse ich wegen der Kalorien gar nicht; ich habe aber auch keinen großen Bedarf an Fleisch.

      Und ja, es ist teuer. Da hatte ich letzthin auf Twitter Streit mit ein paar Leuten die der Überzeugung waren, auch Hartzer könnten problemlos vegan leben…

      • Mathias 18. April 2021, 16:58

        Wobei das mit „teuer“ halt drauf ankommt. Ja, im direkten Vergleich ist das Sojajoghurt teurer als das Kuhmilchjoghurt, das vegane Burgerpatty teurer als das aus tierischem Fleisch, und die billigste Sojamilch kostet so viel wie eine Marken-Bio-Kuhmilch.

        Zum Teil liegt das natürlich an Skaleneffekten, zum Teil an fehlgeleiteten Subventionen und Besteuerungen (Sojamilch hat ja immer noch 19 % Mehrwersteuer, im Vergleich zur Kuhmilch mit 7 %.)

        Wenn man es drauf anlegt, geht es deutlich billiger: Hafermilch kann man aus Haferflocken und Wasser selber machen, dürfte dann unter 10 ¢ pro Liter liegen. Proteine kriegt man aus Hülsenfrüchten, wo die 2-kg-Säcke getrocknet im türkischen Supermarkt auch billig sind. Frisches Gemüse ist so ’ne Sache, manche Sorten sind echt teuer, aber andere auch nicht.

        Trotzdem ist es natürlich aufgrund all der bekannten Folgen Irrsinn, dass es den Leuten schwierig gemacht wird. Aber auch da hoffe ich auf einen selbstverstärkenden Effekt (Marktanteil wächst -> Produktion wird effizienter -> Preise sinken -> Marktanteil wird noch höher) und auf ein schrittweises Umdenken bei den politischen Rahmenbedingungen (gegen die 19 % Mehrwertsteuer auf Zugtickets musste man auch sehr lange kämpfen, bis es plötzlich fast geräuschlos ging). Rein von der Biologie her ist die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln 10 mal effizienter als die von tierischen, und auch In-Vitro-Fleisch ist im Prinzip effizienter als Fleisch vom Tier, sodass das irgendwann umschlagen sollte.

        • Stefan Sasse 18. April 2021, 17:59

          Ich habe schon oft für eine Steuerreform bei dem Thema geschrieben 🙂

      • Erwin Gabriel 19. April 2021, 13:43

        @ Stefan Sasse 18. April 2021, 11:09

        Beyond Meat sind so geile Burger, …

        Ja, ich glaube, so hießen die.

    • Ariane 19. April 2021, 01:41

      Ich denke auch, es kommt viel aufs Rumprobieren an. Meine Mutter ist ja auch schon lange eine Pendlerin zwischen vegan/vegetarisch und wir hatten beide das Problem, dass wir viele würzigere und/oder Sojaalternativen nicht mögen, aber da hat sich in den letzten Jahren echt schon viel bewegt.

      Und das passt auch zu deinem anderen Vermischten, internationalere Küche hilft da oft auch, entweder asiatisch oder arabisch hat viele vegetarische oder vegane Sache bei, die etwas spannender sind als urdeutsch ohne Fleisch. (mein höchster Fleischkonsum ist übrigens, wenn ich von meiner Mutter wegfahre, weil die immer in einen Panik-nicht-Vegetarierer-Kaufrausch gerät und ich den ganzen Kram dann mitschleppen muss) 😀

  • bevanite 18. April 2021, 16:32

    zu 1) Ich habe bei Wagenknecht seit ihrer Liaison mit Lafontaine den Verdacht, dass sie sich seiner Eitelkeit angenähert hat. Lafontaine ist immer dann ausgestiegen, als er nicht mehr das Sagen hatte und an dieser Arroganz ist letztendlich auch „Aufstehen“ gescheitert.

    Warum aber dieses Buch genau in einer Zeit, in der die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt? Meine Vermutung ist ja, dass Wagenknecht ähnlich wie Frauke Petry nach dem Einzug in den Bundestag ihre Partei verlässt und dann mit Thilo Sarrazin und Boris Palmer (und eventuell sogar Petry?) eine neue Querfront-Partei gründet, die dann gleich mal im Bundestag vertreten ist. Auf jeden Fall zwar ein guter Publicity-Move, aber insgesamt doch eher eine weitere Taktik, um das Mitte-Links-Lager zu schwächen. Denn am lautesten freut sich darüber die Rechte, was man allein schon daran sieht, dass ihr Buch von FAZ, Welt, Focus bis hin zu Leuten wie Ellen Kositza abgefeiert wird. Erstaunlicherweise findet sie mit ihren Thesen also genau bei jenen Leuten Zustimmung, die noch vor 15 Jahren gefordert haben, die PDS/Links müsse sich modernisieren und internationaler denken. Jetzt hingegen werfen sie der Linken vor, sie müsse wieder nationalistischer und kulturkonservativer werden und nehmen dafür als Kronzeugin ausgerechnet jene Politikerin, die in der Vergangenheit am meisten am Leninismus alter Prägung festhielt und Verständnis für Diktatoren wie Putin, Maduro und Assad zeigte. Diese ideologische Querfront aus libertären Nationalisten, Alt-Kommunisten und Neokonservativen macht mir schon etwas Angst, zumal das Ergebnis eine Art „Rousseau von rechts“ sein könnte: ein volonté général gegen Minderheiten, quasi eine Art Spießer-Volksstaat.

    zu 2) Ich weiß nicht, ob die Charakterisierung Applebaums als Konservative hinhaut: sie ist wohl eher, was man in den USA „wardoliberal“ oder „Reagan Democrat“ (also interventionistisch/neokonservativ in der Außenpolitik, wirtschafts- und kulturliberal) bezeichnete. Auf jeden Fall taugt ihr Buch „The Twilight of Democracy“ wesentlich besser zur Analyse der heutigen Zeit als ein weiteres Buch über die ach so bösen Linksliberalen. Wir müssen vielmehr die Analyse darauf legen, dass ein Großteil der Wähler von nationalistischen Parteien eben nicht die klassisch „Abgehängten“ sind, sondern eher aus der Mittelschicht kommen.

  • Ariane 19. April 2021, 01:29

    1) Ich fand diesen Artikel zu Wagenknecht auch ganz gut:
    https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_89848648/sahra-wagenknecht-die-linken-politikerin-ist-aus-der-zeit-gefallen.html

    Ich hab nämlich auch häufig das Gefühl, dass da Kulturkämpfe aus den 80ern oder so weitergeführt werden, die heute nicht mehr passen. Dafür ist das auch alles zu heterogen geworden.

    Denn wer hat denn die mies bezahlten Prekariatsjobs heutzutage? Das sind zum Einen übrigens häufig Menschen mit ausländischen Wurzeln. Auf der anderen Seite übrigens studierte Geisteswissenschaftler, die sich von einem Volontariat zum Praktikum zu befristetem Job hangeln.

    Homosexualität genauso oder meint irgendjemand, das nur Lifestylelinke Homo-oder anders-sexuell sind? Und ob das einfacher ist, wenn man zb ein alter Kohlekumpel oder sowas ist?

    Ist doch Quatsch, so zu tun, als hätten nur reiche Leute Probleme mit Vorurteilen, nur weil die halt mehr Kolumnen in Zeitungen schreiben.
    Aber immerhin: Wagenknecht hat bewiesen, dass es neben dem alten weißen Mann (TM) auch die alte weiße Frau gibt, die Attitüde ist nämlich ziemlich dieselbe.

    2) Jein, Kulturkämpfe ziehen immer irgendwie. Obwohl ich auch glaube, dass die extreme Form so ziemlich an einem Peak angekommen ist. Da kommen vielleicht noch neue Dinge, aber vieles ist auch schon sehr ausgelutscht, die Grünen als Verbotspartei, Gendergaga, Diktatur, blabla.
    Gerade die Ränder oder auch die Boulevardisierung haben das glaub ich irgendwie aus der ernsthaften Schiene herausgeholt und so Leute wie Trump, die gezeigt haben, dass das nicht nur ne Masche ist, sondern auch echt Schaden anrichten können, haben die Leute da vielleicht auch ein bisschen immunisiert.

    Hoffe ich zumindest, so dass sich das ein bisschen gemäßigter abspielt, während die krassen Dinge bei den Rändern verbleiben.

    6) Ugly lives matter

    Hier kann ich als 1,70m-Mann (ich gebe meine Größe immer mit 1,71m an, wie der traurige Körpergrößen-Loser, der ich bin) natürlich voll mit Laschet fühlen.
    Das ist eine völlig okaye Größe finde ich 😉 Vor einer Weile hatte ich dazu einen Text gelesen, da ging es gerade bei Männern um eine gewisse Körpermasse und um die Diskriminierung, die es gibt, wenn man ein schmaler Lulatsch ist. (übrigens etwas, was bei Frauen quasi kaum existiert, kaum Grenzen nach unten).

    Grundsätzlich ist mein Gefühl, dass viele Dinge, die bei Frauen schon länger Thema sind – in Bezug auf Schönheit zb – auch bei Männern immer wichtiger werden. Größe, Trainiertheit, Klamotten etc. Das funktioniert teilweise anders (immerhin müssen Männer ja auch noch aufpassen, nicht schwul zu wirken), aber schon nach ähnlichen Mechanismen, gerade was Sachen angeht, die man selbst optimieren kann. Sehe ich übrigens ein bisschen mit Sorge, sollte ja nicht zwingend Zeichen der Moderne sein, dass jetzt Männer UND Frauen dieselben Probleme haben.

    • Stefan Sasse 19. April 2021, 09:04

      1) Zustimmung. Es gibt ja auch genug linke Parteien (etwa Israel), die beides unter einen Hut kriegen. Diese angebliche Dichothomie ist Bullshit.

      2) Das meine ich: Kulturkampf als Zentrum der Auseinandersetung wird zurückgehen.

      6) Stimme ich zu.

      • Dennis 19. April 2021, 10:29

        Die Dichothomie mag ja Bullsit sein, aber warum findet sie denn statt ? Die (Achtung, Ironie:) beeindruckenden Erfolge linker Parteien landauf landab zeugen davon, dass man daran evtl. noch arbeiten muss. Es könnte ein Problem sein, wenn man diejenigen, die für Mehrheiten unabdingbar sind, als „deplorable“ (O-Ton Hillary) beiseite schubst bzw. wie in GB mit einem zweiten Referendum (in Sachen Brexit) zu belästigen trachtet (mittlerweile natürlich obsolet), nach dem Motto: Liebe Kinder, jetzt sagen wir euch, wie ihr richtig abstimmen müsst.

        Hier eine Auseinandersetzung – bezüglich Labour, GB – u.a. mit dem Thema (es muss nicht immer Wagenknecht sein^^). Kernsatz:

        „Less well-off provincial voters, once the party’s natural supporters, are meanwhile listening, in ever-larger numbers, to the siren calls of rightwing nationalism and populism. This is electorally disastrous, believes Cruddas, since it hands over most of England to the Conservatives. But more importantly, it is an abdication of Labour’s responsibility to articulate the interests and values of the poorer half of society. The party is in danger of becoming unduly dominated by the winners, the meritocratic elite. “

        https://www.theguardian.com/politics/2021/apr/11/jon-cruddas-dignity-of-labour-meritocratic-elite-interview

        • bevanite 19. April 2021, 13:21

          Das mit dem „basket of deplorables“-Zitat hat auch so ein seltsames Eigenleben entwickelt. Clinton meinte damit eben gerade nicht die Leute, „die für Mehrheiten unabdingbar sind“, sondern eben jenen Anteil an Rassisten und Bigotten, die dann ein Jahr später auch in Charlottesville öffentlichkeitswirksam marschiert sind. Da ist „deplorables“ fast noch ein zu netter Ausdruck.

          Und bei einer so extrem knappen, aber mindestens für eine Generation wegweisenden Entscheidung wie dem Brexit ist es auch durchaus legitim, das Volk nochmal zu befragen, vor allem wenn zwei der vier Nationen anders entschieden haben als das Königreich insgesamt. Man darf hier nicht vergessen, dass zu der Zeit, als die großen Demos für ein zweites Referendum stattfanden, die beiden Parteichefs der Conservative Party und Labour mehr oder weniger offen für den Brexit waren, demnach die 16 Millionen, die für „Remain“ gestimmt haben, parlamentarisch nur durch die dezimierten Liberal Democrats und die regionalen Parteien vertreten waren (bei den Parlamentswahlen 2019 gab es keine große Anti-Brexit-Partei). Und hier ging es nicht um eine Umgehungsstraße, sondern für viele Menschen um ihre berufliche und lebensweltliche Zukunft. Man muss das auch im Kontext der „Windrush“-Skandals sehen. Eine antidemokratische Forderung sehe ich das jedenfalls nicht, eher im Gegenteil.

          In dem Guardian-Artikel wird ja auch erwähnt, wo die wahren Wurzeln des Niedergangs der klassischen Sozialdemokratie liegen: nämlich dass New Labour die Grundpfeiler des Thatcherismus nicht antastete. Ich weiß jetzt nicht, inwiefern das in Wagenknechts Buch eine Rolle spielt, aber man muss doch schon sagen, dass der Niedergang der SPD viel mehr mit der Erosion des Sozialstaats (Stichwort Hartz IV) zu tun hat als mit einem harmlosen kleinen Gender-Sternchen.

        • Stefan Sasse 19. April 2021, 14:36

          Ich kann dir eins garantieren: der Erfolg der Linken liegt sicher nicht in der Spaltung, sondern der Integration des linken Lagers. Erst wenn das jemand hinkriegt, wird dieser moribunde Laden was zustande bringen.

  • Lemmy Caution 19. April 2021, 06:18

    zu 5) find ich hochinteressant. Dabei sehe ich das weniger als „policy revolution“ sondern als ein beginnender Paradigmen-Wechsel in der Politik in Reaktion auf Strömungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung.
    Es wird zunehmend als bug und nicht als feature der Globalisierung wahrgenommen, dass bestimmte Konzernen weit außerhalb des Rechts demokratisch legitimierter Staaten agieren und zusätzlich die Prozesse der Gesetzgebung und Umsetzung manipulieren. Andere historische Epochen geraten in den Fokus, wie etwa das Gilded Age in den USA.
    Ich mag in diesem Kontext den Begriff Revolution nicht. Revolution meint eine völlige Umkehrung der allgemein akzeptierten Regeln. Das ist eher der Beginn eines Reformprozesses wie übrigens die Neoliberalisierung im letzten Viertel des 20. Jhdts auch.

    • Stefan Sasse 19. April 2021, 09:05

      Die Nationalstaaten könnten das beenden, wenn sie wöllten. Nur gewollt ist es eben nicht.

      • Dennis 19. April 2021, 10:52

        Ja, ist so. Gut so, wenn es nicht als stramm rechts und verwerflich gilt, das N-Wort überhaupt in den Mund zu nehmen; erinnert stark an die Thesen einer Autorin, die momentan als Aufreger gehandelt werden (will ja gar keinen Namen nennen).

      • Lemmy Caution 19. April 2021, 17:09

        Wenn die USA das initiiert seh ich gute Chancen.
        Irland und Luxemburg werden kräftig in die andere Richtung rudern.
        Zu viel Geld erwarte ich davon nicht. Die Implementierung wird eine Zeit dauern. Auch der Sherman Act von 1890 war erstmal zahnlos.

        • Stefan Sasse 19. April 2021, 17:37

          Mir ginge es auch erstmal weniger ums Geld als um regulatorische Effekte.

          • Lemmy Caution 19. April 2021, 18:49

            Es ist schon irgendwie auch verwirrend insbesondere mit den digitalen Diensten, aber ich bin absolut auch für Regulierung.
            Hier Thread eines deutschen Entwicklers in Norwegen, der ein paar openSource Projekte auf github hat und nun die einlaufenden Spenden korrekt mehrwertsversteuern will. Es geht sicher nicht um viel Geld. Github gehört seit 2018 Microsoft. Denen sind solche Fragen völlig egal.
            https://twitter.com/rafaelcodes/status/1381700072346423297

  • Skythe 19. April 2021, 13:01

    Ich würde Linke oder Grüne wählen, wenn sie nicht diesen wissenschaftsfeindlichen Identitätsquatsch veranstalten würden.

    Soviel zu deinem Argument, Wagenknecht würde um „AfD-Wählende“ (Facepalm) werben.

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