Angesichts des bevorstehenden Endes der langen Kanzlerschaft Angela Merkels sind Diskussionen über die Bedeutung ihrer Kanzlerschaft und ihren Platz in der Geschichte in vollem Schwung. Um aber einschätzen zu können, wo Merkels Platz in der Geschichte ist, ist ein Blick auf die anderen Kanzler der BRD unausweichlich. Der Versuch, eine Ranking-Liste zu erstellen, ist naturgemäß mit Schwierigkeiten behaftet, weil jede Wertung in einem gewissen Maße arbiträr ist – des einen LieblingskanzlerIn ist des anderen Gottseibeiuns. Ich habe mich daher dazu entschieden, für diese Übung die Frage zu stellen, wie konsequenzenreich, wie bedeutsam der jeweilige Kanzler oder die Kanzlerin für Deutschland waren.
Der Vorteil dieser Heuristik ist, dass die Frage, ob mir die jeweiligen Weichenstellungen persönlich gefallen, keine Rolle spielt. Der Nachteil ist, dass diese Art des Rankings KanzlerInnen bevorzugt, die entsprechende Spielräume hatten – und für diese können die jeweiligen Personen oft recht wenig. Gleichzeitig schreiben wir womöglich KanzlerInnen mehr Einfluss zu, als sie tatsächlich hatten. Schließlich ist einE KanzlerIn nicht automatisch für alles verantwortlich, was in der jeweiligen Amtszeit passiert. Dieser Widerspruch wird sich nicht komplett auflösen lassen.
Spätestens seit der Corona-Krise ist uns auch allen klar, dass in der Prävention kein Ruhm zu finden ist. Ich will aus diesem Geist heraus bei jeder Untersuchung auch auf die Wege gehen, die das Land nicht genommen hat, sofern klare Alternativen ersichtlich waren, die das jeweilige Regierungsoberhaupt nicht ergriffen hat. Kontrafaktische Geschichte ist immer schwierig, weswegen ich versuchen will, diese Betrachtung auf die damals ersichtlichen Alternativen zu begrenzen und zu zeigen, warum diese jeweils nicht zustande kamen. Und nun genug der Vorrede, führen wir unsere Betrachtung fort. In unserer Serie zum großen Kanzlerranking haben wir in Teil 1 Konrad Adenauer untersucht. In Teil 2 war es Willy Brandt. In Teil 3 schauten wir zu Helmut Kohl. In Teil 4 war Schröder an der Reihe. In Teil 5 ging es mit Angela Merkel weiter. In Teil 6 schauten wir auf Helmut Schmidt. In Teil 7 war Kurt Georg Kiesinger an der Reihe. Den Abschluss machen wir heute mit Ludwig Erhard.
Platz 8: Ludwig Erhard (1963-1966)
So kontrovers die Bewertungen von Kanzlerschaften auch sind, würde irgendjemand in einer Geschichte der BRD die von Ludwig Erhard vergessen, den meisten Lesern dürfte es nicht einmal auffallen. Das liegt unter anderem an Konrad Adenauer. Erhard hatte in den 1940er eine deutlich andere Vision von der „sozialen Marktwirtschaft“ als sein großer Rivale. Adenauer setzte sich mit seinen Ideen durch, war aber clever genug, Erhards Selbstvermarktung wenig entgegenzusetzen, so dass er zwar der Säulenheilige der Sozialen Marktwirtschaft wurde, den heute sogar Sahra Wagenknecht zitiert ohne rot zu werden, aber mit seinen Vorstellungen nicht durchkam.
Als er dann endlich den Posten bekam, den er seit den 1940er Jahren anstrebte – als die CDU ihren alternden Patriarchen 1963 endgültig zum Abschied zwang – musste er mit dem Ruch des Cäsarenmords kämpfen und regierte gerade, als die Wirtschaftswunderzeit zu Ende ging. Auf die einsetzende Wirtschaftskrise hatte er nur wenig Antworten und warf bald entnervt das Handtuch.
Innenpolitik
In der Innenpolitik gibt es eigentlich keine relevanten Weichenstellungen Erhards, weder im Guten noch im Schlechten. Die Wirtschaftskrise vermochte er nicht zu lösen, wohl aber seine in anderer wirtschaftswissenschaftlicher Wolle gewaschenen Nachfolger, weswegen auch hier wenig Bleibendes besteht. Letztlich ist das Wichtigste, das man über seine Ägide hier sagen muss wohl, dass er nichts kaputt gemacht hat.
Außenpolitik
In der Außenpolitik gibt es drei Themen, in denen Erhard kleine Akzente setzte.
Die erste Öffnung gegenüber der DDR erfolgte mit dem Passierscheinabkommen, das wenigstens in kleinem Rahmen Verwandtschaftsbesuche von West nach Ost ermöglichte und auf dessen Strukturen die späteren Ostpolitik-Abkommen mit der DDR aufbauen würden.
Erhard war zudem ein überzeugter Atlantiker. Er brach die Verhandlungen, die Adenauer mit de Gaulle zu einer strategischen Partnerschaft begonnen hatte, brüsk ab und bekannte bei jeder Gelegenheit die Treue zum transatlantischen Bündnispartner, etwa bei Devisenabkommen zu den Kosten der Stationierung von US-Truppen. Mit Johnson verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis, das dieser allerdings nicht wirklich erwiderte. Nach Erhard gab es keinen CDU-Politiker mehr, der ein besonderes Verhältnis zu Frankreich hatte, das vor dem zu Washington gestanden hätte – erste Priorität galt ab da immer dem amerikanischen Bündnispartner.
Zuletzt öffnete Erhard, seinem Führungsstil folgend (dazu gleich mehr) ohne jeden Parlaments- oder Kabinettsbeschluss diplomatische Beziehungen zu Israel, ein damals sehr kontroverser Schritt, der heute eher als Ausdruck moralischen Urteilsvermögens gelten dürfte.
Nicht gegangene Wege
Von Beginn an versuchte Erhard, eine andere Konzeption des Kanzleramts durchzusetzen, als sie von Adenauer geprägt worden war. Darin überschätzte er sowohl seine eigenen Fähigkeiten als auch die Beharrungskräfte der Adenauer’schen Festlegungen. Seine Idee war die eines „Volkskanzlers“, der quasi plebiszitär an den traditionellen Strukturen vorbeiregiert. Einem Wirtschaftsexperten wie Erhard lag diese Idee nahe; sich nicht in die Niederungen der Politik begeben zu müssen, hat noch jedem Menschen mit seinem Hintergrund gefallen. Und sie hat noch nie funktioniert. Wäre Erhards Plan, auf Basis seiner eigenen großen Popularität statt auf der Stärke von Fraktion, Koalition und Partei, zu regieren aufgegangen, sähe die Kanzlerschaft heute anders aus. Sie war jedoch von Beginn an realitätsfern und trägt den Keim des Scheiterns bereits in sich.
Dazu passt, dass Erhard mit der „Formierten Gesellschaft“ ein ambitioniertes Projekt zum kompletten Umbau der deutschen Gesellschaft nach seinen Vorstellungen hatte, das er auch aggressiv in die öffentliche Debatte einzubringen versuchte. Das Konzept sah im Endeffekt eine Überwindung aller Klassen- und Standesschranken vor und träumte von einem einigen Volk, das er dann kraft seines Charismas regieren konnte – eine nicht eben sonderlich demokratische Idee. Bereits in seiner Amtszeit schlug Erhard für diese Ideen harsche Kritik entgegen; die HistorikerInnen sind ihnen gegenüber seither nicht eben aufgetaut.
Ein weiteres kontrafaktisches Szenario betrifft die Änderung des Wirtschaftssystems anhand der Ideen, mit denen Erhard gegenüber Adenauer nie durchdringen konnte. Dazu fehlte ihm jedoch innerhalb der Partei die Machtbasis, insgesamt das politische Geschick, der Wille und auch die Zeit. Grundsätzlich wäre aber vorstellbar, dass unter Erhard eine leichte Amerikanisierung des deutschen Wirtschaftssystems erfolgt, ohne dass einige spezifische deutsche Eigenheiten aufgegeben würden.
Erhard verpasste in den Wahlen 1965 die absolute Mehrheit nur relativ knapp. Dieses Rekordergebnis für die CDU konnte er aber nie in persönliche Macht ummünzen; eine auffällige Parallele zu Willy Brandt und der Wahl 1972. Hätte er entweder die absolute Mehrheit errungen oder aber die FDP die Koalition 1966 nicht platzen lassen, die Große Koalition wäre vielleicht nie passiert. Vielleicht hätte sich die CDU-Herrschaft sogar bis in die 1970er Jahre fortgesetzt.
Ein letztes Szenario betrifft das Frankreich de Gaulles. Erhard trat dem französischen Präsidenten immer sehr kühl gegenüber, aber grundsätzlich hätte er den Angeboten aus Paris, eine verstärkte Sicherheitspartnerschaft unter dem Schirm der force de frappe einzugehen, auch annehmen und damit die USA mittelfristig aus Europa wenn nicht hinausdrängen, so doch zumindest schwächen können – was die erklärte Absicht de Gaulles war. Eine Achse Paris-Berlin mit Schwerkraftzentrum in Paris, die eine unabhängige Außenpolitik verfolgt scheint eher als Fantasterei, weswegen Erhard diesen Pfad auch nicht beschritt. Aber offen stand er grundsätzlich.
„Auf die einsetzende Wirtschaftskrise hatte er nur wenig Antworten und warf bald entnervt das Handtuch.“
Nicht nur auf die Wirtschaftskrise, auch auf andere Fragen, z. B. die Rolle der Interessengruppen (Bauern/Getreidepreis, Kriegsopfer/Renten, Industrie/Subventionen).
Weil ich im Artikel die damals viel verhöhnten „Maßhalteappelle“ vermisste, stieß ich auf diesen SPIEGEL-Artikel:
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46414704.html
Ob diese Darstellung einer seriösen historischen Analyse standhält, weiß ich nicht. Wenn aber wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was hier über Machtkämpfe und Intrigen in der Union steht, dann war es nicht in erster Linie die Wirtschaftspolitik.
Immerhin fand die Kanzlerschaft Eingang in die Pop-Literatur der 1980er Jahre:
https://i.imgur.com/B0KZHz7.png
Uff, geschafft. Jetzt sind die acht also komplett. Eigentlich sind acht in 71 Jahren ja ziemlich wenig. Schade, dass Bonn zuzüglich Neu-Berlin nicht Weimar ist, was ja zuweilen diskutiert wurde. Dann hätten wir – die Weimarer Frequenz zugrunde gelegt und umgerechnet – schon ca. 60 (!) Bundeskanzler und du würdest ganz schön ins Schwitzen kommen.
War aber auch so sehr erhellend. Danke für die Reihe.
Obwohl konventionell das Beste immer zuletzt kommt, hier also der Glücklose zuletzt.
Zitat Stefan Sasse:
„Erhard hatte in den 1940er eine deutlich andere Vision von der „sozialen Marktwirtschaft“ als sein großer Rivale.“
Ich würd mal so sagen: Der Adenauer war Außenpolitiker durch und durch, der Erhard Innenpolitiker durch und durch und beide waren dementsprechend jeweils der Auffassung, dass die jeweils präferierte Domäne die elementar wichtigere sei, bei der jeweils weniger wichtigen könne man auch mal fünfe grade sein lassen, bei der wichtigen indes muss am Kurs kompromisslos durchgehalten werden.
Daraus ergab sich der Grundgegensatz. Allerdings hat sich Adenauer von Erhards Ideen ab ca. 1948 grundsätzlich schon überzeugen lassen, der „christliche Sozialismus“ wurde mit Zustimmung Adenauers weitgehend fallen gelassen, indes nicht vollständig, und der Erhard hätte das schon gerne vollständig beseitigt gesehen.
Zitat:
so dass er zwar der Säulenheilige der Sozialen Marktwirtschaft wurde….., aber mit seinen Vorstellungen nicht durchkam.“
Im Wesentlichen kam er schon damit durch, glaub ich, namentlich war er ja im Frankfurter Wirtschaftsrat mal kurzzeitig der König von Deutschland (okay, von der damaligen Bizone eigentlich) indem er die von ihm inspirierten WirtschaftsGESETZE durchbrachte, d.h. die Alliierten, die witzigerweise unter den damaligen Umständen von Marktwirtschaft wenig überzeugt waren, für seine Ideen gewinnen konnte. Der Wirtschaftsrat war ja tatsächlich ein gesetzgebendes Organ, natürlich unter Vorbehalt alliierter Zustimmung. Das war schon eine nicht unbedeutende Weichenstellung, auch gegen den in der CDU zu dieser Zeit noch dominanten „christlichen Sozialismus“. Später bekam er allerdings schon die eine oder andere fette Kröte zum Schlucken, denn Adenauer war klar: Ohne deutliche Sozialpolitik sind Wahlen nicht zu gewinnen.
Zitat:
„Als er dann endlich den Posten bekam, den er seit den 1940er Jahren anstrebte“
Dass er auf den Kanzlerjob wirklich heiß war, glaub ich eigentlich weniger. Eitel war er natürlich, wie alle Menschen, und er hat gerne zugesagt, als ihn die CDUler diesbezüglich auf die Bühne gestellt haben. die Unionsgranden waren in einer mißlichen Lage; die Wahl 1961 ging deutlich daneben, obwohl es nochmal „gereicht“ hat. Brandt schien der neue Star zu sein – im „modernen“ Kennedy-Fieber, das verbreitet war, genau der Passende.
Für 1965 schwante den CDUlern also Schreckliches, das führte zur Stimmung a) Der Alte (Adenauer) muss weg und b) Für’s Schaufenster braucht man für 1965 eine Wahllokomotive. Das führte quasi natürlicherweise zu den eigentlich ungeeigneten Erhard.
Zitat:
„In der Innenpolitik gibt es eigentlich keine relevanten Weichenstellungen“
Richtig. Man hat so vor sich hin gewurschtelt.
Zitat:
„das Wichtigste, das man über seine Ägide hier sagen muss wohl, dass er nichts kaputt gemacht hat.“
Ja, gilt aber leider ganz und gar nicht für die Außenpolitik.
Zitat:
Die erste Öffnung gegenüber der DDR erfolgte mit dem Passierscheinabkommen, “
Damit at er nu gar nix zu tun. Das war eine rein Berliner Geschichte mit Relevanz nur für Westberlin auf Initiative von Bahr und Brandt. „Bonn“ war nicht verwickelt, das hätte Ostberlin auch nicht akzeptiert. Ostpolitisch war gar nix außer Getollpatsche.
Zitat:
„Erhard war zudem ein überzeugter Atlantiker.“
Stimmt. Er wollte amerikanischer sein als die Amis.
Zitat:
„Mit Johnson verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis,“
Okay, aber solche Freundschaften im politischen Geschäft sind meist dünnes Eis. Der berüchtigte Amerikabesuch Erhards beim Johnson 1966 war eine große Pleite und hat den schon angeschlagenen Erhard den Rest gegeben. Johnson, der wegen Vietnam klamm war, wollte nur eins: Geld. Und das wurde nach texanischer Sitte ziemlich rüde gefordert. Erhard betrachtete das Verhältnis eher „philosophisch“ (gemeinsame Grundüberzeugungen im Hinblick auf Marktwirtschaft und so) was völlig nutzlos war und bei Johnson natürlich keine Rolle spiele.
Zitat:
„Zuletzt öffnete Erhard, seinem Führungsstil folgend (dazu gleich mehr) ohne jeden Parlaments- oder Kabinettsbeschluss diplomatische Beziehungen zu Israel, “
So ungefähr das einzige, was man Erhard auf der Plusseite anrechnen kann. Gegen den Rat des Außenministers hat er hier das einzige Mal von der Richtlinienkompetenz offen Gebrauch gemacht.
Pikant und heute nicht mehr vorstellbar is ja auch, dass Erhard formal der bisher einzige parteilose Bundeskanzler war. Natürlich war er stets auf dem Ticket der CDU unterwegs, aber jedenfalls bis 1966 kein Mitglied. Dann musste der steinalte Adenauer auch den Parteivorsitz aus der Hand geben, „natürlicherweise“ sollte Erhard ans Ruder, also musste der designierte Vorsitzende noch schnell offiziell in die CDU eintreten (rückwirkend). Bürokratischen Kleinkram dieser oder anderer Art pflegte er auch zu verachten.
Im Grunde mochte er den Klein-klein-Politikbetrieb nicht. Deswegen auch das Ding mit der „formierten Gesellschaft“, das nach der „sozialen Marktwirtschaft“ ein weiteres großes Ding werden sollte (Narrativ, würde man heute sagen), am üblichen Politikbetrieb vorbei. Daraus wurde natürlich auch nix. Niemand wußte genau, was das so sein sollte und die berüchtigten politischen „Gremien“, die Erhard im Grunde hasste, haben sich damit natürlich gar nicht ernsthaft beschäftigt.
Zitat:
„das er auch aggressiv in die öffentliche Debatte einzubringen versuchte.“
„aggressiv“ würd ich eher nicht sagen. So war er nicht.
Zitat:
„und träumte von einem einigen Volk, das er dann kraft seines Charismas regieren konnte“
Vielleicht hätte er am liebsten gar nicht im klassischen Sinn regiert^. Aber gut, das Ding war so verschwurbelt, dass es zu allen möglichen Interpretationen einlud, namentlich auch zu böswilligen, die in politicis immer die beliebtesten sind. Die formierte Gesellschaft wurde im Politikbetrieb natürlich verrissen. Das korrespondiert mit seiner Auffassung betreffend politische Macht:
Zitat Erhard:
„Die Macht ist in meinen Augen immer öde, sie ist gefährlich. sie ist brutal, und sie ist im letzten Sinne sogar dumm.“
Wenn er recht hat hat er recht. Dass so jemand im Politiktreibhaus überhaupt was werden konnte, ist verwunderlich und wohl den Besonderheiten der Nachkriegszeit geschuldet. Aus heutiger Sicht alles sehr merkwürdig und skurril. Er war indes durch und durch honorig. Irgendwelche Sauereien oder „Unregelmäßigkeiten“, was ja in diesem Geschäft dann und wann vorkommen soll, gab es nicht.
Zitat:
„Eine Achse Paris-Berlin mit Schwerkraftzentrum in Paris, die eine unabhängige Außenpolitik verfolgt scheint eher als Fantasterei, “
In längerer Perspektive durchaus nicht; leider ist die Perspektive von damals mittlerweile auch schon fast 60 Jahre angeschimmelt ohne dass da groß was gemacht worden wäre. Natürlich war auch De Gaulle klar, dass die mißliche Lage, dass Europa sich nicht selbst verteidigen kann, für geraume Zeit (aus damaliger Sicht) so bleiben wird. Dis dato wurde von deutscher Seite aber keine Sekunde daran gedacht, das evtl. mal zu ändern. Den Schlamassel, zu dem das führt, sieht man heute im Trumpismus.
Erhards Vorstellungen: Erhard wetterte immer hart gegen den Sozialstaat und warnte vor dem „sozialen Untertan“, der muss 1957 bei der dynamischen Rente Schnappatmung bekommen haben. Von daher halte ich meine Einschätzung da schon für gerechtfertigt.
Erhard ist ein prototypisches Beispiel dafür, warum Leute, die den Politkbetrieb verachten, immer scheitern werden. Um die Kurzversion zu bringen.
Verteidigung: Die Bundeswehr der 1980er Jahre war schon ziemlich hochgerüstet. Das war glaube ich das All-Time-High.
Ich finde, Erhard ist irgendwie ein gutes Beispiel dafür, wie sehr im Laufe der Jahre aus einem echten Menschen so eine verklärte Figur wird, dass selbst Sahra Wagenknecht darauf aufbaut.
Ich mein, war ja vor meiner Zeit und ich weiß auch immer nicht viel von ihm, aber deswegen fand ich ihn immer langweilig. Da war gar nicht soviel. Ging mir mit Adenauer, Willy Brandt, Sophie Scholl und beiden Generälen des amerikanischen Bürgerkriegs anders.
Wenn ich da nachgeguckt hab, hatte ich immer das Gefühl, die haben diese Erinnerung nach ihrem Tod wirklich verdient. Nicht dass da nix verklärt wird (oft eine ganze Menge), aber man versteht zumindest warum, selbst wenn man da nicht mitmacht.
Und bei Erhard, teils auch bei Helmut Schmidt sitz ich dann immer da und denke, naja so doll war nun auch nicht alles 😉
Hah! Schau mal auf die Realität der Lincoln-Präsidentschaft; „nicht so toll das alles“ ist noch milde ausgedrückt. Aus der Rückschau sieht das alles immer wesentlich besser aus, deswegen bin ich ja so skeptisch, wenn da irgendwelche nostalgie-umwehten Darstellungen kommen.
Na klar und wenn ich in der Zeit gelebt hätte, wäre er mir viel zu realpolitisch gewesen und ich hätte früheren Sklaven lieber lesen und schreiben beigebracht!
Aber so als Typ find ich Lincoln echt beeindruckend, auch Grant übrigens. Total schiefer Vergleich, aber Grant hat mich ein bisschen an Oskar Schindler erinnert. Eigentlich ein „Versager“, der da ein bisschen versehentlich in eine wichtige Position kommt und dann das Richtige tut.
Das erwärmt mir auch das Herz, wenn ich mehr drüber erfahre. Und wenn ich etwas verkläre und sowas wie ein Fangirl werde, will ich auch wissen, warum und ob es sich lohnt 🙂
Ja. 🙂
„Obwohl konventionell das Beste immer zuletzt kommt, hier also der Glücklose zuletzt.“
Das wäre auch meine einzige Kritik an dieser sehr gelungenen Serie. Man beginnt ein Ranking nicht bei der 1. GoT fängt doch auch nicht mit dem Tod des Night Kings an 🙂
Das hier ist ja auch keine Frage der Spannung! 😀
Vielen Dank für die tolle Serie.
Folgen jetzt die Bundespräsidenten oder „Was wäre, wenn …?“
🙂
Ne, die finde ich ehrlich gesagt zu uninteressant. Ich trage mich schon seit Langem mit dem Gedanken so was für US-Präsidenten zu machen.
Oh ja, würd ich total spannend finden, du hast doch so eine Kurz-Serie auf dem Geschiblog oder, die fand ich auch klasse?
Müsste man nur überlegen, alle wären ja sehr viele und da sind ja einige eher langweilige Typen dabei, wer war noch der Greis, der im Regen die Antrittsrede hielt und drei Tage später gestorben war?^^
Bis zu Wilson müsste man vielleicht ein Best of machen, ohne Lincoln und Washington gehts ja auch wieder nicht 🙂
Vielen Dank für die schöne Serie 🙂
Und natürlich hoffe ich auf viele weitere Rankings!
Da ich ja irgendwie so hinterherhinke, mach ich jetzt auch mal mein Kanzlerranking, ich sortiere Merkel mal mit ein, weise aber daraufhin, dass das nur vorläufig sein kann. Denke, da müssen wir noch 10-20 Jahre warten, um zu sehen, ob sie Deutschland sicher durch den Orkan gesegelt hat oder durch Nichthandeln soviele Probleme aufgetürmt hat (in der Welt, Deutschland und ihrer Partei), dass die nächste Regierung vor einem Trümmerhaufen steht.
1. Adenauer
Logisch als erster und er hat natürlich die Verfassungswirklichkeit und das Leben in Deutschland (speziell Anerkennung der Schuld, Gefangenenrückkehr, Vertriebenenproblem) extrem geprägt. Durchaus zum Guten denke ich, obwohl mir ein weltoffener Protestant lieber gewesen wäre.
2. Willy Brandt
Hat finde ich an Adenauer angeknüpft und den Staub von der Republik gewirbelt und nicht nur meine, sondern ganz viele Biographien verändert und dazu beigetragen, dass der Wohlstand und die Lebensqualität der Bevölkerung wachsen konnte.
3. Helmut Kohl
Eigentlich nur für seine Außenpolitik, hab immer geschätzt, dass er so ein überzeugter Europäer war und er hat das kurze Zeitfenster für die Wiedervereinigung wirklich gut genutzt, auch irgendwie auf die bestmögliche Weise glaub ich.
Innenpolitisch eher nicht so glücklich, glaub hätte man das geschickter gemacht, hätten wir heute weniger Probleme.
4) Helmut Schmidt
Weniger aus eigenem Verdienst, sondern mehr weil seine Kanzlerschaft in so eine unruhige Krisenzeit fiel, die ja bis heute nachhallt und er glaube ich schon prägend war für den Umgang mit Katastrophen und Terrorismus.
Ihr Südler wisst das vermutlich gar nicht, aber es gab 1978/79 eine gigantische Schneekatastrophe in Norddeutschland. Ist heute noch manchmal Thema, meine Mutter und ihre Geschwister auch glaub ich waren in Dänemark eingeschneit und generell ging gar nichts mehr.
Normal schneits ja selten im Norden, aber wenn ist sofort Katastrophe, weil sofort Schneewehen entstehen.
Generell hat Schmidt das alles gut gemanagt, aber ich mag seinen Stil einfach nicht. Sorry, aber typisches Hamburger-Bürgertum. Viele verehren das, aber die Vorurteile haben durchaus einen wahren Kern und diese gewisse Arroganz und Versnobtheit mochte ich an Schmidt nie (kenne ihn natürlich nur als Altkanzler). Ja, er weiß eine Menge, aber er hält sich auch für den klügsten und das mag ich nicht und halte ich auch absolut schlecht für einen Politiker. Sein „Ziehsohn“ Steinbrück hat versucht das zu kopieren und war noch schlechter darin.
Kommt auch nicht von ungefähr, dass bei den „kleinen Leuten“ seine Frau Loki hier oben viel viel mehr verehrt wird, ihr Tod hat einen viel größeren Impact und mehr Trauer ausgelöst, eher so Heidi Kabel-mäßig. Das sind so die Ikonen der Norddeutschen, da ist Schmidt auch nie richtig rangekommen. Dem fehlte einfach die Bodenständigkeit und auch nicht gebildete Menschen sind nicht dumm, die haben ein Gespür dafür.
5.) Gerhard Schröder
Hat für seine kurze Regierungszeit extrem viel in die Wege geleitet und umgebaut und aufgebaut und damit aus eigener Kraft die Republik verändert. (Dafür sind die Links-Progressiven halt da).
Die Umsetzung und Rhetorik ließen allerdings zu wünschen übrig. Gerade in Bezug auf Hartz IV, vielleicht auch die militärischen Konflikte. Da war so ein Überschwang und Kraftmeierei mit bei, dass die grundsätzlich guten Überlegungen total konterkariert wurden und man einfach nur ein riesiges Drohpotenzial aufbaute oder einfach mal bei Afghanistan mitmacht, ohne sich Gedanken zu machen, was das alles heißt. Ehrlich gesagt hätten Schröder und Merkel da eigentlich ein gutes Paar abgegeben. So ein Gegengewicht zu den impulsiven Herren Fischer und Schröder hätte gutgetan, stattdessen hat er die schlimmsten Leute überhaupt angeschleppt mit Clement und Müntefering & Co. Das hat der SPD den Rest gegeben.
6) Angela Merkel
Wie gesagt, bisschen außer Konkurrenz und ich hab ja auch schon mitgedeutelt. Erstmal vorsichtig positive Bilanz (Deutschland geht es trotz aller Krisen gut wie nie), aber sie ist mehr eine Politikverhinderin und hat auch alle ernsthaften eigenständigen Änderungsbewegungen nur gemacht, wenn es unumgänglich war und den Rest liegen lassen. Da muss man halt sehen, ob das gut oder desaströs war.
7) Kiesinger
8) Erhard
Die letzten sind naja, mehr so Zählkandidaten. ^^
Ich kann Schmidt nicht guten Gewissens vor Schröder einordnen, dazu war dessen Kanzlerschaft zu tiefgreifend.
Ja Schmidt ist halt wirklich ein bisschen wie Merkel.
Krisen gut gemeistert, aber sonst ist nicht viel passiert.^^
Halt stabil das Land vor sich hin regiert. Ist ja auch nicht zwingend was Schlechtes. Besser als die folgenden Stümpereien von Kohl (bis halt zur Wiedervereinigung…).
Als Ergänzung nochmal extra.
Ich muss da selbst noch ein bisschen drauf rumdenken, aber was mir beim Ranking und in den sehr spannenden Debatten dazu immer wieder aufgefallen ist, dass viele Dinge weniger mit den tatsächlichen Ereignissen zu tun haben, sondern meistens extrem von der Überhöhung und den Narrativen geprägt wurden. Wie bei HartzIV oder auch der RAF. Sehe ich auch so, dass die RAF immer noch total überhöht wird und HartzIV ja irgendwie auch. Da bricht so ein gewaltiger Kulturkampf mit hoch. 68er und die Wiedervereinigung sind ja auch so Themen, das sind alles immer noch Kampfbegriffe und alte Schlachten, die einfach nochmal ausgetragen werden. Siehe auch die SPD, die plötzlich vom Doppelbeschluss wieder anfängt.
Wenn die Debatten oder die Rhetorik anders gewesen wären, dann wäre vieles anders gelaufen und hätte eine andere Wendung genommen. Siehe auch die Rede von Weizsäcker zum Kriegsende, bzw Tag der Befreiung.
Ist ja auch ein bisschen mein Mantra, dass Versöhnung besser und wichtiger ist, aber extrem aufwendig und anstrengend. Streit ist dagegen total einfach, macht aber was kaputt.
Und Menschen neigen da eher zum Streiten, weil einfacher und die äh Alphamännchen wählen erst recht lieber Angriff, statt erst nachzudenken und dann zu handeln und verrennen sich dann gerne in Merkwürdigkeiten (hier Monolog zu Emotionen und Gefühlen, die Männer nicht im Griff haben, dazudenken). Also das ist für mich so ein bisschen die wichtigste Erkenntnis im ganzen Ranking, wie wichtig und prägend solche Narrative sind und wie lange die noch nachhallen.
Andere Frage: Hattest du mal irgendwo etwas direkt über die RAF geschrieben oder einen Tipp vorgestellt? Fand die nie so richtig spannend, hab aber das Gefühl, es gibt da ein paar Parallelen zum heutigen Bürgertum, das auch so gerne Freiheitsheld spielen will und meint, der Staat hätte es auf sie abgesehen. Hattest du da mal was, oder zu der Zeit?
Mir geht es genauso, nie so richtig spannend. Wenn, dann habe ich irgendeinen Bullshit in meiner linksradikalen Frühzeit geschrieben, aber das müsste man dann auch nicht unbedingt ausgraben 😀
Ja, lass mal lieber. Ich meine, ich hab mal ein Buch von Stefan Aust dazu gelesen, oder angefangen, weiß gar nicht, wo das ist. Und einen Film gesehen, den ich besser fand. Konnte aber auch nicht viel damit anfangen, ist für mich irgendwie Bonny & Clyde als Revolutionäre. Die sich für Philosophen hielten. Nicht so mein Ding.
Ich hab mal ein Interview von Jean Ziegler gelesen, der ist ja auch lange in dem Milieu gewesen, hats aber konstruktiver gemacht, bzw ist ja immer noch Uno-Aktivist. Und da wurde er mal zu Pol Pot befragt, weil er wohl mit ihm studiert hat und lobte auch, dass er ein guter Theoretiker war, bevor dann alles aus dem Ruder lief. Also die Grenze zur Radikalität ist da glaube ich sehr unsichtbar. Und du hast auch Recht, ich glaube die RAF (und auch die anderen Linksdiktaturen) haben das Thema lange verbrannt. Gibt ja auch sofort Ärger, wenn die LINKE wieder Liebesbriefe an Venezuela oder so schickt.
Ich fand den Film nicht gut, aber das überrascht dich vermutlich nicht.
Zurecht.