Der 20. Juli jährt sich zum 80. Mal. Die Beurteilung Stauffenbergs und der anderen Verschwörer ist seit 1945 zahlreichen Revisionen unterworfen worden. In diesem Jahr entfachte sich die Debatte vor allem an einem Meinungsbeitrag des Welt-Autoren Jacques Schuster, der unter der Überschrift „Gut, dass das Attentat misslang“ diese These vertrat und einen Sturm der Entrüstung erntete. Mit Manuel Schwalm diskutiere ich sowohl die Rolle Stauffenbergs in der Erinnerungskultur als auch die kontrafaktische Frage, welche Bedeutung ein gelungenes Attentat gehabt hätte.
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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))
Shownotes
Gut, dass das Attentat auf Hitler misslang
Am 20. Juli jährt sich das Attentat auf Adolf Hitler zum 80. Mal. Gedenkreden zu diesem Ereignis sind seit Jahrzehnten ähnlich, bleiben jedoch bedeutsam. Der Religionswissenschaftler Jan Assmann beschreibt, dass kollektive Erinnerungen, wie die an den 20. Juli, die Identität einer Gesellschaft prägen. Diese Erzählungen, die er als Mythen bezeichnet, formen das „Wir“ der Gemeinschaft. In Deutschland ist die Erinnerung an das Attentat tief in der Gesellschaft verwurzelt und Teil der nationalen Identität. Die jährlichen Gedenkfeiern erinnern daran, dass es keine Kollektivschuld gibt, aber eine gemeinsame Verantwortung, Unrechtsregime zu verhindern. Die Wiederholung der Geschichten über den Widerstand gegen das „Dritte Reich“ festigt die nationale Identität. Ein oft übersehener Aspekt ist, dass das Scheitern des Umsturzes eine wichtige Rolle spielte. Wäre der Umsturz erfolgreich gewesen, hätte dies möglicherweise eine neue Dolchstoßlegende entstehen lassen, die die Entwicklung der Bundesrepublik erheblich beeinträchtigt hätte. (Jacques Schuster, Welt)
Die deutsche Niederlage musste vernichtend sein
Zum 80. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler äußerte sich der Autor kritisch über die Auswirkungen eines erfolgreichen Umsturzes. Sein Kommentar „Gut, dass das Attentat auf Hitler misslang“ verstörte viele Leser, insbesondere Nachfahren der Widerstandskämpfer. Der Autor entschuldigte sich für die Verletzungen und erklärte seine These näher. Er argumentierte, dass ein geglücktes Attentat eine neue Dolchstoßlegende geschaffen hätte, die die Bundesrepublik destabilisiert hätte. 1944 standen die Alliierten vor den deutschen Grenzen, und Deutschland war zu bedingungsloser Kapitulation gezwungen. Hätten die Attentäter Erfolg gehabt, hätten sie die Kapitulationsurkunde unterzeichnen und eine Besetzung durch die Alliierten akzeptieren müssen. Dies hätte den Mythos genährt, dass Deutschland im Feld unbesiegt war, was den Aufbau der Nachkriegsordnung erschwert hätte. Historiker wie Sebastian Haffner betonen, dass eine vollständige Niederlage notwendig war, um zukünftige Kriegsgelüste zu verhindern. Der totale Zusammenbruch ermöglichte den Aufbau eines stabilen Staates, der sich im Westen integrierte. Ein erfolgreicher Umsturz am 20. Juli 1944 hätte diese Entwicklung gefährdet. (Jacques Schuster, Welt)
Der Erfolg des 20. Juli – ein Horrorszenario
Der Autor stellt sich ein Szenario vor, in dem das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 erfolgreich gewesen wäre. In diesem Fall wäre Hitler nicht durch Selbstmord in einem Bunker, sondern durch eine Bombe im Feldhauptquartier gestorben. Zu diesem Zeitpunkt stand die Wehrmacht noch in Russland, Frankreich und Norwegen fest und die Alliierten hatten Schwierigkeiten in Italien. Obwohl die Alliierten 1943 beschlossen hatten, nur eine bedingungslose Kapitulation Deutschlands zu akzeptieren, hätte ein neues Regime diese möglicherweise früher herbeigeführt. Die deutschen Städte wären weniger zerstört gewesen, und etwa 3 Millionen Deutsche mehr hätten überlebt. Die Alliierten hätten eine intakte Wehrmacht demobilisiert und viele U-Boote und Flugzeuge wären unversehrt geblieben. In der Nachkriegszeit hätte ein konservativ-reaktionäres Militärregime wahrscheinlich das NSDAP-Personal beibehalten und NS-Ideologien stärker vertreten. Eine neue Dolchstoßlegende hätte sich entwickelt, da die Bevölkerung geglaubt hätte, ohne Hitlers „Genie“ und die „Vergeltungswaffen“ sei der Krieg verloren gegangen. Die Entdeckung der Vernichtungslager hätte in dieser Atmosphäre als Propaganda abgetan werden können. Ein reaktionäres, rechtsgerichtetes Nachkriegsdeutschland, das ohne die Bindung an westliche Demokratien existiert, wäre erschreckend gewesen. Der totale Zusammenbruch Deutschlands war notwendig, um extrem rechte Ideologien zu vertreiben und die Grundlagen für eine stabile Demokratie zu legen. Die brutale Niederlage und die Freundschaftspolitik der westlichen Demokratien ermöglichten es Deutschland, Frieden zu finden und nicht nach Rache zu streben. (Stefan Sasse, Geschichtsblog)
Transkript
00:00:00.91
stefansasse
Hallo allerseits zu einer neuen Folge von den Bohrleuten. Heute kommen wir mit leichter Verspätung, was das Jubiläum des Datums angeht, zu einem Thema, das um dieses Datum herum relativ zuverlässig jedes Jahr die Bundesrepublik beschäftigt.
00:00:16.46
stefansasse
Und zwar geht es um das Andenken an vor allem Graf Claus Stauffenberg, aber insgesamt die Verschwörung des 20. Juli, der Versuch eines Attentats an Adolf Hitler. Dieses Jahr ist die Diskussion ein ganz klein wenig erhitzter gewesen als üblich. Es liegt vor allem an zwei Artikeln, die in der Welt erschienen sind, wo die Frage aufgeworfen wurde, was heißt Frage aufgeworfen, der der Autor hat gesagt, so ist es, nämlich mit der Fragestellung
00:00:46.44
stefansasse
ist es ein Glück für uns gewesen, dass dieses Attentat gescheitert ist. Und um diese Frage zu diskutieren, habe ich mir heute einen Gast geholt, der sich jetzt kurz vorstellen darf.
00:00:59.17
Manuel
Ja, hallo zusammen, mein Name ist Manuel Schwalm. Vielleicht kennt mich der ein oder andere Hörer, weil Stefan und ich festgestellt haben, Mensch, es ist schon ein Jahr her, dass ich das letzte Mal hier sein durfte. Ich kenne Stefan quasi über Twitter und genau, bin politisch aktiv, arbeite bei der CDU hier in Berlin.
00:01:24.63
Manuel
Und ja, bin ja auch jemand, der Geschichte studiert hat, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Und deswegen ergibt sich das schon quasi automatisch der Bezug zu dem Thema, ein sehr spannendes, wichtiges Thema. Und ja, ich freue mich jetzt auf unser Gespräch.
00:01:44.36
stefansasse
Genau. Wir haben gerade schon im Vorgespräch festgelegt, dass wir zuerst einmal generell sprechen wollen über Stauffenberg und das Attentat selbst. Also was ist sozusagen die erinnerungspolitische Dimension? Denn das ist im Verlauf der Bundesrepublik ja ziemlich umstritten gewesen. Da gehen wir quasi gleich in die Geschichte der Geschichte. Zu Beginn der Bundesrepublik vor allem war das Andenken an die Attentäter des 20. Juli schwierig. Gerade ganz besonders
00:02:10.78
stefansasse
das konservative Spektrum hat die eher als Verräter betrachtet. Die Linken konnten auch nicht viel damit anfangen, weil war er ein Adliger und er hat sich mit Bürgerlichen zusammengetan. Das heißt, es gab quasi wenig Freunde des Verschwörerkreises um den 20. Juli. Davon abgesehen wollten die meisten Leute eh gar nichts mehr mit der Thematik zu tun haben. Und wir haben natürlich noch das zusätzliche Problem, dass solange ein signifikanter Anteil der damals aktiven Leute noch am Leben und am
00:02:38.34
stefansasse
am öffentlichen Leben maßgeblich beteiligt war, war das natürlich auch immer so ein bisschen unangenehm. Weil die Story, die man sich ja gerne erzählt hat, war, dass sozusagen alle irgendwie so ein bisschen mit drin waren und eigentlich waren sie immer so hochrangige Nazis. Und was hätte man denn auch tun sollen? Und so ein Stauffenberg, der hält einem da halt immer so ein bisschen den Spiegel vor. Das hätte man tun können. Und das macht das Ganze dann natürlich immer etwas unangenehm.
00:03:02.98
stefansasse
Und im Verlauf der Jahre hat sich dann dieses Bild Stauffenbergs und der Attentäter gewandelt und die wurden dann immer mehr zu herausgehobenen Proponenten deutschen Widerstands. Ich würde die Behauptung wagen, so zusammen mit Sophie Scholl ungefähr.
00:03:22.24
stefansasse
Die beiden sind ja quasi die Hauptbeispiele, die immer gebracht werden für den Widerstand. Die eignen sich da dafür auch super. Die sind eine Projektionsfläche, auf die man wirklich alles draufpacken kann, was man so möchte. Selbst wenn man Jana aus Kassel ist, kann man sich da dann rein imaginieren, wie das da während der Corona-Jahre passiert ist. Also die sind mittlerweile von ihren historischen Persönlichkeiten auch ziemlich weit weg.
00:03:50.23
stefansasse
Und deswegen wollen wir heute den Versuch unternehmen, quasi immer zu schauen, wer waren eigentlich diese historischen Persönlichkeiten und wie werden die denn mittlerweile eigentlich in der Diskussion sozusagen verbraten. Und da würde ich jetzt quasi an dich zuerst die Frage stellen, wer ist denn das für dich eigentlich der Staufenwehr?
00:04:11.22
Manuel
Vielen Dank für die Einleitung. Da sehe ich mich auch in sehr vielen Punkten wieder. Ich würde vielleicht so einsteigen, dass auf diese Ambivalenz zu sprechen kommt, weil dort ist richtig gesagt, die Bedeutung oder die Ansicht, die Meinung über den 20. Juli hat sich ja im Zeitablauf
00:04:29.99
stefansasse
Vielen Dank für’s Zuschauen!
00:04:35.12
Manuel
geändert und wir müssen ja heute feststellen, dass der 20. Juli eigentlich einer der Daten ist, die zu unserer mittlerweile institutionalisierten Gedenk- und Erinnerungskultur gehören. Das sind so spezielle Daten, die wirklich jedes Jahr auch Würdigung finden in der Öffentlichkeit, in der Politik.
00:04:53.74
Manuel
und natürlich auch bei dem Menschen selbst. Da gibt es ja dann noch den 30.01., die Machtübertragung, den 8.05., Tag der Niederlage, Tag der Befreiung. Auch eine historische Debatte. Auch dieser Tag hat sich gewandelt in den Jahren. Dann natürlich der 27.01., Befreiung des KZ-Ausschwitz.
00:05:13.85
Manuel
Das sind alles Bücherverbrennungen, der 9. November natürlich, Reiß-Pro-Grom-Nacht und so weiter. Das sind alles erst mal heutzutage wirklich sehr institutionalisierte Gedenktage. Und ich finde das beim 20. Juli auch ein bisschen schade, da in dem Tag und in der Gruppe um Klaus Graf Schenk von Stauffenberg ja so viel drinsteckt. Und für mich sind es nun zunächst einmal
00:05:44.05
Manuel
Also die Köpfe sind ja, da gibt es ja eine ganze Menge Köpfe, aber die bekanntesten sind ja nun mal Henning von Tresco und Klaus Graf von Stauffenberg, die so die Gruppe so eingeführt haben. Tresco, der schon sehr lange dabei war und dann eher so aus seiner moralischen Initiative heraus kam und Stauffenberg, der ja wirklich hier gesehen hat, hier muss man was tun, der ja wirklich sehr tatkräftig auch war und das in dem gesamten
00:06:11.46
Manuel
Attentatsverlauf auch war sehr entschlossen und entschieden. Da sind noch ganz viele andere Köpfe, aber diese beiden sind für mich erstmal Menschen, die unfassbaren Mut bewiesen haben, sich gegen dieses NS-Regime zu stellen.
00:06:27.57
Manuel
zu einem Zeitpunkt, als wir ja im totalen Krieg damals waren, als der Holocaust längst angefangen hat, als die Gleichhaltung schon im Vorfeld absolviert wurde, politische Gegner verfolgt wurden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Katholiken.
00:06:44.38
Manuel
und so weiter, also wirklich ein Regime haben, was damals wohl das mörderischste und blutrünstigste der Welt war. Und diese beiden Männer und die rund 200, die ja dann auch verfolgt wurden nach dem gescheiterten Attentat, die haben erst mal ungeheure Mut bewiesen, weil sie hätten ja auch einfach weitermachen können, einfach mitlaufen können.
00:07:05.48
Manuel
Daher bin ich da jedes Jahr auch, Thema institutionalisiertes Gedenken, immer wieder aufs Neue beeindruckt, dass diese Menschen damals das gewagt haben. Und das kann sich auch jeder selbst mal fragen von den Hörerinnen und Hörern, ob er damals unter diesen Umständen mit seinem Wissen heute diesen Mut gehabt hätte,
00:07:27.42
Manuel
sich da zu engagieren und gegen das Attentat auf Hitler zu verüben. Deswegen finde ich ist das erstmal wirklich eine beachtenswerte Leistung, von der man sich verneigen kann. Der zweite Punkt ist,
00:07:46.04
Manuel
ist eben dieses, und ich hatte das auch im Vorfeld auf Twitter X geschrieben, ist es ja so, dass uns diese Widerstandsgruppe, genauso wie übrigens ja auch die weiteren Akteure des Widerstands, du hattest die Weiße Rose angesprochen, da gibt es ja noch den Georg Elsa zum Beispiel, der so als Einzelattentäter was verübt hat und es gab ja über 40 Attentatsversuche,
00:08:13.41
Manuel
Hitler zu ermorden, zu töten nach der Machtergreifung. Also all diese Beispiele, wo jetzt wir natürlich prominent über den 20. Juli sprechen, all diese Beispiele beweisen, es gibt keinen Automatismus. Man kann sich ändern, man kann immer noch aufstehen, auch wenn man vorher Träger des Regimes war.
00:08:31.61
Manuel
kann man sich korrigieren und seinem Gewissen folgen. Und das finde ich eigentlich eine ganz tolle Botschaft, die auch für jeden Einzelnen im Privatleben ja durchaus auch sinnstiftend sein kann. Mensch, ich sehe hier passiert ein Unrecht in meinem kleinen persönlichen Bereich.
00:08:47.82
Manuel
Alle schweigen dazu. Nein, ich bin korrigiert. Ich stehe dagegen auf und sage nein. Es muss nicht jeder mitmachen. Und das finde ich eigentlich so im Subkontext, die zweite Botschaft des 20. Juli, dass das wirklich etwas ist, was jeder für sich persönlich auch mal überlegen sollte. Und das wollen wir ja. Wir wollen ja hinschauen. Wir wollen nicht wegschauen.
00:09:13.93
Manuel
Und wir wollen eine korrigierte Gesellschaft haben. Und deswegen finde ich jetzt erstmal aus dieser moralischen Bewertung erstmal den 20. Juli extrem wichtig.
00:09:27.00
stefansasse
Ich würde auch den Punkt nochmal aufgreifen, den du gerade nennst. Der fällt mir immer vor allem bei den Äußerungen von Henning von Tresco auf. Der hat ja so ein paar sehr zitierfähige Zeilen abgegeben. Und vor allem, was mich immer beeindruckt an der ganzen Geschichte, ist dieses Bewusstsein, dass es wahrscheinlich scheitert und dass die alle draufgehen. Also quasi diese, wir haben es ja wirklich mit Leuten zu tun, das sind Stabsoffiziere.
00:09:41.68
stefansasse
Untertitel im Auftrag des ZDF, 2021
00:09:52.69
Manuel
Mhm.
00:09:52.82
stefansasse
Wie du schon sagst, wenn ich den Krieg überleben will, dann gibt es wenig Orte, in denen die Chancen dafür so gut sind, wie als Staatsoffizier. Deswegen, die riskieren schon extrem viel. Und dieses Bewusstsein, dass diese Leute haben, diese Bereitschaft sozusagen wirklich,
00:10:11.53
stefansasse
in ein fast aussichtsloses Unterfangen zu gehen, einfach weil man es sozusagen tun muss. Ich habe jetzt gerade das Zitat nicht parat, aber der Henning von Tresckow sagt jetzt sowas wie, dass das Attentat muss erfolgen, unabhängig davon, ob es klappt oder nicht, weil man der Welt beweisen muss, dass die deutsche Widerstandsbewegung bereit war, diesen Wurf zu wagen. Also ich paraphrasiere etwas, aber das ist das, was er sagt.
00:10:31.07
Manuel
Vielen Dank.
00:10:32.23
stefansasse
Die machen das natürlich schon mit der Hoffnung, dass es klappt, aber das Hauptziel ist eher das Signal an der Geschichte.
00:10:44.99
stefansasse
Vielleicht macht es an der Stelle auch kurz Sinn, darüber nachzudenken, warum ist das so? Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus auszuüben ist extrem schwierig. Das ist ein totalitäres System und innerhalb dieses totalitären Systems vor allem so spät, innerhalb dieser Radikalisierung, die das durchnimmt,
00:11:03.78
stefansasse
haben nur sehr wenig Leute überhaupt die Möglichkeit, effektiven Widerstand auszuüben. Um an Hitler ranzukommen, vor allem ab so 1943 oder so, wo der immer mehr zu diesem Einsiedler im Führerbunker wird, da hat nur ein ganz, ganz kleiner Personenkreis Zugriff zu. Das heißt, alle Leute, die in irgendeiner Art und Weise da Widerstand machen wollen, müssen Militär sein. Das kann gar nicht anders sein.
00:11:27.47
stefansasse
Und wir haben da ja auch einen kompletten Kategorienunterschied zu sowas wie Sophie Scholl. Die weiße Rose, auch die machen das ja ausschließlich aus symbolischen Gründen. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie wenig Leute sich eigentlich damit beschäftigen, was die getan haben. Weil wir auch in der Erinnerung immer ganz stark auf diesen Symbol, auf diese persönliche Gewissensentscheidung abheben.
00:11:48.51
stefansasse
Und warum war das so symbolisch und persönlich gewissenhaft? Weil die keine Chance hatten, irgendwas zu tun. Und diese Perspektive sozusagen, wenn du da stehst als Otto-Normal-Verbraucher und Verbraucherinnen sozusagen, und du kannst eh nichts machen.
00:12:03.52
stefansasse
Du hast ja keine realistische Chance. Die weiße Rose hat Flugblätter an einer Uni verteilt. Wer jemals aktiv war in Unipolitik weiß, wie viel das macht und das noch dazu unter den Umständen eines totalitären Regimes. Das ist quasi in der Masse der Ereignisse an und für sich völlig bedeutungslos. Das hat, ich glaube, das hat auch im dritten Reich selbst überhaupt nicht registriert letzten Endes. Das wurde erst nachträglich dann
00:12:28.90
stefansasse
zu dieser Relevanz, die es heute hat. Aber die Leute um Stauffenberg sind quasi die einzige Verschwörergruppe, also der Kreisauer Kreis ist das glaube ich auch, der da mit drin hängt. Und die sind ja letzten Endes die einzigen, die tatsächlich die Perspektive haben, etwas zu verändern. Das ist glaube ich das, was die besonders macht.
00:12:39.90
Manuel
Nein. Nein. Nein. Nein.
00:12:49.87
stefansasse
und gleichzeitig für uns auch so schwierig, weil wir dann in der Beschäftigung eben im Gegensatz zu Sophie Scholl oder so, deren politische Haltung oder sowas üblicherweise nicht besonders interessant ist oder bei so einem Georg Elser oder so. Bei denen wird es halt interessant, weil die hatten die Perspektive, dass sie danach die Macht in den Händen haben und wenn jemand diese Perspektive hat, dann muss ich mich natürlich schon fragen, was hätten die denn damit gemacht.
00:13:13.51
stefansasse
Und das ist üblicherweise der Punkt, wo wir in die Probleme mit Stauffenberg reinkommen. Weil der Mann war jetzt nicht gerade, um einen alten Bundeskanzler zu zitieren, ein lupenreiner Demokrat. Dasselbe gilt im Übrigen, und das noch als kleine Seitenbemerkung, auch natürlich für diese ganzen kommunistischen Widerständler, die in der Bundesrepublik sehr gerne unter den Tisch gekehrt werden. Das ist was,
00:13:21.36
Manuel
Vielen Dank für’s Zuschauen.
00:13:35.30
stefansasse
Die gab es ja auch. Es gab sogar relativ viele Leute, die Rote Kapelle ist davon das berühmteste, die quasi versucht haben, aus kommunistischer Perspektive Widerstand zu leisten. Aber was die wollten, war eine totalitäre kommunistische Diktatur. Auch damit tut man sich an und für sich hier in der Bundesrepublik aus mehreren Gründen schwer.
00:13:54.05
stefansasse
Aber auch die haben, ich glaube sogar zahlenmäßig letzten Endes, die größten Verluste dann auch erlitten. Weil die die aktivsten waren, ja auch mit Sabotageakten und allem drum und dran. Und die haben dafür ganz schön bitter bezahlt und kommen in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik fast nicht vor. Das ist quasi als kleine Seitenbemerkung. Aber damit sind wir eben bei der Frage Stauffenberg einerseits, also die Militärs und andererseits ihre bürgerlichen Verbündeten
00:14:21.95
stefansasse
Das war ja glaube ich vor allem der Gürteler, korrigiere mich wenn ich falsch liege, der da quasi federführend mit war. Das war ein Bündnis von Leuten und Stauffenberg und seine Crew waren quasi verantwortlich da dafür A Hitler umzubringen und B die Macht physisch abzusichern. Über diesen Plan Walküre dann, da kennen vielleicht ein oder andere diesen Film mit Tom Cruise.
00:14:44.24
stefansasse
mit großem Sternchen, nicht historisch korrekt, aber die Grundidee ist richtig, dass die quasi versuchen, sich des Ersatzheeres zu bedienen, um auf die Art und Weise die Macht in Deutschland zu kriegen. Und dann wäre aber die Regierung selbst eher von diesen konservativ-bürgerlichen Kreisen gestellt worden. Und da, wie gesagt, sind wir in der etwas problematischeren Lage.
00:14:47.76
Manuel
Vielen Dank für’s Zuschauen.
00:15:03.88
Manuel
Ja, also das ist genau richtig, was du sagst, was ja dann den 20. Juli besonders macht, weswegen er auch gerade in der Bundeswehr natürlich traditionsstiftend ist, weil wir sicher nicht berufen auf die Wehrmacht, sondern auf den 20. Juli eben auf diese Offiziere, die gegen ihren Eid gehandelt haben und eben dieses Attentat versucht haben.
00:15:33.88
Manuel
Das Besondere ist, wie du genau sagst, sie hatten einen Plan für danach. Die meisten Attentäter hatten das ja nicht. Beziehungsweise sie waren auch gar nicht in der Kapazität dazu. Wenn wir jetzt an Georg Elsa zum Beispiel denken, ja der Bombenanschlag
00:15:48.98
Manuel
Das war ein sehr guter Plan. Er hätte fast geklappt. Es waren wieder nur berühmte Zufälle, die Hitler retteten. Aber danach, was wäre dann passiert? Dann hätte die SS vermutlich das Reich übernommen und hätte dann auch irgendwie einen Weg gefunden, den Krieg zu beginnen.
00:16:09.03
Manuel
Also das NS-Regime hätte auf jeden Fall weiter existiert und das ist ja, was ich eben an dem 20. Juli so genial finde, dass eben die sich einen Plan gemacht haben, sehr lange ausgearbeitet, wie sie eben die Zeit danach des Attentats gestalten und wie sie dann auch eben die Nationalsozialisten von der Macht wieder entfernen.
00:16:32.21
Manuel
Ja, das ist ja etwas, was seit der Gleichhaltung, seit dem Ermächtigungsgesetz in den Anfang der 30er damals im Deutschen Reich undenkbar war. Da war ja gar nichts. Das war ja alles ausgerichtet auf die NS-Führung. Und da haben Sie eben, wie du es sagst, vielleicht noch ein paar Worte dazu, denen diesen Operationsbefehl Walküre benutzt.
00:16:51.80
Manuel
der eben genau das Gegenteil bewirken sollte. Er sollte das NS-Regime schützen vor einem Putsch, vor einer Gefahr aus dem Inneren. Sie haben die Befehle umgeschrieben und haben sich dann des Ersatzheeres bemächtigt, auf das er dann
00:17:08.73
Manuel
im Falle des Walküre-Befehls eben die Befehlsgewalt ausgehen sollte in den Werkreisen, eben der jetzt Ersatz als Instrument benutzt, um eben die Macht den Nationalsozialisten abzunehmen. Also das erstmal ist schon mal eine sehr geschickte Herangehensweise gewesen.
00:17:25.67
Manuel
Nun ist das Attentat gescheitert. Wir brauchen dann, glaube ich, nicht viel über die Gründe reden. Da gab es einige Sachen, die man hätte besser ausführen können. Da gab es einige glückliche Umstände, dass dann die Tasche auch irgendwie weggeschoben wurde von Hitler während der Besprechung. Da brauchen wir nicht so groß drauf einzugehen. Aber der Plan war eben, die Nationalsozialisten von der Macht zu entfernen. Und da fangen jetzt, genau wie du es sagst, die Probleme an. Es war ein Bündnis, ein Bündnis,
00:17:54.55
Manuel
konservativ-bürgerliche Militärs, da waren auch Sozialdemokraten dabei mit im Kreisauer Kreis, im Widerstand. Und diese konnten sich nicht so wirklich auch auf eine politische Ausrichtung nach einem geglückten Attentat einigen.
00:18:12.70
Manuel
Vor allen Dingen konnten sie sich nicht darauf einigen, dass sie den Weg gehen wollen in eine parlamentarische Demokratie, so wie wir sie jetzt in der Bundesrepublik haben. Das ist vollkommen klar. Aber da muss ich ja auch immer gleich einschränkend sagen, das waren natürlich auch politische Hirngespinste, der Widerständler.
00:18:31.87
Manuel
Denn die Alliierten hätten sowas auf gar keinen Fall zugelassen und die Sowjetunion vermutlich auch nicht. Wenn wir uns zurückerinnern an die Konferenz Casablanca, die war Anfang 1943, also anderthalb Jahre vor dem Attentatsversuch.
00:18:48.90
Manuel
Dort haben die Alliierten schon ihre Grand Strategy beschlossen und die war eben Germany First. Also das Deutsche Reich sollte als erstes besiegt werden vor dem Kaiserreich, Japan. Es sollte vollständig besetzt werden. Es war nur die bedingungslose Kapitulation, die eben akzeptiert wurde. Also es hätte nie wirklich eine
00:19:10.23
Manuel
Regierung des 20. Juli gegeben. Sie wäre wahrscheinlich auch für weitergehende Verhandlungen überhaupt gar nicht akzeptiert worden von den Alliierten. Dann gab es ja auch noch einige Radikale unter den Widerständen, die gesagt haben, Mensch, wir können doch einen Separatfrieden mit den Westalliierten abschließen und dann kämpfen wir noch mit denen vielleicht sogar zusammen gegen die Sowjetunion weiter. Also das alles hätte es gar nicht gegeben. Es wäre nur eben
00:19:40.09
Manuel
die vollständige Kapitulation und die vollständige Besetzung des Deutschen Reiches möglich gewesen und dann eben die Einsetzung.
00:19:46.46
Manuel
Wir haben das ja gesehen nach 1945, nach dem 8. Mai eines alliierten Kontrollrates, der eben genau sagt hier, wir sind Besatzungsmacht und alle politische und militärische Macht geht auf uns über. Also deswegen, da sage ich, da waren die Verschwörer ein bisschen blauäugig. Wahrscheinlich mussten sie das aber auch sein, weil sonst hätten sie keine Mitverschwörer gewonnen. Sie mussten natürlich einen Plan haben für die Zukunft.
00:20:14.68
Manuel
weil sie ja dann auch die meiste Zeit verwendet haben. Wir sagen ja so ab 1942, Anfang 42 ging es dann los mit den konkreten Vorbereitungen. Viele kannten sich schon längst vorher, die haben sich auch schon vor dem 1. September 1939 gekannt und waren da auch in Opposition zu Hitler und den Nazis, aber vor allen Dingen natürlich die
00:20:40.37
Manuel
furchtbaren Verbrechen in der Sowjetunion, die Einsatzgruppen der SS und der SSD, die dort die Morde begangen haben. Das hat sehr, sehr viele
00:20:50.56
Manuel
motiviert, sich der Widerstandsgruppe anzuschließen, um eben das Regime zu beseitigen. Und das ist erst mal da. Und ich finde, man sollte da wirklich nicht überbewerten, was deren Pläne waren, wie die auch sich vor dem Attentat verhalten haben. Manche waren ja auch in Hochstimmung, als die Wehrmacht 40 Frankreich eroberte.
00:21:18.03
Manuel
beziehungsweise dann auch besiegte. Das war ja ein Katalysator für die Zustimmung zu dem NS-Regime in allen Bevölkerungsgruppen. Aber diese Leute haben sich eben geändert, wie ich das schon gesagt habe. Sie haben gesagt, Mensch, aufgrund der
00:21:34.73
Manuel
Das der aktuellen Verbrechen, die ich sehe, kann ich eben dem Führer nicht weiter folgen. Manche waren Antisemiten, viele waren Antidemokraten. Das ist alles richtig. Aber da macht man sich, finde ich, aus unserer heutigen Perspektive ein bisschen zu leicht, weil wir wissen das heute ja alles. Wir wissen es besser. Die damals wussten es nicht. Und man macht ja immer, wenn man über Geschichte spricht, den Fehler, Geschichte vom Ende her zu lenken.
00:22:00.90
Manuel
Es gab nie ein Automatismus, eine klare Reihenfolge der Ereignisse. Es hätte an jeder Ecke nochmal nach links, rechts abbiegen können und das wussten die Verschwörer damals nicht, das wissen wir heute.
00:22:17.84
stefansasse
Ich denke, diese Traumtänzerei bezüglich eines möglichen Friedensschlusses, das waren ja wirklich völlig absurde Vorstellungen, die dachten ja noch an Landgewinne, also wenn mich nicht alles täuscht, dass diese offiziellen Pläne für Verhandlungen mit den Alliierten war schon die Idee, dass man etwas von den Eroberungen behält. Nicht viel, man war bescheiden, aber für eine Situation im Juli 44 war das komplette Traumtänzerei. Und ich glaube, diese ganzen Vorstellungen, also auch schon die Idee, dass es überhaupt Verhandlungen gegeben hätte.
00:22:48.32
stefansasse
Vermutlich dürfte den ein oder anderen von denen klar gewesen sein, dass das nicht passiert.
00:22:53.18
stefansasse
Aber ich denke auch, dass es erforderlich ist, sich das einzureden, wenn man sowas macht, weil man das einfach braucht. Ich glaube, das ist ja ohnehin schon mit diesem, ich gebe mein Leben auf, ich werde offiziell zum Verräter an Deutschland, worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, deren Familien sind ja auch in akutester Bedrohung, weil das NS-Regime wie jedes totalitäre System sippenhaft macht. Der Begriff kommt ja aus dem Nationalsozialismus.
00:22:59.07
Manuel
Ja.
00:23:20.35
stefansasse
Und die Staufenbergs haben dafür ja auch unglaublich leiden müssen. Die Kinder wurden denen weggenommen und versteckt und quasi getrennt und in Kinderheime gepackt. Das hat glaube ich bis 46, 47 gedauert, bis die ihre Kinder wieder gefunden haben. Und lauter, und das sie sie überhaupt gefunden haben, haben wir ja quasi Glück. Also lauter solche Geschichten. Und wenn du das alles machst und du weißt eh, wahrscheinlich taugt es nicht.
00:23:44.17
stefansasse
Und wenn du dann auch noch reingehst mit, und wenn es klappt, dann müssen wir die totale Kapitulation unterzeichnen und Deutschland ist am Ende. Ich glaube, an irgendeinem Punkt musst du dich einfach strategisch belügen und einfach Dinge ganz bewusst nicht sehen, damit du die Kraft hast, um das weiterzumachen. Ich glaube, anders kann das gar nicht funktionieren.
00:24:05.81
stefansasse
Deswegen an der Stelle für diese außenpolitische Traumtänzerei würde ich denen keinen großen Vorwurf machen wollen. Wir müssen nur quasi, wenn wir im Rückblick darüber nachdenken und wir werden ja nachher noch drauf kommen, was hätte passieren können, wenn das Ganze gelungen wäre. Müssen wir jetzt glaube ich von Anfang an klar machen, dass es komplette Hirngespinste waren. Die Alliierten hätten niemals mit denen verhandelt.
00:24:26.75
Manuel
Ja.
00:24:26.92
stefansasse
Da wäre vielleicht sowas rausgekommen wie nachher im Indien, Japan. Die Japaner, die durften ja ihren Kaiser behalten und das war alles, was es an Maßnahmen gab. Vielleicht hätten sie da irgend sowas auch in Deutschland gemacht. Keine Ahnung, ihr dürft dann eure Würmserflagge aufhängen oder so. Aber so ein symbolisches Zugeständnis wäre das absolute Maximum gewesen, was da herauszuholen gewesen wäre. Da bin ich ziemlich überzeugt davon.
00:24:50.91
stefansasse
Aber das ist quasi trotz allem natürlich eine Schwierigkeit. Klar wissen wir nicht genau, was die gemacht hätten, aber wie du schon sagst, eine Demokratie hätten sie garantiert nicht aufgestellt. Ein Leitmotiv, das mir bei den Nachkriegsplanungen sozusagen und bei den Ideen für dieses neue autoritäre Regime, das sie hätten aufstellen wollen, immer wieder auffällt, ist diese Betonung der Wiederherstellung des Rechtsstaats.
00:25:19.34
stefansasse
Denn das ist etwas, das einigt tatsächlich alle diese Verschwörung. Ich glaube, das ist auch der einzige Grund, warum dann auch Sozialdemokraten noch mit dabei sind oder so. Dass die quasi zurückwollen zu einem System des Rechts, wie es die Nazis mit ihrer antiliberalen Haltung ja explizit zerstört haben.
00:25:33.95
Manuel
Vielen Dank für’s Zuschauen.
00:25:35.60
stefansasse
Das gehörte zu diesem Gleichschaltungsprozess dazu. Und Hitler hat ja auch nie einen Hehl daraus gemacht. Die ganze Ideologie des Nationalsozialismus hat als eines von vielen durchgängigen Leitmotiven von diesen Anti-Haltungen, ist das Anti-Liberalismus. Gegen Rechtsstaat, gegen Pluralismus und so weiter und so fort. Und pluralistisch waren die jetzt auch nicht unbedingt unterwegs, aber diese Rechtsstaatsidee, wenn ich jetzt mal etwas polemisch sagen darf, weil sie ist ungefähr wie im Kaiserreich, das hätten die wieder haben wollen.
00:26:03.81
stefansasse
Man unterdrückt quasi die Sozialdemokratie immer noch, aber man macht es im Rahmen bestehender Gesetze sozusagen. Ungefähr das wäre, glaube ich, die Idee gewesen. Und allein das ist natürlich etwas, damit können wir uns heute auch identifizieren. Der ganze autokratische, autoritäre Kram eher nicht. Und der Antisemitismus, etc., PP, all das logischerweise nicht. Aber zumindest dieser Rechtsstaatsgedanke ist etwas, an dem wir heute anknüpfen können.
00:26:32.65
Manuel
Ja, das ist ja auch etwas, was wir sehen an Stauffenberg an der Biografie, was ihn schon früh zweifeln lassen hat. Er war zwar anfangs, ich muss anders anfangen, die ganzen 30er Jahre war er ja auch schon, weil es ja auch in seiner Familie lag, bei Militär, bei der Reichswehr.
00:26:42.43
Manuel
Vielen Dank für’s Zuschauen.
00:26:56.84
Manuel
und hat ja dann auch anfänglich die Machtübertragung an Hitler begrüßt. Er sah in Hitler irgendwie auch militärischen Schafsinn, das ist ein O-Ton, kann ich nicht so ganz nachvollziehen, ich weiß nicht, was er gesehen hat.
00:27:12.04
Manuel
Aber auf jeden Fall hat er dann auch sehr schnell gemerkt, mit den Nationalsozialisten kann er sich doch nicht zu 100 Prozent identifizieren. Stichwort Röhmputsch nach der langen Messer. Das ist etwas, was er gesagt hat, wo er gesehen hat.
00:27:28.20
Manuel
Das ist irgendwie Willkür. Das kann ich irgendwie nicht gutheißen. Da reagiert das Regime über. Dementsprechend wurde auch nicht NSDAP-Mitglied, ist nicht der Partei beigetreten. Also da siehst du, wenn du sagst Rechtsstaatlichkeit, da siehst du etwas von eben diesem Motiv. Ja, also natürlich ist man hart gegenüber dem Gegner, bekämpft den möglicherweise auch aber im Rahmen des Rechtsstaates. Also man will ihn nicht vernichten.
00:27:56.53
Manuel
und dieses Vernichten, was ja so Konstitutiv für den Nationalsozialismus ist. Der Nationalsozialismus will ja immer nur vernichten. Er löst Probleme, indem er Menschen vernichtet. Das ist Nationalsozialismus auf den Kern gebracht. Das ist etwas, womit diese
00:28:13.03
Manuel
im Kaiserreich sozialisierten, preußischen, militäradligen und so weiter nun überhaupt nichts anfangen konnten. Wenn du daran denkst, das hat man ja probiert, dann auch sogar die NS-Propaganda so ein bisschen aufzuladen. Der ritterlich kämpfende Generalfeldmarschall Rommel in Nordafrika, der dagegen Montgomery kämpft.
00:28:37.29
Manuel
und da auch wirklich die besten Tugenden zeigt. Das war ja eine Ausnahme. Die meisten Befehlshaber waren ja auch genauso erbarmungslos gegenüber ihren Untergebenen, wie auf anderen Seiten, auf anderen Kriegsparteien, ich denke dann die Sowjetunion zum Beispiel.
00:28:53.46
Manuel
Also das war etwas, was ja neu war. Also diese Vorstellung des Ritterlichen Kampfes, das kommt ja aus dem Kaiserreich. Wenn wir da auch an die Rede denken von Kaiser Wilhelm II. Also die berühmte Kriegserklärungsrede, ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche, da kommen ja diese ganzen Motive, das Edel ist es fürs Vaterland zu sterben.
00:29:16.44
Manuel
Also das ist, das sind diese dieser Topos, der da eben mitschwingt und das, damit haben ja die Nationalsozialisten radikal gebrochen und ja, also diese preußischen Militär, Militärs haben da natürlich mitgemacht, aber nicht weil sie, aus meiner Sicht, nicht unbedingt weil sie jetzt glühende Nationalsozialisten waren, sondern weil sie eben dieses
00:29:39.96
Manuel
verrottete, verlotterte Weimarer Republik, diese Demokraten, diese Quasselbude im Parlament, die nur reden, aber nichts tun. Motive, die wir auch heute sehen bei zeitgenössischen Parteien in Deutschland, weil sie das eben so sehr abgelehnt haben, dass sie sich dann eben in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt haben. Und dann natürlich, da werden wir so langsam auch drauf kommen sicherlich, dann natürlich auch die Kränkung, die sich aus dem
00:30:06.05
Manuel
verlorenen ersten Weltkrieg ergibt und fortfolgende, also den Friedensvertrag, der Kapitulation, Friedensvertrag, Versailler Vortrag und so weiter.
00:30:16.46
stefansasse
Also ich habe ja wirklich keinerlei ideologische Berührungspunkte zum preußischen Adel. Aber ich glaube man darf den durchaus unterstellen, dass die ihrerseits keine große Affinität zum Nationalsozialismus haben. Die haben einen Überlapp
00:30:33.18
stefansasse
an manchen Stellen, zum Beispiel die Zerstörung von Polen, die Zerstörung der Demokratie etc. Die haben durchaus in den Zielen einige Einigkeiten, aber gerade was die Mentalität anbelangt, was das Milieu anbelangt, aus dem die kommen und so weiter, da sind die sich ziemlich fremd. Das führt ja dann auch gerade während der Gleichschaltungsprozesse dazu, dass diese alte Garde, mir fallen gerade die Namen nicht an, aber diese Oberkommandieren, die 1937 dann geschasst werden,
00:30:58.90
Manuel
Ja. Ja.
00:30:58.97
stefansasse
Dass die da rauskommen und dass dann nach dem 20. Juli findet ja auch eine unglaubliche Säuberungswelle statt. Diese preußische Artlige Offizierskaste, die nach dem ersten Weltkrieg so viele Probleme gemacht hat für die Weimarer Republik, die macht der Bundesrepublik ja auch deswegen keine Probleme, weil sie nicht mehr existiert.
00:31:23.16
stefansasse
Die wird ja quasi völlig vernichtet im Zweiten Weltkrieg. Ich glaube, es gibt keine soziale Schichtung, die im Zweiten Weltkrieg dermaßen quasi aus der Existenz geblasen wird, wie dieser ostelbische Landbesitz. Einerseits, weil sie schon während dem Krieg draufgehen und dann in den Säuberungen vernichtet werden und andererseits, weil die Sowjets dann quasi den letzten Rest davon effektiv besorgen. Deswegen hat diese Hypothek unter der Weimar immer gelitten, hat die Bundesrepublik nicht.
00:31:52.06
stefansasse
Einfach weil diese Leute unter anderem wegen dem 20. Juli letzten Endes weitgehend draufgehen. Und das muss man an der Stelle, glaube ich, schon auch sagen. So wenig ich dem preußischen Adel mag, überzeugte Nazis waren die in den wenigsten Fällen. Es gibt die natürlich auch. Aber so als Schicht sozusagen sind es zwar Antidemokraten, sind es glühende Antisemiten, sind es Nationalisten, sind es Kriegstreiber usw. usf., aber Nazis sind es nicht.
00:31:52.57
Manuel
Vielen Dank für’s Zuschauen.
00:32:19.99
Manuel
Ja, weil die auch, und das sehen wir bei vielen Verschwörern vor allen Dingen, weil die ja auch aus so einer katholischen, also was das Rheinland angeht, was jetzt Westdeutschland angeht, aber auch als eine religiöse Motivation eben so gehandelt haben, weil sie eben
00:32:39.31
Manuel
das ethisch nicht vertreten konnten, was dort im Nationalsozialismus passiert ist, dass jemand da umgebracht wird, weil er einen anderen Glauben hat. Das sind Kinder der Aufklärung in dem Sinne. Das war für die sehr unverständlich. Und diese Morde, auch Frauen und Kinder, das hat die ja wirklich bewegt, sich dem Widerstand anzuschließen. Und du hast vollkommen recht. Der 20. Juli war dann nochmal der Startschuss.
00:33:08.07
Manuel
für die Nationalsozialisten wirklich auch die Wehrmacht komplett auszurichten auf den Führer. Sie dachten, das wäre ausreichend, wenn sie das machen mit der Eidesleistung, wenn sie dort die Militärpolizei kontrollieren und so weiter. Nein, aber danach ging es ja nochmal richtig los. Da wurde dann auch der deutsche Gruß, glaube ich, zum Gruß im Heer in der Wehrmacht.
00:33:32.42
Manuel
Es wurden viele ausgetauscht, viele Offiziere. Es wurden manche ja auch hingerichtet im Plätzensee und so weiter. Das ist ja alles passiert. Und dann diese Basis, wo wir sagen, dieser preußische Landadel, der ja auch wirklich sich mehr oder weniger aufgelöst hat dann in der Zeit, die haben ja auch ihr Land verloren. Eben einfach durch die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg, durch das Vorrücken der Sowjetunion, durch die polnische Westverschiebung.
00:33:57.45
Manuel
Die hatten ja keine materielle Basis mehr, um politisch Einfluss zu nehmen, um eben die Bundesrepublik dazu zu beschädigen. Wobei man auch sagen muss, es war ja auch erklärtes Ziel der neuen Parteien dann,
00:34:13.47
Manuel
in der Bundesrepublik, gerade der Mitte auch, SPD, die Union, die FDP, auch diese Leute mitzunehmen in ihrer Programmatik, sie auch nicht irgendwie auszugrenzen. Da gibt es ja, der ein oder andere hat das sicherlich vor Augen, auch aus unserer heutigen Sicht, wie sich ja auch Geschichte immer wandelt, wenn man was die Ansichten angeht,
00:34:34.43
Manuel
über bestimmte Themen ja auch Wahlplakate haben. Das ganze Deutschland soll es sein, eine SPD-Plakate. Also wo wirklich dann von Köln bis nach Ost-Elwin, also Danzig und Königsberg wirklich also eine Revision auch der Oder-Neiße-Linie gefordert wurde, die ja von Helmut Kohl erst in den 90ern wirklich endgültig begraben wurde im Zuge der Wiedervereinigung. Das war ein Topus, dass sich die gesamte alte Bundesrepublik
00:35:02.77
Manuel
die Bonner Republik durchgezogen hat.
00:35:05.62
Manuel
war in dem Sinne sehr wirkmächtig. Und das ist eben etwas, wo wir sagen, da haben wir gute Startbedingungen gehabt. Und die Offiziere dieser Preußische Kaste, die ja dann auch sehr destabilisierend auf die Weimarer Republik gewirkt hat, die ja dann auch die Verhältnisse, muss man ja auch sagen, herbeigeführt hat, die die Nationalsozialisten begünstigt haben, die gab es dann nicht mehr.
00:35:06.60
stefansasse
Vielen Dank.
00:35:35.55
stefansasse
Ja, absolut. Noch ein kleines Detail zu den Änderungen nach dem 20. Juli, da kamen ja dann auch noch diese nationalsozialistischen Führungsoffiziere rein. Also quasi das NS-Äquivalent von Politkommissaren. Das ist vielleicht so als kleiner Abschluss für diese Geschichte. Der 20. Juli ist für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs
00:35:46.63
Manuel
Blutkommission.
00:35:55.83
stefansasse
so ein Datumsdrehpunkt, der aus zwei Gründen spannend ist, die gerne übersehen werden in der Diskussion. Das erste ist, dass die Kontrolle der NSDAP und der NS-Führungsriegen über Deutschland nie so hoch war und quasi diese totalitarismus des Systems wie nach dem 20. Juli, weil da eben endgültig die ganzen alten Eliten, die alten rechten Eliten werden da gesäubert und ersetzt durch nationalsozialistische Eliten.
00:36:24.39
stefansasse
Vor allem im Militär, was ja ziemlich lange noch ein Holdout war. Die Militärführung hat ja quasi ihren relativ autonomen Stand behalten, zumindest mal bis Tchaikov 1943, weil es ja so eine unglaublich verkackte Schlacht war, dass Hitler dann eben gesagt hat, ihr habt es auch nicht im Griff sozusagen, kann ich selber machen, kann ich besser. Und auf der anderen Seite, das ist eine Statistik, die mich jedes Mal entsetzt und die, glaube ich, gleich für uns auch eine wichtige Rolle spielen wird.
00:36:54.39
stefansasse
über die Hälfte aller deutschen Kriegstoten entstehen nach dem 20. Juli 44. Das heißt, in diesem letzten Dreivierteljahr des Krieges sterben genauso viele Leute wie in den fünfeinhalb Jahren zuvor. Und der zweite Punkt, der da quasi noch mit reinläuft, wir müssen uns auch klar machen, wie viele Menschen das sind. Ich habe da mal die Statistiken gesehen aus den Jahrgängen, die quasi so diese typische Militäreiter sind, also die Leute, die das so zwischen 18 und
00:37:04.16
Manuel
Ja.
00:37:24.39
stefansasse
und 30 dann nachher ungefähr sind. Da sterben, und wir reden hier wirklich von sterben, da sind die Verwundeten nicht drin, da sind die Traumata nicht drin und so weiter, sterben so zwischen 40 und 45 Prozent. Also das ist ein Adalas jenseits von Gut und Böse. Ich sag, ich mach das immer wenn ich dieses Thema im Unterricht mache, sag ich auch schaut euch quasi um, wenn ihr damals Abiturienten und Abiturienten gewesen werdet, die Hälfte der Jungs in diesem Zimmer wäre tot. Das ist einfach ein Ausmaß,
00:37:35.74
Manuel
Mh.
00:37:55.70
stefansasse
das zu begreifen wahnsinnig schwer ist und dass man mit reinziehen muss, wenn man dann eben darüber spricht, hätte der Krieg eventuell ein Dreivierteljahr früher beendet werden können und was hätte das gemacht. Das ist eine offensichtliche Sache. Also hätte man quasi kapituliert am 21. Juli 44 sozusagen, dann hätten wir nur halb so viele Tote in diesem Krieg gehabt.
00:38:17.65
Manuel
Ja, das sind genau diese Geburtenjahrgänge 1928, 1927, 1929, die ja diese horrenden Verlustziffern haben. Das sind genau die, die damals dann noch 18, 19, 20 dann ja auch eingezogen wurden und wirklich auch dann das letzte Aufgebot dann waren. Dann ging es sogar noch weiter runter bis in die 30er oder in die jüngsten.
00:38:42.66
Manuel
eingezogen wurden. Aber das ist etwas, was mich ja auch immer wieder schockiert und was man immer so leicht vergisst, weil man denkt, naja, gut, irgendwie, man nimmt so eine Gleichverteilung der Opferzahlen an. Ja, von 39 bis 45. Aber nein, am Anfang war es ja im Prinzip in Anführungsstrichen ja nur ein schneller kurzer Feldzug in Polen. Und dann war ja erst mal bis weit ins Frühjahr war ja dann erst mal nichts los. Dann waren ja Vorbereitungen auf neue Feldzüge.
00:39:11.03
Manuel
In dem im 44 mit der Landung in der Normandie, mit den Kämpfen in Italien, Landung Sardinien, mit der Ostfront, die immer näher rückte, dann auch den Zusammenbruch auf dem Balkan. Es wurde ja praktisch an allen Kriegsschauplätzen für Deutschland damals gekämpft.
00:39:32.00
Manuel
plus natürlich dann noch der pazifische Kriegsschauplatz. Also das ist etwas, und auf allen Freunden wirklich auf breiter Front, also nicht nur einzelne kleine Gefechte, sondern wirklich riesige Heere, die sich da entgegen standen, wenn wir denken an die
00:39:47.26
Manuel
an den Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte. Diese Operation Bagardion ging ja genau einen Monat vor dem Attentat los. Das war die schwerste Niederlage eines deutschen Heeres in der Geschichte. Also in diesen Dimensionen müssen wir denken, da sind 500.000 Angehörige verwundet oder gefangen genommen oder getötet.
00:40:09.84
Manuel
Ja, also das sind Zahlen, die gab es vorher noch nicht. Dann die Bombenlast, ganz genau, strategische Bombardierung der Westalliierten, dann natürlich auch direkter Feindbeschuss, also deutsche Städte, nicht nur deutsche Städte, auch andere Städte, ja. Warschau wurde danach in Schutt und Asche gelegt zu über 90 Prozent, auch auf Folge des Aufstandes des berühmt-berüchtigten
00:40:36.51
Manuel
Wo wir jetzt auch am 1. August, sehe ich es ja gerade in ein paar Tagen schon wieder, ein rundes Jubiläum haben. Am 1. August 1944 ging es ja da auch los. Das war auch danach. Also der Aufstand war danach. 200.000 Polen wurden im Zuge dieses gescheiterten Aufstands ermordet.
00:40:57.62
Manuel
oder getötet. Ja, also das sind alles riesige horrende Ziffern und deswegen, und da sagst du es genau richtig, wenn wir jetzt anfangen kontrafaktisch zu diskutieren, bin ich immer jemand, der sagt, ja schade, dass es nicht gelungen ist. Das Attentat, das hätte das alles verhindert. Jetzt weiß ich natürlich, dass du das ein bisschen anders siehst.
00:41:21.07
stefansasse
Ja und nein, also unter diesem Aspekt absolut. Bei mir schlagen da immer so, ich habe eine Faust quasi, mir schlagen zwei Herzen in der Brust, was dieses Thema anbelangt. Weil auf der einen Seite, auf der menschlichen Dimension, da kann man glaube ich zu gar keinem anderen Schluss kommen, als das, was du gerade auch skizziert hast. Nämlich, es war eine Tragödie, dass dieser Krieg nicht früher beendet werden konnte, durch quasi die Ausschaltung der NS-Führungsregel.
00:41:49.77
stefansasse
und dann eben die ohnehin zu diesem Zeitpunkt unvermeidbare Kapitulation. Auch hier, wir müssen uns einfach noch einmal klar machen, der militärische Stand sozusagen, auf dem Deutschland ist, im Juli 44, ist effektiv schlechter als zu dem Zeitpunkt im November 1918, wo die damals den Waffenstillstand geschlossen haben. Und da geht es dann noch ein Dreivierteljahr.
00:42:07.67
Manuel
Ja.
00:42:11.56
stefansasse
Einfach damit wir uns quasi mal diese Vergleichsdimensionen klar machen. Der Zweite Weltkrieg hat da so ein bisschen in der Erinnerung der Leute dieses Problem, dass der als einen Standard etabliert hat, dass eine Seite kämpft bis 20 nach 12, im Endeffekt. Das ist ja historisch ein absoluter Ausnahmefall. Also was die deutsche Wehrmacht und der deutsche Staat und generell die deutsche Gesellschaft damals gemacht haben, das ist ja komplett unnatürlich in Anführungszeichen.
00:42:40.16
stefansasse
Von daher hätte man diesen Krieg wesentlich früher beenden können und damit zahlreiche Menschenleben retten. Überhaupt keine Frage. Aus der menschlichen Dimension her ist es absolut das Korrekte. Nur, wenn ich quasi die Dimension aufmache, für mich als eine Person, die ja offensichtlich aus Überlebenden dieser Zeit besteht. Sonst gäbe es mich ja nicht.
00:43:05.32
Manuel
Mh.
00:43:05.42
stefansasse
Ich bin ja keine von diesen hätte-sein-können-Personen, weil mein Großvater hat den Krieg überlebt. Als jemand, der in dieser Bundesrepublik lebt, sozusagen, wenn ich mir vorstelle, es gibt eine Zeitreisemaschine, jemand geht zurück und sorgt dafür, dass dieses Attentat funktioniert. Und dann macht es puff.
00:43:30.01
stefansasse
und quasi alles wird angepasst und ich lebe dann aber in dieser neuen Realität, dann bin ich mir nicht sicher, ob ich dieses Land, diese Gesellschaft, in der ich dann quasi aufwache, sozusagen nach diesem Zeitreisetrip,
00:43:45.71
stefansasse
ob ich die gut finden würde. Und das ist quasi das andere Herz, das an der Stelle schlägt. Und jetzt, warum komme ich da drauf? Das Ding ist, wir wissen aus der Rückschau, dass der Krieg 44, der hat im Allgemeinen schon 43 verloren, vermutlich sogar schon 42. Aber spätestens eigentlich ab dem Sommer 43, mit dem Scheitern von Tchaikov und Kursk,
00:44:04.33
Manuel
Ja. Ja. Ja.
00:44:08.86
stefansasse
Da kann gar nichts mehr gehen. Da ist Rum in einem Ausmaß, wie ab August 1918 die Sache rum ist. Nur haben das die Leute 1918 ja auch nicht gesehen. Und auch 1944 war die militärische Lage, da konnte man sich noch sehr, sehr gut darüber bedügen.
00:44:27.58
stefansasse
Also wirklich ohne jedes Problem. Zu der Zeit haben wir das große Versprechen der Wunderwaffen, die da kommen. Der Führerkult vom Genie Hitlers geht quasi, der kriegt den Nachbrenner eingeschalten quasi.
00:44:42.91
Manuel
Mhm.
00:44:43.49
stefansasse
Wir haben unglaublich viel Propaganda, die da permanent erzählt, dass irgendwelche Wunder passieren, das wird beschworen. Immer diese Parallele zum Siebenjährigen Krieg, wo Friedrich der Große ja auch quasi errettet worden ist und so weiter und so fort. Und wenn ich mir jetzt einfach mal vorstelle.
00:45:01.58
stefansasse
20. Juli klappt, die übernehmen die Macht, die unterzeichnen die bedingungslose Kapitulation und die Soviets marschieren dann im Endeffekt von der Vistula bis zur Elbe durch und die Westalliierten marschieren von Cherbourg bis quasi auch bis zur Elbe durch.
00:45:23.18
stefansasse
was das macht von der Außenwirkung her, ob das überhaupt möglich ist, sei mal dahingestellt, also ob da nicht dann sofort wieder ein Gegenputsch passiert. Aber wir nehmen uns einfach mal kurz an, dass es passiert. Das sieht ja quasi aus nach dem größten Verrat
00:45:34.38
Manuel
Ja.
00:45:39.00
stefansasse
den je irgendein Deutscher an der deutschen Nation gemacht hat. Und wie quasi da nicht eine Durchstoßlegende 2.0 in einem wesentlich stärkeren Ausmaß entstehen soll und wie da nicht ein Kult entstehen soll, der sagt, hätte Hitler überlebt, dann. Und wie da nicht der Nationalsozialismus als politische Ideologie und als politische Struktur überlebt, das erschließt sich mir nicht.
00:46:05.82
stefansasse
Und das ist quasi der Punkt, wo ich Probleme kriege mit einem undifferenzierten, das hätte auf jeden Fall klappen müssen sozusagen, verstehst du, wie ich meine?
00:46:17.50
Manuel
Ja, verstehe ich absolut. Und das liegt ja auch auf der Hand, weil wir haben ja quasi den Prolog, du sagst ja das Stichwort auch an, Deutschstoßlegende, den Prolog gehabt als dann die oberste Heeresleitung.
00:46:34.62
Manuel
auf Drängen des Reichskanzlers damals ja dann die Kapitulation da einsehen musste, dass das getan wird, dass der Kaiser auch abdankt. Das deutsche Heer ist im Felde ungeschlagen. Das war ja eine ganz große Hypothek der Weimarer Republik.
00:46:51.14
Manuel
Und insofern kann ich das nachvollziehen, wenn man dann sagt, das ist jetzt sozusagen der Prolog. Ich lege da die Situation am 21. jetzt fiktiv, am 21. Juli 44 lege ich dann daneben, dass man zu so einer Auffassung kommen kann. Ich sehe das eben, wie gesagt, ein bisschen anders, weil es gibt dann doch irgendwie im Vergleich Unterschiede zwischen November 18 und Juli 44.
00:47:19.09
Manuel
Also wenn wir uns überlegen, wir sehen ja dann die Weimarer Republik, die dann eben nach dieser Kapitulation folgt, die Hand soll verdorren, die diesen Vertrag unterschreibt und dann hat ihn Friedrich Ebert unterschrieben.
00:47:36.65
Manuel
als erster Reichskanzler, wenn ich mich jetzt nicht ganz täusche. Da liegt aber diese Problematik darin, dass wir eben eine… Also, dass wir… Moment, ich muss anders anfangen. Ich muss meine Gedanken kurz sortieren. Ich fange von hinten an. Wenn Sie mir sagen, wir haben jetzt den Lauf der Geschichte gehabt, wir haben dann die Bundesrepublik, wir haben den Parlamentarischen Rat, wir kamen zusammen, haben ein Gutgesetz.
00:48:02.58
Manuel
beschlossen und dann auch 1949 die ersten Wahlen gehabt. Ich denke, so ähnlich wäre das bei einem erfolgreichen Attentat auch passiert, weil eben die Alliierten gesagt hätten oder die Siegermächte dann in dem Fall, wir müssen hier eine Zivilverwaltung schaffen, die zwar natürlich in dem Rahmen handelt, den wir hier
00:48:23.76
Manuel
geben und das hat ja auch die erste Adenauer Koalition gemacht. So ähnlich wäre das auch gelaufen. Man hätte die gleichen Leute aktiviert, eben Demokraten, die irgendwie auch im KZ saßen. Die Parteien hätten sich so ähnlich neu gegründet oder wären wieder aufgestanden. Ich denke, das wäre alles genauso passiert.
00:48:44.46
Manuel
Und jetzt ist eben die Frage, naja, diese Deutschstoßlegende, die war ja immer nur sozusagen eine Erzählung. Und ich sage ja immer, das ist für mich immer sehr wichtig festzustellen, es gibt keinen Automatismus in Geschichte. Also nur weil es jetzt damals diese Deutschstoßlegende gab, muss sie sich ja auch nicht wiederholen. Denn wenn wir uns anschauen, was sind ja die Unterschiede zwischen damals? Also es wäre ja so gewesen,
00:49:09.86
Manuel
Du hast es ja angesprochen, die Sowjets marschieren von der Grenze Ostpreußens bis an die Elbe und die Westalliierten von Nordfrankreich bis ebenfalls an die Elbe. Das wäre ja ein großer Unterschied gewesen zu 1918.
00:49:27.19
Manuel
1918 wurde das Deutsche Reich ja nicht besetzt, nicht vollständig. Wir haben zwar das Rheinland, wir haben das Saarland aus verständlichen Gründen, aber ansonsten blieben dann doch die Regierung sehr autonom und konnte dort eben handeln. Was wir dann auch sehen, ein Unterschied ist ja auch die Blockkonfrontation.
00:49:48.03
Manuel
die ja, wenn wir uns jetzt das anschauen, was den Verbleib der Nazis angeht nach 1945, die ja dann auch sehr schnell wieder zurückfanden in eben entscheidende Positionen, weil es ohne sie nicht ging, weil eben in der Blockkonfrontation mit der Sowjetunion, dem Beginn den Kalten Krieg, diese Leute eben gebraucht wurden, zum Beispiel beim Aufbau der Bundeswehr in den 50er Jahren. Ja, also weil eben diese die Kompetenz natürlich aus der Wehrmacht mitbrachten.
00:50:13.81
Manuel
Und das lief ja alles so gut, dass die Alliierten dann auch ihre Endnazifizierungsprojekte ja dann auch so ein bisschen haben auslaufen lassen. Wäre es so gewesen, dass es da eine Deutschstoßlegende als Motivation gegeben hätte, dann wäre ich mir ziemlich sicher, dass das die Alliierten nicht gemacht hätten. Dass sie auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten eben in der Endnazifizierung diese Leute auch ausgeschaltet haben, weißt du, die eben
00:50:40.83
Manuel
das destabilisiert hätten, was neu entstanden ist. Und dann natürlich ein letzter Punkt, wir müssen es ansprechen, das Thema NS-Verbrechen. Das ist auch etwas, was es nicht gab. Natürlich haben wir den Schrecken im ersten Weltkrieg, das Kaiserreich,
00:50:55.13
Manuel
was ja als erste Gas einsetzte, zum Beispiel, als Kriegsverbrechen in dem Sinne. Aber wir haben ja nicht diese Morde, wir haben ja nicht den Holocaust, wir haben nicht diese Massenerschießungen in Polen, in der Sowjetunion, auf dem Balkan.
00:51:14.34
Manuel
dieser Gewaltexzess, der sich ja bis nach Ausschütztern trug. Das war ja alles nicht da, mal 2018. Und das wäre aus meiner Sicht ebenfalls auch
00:51:26.95
Manuel
im Rahmen einer solchen deutsch-russischen 2.0, eben etwas gewesen, wo die Menschen gesagt hätten, nein, Moment. Also das war damals doch etwas anders. Es ist gut, dass sie es getan haben, dass sie die Führungselite des Nationalsozialismus ausgeschaltet haben. Da bin ich eigentlich der festen Überzeugung von.
00:51:48.12
Manuel
Und das Vierte vielleicht, wenn mir nicht fällt gerade ein und wir müssen ja auch sehen, dann die Verfassung, die sich dieser Staat gegeben hat, die Bundesrepublik. Dann im Osten als DDR nochmal auch eine eigene, aber wir reden ja in der Regel in der geschichtlichen Betrachtung dann immer über die alte Bundesrepublik.
00:52:08.46
Manuel
Es ist ja so, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes viele Fehler, die die Weimarer Verfassung, die Reichsverfassung hatte, eben auch berücksichtigt haben und eben nicht gemacht haben. Also zum Beispiel dieser Widerstreit zwischen Reichspräsident und Parlament.
00:52:25.76
Manuel
in der Weimarer Republik. Das ist ja bei uns klar geregelt. Der Bundespräsident hat bei uns ja in der Verfassung auch nur rein repräsentative Aufgaben. Damals hatte er ja sehr weitgehende Kompetenzen. Es war ja eigentlich ein Streit um die Richtlinienkompetenz zwischen Reichskanzler und Reichspräsident. Und ja, wir sehen das ja dann mit Paul von Hindenburg.
00:52:50.84
Manuel
der eben leider, der auch eben ein Anhänger dieser Dolchstoßlegende war und auch kein Luke-Meiner-Demokrat, du hast es ja angesprochen, das Zitat, dann eben diese Notverordnung genutzt hat, um eben die Demokratie da auch auszuhöhlen und gegen das Parlament zu regieren. Das alles wäre auch nicht passiert in einem unsern fiktiven Szenario. Der Krieg wäre am 21. Juli 1944 zu Ende gewesen.
00:53:22.27
stefansasse
Ich sag das vielleicht mal von hinten kurz auf, Zäume ist auf, Entschuldigung, mach ganz kurz diese Weimar-Diskussion. Ich würde bei weitem diese sogenannten Konstruktionsfehler der Verfassung nicht so hochhängen. Ich empfehle aber denjenigen, die an der Debatte interessiert sind, da gibt es auch eine Bohrleute-Episode, da habe ich mit dem Julian Wagner darüber gesprochen, was waren es eigentlich die tatsächlichen Gründe für den Untergang von Weimar. Die Diskussion möchte ich an der Stelle nicht nochmal aufwärmen.
00:53:26.94
Manuel
Ja.
00:53:47.30
stefansasse
Ich würde stattdessen auf diese Kriegsverbrechensgeschichte gehen. Da bin ich bei weitem nicht so optimistisch wie du. Weil wir haben nach dem zweiten Weltkrieg eine ganz weit verbreitete Abstreitung und Leugnung dieser Kriegsverbrechen. Das geht bis in die 40, 50 Prozent der Bevölkerung rein. Das nimmt zwar relativ schnell ab, aber nichtsdestotrotz ist die Stimmung nicht so, und zwar nach der totalen Niederlage, wie wir sie quasi in OTL haben,
00:54:16.82
stefansasse
also in der in der echten Zeitlinie sozusagen, dass da tatsächlich eine große Reue oder ein großes Einsehen oder so gewesen wäre. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das durch die umstände einer bedingungslosen Kapitulation während der totale Sieg mit Wunderwaffen und haste nicht gesehen theoretisch gesehen noch imaginierbar ist, dass das
00:54:41.94
stefansasse
dass das bessere Bedingungen dafür gewesen wären. Ich halte es für wesentlich wahrscheinlicher, dass diese Verbrechen deutlich emphatischer abgestritten worden wären und dass darüber eine ganz andere Debatte stattgefunden hätte. Wir haben da quasi zwei gegeneinander laufende Linien, weil auf der einen Seite würde das dazu führen, dass wir viel mehr Beweise finden.
00:55:07.52
stefansasse
weil ja quasi die ganzen Vernichtungslager zu dem Zeitpunkt, die waren ja noch aktiv. Also wenn wir da wirklich annehmen, die unterzeichnen quasi direkt eine Kapitulation oder zumindest relativ schnell und wickeln die nicht ab und versuchen quasi das gleiche Vertuschungsmanöver, was die Nazis versucht haben. Und Klammer auf, ich würde fast annehmen, dass die das versucht hätten, Klammer zu. Aber es nehmen wir einfach mal an, das passiert nicht und wir haben quasi diese Belege und dann werden die Nürnberger Prozesse
00:55:10.71
Manuel
Das war’s für heute.
00:55:36.10
stefansasse
werden dann deutlich stärker unter dem Eindruck dieser Geschichte geführt. Ich bin einfach skeptisch, dass das so akzeptiert wird. Ich fürchte, diese etwas teleologische Ansatz, die Geschichte vom Ende her zu denken, der schlägt an der Stelle ein bisschen rein in diese Argumentation.
00:55:54.77
stefansasse
darf echt nicht von unserem heutigen Umgang mit dem Holocaust oder auch dem von vor 30, 40 Jahren ausgehen, sondern wir müssen schon den Umgang mit dem Holocaust aus den späten 40er und frühen 50er Jahren nehmen. Und der ist jetzt kein Ruhmesblatt der Bundesrepublik, um es mal milde, oder der DDR sowieso nicht.
00:56:13.80
stefansasse
Aber da bin ich wesentlich skeptischer als du, dass das gewissermaßen hätte zu einer Art Gründungsmythos des neuen deutschen Staates werden können. Ich glaube eher, das wäre schlimmer gewesen, was das anbelangt.
00:56:28.68
Manuel
Ja, richtig vom Ende her denken, das ist an der Stelle nicht richtig. Ob es jetzt 50-50 war, wie du sagst, weiß ich nicht, fehlen mir jetzt die ungefähr, okay. Also wenn wir schauen, wie wurde das Attentat in den 50er Jahren in einer Umfrage beleuchtet, da war es so eine Drittlung. Also ein Drittel hatten irgendwie keine Meinung bzw. wollten sich nicht äußern. Ein Drittel fand es gut und ein Drittel fand es schlecht.
00:56:57.52
Manuel
Vaterlandsverräter und so weiter. Also genau diese Motive, die du ja dann auch sagst, die ja da mit reinspielen. Sie haben Deutschland verraten. Verrat an unserem Vaterland. Ich bin da, wie gesagt, aufgrund dieser Besonderheit des Holocaust ein bisschen kritischer. Natürlich
00:57:21.73
Manuel
Es ist aber auch so, dass wir sehen müssen, es hat sich ja im Zeitverlauf zumindest sehr schnell geändert und wir müssen da jetzt auch, glaube ich, wir treten auch gerade, um da diesen Zeitkrieg aufzumachen, wir treten auch gerade in einer Zeit an, wo wir sagen müssen, naja, wir haben uns so lange auf die Schulter geklopft, was die Aufarbeitung des Holocaust angeht, was den Antisemitismus angeht.
00:57:42.46
Manuel
Wir sehen heutzutage, naja, irgendwie haben wir doch irgendwie das nicht ganz richtig gemacht und wir sollten vielleicht uns da nicht allzu sehr auf die Schulter klopfen, weil wir eben auch in der Nachkriegszeit da auch manche Dinge ausgeblendet haben und verdrängt haben. Aber das nur dazu. Aber dennoch glaube ich, wie du es sagst,
00:58:03.14
Manuel
Infrastruktur des Massenmords, die wäre ja noch da gewesen. Die Konzentrationslager kommen ja auch in dem Pamphlet quasi oder in dem Regierungsprogramm der Verschwörer ja vor. Die sollten nämlich unverzüglich geschlossen werden. Das Morden sollte beendet werden. Also das ist etwas, was sie nicht versteckt haben und sie wussten ja auch, dass sie existiert. Das war eine Kernmotivation der Verschwörer, eben diese Konzentrationslager zu schließen.
00:58:32.21
Manuel
zu zerstören, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hätten sie dazu auch keine Zeit gehabt. Wahrscheinlich hätten das vielleicht dann die Täter vor Ort dann noch gemacht in Eigenregie, sofern sie eben nicht verhaftet oder festgesetzt worden wären. Aber ich glaube, dass das noch mal, auch mit dem du sagst, mit den Prozessen, den Nürnberger Prozessen,
00:58:51.84
Manuel
dass das noch mal auf die Bevölkerung ganz anders gewirkt hätte. Weil eben diese Unvermeidbarkeit eben da ist. In der totalen Niederlage, da war es ja dann wirklich so, dass jeder auch gar keine Gedanken mehr hatte, sich irgendwie zu beschäftigen, was war denn jetzt gerade. Da ging es ja wirklich darum, bis 49, bis 50, bis 51 durch die Winter zu kommen.
00:59:18.64
Manuel
Die Familien waren ausgebombt, jeder hatte irgendwie auch einen Opfer zu beklagen. Es ging darum, Nahrung zu organisieren, Schwarzmarkt und so weiter. Und wenn wir sagen, wir haben ein Datum, den 21. Juli, dann wäre vieles intakt. Familien wären mehr intakt gewesen, Infrastruktur wären intakt gewesen, Wohnungen. Die Versorgungslage wäre möglicherweise besser gewesen.
00:59:44.34
Manuel
Was dann eben auch Informationslage wäre besser gewesen. Viele Punkte, die dann eben auch eine Beschäftigung damit ermöglicht hätten, weil man dann, ich sag’s jetzt mal salopp, den Kopf mehr frei gehabt hätte, als es eben, man sagt es zwar in der deutschen Geschichte immer die Stunde Null, es gibt keine Stunde Null, aber eben Stunde Null sagt ja eben die totale Niederlage, man ist überwältigt und kann überhaupt erst mal gar nicht nachdenken, was war denn eigentlich die Wege in diese Katastrophe.
01:00:13.01
stefansasse
Ja, die Punkte sehe ich durchaus. Also ich finde es vor allem wichtig an der Stelle, was du gerade betont, dass die eben die Konzentrationslager zumindest, die Vernichtungslager bin ich unsicher, aber zumindest die Konzentrationslager anerkannt haben und das quasi als expliziten Schandfleck und als Regierungsprogramm teil reingenommen haben. Das sind wir wieder bei dieser Würdigung der Verschwörer des 20. Juli als die rein moralische Motivation sozusagen, wenn man die politische völlig beiseite, allein das ehrt die in einem Ausmaß.
01:00:40.52
stefansasse
dass es wieder völlig berechtigt macht, dass man an die erinnert. Ich muss auch ehrlich sagen, ich habe auch wenig Geduld mit diesen Leuten, die beim Revisionismus viel zu weit gehen. Und dann quasi sagen, das sind Antidemokraten, derer dürfen wir quasi gar nicht gedenken. Das ist Quatsch.
01:00:51.95
Manuel
Ja, das Schwarz-Weiß-Denken eben.
01:00:54.44
stefansasse
Genau, genau. Also damit die einfach ganz deutlich machen, in dem Camp sehe ich mich nicht. Ich denke, die haben halt eben ein etwas schwierigeres, ein mehr differenziertes Verhältnis, das wir an der Stelle eben haben. Und ja, ich finde deine Punkte gar nicht so unüberzeugend, muss ich ehrlich sagen. All das läuft quasi als
01:01:16.48
stefansasse
wenn man das als Buchhaltung sozusagen aufmacht, also welche Aspekte sind grundsätzlich positiv in diesem Fall, dann kommen die da alle rein. Das ist alles auf der haben Seite eines erfolgreichen Attentats sozusagen. Ich denke, wir haben halt auf der anderen Seite die Punkte, die ich schon angesprochen habe, die sind sozusagen auf der soll Seite.
01:01:34.43
stefansasse
Wir haben beides. Ich glaube, wir haben da gar keinen so großen Widerspruch, sondern wir betonen nur unterschiedliche Aspekte. Ich bin ein bisschen pessimistischer und betone deswegen die Soll-Seite stärker. Du bist ein bisschen optimistischer und betonst die Haben-Seite stärker. Ich bin aber völlig bei dir, dass diese Haben-Punkte existieren.
01:01:43.63
Manuel
Mhm.
01:01:50.61
stefansasse
Und wie du schon sagst, die Geschichte verläuft nicht gerade oder sowas. Man kann das nicht einfach quasi sagen. Auch all diese kontrafaktischen Experimente, die werden ja immer unbeweisbar sein, letzten Endes. Wir debattieren das ja hauptsächlich deswegen, um uns über die Variablen überhaupt erst mal bewusst zu werden. Dass man über die überhaupt nachdenkt.
01:02:14.87
stefansasse
Und in unserer Wertung sieht man dann ja letzten Endes auch eine Spiegelung unserer Haltung zu der jeweiligen Zeit. Ich glaube, ich habe einfach insgesamt eine weniger freundliche Sicht auf diese Zeit und auf die Leute, die da drin agiert haben als du, was wie gesagt völlig fair ist. Aber ich denke, da kommt viel von unserem Dissens bei dieser Frage her.
01:02:30.04
Manuel
Gut.
01:02:39.05
stefansasse
Ich bin deswegen eher bereit sozusagen in diese Richtung zu denken, dass ein erfolgreiches Attentat des 20. Juli zu einer langfristig für die deutsche Demokratie und die deutsche Gesellschaft negativen Effekt führt. Und mir ist dabei völlig klar, was das für eine ethisch
01:03:05.99
stefansasse
perverse Fragestellung ist. Einfach, weil da so viele Menschenleben dranhängen. Ich glaube, das ist eine Fragestellung, die können wir überhaupt erst aufwerfen, weil wir so weit davon entfernt sind und weil diese Menschen mittlerweile ja praktisch, also die ganzen Überlebenden sozusagen, also jeder, der die persönlich kannte, ist ja mittlerweile tot effektiv. Da gibt es ja nur noch ganz, ganz wenige
01:03:10.06
Manuel
Ja.
01:03:26.88
stefansasse
Überlebene. Und ich glaube, das ist so ein bisschen überhaupt der Grund, warum wir über diese Frage nachdenken können. Ich glaube, hätten wir die vor 30 Jahren oder sowas gestellt, hätten diverse Leute gesagt, habt ihr euch noch alle. Das ist so dieser typische Effekt bei Geschichte generell, dass je weiter man davon weggeht, desto unwirklicher werden ja auch Tod und Leid in diese Geschichte.
01:03:48.64
stefansasse
In manchen Beziehungen ist das zum Guten, weil man eben bestimmte Dinge dann ohne die Emotionen bedenken kann, ja gerade die Aufarbeitung des Holocaust und der Rolle der Leute, die Rolle der Wehrmacht, der C3er, das war ja alles immer völlig unmöglich vernünftig zu debattieren, solange die alle noch da waren. Aber auf der anderen Seite kann man zumindest mir dann glaube ich auch gut den Vorwurf machen, an der Stelle vielleicht ein bisschen arg.
01:04:09.86
stefansasse
großzügig quasi über das Leid rüber zu gehen. Du merkst schon, ich finde es eine wahnsinnig schwierige Debatte, bei der einmal mehr zwei Seelen da wirklich in meiner Brust miteinander ringen. Also ich als Nachgeborener, der keine Familienmitglieder in dieser Zeit verloren hat,
01:04:16.77
Manuel
Das ist so, das ist so.
01:04:28.97
stefansasse
bin, glaube ich, mit den Geschehnissen glücklich. Das wäre allerdings für Leute, die da mehr persönliche Betroffenheit haben, vermutlich eine ganz, ganz andere Geschichte. Und das ist wirklich der Punkt, um den sich das Ganze dreht. Ich hoffe, das ist so halbwegs verständlich, was ich meine.
01:04:47.79
Manuel
Ja, absolut. Das ist ja, also wenn wir das aufmachen, wir können das ja eigentlich, wir können eigentlich noch eine weitere Ebene hinzufügen, indem wir sagen, okay, es hätte dann vielleicht irgendwann die Demokratie dann destabilisiert. Du hast es ja dann gesagt, okay, dann hätte sich vielleicht diese Ansicht durchgesetzt, da wurden wir wieder verraten.
01:05:10.48
Manuel
Was wäre denn dann passiert, wenn also dieses System dann Demokratie abgeschafft worden wäre in dieser fiktiven Welt? Wie viele Tote hätte dieses dann produziert, dieses auf Rachsucht ausseidende Regime? Dann könnten wir ja erst das bewerten, was wir gerade getan haben. Verstehst du? Also wir können ja erst auf die erste Ebene bewerten, wenn wir die zweite Ebene, also was wäre in unserem Szenario dann
01:05:35.30
Manuel
die Alternative zur Demokratie, zur friedlichen parlamentarischen Demokratie gewesen, wie wir sie heute erleben. Also das zum einen und zum anderen. Im Zweiten Weltkrieg sprechen wir über 55 bis 60 Millionen Tote. Das ist eine unvorstellbar große Zahl. Und je größer die Zahlen werden, wir kennen ja auch das Diktum von Stadion, desto mehr wird es eine Statistik. Jetzt ist es natürlich so, für uns jetzt
01:06:05.30
Manuel
Du sagst es, bei dir und deiner Familie gab es da keine Opfer. Man muss ja sagen, Tätervolk ist auch ein sehr schwieriges Wort. Aber nun mal, der Krieg ist ausgegangen aus Deutschland. Dieser Verantwortung müssen wir uns ja bewusst sein. Ich tummele mich dann aber immer sehr schwer.
01:06:23.44
Manuel
bei Familien jetzt meinetwegen in den besetzten Gebieten, in Polen, in Frankreich, die eben nach diesem Attentat Angehörige verloren haben, Besitz verloren haben, vertrieben wurden und so weiter.
01:06:37.57
Manuel
weil die können in dem Sinne nichts, da ist wirklich die pure Unschuld. Also das ist etwas, was ich sehr schwierig finde und ich sehe da, dass du das auch nicht ganz ausblendest, aber eben höher Gewicht ist, dass von einem wieder erneut destabilisierend wirkenden deutschen Demokratie eben dann doch wieder mehr Gefahr ausgegangen wäre in einer fiktiven Zukunft.
01:07:03.28
Manuel
sehe ich das aber, dass du das auch würdigst. Aber für mich ist das eben etwas, wo ich sage, aus dieser Perspektive, es gibt keinen Automatismus, keine Abfolge, nur weil ein Attentat dann passiert wäre, nur dass dann welche gesagt hätten, es gibt jetzt hier wieder einen erneuten Deutschstoß, wir müssen wieder zu neuer Stärke finden, wir müssen uns rächen.
01:07:23.63
Manuel
Erst an denen im Inland und dann wieder an den Anglo-Amerikanern, an den südischen Welt-Bolschewikentum, blablabla, was ja die NS-Propaganda sagte. Das sehe ich eben nicht. Ich sehe keinen Automatismus in diesen Stufen. Und ich glaube, das ist auch noch so dann vielleicht irgendwie so als Abschluss dann irgendwie so ein Unterschied. Ja, ich bin da optimistischer.
01:07:48.34
Manuel
Aber wir haben beide dafür gute Gründe, das zu sein und ich glaube, das muss dann jeder für sich selbst aufdröseln und entscheiden.
01:07:58.54
stefansasse
Ja, also ich sehe auch keinen Automatismus, möchte ich ganz klar hinzufügen. Ich denke, die wirklich krasse Desavouierung von Krieg als Mittel zum Erreichen von Zielen, die wir in ganz Europa, aber wirklich speziell in Deutschland haben, die ist ein Produkt der totalen Niederlage.
01:08:15.54
stefansasse
Das wäre mit Sicherheit etwas abgedämpfter gewesen, wenn der Krieg 44 endet, aber ich gehe trotzdem davon aus, dass wir nicht so eine Vulgärversion schreiben können, dann fängt Deutschland-Deutschland-Legende II und dann Revisionskrieg III sozusagen an. Das glaube ich tatsächlich nicht, weil ich kann mir nicht vorstellen, auch auf dem Stand von 44, dass da viel Appetit übrig gewesen wäre, wie in der Weimarer Republik, wo ja so ein gutes Drittel, würde ich mal sagen, der Bevölkerung durchaus empfänglich war.
01:08:18.98
Manuel
Ja.
01:08:45.52
stefansasse
für die Idee eines Revisionskrieges, das sehe ich für 1944 folgende tatsächlich nicht. Also diesen Automatismus, definitiv, da bin ich völlig bei dir, den kann man nicht annehmen. Also ich sehe die Gefahr weniger darin, dass wir ein revisionistisches Deutschland kriegen, das dann den dritten Weltkrieg plant. Ich sehe eher, ich denke das eher innenpolitisch. Also ich denke ein
01:09:11.15
stefansasse
Ein Deutschland, wenn wir die Blockkonfrontation einfach mal als gegeben annehmen und die deutsche Teilung, dann wäre auch dieses neue, vermutlich etwas aggressivere und rechtere Deutschland in die Blockstrukturen eingebunden gewesen. Ich sehe das dann eher wie so ein Frankospanien oder sowas als Teil der NATO. Ich denke, die Konsequenzen wären hauptsächlich innenpolitischer Natur.
01:09:32.72
stefansasse
Also einfach, dass wir eine wesentlich aggressivere und gespaltenere Atmosphäre hätten zwischen quasi der, ich nenne es mal die Verräterfraktion auf der einen Seite, also die, die quasi das Attentat und alles, was danach kommt, grundsätzlich gut finden und auf der anderen Seite diejenigen, die sagen, das war komplett falsch und es hätte anders laufen können und müssen sozusagen. Ich glaube, dieser Konflikt, den gab es ja in der Bundesrepublik fast nicht, der war ja unglaublich gedämpft und unterdrückt und ich denke, der wäre wesentlich aggressiver.
01:09:42.19
Manuel
Ja.
01:10:02.72
stefansasse
gewesen.
01:10:03.61
Manuel
Ja, das ist ja auch etwas, was sehr lange, muss man ja sagen, außergewöhnlich lange, die deutsche Demokratie, also die Demokratie der Bundesrepublik, muss man sagen, weil man nachher publik ausgeklammert, ja auch stabilisiert hat, was wir eben sehen, was jetzt so langsam dann doch an Bindungskräften verliert, weil eben Überlebende sterben, weil eben
01:10:25.44
Manuel
die Distanz zunimmt, weil die Zerstörungen im Alltag, die Gebäude werden neu gebaut, saniert. Das wird ja auch immer vergessen, wie lange man eigentlich wirklich Kriegsschäden in deutschen Städten sehen konnte. Das ging bis in die 70er, 80er Jahre rein. Das war ja nichts, was sofort irgendwie dann
01:10:42.69
Manuel
neu gebaut wurde. Und das macht ja auch etwas mit den Menschen. Die sehen dann jeden Tag, siehst du, dahin führt es, wenn du jetzt diesem Extremisten folgst. Das alles fällt jetzt weg. Und wir haben in der parteingeschichte, parteingeschichtlich in der Bundesrepublik eine außergewöhnlich lange Zeit erlebt, wo wir einen sehr geringen Anteil hatten von extremistischen Parteien. Wir hatten zwischendurch natürlich immer mal wieder jemanden,
01:11:08.39
Manuel
Republikaner und so weiter zum Beispiel, die sich aber nie festsetzen konnten und jetzt mit der AfD haben wir zum Beispiel jetzt wirklich eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei, muss man sagen, die sich auch sehr festgesetzt hat, mit hohen Stimmanteilen, was aber in unseren europäischen Nachbarn normal ist und das nicht erst seit gestern, sondern eben schon seit mehreren Jahrzehnten.
01:11:33.10
Manuel
bei uns in Deutschland, das würde ich dir zustimmen aus deiner Sicht heraus. Das hat diese Erfahrung der totalen Niederlage verhindert und sehr lange dann auch stabilisiert. Plus natürlich dann auch das Wirtschaftswunder.
01:11:33.54
stefansasse
Ahem.
01:11:47.31
Manuel
was auch keine Wirtschaftszone da war, wenn man das geschichtlich betrachtet, das hatte schon seine Gründe, seine Folgen. Aber das hat natürlich auch sehr viel befriedet, Wohlstand geschaffen für die Menschen, die sie vorher noch nie hatten, weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik, noch im NS-Regime, sowieso nicht.
01:12:04.84
Manuel
Das muss man alles mitdenken. Ich bin da, wie gesagt, etwas optimistischer. Ich glaube, vielleicht wäre die Zeit, in der man sich abgewendet hätte von diesem NS-Regime, vielleicht etwas länger gewesen in der Bevölkerung innenpolitisch.
01:12:24.53
Manuel
Wenn es dieses Attentat geglückt wäre, wenn es daraufhin einen Friedensschluss gehabt gegeben hätte. Aber ich glaube, aufgrund dieser ganzen großen Themen, die wir auch angesprochen haben, Blockkonfrontation, DNS-Verbrechen, dann das Thema komplette Besatzung der Alliierten, wirklich auch Durchdringung der Gesetzgebung, auch die Erfahrung, eine neue Verfassung zu schreiben, neue Organe, einen neuen Staats aufzubauen, in Westdeutschland zumindest, der demokratisch ausgerichtet ist,
01:12:53.73
Manuel
Das alles hätte das doch, glaube ich, eingehegt und hätte das dann doch befriedet. Es wäre dann auch nicht so eskaliert. Das sagst du zwar auch nicht, aber das ist ja immer das, was mitschwingt. Es wäre genau das Gleiche passiert wie im Kaiserreich. Aber ich glaube, das wäre alles etwas ruhiger abgelaufen, etwas langsamer. Aber an und für sich wäre die Entwicklung dann doch relativ gleich gewesen.
01:13:18.64
Manuel
Ich glaube eben nicht, dass dieses Bild, wir kennen das ja, das letzte Bild des Führers, wie er da irgendwie in seiner Reichskanzlei steht und sein Adjutant irgendwie guckt so durch die durchgebombte Decke irgendwie nach oben, dass das unbedingt nötig war, jetzt ikonografisch unbedingt nötig war, damit wir in Deutschland quasi zur Besinnung kommen.
01:13:43.44
Manuel
ja, zur Besinnung kommen und uns von unserem Machtstreben, von unserem Expansionismus, der sich ja gekennzeichnet hat, seit dem Kaiserreich eben dann doch distanziert haben. Sehe ich eben nicht, aber nun gut, wir müssen da ja auch nicht das Gleiche sehen.
01:13:59.58
stefansasse
Dann lassen wir das doch als ein schönes Schlusswort stehen. Ich danke dir ganz, ganz herzlich für diese sehr anregende Diskussion. Ich hoffe, es war auch für unsere HörerInnen entsprechend spannend. Und wir werden mit Sicherheit weiter über das Erbe-Staufenberg streiten. Und ich glaube, es ist auch gut, dass wir das tun, eben weil wir dadurch unsere Argumentationsfähigkeiten ja auch schärfen. Und wie üblich ergeht natürlich der Aufruf an alle HörerInnen, wenn ihr Lust habt, diskutiert gerne in den Kommentaren, wo ich das im Blog veröffentliche mit Transkript und allem Drum und Dran.
01:14:29.41
stefansasse
diskutiert er gerne mit. Lasst uns wissen, was ihr davon der Lage haltet, empfiehlt den Postkurs weiter, bewertet ihn mit 5 Sternen und so weiter und so fort. Ihr wisst, wie es läuft. Vielen Dank dir Manuel und bis zum nächsten Mal.
01:14:39.62
Manuel
Vielen Dank für die Einladung. Bis dann.
Wie ihr mE richtig feststellt, ist auch die kontrafaktische Erörterung für den Umgang in der Erinnerung von Bedeutung.
Wie habt ihr die offizielle Gedenkstunde zum 80. Jahrestag erlebt? Ich habe das kaum ausgehalten und abgeschaltet.
Hab sie nicht geschaut. Was war so schlimm?
Eine Veranstaltung im Stil einer Heldenverehrung/Trauerfeier mit getragen-feierlichen Reden und (in meiner Wahrnehmung) aufgesetzter Betroffenheit. Aber da die Jüngeren ohnehin nicht mehr fernsehen, ist das wahrscheinlich auch egal.
Also ich schau keines 😀
Zum Thema empfehle ich dir dieses Buch:
https://www.amazon.de/21-Juli-Christian-von-Ditfurth/dp/342662415X
Alternative Timeline Roman (von der sachkundigen Sorte), in dem das Attentat gelingt
Der Roman ist historischer Sondermüll. Deutschland war 1944 Lichtjahre von irgendeiner Art einsetzbarer Atomwaffen entfernt – es konnte noch nicht einmal ausreichend spaltbares Material für eine „schmutzige“ Atomwaffe herstellen, geschweige denn, den aufwendigen Zündmechanismus für eine echte. Was alleine das ganze Romanszenario zu reiner Science Fiction macht.
Gruss,
Thorsten Haupts
Das Uranprojekt (Heisenberg, Wirtz, Weizsäcker) war wegen zwei Faktoren erfolglos:
1) Der Fokus auf eine stabile moderierte Kettenreaktion in einem dauerhaften Reaktor. Nach einer Explosion im Leipziger Reaktor 1942 wurde nur noch Gussuran verwendet. Robert Jungk spekuliert in „Heller als 1000 Sonnen“, dass diese Orientierung aus ethischen Gründen geschah (Gespräche zwischen Heisenberg und Bohr).
2) Die Versorgung mit schwerem Wasser und spaltbarem Uran. Nach der Sabotage einer Produktionsstätte in Norwegen durch eine britische Kommandoaktion 1943 wurde die Produktion nach Deutschland verlegt. Im Herbst 1944 versiegte auch diese Quelle, da die Degussa- und Leuna-Anlage zur Anreicherung aufgrund Bombardements ausfilen.
3) Kein Thema ist der von Ihnen erwähnte Zünder. Der „Zündvorgang besteht darin, zwei (oder mehr) unterkritische Massen zusammenzubringen. Beim Manhattan Projekt wurde die kritische Masse (56 kg) ermittelt, indem zwei Halbkugeln an einer Schiene aufeinander geschoben wurden. [Vermutlich denken Sie an die Wasserstoffbombe, die zum Erreichen der „Betriebstemperatur“ so viel Energie benötigt, dass der „Zünder“ eine ’normale‘ Atombombe ist]
Aber das sind alles keine Kipppunkte, die ein Autor im Rahmen spekulativer Fiktion nicht auch glaubwürdig anders laufen lassen kann.
Noch einmal: Nach Einschätzungen von Militärhistorikern war Deutschland weit entfernt vom Bau einer einsatzfähigen Atomwaffe. Das lässt sich auch spekulativ nicht glaubwürdig beseitigen.
Überblicksartikel zur deutschen Atombombenentwicklung hier:
https://www.osti.gov/opennet/manhattan-project-history/Events/1942-1945/rivals.htm
Überblicksartikel zur extrem komplizierten und langwierigen Entwicklung eines tauglichen Atombomben-Zündmechanismus hier:
https://www.osti.gov/opennet/manhattan-project-history/Events/1942-1945/implosion_necessity.htm
danke für die Links, das ist eine sehr interessante Quelle.
Beim Zünder müssen Sie aufpassen: Das von Ihnen verlinkte Design beschreibt die Plutoniumbombe („Fat man“). Die Uranbombe („Little boy“) wurde mit einem einfachen „Gun design“ Zünder ausgelöst :
https://www.osti.gov/opennet/manhattan-project-history/Science/BombDesign/gun-type.html
Dieser war aus einem Grund nicht mit Plutonium möglich: Das kurzlebige Plutonium 240 hätte eine vorzeitige „fizzle“-Zündung produziert. Deshalb die komplizierte Kompression einer unterkritischen Masse.
Sie haben an dieser Stelle Recht.
Zu jeder kontrafaktischen Annahme gibt es auch eine kontrakontrafaktische Möglichkeit und dazu wiederum ein anderes Kontra usw. usw.
Da die Anzahl der möglichen Variablen gegen unendlich geht indem schon kleine Weichenverschiebungen an dieser oder jener Stelle kontrafaktischer Erzählungen wiederum Myriaden von erneuten alternativen Szenarien eröffnen, stellt sich die Frage: Wass soll das ? Mir jedenfalls.
Fängt schon damit an, dass auch für den Fall „Hitler tot“ keineswegs klar ist, ob und wie die Rechnungen der Verschwörer aufgegangen wären. Vielleicht hätten wegen Dilettantismus, ideologischer Differenzen oder oder, oder Himmler, Goebbels oder sonst wer leichtes Spiel gehabt und die Oberhand an sich gerissen. Wieso soll man die Entmachtung hitlertreuer Kräfte als selbstverständlich annehmen und einen Hitlernachfolger ähnlicher Machart (Interessenten hätte es wohl genug gegeben) oder eine Art Junta oder, oder oder, jedenfalls eine Art „weiter so“, ausschließen ?
Wenn man mit diesem Quatsch mal angefangen hat, befindet man sich im Romanhaften. Plausibilitätsbeschränkungen sind nicht begründbar – solange man sich an die Naturgesetze hält.
Zitate:
“ 00:13:13.51 stefansasse
Und das ist üblicherweise der Punkt, wo wir in die Probleme mit Stauffenberg reinkommen. Weil der Mann war jetzt nicht gerade, um einen alten Bundeskanzler zu zitieren, ein lupenreiner Demokrat. Dasselbe gilt im Übrigen, und das noch als kleine Seitenbemerkung, auch natürlich für diese ganzen kommunistischen Widerständler, die in der Bundesrepublik sehr gerne unter den Tisch gekehrt werden. Das ist was,
00:13:21.36 Manuel
Vielen Dank für’s Zuschauen.
00:13:35.30 stefansasse
Die gab es ja auch. Es gab sogar relativ viele Leute, die Rote Kapelle ist davon das berühmteste, die quasi versucht haben, aus kommunistischer Perspektive Widerstand zu leisten. Aber was die wollten, war eine totalitäre kommunistische Diktatur. Auch damit tut man sich an und für sich hier in der Bundesrepublik aus mehreren Gründen “
Warum die KD (künstliche Doofheit) an dieser Stelle und dann an anderer Stelle noch mehrfach wiederholt dieses bizarre „Zitat“ („vielen Dank fürs Zuschauen“) von Manuel offenbar mal so ebend erfindet und reinschiebt weiß ich auch nicht. An anderer Stelle heißt’s: „Das war’s für heute“, obwohl es dann noch weitergeht. KI/KD hat anscheinend auch Lust auf Kontrafaktik – mit humoristischer Komponente.
Aber das mit der Roten Kapelle (ein „Arbeitsbegriff“ der Gestapo) ist so im Podcast gesagt worden – und der Kommunismus-Verdacht ist kontrafaktisch^.
Es handelte sich um verschiedene Kreise, die untereinander – anders als in der Nazi-Version angenommen – wenig oder gar nicht in Verbindung standen. Das „Kommunistische“ ist an dieser Stelle eine Legende der Nazis ebenso wie die Annahme einer Einheitlichkeit unter diesem Gestapo-Oberbegriff.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Kapelle
Ansonsten natürlich profaktisch danke an die beiden Bohrleute 🙂
Die allgemeine Sichtweise ist doch: Wäre das Attentat gelungen, alles wäre gut geworden. Das in Frage zu stellen, ist die Mühe wert.
Danke!
Na ja. Das Misslingen hat einige Milionen Tote gekostet, sowohl Soldaten als auch Zivilisten (letztere vorwiegend Deutsche). Deshalb ist die Infragestellung nur dann sinnvoll, wenn sich zeigen liesse, dass aus dem Gelingen des Attentates plus der Machtübernahme der Verschwörer ein grösserer (!) Schaden zwingend oder zumindest wahrscheinlich hervorgegangen wäre. Und das scheint mir nicht gelungen zu sein.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ja, sicher. Aber wie sich die Dinge angesichts der gläubig-fanatisierten Bevölkerung entwickelt hätten, ist unklar. Man muss sich nur den Irrsinn vor Augen halten, dass noch beim Frontverlauf vom Frühjahr 1945 weitergekämpft wurde – und die Einstellungen zum Nationalsozialismus selbst nach der vollständigen Niederlage.
Dazu muss allerdings BEIDES zutreffen, auch das Plus und Letzteres ist alles andere als zwingend.
Dem Stauffenberg – der nach der Invasion in der Normandie seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit „jetzt noch“ hatte – ließ der Tresckow ausrichten:
Das Attentat muss erfolgen, „coûte que coûte“. „Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig. “
Kantianisch-streng wurde da also offenbar keineswegs konsequentialistisch (keine weiteren Tote/Verletzte etc. ) gedacht. Es heißt ja, alles andere ist daneben gleichgültig.
Man kann natürlich sagen: Es ist ganz egal wie verdreht da gedacht wurde (und der Stauffenberg wurde im George-Kreis ja offenbar überreichlich mit Schwachsinn gefüttert), tatsächlich kommt es auf die Konsequenzen an. Sehe ich jedenfalls so. Und dass humanitär ein noch größeres Desaster als das, was zwischen 07/44 und 05/45 tatsächlich noch eingetreten ist, kaum vorstellbar ist, stimmt natürlich auch. Und jedes kleinere Desaster ist/wäre ein besseres.
Keine Ahnung, die Technologie ist noch nicht so 100% tauglich, aber hey, es gibt ein Transkript 🙂
In dem Zusammenhang möchte ich auch noch eine kleine Klarstellung liefern. Ihr erwähnt mehrfach die Verbindungen zum „Kreisauer Kreis“. Es gab zwar einzelne Personen in beiden Gruppen (Yorck von Wartenburg), aber die Gruppe „Kreisauer Kreis“ existierte seit der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 nicht mehr.
Noch etwas, was ich mir nicht verkneifen kann: Eure Exkulpation des preussischen Adels/Militärmilieus ist ein Musterbeispiel für ein „no true scotsman“ Argument: „Sie waren antisemitisch, antidemokratisch, antiliberal, etc..pp, … aber sie waren keine Nazis.“
Sie würden den preussischen Militäradel bei den Nazis einordnen? Staun …
Staunen Sie ruhig. Anders als für heute gibt es für vor 1945 eine hervorragende Definition für „Nazi“: War Mitglied in der NSDAP.
Dann wären die „Exkulpationen“ aus Ihrem ersten Argument allerdings berechtigt. Denn Letzteres waren die meisten aus diesem Personenkreis tatsächlich nicht, namentlich u.a. der Stauffenberg nicht. Parteimitgliedschaft hätte mit dem Ethos der hier angesprochenen Personen auch nicht gut zusammen gepasst.
Ein weites Feld, wie überhaupt die Frage: Welche Voraussetzungen muss jemand erfüllt haben, um als „Nazi“ zu gelten ? Ob die nunmehr öffentlich zugänglichen Karteikästen der NSDAP (nachdem die Amerikaner diese Kriegsbeute zunächst mal behalten hatten und exklusiv nachgucken konnten, was ja womöglich ein nicht unbrauchbares Herrschaftswissen war^) , ob da also „Wahrheiten“ drinstecken ? Ich hab die Antwort nicht 🙁
Reine Parteimitgliedschaft finde ich als Kriterium eher unzureichend.
Das ist exakt das Definitionskriterium für „Nazi“. Natürlich kann man dann differenzieren, wer „Nazi aus Opportunismus“ (Märzgefallene) oder sogar „Nazi wider Willen“ (automatische Mitgliedschaft ohne freiwilligen Eintritt) war. Umgekehrt schließt „Kein Nazi“ nicht aus, dass jemand nicht „Nazi-Sympathisant“ oder „Nazi-Erfüllungsgehilfe“ war. Aber hin und wieder sollte man sich vielleicht auch erinnern, was Worte eigentlich bedeuten.
Kurt Georg Kiesinger war sicher ein Opportunist, aber ein Nazi?
1933 bis 1945 ja, so wie nach 1949 Christdemokrat. Aber das zeigt, was ich unten geschrieben habe. Er hat nicht immer und überall als „Nazi“ gehandelt, sondern sich von Fall zu Fall „durchlaviert“. Manchen NS-Organisationen ist er nicht beigetreten, er hat auch als Jurist Oppositionelle gegen das Regime verteidigt, aber in den meisten Punkten dann doch als „Mitläufer“ gehandelt.
Ja, aber das rechtfertigt IMHO nicht das Label „Nazi“.
Danke. Damit waren dann Angehörige des preussischen Militäradels überwiegend keine Nazis. Schön, dass wir das klären konnten.
Würde ich auch nicht widersprechen, ebenso wenig wie die Gesamtbevölkerung. Aber auch Nicht-Nazis haben (in einem breiten Spektrum von gerne bis komplett erzwungen) sich an dem Nazi-System beteiligt.
Nein, zwischen antisemitischen Grundhaltungen und Holocaust liegen halt nochmal Welten. Genauso wie zwischen antiliberalen Haltungen und KZs, zwischen Nationalismus und Vernichtungskrieg.
Ja. Aber cimourdains Denken entspringt einer langen und medial erfolgreichen Linie bundesdeutscher „Theorie“, die eine ununterbrochene und zwangsläufige Entwicklungslinie von Bismarck und Preussen hin zu den Nazis zog. War in den siebzigern, achtzigern und neunzigern medialer Goldstandard in SPIEGEL und ZEIT. Und da führen Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus – entgegen historischer Evidenz in anderen europäischen Staaten – automatisch und unvermeidbar in Vernichtungslager und Vernichtungskriege.
Gruss,
Thorsten Haupts
Sicher, aber wir sind ja nicht mehr in den 70ern und 80ern. Pass auf dass du nicht denselben Fehler machst und dich in Wiederholungen der damaligen Kulturkämpfe verhedderst.
Die Schritte vom Antisemitismus zum Holocaust sind jeder für sich eine „konsequente Weiterentwicklung“ des Geschehens davor. Antisemitismus – Rassegesetze -staatliche Massenpogrome – Ghetto – Deportation – Haftlager – Vernichtung.
Ebenso deine anderen Beispiele (Warnung verschiedene Zeitskalen) Antidemokratie/Antisozialismus – Aufstandsbekämpfung – politische Morde -Straßenterror – Parlamentsblockade – Ermächtiung – inhaftierung politischer Gegner – Dachau
Nationalismus – chauvinistische Kriegspropaganda – menschenverachtende „Blutmühle“ Grabenkrieg – Dolchstoßlegende – Wiederaufrüstung – Soldatenkult – rassistische Kriegspropaganda – Aushungern einer Millionenstadt.
Im Nachhinein ist es eine Versuchung, dies als Notwendigkeit (wie es Herr Haupts als milden Strohmann anführt) zu betrachten, aber an jedem Punkt hätte jedem Punkt hätten die Gesellschaft / die Elite / die Erfüllungsgehilfen einen Stopp einlegen können.
Und das ist vielleicht die eigentlich wichtige Lektion aus dem 20. Juli: Egal wie tief du in einem System drinsteckst und wie weit sich das schon zu einem Todeskult entwickelt hat, du hast immer die Möglichkeit auszusteigen – auch wenn das Aufstand, Tyrannenmord und bei Scheitern Märtyrertum bedeutet.
Egal wie tief du in einem System drinsteckst und wie weit sich das schon zu einem Todeskult entwickelt hat, du hast immer die Möglichkeit auszusteigen …
Das ist zwar richtig, es entwickeln aber nur sehr wenige Gruppen das dafür notwendige innere Wertegerüst bei ihren Mitgliedern. Vom preussischen Militäradel hätte ich erwartet, dass er eher aussteigt.