Die CDU sieht sich gerne als konservativ. Aber was ist das eigentlich? Der Begriff verfügt schließlich nicht über eine allgemein anerkannte, wasserdichte Definition. Mit dem Berliner CDU-Mitglied aus Leidenschaft Manuel Schwalm spreche ich über die Frage, wie man konservativ heutzutage definiert, ob es das überhaupt noch braucht, welche Rolle die CDU derzeit einnimmt und natürlich über die Einordnung der Kanzlerschaft Angela Merkel.
Shownotes:
- Spiegel: CDU und Klimaschutz
- Tweet: Karneval früher, als er geistreich und witzig war
- Tweet: Wahlentscheidung Berlin
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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))
Fazit: “Konservativ” ist Bewahrung. Also natürlich nur auf den Feldern, bei denen ich persönlich finde, dass bewahrt werden sollte. “Konservativ” ist aber auch Veränderung. Natürlich ebenfalls nur auf jenen Feldern, bei denen ich persönlich finde, dass verändert werden sollte.
Ich stelle mit Erstaunen fest: Ich bin ein Konservativer.
😀 😀 😀
Es ist ja genau diese Flexibilität, die Konservatismus so erfolgreich macht.
Die in Deutschland gängige Verwechselung von Machtpragmatismus mit „Konservativ“ hört nie auf, mich zu faszinieren 🙂 .
@ Thorsten Haupts 4. März 2023, 01:12
Die in Deutschland gängige Verwechselung von Machtpragmatismus mit „Konservativ“ hört nie auf, mich zu faszinieren 🙂 .
Ist ja auch nicht so, dass es auf der „progressiven“ Seite anders wäre. Da weisen Veränderungswille und Beharrungsvermögen nur in eine andere Richtung.
Korrekt.
Das ist in meinen Augen keine Verwechslung.
@ Stefan Sasse 5. März 2023, 11:46
Das ist in meinen Augen keine Verwechslung.
Thorsten gegenüber erklärst Du, dass „Machtpragmatismus“ und „konservativ“ identisch sind. Mir gegenüber bestätigst Du, dass „progressiv“ und „konservativ“ beide machtpragmatisch sind, wenn auch mit unterschiedlichen Veltoren.
Das widerspricht sich doch a weng, oder?
Nur wenn “progressiv” und “konservativ” nicht identisch sind. Wenn ich eine Definition von “konservativ” wähle, die so vage und unbestimmt ist, dass auch der progressivste Progressive noch darunter fällt, löst sich der Widerspruch auf.
(zugegebenermaßen hat man damit natürlich die Begriffe “progressiv” und “konservativ” völlig sinnentleert, was auch meine ursprüngliche Kritik an dem Podcast war, aber das ist ein anderes Problem …)
Ich stimme dir darin zu, dass es bei den Progressiven in eine andere Richtung zeigt. Das ist ja genau das. Einen gewissen Pragmatismus haben beide (sonst wären sie extremistisch), aber eben auf völlig anderen Feldern. Aber der Pragmatismus ist (glücklicherweise!) da.
An der Stelle haben wir’s IMHO wohl mit der berühmten Unterscheidung zwischen strukturkonservativ und wertkonservativ zu tun. Erhard Eppler zum Beispiel brachte „links“ und „konservativ“ in seinem Erinnerungsbuch auf einen Nenner:
https://images2.medimops.eu/product/02ffa0/M03549074654-large.jpg
Auf dem Ideologiemarkt kann man eigentlich immer viel basteln, das ist ja das Schöne dabei. Links/rechts einerseits und progressiv/konservativ andererseits wären also erstmal keine deckungsgleichen Kategorien. Für „früher (also ganz früher) war mal mehr links“, einschl. avant la lettre natürlich, gibt’s ja auch durchaus Argumente.
Unabhängig von „Strukturen“ und „Werten“ entsteht das Problem der Selektivität. Auch Wertkonservative meinen natürlich nicht alle Werte, die es „früher“ schon gab, sondern nur das MOMENTAN Gefällige. In dieser Aktualisierung liegt wiederum was Progressives. Also progressiv-konservativ oder so ähnlich^. Oder wie der große Philosoph Franz-Josef Strauß die Dinge mal eingeordnet hat: „Konservativ heißt, nicht nach hinten blicken, konservativ heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Hmmm….wenn man konservativ und fortschrittlich in eine Soße kippt, gibt’s vielleicht keinen Streit mehr^.
Wie bzw. wann genau „früher“ eigentlich definiert wird ist im Übrigen auch noch ne weitere klärungsbedürftige Frage. „Schon immer“ wird gerne behauptet, hält aber meist keiner Überprüfung stand. Christentum kommt von früher her und ist schon ziemlich alt (nach menschlichem Ermessen), okay, gut. Aber vor dem Christentum gibt’s ja noch viel mehr jede Menge „früher“. Der Heide ist also viiiiiel konservativer. Ferner gibt’s dann auch noch die örtlichen Aspekte. Christentum=abendländisch ist ein ziemlicher Witz. Golgata liegt ja nicht in der Lüneburger Heide, so viel ich weiß.
Alles sehr komplex also, damit die Philosophen was zu tun haben.
Schon klar, die Einschätzung teilst Du mit einem Gutteil des politischen Kommentariats in den Medien. Erklärt u.a. ganz gut die Fassungslosigkeit über die Erfolge rechtspopuöistischer Parteien in den letzten 20 Jahren.
Was die CDU/CSU betrifft, lag deren Erfolgsrezept primär immer darin, den Begriff „konservativ“ in der Rumpelkammer abzustellen und nur zu hohen Feiertagen – am besten gar nicht – mal rauszuholen. Scharfe Konturierungen sind der Tod der CDU.
Das hat u.a. Merkel verstanden – jedenfalls nach der Wahlpleite (Beinahe-Katastrophe) von 2005 mit dem berühmten „Professor aus Heidelberg“. Bis dahin stand sie voll auf neo-liberal (Leipziger Parteitag), danach wurde der Schalter umgedreht und das merkelistische Wischi-waschi war geboren, welches sich sodann durchaus bewährt hat^ und für 16 Jahre gut war, mit unterschiedlichen Koalitionären, was aus CDU-Sicht aber gar nicht so wichtig ist, Hauptsache dran (sieht man aktuell auch in Berlin). Jedenfalls keine Rede von „konservativ“. Konservativ war das Paradigma des berüchtigten Leipziger Parteitages (von Merkel zunächst bejubelt) allerdings auch nicht. Das war FDP pur, also für die Union tödlich. Kein Wunder, dass Seehofer seinerzeit diesen Trend heftig bekämpft hat. Ganz früher gab’s ja auch schon mal die „geistig-moralische Wende“. Ein Knochen ohne nennenswertes Fleisch, an dem die Parteirechte ’n bissl nagen konnte, das war’s.
Eine gewisse Elastizität ist für die Unionschristen eigentlich schon immer typisch; hat zwar nicht stets, aber sehr häufig gut geklappt. Der große Vorteil der Union gegenüber das SPD lag und liegt darin, die Latte des Grundsätzlichen, Philosophischen so hoch zu legen, dass man bequem drunter durchlaufen kann.
Der große Joker war im Übrigen eigentlich weder konservativ noch christlich, sondern die MITTE.
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Das sagt wenig und das ist gut so. Hat die SPD zeitweilig zwar auch mal ausprobiert („linke Mitte“ bei Brandt, „neue Mitte“ bei Schröder) aber die Sozen fühlen sich da nicht so richtig wohl, für die müssen die Speisen schon etwas bissfester sein.
Die Union hat halt die gesunde Einstellung, sie gehöre an die Schalthebel deshalb, weil alles andere unnatürlich wäre oder ist. Das reicht eigentlich. Oder in die merkelsche Appellation übersetzt: „Sie kennen mich“. Das könnte man ja als konservativ im weiteren Sinn auffassen^, konservativ im engeren Sinn, also mit entsprechenden scharfen Gewürzen, die man sofort rausschmeckt, ist da womöglich eher hinderlich.
Die im Podcast angesprochene Geräuschlosigkeit bei unionistischen Nachfolgeangelegenheiten ist IMHO aber eher ’ne Legende. Gerangel, U-Boote und Plaudertaschen kann auch die Union nicht verhindern. Die Nachfolge-„Debatten“ ab Adenauer/Erhard ff. sind allseits bekannt, von Geräuschlosigkeit und erfolgreicher Geheimhaltung des Hinterzimmers mit anschließender feierlicher Verkündigung als angebliche Einigkeit konnte eigentlich nie gesprochen werden.
Das Neoliberale des Leipziger Parteitag hatte ja aber mit bewahren auch nichts zu tun – das waren ja radikale Reformen!
Die CDU ist schon geräuschlosER als etwa SPD oder Grüne.