Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Logik der Misogynie, Wirtschaftskriege, Opiumkrieg, die Geschichte der Frauenbewegung, Bürokratie, Tulsa-Massaker, Frauen im Bundestag, Filme, Demokratie in der EU, Arbeit transformieren.
Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Baustellen der EU, Albrecht Dürer, Äthiopien, Iran.
BÜCHER
Kate Manne – Down Girl. Die Logik der Misogynie (Kate Manne – Down Girl. The Logic of Misogyny)
Woher kommt Frauenfeindlichkeit? Was treibt sie an? Ist sie ein weit verbreitetes Problem, oder handelt es sich um bedauerliche Einzelfälle? Die Debatte, die in diesem Jahrzehnt mit dem Herrenwitz, der Wahl Trumps, #MeToo, dem #aufschrei und vielen anderen Ereignissen verknüpft ist, leidet unter einem grundsätzlichen Unverständnis dieser Kategorien. Kate Manne versucht deswegen, eine Art Systematisierung der Misogynie zu erreichen und die Debatte auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen.
Um das zu erreichen, setzt sie sich zuerst mit einem weit verbreiteten Problem auseinander. Gibt es überhaupt Männer, die Frauen hassen? Das ist nicht so eine blöde Fragestellung wie das auf den ersten Blick klingen mag, denn gerade Leute, die eher nicht progressiv oder wenigstens ideologische Nachbarn sind, haben oftmals Probleme damit. Schließlich leben die meisten Leute in Beziehungen, haben eine Schwester, die sie gerne haben, ein gutes Verhältnis zur Mutter. Manne zeigt zuerst auf, dass Misogynie damit nichts zu tun hat – Frauenfeindlichkeit verträgt sich sehr gut mit der individuellen Wertschätzung einzelner Frauen, wie auch der berühmt-berüchtigte schwarze Freund nicht gegen Rassismus immunisiert.
Ein weiterer wichtiger Definitionsschritt Mannes ist die Unterscheidung von Sexismus und Misogynie. Manne betrachtet Misogynie als wesentlich spezifischere Art des Frauenhasses als bloßen Sexismus. Anhand diverser Praxisbeispiele zeigt sie auf, wo tatsächlich Hass Männerhandlungen antrieb.
Wenig überraschend spielen die aktuellen Entwicklungen in den USA ebenfalls eine große Rolle, vor allem die Wahl des bekennenden Misogynisten Donald Trumps, der Wahlkampf Hillary Clintons und die seither in den USA entbrannte Debatte. Für Manne besteht kein Zweifel daran, dass Clinton ein Opfer misogynistischer Attacken war (wenngleich sie glücklicherweise von dem Urteil absieht, ob das wahlentscheidend war).
Insgesamt ist der Erkenntniswert des Buches zwar durchaus ordentlich, aber ein Vergnügen war die Lektüre wahrlich nicht. Manne verliert sich gerne im typischen Jargon von eher links orientierten Geisteswissenschaften, voller Fremdwörter und ideologisch aufgeladener Konstruktionen, die die eigene Argumentation so viel besser wahrlich nicht machen. Stärker ist das Buch immer da, wo die Thesen mit Praxisbeispielen unterlegt werden können und den systematischeren Ansätzen mehr Leben eingehaucht wird.
Nils-Ole Oermann/Hans-Jürgen Wolff – Wirtschaftskriege. Vergangenheit und Gegenwart
Spätestens seit Trumps Wahl sind Wirtschaftskriege („always good and easy to win„) wieder in aller Munde, aber ich erinnere mich noch gut an die 2000er Jahre und Steingart’sche Spiegel-Titel. So oder so ist es sinnvoll, sich dem Thema strukturiert anzunehmen. Oermann und Wolff unternehmen das in ihrem Buch und definieren auf der einen Seite Wirtschaftskriege rechtlich, während sie sie auf der anderen Seite in einen historischen Kontext stellen.
Letzterer Teil ist der deutlich schwächste des Buchs. Der par-force-Abriss der britischen Kolonialgeschichte enthält sicherlich entscheidende Puzzleteile für das Thema, aber kann weder als repräsentativ für die gesamte Geschichte von Handelskriegen stehen noch ist er sonderlich gut gelungen; ohne viel Nuancen und unter Rückgriff auf beliebte Stereotype wird über 30 oder 40 Seiten dahinmäandert.
Wesentlich ergiebiger ist die wesentlich systematischere Betrachtung von Handelskriegen unter ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Auf der einen Seite gibt es für Handelskriege wie auch für reale Kriege ein Regelwerk, das von der UNO und der WTO sanktioniert ist. Dazu gehören im Übrigen auch die berühmt-berüchtigten Schiedsgerichte, deren Genese und Evolution von einem primär gegen die ehemaligen Kolonien gerichteten Instrument zu einem Werkzeug der transnationalen Konzerne beschrieben wird.
Gleichzeitig folgen Handelskriege auch einer eigenen wirtschaftlichen Logik, in der Gewinn und Verlust sich nicht einfach gegeneinander aufrechnen lassen. Hier liegt die wahre Stärke des Buches, denn Oermann und Wolff zeigen auf, dass Handelskriege sich durchaus lohnen können, wenngleich sie es meistens nicht tun – aber das sie es eben gelegentlich tun, trägt zu ihrer anhaltenden Popularität bei. Abgerundet wird das Werk, wie könnte es anders sein, mit einer Diskussion Trumps und seiner Handelspolitik.
Insgesamt empfehlenswert, trotz der Schwächen des historischen Teils und der streckenweise arg trockenen rechtlichen Darlegungen.
Michaela Karl – Geschichte der Frauenbewegung
Nachdem „Down Girl“ für mich eine ziemlich ambivalente Leseerfahrung war, hoffte ich in diesem Band einen leicht verständlichen Überblick über die Geschichte der Frauenbewegung zu erhalten um vorhandene Wissenslücken zu decken. Sicherlich trug zur Erkenntnis dieser Wissenslücken auch die Serie „Mrs. America“ bei, die ich seither gesehen habe. Aber Inspiration kommt aus den überraschendsten Quellen.
Karl konzentriert sich in ihrem kleinen Bändchen auf die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA. Diese Selbstbeschränkung ist sicherlich weise; schon so droht man in der Masse an Namen und Titeln, die hier genannt werden, leicht den Überblick zu verlieren.
Diesen Überblick verschafft Karl ihrem LeserInnenkreis. Sie ordnet dazu jeweils ihre länderspezifischen Querschnitte nach Epochen. Der Vorteil dieser Methode ist eine große Übersichtlichkeit der jeweiligen nationalen Feminismus-Diskurse; der Nachteil ist, dass die Verbindungen über Landesgrenzen hinweg ein wenig schärfer abgetrennt werden, als dies dem Verständnis immer zuträglich ist. Auch ist eine gewisse Übermüdung durch zahlreiche Namen und Titel nicht zu leugnen, genauso wenig wie die eher trockene Präsentation des Stoffs. Das wird durch die angenehme Prägnanz und Kürze des Texts und den weitgehenden Verzicht auf Jargon allerdings wieder wettgemacht.
Stephen Platt – Imperial Twilight. The Opium War and the end of China’s last Golden Age
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen britische Händler, ihr Handelsvolumen mit dem chinesischen Kaiserreich immer weiter zu erhöhen. Voller Bewunderung für die kulturelle und zivilisatorische Rolle des Riesenreichs versuchten sie über Jahrzehnte vergeblich, vom Kaiser in Beijing als gleichberechtigte Macht anerkannt zu werden und Handelsverträge zu schließen. 1839 begann der Opium-Krieg, in dem Großbritanniens Militär kurzen Prozess mit dem chinesischen machte und sich das Recht erkämpfte, Rauschgift an eine zunehmen desolate chinesische Bevölkerung zu verkaufen.
Platts Werk unternimmt es zu zeigen, wie dieser rapide Wandel – von einer euphorischen Bewunderung des konfuzianischen China zu einer rassistischen Verachtung des „degenerierten Orient“ – innerhalb so kurzer Zeit vonstatten ging.
Die Dynamiken sind grundsätzlich gegenläufig. Auf der einen Seite steht das chinesische Reich selbst, das mit inneren Unruhen, wirtschaftlichen Schwierigkeiten und es auseinanderreißenden Zentrifugalkräften zu kämpfen hatte. Dazu kam eine schon ins Komische abgleitende Korruption und Reformunfähigkeit. Auf der anderen Seite stand der Aufstieg Großbritanniens durch die Industrielle Revolution, dessen technologischen Sprünge es zu einer China militärisch überlegenen Supermacht machten.
Aber auch kulturelle Aspekte spielen eine große Rolle. Wäre es nicht so tragisch, wären die vielen Irrungen und Wirrungen der Identitätspolitik, die die diplomatischen Desaster beider Seiten prägten, geradezu komödiantisch. Weder verstehen die Briten die Chinesen noch die Chinesen die Briten. Beide Seiten verbeißen sich in formalistischen Fragen, die für die andere Seite keine Bedeutung haben und laden diese innenpolitisch auf. Aristokraten ziehen ihre Länder aus verletzter Eitelkeit in den Krieg. „Imperial Twilight“ zeigt vor allem, wie man Nationen nicht führen sollte, und es bleibt ein Wunder, wie ein Großbritannien ein Weltreich zusammenerobern konnte, das von so inkompetenten Gockeln geführt wurde. Die Lektüre ist absolut zu empfehlen und aus vielerlei Hinsicht absolut erhellend.
Jens Kersten/Claudia Neu/Berthold Vogel – Politik des Zusammenhalts
Kein moderner Staat kann ohne Bürokratie existieren. Selbst die Abschaffung der Bürokratie erfordert eine Bürokratie, wie zahlreiche Bürokratieabbaukommissionen über die Jahrzehnte und Jahrhundert bestätigen können. Kersten, Neu und Vogel unternehmen in diesem Band die Aufgabe, eine Art Liebeserklärung an die Bürokratie zu schreiben – nicht, weil sie Formulare gern haben, sondern weil sie Bürokratien als elementar für den Zusammenhalt der Gesellschaft sehen.
Diese Argumentation ist ebenso spannend wie einleuchtend. In einer Gesellschaft, in der Aufgaben nicht mehr durch Eigeninitiative lösbar sind – wer wöllte sich statt einer kommunalen Müllabfuhr darauf verlassen, dass schon jemand das Ganze freiwillig organisieren werde? – braucht es die Bürokratie zwingend.
Gleichzeitig werden an diese hohe Anforderungen gestellt. So beschäftigen sich die AutorInnen ausführlich mit dem Problem des Streikens in lebensnotwendigen Betrieben, dem Streikrecht für Beamte und den Anforderungen an Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes, die eben manche Rechte der privatwirtschaftlich angestellten ArbeitnehmerInnen ob ihrer herausgehobenen Stellung nicht haben können – und dementsprechend auch gewisse Privilegien verdienen, sowohl theoretisch als auch durch ihre Arbeit in der Praxis. Als Antidot gegen gern gehegte Vorurteile absolut empfehlenswert.
Tim Madigan – The Burning. Massacre, Destruction, and the Tulsa Race Riot of 1921
Am 1. Juni 1921 überfielen fast zehntausend weiße Einwohner der Stadt Tulsa, Oklahoma, das segregierte Schwarzen-Viertel Greenwood, ermordeten mindestens 200 Einwohner – unterschiedslos Männer und Frauen, Alte und Kinder, Kranke und Gesunde -, plünderten die Häuser und brannten sie nieder. Greenwood war eine blühende, wahrscheinlich die blühendste, afro-amerikanische Community der damaligen Zeit, ein Vorbild für Afro-Amerikaner in der ganzen Nation.
Eine folgende Untersuchung gab den Schwarzen die Schuld an dem Massaker, einzelne wurden eingesperrt, neue, verschärfte Gesetze erlassen und ein Schweigen über alles gebreitet. 50 Jahre lang war fast niemandem außer den Beteiligten selbst bekannt, dass eines der größten Massaker an Schwarzen der amerikanischen Geschichte überhaupt stattgefunden hatte, und die schwiegen – aus Furcht vor Mord im Fall der Schwarzen, aus Furcht vor Verurteilung im Fall der Weißen.
Aber erst die Thematisierung des Massakers in der HBO-Fernsehserie „Watchmen“ machte die Geschehnisse einem breiteren Publikum bekannt und hat zusammen mit der zweiten Welle von „Black Lives Matter“ im Gefolge der Ermordung George Floyds 2020 zu einem gesteigerten Interesse an den Geschehnissen geführt. „The Burning“ ist zwar noch von 2001, hat aber nichts von seiner gelungenen Recherche und großen Intensität verloren.
Madigans Ansatz ist es, soweit wie möglich die Überlebenden selbst sprechen zu lassen (von denen es 2001 noch welche gab). Seine Erzählung der Geschehnisse, die zu dem Massaker führten, der eigentliche Ablauf des Massakers sowie seine Nachwehen sind eindrücklich und widersprüchlich – wie auch die Erinnerungen der Zeitzeugen. Das mag manchmal ein wenig frustrierend wirken, wie auch die ständige Nutzung des Wortes „Negro“ in den Erinnerungen als unangenehmer Anachronismus erscheint, aber es sorgt für einen starken emotionalen Anker des Werkes.
Gerade als Deutsche ist die Lektüre auch aus einem anderen Grund interessant: Was hier sichtbar wird ist enthemmter Rassenhass, der mit Opportunität und Gier gepaart wird. Die Parallele, die auch Madigan und denen, die die Geschehnisse erlebt oder später von ihnen nicht gehört haben nicht entgeht, ist die Reichspogromnacht von 1938. Im gesamten Dritten Reich beteiligte sich die Bevölkerung mit derselben Lust an der Unterdrückung der Juden wie die Weißen Tulsas an der der Schwarzen. Genauso wie in Tulsa plünderten Nachbarn den Besitz ihrer jüdischer Nachbarn, wenngleich – wir sind ja schließlich in Deutschland – die Ermordung hierzulande dann doch den Behörden überlassen wurde. Die Mechanismen aber sind dieselben.
Auch wenn Madigan es nicht explizit herausstreicht ist doch auch auffällig, wie die Gewalt nicht von der rauen weißen Unterschicht ausgeht, sondern von der wohl situierten Mittelschicht – auch wenn diese später etwas anderes behauptet. Bürgerliche Frauen stürmten hinter ihren bürgerlichen Männern die Häuser von Schwarzen und stahlen deren Kleidung und Möbel, noch während die vorherigen Eigentümer von ihren Ehegatten zu Tode geprügelt wurden. Die Einzigen, die nicht mitplünderten, waren die 1% – sie machten das, wie sie es immer gemacht haben, danach, indem sie das wertvolle Land Greenwoods für sich aufkauften und gigantische Gewinne machten.
„The Burning“ ist ein Sittengemälde einer Zeit, die weit weg scheint und uns doch sehr nahe ist – nicht nur in zeitlicher, sondern auch geographischer Hinsicht. Für Amerikaner ist es der ständige Beweis, dass die Frage „Could it happen here?“ keine Frage ist; für jeden Afro-Amerikaner ist sie seit fünf Jahrhunderten beantwortet, man muss sie nur fragen. Für alle Beobachter aber ist offenkundig, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, und wie schnell er reißen kann, wenn die Bedingungen gegeben sind. Ich möchte dieses Buch jedem und jeder ans Herz legen. Es ist eine wichtige Lektüre in diesen Tagen.
Thorsten Körner – In der Männerrepublik. Wie Frauen die Politik eroberten
Von Beginn der Bundesrepublik an gab es auch Frauen im Bundestag. Gleichwohl spielen diese in den meisten geschichtlichen Abhandlungen praktisch keine Rolle. Thomas Körner schickt sich nun an, das zu ändern. Von der ersten Sitzungswoche 1949 bis in die Gegenwart untersucht er weibliche Abgeordnete, die die Republik mitgeprägt und Barrieren eingerissen haben. Einige Namen sind natürlich bekannt – Petra Kelly, Claudia Roth, Renate Schmidt, Angela Merkel. Aber die meisten der weiblichen Abgeordneten in diesem Band dürften einer breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt sein.
Für die 1950er und 1960er Jahre geraten vor allem Frauen aus den bürgerlichen Parteien in Körners Fokus. Das mag überraschen, aber die Logik (die Körner nie selbst ausspricht) liegt auf der Hand: sexistische Strukturen kritisieren sich leichter von der Oppositionsbank, echte Erfolge lassen sich dort schwerer erzielen. Die erste Ministerin, die erste Rede, viele „erste“ entstammen daher fast notwendig den Reihen der Union und FDP und durften sich mit dem bräsig-patriarchalischen Sexismus Konrad Adenauers auseinandersetzen.
In den 1970er Jahren geraten dann Sozialdemokratinnen stärker ins Blickfeld, die sich mit dem Sexismus der Genossen (unter anderem Helmut Schmidts) auseinandersetzen müssen und in deren Reihen ein Kampf zwischen alten und neuen Frauen geführt wird – klassische Arbeiterinnen mit Ochsentour versus bürgerliche Frauen aus der Feminismusebewegung.
Wenig überraschend ist die Erzählung der 1980er Jahre von den Grünen dominiert, die in der Frage der Frauenrechte und der Gleichberechtigung ein wahres Erdbeben auslösten, das einen fundamentalen Wandel der Republik wenn nicht auslöste, so doch zumindest wie unter dem Brennglas verstärkte und positiv fördernd begleitete. Umso bestürzender sind die Porträts der 1990er Jahre. Diese sind uns sehr nah, und das Ausmaß an Sexismus, das damals noch völlig normal war, ist geradezu erschreckend. Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Regierung des ausgewiesenen Machos Gerhard Schröder da so eine Trendwende einleiten würde, wo Merkel später den so angestoßenen Wandel eher passiv weiterlaufen ließ statt ihn zu fördern. Aber ihre Ära spielt in dem Buch schon keine Rolle mehr.
Grundsätzlich will ich dieses Buch glühend empfehlen. Ich habe es selbst gelesen, weil Margarete Stokowski eine Empfehlung abgab; ihrer Stimme will ich die meinige hinzufügen.
Roger Ebert – The Great Movies
Roger Ebert ist der absolute Titan der Filmkritik. Was Marcel Reich-Ranicki für die deutsche Literaturszene war, das war Roger Ebert für die amerikanische Filmszene. Und da in den meisten anderen Ländern keine großen eigenen Filmszenen bestanden und beschämenderweise immer noch nicht bestehen, vor allem nicht in Deutschland, ist er auch für unseren in cineastischen Fragen zweifellos amerikanisch geprägten Diskurs von größter Bedeutung.
Beginnend in den 1990er Jahren schrieb Ebert eine zweiwöchige Kolumne, in der er die „Great Movies“ besprach; jede Woche einen neuen, immer mit scharfem analytischen Blick. Allein, empfehlen kann ich diesen ersten Sammlungsband leider nicht.
Zum einen, weil ich lügen müsste, auch nur ein Siebtel der darin besprochenen Filme zu kennen, was die offensichtlich Kenntnis voraussetzenden Kolumnen nur eingeschränkt zugänglich und gewinnbringend macht.
Andererseits aber auch, weil Ebert schlicht in vielem nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Viele seiner Einschätzung rufen ein kleines Fremdschämen hervor, wie es Reich-Ranickis Auftritte aus heutiger Perspektive auch manchmal tun. Es sind die Kleinigkeiten; Phrasen, Abqualifizierungen, in denen sich das findet.
Auch lässt sich als solche Autorität auf solchem Gebiet sicherlich eine gewisse Arroganz auch nicht vermeiden. Reich-Ranicki würde hier sicher einen Gesinnungsgenossen finden. Während es unzweifelhaft ein Genuss sein kann, Profis bei der Arbeit zuzusehen, ist auch der Stil bewusster, kompetenter Arroganz einer, der mir persönlich nicht behagt (vermutlich mit ein Grund, dass ich nie Zugang zu Helmut Schmidt gefunden habe).
Aber andere mögen das anders sehen und wesentlich größeren Gewinn aus dem Werk ziehen.
Christoph Möllers/Linda Schneider – Demokratiesischerung in der Europäischen Union
Die Demokratie in der EU ist dieser Tage ein bedrohtes Pflänzchen. In Polen und Ungarn haben sich Halb-Diktaturen entwickelt, die den Werten der EU Hohn lachen, ohne dass die Gemeinschaft in der Lage zu sein scheint, etwas dagegen zu unternehmen. Dies liegt unter anderem an der Struktur der Verträge, die einerseits ein Anklage-Verfahren im Konsens kennen – das angesichts der unheiligen Allianz der Rechtspopulisten in Warschau und Budapest kaum anwendungsfähig ist – und andererseits ein Vertragsverletzungsverfahren, das als weitgehend zahnlos gelten muss.
Möller und Schneider zeigen in ihrer Studie in zwar reichlich trockener, aber sehr kompakter und sachkompetenter Weise auf, welche rechtlichen Möglichkeiten innerhalb der EU aktuell bestehen. Das Beispiel Österreichs und des Verfahrens angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ dient immer wieder als Negativfolie einer gescheiterten Intervention der EU. Einer Fallstudie Polens und Ungarns folgt dann eine größere und eher juristisch-formalistische Diskussion, wie die EU-Verfahren realistisch zu reformieren wären.
Es liegt in der Natur der Sache, dass hier kein großer Wurf zu erwarten ist, weil man ja bei allen solchen Reformbestrebungen davon ausgehen muss, dass Betroffene wie Polen und Ungarn sich massiv dagegen sperren werden. Selbst so bleiben die ergänzenden Verfahren und kleinen Ausbauten, wie Möllers und Schneider sie vorschlagen, deprimierend unwahrscheinlich. Die Studie ist aber deswegen wertvoll, weil sie nicht nach dem Wünschenswerten fragt, sondern nach dem Möglichen – und interessierten Lesenden einen Einblick in den Gestaltungsspielraum der EU gibt.
Auch Gewerkschaften denken gelegentlich darüber nach, wie die Arbeit der Zukunft aussehen könnte. Das ist angesichts ihrer Überalterung und mangelnden Verankerung in den neueren und zukunftszugewandten Arbeitsformen mehr als notwendig. Die Hans-Böckler-Stiftung hat daher eine Kommission aus Experten verschiedener Bereiche – Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften und so weiter – zur „Arbeit der Zukunft“ gebildet, die den vorliegenden Band erarbeitet hat.
Leider fand ich das Ergebnis insgesamt wenig ergiebig. Zum Einen ist allein das Layout des Buches abschreckend und versprüht einen 1970er-Jahre-Charme; gleichzeitig darf aber auch kaum ein Text länger als ein Absatz sein, bevor er durch einen Exkurs oder Denkanstoß unterbrochen wird.
Es lässt sich der Eindruck nicht verhehlen, dass dieses Buch von einer Kommission geschrieben wurde. Das überrascht natürlich nicht, weil genau das der Fall ist, aber es sorgt dafür, dass die Notwendigkeit zu Formelkompromissen aus allen Texten heraus scheint. Steril und den Interessengruppen Rechnung tragend kommt hier nur wenig herum, was nicht in irgendeinem Leitartikel nicht bereits festgestellt worden wäre.
ZEITSCHRIFTEN
Aus Politik und Zeitgeschichte – Europäische Baustellen
Das Europäische Projekt ist, wie wir spätestens dank meiner Artikelserie zur Europäischen Union wissen, stets ein work in progress. Der Verweis darauf, dass es europäische Baustellen gibt, ist daher nicht sonderlich Erkenntnis bringend. Relevant ist, was danach kommt. Hier bietet das vorliegende APuZ-Heft ein disparates Bild. So ist die Betrachtung des Brexits und seiner Verwicklungen mit der Corona-Pandemie durchaus interessant, wenngleich wenig Neues vorgebracht wird. Deutschlands „Corona-Ratspräsidentschaft“ stellt zwar korrekt diverse Felder fest, auf denen Deutschland theoretisch eine Führungsrolle in der EU einnehmen könnte, ist aber realistisch genug festzustellen, dass sich da wohl trotzdem wenig tun wird.
Die Betrachtung der europäischen Energiepolitik ist wichtig; das Feld ist diffizil und fliegt viel unter dem Radar. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen auf der einen Seite und die Notwendigkeit des „Green Deals“ auf der anderen stellen eine echte Zerreißprobe dar, vor allem wenn man bedenkt, welche sicherheitspolitischen Überlegungen damit verwoben sind. Der Artikel zum Polexit ist für mich „viel Lärm um Nichts“, aber er enthält noch einmal eine brauchbare Übersicht über die Rolle Polens in der EU. Wie sich die EU weiterentwickeln könnte ist so etwas wie das Herzstück des Hefts; hier werden verschiedene Szenarien aufgezeigt (vor allem Kernunionen) und deren Fallstricke erörtert.
Zuletzt spannend ist die These Große Hüttmanns, dass wer den Brexit verstehe auch die EU und Großbritannien verstehe (mit der impliziten Annahme, dass das praktisch niemandem gelingt). Im letzten Artikel bekommen wir Beispiele für Austritte aus anderen Verbünden, aber ich empfand diese zu divers, als dass der Vergleich zur EU sonderlich erhellend wäre – mit der Ausnahme vielleicht, dass die Trennung nie komplett ist.
Aus Politik und Zeitgeschichte – Iran
Iran ist nicht gerade ein Land, bei dem die meisten Leute wohlige Assoziationen haben. Gleichzeitig ist der Kenntnisstand der meisten Beobachter hierzulande wohl darauf beschränkt, dass da böse Mullahs regieren, die die Atombombe wollen. Ein bisschen Kontext in einer APuZ schadet da sicher nicht.
Wenig überraschend beschäftigen sich die Aufsätze schwerpunktmäßig mit dem Atomabkommen des Iran, seinen Chancen und der Weiterentwicklung angesichts von Trumps bescheuertem Rückzug aus demselben, der Rolle der EU und der Chinas in dem ganzen Drama. Wenig überraschend dürfte die Erkenntnis sein, dass Iran angesichts der US-Aggression nun wieder verstärkt nach der Bombe drängt und dass die EU praktisch machtlos ist und kaum Einfluss auf die Geschehnisse hat, auch wenn sie ehrliches Interesse an einer Aufrechterhaltung des Friedensdeals hat.
Mir noch nicht so bekannt war, wie abhängig der Iran mittlerweile von China ist. In den letzten fünf Jahren hat die chinesische Außenpolitik wirklich eine beeindruckende Expansion hingelegt und mittlerweile ihre Finger in vielen Weltregionen drin, in denen sie vormals keine Rolle spielten – und meist auf der Gegenseite der USA. Keine sonderlich beruhigende Konstellation.
Die restlichen Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit dem inneren Aufbau Irans, etwa seinem Regierungssystem, der Rolle der Shi`ia und der wirtschaftlichen Lage im Kontext von Covid-19 (Kurzversion: katastrophal). Auch ein Beitrag zu Irans eigener expansiver Außenpolitik in Irak, Syrien und Libanon findet sich, von der man auch nicht eben behaupten kann, dass sie zur Stabilisierung der Region beiträgt. Ein wertvolles Heft, aber keines, das optimistisch stimmt.
Aus Politik und Zeitgeschichte – Äthiopien
Äthiopien ist hier in Deutschland vor allem als poster child afrikanischer Hungerkatastrophen bekannt; gerade in den 1980er Jahren prägte das Land die Schlagzeilen in diese Richtung und ist seither eigentlich vom Radar westlicher Medien weitgehend verschwunden, sieht man einmal von der Berichterstattung über den vernichtenden Bürgerkrieg mit Eritrea in den 1990er Jahren ab.
Dabei kann Äthiopien auf eine reichhaltige Geschichte zurückblicken. Das einzige nie kolonisierte Land Afrikas hat lange einen Führungsanspruch in der Region vertreten, und sein Kaiser Haile Selassie war eine prägende Figur nicht nur für die Popkultur. Auf diese Facetten geht das Heft ebenso ein wie auf die folgende marxistische Diktatur und die ethnischen Auseinandersetzungen, die dem Zerfall des Zentralstaats folgten.
Ein großes Augenmerk liegt in dem Heft denn auch auf dem modernen Äthiopien und dessen aktuellem Hoffnungsträger, Abiy Ahmed. Äthiopien geht den Weg seinen vielen verschiedenen Ethnien weitgehende Autonomie einzuräumen, anstatt wie früher unter der Diktatur einer bestimmten Ethnie einen gewalttätigen Zentralstaat zusammenhalten zu wollen. Inwieweit das funktioniert, steht noch in den Sternen, aber eine gewisse Skepsis scheint durch manche der Beiträge und ist auch durchaus angebracht.
Konzeptionell etwas schwer zu verstehen ist die Entscheidung, offensichtlich befangenen Autoren Raum in dem Heft zu geben, die Loblieder auf ihre jeweiligen Heldenfiguren singen dürfen. Bei einem Thema, bei dem praktisch niemand irgendwelche Vorkenntnisse mitbringt, ist diese Ankerheuristik extrem problematisch.
Ich muss zugeben, dass weder die Renaissance und der Beginn der Neuzeit noch die Malerei sonderliche Interessengebiete für mich sind, aber ich lese die GEO Epoche immer gerne, weil das Team es bisher noch immer geschafft hat, mich für ihre jeweilige Themen zu interessieren. So auch dieses Mal.
Der Schwerpunkt liegt tatsächlich auf den großen Malern, die auch gebührend betrachtet werden, aber die Redaktion schafft es gleichzeitig, deren Herausforderungen, Malstile und Sujets in den Kontext der Zeit einzubetten, so dass gleichzeitig eine Art Sittengemälde der Monarchen einerseits und des aufstrebenden Bürgertums andererseits entsteht.
Der Nachteil dieses Ansatzes ist natürlich, dass die 99%, die sich Maler nicht leisten können, in solchen Betrachtungen nicht vorkommen. Dies ist generell ein Problem, gerade in der Populärgeschichte, und ich hoffe, dass die GEO Epoche dem in näherer Zukunft einmal abhilft.
Auch diese Bücherliste gibt wieder viele Anregungen, danke dafür.
Ich greife mal einen Punkt heraus: Den Umgang der Angelsachsen mit den wenig ruhmreichen Episoden in ihrer Geschichte (hier: USA/Tusla und GB/Opiumkrieg).
Nach heutigen Maßstäben wäre das Vorgehen beider Nationen in (auch in vielen weiteren Fällen) zweifelsfrei als großes Verbrechen einzuordnen. Im kollektiven Gedächtnis beider Völker führt das aber weniger zu einem Schuldgefühl als zu trotzigem Selbstbewusstsein (USA) oder nostalgischem Stolz (GB).
Frage an Dich als Historiker und Geschichtslehrer: Was antwortest Du einem Schüler, der Dir kritisch den Vergleich mit dem Umgang der Deutschen mit ihren Verbrechen in der Geschichte entgegenhält?
Ich bin der Meinung, dass zwischen Tulsa und der Reichskristallnacht kein qualitativer Unterschied besteht. Ich thematisiere das gerade alles (also Black Lives Matter und die ganze Geschichte dahinter) mit einer Klasse, und die sind völlig entsetzt. Bisher hat noch niemand versucht, das entgegenzuhalten, und da würde ich auch klar widersprechen: Die USA haben ihre schwarze Bevölkerung nie in Ghettos verhundern lassen oder in Lagern planmäßig ermordet (wenngleich die CSA da nahe rankamen, aber das ist eine andere Geschichte). Aufrechnen kann man das schon allein aus diesem Grund nicht. Aber auch ansonsten wäre ein Aufrechnen wenig zielführend. Dass ein Land AUCH schlimme Dinge getan hat, macht die meines Landes nicht ungeschehen. Oder auch, wie ich es wahrscheinlich erklären würde: Wenn ein Schüler einen anderen schlägt, ist dessen Schlagen eines weiteren deswegen nicht besser. Es haben dann nur beide Gewalt angewendet.
Ich kannte die Tulsa-Geschichte vorher auch nicht (zumindest nicht bewusst), ich finde den Pogromvergleich schon gerechtfertigt. Mich hat es allerdings eher an Kriegsverbrechen erinnert. Das war und ist ja häufiger vorgekommen, dass eine Sache (oder nur ein Gerücht) existiert und die Armee geht hin und radiert aus Rache ein Dorf komplett aus.
In der Buchversion von Kings ES wird ja ein ähnlicher Fall geschildert, dieser „Club“ von schwarzen Armeeangehörigen, der abgebrannt wird vom Kuklux-Clan aus der Kleinstadt. (Gott sei Dank hab ich ES viel viel später als Shining gelesen, eigentlich schreibt King ja am besten wenn Kinder im Mittelpunkt stehen, aber das macht alles nur noch grausiger)
Sagte ich neulich ja schon, man vergisst oder verdrängt heute gerne, wie krass tödlich die Apartheit war und noch immer ist. Auch wenn man sich mit den Diskussionen über Lynchjustiz beschäftigt. Die war bis recht weit nach dem 2. WK erlaubt, neulich erst drüber gestolpert.
Und kam der Link von dir? Irgendwer hat wohl die SchülerInnen die als erste Schwarze auf eine normale Schule durften nochmal besucht, glaub die haben fast alle abgebrochen, einer hat Suizid begangen oder so.
Ist ja gut, dass das alles jetzt thematisiert wird, aber selbst ich finde das unheimlich schwer zu lesen (und meistens lese ich es nur, weil ich das sonst zu nah an mich ranlasse), aber ich mag mir das wirklich gar nicht vorstellen, wie schwierig das für Schwarze oder generell marginalisierte Gruppen auszuhalten ist.
Aber, das BLM-Movement hat wirklich super dazugelernt, muss ich auch nochmal sagen. Die haben nach den ersten Tagen, wo es ja auch Feuer und/oder Plünderungen gab, wirklich das ganze richtig gut in friedliche Protestformen gelenkt (die Straßen zu bemalen find ich ja am absolut grandiosesten). Insofern bin ich da irgendwie auch immer zwischen Entsetzen und Hoffnung hin und hergerissen.
Die Nascar-Sache hast aber schon mitbekommen oder? Bei Sportdingen weiß ich das bei dir immer nicht so. (Da hatte ich ja schon ein Tränchen im Auge) 😀
Ja, der Link war von mir. Und ich denke, Pogrome sind genau das richtige Wort dafür.
Ich thematisiere das gerade alles (also Black Lives Matter und die ganze Geschichte dahinter) mit einer Klasse
Also wenn du mal nicht weißt, worüber du schreiben sollst (höhö) hätte ich da gerne einen Bericht von, ist bestimmt spannend 🙂
Ja, ich weiß immer nicht wie viel Details ich da rauslassen will, das können die SchülerInnen ja auch lesen und sich wiedererkennen.
Kann ruhig im Ungefähren bleiben, auch mehr auf deine Lehrersicht, was du mit welchen Dingen vergleichst und wovon deine SchülerInnen schon mal gehört haben oder nicht.
In dem Alter hat man ja häufig so ein gefährliches Halbwissen, hatte ich mit meinem Stiefbruder schon mal mit irgendeinem Lied, wo Maghreb drin vorkam, wofür ihm das Wissen fehlte, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Ich hab ja den Vorteil, dass ich mich nicht an irgendwelche Lehrpläne halten muss, das ist dann mehr Allgemeinwissen + Medienkompetenz-Training. 🙂
Die Mehrheit ist entsetzt über die Vorgänge in den USA und solidarisiert sich; mir ist aber ein auffälliger Gender-Divide aufgefallen.
Die Jungen sind keine Rassisten, aber? ^^
Ich hab neulich überlegt, dass es etwas merkwürdig und vielleicht auch „neu“ ist, aber in vielen gesellschaftlichen Konfliktlinien treten die Frauen mittlerweile offensiver auf. Wir haben ja auch Spitzenpolitiker wie zb Özdemir oder Dagdalen oder den Bürgermeister von Hannover, dessen Namen ich leider vergessen hab. Aber das läuft mehr so auf defensiverer Ebene, die richtigen Schockeffekte wie die taz-Kolumne kommen von Frauen, Stochowski würd ich da auch mitzählen, Greta und Luisa Neubauer auch, Alice Hastings und Samira El Ouassil. Und diese Comedy-Frau bei Maischberger, die kannte ich gar nicht. Muss ich nochmal im Ganzen sehen, die den Bosbach und auch die anderen echt offensiv angegangen ist. Großartig!
Kann auch nur mein Gefühl sein, aber bei mir wirkt das auf jeden Fall, was die Aufmerksamkeit angeht. Da guck ich dann hin und höre zu und es läuft nicht nur so nebenbei. Das ist ja auch keine Lösung und ich kann auch verstehen, dass es die Boomer herausfordert, es ist ja auch aggressiv genau wie eine Statue in den Fluss zu werfen. Aber es ist auch eine Art „Wachmacher“. Ich hab auch keine Lust mehr, schon wieder die Diskussion zu führen, ob es in Deutschland oder in der Polizei Rassismus gibt. Ja. Sollten jetzt eigentlich alle wissen. Was jetzt?
Es ist insofern schon durchaus radikal (was nicht heißt, dass man Gewalt anwenden soll übrigens, bevor jemand meint, ich will ne Mülltonne anzünden), denn es ist ein Bruch mit unseren ritualisierten Diskursregeln.
Es geht ja durchaus um Diskurshoheit und die alten Diskursregeln wie wir sie in Talkshows und in den Medien haben, tun es ziemlich offensichtlich nicht mehr. „Theoretisch“ kann ich sogar die Abwehrreflexe verstehen, bei älteren Menschen ehrlich gesagt besser als bei Jungen Männern, nur es nützt ja nichts. Das ist wie „Sorgen und Ängste“ von Pegida oder Ostdeutschen (weißen Männern) etc ernstnehmen.
Gottes Willen, soweit würde ich nicht gehen. Aber unter den eher skeptischen, die das mehr als Hype und Modeerscheinung kritisieren, sind deutlich mehr Jungs als Mädchen.
Oh, ok. So wie Stickersammeln? ^^
Das ist auch ein Medienproblem (Lobo hatte da ja auch den Artikel dazu). Da wird das ja immer als „neu“ gelabelt. Hey, es gibt einen Hashtag und ein neues Blacklifematters-Movement. Und jetzt zur Talkshow „Ist Rassismus plötzlich ein Problem?“
Das ist nicht nur unterkomplex, sondern auch schade. Ich finde, man erkennt ganz gut, dass sich diese Protestbewegung echt weiterentwickelt hat. Aber wir fangen ja jedes Mal wieder bei 0 an.
Ich denke, das ist mit ein Grund, warum Blogs wie dieses hier immer noch ihr Nischenpublikum finden.
Ich möchte an dieser Stelle auch mal auf ein Buch hinweisen.
Vincent Bevins, The Jakarta Method: Washington’s Anticommunist Crusade and the Mass Murder Program that Shaped Our World, Mai 2020.
Hört sich erstmal an als gehörte es auf eine Leseliste von Cuba Sí, scheint aber nur so.
Bevins arbeitet als Auslandskorrespondent. Lange Zeit war er für die Los Angeles Times in Brasilien tätig. Danach ging er für ein paar Jahre nach Indonesien. Nun ist er wieder in Sao Paulo. Ich hab den lange auf meiner twitter timeline. Er war immer ziemlich links, gehörte aber nie zu der Kategorie links und unredlich.
Die Geschichtsschreibung der Demontage linksgerichteter Regierungen nach der postkolonialen Euphorie der 50er/frühen 60er wurde aus meiner Sicht stark von radikalen linksideologischen Schreibern vereinnahmt. Das ergab sehr oft manichäischer Schund. Bevins Buch ist genau das nicht.
Das Buch profitiert von vielen Offenlegungen von US Geheimdokumenten der letzten Jahre, insbesondere zu Brasilien und Indonesien. Außerdem sprach Bevins mit vielen der heute noch lebenden damaligen Opfer.
Ich habe erst die erste Hälfte durch. Vor allem zu Indonesien habe ich viel neues erfahren. Chile war noch nicht dran.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war historisch eine sehr günstige Zeit für Westeuropäer. In einer multipolareren und interdependenteren Welt halte ich es für wichtig, sich ein wenig mit in diesem Zeitabschnitt düstereren Orten zu informieren, ohne dass man deshalb direkt zur Weltrevolution bekehrt werden müsste.
„Los que están en la calle pueden desaparecer en la calle
Los amigos del barrio pueden desaparecer
Pero los dinosaurios van a desaparecer“
Übers:
Die auf der Straße können auf der Straße verschwinden.
Die Freunde aus dem Viertel können verschwinden.
Aber die Dinosaurier werden verschwinden.
Charly Garcia (argentinischer Rockmusiker), Buenos Aires 1983
Da kriegt der Glaube an die moralische Überlegenheit des „Freien Westen“ schon einen Knacks.
Noch ein Buchhinweis zum Thema (nicht so krass, aber auch interessant): https://de.wikipedia.org/wiki/Der_häßliche_Amerikaner
Jean Ziegler – Das Imperium der Schande hat auch ziemlich viel über Südamerika mit drinnen. Auch ein spannender Typ, lese auch gerne Interviews mit ihm.
Und ich weiß noch, dass ich bei Naomi Klein – Die Schock-Strategie das erste Mal Näheres über Chile gelesen hab. Das hat mich mehr geschockt als das ganze Buch.^^
Interessanterweise nimmt Daniel Suarez in einem seiner Romane auch Bezug darauf. Der Typ ist ein mäßiger Schreiber, aber sehr viele spannende und moderne Ideen mit drinnen, gerade so über Digitalisierung, Social Media Strategien, Massive Multiplayer Games, Drohnen, künstliche Intelligenz. Story immer brutal überdreht, aber ganz nette Thriller für zwischendurch (damit das hier mal nicht zu akademisch wird^^)
Jean Ziegler repräsentiert ungefähr genau das, was ich nicht mag.
Für eine vereinfachte und damit immer extrem schwarz-weiß gezeichnete Darstellung nimmt er es mit der historischen Wahrheit nicht so genau. Dies funktioniert recht gut, weil den Leser in aller Regel praktisch jedes Vorwissen über die Geschichte Chiles, Brasiliens, Indonesiens, des Irans, Honduras oder all dieser Länder fehlt.
Naomi Klein habe ich nicht gelesen, aber ich fänds vermutlich noch furchtbarer.
Ja, die sind mir beide ehrlich gesagt zu altmodisch klassenkämpferisch und hm, vermischen für meinen Geschmack einfach zuviele Dinge miteinander, die gar nicht zwingend im Zusammenhang stehen.
Und jep, es sind interessante Details dabei, wie gesagt Südamerika ist normalerweise echt selten ein Thema hier in Deutschland – auch nicht mein Steckenpferd – man muss dann schon wieder andere Sachen dazu lesen, um irgendwie zumindest ein halbwegs rundes Bild zu bekommen. Das ist für dich mit deiner persönlichen Beziehung zu Südamerika einfacher, weil du das selbst besser einschätzen kannst.
Ja, ich bin auch kein Fan.
Der freie Westen ist moralisch überlegen, weil die Konkurrenz so unterirdisch ist, nicht, weil er selbst bereits das Paradies auf Erden darstellt.
Ist wohl so, ja. Trotzdem nicht schön.
Das Ding hab ich auf der Liste. Ich will eh was zu den diesen Massakern schreiben, aber ich fühle mich noch nicht ausreichend versiert im Thema.
Nach wie vor empfehlenswert zu den echt komplexen Beziehungen von State Department, Präsident und CIA zu den Cono Sur Militärdiktaturen übrigens auch John Dinges, The Condor Years und Peter Kornbluh, The Pinochet Files, wobei ich letzteres ohne den Hintergrund der nur in Spanisch vorhandenen chilenischen Literatur rund um den Putsch bereits für problematisch halte.
Danke!
Danke für deine Hinweise. Zum Thema Bürokratie möchte ich dir als Gegenposition David Graeber: „Bürokratie , die Utopie der Regeln“ empfehlen.
Einen allgemeinen Lesehinweis hätte ich auch noch: Rutger Bregman „Im Grunde gut“. Das Buch wurde hier im Forum schon einmal erwähnt und es war für mich ein gewisser Augenöffner.
Graeber…ich habe seine Thesen in diversen Interviews gesehen, und ich bin unsicher in wieweit das nicht pseudowissenschaftlicher Unfug in ordentlicher Prosa ist.
Bregman – Ja, ich hadere seit zwei Monaten damit ob ich das lesen will. Aber ich habe Ezra Kleins Podcast mit Bregman gehört und habe nicht wirklich das Gefühl, dass die Lektüre noch sonderlich gewinnbringend wäre, vor allem weil ich ja „The Better Angels of Our Nature“ kenne, das in eine ähnliche Richtung geht.
In Bezug auf Pseudowissenschaft kann ich dich beruhigen. Graebers „Bürokratie“ erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, sondern ist ein Zusammenschrieb von Essays in ihrer Langfassung. Diese Subjektivität ist imho bei den humanities ein ehrlicher Ansatz, der vor der tatsächlich vorhandenen Pseudowissenschaft schützt. (*hust* grievance-studies-affair)
Zwischen Bregman und Pinker ist der wesentliche Unterschied, dass ersterer ein Neo-Rousseauist ist, der von einem ‚guten‘ Naturzustand und einem gewissen Maß an ’schlechten‘ Einfluss durch den Zivilisationsprozess Machtakkumulation ausgeht.
Grievance-Studies-Affair?
https://areomagazine.com/2018/10/02/academic-grievance-studies-and-the-corruption-of-scholarship/
Ich hab Graebers Schulden-Buch hier. Und fands auch spannend. Aber ich finde ähnliches Problem wie mit Jared Diamond.
Einer Biologe, der andere Antroposoph. Das ist höchst interessant, ich halte nur nicht soviel davon, irgendwelche Dinge aus dem römischen Imperium auf heute zu übertragen. Oder von der Osterinsel. Klar, die hatten auch schon Probleme mit Umweltzersstörung, Schulden, Bürokratie. Aber halt in ihrer Zeit.
Bregman hab ich auch noch auf der (sehr langen) Liste. Finde die Thesen interessant, aber bin da selbst noch unsicher. Bin da glaub ich näher an Stefan, es ist beides gleichzeitig wahr. Die Menschen sind weder im Grund gut noch schlecht. Es kann einfach so in beide Richtungen gehen und einmal hat man Randale in Stuttgart und ein anderes Mal helfen sich alle gegenseitig.
Mir gefällt es, dass halbe Quereinsteiger eine andere Sichtweise auf Sozialprozesse liefern. Und beide haben die Methodik und Erkenntnisse ihrer Fachgebiete, also Biogeographie, bzw. Anthropologie (Da ist dir ein Fauxpas unterlaufen, der fast so heftig ist wie die Astronomie-Astrologie Verwechslung) durchaus einfliessen lassen. Die klassischen Sozialwissenschaften sind sehr häufig (siehe Stefan Sasses erste Rezension) in ihrer sehr spezifischen Sichtweise gefangen.
Gilt ja für jede Wissenschaft. Aber da kommt selten belastbares WISSENSCHAFTLICHES Material raus, aber oft sehr fruchtbare GESELLSCHAFTLICHE Diskussionen.
Anthropologie (Da ist dir ein Fauxpas unterlaufen, der fast so heftig ist wie die Astronomie-Astrologie Verwechslung) durchaus einfliessen lassen.
Oh. 😀 Verzeihung. Kommt alles aus dem griechischen bestimmt, da muss ich oft überlegen, wo genau denn nun diese Buchstaben alle hingehören und verwechsel das beim Querlesen oft. Aber ich kenne die Unterschiede^^
Und ja, mal abgesehen davon, dass ich ja ein Geschichtsnerd bin, finde ich es immer spannend, weil es Dinge endlich mal aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet.
Und ja, sehe es ähnlich wie Stefan jede Wissenschaft ist in ihrer Sichtweise gefangen, das soll ja auch so. Aber gerade hier haben wir ständig Wirtschaftswissenschaftler, die ihre eingeschränkte Sicht dann auf alles übertragen.
Das ist ja durchaus menschlich, aber ich halte das für enorm schädlich. Man braucht schon viele Perspektiven, um zumindest mal die Möglichkeit zu haben, einen Zipfel der Realität zu erfassen.
Obwohl mir einmal die Beschreibung reicht, wie man aus 2000 Jahre altem Mäusekot Rückschlüsse auf die Ernährung der Osterinsel-Bewohner zieht. ^^
Mal abgesehen davon, dass ich ja keine Freunde an vielen Statistiken hab (alles Interpretationsmaterial!) und nur rechne, wenn es unumgänglich ist. 🙂
Seufz, wir müssen mal aufhören mit den Büchertips, es hat doch nicht jeder einen Zeitumkehrer wie der Sassestefan zu Hause. Bin heute schon im Baumarkt über so eine Buch-Grabbelkiste gestolpert und es ist ein bisschen ausgeartet.
Die Bücher über Frauen in der Politik und über die Bürokratie muss ich eigentlich aber schon haben. Ich hab ja ein Herz für Bürokratie bzw Mikro-Organisation und es ist auch echt interessant, auch jetzt während der Pandemiechaosapokalypse. Find ich viel spannender, wie diese Daten zustande kommen als die Berechnung des R-Faktors.
Meiner Erfahrung nach entstehen die meisten Probleme auch nicht in Bürokratie oder Fehlen derselben, sondern eher in unterschiedlichen Behörden, die wenig bis nichts voneinander wissen.
Hab heute nachmittag zufällig die PK von Laschet zu Gütersloh gesehen und mal abgesehen davon, dass einem eh die Haare zu Berge stehen: So wie er das erklärt hat, testen die Bundeswehr, Hausärzte, Kassenärztliche Vereinigung vor sich hin (größte Testaktion jemals bisher in Deutschland) und die melden das wohl an den Kreis und die ans RKI. Nur die Landesregierung hat leider überhaupt keinen Überblick über die Zahlen.
Läuft in Niedersachsen ja ähnlich, das RKI hängt auch teils echt stark hinterher und die Zahlen pro Bundesland sind absolut lächerlich. Das ist schon ein schwer fassbarer Wahnsinn.
Die sind auch angenehme kurz.
Ach zwei Tipps/Ergänzungen noch:
1)Von so feministischen Überblicken halte ich meist nicht ganz soviel, Privileg der Nichtakademikerin, mir doch egal, was Mysogenie und was Sexismus ist. Das ganze Thema ist eigentlich zu lang und komplex, um einen gescheiten Überblick hinzubekommen.
Antje Schrupp (die wohl hauptsächlich vom italienischen Feminismus kultiviert wurde, von dem ich keine Ahnung hab, aber ihre Ideen finde ich immer ganz spannend) hat einen Essay über Schanger-werden-Können geschrieben.
https://antjeschrupp.com/bucher-2/rezensionen-interviews-zu-schwangerwerdenkoennen/
Es ist noch in meiner Liste, hab aber einige Leseproben gelesen. Das Thema ist nämlich sehr interessant und ungeheuer komplex. Da geht es zum Einen um den Kampf um das Recht um Abtreibung wie hier im Westen.
Und zum Anderen aber auch um die Kehrseite, nämlich die Frage ob es ok ist, kein Kind zu bekommen oder zumindest nicht „das falsche“ (siehe die Debatte um Pränataldiagnostik in Bezug aufs Down-Syndrom zb)
Was mich wirklich erschreckt hat: Während wir hier lang und breit diskutieren, hat Asien schon etliches von unseren modernen Möglichkeiten in die Tat umgesetzt. Du hattest ja mal im Vermischten etwas über Spätabtreibungen von Mädchen.
Das ist ein dramatisches Problem, oft ist es relativ „normal“ Mädchen abzutreiben oder sogar zu töten, weil die Jungen soviel wichtiger sind. Ich glaub in China haben sie mittlerweile ein totales Ungleichgewicht im Geschlechterverhältnis und in anderen Ländern wohl auch. Indien ist da total krass drauf wohl, bis hin zum halb willentlichen Verhungern lassen.
Geht auch um künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft (übrigens gerade ein riesiges Problem, weil viele Leihmütter in der Ukraine sitzen und das System jetzt durch Corona quasi zusammengebrochen ist) und was schwanger werden können oder nicht können eigentlich bedeutet.
Ist vielleicht etwas zu frauenspezifisch, ich denke mal als Frau (sprich jemand, der schwanger werden kann) habe da vermutlich einen anderen Zugang zu, aber das Thema „wer bestimmt über den weiblichen Körper und (moderne) Mutter/Elternschaft“ hängt ja extrem stark mit Emanzipation zusammen. Und sie hat ja recht, die biologischen Unterschiede hier lassen sich nicht leugnen, die sind nun mal da. Ihr Ansatz ist dann – meine ich – Elternschaft ganz von Mutter/Vater abzukoppeln, was ich dann doch zu unrealistisch und radikal finde (ohne spontan eine bessere Lösung zu wissen)
2)Und zu GB und China, da warte ich mal noch. Keine Hörbuchfassungen mit asiatischen Namen. Da hat Cairlin mich schon immer rausgebracht, die sind ja auch noch so kurz. Bis ich gemerkt habe, dass irgendwo ein neuer Name eingeführt wurde, hab ich mind. drei Sätze verpasst.
Ich hab ein paar Hörbucher von Cornwells Sharpe-Reihe gelesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Cornwell
Leider ist der Typ wohl ein besserer Geschichtslehrer/Historiker als Romanschreiber. The Last Kingdom basiert ja auf seiner Wikinger-Reihe und funktioniert meiner Meinung nach als Serie besser.
Aber sie fängt in Indien an, ungefähr 1800 und trotz der lauen Story ist es insofern echt interessant, weil man viel über die GB-Seite und ihre Konflikte erfährt, die Ostindien-Kompanie, die Unterschiede zwischen dem Offiziersadel und den normalen Soldaten und zb auch über Konflikte zwischen Engländern und Schotten. Und andererseits eben auch viel über Indien, das war ja ähnlich vielleicht noch etwas chaotischer. Hat mich ein bisschen an die Römer erinnert, die Engländer verbündeten sich auch immer mit Rivalen des größten indischen Herrschers und ach ja, die Franzosen waren noch auf der anderen Seite unterwegs.
Die Story plätschert leider ziemlich dahin und nimmt gegen Ende, wenn die große „Entscheidungsschlacht“ kommt erst Fahrt auf, aber das kann Cornwell wirklich meisterhaft. Und es ist auch durchaus kenntnisreich und gut recherchiert, und da ich davon vorher nur so einen sehr groben Überblick hatte, fand ich es so zum Zwischendurch-Hören auch immer ganz interessant. Gerade weil mir sonst echt keine Romane zu der Epoche – zumal in Indien selbst – bekannt sind.
Gilt auch für seine Wikinger-Saga oder seine anderen Romane. Interessant genug, um sich danach näher mit den jeweiligen Epochen zu befassen.
Aber ich hatte so ein bisschen denselben Eindruck wie du, da ist auf beiden Seiten soviel Konfliktstoff und Inkompetenz und Gerangel, dass man sich ernsthaft fragt, wie die das hinbekommen haben. Indien war ja noch ein größeres Chaos, das Kronjuwel. Und dann hatte man noch Napoleon und die Franzosen direkt an der Heimatfront, das war so gesehen ja auch ein Weltkrieg. Und es zeigt auch gut, wieviel Einfluss die industrielle Revolution hatte, die Westmächte hatten ja nie viel Manpower – mal abgesehen davon, dass es ja keine moderne Kommunikation und Logistik gab. Und es waren ja ähnlich wie heute oft Stellvertreterkriege, die Briten sind ja relativ spät zum Weltreich geworden, die Franzosen waren ja zuverlässig auf der gegnerischen Seite und Spanien, Portugal und die Niederlande wirbelten da ja auch noch mit rum.
Kolonien, Sklaven etc. Teile und herrsche – war ja so gesehen nichts Neues aber durch die Schiffe und die neue Waffentechnik ist es zu der Zeit ja wirklich völlig global geworden. Und GB ist da ja ein totales Phänomen, die waren ja auch was die Seemacht anging eher Spätzünder. Ich muss mich unbedingt auch mal näher mit dem Krimkrieg befassen, der gilt ja so als erster „moderner“ Krieg. Aber erst muss ich deinen Zeitumkehrer irgendwie finden und nach Pandemiechaosapokalypse ein Sabbatjahr einlegen oder so. 🙂
Ich will auch so einen Zeitumkehrer!
Ja, die Namen sind ein Riesenproblem. Mein nächstes Hörbuch ist eine Geschichte Frankreichs, bin mal gespannt ^^
Da hat man meistens zumindest den Vorteil, dass man noch halbwegs drauf kommt, was ein Name oder ein Ort ist. Bei Asien mit dieser Vorliebe für genau eine Silbe braucht man eigentlich jedes Mal einen Warnhinweis vor einem Eigennamen^^
Ach zum Iran noch. Der ist abseits von der Weltpolitik eigentlich ganz spannend, ist ja „für diese Gegend“ sogar immer noch eines der stabilsten und demokratischsten Länder, wenn man das mal mit Saudi-Arabien oder Syrien oder dem Irak vergleicht. (Israel natürlich ausgenommen).
Es gibt wohl auch eine sehr aktive Jugend-Subkultur, hatte einige krasse Reiseberichte mal gelesen und hab auch das Hörbuch „Couchsurfing im Iran“ noch irgendwo rumliegen. Die sind ja 79 von einem Extrem ins nächste geraten und diese Doppelstruktur aus Halbdiktatur und Theokratie ist extrem ungewöhnlich und total undurchsichtig. Aber wie das so ist, die Jugend will lieber Coca-Cola und Beyoncé statt Weltpolitik und hat da wohl ein ausgeklügeltes System entwickelt, um die Tugendwächter zu narren.
Bin mal durch Zufall (wieder so eine gefährliche Grabbelkiste) auf „von Gucci zu Allah“ von Antonia Rados gestoßen, oder so ähnlich. Da erzählt sie so kleine Anekdoten aus den Ländern, aus denen sie berichtet. Echt interessant, weil sie ja bei den ganzen Radikalislamisten rumhängt als Kriegsreporterin.
Gerade in einem Land, das noch so halbwegs funktioniert ist es ein Trugschluss zu denken, alle zig Millionen hätten keine anderen Probleme als Israel von der Landkarte zu fegen, ne Atombombe zu bauen und ein Kalifat zu gründen. Es ist auch die Tragik der Region, wenn da eine Revolution erfolgreich wäre oder der Religionswächter-Rat kippt, dann ist das ein chinesischer Satellitenstaat vermutlich oder ein russischer. Auf jeden Fall Syrien 2.0. Mal abgesehen davon, dass da zwischen Sunniten, Schiiten und was da sonst noch überlebt hat, ein ewiger Bürgerkrieg tobt. Hier hört man ja nur davon, wenn Christen/Kopten angegriffen werden. Ist nicht so, dass Islam Islam ist – im Gegenteil.