Bohrleute 92 – Wahlen passieren: Donald Trumps “zweites 2016” und die fehlenden Fehler der Kamala Harris, mit Marcel Schütz

Die US-Wahlen sind vorüber. Das denkbare Undenkbare ist geschehen: Donald Trump wurde zu einer zweiten Amtszeit gewählt. Noch ist vieles unklar, sind wenig Informationen verfügbar, aber mit Marcel Schütz unternehme ich trotzdem einen Versuch einer ersten Einordnung – mit angekündigt niedriger Halbwertszeit.

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Marcel auf Twitter.

Stefan auf Twitter. Stefan auf Bluesky. Stefans Blog.

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Shownotes

Why Isn’t Trump Running Away With This?

Der Artikel beleuchtet die Enttäuschung vieler Liberaler in den USA angesichts der weiterhin hohen Zustimmung für Donald Trump als Präsidentschaftskandidat. Diese wird oft als Symptom für ein tieferliegendes Problem im Land oder im demokratischen Lager interpretiert. Der Artikel verweist jedoch darauf, dass in vielen wohlhabenden Demokratien die amtierenden Regierungen – unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung – deutliche Verluste erlitten haben. Beispiele aus Japan, Großbritannien und Frankreich zeigen, dass der weltweite Unmut der Wähler durch Faktoren wie Inflation und Lebenshaltungskosten verstärkt wird.

In den USA hat Kamala Harris als demokratische Kandidatin versucht, sich von der aktuellen Regierung abzugrenzen und mit Slogans wie „Ein neuer Weg vorwärts“ zu punkten. Kritiker bemängeln jedoch, dass sie die Schwere der wirtschaftlichen „Gegenwinde“ unterschätzt habe und damit den Widerstand gegen die Inflation nicht effektiv genug thematisiere. Obwohl Trump die Lebenshaltungskosten als zentrales Thema nutzt, verfolgt er politisch Maßnahmen wie höhere Zölle, die die Inflation eher fördern. Das erklärt, warum der Wahlkampf so knapp ist und die Wahlentscheidung für die Wähler nicht eindeutig ist. (Matthew Yglesias, New York Times)

Tweet von TracingWoodGrains

In dieser offenen Reflexion drückt der Autor seine tiefe Frustration und Entfremdung gegenüber der Strategie der Demokratischen Partei, insbesondere unter der Führung von Kamala Harris, aus. Obwohl Harris im Wahlkampf eine gemäßigte Position einnahm, empfindet der Autor die Strategie der Demokraten als eine bloße Fassade von „Normalität“, die sich auf die Ablehnung Trumps stützte, ohne klare Antworten auf politische Veränderungen oder Selbstkritik.

Die Unzufriedenheit des Autors entspringt auch einem Umfeld, das Stimmen außerhalb der jungen, gebildeten und progressiven Elite zu übergehen scheint, besonders in akademischen und beruflichen Kreisen. Der Autor beschreibt diese Elite als linksgerichtet, mit institutioneller Unterstützung und Perspektiven, die oft im Widerspruch zur breiten Öffentlichkeit stehen, sodass sich zentristische Stimmen unbeachtet fühlen. Diese Kluft und Harris’ unkonkrete Aussagen führten dazu, dass sich der Autor nicht repräsentiert fühlte.

Da die Wahl auf einen möglichen Sieg Trumps hindeutet, erwartet der Autor keine drastischen Veränderungen, betont aber, dass die Demokraten ernsthaft auf die Bedenken der gemäßigten Mitte eingehen müssen. Er hofft, dass die Partei die momentane Lage nicht als Fehlinformation oder als fehlende linke Reinheit abtut, sondern sich ernsthaft bemüht, in den nächsten vier Jahren den Brückenschlag zur frustrierten Mitte zu schaffen.

Was it just inflation all along?

Die vorläufigen Ergebnisse deuten auf ein düsteres Ergebnis für Kamala Harris hin, und viele fragen sich, ob die Inflation der entscheidende Faktor war. Den Exit-Polls zufolge gibt es jedoch eine auffällige, stark parteipolitisch geprägte Wahrnehmung darüber, wie stark die Inflation in den letzten zwölf Monaten belastet hat. Was erstaunlich ist, da die Inflation faktisch alle in etwa gleich betrifft – also Demokraten und Republikaner gleichermaßen. Doch eine signifikante Anzahl von Republikanern gibt an, dass sie in der letzten Zeit unter erheblichem finanziellen Druck stand.

Zwar könnte das eine Verwechslung von „letztem Jahr“ mit „seit Bidens Amtsantritt“ sein, doch selbst das erklärt nicht den ausgeprägten Parteigegensatz bei einem Thema, das nicht direkt zu identitärem Lagerdenken führt, wie es bei Fragen zu Abtreibung oder Waffen üblich ist. Möglicherweise ist es eine einfache Reaktion: Die Inflation hat allgemein Frust ausgelöst, und wenn Menschen wütend sind, neigen sie dazu, für die Opposition zu stimmen – unabhängig davon, wer konkret dafür verantwortlich ist.

Oder es könnte der ständige Druck durch die Berichterstattung über die Inflation in konservativen Medien wie Fox News sein. Ebenso könnte ein unterbewusster Bias gegen weibliche Führungspersönlichkeiten im Spiel sein, besonders bei bestimmten Wählergruppen.

Letztlich bleibt vieles unklar – aber der Einfluss der Inflation als Frustrationsfaktor scheint kaum zu leugnen. (Kevin Drum, Jabberwocky)

The 2024 election buried Barack Obama’s coalition

Die republikanischen Erfolge bei den Wahlen markieren eine Niederlage für die Strategie der Demokraten, ehemalige Obama-Trump-Wähler zurückzugewinnen. Kamala Harris‘ Wahlkampftaktik – moderate Positionen und Establishment-Orientierung – stieß auf Kritik, besonders aus progressiven Reihen. Viele Wechselwähler lobten weiterhin Trump für das Wirtschaftswachstum vor der Pandemie und nahmen ihm seine Covid-Politik weniger übel. Trumps rhetorische Angriffe auf Kriminalität und Immigration fanden vor allem bei nicht-akademischen Wählern Anklang, wodurch er sich auch bei Latinos und schwarzen Männern besser positionieren konnte als in den vorherigen Wahlen.

Die Demokraten versuchten durch Wahlkampfmaßnahmen wie direkte Wähleransprache, insbesondere in Vorstädten, ihre Verluste zu kompensieren, blieben jedoch vielerorts hinter den Erwartungen zurück. Es zeigt sich, dass Trumps Stil und Politik das Bündnis der Demokraten seit Obama aufgelöst haben. Die Niederlage legt nahe, dass die Demokraten ihre Strategie überdenken müssen, um das Vertrauen und die Unterstützung zentristischer und ländlicher Wähler zurückzugewinnen. (David Weigel, Slate)

Ich verstehe es nicht

Nikolaus Blome zeigt sich in seiner Kolumne verwundert darüber, warum gebildete und gut informierte Republikaner weiterhin Donald Trump unterstützen. Obwohl sie erkennen sollten, dass Trump oft von der Wahrheit abweicht, lügt und populistische Ängste schürt, bleiben sie ihm treu. Blome nennt Beispiele für Trumps irreführende Aussagen über Migranten und Inflation, die viele seiner Unterstützer durchschauen müssten. Er fragt sich, wie es möglich sei, dass vernünftige Menschen, die von der Globalisierung profitieren, einem Kandidaten folgen, der den Isolationismus propagiert und extreme Gruppen wie White Supremacists indirekt unterstützt.

Er kritisiert, dass diese Wähler Trumps wirtschaftspolitische Aussagen für bare Münze nehmen, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass sie teils falsch oder widersprüchlich sind. Abschließend hofft Blome, dass letztlich die Vernunft über populistische Verführung siegen wird und zitiert Margaret Thatcher, die auf das Gute als Sieger vertraute. (Nikolaus Blome, Spiegel)

Lehren aus der US-Wahl: Trumps Stärke muss auch uns mahnen

Donald Trumps überraschend starke Präsenz bei den US-Wahlen deutet darauf hin, dass er erneut Präsident werden könnte. Ohne innerparteilichen Widerstand und mit einer konservativen Mehrheit im Obersten Gericht wäre er in einer stärkeren Position als zuvor. Seine radikale Agenda, darunter Massendeportationen und Handelskriege, sowie sein rücksichtsloser Regierungsstil könnten die USA grundlegend verändern. Im Gegensatz dazu steht Kamala Harris für Kontinuität und trug als Vizepräsidentin Bidens Politik mit, ohne im Wahlkampf klare Unterschiede zu ihm aufzuzeigen.

Zudem zeigt sich, dass die Warnungen vor Trumps Gefahr für die Demokratie offenbar keinen abschreckenden Effekt hatten und möglicherweise sogar Trotzreaktionen hervorriefen. Besonders Männer, junge und weniger gebildete, fühlen sich von den Demokraten entfremdet, während Trump auch bei Schwarzen und Latinos an Zustimmung gewinnen konnte. Für die Demokraten ist dies ein Signal, dass symbolische Antirassismus-Bemühungen allein nicht ausreichen. Deutschlands intensive Beobachtung der Wahl spiegelt wider, dass Entwicklungen in den USA oft auch auf Europa Einfluss haben. Trumps Stärke dient somit als Mahnung für die eigene politische Landschaft. (Malte Lehming, Tagesspiegel)

Das Ende des Westens

Der Text beleuchtet die Erschöpfung und Gereiztheit, die durch eine Flut schlechter Nachrichten verursacht werden, besonders im Kontext von Krisen wie der Pandemie, Inflation und den Polarisierungen in der Gesellschaft. Die jüngste Nachricht von Donald Trumps Wiederwahl als US-Präsident wird dabei als Schockmoment und Bedrohung für den Westen empfunden. Medien spielen eine zentrale Rolle, da sie durch ihre Jagd nach Klicks und emotionalen Botschaften die Erregungskultur verstärken und das Vertrauen der Öffentlichkeit gefährden. Der zunehmende Konsum negativer Nachrichten führt zu „Nachrichtenmüdigkeit“, wobei Plattformen wie Social Media diese Tendenz durch Algorithmen verstärken, die User-Interaktionen durch Empörung steigern. Diese „Erregungsbewirtschaftung“ und die anhaltende gesellschaftliche Spaltung belasten die Demokratie und verstärken das Gefühl von Chaos und Unordnung in der Bevölkerung, was letztlich die Demokratie gefährdet und zu einer Krise der medialen Öffentlichkeit beiträgt. (Robert Misik, ZackZack)

It’s not the economy, stupid

Der Text beschreibt die Verschiebung von Wahlkampfthemen in den USA seit den 1990ern. Früher waren wirtschaftliche Fragen wie in Bill Clintons Wahlkampf 1992 zentral; sein Motto „It’s the economy, stupid“ unterstrich die Bedeutung der Wirtschaft für die Wahlentscheidung. Heute jedoch hat die Wirtschaftspolitik an Einfluss verloren, was sich unter Trump und in der aktuellen Ära zeigt. Seine Rhetorik malt die wirtschaftliche Lage der USA in düsteren Farben, ungeachtet der objektiv positiven Wirtschaftsdaten unter der Biden-Regierung.

Inzwischen dominieren Kulturkampfthemen den Diskurs: Fragen um Identität, Migration und Verschwörungstheorien prägen Trumps Kampagne. Während die Demokraten unter Kamala Harris diese Themen weitgehend meiden und ökonomische Stabilität betonen, werden sie von einer aktivistischen Basis getrieben, die in polarisierenden Fragen Stellung bezieht. Die Wählermobilisierung hat sich auf eine binäre Wahl reduziert: „Kulturkampf“ steht im Vordergrund, und die eigentliche Herausforderung ist, die eigene Basis zu mobilisieren und die andere Seite von der Wahl abzuhalten. (Stefan Sasse, Deliberation Daily)

Der Trump-Schock

Donald Trumps Rückkehr ins Amt ist ein weltpolitisches Signal mit weitreichenden Konsequenzen. Unterstützt von einer vereinten republikanischen Partei und einem konservativen Supreme Court, hat Trump nun freie Hand für seine radikale Agenda. Im Wahlkampf überzeugte er vor allem in wirtschaftlich prekären Wählergruppen und konnte seinen Rückhalt bei Latino-Wählern ausbauen. Kamala Harris hingegen verlor an Unterstützung, auch weil ihre Positionen zu wenig konkret und von wirtschaftlichen Krisen belastet waren.

Trumps Pläne beinhalten strikte Maßnahmen wie Massenabschiebungen, hohe Importzölle und den Abbau bürokratischer Strukturen, was zu starken Einschnitten für Minderheiten und progressive Anliegen führen könnte. In der Außenpolitik verfolgt er eine „America First“-Strategie, die Verbündete unter amerikanische Interessen zwingt. Besonders betroffen ist die Ukraine, da Trump Waffenlieferungen beenden und auf eine Einigung mit Russland drängen könnte, die die Ukraine schwächt und erneut gefährdet. (Roland Nelles und Marc Pitzke, Spiegel)

Donald Trump gewinnt sogar bei Frauen dazu

Kamala Harris verlor bei den jüngeren Wählerinnen deutlich an Unterstützung, während sie überraschend bei Senioren zulegte, die zuvor mehrheitlich Trump gewählt hatten. In den mittleren Altersgruppen blieb das Bild gemischt: Trump baute bei den 45- bis 64-Jährigen seinen Vorsprung aus, während die Jüngeren überwiegend demokratisch wählten. Besonders polarisierend war die wirtschaftliche Lage. Diejenigen, die ihre finanzielle Situation verschlechtert sehen, stimmten zu großen Teilen für Trump, während Harris Unterstützung von Wählerinnen erhielt, die ihre Lage als verbessert empfanden.

Trump gewann ebenfalls Zustimmung bei Minderheiten und weniger Verdienenden, wobei Geringverdiener nun stärker republikanisch wählten, ein Wandel von der traditionellen Wählerstruktur der Parteien. Harris schnitt bei Akademikerinnen gut ab, während Trump bei Wählerinnen ohne College-Abschluss dominierte. Diese Entwicklung zeigt eine tiefgreifende Polarisierung entlang sozialer und wirtschaftlicher Linien. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten und die hohen Preise für Lebensmittel belasten vor allem finanziell schwächere Bevölkerungsschichten, was Trumps wirtschaftsorientierten Wahlkampf begünstigte. (ZEIT)

„Ein ganzer Monat für die Geschichtsbücher“ – Der Organisationssoziologe Marcel Schütz über das US-Präsidentenamt, Bidens Verzicht und die Fallstricke der Macht 

Der Soziologe Marcel Schütz reflektiert die Dynamiken der US-Präsidentschaft und die aktuelle Wahl, die stark von symbolischer Macht und politischen Umbrüchen geprägt ist. Der Rückzug von Joe Biden aufgrund seines Alters und der verschärften Kritik an seiner Amtsführung eröffnet für die Demokraten neue Perspektiven. Kamala Harris profitiert vorerst von diesem Wechsel, doch steht sie als Gegenpol zu Trump, der trotz Skandalen und Gerichtsverfahren weiterhin eine starke Anhängerschaft mobilisiert. Schütz hebt hervor, wie die Ereignisse der letzten Wochen, wie das Attentat auf Trump und die öffentliche Unterstützung seiner MAGA-Bewegung, die Republikaner in eine vorteilhafte Position gebracht haben. Historisch vergleicht er dies mit der Präsidentschaft von Wilson, dessen Frau heimlich viele Amtsgeschäfte übernahm, und erläutert, dass die heutige Medienlandschaft solche Einblicke stärker beeinflusst und politische Führungswechsel intensiv beleuchtet.

Why America Rejected the Biden-Harris Administration

Die Niederlage der Demokraten, speziell Kamala Harris’, geht weniger auf eine Zuneigung der Wähler zu Trump zurück, sondern auf eine starke Ablehnung der Biden-Harris-Regierung. Nach Trumps erster Amtszeit neigten die Demokraten dazu, sich weiter nach links zu bewegen, was durch soziale Medien verstärkt und von progressiven Gruppen gefordert wurde. Joe Biden siegte in den Primaries 2020, weil er moderater auftrat. Doch einmal gewählt, wich er zunehmend progressiven Positionen, wie in der Einwanderungspolitik, was schließlich eine Rückschlag verursachte.

Die anhaltende Inflation, die von vielen Wähler*innen Biden angelastet wird, trieb viele zur Opposition. Harris übernahm schließlich die Kandidatur, konnte sich jedoch nicht überzeugend von Bidens unpopulären Entscheidungen abgrenzen und litt zudem unter linksgerichteten Positionen aus ihrer Vergangenheit. Die Wahl einer „Outsider“-Figur wäre möglicherweise erfolgversprechender gewesen, doch die Demokraten verharrten zu lange in der Vorstellung, Bidens Politik sei im Kern beliebt. Diese strategische Fehleinschätzung kostete sie den Sieg. (Jonathan Chait, New York Magazine)

Resterampe

Transkript

00:00:01.70
Stefan Sasse
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von den Bohrleuten. Heute, quasi frisch von der Druckerpresse hochaktuell, beschäftigen wir uns mit dem Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen 2024. Und bevor ich auch meinen Gast vorstelle, möchte ich gleich direkt einen K-Wert voranstellen. Es ist jetzt Mittwochabend. Die Ergebnisse gibt es seit fünf oder sechs Stunden.

00:00:22.91
Stefan Sasse
Wir haben noch sehr wenig verlässliche Zahlen bis praktisch überhaupt keine. Deswegen alles, was wir sagen, unter einem starken Vorbehalt steht. Das sind alles erste Eindrücke, erste Reaktionen, erste Analyseversuche. Das wird sich mit Sicherheit noch deutlich ausdifferenzieren in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten. Das quasi nur als ein Bild vorweg. Und mit mir ist mein treuer Wingman in allen Sachen Donald Trump und amerikanische Wahlen.

00:00:50.54
Marcel Schütz

Marcel Schütz.

00:01:10.96
Stefan Sasse
Du bist Professor für Organisationssoziologie in Hamburg und wir haben uns ja an dieser Stelle schon öfter über die Thematik unterhalten. Und du schaust vor allem gerne auf Trump als Phänomen. Also diese Person und was die auslöst, also gewissermaßen den Neuigkeits- und den Einzigartigkeitswerts Trumps.

00:01:33.35
Stefan Sasse
während ich ja so eine Tendenz habe, gerne auf die allgemeinen und großen Trends zu schauen. Und das ist was, das wollen wir auch heute versuchen und quasi so eine Synthese aus diesen beiden Ansätzen zu erstellen. Aber du hast vorher schon im Vorgespräch erwähnt, du hast die Wahlnacht dir ja mehr oder weniger um die Ohren geschlagen. Was waren denn deine Eindrücke dabei? Wie hast du sie erlebt? Und was ist so quasi einfach dein erster Gesamteindruck von dem Ganzen?

00:01:57.98
Marcel Schütz
Ja, ich glaube, ich gehe noch mal einen Schritt voran, und zwar in die letzte Woche, denn ich denke, alle haben erlebt, wie in den letzten Tagen das Thema der Umfragen, förmlich terroristische Ausmaße annahm. Also man wurde ja wirklich dauerbeschallt mit immer neuen, auch Wendungsankündigungen. Konnte, wenn man so dem Spin folgt, den Eindruck bekommen, oh, da tut sich noch mal was, und es geht vor allen Dingen zu Lasten von Trump.

00:02:24.91
Marcel Schütz
Dann gab es so ganz spezielle Umfragen, wo man sagte, die haben einen sehr guten Wert, also die haben eine gute Entwicklung, darauf kann man sich verlassen. Und ich hatte den Eindruck, dass man sozusagen bei maximaler Unsicherheit

00:02:45.86
Marcel Schütz
über den Ausgang wirklich diskutiert in einer Art und Weise, die so scheinbar eine gewisse Verlässlichkeit in der Tendenz pro Harris eigentlich aufkommen lässt, das eigentlich sich etwas für sie wendet. Und mir schien das insofern zweifelhaft, dass ich dachte, wenn man es mit dieser Knappheit zu tun hat, also Knappheit der gegenseitigen Konfrontation,

00:03:15.21
Marcel Schütz
Und wenn man die Erfahrungswerte der vergangenen beiden Wahlen zugrunde legt, dann kann man einerseits vermuten, könnte man einerseits vermuten, Trump wurde 2016 und 2020 unterschätzt. Das war ja der Fall. Und deshalb wird er jetzt möglicherweise überschätzt. So gab es eine Lesart. Also Sie haben ihn 2016 unterschätzt, Sie haben ihn 2020 unterschätzt und jetzt übertreiben Sie. Und in Wahrheit steht Trump gar nicht so gut.

00:03:43.18
Marcel Schütz
Aber wie man jetzt an dem Gesamtergebnis sieht, er ist wieder unterschätzt worden, datenmäßig gesehen. Aber in der vergangenen Nacht dachte ich eigentlich, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, in welche Richtung das geht. Ich habe mir am Abend gewissermaßen gesagt, 50-50 wäre wahrscheinlich eine rationale Bewertung, eine rationale Bewertung mit der Feinheit, dass ja alle sagten, es könnte ein ganz knapper Ausgang werden und da muss man ja unterscheiden.

00:04:11.54
Marcel Schütz
Ganz knapp bedeutet nicht, dass nach der Umrechnung gewissermaßen über die Wahlmänner die Wahl immer noch knapp ist. Ja, sie war knapp in den Chancen, den Umfragen zufolge. Aber das kann natürlich immer noch bedeuten, dass jemand am Ende einen richtig großen Sieg einfährt, wenn er eben alle Swing States einsammelt. Dann ist es gar nicht mehr so knapp. Das war trügerisch, diese Erzählung von der sehr, sehr knappen Wahl.

00:04:37.65
Marcel Schütz
Und im Laufe der Nacht dachte ich schon, das ist wahrscheinlich mehr als nur dieser kurzfristige Effekt 2020, dass Trump anfänglich ganz gut dasteht, aber im zweiten Teil der Nacht und vor allen Dingen am frühen Morgen mitteleuropäischer Zeit absackt. So hatte sich das Blatt ja gewendet. Ich fühlte mich eigentlich erinnert an die Wahl 2016, wie so viele. Und zwar nicht unbedingt deshalb,

00:05:06.56
Marcel Schütz
weil man jetzt sagen kann, er ist eine absolute Überraschungswahl, sondern weil es so außerordentlich über die Erwartung hinausgeht und weil der Kontrast zu dem, was man erwartet hatte bei Harris, auch so enorm ist.

00:05:22.31
Marcel Schütz
In gewisser Weise würde ich sagen, Harris ist jetzt doch wie Clinton geendet, so unterschiedlich die Fälle auch sind und so kwasser auch die Erwartungsenttäuschung war 2016. Wir mussten ja davon ausgehen, dass jetzt Trump auch gewinnt mit einiger Wahrscheinlichkeit, aber nochmal gemessen an dem, was in den letzten Tagen und überhaupt in dieser

00:05:45.50
Marcel Schütz
äußerlich betrachtet, medial betrachtet, sehr erfolgreichen Harris-Phase der letzten drei Monate vonstatten ging. Auf dieser Grundlage konnte man schon

00:05:57.84
Marcel Schütz
einiges sehen, dass er dafür gesprochen hätte, dass Trump nicht einen solchen Sieg einfährt. Und ich meine, es steht gegenwärtig so. Gegenwärtig steht es bei einer Differenz von fünf Millionen Wählern plus, die er hat. Also einen Vorsprung, der deutlich über den von Hillary Clinton, wenn es so bleibt, sich so verhält hinausgeht. Er hat

00:06:19.84
Marcel Schütz
die Swing States eingesammelt. Er liegt wahrscheinlich deutlich oder einigermaßen über 300 am Ende, wenn die ganzen Wahlmänner eingesammelt sind. Also das ist schon, würde ich sagen, für traumische Verhältnisse und für das, was wir erwartet hatten, das wäre meine Bilanz der letzten Nacht.

00:06:38.76
Marcel Schütz
Trump hat gesagt, es wird ein Erdrutschsieg. Alle haben gelacht und haben gesagt, ja, ja, der redet sich das mal erst schön präventiv. Aber ich würde sagen, an der Stelle stimmt es. Ja, es ist gemessen an dem, was man sich vorstellen konnte und was die Umfragen nicht geleistet haben. Am Ende an Auskunft ist es tatsächlich ein Erdrutschsieg.

00:07:00.28
Stefan Sasse
Ja, ich würde mich mitgehen bei dem Erdrutsch, weil ich einfach die Begrifflichkeit Erdrutsch sehe, die würde ich immer noch für solche Blowouts reservieren, wie keine Ahnung, Reagan 1984 oder so. Also wirklich diese völlig lopsided Dinge oder Clinton 96 oder so, weil…

00:07:17.43
Stefan Sasse
Auch dieses Mal, klar, fünf Millionen Stimmen ist eine Menge, aber das ist ja letztlich in dem Territorium, in dem zum Beispiel auch Obama gewonnen hat oder so und da haben wir auch nicht von Erdrutschsiegen gesprochen. Das ist nur gemessen an den Gefühlen. Also es ist quasi ein gefühlter Erdrutschsieger, aber es ist kein realer.

00:07:32.88
Stefan Sasse
Aber, davon abgesehen, versuche ich jetzt mal aufzudröseln, was du gerade alles angesprochen hast. Wir haben Nummer eins, diese Erwartungshaltungen mit den Umfragewerten. Und ich hatte das gleiche Gefühl wie du in der letzten Woche. Ich habe das ein bisschen auch getweetet, aber ich habe versucht, mich da zum Großteil einfach rauszuhalten und habe über diese unendlich vielen Tweets, die da rausgekommen sind, immer wieder drübergescolt, weil die mich so genervt haben. Also ich habe eine vergleichsweise progressive Timeline, ich glaube, das dürfte wenig Leute überraschen.

00:07:59.29
Stefan Sasse
Und ich habe ein ganz, ganz mieses Bauchgefühl bekommen zu den letzten fünf, sechs Tagen, als da mehrere Leute angefangen haben und als das auch massiv verbreitet wurde, diese Early-Voting-Zahlen wieder völlig überzuinterpretieren. Für diejenigen, die nicht wissen, was das ist in den USA, gibt es genauso wie bei uns diese Möglichkeit der Briefwahl. Das ist das Early-Vote, also dass man vor dem eigentlichen Wahltermin seine Stimme bereits abgibt.

00:08:26.92
Stefan Sasse
Und das hat in den letzten Jahren an Bedeutung ziemlich zugenommen. Und es hat sich quasi so eine eigene Unterindustrie der Umfragenindustrie entwickelt, aus den Zahlen der abgegebenen Erststimmen, die natürlich noch nicht ausgezählt sind, aber quasi einfach zu versuchen herauszulesen, wo diese Stimmen sind, irgendwelche Trends dann zu konstruieren.

00:08:48.59
Stefan Sasse
Das war bereits 2016 so, das war 2020 so und jedes Mal waren diese Interpretationen der Erststimmenabgaben, diese frühen, dieses Early Votes, waren kompletter Humbug. Und als die wieder angefangen haben jetzt da damit und sich dann einzureden, dass hier ein Harris-Erdrutsch-Sieg auf uns zukommt, auf Basis dieser Zahlen, da dachte ich schon so Leute, habt ihr eigentlich nichts gelernt die letzten Male und

00:09:13.95
Stefan Sasse
Das führt mich zu dem zweiten Punkt. Ich verstehe nicht, wie die Leute schon wieder die Umfragen so falsch lesen konnten. Weil ich finde gar nicht, dass die Umfragen so falsch waren. Das ist auch wie 2016. Da hieß es nachher auch, die Umfragen waren grotesk falsch. Aber diese 2 zu 1 Wahrscheinlichkeit von 2016, da bin ich weiterhin der Überzeugung, das war das richtige Umfrageergebnis, was die Wahrscheinlichkeiten anbelangt.

00:09:37.31
Stefan Sasse
Nur, dieses Mal waren wir bei diesem Coin Flip 50-50. Und da hat auch vor einer Woche oder anderthalb, hat da auch jemand relativ Kluges gesagt, Leute, diese Umfragen haben normalerweise einen Margin of Error, also so eine Fehlerbandbreite von 3%.

00:09:52.33
Stefan Sasse
Dazu, in diversen von diesen Swing States, ist die Datenlage so schlecht und sind die Schwünge so groß, dass das bis zu 6% betragen kann. Das heißt, es kann sein, dass die Wahl unglaublich knapp für Harris oder Trump wird. Es kann aber auch sein, dass jeder von denen mit 300 bis 320 Electoral College Stimmen rausgeht. Und die ganzen letzten Wochen, jedes Mal, wenn mich jemand gefragt hat, was glaubst du, wie die Wahl ausgeht, hab ich gesagt, es ist ein Münzwurf. I don’t know. Alles kann passieren. Und jeder, der was anderes behauptet, lügt sich in die Tasche.

00:10:20.25
Stefan Sasse
Und es haben sich mördermäßig viele Leute wieder in die Tasche gewogen. Und ich glaube, die müssen sich mal wirklich langsam die Frage stellen, warum sie das tun. Also noch viel mehr als die Frage bei den Democrats, wo wir gleich bestimmt auch hinkommen, warum haben wir verloren, sollten sich wirklich diverse Leute fragen, warum schaffen wir es nicht, diese

00:10:39.86
Stefan Sasse
Was uns Leute wie Nate Silver oder Nate Cohn oder sowas sagen, also diese ganzen Umfrage-Gurus oder Selzer oder was auch immer, warum schaffen wir das nicht, kognitiv zu verarbeiten, was die uns mitteilen? Weil die haben genau das gesagt, effektiv.

00:10:59.99
Marcel Schütz
Ich stimme zu. Ich glaube, dass die Schwierigkeit gerade bei der US-Wahl mit dieser Besonderheit der, wenn man so will, Verrechnung von Volksstimmen und Elektorensystem, dass die Besonderheit dahin besteht, dass man diese Unsicherheit

00:11:19.31
Marcel Schütz
selten eigentlich so mitkommuniziert. Das ist auch eine Kritik, die ich in letzter Woche gehört habe von einem Kollegen, der sich im Bereich Demoskopie bewegt und der dann auch sagte, normalerweise müsste man das viel deutlicher mitkommunizieren, wie die Einschränkungen der jeweiligen Umflagen aussehen, aber

00:11:37.67
Marcel Schütz
dann ist das keine mediale Story mehr. Das heißt auch aus Gründen des Geschichtenmachens. Und wir haben ja gesehen, wie mit den Umflagen auch auf Twitter, jetzt aber auch woanders sozusagen Wahlkampf gemacht wird von Anhängern. Aber auch von Leuten, wo man ein bisschen den Eindruck hat, naja, die haben natürlich eine gewisse politische Richtung, vielleicht wollen gerne auch die Umflagen besonders positiv hervorheben, die für einen Trend sprechen.

00:12:06.44
Marcel Schütz
Die generelle Schwierigkeit dort im Wahlsystem bleibt ja, dass man, wie du eben ausgeführt hast, am Ende eine relativ große Steuerung oder Spreizung hat des Möglichen, was an Ergebnissen dabei rumkommt. Und wenn man sich das jetzt anschaut, den Wahlkampf hast du ja eben schon angesprochen,

00:12:31.37
Marcel Schütz
Ich glaube, der Versuch jetzt auch auf diesen Wahlkampf einzugehen und zu sehen, wer hat eigentlich was falsch gemacht und woran könnte es gelegen haben, das ist ja eine Art, diese Unsicherheit, mit der man da konfrontiert ist, irgendwie zu erklären, aber vermutlich nicht besonders treffend zu erklären.

00:12:48.46
Marcel Schütz
Ich glaube nicht, dass man unbedingt sagen kann, es gibt jetzt Stationen in diesem Wahlkampf, die viel früher darauf hingedeutet haben, dass Harris schwächer ist oder die viel deutlicher darauf hingedeutet haben, dass Trump so stark ist, sondern vieles von dem, was man diskutiert hat, ist nicht mehr die Umfrage gewesen, sondern eine auch schon mediale

00:13:09.63
Marcel Schütz
Stimmung, die entstanden ist, eine öffentliche Stimmung. Und davon lässt man sich ja auch ein Stück weit mitbleiben. Ich habe von einigen gehört, die jetzt gesagt haben, ja, ich habe mich auch mitziehen lassen von so bestimmten Umfragen, weil ich die für besonders plausibel hielt. Ich würde sagen, erst einmal war es so, dass wir dieses Jahr ein kritisches Ereignis hatten, nämlich den Wechsel von Biden zu Harris.

00:13:35.76
Marcel Schütz
Und dass man natürlich nie sagen kann, wie stabil der Kandidat hier oder die Kandidatin sich jetzt bis in die Wahl entwickelt. Und auf der anderen Seite haben wir mit einem Trump zu tun, der, wie ich finde, relativ gleichmäßig stabil seine Werte gehalten hat. Es gab dann gefühlt oder auch messbar diesen Einbruch, aber

00:14:00.66
Marcel Schütz
Es war ja eigentlich nie so, dass man jetzt sagen würde, die sind weit auseinander. Sondern dieses nah beieinander sein über lange Zeit, relativ nah beieinander sein, hätte doch eigentlich schon verdeutlichen müssen. Man kann da nicht einen Trend ausmachen nach dem Motto Sie wird es bestimmt oder er wird es bestimmt. Nur wenn du so eine 50-50 Konstellation hast, ist das wahrscheinlich schwierig, am Ende zu einer Aussage zu kommen, die

00:14:31.19
Marcel Schütz
wie so was wie Verlässlichkeit geht, gibt. Man kann es nicht prognostizieren letztendlich. Man müsste eigentlich sagen, man kann nicht prognostizieren, wer in der Wahlnacht vorne liegen wird. Das hängt davon ab, wie eben die Bundesstaaten mit den Wahlmännern gewonnen werden. Und wenn es ein paar Tausend Wählern am Ende liegt, dann ist das erst mal knapp. Aber die Auswirkungen des Endergebnisses, die sind dann überhaupt gar nicht mehr knapp. Und genau das ist ja jetzt eigentlich eingetreten.

00:15:00.48
Stefan Sasse
Das ist wirklich so eine Wahrnehmungsgeschichte. Wie du schon gesagt hast in diesem Zitat, ich habe mich mitreißen lassen. Und das geht so leicht. Also ich musste wirklich eine ordentliche Menge kognitiver Energie aufwenden dieses Jahr, um mich dem zu entziehen. Und ich bin einigermaßen stolz darauf, dass ich das geschafft habe, einfach weil ich 2016, das hat mich so verbrannt.

00:15:21.76
Stefan Sasse
Weil ich da so drin war in diesem Umfug, in diesem letztlich Unterhaltungskarussell, mit dem jede Umfrage setzieren und diese ganzen Takes zu lesen. Was letztlich Kaffeesatzleserei ist. Wie viele Leute sind bei der Rallye? Und wer besucht welchen Swingstate? Und jada, jada, jada. Und ich hab mir die ganze Zeit eingeprügelt über die letzten Wochen. It doesn’t matter.

00:15:48.27
Stefan Sasse
Es ist letzten Endes Jacke wie Hose. Diese Sachen, wenn sie überhaupt was tun, bewegen sie winzige Bereiche. Und nichts davon lässt sich nachher zurückverfolgen. Werden ja das Problem sowohl 2016 als auch 2020, weil die beide so super knapp waren im Electoral College, dass es nicht möglich ist, die Wahl auf irgendeinen konkreten Faktor zurückzuführen. Einfach weil jeder dieser winzigen Faktoren potenziell den Ausschlag hätte geben können. Das wird dieses Mal nicht der Fall sein.

00:16:17.00
Stefan Sasse
Darauf kommen wir bestimmt gleich, wegen des großen Umschwungs und weil Trump es jetzt tatsächlich geschafft hat, zum ersten Mal seit 2004 als Republican den Popular Vote zu gewinnen. Aber nichtsdestotrotz, das ist ein starkes Mindset, in das man da kommen kann. Und man muss ja auch fairerweise sagen, die Republicans, die Gegenseite hat es ja auch gemacht. Wir haben es 2020 gesehen, als da die ganze MAGA-Crowd völlig überzeugt war, bis zu dem

00:16:42.70
Stefan Sasse
wo sie einen Putsch gestartet haben deswegen, dass sie eigentlich gewonnen haben. Und die waren ja genauso überzeugt, dass alles in ihre Richtung läuft. Hätte jetzt Harris gewonnen, dann würden die genauso dumm dastehen. Also es ist nicht so, als wären die cleverer gewesen, oder als hätten die irgendeinen Inside gehabt, dass die andere Seite nicht hatte. Beide Seiten haben genau den gleichen Scheiß gemacht, nur 50-50, eine von beiden hat halt Recht.

00:17:05.93
Stefan Sasse
Also das ist wirklich genauso wie wenn ich eine Münze schmeiß und wir alle sind total investiert und engagiert in das Resultat dieses Münzbruchs. Und irgendjemand von uns wird Recht haben. Aber keiner von uns konnte das korrekt vorhersagen. Und das ist ein ganz, ganz großes Problem, was man jetzt gerade auch sieht in der Berichterstattung, wo erneut die gleichen Fehler gemacht werden. Ich habe heute einen Artikel im Spiegel gesehen, vier Lehren aus der US-Wahl. Und dann lese ich da als als Kommentar drin, dass zwar

00:17:35.93
Stefan Sasse
69% der Personen, die für die Abtreibung ein wichtiges Thema ist, Harris gewählt haben, und Harris hat es ja zu einem großen Wahlkampfthema gemacht, Abtreibungsrechte, das zeigt, dass diese Wahlkampfstrategie gescheitert ist. Ein Scheiß zeigt das, weil ich weiß doch, diese Zahl zeigt mir überhaupt nicht,

00:17:54.04
Stefan Sasse
ob gegebenenfalls, wenn dieser Wahlkampf nicht so geführt worden wäre, die Verluste noch größer gewesen wären. Also, das ist schon eine plausible Erklärung. Das kann sein. Aber wir wissen es zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht. Also, man kann diese Sachen überhaupt nicht sagen. Aber die Leute gucken das Ergebnis an. Sie sagen, Trump hat gewonnen. Und weil Trump gewonnen hat, musste Trump gewinnen. Aber das ist ja Quatsch. Das erklärt er nicht. Das ist eine riesige Tautologie. Und das machen die jedes Jahr aufs Neue. Und das macht mich wahnsinnig.

00:18:24.18
Marcel Schütz
Ich glaube, die Verführung ist sehr groß, dass man sofort so eine Art Attribuierung vornimmt. Dass man versucht, sofort zuzurechnen worden, hat es gelegen. Und es mag ja auch mehr und weniger plausible Faktorenanalysen geben. Ich kann mir schon vorstellen,

00:18:38.75
Marcel Schütz
dass es sozusagen auch unter Leuten, die sich jetzt professionell mit Kampagnen auskennen, Erfahrungswerte gibt, wie du etwas besser und wie du etwas schlechter auf die Spur bringen kannst. Interessanterweise habe ich jetzt immer gehört, über länger Zeit, dass Trump eigentlich eine schlechte Kampagne habe. Und heute höre ich, ja, das ist jetzt so eine Art Post-Rationalisierung, die auch eintet, wo er habe eigentlich eine sehr gute Kampagne gehabt. Es sei alles aufgegangen.

00:19:05.16
Marcel Schütz
Man will Dinge sehen. Ich denke, und da bin ich vielleicht ein bisschen auch in meiner Interessiertheit an dem schon von dir angesprochenen Phänomen Trump vorgeprägt. Ich kann mir schon vorstellen, dass in der Tendenz Trumps

00:19:23.54
Marcel Schütz
Zustimmung letztlich sich als stabiler, gleichmäßiger oder sagen wir renaturierter erweist gegenüber dem Jahr 2020. Muss ja so sein, sonst hätte es nicht geklappt. Wir werden bestimmt in den nächsten Tagen noch sehr viele, geradezu filigrane

00:19:41.29
Marcel Schütz
Analysen bekommen, ist ja noch viel zu früh, die zeigen, inwiefern ist Trump, es gibt erste Andeutungen, sind heute zu lesen, New York Times hat darüber berichtet, inwiefern ist Trump gelungen, ist tatsächlich die Wählerbasis auch zu erweitern. Nun kann das daran liegen, du hast es im Vorgespräch kurz schon erwähnt, dass bei den anderen etwas weggefallen ist, dass Trump dann übernommen hat. Aber ich denke, man kann schon sagen, er hat einen

00:20:05.100
Marcel Schütz
Wie soll man formulieren? Einen qualitativ nachhaltigen Wahlarfolg für seine Verhältnisse. Ich weiß, dass seit Jahren gesagt wurde, erstens, Trump kann keine Wahlen gewinnen. Das war das Credo nach dem Jahr 2020. Er kann sowieso nicht die wirklichen Wählerstimmen gewinnen. Das ist jetzt deutlich korrigiert worden. Und da muss man sagen, das haben wahrscheinlich kaum Analysen gezeigt, dass Trump das gelingen könnte.

00:20:34.00
Marcel Schütz
Und dann hat man vor allen Dingen gesagt auch, ihm gelingt es nicht, die Gruppen auszudifferenzieren. Also ihm gelingt es nicht, außerhalb seiner Magerbewegung und der frustrierten und der klassischen Kernwälderschaft zu funktionieren. Da würde ich jetzt doch einige Fragezeichen dran setzen, ohne dass ich das schon komplett überblicken kann. Ich meine aber schon die Tendenz,

00:20:57.41
Marcel Schütz
wird bestimmt dahingehen, zumindest ist sie heute schon zu erkennen. Es ist qualitativ eine andere Geschichte geworden als 2020. Wir wissen, die Wahl 2020 war ja de facto auch relativ knapp, auch wenn es am Ende nicht so aussah. Diese 80.000 Stimmen, die dann entscheidend gewesen sind. Und das bringt mich zu der Überlegung, dass es zunächst einmal faszinierend ist,

00:21:23.90
Marcel Schütz
dass Trump tatsächlich in diesen wilden vier Jahren mit all den Skandalen, mit all den Affären, mit all den unglaublichen Geschichten, man sah den Mann ja schon im Gefängnis, bevor die Wahl überhaupt durchgeführt worden ist, ihm es gelungen ist, förmlich das alles hinter sich zu lassen und ich habe es heute so formuliert oder so überlegt, in gewisser Weise befindet sich Trump durch diese Wahl in einer Art, wie soll man sagen, Re-Sozialisierung,

00:21:32.60
Stefan Sasse
Vielen Dank für’s Zuhören.

00:21:55.75
Marcel Schütz
Rehabilitierung und zwar derart, dass man jetzt sagen kann, er braucht seine Geschichte von der gestohlenen Wahl nicht mehr. Die ist jetzt Vergangenheit. Er ist wiedergewählt worden. Durch diese Wiederwahl ist dieser Trump unterstützt worden von einem Wahlvolk. Und das wird alle Maßnahmen, die juristisch überhaupt noch im Raum stehen, schon heute ist zu hören, dass die Aussetzungen beginnen. Der nächste Schritt wird sein, dass die Verfahren eingestellt werden.

00:22:22.84
Marcel Schütz
dass das mehr oder weniger aufgehoben ist. Und das macht es, denke ich, auch so spektakulär für die Kritiker vor allen Dingen, für diejenigen, die vor Trump waren, dass man sehen kann,

00:22:35.43
Marcel Schütz
Was soll man dazu eigentlich noch sagen? Wenn der so einen herausragenden Wahlerfolg durchaus in der Mitte des amerikanischen Volkes noch generieren kann, dann ist ihm etwas gelungen, was historisch ist. Er ist nach Cuba, Cleveland. Das müssen wir natürlich nochmal erwähnen. Der zweite seltene Präsident, dem eine Wiederwahl gelungen ist nach einer Abwahl. Cleveland wurde

00:23:00.54
Marcel Schütz
1888 abgewählt und ist 1892 wieder ins Amt gekommen. Das hat nur Trump geschafft. Und ich denke, die Magie oder die Faszination auch der Magerbewegung bei dieser Wahl

00:23:14.94
Marcel Schütz
Die wird jetzt die sein, dass man diese ganze Geschichte um 2020 und die vermeintlich gestohlene Wahl hinter sich lassen kann. Das neue Spektakuläre ist, dass man es so mal geschafft hat, abgewählt zu werden und nach vier Jahren auf die Bühne zurückzukommen mit einem immerhin

00:23:34.84
Marcel Schütz
wenn das Wort Erdrutschsieg auch nicht gefällt, so doch extrem vorzeigbaren Sieg. Und das ist natürlich eine Story, wie sie in dem Trumpschen Märchenbuch, wenn wir auf das Phänomen Trump schauen, nicht besser hätte sein können. Er krönt förmlich alles das, was hier seit einem Jahrzehnt mit ihm besteht. Und ich würde schon sagen, in diesem Ausmaß

00:24:01.07
Marcel Schütz
konnte man das wirklich schlecht erwarten. Es ist schon beachtlich und es wird sicherlich noch viele Wochen bis zur Amtseinführung den Leuten zu denken geben und auch

00:24:11.84
Marcel Schütz
Nachdenken auslösen, wie man das zu deuten hat. Das wird schon eine sehr markante Wahl sein. Ich würde schon sagen, das ist eine historische Wahl, auch wenn der Begriff historisch jetzt schon so dermaßen abgenutzt ist. Es ist auch historisch dieses Attentat. Es ist historisch der Wechsel in diesem Amt, in diesem Jahr. Es ist historisch, was alles geschehen ist mit dem Sturm auf das Kapitol.

00:24:33.66
Marcel Schütz
Er ist, wie ich das schon oft angedeutet habe oder geschrieben habe, er ist eine derartig eigene Kategorie, dass er alle anderen damit konfrontiert, eigentlich schwer analytisch im Herd zu werden. Wir haben das ja jetzt bei Lichtmann gesehen. Der Mann, der seit 40 Jahren immer richtig lag mit seinen Wahlprognosen,

00:24:58.51
Marcel Schütz
gibt es auch Kritik, dass das vielleicht gar nicht so beachtlich war, weil irgendwann merkt man ja im Jahr, wer weiter vorne liegt, wer weiter hinten liegt. Aber gut, er hat, ein Lichtmann hat wirklich ein sehr raffiniertes Modell entwickelt mit diesen 13 Schlüssel zum Weißen Haus. Und nun ist es ausgerechnet Lichtmann gewesen, der auch in der letzten Zeit mit einer

00:25:20.37
Marcel Schütz
Inprunst der Sicherheit schon verkündet hatte, es wird Harris, die Sache ist gelaufen. Trump hat keine Möglichkeiten mehr zu gewinnen. Und es ist natürlich, ich sagte heute, regelrecht Trump-esque, das Ausgerechnet dieser Trump nun den hochakademischen Orakelen

00:25:38.90
Marcel Schütz
aufzeigt, wie man sich in seinen eigenen Modellen auch verehren kann. Das ist eine dieser vielen, ich sag mal Fußnoten, dieser kleinen Anekdoten, die drum bestehen. Aber die sind natürlich erwähnenswert, weil sie zeigen, es ist wieder so, dass diese tramsche Strahlkraft und dieses tramsche Ereignis durchaus

00:26:04.07
Marcel Schütz
Ja, eine gewisse Erwartungsenttäuschung darstellt oder für andere natürlich auch eine spektakuläre Entwicklung, die man immer wieder geneigt ist, nicht wirklich nachvollziehen zu können. Das gebe ich auch offen zu. Mit klassischen politologischen institutionellen Ansätzen ist man da eigentlich

00:26:24.75
Marcel Schütz
und wenn ich mir heute anschaue, wie auf X die Diskussion unter Experten im Bereich der politischen Analyse aussieht, dann sehe ich vor allen Dingen viel Ratlosigkeit.

00:26:36.77
Stefan Sasse
Ich möchte einen Punkt gleich zu Beginn aufgreifen, den du genannt hast, nämlich dass Trump Wahlen nicht gewinnen kann. Das ist ja eine Position, die habe ich bisher auch vertreten, muss ich ja ganz ehrlich sagen. Ich habe immer gesagt, er kann keine Wahlen gewinnen, die anderen können sie nur verlieren. Da muss ich jetzt auch sagen, wird sich jetzt in der nächsten Zeit rausstellen, wie belastbar diese Analyse ist. Ich bin noch nicht bereit, sie komplett wegzuwerfen, aber sie steht zumindest sehr stark auf der Abschlussliste, das muss man ganz klar sagen.

00:27:02.04
Stefan Sasse
Da werden wir auch noch sehen müssen. Da gibt es ein gewisses Soul Searching bei vielen Leuten. Ich will jetzt allerdings mal ein ganz kleines bisschen den Gang wechseln sozusagen.

00:27:13.58
Stefan Sasse
Und die Frage stellen, weg von der Rezeption bisher, da sind wir uns jetzt ziemlich einig, die war verbesserungswürdig, was das anbelangt, wie die Leute darauf reagiert haben und wie sie im Vorfeld das Ganze rezipiert haben, sondern stattdessen gehen auf die Frage, was passiert hier eigentlich.

00:27:33.18
Stefan Sasse
Und meine große These aktuell und erneut, wir sind hier wirklich im direkten Nachklapp zur Wahl, wir wissen noch relativ wenig, das mag sich alles noch ändern, aber meine Arbeitshypothese jetzt aktuell ist, dass wir vorsichtig sein müssen, diese amerikanische Wahl zu idiosynkratisch zu betrachten, will heißen,

00:27:51.25
Stefan Sasse
Die gehört in einen globalen Kontext. Und die ist nicht nur als ein Duell Trump gegen Harris zu betrachten, sondern die findet statt in einem Spannungsfeld von schwerwiegenden globalen Dynamiken. Um kurz zu erklären, was ich meine, stellen wir uns einfach mal ganz kurz vor demokratische Wahlen während beispielsweise des Zweiten Weltkrieges.

00:28:15.59
Stefan Sasse
die werden alle die Gemeinsamkeit haben, dass sie in irgendeiner Art und Weise mit den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges zu tun haben. Ob ich jetzt in Brasilien wähle, was nicht mal Kriegspartei ist gegebenenfalls, ist da relativ egal, weil das ein Ereignis ist sozusagen, das zwangsläufig auch Auswirkungen auf andere Länder hat, die anderen für sich unbeteiligt sind. Wir haben aktuell jetzt nicht den Zweiten Weltkrieg an der Backe, das wähle ich jetzt nur als Beispiel um zu zeigen, was ich meine,

00:28:40.47
Stefan Sasse
sondern wir haben größere Trends und Tendenzen, die wir weltweit beobachten können. In allen Demokratien, also in allen, die tatsächlich echte Wahlen abhalten. Und das tun die USA ja noch, zum Glück. Und der große Trend, und da habe ich gleich den ersten Artikel, den ich in den Show Notes verlinkt habe, ich kann den nur empfehlen, der wurde vor der Wahl geschrieben, muss man dazu sagen.

00:29:02.70
Stefan Sasse
Und ich hab den auch schon vor der Wahl gelesen und fand den da schon ziemlich gut. Der ist von Matthew Iglesias in The New York Times erschienen, hat aufgegriffen, was zum Beispiel David Dayen auch schon vorher auf Twitter gesagt hat, nämlich wir haben aktuell einen Trend in allen Demokratien, dass die jeweils amtsinhabende Regierung völlig unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung bei jeder Wahl auf die Gosch kriegt, um es mal schön schwäbisch auszudrücken.

00:29:28.58
Stefan Sasse
Das heißt, egal welche Regierung in einem Land gerade an der Macht ist, die Wählenden können sie nicht leiden und wählen das jeweilige Gegenstück. Wir sehen in Deutschland die extreme Unpopularität der Ampel aktuell. In Frankreich von Macron. In Großbritannien sind die Tories abgewählt worden. In Spanien haben die, wer hat da verloren? Ich glaube die Linksliberalen, wenn mich nicht alles täuscht.

00:29:53.23
Stefan Sasse
und so weiter und so fort. Also in wirklich diversen Wahlen haben jedes Mal diejenigen, die die Macht gerade hatten, elektoral verloren, während diejenigen, die die Opposition sind, quasi dazukriegen. Und in jedem Land war das beherrschende Thema letzten Endes das Gleiche. Und es war eben nicht der Bokeh-Unfug oder eben diese spezifisch amerikanischen Geschichten oder sonst irgendwas oder Palästina oder hast du nicht gesehen,

00:30:22.65
Stefan Sasse
sondern es war Inflation, Inflation, Inflation. Überall diese wahrgenommene oder echte, je nachdem, Inflation, die teilweise wirklich losgelöst war von den rein wirtschaftlichen Kerndaten, aber die als politisches Thema unglaublich mächtig ist und quasi der absolute Katalysator war, wie man auf Englisch sagt, the straw that breaks the camel’s back. Das kam als ein Trio sozusagen, wir hatten Covid,

00:30:52.26
Stefan Sasse
Das hat der ersten Trump-Regierung im Übrigen das Rückgrat gebrochen. Joe Biden hätte diese Wahlen niemals gewonnen, ohne Covid und die verkackte Reaktion der Trump-Regierung darauf. Und erneut, ich möchte diesen Punkt noch mal unterstreichen, den du gemacht hast, 2020 war noch knapper als 2016. Das war eine unglaublich knappe Kiste und auch hier, das fühlt sich dann rückblickend wieder so an, Biden hat gewinnen müssen, weil er ja gewonnen hat. Aber das ist nicht wahr. Und

00:30:52.24
Marcel Schütz
Copyright WDR 2021

00:31:19.87
Stefan Sasse
Wir sehen es eben jetzt auch hier. In den USA hat eine riesige Rolle gespielt diese Inflationsgeschichte neben Einwanderung. Das zweite große Thema, das in allen diesen Ländern ganz ganz weit oben auf der Agenda steht. Dieser gefühlte Kontrollverlust der Regierungen auf diesen beiden Kerngebieten.

00:31:41.41
Stefan Sasse
die die Wählenden betreffen und die auch super verständlich sind. Die kann ich runterbrechen auf ganz, ganz krasse Bauchgefälle. Da muss ich keine Wörter kennenlernen oder sonst irgendwas. Die Butter wird teurer und es sind mehr braune Menschen im Land. Das versteht jeder. Und das sind wirklich Grundtendenzen, die ich habe, ob in den USA, ob in Frankreich, ob in Deutschland oder sonst irgendwo. Und ich denke, man muss das wirklich in diesem Kontext sehen. Das ist Punkt Nummer eins, den ich an der Stelle erstmal anbringen will.

00:32:10.49
Stefan Sasse
Und Punkt Nummer 2 ist der, dass wir auch mal gucken müssen, den Verlauf dieses Wahlkampfes. Als dieser Wahlkampf begonnen hat, waren die Democrats mit Joe Biden, wie viele Prozentpunkte hinter Trump? 6, 7, 8? Also das war wirklich ein gigantischer Abstand und der komplette Wahlkampf von Joe Biden kam nicht vom Fleck. Das war ein Desaster.

00:32:34.26
Stefan Sasse
und eben in line mit diesen anderen Tendenzen, die wir aus anderen Ländern kennen. Wenn jetzt also Kamala Harris und ihr Wahlkampf kritisiert werden, ich bin mir nicht sicher, ob diese Kritik taugt. Also auch hier meine aktuelle Arbeitshypothese ist,

00:32:49.86
Stefan Sasse
Kamala Harris hat einen kompetenten Wahlkampf gemacht. Und zwar einen ziemlich kompetenten. Während das Trump-Team einen sehr inkompetenten Wahlkampf gemacht haben. Es war nur egal, weil die bzw. es hat nicht die Auswirkungen gehabt, die man von diesen Aussagen hier erwarten würde. Weil nämlich der Ausgang der Wahl maßgeblich von diesen zugrunde liegenden Dynamiken einerseits und von dem, was du bereits angesprochen hast, nämlich von der Person Trumps, auf der anderen Seite beeinflusst wurde.

00:33:19.15
Stefan Sasse
Deswegen glaube ich auch nicht, dass ein anderer Kandidat oder eine andere Kandidatin als Harris zwingend die besseren Chancen gehabt hätte. Es ist ein mittleres Wunder, dass dieser Wahlkampf tatsächlich auf ein 50-50 rauslief in den letzten zwei, drei Monaten. Die Democrats haben das Steuer herumgerissen.

00:33:39.50
Stefan Sasse
Man muss sich das wirklich mal angucken, mit den Popularitätswerten von Harris, mit den Umfrageergebnissen, auf eine Art und Weise, die eine Leistung darstellt. Also wenn ich jemand bei den Democrats wäre, ich würde mir schon, also ich würde jetzt nicht sagen, die Leute, die diesen Wahlkampf gemacht haben, tauchen nichts, wir brauchen die nie wieder.

00:33:58.96
Stefan Sasse
Also da verstehen Leute offensichtliche Handwerke. Es hat nicht gereicht. Aber daraus darf man nicht zwingend den Schluss ziehen, dass quasi hätte man das anders gemacht, wie es jetzt natürlich vor allem die ganzen Lefties tun. Oh mein Gott, hätten die Democrats nur noch krasser linke Positionen vertreten, dann hätten wir gewonnen. Never ever. Wir haben einen globalen Rechtsruck.

00:34:20.26
Stefan Sasse
in eigentlich allen Demokratien aktuell. Den können wir auch in jedem Land sehen. Und auf den hat Harris auch reagiert und auf den hat sie reagieren müssen. Die Frage wäre maximal, ob sie noch weiter hätte nach rechts rutschen müssen. Ich glaube aber auch diese Frage ist müßig, weil ich nur mit der Partei Wahlkampf machen kann, in der ich bin und die ich habe.

00:34:41.08
Stefan Sasse
Und wenn da Leute jetzt kritisieren, dass Harris die Sprache benutzt, die sie benutzt hat, oder an die wählenden Gruppen appelliert hat, an die sie appelliert hat, das sind halt die wählenden Gruppen der Democrats. Und wenn das nicht ausreicht, dann ist das ein langfristiges Problem. Aber das ist keines, was sich in drei Monaten Wahlkampf ändern kann. Also da müssen wir uns einfach klar machen, auf was hat die Frau überhaupt Einfluss gehabt mit ihrem Wahlkampf.

00:35:05.74
Marcel Schütz
Ja, und in Ergänzung dazu vielleicht ein bisschen Systematik. Ich würde so herangehen, dass ich sage, erstmal kann man unterscheiden zwischen kurzfristigen und langfristigen Entwicklungen in der Geschichte. Die vorangehende Entwicklung war die, dass sich länger Zeit abzeichnete, dass es für die beiden Administrationen offenbar deutlich schwieriger wird, eine Wiederwahl zu organisieren, als man beispielsweise noch im Jahr 2022 oder auch noch im frühen Jahr 2023 dachte.

00:35:31.99
Marcel Schütz
Allerdings hat sich schon im letzten Jahr abgezeichnet, dass Trump über Monate eigentlich Vorsprünge hatte. Auch in den Swing States hat er lange Zeit gut gestanden. Ich hatte mich immer gewundert, warum das so wenig thematisiert wird. Man hörte immer, dass Biden nächstes Jahr die Wahl gewinnt. Aber man sieht, die Leute gehen eben, je nachdem, was gerade ansteht, mal locker damit Zahlen um. Und dann, wenn man mehr den Fokus darauf hat, dann sind die Zahlen besonders wichtig. Also rein zahlenmäßig konnte man das längere Zeit sehen. Das wäre die langfristige Seite.

00:36:00.42
Marcel Schütz
die langfristige Perspektive. Die kurzfristige Sache ist die, dass es natürlich bei beiden zu diesen Ausfällen, wie man so sagte, oder Aussetzern kam. Es kam zu einem DV-Duell, das nicht mehr zu retten war, ganz maßgeblich auch, weil es am Ende noch dramatischer in der Erzählung darüber war, als es vielleicht tatsächlich stattgefunden hat. Und dann entstand ja sowas, da hatte ich den Verdacht,

00:36:25.40
Marcel Schütz
Die Demokraten bringen es noch fertig, ihren eigenen schon angeschlagenen Präsidenten nicht so zu präparieren und zu stärken, dass er gerade noch über die Ziellinie kommt im Herbst, sondern ihn so zu dekonstruieren, dass es wirklich nicht mehr geht. Denn am Ende müssen wir immer bedenken, das eine ist, was dort geschieht, das andere ist, was sich in Stimmungen niederschlägt, inwiefern man das überhaupt noch trennen kann, gerade in einer amerikanischen Wahl.

00:36:48.63
Marcel Schütz
wo Show und Hinterbühne sowieso sehr eng miteinander im Zweifel verbunden sind. Du weißt nie genau, wo endet jetzt eigentlich die Dramatisierung, die Inszenierung, was ist eigentlich noch klassische Administration. Das ist in einem amerikanischen Wahlkampf ja wirklich fließend, weil man derartig auf Bilder, auf Stories, auf Gefühle am Ende auch setzt. Und dann würde ich sagen, es gibt eine Art

00:37:14.82
Marcel Schütz
Nach meiner Wahrnehmung ist zu bedenken, dass unterschiedliche Erwartungen an einen Trumpschen Wahlkampf und an einem demokratischen Wahlkampf, sage ich jetzt mal, Harris oder Biden bestehen. Das fängt schon damit an, dass man natürlich sieht, Fehltritte, Störungen, Irritationen auf der demokratischen Seite können viel mehr ins Gewicht fallen und können viel nachhaltiger auch problematisiert werden, ganz offenkundig, als das bei Trump der Fall ist.

00:37:43.20
Marcel Schütz
wo die Devianz immer schon eingerechnet ist. Ich meine, was sind in den letzten Wochen, muss man auch sagen, letzten Tagen für Worte gefallen. Was sind für Beschreibungen vonstatten gegangen, bis hin zu Erschießungskommandos und ähnlichem mehr. Wir kennen das alles, was dort thematisiert wurde. Dann diese Geschichte mit dem Müll.

00:38:03.13
Marcel Schütz
Und mit der schwimmenden Müllinsel. Das sind alles Sachen, die im Nachhinein die Leute sagten, das wird jetzt alles sich irgendwie niederschlagen. Wir können das nicht beurteilen. Wahrscheinlich hat es kaum einen sonderlichen Effekt gehabt auf die Dinge. Das ist eingepreist bei Trump. Und insofern gehe ich jetzt auf deine These ein, oder komme ich dir entgegen, wenn du sagst, das ist eigentlich ein größerer Trend, der darin besteht, dass von rechts abgewählt wird,

00:38:29.79
Marcel Schütz
die Regierung, die amtiert, die Unzufriedenheit sich entlädt und dann können wir auch an Deutschland denken. Wir haben über die Alternative für Deutschland gesprochen und wir sehen ja auch, dass freundschaftliche Verhältnisse zwischen diesen Parteien bestehen, nicht ohne Grund. Das ist eben Strukturendigkeit. Man legt sich mit dem Establishment an oder will es abschaffen. Das ist so die Ebene des Wordings. Aber dahinter steht ja eigentlich,

00:38:55.66
Marcel Schütz
dass Trump und Mager letztendlich eine wunderbare Plattform oder eine Struktur bieten, wie genau dieses Abwahlszenario oder dieses sozusagen bestrafene Sanktionieren der Regierung, in dem Falle der beiden Administrationen, möglich wird.

00:39:13.73
Marcel Schütz
Die Erwartung an einen Trumpschen Wahlkampf ist nicht, dass sozusagen, wie das bei Harris nach meiner Wahrnehmung gefordert wurde, große Innovationspläne, gesellschaftliche Progressivität und Erneuerung und alles dies formuliert wird, sondern es ist vor allen Dingen die Erwartung, Recht und Ordnung zu schaffen, Law and Order.

00:39:37.12
Marcel Schütz
und in Zweifel die Inflation in den Griff zu bekommen, in Zweifel eben dann doch diese sehr simplen Ansprüche, die man gar nicht mehr hören kann, it’s economy, stupid, die Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Und wenn das funktioniert, wenn du es schaffst, traditionelle, geradezu Amerika-mystische Elemente einer Vorstellung von richtiger Gesellschaft, richtiger Politik, Ordnung in der Welt, wenn du das formulierst,

00:40:04.92
Marcel Schütz
in einer solchen Struktur, die Trump mit Marga anbietet, dann würde ich sagen, hat man relativ gute Chancen, eine Administration loszuwerden oder abzusetzen, die durch die gegenwärtigen Krisen,

00:40:19.50
Marcel Schütz
durch die besondere Situation von beiden in seinem Amt letztendlich nicht diese Stärke hatte, um sich dem wirklich zu erwehren. Ich will einfach sagen, Trump hat mit seiner sehr simplen Programmatik, mit dieser gesamten Wiederholung, man sieht es in seinen Shows, in seinen Botschaften, in diesen Rallies, es sind sehr simple wiederkehrenden Strukturen. Aber die hat er sehr konstant eigentlich abgearbeitet, ist immer bei seinem Thema geblieben.

00:40:47.00
Marcel Schütz
sehr wenig innovativ am Ende. Das hat aber funktioniert. Darauf ist zu setzen am Ende. Ein Wort eingeben darf. Es sind eigentlich zwei

00:40:54.43
Stefan Sasse
total also ich halte auch diesen aspekt immer noch für völlig unterbewertet dass hier offensichtlich völlig unterschiedliche regelwerke am start sind also trump macht nach einem ist einfach der zentrale unterschied aller

00:41:10.64
Marcel Schütz
Programme, könnte man sagen. Ich meine nicht nur Wahlprogramme, das ist schon sehr spezifisch. Ich meine zwei verschiedene Formen von Programmierung der Politik, der Wahlkämpfe, auch der personellen Darstellung. Und wenn man zwei so verschiedene Programmierungen hat, wird man auch verschiedene Kriterien, verschiedene Ansprüche und Erwartungen anlegen. Und es ist natürlich klar, dass in einem Amerika, das auf der einen Seite einen sehr progressiven, liberalen,

00:41:37.69
Stefan Sasse
Vielen Dank.

00:41:40.86
Marcel Schütz
möglicherweise auch sehr modernen, kosmopolitisch geprägten Rahmen bietet und auf der anderen Seite mit einer Art, ja, vielleicht auch reaktionären Gestalt, jedenfalls nationalen, konservativen Gestalt. Wenn diese beiden Programme aufeinander treffen, dann wird man es nie fertigbringen, dass sozusagen jetzt Journalisten und Wissenschaftler daneben stehen und beide irgendwie nach gleichen Kriterien behandeln. Es wird immer so sein, dass

00:42:10.61
Marcel Schütz
würde ich meinen, gerade bei Trump in der amerikanischen Konstellation, du hast ja von globalen Trends gesprochen, es wird immer so sein, dass ein populistisches Programm, ein Programm von rechts, ein Programm, das auch Trump anbietet, einen gewissen Vorteil hat, sich gewissen Kriterien zu entziehen, die viel härter angelegt werden bei denjenigen, die sich als die vermeintlich Guten oder die besonders wachsamen und hohen und was man da alles diskutiert und negativ anspricht,

00:42:24.70
Stefan Sasse
Vielen Dank für’s Zuschauen.

00:42:38.23
Marcel Schütz
Das sind zwei verschiedene Programmierungen, würde ich sagen.

00:42:42.33
Stefan Sasse
Ja, das passiert ja auch hierzulande. Ich meine, zum Beispiel die AfD, die muss sich ja auch überhaupt nicht den Fragen von Realisierbarkeiten, Finanzierbarkeit, etc. Das spielt bei denen alles überhaupt keine Rolle. Auch die spielen dann einen komplett anderen Regelwerk. Deswegen, das sehen wir quasi überall an der Stelle. Und das ist eben dieses nach acht Jahren immer noch laufende, konstante Versagen, da damit in irgendeiner Art und Weise zurande zu kommen.

00:43:08.06
Stefan Sasse
Weil, nur als Seitenbemerkung, die Medien entziehen sich ihre eigene Existenzgrundlage letzten Endes. Weil sie versuchen, nach einem Regelwerk den Schiedsrichter zu spielen, ohne festzustellen, dass sie selber auf dem Spielfeld stehen. Sie sind nicht der Schiedsrichter, die sind Mitspieler und merken das nicht mal.

00:43:29.43
Stefan Sasse
Und das ist ein ganz, ganz riesen Ding. Also ich glaube, wenn wir dann irgendwann mal die Geschichtsbücher schreiben über diese Ära, dann muss das definitiv in der Aufarbeitung einer der ganz großen Punkte sein. Dieses Unvermögen, eine Möglichkeit zu finden über diesen Rechtspopulismus, was er ja aktuell ist. Wir haben ja keine vergleichbare linkspopulistische Bewegung aktuell. Mag noch kommen, aber aktuell ist es eben vor allem von rechts.

00:43:54.39
Stefan Sasse
in irgendeiner angemessenen Art und Weise zu sprechen.

00:43:58.78
Marcel Schütz
Wir haben dann Sprachlosigkeit am Ende oder das heißt Begrenzung vom Begriff. Du siehst jetzt, mir fällt auf, wie stark natürlich der Begriff Faschismus jetzt und seiner faschistoiden Züge, die man dann ihm attestiert, eingebracht wird. Aber was erklärt das? Es ist natürlich eine Sammelbezeichnung, die alle möglichen extremen Ausmaße darstellt. Ich habe Zweifel, dass dieser Begriff die sozusagen typisch amerikanischen Verhältnisse, um jetzt doch noch ein bisschen

00:44:29.10
Marcel Schütz
die amerikanischen Besonderheiten und nicht nur den globalen allgemeinen Trend in den Blick zu nehmen. Ich habe Zweifel, dass solche Begriffe, die dann gewissermaßen wie so Keulen

00:44:39.84
Marcel Schütz
da eingesetzt werden. Ich habe Zweifel, dass sie besonders viel erklären. Man kann jetzt natürlich sagen, man findet Trump faschistoid. Und dann würde ich sagen, wenn man das sagt, sieht man vieles nicht, was dieser Mann an Wirkungen erreicht. Und das sage ich nicht in Anbetung oder Faszination, sondern was er erreicht bei Leuten, die sozusagen eine Lücke in diesem System identifizieren und für die es am Ende des Tages nicht um

00:45:06.51
Marcel Schütz
sozusagen fanatische oder faschistische Vorstellungen geht, sondern es geht darum, dass sie ihre Rechnungen bezahlen können und dass sie das Gefühl haben, natürlich auch in einem Land zu leben, wo sie durch ihre Hände Arbeit und durch ihre Teilhabe auch so integriert sind,

00:45:24.33
Marcel Schütz
dass sie den, wie soll man sagen, dass die hohen Ansprüche, die eben auch in der amerikanischen Vorstellung einer freien Gesellschaft bestehen, dass sie eingelöst werden können. Und wenn man in einer Gesellschaft sich befindet, in einem Land befindet wie die USA, wo diese Erwartungen, also staatlicherseits, gesellschaftlich, kulturell, derartig hoch gesetzt sind, was wirtschaftliche und kulturelle

00:45:50.20
Marcel Schütz
Freizügigkeit angeht. Und wenn das angegriffen wird und belastet wird, dann würde ich sagen, ist das die Chance für einen Donald Trump, genau dort den Finger in die Wunde zu legen? Und dann sind wir ganz schnell bei größeren Diskussionen, Establishment, Eliten. Wer hat eigentlich in den USA schon qua

00:46:07.58
Marcel Schütz
Geldmitteln das sagen. Und da sind die Demokraten natürlich auch nicht ganz aus der Verantwortung zu nehmen. Die ganz wesentlich eben in der Vorstellung, zumindest der kernamerikanischen Teile des Landes, die sogenannten Christeneliten darstellen und Strukturen hervorgebracht haben, die ausgerechnet diesem Multimillionär Trump es ermöglichen, auf eine fast schon irrwitzig authentische

00:46:35.60
Marcel Schütz
realauthentische Weise, möchte man fast sagen, was für ein komischer Begriff, weiße, sich darzustellen als einer von ihnen. Und in einer gewissen Weise, das ist, glaube ich, poehende, ist er das sogar.

00:46:45.14
Stefan Sasse
Ja, absolut. Das sage ich immer und immer und immer wieder. Ich habe das auch bei diesen, weil durch Twitter, wie gesagt, ich habe halt eine relativ progressive Timeline. Und da machen sich die Leute immer lustig über diese Werbesdance. Ja, wenn er da bei McDonalds steht und so tut, als würde er Burger Patties wenden oder sowas. Und natürlich ist das eine komplett lächerliche Veranstaltung. Aber so what? Die ist ja nicht an uns gerichtet. Ich bin nicht das Publikum dafür.

00:47:10.69
Stefan Sasse
Und was Trump erfolgreich kommuniziert und was, glaube ich, auch einfach seine reale Persönlichkeit ist und letzten Endes ja auch schon immer war, der ist quasi der Milliardär wie du und ich, wenn das irgendwie Sinn macht. Trump ist die Person, die wenn du einen Durchschnittsmenschen nimmst und du also sagst, so und jetzt hast du eine Milliarde Dollar. Was würde diese Person kaufen?

00:47:27.94
Marcel Schütz
Ja.

00:47:35.66
Stefan Sasse
Donald Trump ist quasi ein Ding dafür. Der Mann isst immer noch Burger, trinkt Cola. Ich traue dem jederzeit zu, dass der sich eine Pizza bestellt letzten Endes und die isst. Wahrscheinlich kostet seine Pizza das Doppelte von meiner, aber das könnte ich grundsätzlich auch tun, wenn ich das wollte. Aber der isst das auch. Während jemand wie Kamala Harris, die mag zwar, also wo das kam dann quasi als Gegenargument, die hat in ihre Jugend ja tatsächlich Burger gewendet, weil sie sich ihr Studium finanzieren muss.

00:48:04.14
Stefan Sasse
Das mag ja schon sein, aber das macht die seit 30 Jahren nicht mehr. Ich glaube sofort, dass eine Kamala Harris inzwischen in irgendwelchen sehr noblen Restaurants speist und einen Lieferando-Pizza-Service, ich habe keine Ahnung, wie die Dinge in den USA heißen. Aber so eine App wird sich auf ihrem Smartphone mit Sicherheit nicht finden. Ich meine, bei Trump natürlich auch nicht. Aber du weißt, was ich meine. Die Vorstellung, dass sich Kamala Harris in ihr Debate Prep Camp auch Burger und Cola liefern lässt, ist völlig absurd.

00:48:34.98
Stefan Sasse
Und das fühlen Leute. Ich meine, ich fühle das ja und ich hock auf der anderen Seite des Atlantiks und krieg von dem Ganzen relativ wenig mit. Trump ist extrem authentisch, was das Ganze anbelangt. Und es hat nichts mit dem Geld zu tun. Niemand wird auf die Idee kommen, dass der in irgendeiner Art und Weise nachempfinden kann, wie es so einem Arbeiter geht.

00:48:49.41
Marcel Schütz
Ja.

00:48:53.88
Stefan Sasse
Der Mann ist legendär unempathisch. Darum geht es aber nicht. Weil was der hat, ist diese kulturelle, diese Blue-Color-Culture. Das ist das, was Trump noch zumindest eher ausdrücken kann, als das eben eine Kamala Harris kann oder einen Barack Obama oder eine Hillary Clinton. Joe Biden war der einzige,

00:49:15.52
Stefan Sasse
bisschen in die Nähe kam und ich hielt es auch da schon für überbewertet was das anbelangt weil ja das sind eben seine Wurzeln aber auch der war was 40 Jahre im Senat ne das ist das funktioniert nicht und Trump ist definitiv authentisch was das anbelangt und die Democrats sind schon lange nicht mehr in der Lage

00:49:37.15
Stefan Sasse
diese wählenden Schichten anzusprechen. Und das haben wir auch ganz massiv gesehen in der praktischen Politik. Weil unter Biden haben die Democrats eine sehr klassische Politik gemacht, was das angeht. Es war Pro Union, also eine sehr gewerkschaftsnahe, sehr gewerkschaftsfreundliche Politik.

00:49:53.66
Stefan Sasse
Die haben eigentlich den Gewerkschaften und den Arbeitern, genau diesen ganzen Gruppen, die seit 2012, also seit der Wahl 2012, der zweiten Obama-Mahl, seit die nach rechts tendieren. Für diese Leute haben die aktiv Politik gemacht. Und es hat nichts geholfen. Und warum nicht?

00:50:11.48
Stefan Sasse
Während umgekehrt die Republicans, zu denen diese Leute gehen, die machen ja quasi Politik, die deren wirtschaftlichen Interessen aktiv schadet. Und dann stehen die Linken immer da und denken so, die Leute wählen gegen ihre Interessen. Und nein, tun sie nicht, weil das ist nur eine Seite der Medaille quasi.

00:50:28.27
Stefan Sasse
Wir haben auf der einen Seite die wirtschaftliche Geschichte und wir haben auf der anderen Seite die Wipes und die Feelings und diese ganze Kultur, was Olaf Scholz im Wahlkampf 2021 sehr erfolgreich als Respekt vermarktet hat. Und das fühlen die Leute nicht, dass sie das von den Democrats kriegen. Und dann ist es ja schön, dass die die Politik machen, aber gleichzeitig machen die Democrats A-Politiken, die die trotzdem hassen. Die Gewerkschaften haben ja zum Beispiel Kamala Harris nicht ihr Endorsement gegeben.

00:50:53.34
Stefan Sasse
Warum? Weil die zwar gesagt haben, ja, ihr habt ein paar sehr schöne Sachen für uns gemacht, aber in dieser Grenzpolitik, die ihr da treibt, die finden wir so kacke, dass wir uns enthalten. Und das ist das große Problem. Und das ist der Punkt, den ich vorher gemeint hab. Auf der anderen Seite kann aber Harris nicht sagen, ich fahre diese Grenzpolitik nicht mehr, weil das ist ihre Basis, die die haben will. Und du kannst eben nur mit der Basis Wahlkampf machen, die du hast. Und ich hab noch einen Punkt, dann lass ich dich.

00:51:22.70
Stefan Sasse
Das gleiche Thema hatte Trump auch und auch das müssen wir uns immer wieder klar machen. Trump hat 2016, 2018, 2020 und 2022 und jetzt 2024 einen Message gefahren, die sich im Endeffekt an seine eigene Basis richtet und nur in zwei dieser Wahlen hat das zum Erfolg geführt und nur in einer davon tatsächlich mit einer aktiven Mehrheit.

00:51:47.28
Stefan Sasse
Das heißt, ich könnte easy die gleiche Geschichte, die man jetzt über den Wahlkampf von Kamala Harris erzählt, der richtet sich nur an die eigene Basis und es ist die Sprache von einer Minderheit, das Gleiche stimmt ja auch für den Trump Wahlkampf. Auch das ist die Sprache einer Minderheit. Nur hat der Trends auf seiner Seite, die dafür sorgen,

00:52:07.11
Stefan Sasse
dass er diese zusätzliche Gruppe, die zwar relativ klein ist von Leuten, die nicht schon zu einem Camp gehören, aber dass er die bekommen hat einerseits. Und dann haben wir andererseits diese großen Trends, die die Wahlbeteiligung massiv zu seinen Gunsten beeinflusst haben. Also wir wissen zu dieser Stunde noch nicht, wie viel von dem gesunkenen demokratischen Wahlstimmenanteil eigentlich Wahlbeteiligung ist und wie viele tatsächlich wechselwählende sind. Das müssen wir uns ja auch noch mal klarmachen. Also da sind noch ganz, ganz viele Fragezeichen dran.

00:52:36.58
Marcel Schütz
Also, Frans selbst hat diese Street Grads und er hat in diesem McDonalds auch, glaube ich, wirklich so eine Art Verschmelzung fast zum Ausdruck gebracht. Also, dieses Spaß daran haben, diese Pommes da zuzubereiten, das nimmt man ihm einfach auch ab. Und auch wenn man weiß, natürlich, als Wähler ab, auch wenn man natürlich weiß, dass er das nicht den ganzen Tag machen will,

00:53:02.46
Marcel Schütz
Aber ich erinnere mich an eine Szene, wo er gefragt wird, was er denn gerne isst, in einem anderen Zusammenhang. Da sagt er, er isst gerne Fastfood von McDonald’s. Und dann wird nachgefragt, aber das sei doch ungesund. Ja, das stimmt, aber wissen Sie, es schmeckt gut. Und viele essen es gern. Amerikaner mögen Fastfood. Und es ist diese sehr, sehr eigene, fast oft kindlich anmutende Art,

00:53:29.07
Marcel Schütz
sich ohne Anstrengung, gewissermaßen anstrengungslos in etwas hinein zu begeben, was einem liegt, von Natur aus liegt. Und das ist eben das einfache Essen, die einfachen Interaktionen. Ich meine, Golf spielen mag ein bisschen aus dem klassischen Fallen. Aber ansonsten fällt es ihm nicht schwer, sich auf dieses Leben dieser Leute

00:53:54.00
Marcel Schütz
zumindest irgendwie einzulassen, also ein Gefühl dafür zu bekommen, wie dieses Leben auch Spaß machen kann, wie es eben auch nett sein kann, dass man mit sehr einfachen Dingen auskommt. Das muss nichts mit seinen finanziellen Ansprüchen zu tun haben. Ich meine, er hat vergoldete Wohnungen und ähnliches. Man darf das jetzt nicht überziehen. Aber dennoch gibt es so viele Situationen, in denen es ihm erkennbar leicht fällt,

00:54:19.90
Marcel Schütz
ohne Aufwand, ohne Anstrengung, sich auf sehr einfache, ja, sehr simple Formen einzulassen, die für eine große Zahl von Normalsterblichen gewöhnlich sind und alltäglich sind. Und wenn man deiner These folgt, des Abstands bestimmter politischer Milieus von weder Milieus,

00:54:43.51
Marcel Schütz
dann kann am Ende das ausschlaggebend sein. Und es genügt, dass alle das auch nacherzählen. Journalisten, Wissenschaftler, wir alle. Wir beteiligen uns daran. Wir beteiligen uns an dieser Geschichte, dass der Donald Trump eigentlich ein Milliardär wie du und ich ist.

00:54:58.97
Marcel Schütz
Und das ist, das hat so eine gewisse Spontanklausibilität, würde ich sagen. Man kann dem nicht wirklich widersprechen. Man kommt einfach nicht an den Punkt, dass man sagt, ja, aber er hat zu viel Geld, also kann er mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Ich denke, das funktioniert nicht. Die Annahme, dass sein Konto letztendlich und seine Oberschichtensozialisation ihm es unmöglich machen würde, mit diesen Leuten auszukommen, die besteht nicht, und ich sag das schon mal an der anderen Stelle, glaube ich, in unserem Gespräch früher,

00:55:27.70
Marcel Schütz
Man könnte auch vermuten, gerade weil die Leute wissen, dass er in diesen Kreisen Erfahrung hat und spielen kann, trauen sie genau ihm zu, dass wenn einer fähig ist, dieses System oder diese Institutionen zu stören, zu irritieren, dann ist es der Donald Trump, weil der kann die Welt, der kann mit der Welt der Einfachheit, der spielt aber auch in der Welt, in der man Zugänge hat und Möglichkeiten hat.

00:55:46.60
Stefan Sasse
Untertitel im Auftrag des ZDF, 2020

00:55:50.20
Stefan Sasse
Darf ich da gerade noch eine Anekdote dazu einwerfen? Denken wir zurück an den Wahlkampf 2004. Da haben wir einen sehr ähnlichen Mechanismus. Bush versucht seine Wiederwahl zu kriegen gegen John Kerry. Und wir haben die Situation, dass John Kerry ein dekorierter Kriegsheld gegen einen jemand, der sich aus dem Kriegsdienst in Vietnam rausgeschmuggelt hat. Bush.

00:56:11.30
Stefan Sasse
dass Bush es schafft, im Endeffekt dem seine Glaubwürdigkeit komplett in Zweifel zu ziehen und sich zu inszenieren als den Military Man auf der einen Seite. Und dann haben wir auf der anderen Seite damals diese Riesen, wenn du dich erinnerst an Michael Moore und sein Buch Stupid White Man. Da war dieses Riesendiskurs damals in der Linken. Kann George W. Bush überhaupt lesen?

00:56:32.55
Stefan Sasse
Und das war die Wahl, in der er den Popular Vote gewonnen hat. Die einzige Wahl seit 1988, in der ein Republican bis jetzt 2024 das Popular Vote gewonnen hat, war genau das, in dem dieses Elitending auch schon eine Rolle gespielt hat. Das ist also auch gar nicht so ein Trump-spezifisches Ding. Trump bringt das quasi nur unters Brennglas effektiv. Der ist der absolute Höhepunkt dieser Entwicklung.

00:56:37.69
Marcel Schütz
Mh.

00:57:00.11
Marcel Schütz
Mir fällt da auch noch eine Anekdote zur besagten George Bush ein bei seiner ersten Wahl. Da wird er im Wahlkampf gefragt von Journalisten, was denn seine Qualitäten sind, den Kandidaten Bush, was ihn denn auszeichnet. Und Bush hatte ja schon seine Vorgeschichte, dass man sagte, na ja, da ist ja alles auch nicht so ganz stetig. Gut, er war Kuganeur, aber er hat eine lange Phase gehabt, wo es wirtschaftlich nicht so funktionierte. Er schien ein klein wenig das Schwarze Schaf der Familie zu sein.

00:57:27.77
Marcel Schütz
und auch jemand, der im Schatten stand des großen Vaters. Und dann wird er gefragt, nicht ohne Hintergrund. Die Leute wussten natürlich um seine

00:57:37.40
Marcel Schütz
vorangehenden Entwicklungen, was ihn denn da auszeichnet. Und er gibt relativ simple Antworten, die nichts faszinierendes bergen, die etwas unglaublich Durchschnittliches haben. Und am Ende läuft es darauf hinaus, dass er dann gefragt wird, ob er denn meint, dass er der bestqualifizierte Kandidat sei. Und dann sagt er nein. Aber er ist ein durchschnittlicher Amerikaner.

00:58:01.83
Marcel Schütz
Und er kann rechnen und schreiben und weiß, was die Leute bewegt. Und er kennt das Leben auf dem Lande. Und diese Journalisten, die ihn das so fragen, die finden das irgendwie eigenartig. Weil sie erwartet hätten, dass er eigentlich eine Art Inszenierung bietet. Derart, dass man sagt, ja, gucken Sie mal, was ich da gemacht habe und da gemacht habe. Er antwortet eigentlich relativ lässig. Und vor allen Dingen ist er nicht unbedingt der beste Kandidat. Aber er ist der Kandidat, der am Zuge ist.

00:58:29.53
Marcel Schütz
Und das ist natürlich geeignet, dass Leute auch sagen, das ist doch einfach so. Der ist nicht der beste Kandidat und vielleicht muss auch nicht der beste Amerikaner Präsident werden.

00:58:42.24
Stefan Sasse
Ja, das ist, glaube ich, ein völlig überschätzter Gedanke mit dieser Qualifikation und so weiter. Und ich denke, das ist eine der Sackgassen, in die sich die Linken bewegt haben, dass sie dieses Spiel ständig mitspielen. Das schreibe ich mittlerweile seit 2017. Diese Vorstellung, ausgefertigte Policy Papers zu präsentieren und den besten Plan zu haben, das interessiert niemand. Das ist, was du brauchst, ist eine ordentliche Geschichte, an der ich mich aufhängen kann. Bitte? Ja, auch.

00:59:07.16
Marcel Schütz
Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein auch. Selbstbewusstsein.

00:59:12.91
Stefan Sasse
Ja, total. Und ich meine, das ist zum Beispiel was, das hat Kamala Harris sehr gut gemacht. Diese Selbstbewusstsein ist, glaube ich, einer der treibenden Faktoren, warum sie überhaupt in Reichweite eines Wahlsiegs kam und warum das nicht so ein Wahlkampf a la Bob Dole 1996 war, wo quasi monatelang einfach völlig klar ist, dass sie chancenlos ist.

00:59:30.48
Stefan Sasse
Das hätte ja auch so laufen können, ich möchte es nochmal betonen. Das war eigentlich das wahrscheinlichere Ergebnis. Von daher kudos Kamala, dass sie wenigstens hier einen guten Kampf abgegeben hat. Das war ordentlich gemacht, nur gegen all diese Effekte, die wir hier gerade besprochen haben.

00:59:46.61
Stefan Sasse
hat das einfach vergleichsweise wenig helfen können. Und wenn du mich jetzt fragst, was hätten die tun, also was hätte sie aktiv tun können, um dieses Ergebnis jetzt zu verhindern, dann muss ich mich echt fragen, bei der Inflation nichts. Weil wenn man die Zahlen anguckt, diese Inflationsthematik, die hat mit den realen Zahlen nicht auch nur das geringste zu tun. Ich habe da was in den Show Notes verlinkt, das ist der blanke Wahnsinn, wenn man die Leute fragt,

01:00:10.76
Stefan Sasse
nach ihrer, nach der gefühlten Inflation. Das ist ein rein parteiliches Issue. Ja, also die Inflation ist quasi völlig unterschiedlich, je nachdem, ob die befragten Democrats oder Republicans sind. Das hat mit der realen Situation nichts zu tun. Wir haben eine Inflation von 2,5% in den USA. Aber für die Republicans fühlt sie sich an wie 20 oder sowas. Und da kannst du mit den realen Zahlen gar nichts machen. Und da hatte auch die Wahlkampagne überhaupt keinen Einfluss drauf.

01:00:39.11
Stefan Sasse
Also das fällt raus. Dann, wie sieht es mit der Borderpolitik, habe ich vorher schon gemeint, du kannst, du musst mit der Partei Wahlkampf führen, die du hast. Das ist ja auch ein Problem, dass die Grünen gerade haben, die können gar nicht so hart nach rechts rücken in der Asylpolitik. Irgendwann verlässt sie ihre eigene Basis. Es geht einfach nicht. Da sind die gerade out of step mit dem Mainstream. Und das muss man halt an bestimmten Stellen einfach akzeptieren, dass das so ist.

01:01:01.24
Stefan Sasse
Also auch da geht, glaube ich, nicht mehr, als sie getan haben. Dann Palästina halte ich für ein völlig überzogenes Issue. Das hat, glaube ich, auch, bin ich ziemlich sicher, dass mich da auch die nächsten Wochen bestätigen werden, kaum Auswirkungen auf den Wahlkampf.

01:01:14.55
Stefan Sasse
Und die Tatsache, dass Harris von rechts kritisiert wird, dass sie viel zu soft war gegenüber diesen Pro-Palästina-Bewegungen und auf der gleichen Seite von der linksradikalen Aktivistenbasis dafür kritisiert wird, dass sie, ich hab was gelesen und auch verlinkt, a blind support of Israel,

01:01:34.07
Stefan Sasse
Das sind Positionen, die sind überhaupt völlig unvereinbar. Also das kann doch gar nicht sein, dass da jemand quasi in blinderer Volkschaft zu Netanyahu ist und gleichzeitig quasi eine antisemitische Pro-Palästina-Terroristin. Und beide Narrative laufen zur gleichen Zeit. Wenn du mit solchen Kräften arbeitest, dann kannst du als Wahlkampf auch nichts tun.

01:01:51.58
Stefan Sasse
Also was genau wäre da gewesen? Ich denke letztendlich, sie hat versucht mit diesem Y-Wahlkampf, das war die richtige Strategie, der Ansatz war richtig, sie haben es so lange wie möglich versucht, es hätte klappen können, es hat nicht gereicht. Und ich glaube ich aktuell nicht viel cleverere Sachen als das.

01:02:14.63
Marcel Schütz
Ich fürchte, man muss wirklich sagen, Trump war ganz platt gesagt der stärkere Kandidat in einer solchen Konstellation, die ihn nicht ungemein ihr Gegenüber hervorgehoben hat, die aber in der Abwägung bestimmter Fragen, Wirtschaft, Krieg, äußere Politik,

01:02:35.20
Marcel Schütz
auch das Szenario, dass möglicherweise die USA sich deutlich stärker, als es die gegenwärtige Biden-Administration im Fokus hat, auf ihre inneren Verhältnisse konzentriert. Wenn man dahingehend Trump sich ansieht, dann könnte man zum Ergebnis kommen, er ist eben für die Mehrheit, für die Mehrheit, die sich über Wahlen äußert in diesem Land,

01:02:58.95
Marcel Schütz
ist er tatsächlich der stärkere, der bessere Kandidat. Und das sagt nichts aus über Feinheiten des Wahlkampfs, wo wir bestimmt beide, so sehe ich das, nicht der Auffassung sind, dass man klavierend etwas in eine andere Richtung hätte schieben können. Es ist für Kamala Harris, wie auch für Joe Biden und auch schon für Hillary Clinton, die wusste nicht, dass es so schwierig für sie ist. Aber für die anderen beiden ist es einfach enorm schwierig,

01:03:28.51
Marcel Schütz
einen vermeintlich so aussichtslosen Kandidaten wie Trump als Gegner zu haben. Ja, gerade dann, wenn man ihn möglicherweise unterschätzt. Und ich erinnere nur, vor zwei Jahren lautet eigentlich das, was man so aus dem Umkreis des Weißen Hauses hört oder über diese ganzen Spin-Doktoren, die dort rumgeistern. Die Sektkorken werden in die Höhe gehen, sobald Trump seine Kandidatur

01:03:54.80
Marcel Schütz
verkündet, denn die Trump-Kandidatur wurde als die leichteste und wünschenswerte Kandidatur für die beiden Administrationen betrachtet. Das ist, die meisten mögen es vergessen haben, die uns zuhören, das ist bis vor, ich sag mal, mindestens zwei Jahren, vielleicht sogar bis vor einem Jahr noch die Lesart,

01:04:13.01
Marcel Schütz
Wenn der Trump es wieder wird, das ist der Idealfall. Ja, wir müssen sogar hoffen, dass sie so verrückt sind bei den Republikanern. Und am Ende sich Trump durchsetzt dagegen. Den werden wir auf jeden Fall verlieren. Und das ist schon eine echte Ironie dieser Entwicklung, dass man jetzt den starken Kandidaten in Trump sieht. Und im Prinzip der amtierende Präsident, der noch amtierende Präsident, der wahrscheinlich in den nächsten Tagen in die

01:04:36.30
Marcel Schütz
denkwürdige Situation kommt, dass er Trump empfangen wird im Weißen Haus, um die Transition-Phase einzuleiten. Dass der eigentlich über Trump gestürzt ist und die Vize-Ersatzfrau an ihm gescheitert ist. Das ist eigentlich das Ergebnis, das man hier hat. Aber mit etwas anderen Wahlzusammensetzungen hätte man sich auch vorstellen können, dass Harris gewinnt. Aber insgesamt würde ich sagen, ja, Trump ist aus der Sicht derer, die darüber zu entscheiden hatten,

01:05:06.36
Marcel Schütz
in der gegenwärtigen Lage der Vereinigten Staaten der stärkere, der bessere Kandidat gewesen.

01:05:12.64
Stefan Sasse
Es war auch absolut vorstellbar, dass Joe Biden einfach das Ganze noch einmal hinbekommt. Ich weiß auch nicht, wie das gelaufen wäre ohne diesen Themenkomplex mit dem Alter. Was ja erneut auch so absurd war, weil die nur zwei Jahre von Trump trennen und weil Trumps Verhalten eigentlich noch schlimmer ist als seins.

01:05:31.72
Stefan Sasse
Und auf der anderen Seite dann eben diese Inflationsgeschichte. Das hat ja auch eine gewisse Plausibilität. Die Vorstellung, dass ein Rematch Biden gegen Trump letzten Endes dazu führt, dass das so quasi aus einer gewissen Müdigkeit oder sowas dann eben eher deswegen noch mal ins Amt kommt. Also quasi diese Stimme der Vernunft letzten Endes.

01:05:54.26
Stefan Sasse
Und ich war ja damals auch überzeugt, dass es keine gute Idee ist, ihn abzulösen. Also ich war ja selbst auch überrascht von Kamala Harris Erfolg. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie das schafft.

01:06:03.86
Stefan Sasse
so erfolgreich noch mal zu werden. Ich bin davon ausgegangen, es wird ein Volldesaster, schon allein, weil ihre Umfragewerte ja immer so schlecht waren. Und es war einmal mehr ein mittleres Wunder, dass sie sich aus diesem Loch herausgraben können. Aber wie du schon sagst, also ich habe auch nie verstanden, wie jemand hoffen kann, nach den Erfahrungen 2016 bis 2020, dass Trump noch mal der Kandidat wird. Weil selbst wenn seine Chancen schlecht sind,

01:06:28.76
Stefan Sasse
Die Tatsache, dass wenn der Kerl gewinnt, wir diesen Menschen wieder als Präsident haben, das war einfach eine riesige Geschichte. Also ich hätte lieber jemanden wie Ron DeSantis gegebenenfalls da im Amt gehabt. Das wäre auch furchtbar gewesen, der Gouverneur von Florida oder so oder irgendeinen anderen von dieser Riege. Aber

01:06:49.12
Stefan Sasse
diese Vorstellung, dass das in irgendeiner Art und Weise absehbar wäre und dass man damit einen einfachen Wahlkampf bekommt. Das war schon 2015 in Irrtum und 2016. Also warum macht man den gleichen Fehler nochmal? Mir ist das völlig unbegreiflich.

01:07:05.64
Marcel Schütz
Nun gut, sie konnten natürlich auch Trump nicht ausweichen. Ich kann mir schon vorstellen, dass Biden gerade so in den letzten Monaten vor seinem Wechsel den Ernst der Lage gesehen hat. Das konnte man auch hören. Er hat ja dann verstärkt auch vor Trump gewarnt und dann merkte man auch, das ist jetzt

01:07:22.81
Marcel Schütz
der Wahlkampf beiden. Aber man hatte den Eindruck, je mehr er gefordert wird, wirklich mit Trumpschen Methoden gegenzuhalten, desto mehr wird natürlich auch in gewisser Weise seine Schwäche offenkundig. Denn er ist nicht der Mann, der in einem so aufwendigen Wahlkampf gegen Trump austeilen kann und keilen kann.

01:07:44.26
Marcel Schütz
wie das Trump gelingt. Ich hatte wie du die Auffassung, wir haben darüber gesprochen, dass Biden auch noch einmal die Wahl hätte gewinnen können. Man muss aber ehrlicherweise sagen, seine Chancen werden gerade mit dem Wissen der gestrigen Nacht sicherlich nicht besser als die von Kamala Harris gewesen sein. Und man weiß ja auch nicht, welche Tattlichkeit in diesem ganzen Wahlkampf auftritt. Das hat er ja gar nicht mehr mitgemacht. Er konnte sich ja relativ eng in seinen Aufgaben begrenzen.

01:08:11.03
Marcel Schütz
war hier und da mal dabei, als der nette ältere Herr, der diesen Job jetzt an die nachfolgende Generation übergibt. Wir wissen nicht, was passiert wäre. Ich denke, es gibt genug Hinweise, dass es nicht sehr glücklich für ihn gelaufen wäre. Und auch unter dieser Erwartung, dass er es nicht mehr kann, hat sich das ja gewissermaßen selbstwirksam verstärkt.

01:08:31.89
Marcel Schütz
wahrscheinlich auch bei ihm selbst. Wenn alle nur noch davon reden, dass du alt bist und zerbrechlich, dann bist du irgendwann alt und zerbrechlich, wenn du 100 Prozent geben musst und drei Monate lang durch die Staaten fliegst und jeden Tag wie Trump eine Wahlshow machst. Das macht er natürlich nicht, das hätte er nicht machen können. Warum hat Kamala Harris am Ende?

01:08:52.55
Marcel Schütz
erst mal so gut gezogen. Ich denke, das war dieser Effekt, dass man gesehen hat, Leute, es ist vorbei. Es ist ein Aufatmen. Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einer neuen Mobilisierung die Wahl zu gewinnen. Dieser Aufbruch bei den Demokraten, der war enorm. Aber man muss sehen,

01:09:09.87
Marcel Schütz
Das, was in einer so jungen Phase eines Wechsels an innerer Mobilisierung stattfindet, muss nicht unbedingt bis zum Wahltag in die Breite der Bevölkerung durchzuhalten sein. Vielleicht hat Kamala Harris zu wenig Zeit gehabt. Vielleicht hätte es sogar noch später sein müssen. Manche sagen, es hätte früher sein müssen, dass der Wechsel stattfindet.

01:09:31.84
Marcel Schütz
möglicherweise einen Monat in der Vergangenheit hätte diese Aufwindphase vielleicht noch angehalten. Das ist Spekulation. Ich denke, man kann da lange diskutieren. Ja, was soll man sagen? Wir haben es eben schon gesagt. Es gibt einen, der ist stärker und das ist in diesem Fall Donald Trump gewesen.

01:09:50.57
Stefan Sasse
Alle diese Szenarien sind plausibel. Nichts davon lässt sich aktuell in irgendeiner Art und Weise zweifeln.

01:09:57.72
Marcel Schütz
Nichts ist notwendig. Das Problem ist, dass wir immer ganz stark diese Notwendigkeitsanalysen haben. Und ich glaube, dass wir in den nächsten Tagen sehen werden, die einen werden sagen, es war ein Fehler, beiden auszutauschen. Die anderen werden sagen, man hat zu spät Helles eingesetzt. Dann werden andere sagen, nein, Helles war eigentlich die falsche Figur.

01:10:16.42
Marcel Schütz
Und letztendlich, es ist nicht beweisbar. Man kann diese Position vertreten. Vielleicht ist es eine Mischung aus allem. Jeder weiß inzwischen, dass man einen Kandidaten idealerweise nicht wenige Wochen oder wenige Monate aufbaut, sondern am besten als sitzenden Präsidenten entwickelt über eine solche Zeit.

01:10:34.94
Marcel Schütz
Wenn man ein solches Szenario hat wie jetzt, das nie durchgeführt wurde in dieser Kurzfristigkeit, in dieser Dramaturgie, dann muss man am Ende auch damit rechnen, dass es schiefgehen kann. Also noch mal, jede Partei, die irgendwie bei Verstand ist, würde versuchen, über längere Zeit den Kandidaten natürlich aufzubauen. Und wenn du einen Kandidaten die letzten zwei, vier Monate ins Rennen schickst, dann kannst du halt sagen, vielleicht klappt es, vielleicht klappt es auch nicht. Und es hat nicht geklappt.

01:11:00.40
Stefan Sasse
Ich denke, das ist ein gutes Schlusswort an der Stelle. Wir werden in den nächsten Wochen an dieser Stelle mit Sicherheit wieder auf das Thema zurückkommen, schon allein weil eine Folge aussteht zu den Konsequenzen der Trump-Weiter. Da haben wir jetzt überhaupt nicht drüber gesprochen, haben wir komplett ausgespart. Es gibt ein kleines bisschen was in den Show Notes für die Leute, die lesen wollen. Aber das ist, glaube ich, echt das Thema für eine Zukunft und eine Zukunftsfolge. Nur so viel sei schon verraten. Es wird ein wenig düster. Ich danke dir.

01:11:24.73
Marcel Schütz
Das können wir wieder machen, dann gucken wir uns an, wie überhaupt jetzt die spannende Phase des Übergangs, ich glaube die ganz spannende Phase ist die, wo Trump noch gar nicht im Amt ist, nicht weil ganz schlimme Dinge passieren werden, sondern weil ich das institutionell interessant finde.

01:11:31.29
Stefan Sasse
Vielen Dank für’s Zuschauen.

01:11:39.19
Marcel Schütz
dieses sehr, sehr delikates Szenario für diese beiden Harris-Administration ausgerechnet diesem Mann in den nächsten zwei, drei Monaten nun die Übergangszeit zu ermöglichen. Das ist nicht ganz ohne Realsatire wahrscheinlich zu haben. Und wir warten als sozusagen

01:12:01.10
Marcel Schütz
wo ich höre des spektakulären, der amerikanischen Politik ja förmlich schon darauf, die beiden vor dem Kamin sitzen zu sehen in diesem Wohnzimmer-Oval Office. Und dann muss Herr Biden erst einmal erklären, wie das alles hier so ist. Nein, das wird so nicht ablaufen. Aber man wird einen Weg finden müssen. Und es wird eine Inauguration geben. Und da werden Leute stehen, die dort stehen und sich fragen, ist das eigentlich Realität?

01:12:33.03
Stefan Sasse
Ich habe heute einen Tweet gelesen, dass jemand meinte, Trump müsste seine Inaugurationsrede beginnen mit As I Was Saying. Ich glaube, das trifft das Gefühl und wird auch das Gefühl von einigen Leuten treffen. Ich danke dir Marcel, wir werden mit Sicherheit wieder zurückkehren und ich nehme dein Angebot Dank und anders ist auch so ein bisschen deine Kernkompetenz als Organisationsoziologe vermutlich sowas wie diese Transition zu beobachten.

01:12:39.46
Marcel Schütz
Ich auch.

01:12:54.56
Stefan Sasse
Von daher, ich hoffe, es war informativ für alle. Lasst gerne Kommentare da im verlinkten Blogpost, wo ich auch das Transkript und die ganzen Show Notes posten werde. Und lasst uns wissen, was ihr da davon haltet, was wir gerade gesagt haben. Und in ein paar Wochen können wir dann zu dem Post zurückkehren und feststellen, wie falsch wir alle lagen. Bis zum nächsten Mal. Danke fürs Zuhören. Ciao.

01:13:14.68
Marcel Schütz
Tschüss.

 

{ 106 comments… add one }
  • Lemmy Caution 7. November 2024, 08:35

    Sind irgendwie 2 Posts gemischt in einem.
    Rudi Bachmann hat noch einmal etwas sehr kluges zur Wahl gesagt.
    https://twitter.com/BachmannRudi/status/1854168112024670382
    Es ist eben doch die Ökonomie.

  • Lemmy Caution 7. November 2024, 09:12

    und das sehr lesenswert: https://www.ft.com/content/6c345cf9-8493-4429-baa4-2128abdd0337
    Zur Lage der Wirtschaft.

    • Lemmy Caution 7. November 2024, 15:16

      Bachmann über Gründe der Niederlage von Harris:
      Migration Verliererthema für Demokraten.
      Demokratie ist letztlich ein Elitenthema.
      Formale Prozesse und Institutionen interessieren die meisten Menschen nicht. Rußland/Ukraine interessieren auch nur noch eine Elite.

      Wirtschaft: trotz gutem BIP Wachstum, gab es seit Trump Ära I in fast allen Wahlkreisen KEINEN Reallohngewinn. Die Reallöhne steigen erst seit 2022 wieder, aber sehr langsam. Der Anteil des Arbeitseinkommen am gesamten Einkommen ist in der gesamten Biden-Ära gesunken.
      Ein eher liberaler Ökonom sieht also Einkommenszuwächse für wenig sorgfältig ausgebildete Menschen als entscheidend für den Fortbestand der Demokratie an.

      Arizona, Missouri und Montana haben recht liberale Abtreibungsregeln in ihrer Verfassung. Es spielte für die nationale Wahl keine Rolle mehr.

      Bachmann: Demokratie muss leistungsfähig für die Mehrheit sein, sonst ist sie uninteressant für die Mehrheit. Sorgen von traditionellen Männern als stabilen Einkommensempfängern muss von einer liberalen Partei ernst genommen werden. Wie das gehen soll, weiss er auch nicht.

  • Thorsten Haupts 7. November 2024, 10:57

    Ich räume sehr selbstkritisch ein, dass auch ich ein Opfer des „Trump Derangement“ Syndroms wurde – nicht zuletzt wegen Stefans unermüdlicher Bemühungen 🙂 . Und dabei aus den Augen verlor, warum Menschen aus nachvollziehbaren Gründen einen für mich unwählbaren Kandidaten bevorzugen können.

    • Lemmy Caution 7. November 2024, 11:58

      Ich habe die Prognosen sehr lange ignoriert, um dann am Wahlabend gegen 22:00 Uhr Derangement Opfer eines Innsbruckers zu werden.

    • Erwin Gabriel 7. November 2024, 12:44

      @ Thorsten Haupts 7. November 2024, 10:57

      Ich räume sehr selbstkritisch ein, dass auch ich ein Opfer des „Trump Derangement“ Syndroms wurde – nicht zuletzt wegen Stefans unermüdlicher Bemühungen 🙂 .

      Deine Festlegung hatte mich auch sehr gewundert. Mich hatte eher überrascht, dass er gegen Joe Biden verlor. Aber (wenn fertiggezählt ist) um die 5 Mio Stimmen (Popular Vote) und vermutlich knapp 100 Wahlmänner mehr ist weit über das hinaus, was ich vermutete.

      Lag an den Demokraten die haben den schlampigste Wahlbetrug aller Zeiten hingelegt; alle Swing States wurden republikanisch. 🙂

      Und dabei aus den Augen verlor, warum Menschen aus nachvollziehbaren Gründen einen für mich unwählbaren Kandidaten bevorzugen können.

    • Stefan Sasse 7. November 2024, 12:53

      Du bist witzig, ich war kein Opfer dieses Syndroms 😀

      • Thorsten Haupts 9. November 2024, 22:03

        Doch 🙂 . In dem, was Du jetzt seit vielen Monaten hier an für Dich Interessantem aus der USA zusammenfasst. Praktisch ausschliesslich Trump …

        • Stefan Sasse 9. November 2024, 22:24

          Ich sehe das „Derangement Syndrome“ weniger als ein Beobachten des Typen sondern als ein Fehleinschätzen. Ich hab ja nie behauptet, dass er keine Chance hätte oder so was.

  • Erwin Gabriel 7. November 2024, 12:34

    Vorab: Ich habe die Berichterstattung hier und teilweise auch drüben verfolgt. Diese hierzulande weinerliche Art, die Welt nach der eigenen Befindlichkeit zu bewerten, geht mir inzwischen schon ziemlich auf die Nerven. Den Wahlsieg Trumps habe ich erwartet, aber nicht diese deutliche Höhe des Siegs.

    Obwohl Trump die Lebenshaltungskosten als zentrales Thema nutzt, verfolgt er politisch Maßnahmen wie höhere Zölle, die die Inflation eher fördern.

    Trump bat die Wähler, sich zu fragen, ob es ihnen jetzt besser geht als vor vier Jahren. Die Antwort lautete offensichtlich „Nein“

    Obwohl Harris im Wahlkampf eine gemäßigte Position einnahm, empfindet der Autor die Strategie der Demokraten als eine bloße Fassade von „Normalität“, die sich auf die Ablehnung Trumps stützte, ohne klare Antworten auf politische Veränderungen oder Selbstkritik.

    Harris hat nicht frei als Angreiferin agieren können, sondern musste ihr (für VPs typisches) schwaches Auftreten und Joe Biden verteidigen. Für jeden angekündigten Programmpunkt („Ich werde …) kam als Antwort die Frage „Ihr seid seit fast vier Jahren im Amt. Warum habt Ihr das nicht schon gemacht?“.

    [Der Autor] … hofft, dass die Partei die momentane Lage nicht als Fehlinformation oder als fehlende linke Reinheit abtut, sondern sich ernsthaft bemüht, in den nächsten vier Jahren den Brückenschlag zur frustrierten Mitte zu schaffen.

    Hab ich da gerade „SPD“ gelesen?

    Doch eine signifikante Anzahl von Republikanern gibt an, dass sie in der letzten Zeit unter erheblichem finanziellen Druck standen. Zwar könnte das eine Verwechslung von „letztem Jahr“ mit „seit Bidens Amtsantritt“ sein, …

    „Geht es Euch besser oder schlechter als vor vier Jahren?“

    Mal hat man Glück, mal hat man Pech mit dem Timing. Aber ein Blick auf eine Rede, ein Interview oder ein Wahlkampf-Auftritt Joe Bidens hat klargemacht, dass dieser Mann nichts mehr bekämpft.

    Kamala Harris‘ Wahlkampftaktik – moderate Positionen und Establishment-Orientierung – stieß auf Kritik, besonders aus progressiven Reihen. … Trumps rhetorische Angriffe auf Kriminalität und Immigration fanden vor allem bei nicht-akademischen Wählern Anklang, wodurch er sich auch bei Latinos und schwarzen Männern besser positionieren konnte als in den vorherigen Wahlen.

    Links die Theorie, rechts die handfesten praktischen Argumente. Ist ja hier nicht anders. Intellektuelle und Linke verstehen in der Regel nicht, wie „normal“ die meisten Menschen und wie unkompliziert ihre Bedürfnisse sind.

    Nikolaus Blome zeigt sich in seiner Kolumne verwundert darüber, warum gebildete und gut informierte Republikaner weiterhin Donald Trump unterstützen. Obwohl sie erkennen sollten, dass Trump oft von der Wahrheit abweicht, lügt und populistische Ängste schürt, bleiben sie ihm treu.

    Dann hat er die grundlegendsten Unterschiede zwischen den USA und Deutschland nicht verstanden. Die amerikanische Verfassung wurde als Ausdruck von Unabhängigkeit und Freiheit verfasst, das deutsche Grundgesetz war eine Reaktion auf begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den von deutscher Seite begonnenen 2. Weltkrieg mit seinen vielen Toten. Die (meisten) Deutschen fühlen sich irgendwie immer schuldig, die Amerikaner nicht. Die Deutschen (und damit auch Blome) beurteilen daher nach deutschen bzw. ihren Maßstäben nur den „Charakter“ von Trump, nicht seine Leistungen, nicht seine Anliegen.

    Er lügt? Ja, das tun ja alle (wenn auch nicht so krass), aber er lügt für uns. Er will nicht die ganze Welt in Ordnung bringen, sondern nur Amerika? Er will nicht die Gesellschaft verbessern, sondern unser alltägliches Leben? Deal.

    [Blome] … kritisiert, dass diese Wähler Trumps wirtschaftspolitische Aussagen für bare Münze nehmen, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass sie teils falsch oder widersprüchlich sind.

    Echt jetzt? Wie naiv ist der Mann? Welcher Wähler wäre denn beispielsweise hierzulande in der Lage, die Auswirkungen eines Festhaltens oder Lockerns der Schuldenbremse zu verstehen. So wirklich nicht mal ich, und ich bin da deutlich weiter als Du, Stefan.

    Die jüngste Nachricht von Donald Trumps Wiederwahl als US-Präsident wird dabei als Schockmoment und Bedrohung für den Westen empfunden.

    Zu Recht, Trump gilt als nachtragend. Wer erinnert sich noch an seinen Wahlsieg über Hillary Clinton? Die erste offizielle Reaktion der Bundesregierung in der Wahlnacht war eine heftige Attacke durch Verteidigungsministerin von der Leyen, und Kanzlerin Merkel brauchte Tage für einen persönlichen Glückwunsch an den frisch gewählten Kandidaten unseres wichtigsten Partners.

    Alle amerikanischen Präsidenten seit Bill Clinton fordern ein stärkeres Engagement von Europa für die Unterstützung der NATO, unsere eigene Sicherheit etc. Trump (ab 2016) war der erste, der ernsthaft drohte, und man nahm ihn nicht wirklich ernst. Als er nach vier Jahren gegen Biden verlor, ging es hierzulande fast weiter wie gehabt. Es gab keine neue Struktur für die Bundeswehr, kein Aufbau eigener bzw. europäischer Strukturen, Industrien etc. Für die USA spielt die Musik seit Jahren im pazifischen Raum, und wenn eine Wirtschaftsmacht wie die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihre eigenen Probleme nicht lösen können, nicht mal lösen wollen, ist das – zu Recht – unser Problem, nicht das der USA.

    Heute jedoch hat die Wirtschaftspolitik an Einfluss verloren, was sich unter Trump und in der aktuellen Ära zeigt. Seine Rhetorik malt die wirtschaftliche Lage der USA in düsteren Farben, ungeachtet der objektiv positiven Wirtschaftsdaten unter der Biden-Regierung.

    Von guten Wirtschaftsdaten wird niemand satt, mehr Geschäfte bedeuten nicht automatisch mehr Lohn oder niedrigere Preise. It’s still the economy, stupid.

    „Kulturkampf“ steht im Vordergrund, …

    Ja, da sind nicht nur die Republikaner, sondern auch der linke Flügel der Demokraten sehr aktiv. So wenig relevant das Thema „Geschlechtsumwandlung“ für den Einzelnen sein mag, so viel Angst und Ablehnung erzeugt die Vorstellung, das eigene Kind könnte „überredet“ werden. Und in Deutschland wird auch keinesfalls verstanden, welch enorme Bedeutungen Glauben und Kirchen in den Weiten der USA haben.

    Unterstützt von einer vereinten republikanischen Partei und einem konservativen Supreme Court, hat Trump nun freie Hand für seine radikale Agenda.

    Senat, Kongress, Oberster Gerichtshof – alles in republikanischer Hand. So viel Macht …

    Sei dankbar, dass Trump Präsident wird, und nicht JD Vance.

    Nach Trumps erster Amtszeit neigten die Demokraten dazu, sich weiter nach links zu bewegen, was durch soziale Medien verstärkt und von progressiven Gruppen gefordert wurde. Joe Biden siegte in den Primaries 2020, weil er moderater auftrat. Doch einmal gewählt, wich er zunehmend progressiven Positionen, wie in der Einwanderungspolitik, was schließlich eine Rückschlag verursachte.
    Die anhaltende Inflation, die von vielen Wähler*innen Biden angelastet wird, trieb viele zur Opposition. Harris übernahm schließlich die Kandidatur, konnte sich jedoch nicht überzeugend von Bidens unpopulären Entscheidungen abgrenzen und litt zudem unter linksgerichteten Positionen aus ihrer Vergangenheit. Die Wahl einer „Outsider“-Figur wäre möglicherweise erfolgversprechender gewesen, doch die Demokraten verharrten zu lange in der Vorstellung, Bidens Politik sei im Kern beliebt. Diese strategische Fehleinschätzung kostete sie den Sieg. (Jonathan Chait, New York Magazine).

    Das ist eine amerikanische Stimme, die sich durch eine realistische Sicht sehr positiv von den vielen weltschmerz-gebeutelten deutschen Kommentaren abhebt.

    • Stefan Sasse 7. November 2024, 12:55

      Das ist eine amerikanische Stimme, die sich durch eine realistische Sicht sehr positiv von den vielen weltschmerz-gebeutelten deutschen Kommentaren abhebt.

      Ich glaube, du liest einfach die falschen Kommentare.

      • derwaechter 7. November 2024, 14:55

        Ich lese und höre deutschsprachige, englischsprachige und skandinavische Medien. Die Kommentare und Berichterstattung in den Qualitätsmedien zu Trump unterscheiden sich m.E. nicht grundlegend.

        • Stefan Sasse 8. November 2024, 09:55

          Also ich schreie jedes Mal wenn ich Spiegel was lese. Da fällt es mir besonders auf.

        • derwaechter 8. November 2024, 11:44

          Weil sich die Trump- bzw. US-Wahl-Berichterstattung im Spiegel grundlegend von der in anderen Qualitätsmedien unterscheidet?

          • Stefan Sasse 8. November 2024, 13:51

            Ich hab SpiegelPlus, WeltPlus und Zeit+. Deswegen vergleiche ich vor allem die. Und da fand ich Spiegel schon besonders scheiße. Aber ich hab da jetzt keine Studie zu gemacht oder so.

            • derwaechter 8. November 2024, 20:54

              Oh ja, dass kann gut sein. Ich bin generell nicht so der Spiegel-Fan.

      • Erwin Gabriel 7. November 2024, 15:47

        @ Stefan Sasse 7. November 2024, 12:55

        Ich glaube, du liest einfach die falschen Kommentare.

        Wie sehr schaffst Du es, bei der Beurteilung von Beiträgen Dich von Deiner Meinung freizumachen?

        Ich habe den genannten Beitrag in Relation zu der hierzulande typischen Kommentierung gesetzt, die (grob übersetzt) darauf hinausläuft: „Scheiße, jetzt müssen wir wirklich anfangen, unseren Job zu machen – böser Trump“

        • Lemmy Caution 7. November 2024, 20:37

          Das ist ja auch normal.
          Wir müssen für unsere eigene Sicherheit sorgen. Hier sehr gut dargestellt.
          https://x.com/polidemitolog/status/1854282622484295785

          Trumps Wirtschaftspolitik wird aber nicht funktionieren und die hohen Hoffnungen seiner Wähler noch weniger erfüllen.
          Wir und die Chinesen liefern denen gute Maschinen. Die Illegalen machen für kleines Geld die Arbeit, die die US-Amerikaner nicht machen wollen und die mexikanischen Fabriken liefern Ware für kleinen Lohn.

          Wir müssen die Arschbacken zusammenkneifen und mit Polen, Frankreich und anderen Willigen die Verteidigung organisieren.

          Auf der Strecke bleibt dabei das Thema Umwelt.

        • Lemmy Caution 7. November 2024, 22:25

          Trumps Pläne für die Wirtschaftspolitik funktionieren nicht.
          Die Hilfen für die illegalen sind abhängig vom jeweiligen Bundesstaat und niedrig. Das ist ein Heer von Leuten, die Arbeit zu einem kleinen Lohn aufnimmt. Die schmeißt man jetzt aus dem Land. Wie eigentlich? Einfach nach Mexiko? Im Flugzeug nach Guatemala, Kolumbien, Venezuela, Honduras, El Salvador?
          Der größte Autoexporteur der USA heißt BMW. Soll jetzt General Motors deutsche Luxus-Verbrenner bauen? Das können die Südkoreaner besser und so eine rosige Zukunft hat das Geschäft auch nicht.
          Dass sie nicht mehr für die Sicherheit Europas sorgen wollen, kann ich verstehen. Da müssen und werden wir einen wesentlich höheren Beitrag leisten. Das geht dann natürlich eine Weile nicht mehr mit Schuldenbremse.
          Gleichzeitig ist es überhaupt nicht klar, wie die Trump Regierung gegenüber Moskowien agieren wird. Und gegen China.

        • Stefan Sasse 8. November 2024, 09:56

          Mein Punkt war: die gibt es durchaus, aber die sind eben nicht „deutsch“ in dem Sinne, dass es keine anderen gäbe. Lies mal die Artikel zur US-Wahl in der Welt, da merkst du wenig von Weltschmerz.

    • CitizenK 8. November 2024, 13:56

      „Von guten Wirtschaftsdaten wird niemand satt“

      Übersetzt sich das nicht in Einkommen und Kaufkraft? Warum argumentieren dann die Wirtschaftsexperten (auch hier im Blog) dann damit? Immer noch ist das BIP-Wachstum das Maß aller Wirtschaftsdinge. Wie wurde auch hier im Blog gegen die Ampel geätzt, weil wir „das niedrigste Wachstum aller….“ haben?

      Aus einem TV-Bericht habe ich noch einen Farmer in Midwest im Ohr, der unter dem niedrigen Milchpreis leidet – und von Trump einen höheren erhofft. Höhere Erzeugerpreise senken aber nicht die Inflation.

      • Erwin Gabriel 8. November 2024, 18:51

        @ CitizenK 8. November 2024, 13:56

        Übersetzt sich das nicht in Einkommen und Kaufkraft? Warum argumentieren dann die Wirtschaftsexperten (auch hier im Blog) dann damit?

        Natürlich übersetzt sich eine bessere Wirtschaft in „mehr Geld“, höhere Steuern, mehr Spielraum für Gehaltsentwicklungen etc. Aber was, wenn die Inflation stärker zuschlägt? Den höheren Preis sehe ich sofort, den spüre ich direkt.

        Du solltest doch verstanden haben, wie sehr Gefühle bzw. „gefühlte Realität“ (etwa in Deutschland beim komplexen Thema Migration) die politische Diskussion bestimmen.

  • Stefan Sasse 7. November 2024, 13:02
  • sol1 8. November 2024, 00:11
  • Ralf 8. November 2024, 00:44

    Mich verwirrt diese scharfe Festlegung darauf, dass Harris einen fehlerlosen Wahlkampf geführt hätte und vor allem, dass kein alternativer Kandidat besser abgeschlossen hätte. Im Nachhinein wissen wir ja nun, dass Harris alle – wirklich ALLE – Swing States verloren hat. Was bringt Dich zu dem Glauben, dass Whitmer in Michigan oder dass Shapiro in Pennsylvania nicht besser abgeschnitten hätten? Was macht Dich so sicher, dass nicht beide ganz allgemein in den Blue Wall States – wo sie in der Vergangenheit sehr erfolgreich Wahlen gewonnen haben – besser abgeschnitten hätten?

    Und zu den Fehlern von Harris: Harris hat die Strategie gefahren sich überhaupt nicht von Joe Biden zu lösen. Obwohl große Mehrheiten die Politik von Biden – zurecht oder zu unrecht – ablehnten. Diese Umfragen waren über Monate hinweg stabil. Selbst bei den Exit Polls sagten 75% der Befragten, dass sie das Land fundamental auf dem Weg in die falsche Richtung sehen. Auf diese Stimmung mit der Agenda “Weiter so” zu antworten, war – gelinde gesagt – mutig. Harris war auch keine gute Wahlkämpferin und hat sich trotz der dahinrinnenden Zeit versteckt, kaum die Öffentlichkeit gesucht und fast keine Interviews gegeben. Ihre Koalition sollte von ultraprogressiven radikalen Wokies bis hin zu den rechtsradikalen Cheneys reichen und war damit eine inhaltlich blutleere “Trump-Verhinderungskoalition” ohne Ambition eines plausiblen Programms. Dazu sprach Harris oft hölzern und in Phrasen. Die TV-Debatte gewann sie nur, weil Trump sich selbst zerlegte. Auch die Wahl von Tim Walz als Kandidat für die Vizepräsidentschaft war unglücklich. Worauf basierte die Ehre eigentlich, außer der Tatsache, dass Walz Trump in einem Interview “weird” genannt hatte? Klar macht die Auswahl des Vizepräsidenten keinen Riesenunterschied. Aber ein deutlicher Sieg über Vance in der Debatte der Vizepräsidenten hätte Harris noch ein, zwei Wochen lang weiteres Momentum geben können.

    Und den größten Fehler machte Harris bei der Annahme ihrer Kandidatur. Von Anfang an war klar, dass sie als Regierungsmitglied nicht als “Kandidatin des Neuanfangs” taugte. Auch nicht als “frisches Gesicht”. Und dass sie Schwierigkeiten haben würde sich vom zutiefst unbeliebten Joe Biden zu lösen. Auch war klar, dass Harris Schwierigkeiten haben würde sich als Lösung der Einwanderungsprobleme an der Grenze zu präsentieren, nachdem sie drei Jahre verantwortlich gewesen war. Die Situation an der Grenze gehörte ja in ihr politisches Portfolio.

    • Stefan Sasse 8. November 2024, 09:58

      Sie konnte sich nicht von Biden lösen. Und auch ein anderer Democrat. Die waren an der Regierung, Punkt. Du kannst nicht einen Anti-Regierungswahlkampf machen, wenn du die Regierung bist.

      • Ralf 8. November 2024, 11:43

        Sorry, das stimmt so nicht. Gretchen Whitmer oder Josh Shapiro hätten sagen können “Wir danken Joe Biden für seine gute Arbeit bei der Überwindung der Covid-Krise, bei der Normalisierung unserer internationalen Beziehungen und beim Auffangen der lädierten Wirtschaft. Aber wir kritisieren fundamental, dass bei der Masseneinwanderung an der Grenze viel zu spät reagiert wurde und auch dass aus den Augen verloren wurde, wie sehr die Menschen immer noch unter den Folgen der Inflation leiden. Wir werden das – wenn der Wähler uns den Auftrag gibt – entscheidend anders machen. Hier ist unser Plan: bitte Plan einfügen.

        Niemand hätte Whitmer oder Shapiro gefragt, warum sie ihren Plan nicht bereits vor drei Jahren umgesetzt haben, denn beide hatten weder Amt noch Verantwortung in Washington.

        Das unterscheidet die beiden fundamental von Kamala Harris, die sich diese Fragen absolut gefallen lassen muss. Und wenn sie sagt, dass sie immer schon anderer Meinung war als Biden, ihn aber nicht überzeugen konnte (in ihrem eigenen politischen Bereich -> die Grenze war Harris’ Portfolio), disqualifiziert sie sich als durchsetzungsschwach. Und wenn sie sagt, dass sie immer derselben Meinung war wie Biden, dann disqualifiziert sie sich als jemand, der den Wählerwillen ignoriert.

        In jedem Falle hätte es auf die Frage, in welchen Punkten sie sich von Biden inhaltlich unterscheidet, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine bessere Antwort gegeben als “Mir fällt kein einziger Punkt ein” (ein Zitat). Auf schwierige, aber absehbare Fragen muss man sich eben vorbereiten. Das weiß jeder, der in Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch über die drohende Frage “Nennen Sie mir eine Ihrer Schwächen” gegrübelt hat.

        • Stefan Sasse 8. November 2024, 13:50

          Maybe. Maybe not. Die Frage, ob das, was du da sagst, ankommt, ist halt unabhängig vom Kandidierenden. Und Harris hatte den Vorteil der Bekanntheit.

          • Ralf 8. November 2024, 14:12

            Sorry, dass der Kandidat im Wahlkampf egal ist, ist einfach falsch. Das ist selbst im deutschen System – und wir haben ein Verhältniswahlrecht, in dem Parteien, nicht Personen gewählt werden – falsch. Aber im amerikanischen System, das ein stark auf den Kandidaten als Person ausgerichtetes Mehrheitswahlrecht beinhaltet, ist das komplett an der Realität vorbei.

            Nun gibt es selbstverständlich neben dem Kandidaten auch noch andere Faktoren, auch strukturelle Faktoren, die schwer zu beeinflussen sind. Aber wir reden nicht davon, dass Whitmer oder Shapiro eine 35% zu 65%-Wahl landesweit in eine 80% zu 20%-Wahl hätten drehen müssen. Vielmehr reden wir davon, dass sie lokal in drei politisch sehr ähnlichen und weitestgehend homogenen Bundesstaaten eine 48,6% zu 51,4%-Wahl in eine 50,1% zu 49,9%-Wahl hätten drehen müssen. Alle anderen Bundesstaaten wären egal gewesen, weil sie entweder sicher gewonnen, sicher verloren oder für das Electoral College unbedeutend gewesen wären. Und Whitmer und Shapiro haben Erfahrung mit erfolgreichen Wahlen im Rust Belt. Sie können nachweisen, dass sie wissen, wie man Wähler dort anspricht. Dass sich eine schwarze Kalifornierin da eher schwer tut, die weiße Arbeiterschaft mitzureißen, ist jetzt nicht übermäßig überraschend.

      • Thorsten Haupts 8. November 2024, 11:47

        Ralf hat trotzdem einen (theoretisch) validen Punkt: Die Altersschwäche Bidens muss ihm und seinem engeren Umfeld viele Monate vor seinem desaströsen Debattenauftritt bewusst gewesen sein. Zeit genug, um einen Kandidaten aufzubauen, der nicht die Regierung vertreten muss. Nur ist das natürlich in jeder westlichen Demiokratie einzig abhängig vom Willen des Amtsinhabers, das einzusehen und den Weg freizumachen. Und diese Grösse haben schlicht extrem wenige Menschen auf der Welt.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 8. November 2024, 13:52

          Ja. Aber er hatte sie am Ende, wenn auch halb gezwungen.

          • derwaechter 8. November 2024, 22:11

            Das traurige ist, dass das kein Fall von Hindsight is 2020 ist. Das war schon 2022 völlig klar und hier vom Economist ganz genau argumentiert.

            https://www.economist.com/united-states/2022/11/10/joe-biden-should-not-seek-re-election

            „After a lifetime of public service, Joe Biden defeated a sitting president and then accomplished more in two years, and more of it with bipartisan support, than few but he imagined possible. He has led his party to a strong showing, by past standards, in the midterm elections.

            Now, with those elections over, the 2024 presidential campaign is beginning to obsess the political class. Mr Biden should prepare to make a painful concession, not to the Republicans but to reality—actually to two realities, one of politics and another of biology. Declaring in the months ahead that he will not seek a second term would be a historic act of leadership, a demonstration of his faith in democracy and his own best chance to receive the respect and honour he has earned. “

            Abgesehen davon glaube ich, dass man durchaus argumentieren könnt, dass die Republikaner nicht wegen, sondern trotz Trump gewonnen haben.

            • Ralf 8. November 2024, 22:25

              Wer der Kandidat der Demokraten bei der Wahl 2024 wird, entscheidet nicht der amtierende Präsident, sondern die Partei. Das hat sich nicht zuletzt nach Bidens Implosion in der TV-Debatte gezeigt, als der Präsident einfach weiter machen wollte und die Partei am Ende doch “nein” gesagt hat. 2022 – lange vor Beginn der Primaries – wäre es für die Partei noch viel leichter gewesen, die Zukunft in die eigene Hand zu nehmen. Aber man hat schweigend zugesehen, wie der Karren im Zeitlupentempo den Abhang runtergerollt und schließlich zerschellt ist. Die Verantwortung für das Desaster liegt bei der Demokratischen Partei, deren Führung feige, passiv und inkompetent war.

              • Thorsten Haupts 11. November 2024, 12:39

                Wer der Kandidat der Demokraten bei der Wahl 2024 wird, entscheidet nicht der amtierende Präsident, sondern die Partei.

                Bestenfalls theoretisch. Einen aus Parteisicht sogar erfolgreich amtierenden Regierungschef, vor einem fetten und öffentlich sichtbaren Fehler, wird von Teilen der eigenen Partei als Könismord wahrgenommen und bei der nächsten Gelegenheit (=Wahl) bestraft.

                Es gibt kein mir bekanntes Beispiel des zwangsweisen Wegdrängens eines amtierenden Regierungschefs durch seine eigene Partei in der westlichen Welt. Das ist ein irreales Gedankenspiel.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Ralf 11. November 2024, 16:24

                  Theresa May. Dicht gefolgt von Liz Truss. Dicht gefolgt von Sebastian Kurz. Wahrscheinlich bald Olaf Scholz.

                  Als Parteichefs fallen mir Rudolph Scharping und Kurt Beck ein.

                  • CitizenK 11. November 2024, 16:49

                    Helmut Schmidt? Angela Merkel?

                  • Thorsten Haupts 11. November 2024, 19:43

                    Äh ja. Ich vergass bei der Widerholung in meinem Beitrag das Wort „erfolgreich amtierend“. Die von Ihnen genannten Regierungschefs waren alle versuchte Schadensbegrenzung.

                    • Ralf 11. November 2024, 23:06

                      Ok, geschenkt. Aber das liegt nicht daran, dass man einen Amtsinhaber nicht stürzen kann, sondern daran dass es für eine Partei keinen Sinn macht, einen erfolgreichen Amtsinhaber zu stürzen.

                • Stefan Sasse 12. November 2024, 11:58

                  Jepp.

            • Stefan Sasse 9. November 2024, 14:37

              Das argumentiere ich ja immer wieder. Ich bin nur gerade nicht mehr so sicher, wie sehr das noch hält, das wird sich in den folgenden Wochen schärfen denke ich.

  • cimourdain 8. November 2024, 09:09

    Was technisches: Hat das einen speziellen Grund, warum für diese Episode kein spotify-player eingebettet ist? [Liegt es am dummen Wähler, dem falschen Wahlsystem oder habe da Entscheider versagt? 😉 ]

  • Thorsten Haupts 8. November 2024, 14:14

    Ein Nachtrag zu einem der drei Themen, die in naher Zukunft darüber bestimmten werden, wieviele Stimmen Rechtsradikale in Deutschland bekommen:

    Wenn wir diese Leute nicht schnellstens in den Griff bekommen:

    https://x.com/HamasAtrocities/status/1854790870790553734

    sind das nochmal 10% für Rechtsradikale. Völlig zu recht und verdient durch das kollektive europäische Migrationsversagen!

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • Thorsten Haupts 8. November 2024, 14:28

    Noch ein interessanter Thread zur Trump-Wahl.

    https://x.com/mattyglesias/status/1854835821511074277

    Der auf den fatalen Denkfehler liberaler Politanalysten zurückverweist, die mit und nach Obama tatsächlich glaubten, Einwanderer, Schwarze und junge Leute seien automatisch progressiv und würden immer progressiv bleiben. Ich erinnere mich noch gut an diesen Unsinn.

    • pannaKraweel 8. November 2024, 15:08

      Nachdem zunächst die Arbeiterklasse und danach die Studentenschaft versagt hatten bei der Revolution, sollten halt die Migranten das neue revolutionäre Projekt sein. Mal sehen, wer als nächstes dran ist.

      • Thorsten Haupts 8. November 2024, 16:27

        Ja. Ich glaube, was viele (besonders) Akademiker nicht in ihren Schädel bekommen, ist die Tatsache, dass man tatsächlich gerne und komfortabel nicht-links (oder heute „progressiv“) sein kann. Die halten „links“ für den generischen Menschheits-default, anders kann ich mir die widerkehrenden Denkfehler von vielen Jahrzehnten nicht mehr erklären.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • schejtan 8. November 2024, 21:33

          Ja. Aber ist das wirklich was spezifisch linkes? Oder zieht sich das nicht durch alle politischen stroemungen?

          • Thorsten Haupts 9. November 2024, 19:58

            Nach meiner persönlichen Beobachtung: (Ältere) Christdemokraten oder Rechtsliberale preisen die Unvollkommenheit und den Egoismus des Menschen als feste Grösse ein, Linke tun genau das nicht. Das ist sicher eine grobe Generalisierung, aber eine, die ich in der Politik über Jahrzehnte wieder und wieder gesehen habe.

            Dazu passt übrigens haargenau die Beobachtung, dass Sozialismus nur funktionieren KANN, wenn der Mensch von Natur aus gut ist, andernfalls muss er schon denknotwendig scheitern.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Erwin Gabriel 10. November 2024, 11:16

              @ Thorsten Haupts

              Nach meiner persönlichen Beobachtung: (Ältere) Christdemokraten oder Rechtsliberale preisen die Unvollkommenheit und den Egoismus des Menschen als feste Grösse ein, Linke tun genau das nicht.

              Yepp. Läuft für mich ein Stück weit unter „Erfahrung“ und „gesunder Menschenverstand“.

              Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen führen in der Tat zu sehr unterschiedlichen Politikvorstellungen.

        • Stefan Sasse 8. November 2024, 21:51

          DIESEN Irrtum verstehe ich tatsächlich schon lange nicht mehr.

        • pannaKraweel 10. November 2024, 22:00

          Wahrscheinlich ja. Mein Umfeld jedenfalls geht zumeist von Linksliberalsein als Defaultposition aus. So als wäre es geradezu unhöflich, es für möglich zu halten, das Gegenüber könne zu einem anderen Lager gehören.

    • Stefan Sasse 8. November 2024, 21:50

      Ja, ich mich auch, leider als Beteiligter.

  • sol1 9. November 2024, 18:22

    Hier noch der Erfahrungsbericht eines Wahlkampfhelfers:

    /// Very often, I spoke to small business owners who would talk about the price of gas or bread, rendering any attempted explanation of global pressures responsible for that ineffective at best, and at worst condescending. Often, they would also tell me that everyone they knew was doing badly, even if they were just fine themselves. (…)

    It is said that an open primary process would have given Harris the chance to separate herself from Biden, but not a single person I spoke to suggested that they would have preferred a different candidate. But gender did play a role. Time and again, voters, very often women themselves, told me that they just didn’t think that “America is ready for a female president”. (…) Many conversations would start with positive discussions on policy and then end on Harris and her gender. That is an extraordinary and uncomfortable truth.

    You should know what I didn’t hear during the hours speaking to US voters. I can only think of one occasion when someone mentioned stricter taxes on billionaires or any similar policies. The atrocities being committed by Israel in Gaza only came up six times in more than 1,000 calls. The idea that Harris was not leftwing enough seems false: the majority of the country just voted for the complete opposite.

    After all those conversations, I think the main reason that Harris and Walz lost this campaign is simple: Trump. (…) For reasons that I’m sure will be studied for decades, when he speaks, people listen. When he speaks, people believe him. After all those calls, I can be shocked at this result, but hardly surprised. ///

    https://www.theguardian.com/commentisfree/2024/nov/09/us-voters-kamala-harris-donald-trump-republican

    • Ralf 9. November 2024, 19:17

      Ja – hatte den Erfahrungsbericht im Guardian auch gelesen. Der einzige Punkt, der offensichtlich Unsinn ist, ist, dass es jahrzehntelange Forschung benötigen wird, um herauszufinden, weshalb die Menschen Trumps Täuschungsmanövern, Lügen und Desinformation auf den Leim gegangen sind. Für den Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie bedanken wir uns bei den privaten Medien und dem Internet. “Negative Messaging” treibt den Absatz der Medienindustrie in die Höhe, hebt die Quoten, lässt den Profit explodieren. Aber es zersetzt das Vertrauen der Menschen in Staat, System, Institutionen und Politik. 2013 ergab eine Umfrage in den USA, dass Herpesinfektionen beliebter waren als der Kongress, nach dem im Yellowstone-Nationalpark – wie unser Guide damals spöttisch mitteilte – ein Dreckstümpel benannt ist. Wer das Herz unserer Demokratie über Jahre angreift, wer unsere Repräsentanten permanent mit Schmutz und Scheiße bewirft, darf sich nicht wundern, wenn das Spuren hinterlässt. Und zu den profitmaximierenden Sensationsmedien kamen dann in den USA auch noch rechtsextreme Propagandasender wie FOX News – finanziell extrem gut ausgestattet – und mit dem einzigen Ziel, die Bürger mit Lügen und Hass zu manipulieren, das Vertrauen in Staat und Demokratie zu zersetzen. Schon in den 90ern wandten sich mehr und mehr Menschen ab, liefen den Rattenfängern in die Arme. Das Internet mit seiner Flut aus Fake News und den Algorithmen, die die User in einen Abgrund aus Extremismus und Hass zogen und den ideologischen Blasen, die riesige Teile des amerikanischen Elektorats in eine faschistische Sekte verwandelten, hat dem System dann den Rest gegeben. Keine Demokratie kann diesen Angriffen auf Dauer standhalten. Auch unsere Demokratie in Deutschland wird daran zerbrechen.

      • Thorsten Haupts 9. November 2024, 22:00

        Das ist sogar ausweislich der Datenlage einfach Quatsch. Hier:

        https://www.pewresearch.org/politics/2024/06/24/public-trust-in-government-1958-2024/

        kann man deutlich erkennen, dass der Absturz des Vertrauens in die Politik in den USA zwischen 1964 und 1980 erfolgte, von 77 auf 27% (!). Danach – trotz der erst dann aufkommenden sozialen Medien etc. – bis heute war der weitere Rückgang auf heute 22% mehr als moderat.

        Ihr ceterum censeo wird von den Daten so klar konterkariert, dass Ihre These damit zusammenbricht. Sie ist Ihre Privatüberzeugung und ich will Sie auch gar nicht daran hindern, sie im Tonfall biblischer Prediger weiterhin beständig zu widerholen 🙂 .

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Ralf 9. November 2024, 22:30

          Interessante Daten. Danke für’s Teilen.

          Ich bestreite nicht, dass der Erosionsprozess beim Vertrauen in den Vereinigten Staaten bereits früher begonnen hat. Das US-Mediensystem hatte beim Leitmedium Fernsehen übrigens früh private Player – ganz anders als Deutschland. Insofern ist das auch garnicht überraschend.

          Kritisch anmerken möchte ich dennoch, dass das Wording bei der verlinkten Pew-Umfrage (“I trust the government to do what is right just about always/most of the time”) ziemlich aggressiv ist (wer vertraut der Regierung schon IMMER?). Und Pew schlüsselt die Regierung auch nicht weiter auf (Kongress, Präsident etc.).

          Ich verlinke Dir hier ein paar ausführlichere Daten (insbesondere Abbildung 1, aber auch darunter die Abbildungen zu Vertrauen in die Medien und andere Institutionen). Die Autoren kommen auch zum Schluss, dass Erosionsprozesse vor längerer Zeit begonnen haben. Aber ab etwa der Jahrtausendwende befindet sich das Vertrauen – breit über viele Institutionen hinweg – in einem dramatischen Absturz:

          https://www.amacad.org/publication/daedalus/fifty-years-declining-confidence-increasing-polarization-trust-american-institutions

          Die Frage nach dem Vertrauen ist hier übrigens etwas milder gestellt (“I have a great deal of confidence” bzw. “I have quite a lot of confidence”).

          • Thorsten Haupts 10. November 2024, 15:14

            Na ja. Das einzige, was die Daten (beschränkt auf die Politiksphäre) klar hergeben, ist ein beständiger und anhaltender Vertrauensverlust in den Kongress. Und der scheint mir durchaus berechtigt.

            Auch sonst ist Ihre Interpretation der Daten sehr eigenwillig. Der Absturz des Vertrauens in „Wall Street“ korreliert nicht zufällig mit dem Platzen der DotCom-Blase, bei den Banken geschah er kurz vor und nach der Finanzkrise 2008. Beides Indizien dafür, dass sich die US Bürger völlig rational verhalten.

            Der Absturz des Vertrauens in die Medien ist ein sehr lange anhaltender Trend, der bereits in den siebzigern begann.

            Ich kann auch in Ihren Daten nichts erkennen, was auf die Ursächklichkeit sozialer Medien und deren Verbreitung von was auch immer für die Vertrauensverluste hindeutet? Wenn man mal davon absieht, dass bei gebildeten und informierten Leuten gesundes Muisstrauen die Defauilt-Position sein sollte – blindes Vertrauen sollte Glaubensgemeinschaften vorbehalten sein.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 10. November 2024, 18:27

              Jein. Eine gewisse Skepsis ist gut, komplettes Misstrauen eher weniger.

            • Ralf 10. November 2024, 20:05

              Den Absturz des Ansehens von Wall Street und Banken hatte ich nicht erwähnt. Aber ja – das sehe ich genauso wie Du. Das Vertrauen in diesen Sektor ist eng mit wirtschaftlichen Entwicklungen verknüpft, insbesondere mit der Bankenkrise 2008.

              Bei den politischen Playern gehe ich hingegen nicht mit Dir d’accord. Tatsächlich sieht man ein deutliches Abknicken des Vertrauens ab 2005 beim Kongress, beim Präsidenten, bei der Exekutive und beim Supreme Court. Das Abknicken ist beim Kongress lediglich am schärfsten.

              Woher Deine Einschätzung, die Ablehnung des Kongresses sei berechtigt, kommt, erschließt sich mir übrigens nicht. Das Hickhack der republikanischen Selbstblockade seit den 2020er Jahren ist in den Daten ja garnicht enthalten. Ansonsten haben die Parteien dort eigentlich einigermaßen geräuschlos ihre breiteren Agenden umgesetzt. Nancy Pelosi hat z.B. oft ambitionierte Projekte mit hauchdünnen Mehrheiten durchgesetzt, bei denen sie ihre gesamte Fraktion – von liberalen Progressiven bis hin zu rechtsneigenden Zentristen – an einen Tisch bringen musste. Und das ohne “Fraktionszwang”, den es aufgrund des Mehrheitswahlrechts in den USA so nicht gibt.

              Und Umfragen zeigen übrigens, dass die Amerikaner ihren eigenen Kongressabgeordneten in der Regel mögen. Das sieht man unter anderem auch daran, dass es bei Wahlen einen “Amtsinhaberbonus” gibt. Einen schlechten Ruf haben nur “alle anderen” Abgeordneten. Daraus kann man ablesen, dass es hier mehr um Stimmungen und “gefühlte Realität” geht, anstatt um echte, in der Wirklichkeit verankerte Vorwürfe, die man dem Kongress machen würde.

              Und die Umfragezahlen aus der Studie dürften den tatsächlichen Vertrauensverlust in die politischen Institutionen sogar noch unterschätzen. Erstens haben Umfragen nämlich grundsätzlich einen Bias dahingehend, dass ausschließlich die Meinungen derjenigen aufgezeichnet werden, die an Umfragen teilnehmen. Das klingt wie eine bedeutungslose Tautologie, hat aber signifikante Konsequenzen für das Ergebnis. Denn die Elitenfeindlichkeit, die exakt in jenem Zeitraum, in dem das Vertrauen in die Institutionen am schärfsten abknickte, explodierte, führte dazu, dass Menschen, die sich vom Mainstream lösten, die Teilnahme an Umfragen verweigerten, weil sie die Polling-Industrie als Teil der Eliten begriff. Das führte z.B. 2016 dazu, dass Trumps Wahlchancen dramatisch unterschätzt wurden, weil Trump-Anhänger systematisch in den Umfragen unterrepräsentiert waren. Ein zweiter Faktor, der dazu führt, dass die Zahlen zum Vertrauensverlust in die politischen Institutionen wahrscheinlich unterschätzt sind, ist die Wählerpolarisierung, die sich über alle diesen Entwicklungen überlagert. Das Grundvertrauen in den Staat – unabhängig davon, wer gerade die Regierung führt – ist dramatisch gesunken. Stattdessen korreliert das Vertrauen in den Staat stets damit, ob gerade meine Partei oder “der Feind” an der Macht ist. Das aber – zumindest in dieser Heftigkeit – ist eine neue Entwicklung, deren Beginn ebenfalls in denselben Zeitraum fällt.

              Der Vertrauensverlust bei den Medien hat in den USA früher begonnen als in Deutschland, weil das Mediensystem in den USA lange vorher privat dominiert war. Die Fairness Doktrin ist dann in 1987 aufgehoben worden. Fox News wurde 1996 gestartet.

              • Stefan Sasse 10. November 2024, 20:57

                FOX News ist Prädikator Nummer 1 für die Abweichungen der USA von Europa, was das angeht. Insgesamt bleibe ich dabei, dass die Individualisierung der Haupttreiber ist.

                • Ralf 10. November 2024, 21:58

                  Was ist Deine Erklärung dafür, dass die Individualisierung das Ansehen von Politik und Medien zerstört hat, aber nicht z.B. das Ansehen des Militärs?

                  Warum hat es Clowns wie Trump und Johnson nicht bereits in den 90ern gegeben? Die Gesellschaft war damals doch auch schon stark individualisiert.

                  Ich bestreite nicht, dass die Individualisierung einen Beitrag geleistet hat, aber ich behaupte, dass die Privatmedien die Individualisierung maßgeblich vorangetrieben haben und damit auch für einen großen Teil dieses Komplexes ursächlich sind. Falls Du das anders siehst, woher ist die Individualisierung dann gekommen? Ist die vom Himmel gefallen?

                  Wie erklärst Du die Hysterie, die Schnelllebigkeit, die Shitstorms, die Flut an Desinformation, die ideologischen Blasen, die rasende Radikalisierung ohne die Technologie des Internets – selbst wenn wir die Individualisierung mal als gegeben hinnehmen?

                  Wie hat die Individualisierung das “Negative Messaging” der Privatmedien hervorgerufen?

                  • Stefan Sasse 11. November 2024, 08:15

                    Das Militär ist nicht in der Polarisierung. Wie übrigens auch die Justiz (meine Prognose ist, dass sich das vor allem in den USA, aber auch hier allerdings bald ändern wird). Alle Institutionen, die wir demokratisiert haben und die Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen sind, haben an Vertrauen verloren. Man denke nur an das Bildungssystem. Alle, die das nicht sind, nicht.

                    Darf ich an Berlusconi erinnern? Wir hatten auch früher schon Clowns.

                    Die Privatmedien haben das in den angelsächsischen Ländern stark vorangetrieben, aber weniger in Deutschland. Das Privatfernsehen ist hier eher apolitisch, und die BILD gibt es schon sehr lange.

                    • CitizenK 11. November 2024, 10:13

                      Berlusconi ist eher ein Gegenbeispiel. Mit ihm begann in Europa die Kommerzialisierung des Fernsehens.

                    • Ralf 11. November 2024, 16:19

                      Chapeau! Mir Silvio Berlusconi als Gegenbeispiel zur Stimmungsmache durch Privatkommerzmedien zu verkaufen, zeugt von Chuzpe.

                      Ansonsten leidet Deine Erklärung von Politikverdrossenheit, Demokratiemüdigkeit, politischer Fragmentierung, Hass in der Debatte etc. durch Individualisierung daran, dass diejenigen, die am stärksten durch die Individualisierung gewonnen haben, nämlich Frauen, am wenigsten radikal sind. Frauen konnten noch in den 1960er Jahren ihren Job gegen ihr Einverständnis durch ihren Ehemann legal gekündigt sehen, wenn der Ehemann meinte, dass häusliche Pflichten vernachlässigt würden. Berufliche Unabhängigkeit hatten Frauen kaum. Ihr Anteil an den Universitäten und in gut bezahlten Jobs war marginal. Abtreibungen standen unter Strafe. Die Individualisierung hat deshalb ganz besonders die Leben von Frauen verändert (z.B. Pille, Paragraph 218, Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand etc.), hat Frauen viel stärker als Männern die Perspektive gegeben sich selbst verwirklichen zu können. Wie kommt es dann, dass ausgerechnet Frauen besonders moderat wählen, dass Frauen bei den Wählern der Grünen überrepräsentiert und bei den Wählern von AfD, Trump, Brexit etc. unterrepräsentiert sind?

                      Die Individualisierung erklärt im übrigen aus sich heraus nicht, warum sich die Menschen von der Demokratie abwenden, warum sie das Vertrauen in die Politik verlieren, warum zunehmend alle Debatten vergiftet sind. Nur weil ich mehr Optionen habe mich selbst zu verwirklichen, fange ich ja nicht an das System und meine Nachbarn zu hassen. Da fehlt doch noch irgendwo ein Prozess.

                      Und die Individualisierung findet auch nicht einfach aus sich selbst heraus statt. Das Bedürfnis zur Selbstverwirklichung, das Ideal seinen ganz eigenen Weg zu gehen, wird ja stimuliert, wird angeregt von irgendeinem Außenfaktor. Und die Medien, insbesondere die Privatmedien, sind der Haupttreiber dieser Entwicklung.

                      Besser als die Individualisierung erklärt allerdings die Polarisierung all die negativen Phänomene, wie du richtig bemerkst. Aber auch die Polarisierung entsteht nicht aus sich selbst heraus. Hier sind die Medien sogar fast der alleinige Faktor.

                      Das stete Vertrauen der US-Bevölkerung in das Militär war übrigens eine halbe Fangfrage. Tatsächlich ist das Vertrauen in den letzten Jahren drastisch kollabiert …

                      https://news.gallup.com/poll/509189/confidence-military-lowest-two-decades.aspx

                      Merkwürdigerweise fällt das zusammen mit negativer Berichterstattung, oft in apokalyptischem Ton, in den Privatmedien und sozialen Netzwerken.

                    • Stefan Sasse 12. November 2024, 11:59

                      Das ist ein Backlash. Der Gewinn der Frauen an Gleichstellung hat einen gefühlten Verlust von Privilegierung bei manchen Männern produziert.

                    • Thorsten Haupts 11. November 2024, 21:08

                      @Ralf „Vertrauen in Militär“

                      Von 50% in 1980 auf 60% in 2022 ist für Sie „kollabiert“? Staun.

                    • Ralf 11. November 2024, 23:03

                      1980 ist nicht der Maßstab, sondern der Maßstab ist, wo wir noch vor ein paar Jahren standen.

                    • Thorsten Haupts 11. November 2024, 23:28

                      Shifting goalposts? Das Militär in den USA hat es also – trotz privater Medien – geschafft, sich aus seinem Tief 1980 herauszuarbeiten, aber jetzt sind die sozialen Medien daran schuld, dass es wieder in etwa demselben Tief gelandet ist? Wen wollen Sie damit überzeugen?

                    • Ralf 12. November 2024, 00:06

                      Der Ruf des Militärs konnte sich in der Vergangenheit positiv entwickeln, weil das Militär als unantastbar galt – und zwar auf der Seite beider Parteien. Das Militär zu kritisieren, war politischer Selbstmord, weshalb sowohl Politiker als auch Medien stets nur Positives über das Militär zu sagen hatten. Das änderte sich Ende der 2010er Jahre mit Trump auf der rechten und woken Aktivisten auf der linken Seite. Die Privatmedien machten den neuen Trend “ein bisschen” mit und amplifizierten die negativen Botschaften. Und das Internet mit seinen ideologischen Blasen verschärfte den Ton zu einer toxischen Debatte – insbesondere mit Blick auf den Afghanistanabzug (Wut und Hass von rechts) und den Gazakrieg (Wut und Hass von links). Das Ergebnis ist, dass nun schließlich auch das Ansehen des Militärs beschädigt ist und die Bürger das Vertrauen verlieren.

                    • Ralf 12. November 2024, 14:32

                      Das ist ein Backlash. Der Gewinn der Frauen an Gleichstellung hat einen gefühlten Verlust von Privilegierung bei manchen Männern produziert.

                      Deine Theorie, nach der nicht die Medienindustrie und das Internet die Debatten vergiftet und die Menschen der Demokratie entfremdet haben, sondern die Individualisierung das alles bewirkt haben soll, wird mysteriöser. Jetzt sind – nach Deinem neuesten Schlenker – also nicht mehr diejenigen verantwortlich, die die Individualisierung in der Realität selber leben – ich hatte Frauen als Beispiel genannt – sondern andere sind schuld, die das alles nur von der Seite aus beobachten und bei denen das Gesehene Verlustängste auslöst. Das Problem bei dem Argument ist, dass die Demokratieverächter und Rechtswähler eher in den ländlichen Räumen leben, nicht in den Städten. In den ländlichen Räumen ist das Umfeld aber viel weniger dynamisch, viel weniger heterogen. “Trad-Wives” sind dort viel häufiger. Hausfrauen sind dort viel häufiger. Ausländer gibt es dort nur sehr wenige. Oder gar keine. Wer da missmutig von der Seite beobachtet, ist also selbst persönlich garnicht betroffen und weiß von den Dingen die er lautstark kritisiert und ablehnt und vor denen er sich fürchtet … … … wait for it … … … aus den Medien und aus dem Internet.

                    • Stefan Sasse 12. November 2024, 14:52

                      Für reaktionäre Ansichten auf dem Land brauchte es kein Fernsehen und kein Internet. Das war schon im Kaiserreich so.

                    • Ralf 12. November 2024, 17:49

                      Für reaktionäre Ansichten auf dem Land brauchte es kein Fernsehen und kein Internet. Das war schon im Kaiserreich so.

                      Hmmm … wenn das Dein neues Argument ist, dann zerschießt Du Dir damit das alte – nämlich dass die Individualisierung an der Vergiftung der Debatten und an der Demokratiemüdigkeit schuld ist. Denn Individualisierung gab es im Kaiserreich – im Gegensatz zu Medien (-> Zeitungen existierten bereits und waren das damalige Leitmedium) – ja auch nicht.

                      Im übrigen halte ich Deine Extrapolation, dass Fernsehen auf die Landbevölkerung im Kaiserreich keinen Effekt gehabt hätte für ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Worauf genau fußt denn diese Einschätzung?

                      Und zur Erinnerung – Du hast immer noch nicht erklärt wo Individualisierung und Polarisierung herkommen, wenn sie nicht ein Produkt der Medien sind. Sind die Menschen irgendwann einfach an einem Februarmorgen aufgewacht und waren plötzlich individualisiert und polarisiert? Wie stellst Du Dir solche Prozesse vor ohne Kerneinfluss von Medientechnologie?

                    • Stefan Sasse 13. November 2024, 10:39

                      Da laufen mehrere Aspekte nebeneinander.

                      Der Stadt-Land-Gegensatz ist mittlerweile jahrhunderte alt. Darauf wollte ich raus.
                      Die Polarisierung hat sich in der letzten Zeit verschlimmert. Das stützt IMHO deine Soziale-Medien-These, weil das noch in den 1990er Jahren anders war. Was deine These aber untergräbt ist, dass die Polarisierung in den 1950er-1970er Jahren richtig hoch war – ohne soziale Medien, ohne privates Fernsehen.

                      Ich glaube, du darfst mich nicht in die Richtung verstehen, dass Individualisierung alles erklärt, als catch-all. Ich nehme sie als Erklärung für die spezifischen Ausprägungen. Warum polarisiert nicht Ostpolitik etc. sondern Corona, Tempolimit und Sylvesterböller?

                    • Ralf 13. November 2024, 22:23

                      Was deine These aber untergräbt ist, dass die Polarisierung in den 1950er-1970er Jahren richtig hoch war – ohne soziale Medien, ohne privates Fernsehen.

                      Du missverstehst meine These. Ich behaupte, dass das Internet und private Medien zwingend die Polarisierung, politische Fragmentierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft antreiben, nicht dass ohne Internet und private Medien Polarisierung, politische Fragmentierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft unmöglich sind.

                      In den 50er bis 70er Jahren hatte das Fernsehen übrigens noch garnicht den Status eines Leitmediums. Bei uns zuhause gab es z.B. überhaupt erst Anfang der 80er Jahre einen Farbfernseher. Noch Ende der 80er wurde unheimlich viel Radio gehört. Elmar Hörigs Hitparade auf SWF3 war z.B. unheimlich populär bei Jugendlichen. Viele Autoradios damals hatten kein Kassettenabspielgerät. Die Leute haben tatsächlich Radio gehört. Auch insbesondere samstags, wenn die Bundesliga spielte und man live zuhören konnte, bevor die Sportschau das Geschehen am Abend zusammenfasste. Zeitungen waren enorm bedeutend. Und Zeitungen haben heftig polarisiert. Spiegel und SZ nach links. FAZ und BILD nach rechts. Der Einfluss der privaten Printmedien ist erst zurückgedrängt worden, als sich das Fernsehen als Leitmedium – insbesondere als Nachrichtenquelle (Tagesschau, Heute Journal) – durchsetzte.

                      Warum polarisiert nicht Ostpolitik etc. sondern Corona, Tempolimit und Sylvesterböller?

                      Weil ich die Einschränkungen bei Coronamaßnahmen, Tempolimit und Böllerverbot persönlich am eigenen Leib fühle (also zumindest wenn ich ein Auto hätte und zu Silvester traditionell böllern würde), während die Ostpolitik ein abstraktes Konstrukt ohne direkten Bezug zu meinem Leben ist?

                    • Stefan Sasse 14. November 2024, 07:31

                      Du missverstehst meine These. Ich behaupte, dass das Internet und private Medien zwingend die Polarisierung, politische Fragmentierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft antreiben, nicht dass ohne Internet und private Medien Polarisierung, politische Fragmentierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft unmöglich sind.

                      Witzig übrigens, dass wir uns gegenseitig in derselben Mechanik missverstehen. Ich habe generell das Gefühl, wir unterscheiden uns eher in der Schwerpunktsetzung als im Argument.

                      Weil ich die Einschränkungen bei Coronamaßnahmen, Tempolimit und Böllerverbot persönlich am eigenen Leib fühle (also zumindest wenn ich ein Auto hätte und zu Silvester traditionell böllern würde), während die Ostpolitik ein abstraktes Konstrukt ohne direkten Bezug zu meinem Leben ist?

                      q.e.d.

              • Thorsten Haupts 11. November 2024, 12:49

                (Medien) Und ausweislich der von Ihnen selbst als Beleg verlinkten Studie begann der Vertrauensverlust in den siebzigern. Verdrängen Sie immer so offensichtlich, was nicht in Ihre These passt?

                Tatsächlich sieht man ein deutliches Abknicken des Vertrauens ab 2005 beim Kongress, beim Präsidenten, bei der Exekutive und beim Supreme Court.

                Man sieht nichts dergleichen. Der Vertrauensverlust beim Supreme Court begann in den siebziger, er erholte sich in den achtzigern wieder, um dann ab 1999 in den Sinkflug überzugehen. Das Vertrauen in den Präsidenten erreichte unter G.W. Bush 2001/2002 ein Allzeithoch, um dann unter demselben Präsidenten auf ein Allzeittief zu rutschen. Vor 2005.

                Auch die Daten IHRER Studie bestätigen Ihre These in keiner Weise.

                Und das nur ganz nebenbei – ich habe die ständige Verächtlichmachung aller wesentlichen Institutionen Deutschlands (Ausnahme BVerfG) durch die drei (von 4) dezidiert linken Politmagazine des ÖRR in den späten achtzigern und frühen neunzigern nicht vergessen. Der ÖRR war doch Ihr Role-Model für die Lösung der von Ihnen imaginierten Krise?

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Ralf 11. November 2024, 16:29

                  Wie ich Dir bereits geschrieben habe, sind die Medien in den USA länger privat als in Deutschland. Mechanismen haben also erwartbar früher eingesetzt.

                  Die Kurve bei allen politischen Institutionen senkt sich ab 2005 stärker ab, was nahelegt, dass sich der Vertrauensverlust beschleunigt hat.

                  Dass der ÖRR die politischen Institutionen beschädigt hat, ist Quatsch.

                  • Thorsten Haupts 11. November 2024, 19:47

                    Das bringen Vetrauensverluste mit sich, wenn sie nicht über lange Jahre mühseliger Arbeit langsam wieder aufgebaut werden.

                    Aber wir sind ja jetzt auch schon von „Die sozialen/privaten Medien sind ursächlich und alleine Schuld“ bei „Die privaten und sozialen Medien haben eine vorher bereits begonnene Entwicklung beschleunigt.“

                    • Ralf 11. November 2024, 23:00

                      Ich habe nie behauptet, die privaten Medien und das Internet seien an allem alleine Schuld. Aber sie sind der eine Faktor, an dem man einfach etwas verändern kann. Die Alternative wäre, dass es z.B. einfach keine Krisen mehr geben darf. Oder dass wir über Nacht das Einwanderungsproblem lösen. Oder mal eben schnell den Klimawandel bewältigen. Good luck with that.

                    • Thorsten Haupts 11. November 2024, 23:37

                      Ohne Aufgabe einer freien Gesellschaft kann man an den Medien wenig verändern. Sie hätten gerne einen betreuten Kindergarten, in dem qua Definition „vertrauenswürdige Gatekeeper“ der Gesellschaft vorsagen, was sie zu glauben hat. Habe ich verstanden, mich überzeugt nur weder Ihre Analyse noch Ihre Lösung.

                      Ich habe als historisch Interessierter nicht vergessen, dass es seit Beginn der Menschheitsaufzeichnungen die „Medien“ bzw. deren Zeitäquivalent waren, die Gesellschaften gegen die einzig richtige Ordnung aufhetzten, die Jugend verdarben und Menschen zur Rebellion gegen die Obrigkeit trieben. Sie befinden sich mit Ihrer Analyse, Ihrer Klage und Ihrer Lösung in absolut bester historischer Gesellschaft über viele Jahrhunderte aufgezeichneter Menschheitsgeschichte.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Ralf 11. November 2024, 23:57

                      “Vertrauenswürdige Gatekeeper” -> Ja.

                      “Betreuter Kindergarten” -> Nein.

                • CitizenK 11. November 2024, 16:52

                  Kritik ist keine „Verächtlichmachung“.

                  • Thorsten Haupts 11. November 2024, 19:48

                    Das, lieber citizenK, hängt sehr von der Tonlage der Kritik ab …

          • Stefan Sasse 10. November 2024, 18:25

            Kongress ist ja auch nicht Regierung. Ob die Leute das wissen, sei mal dahingestellt.

            • Ralf 10. November 2024, 20:07

              Mein Fehler. Ich meinte nicht “Regierung” sondern die “politischen Institutionen”.

  • Thorsten Haupts 9. November 2024, 20:07

    Addendum zu der „Warum Trunp“ Debatte. Auszug aus dem Lexington-Artikel des aktuellen economist: Him Again (Page 37).

    Most egregious, Mr. Biden resharpened Mr. Trump´s most effective political wedge by doing away with obstacles he had created to illegal immigration, providing no alternative. By the time he restored some of Mr. Trump´s restrictions this spring, more than 4 Million migrants had crossed the southern border, compared with fewer than 1 Million under Mr. trump. … under Mr. Biden, Americans who say they want a decrease in legal immigration rose from a minority to a majority, as did the number who favour mass deportation.

    Irgendwann werden möglicherweise Historiker über diese Periode urteilen, dass die liberale Demokratie an der Unfähigkeit und Unwilligkeit ihrer vorherrschenden Funktionseliten starb, ein kontollierbares Problem in den Griff zu bekommen. Oder kürzer – an offenkundiger Dummheit.

    Ich sage das übrigens seit 2014. Öffentlich.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • derwaechter 9. November 2024, 22:54

      Fun fact, Lexington wird aktuell von James Bennet geschrieben.

      Dieser hatte nach seinem Rausschmiss bei der New York Times folgendes geschrieben, das sehr gut zu Deiner Beobachtung passt.

      „He argues that the Times has become a much more illiberal organization that presents news and opinions that agree with those of its left of center readership base. He writes “The reality is that the Times is becoming the publication through which America’s progressive elite talks to itself about an America that does not really exist.”“

      https://en.m.wikipedia.org/wiki/James_Bennet_(journalist)

    • pannaKraweel 10. November 2024, 22:10

      „dass die liberale Demokratie an der Unfähigkeit und Unwilligkeit ihrer vorherrschenden Funktionseliten starb“

      Schmöschtedasnicht. Bin nämlich noch ziemlich jung.

      Halte es aber auch für denkbar, besonders seitdem ich mal Funktionseliten sagen hörte, sobald das Migrationsthema aus den Medien verschwunden sei, würde da kein Wähler mehr ein Problem mit haben (sinngemäß). Seitdem glaube ich Leuten, die sagen, der Aufstieg der AfD verwundere sie total.

    • Lemmy Caution 11. November 2024, 08:35

      Wie schlimm ist dieses Migrationsthema wirklich?
      4 Mio über 4 Jahre auf eine US-Bevölkerung von 334 Mio. Das in ein Land das ein Geburtendefizit mit ca. 25% (Fertilitätsrate von 1,61). Dabei auch bedenken, dass die Länder Mittelamerikas selbst ein hohes Geburtendefizit haben.
      Mit einer vernünftigen Kooperation in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung und einer harten Anti-Koka-Politik könnte vielleicht auch viel mehr erreicht werden. Aus Mexiko steigen die Flüchtlingsraten wieder, weil sich die Sicherheitslage in einigen mexikanischen Bundesstaaten unter der linken Regierung wieder spürbar verschlechtert.

  • Lemmy Caution 11. November 2024, 08:19

    Die Rosa Luxemburg Stiftung hat einen interessanten Beitrag zu der rechten Agitation in den USA mit Rückbezug eines Mitbegründers der Kritischen Theorie.
    https://soundcloud.com/rosaluxstiftung/tldr-43-leo-lowenthal-falsche-propheten-mit-simon-strick
    Vieles dürfte vielen hier bekannt sein, aber in der Verdichtung sehr interessant. Der „neoklassische“ Ökonom Rudi Bachmann hat das empfohlen.
    https://soundcloud.com/rosaluxstiftung/tldr-43-leo-lowenthal-falsche-propheten-mit-simon-strick
    Rosa Luxemburg Stiftung hat ja eine Menge interessante Podcasts v.a. zu ideengeschichtlichen und historischen Themen. Auch für Leute, die wie ich manchmal auf der Seite der Bougoisie steht, oft interessant. Ich vergesse das zwischendurch immer.

    • Lemmy Caution 11. November 2024, 08:47

      In Chile wandern im Jahr etwa 0,1 Mio Illegale ein. Auf eine Bevölkerung von 19,5 Mio.
      Pro Einwohner also 1/3 mehr als in die USA mit einer Ökonomie, deren Aufnahmefähigkeit wesentlich geringer ist.

    • Lemmy Caution 11. November 2024, 08:57

      In den USA wurden 2023 3,6 Mio Babies geboren.
      Um die Bevölkerung langfristig konstant zu halten fehlen nach meinen Berechnungen ungefähr 1 Mio Geburten pro Jahr.

  • CitizenK 12. November 2024, 08:15

    @ Thorsten Haupts
    Trump hat auch mit der Unantastbarkeit des Militärs offen gebrochen – es ihm nicht geschadet. Im Gegenteil?

    Die USA, wie ich sie kannte (und in dieser Hinsicht schätzte) gibt es nicht mehr. Wenn ich heute an meinen Unterricht über die Checks and Balances denke, dass es in den USA nie einen Diktator gab (und geben wird), kann ich nur noch bitter lachen.

    • Thorsten Haupts 12. November 2024, 13:54

      Dass die USA jetzt einen sehr seltsamen Präsidenten mit einer sehr seltsamen Politik haben – einverstanden. Ob die USA zu einer „Diktatur werden, weiss ich nicht, behalte mir aber diesbezüglich ein Höchstmass an Skepsis vor.

      • Stefan Sasse 12. November 2024, 14:06

        Ich erwarte auch keine Diktatur. Ich erwarte eine Orbanisierung im Schnelldurchlauf.

        • Ralf 12. November 2024, 18:09

          “Orbanisierung” wird in den USA direkt in die Diktatur führen. Dass das in Ungarn noch nicht in vollem Umfang passiert ist, liegt lediglich daran, dass Orban gewissen Constraints unterworfen ist: Er braucht das Geld der EU und der westlichen Demokratien. Wäre Ungarn unabhängig, hätte sich der Westentaschendiktator längst zum Tyrannen aufgeschwungen.

          Anders als Ungarn unterliegen die USA aber keinerlei Constraints. Entweder die Clique um Trump kann den irrlichternden Clown noch vier Jahre unter Kontrolle halten und die Demokratie mehr oder weniger erhalten. Oder die USA sind in vier Jahren das direkte Äquivalent zu Putins Russland. Oder die USA fallen auseinander, mit einem sich abspaltenden Westen und Nordosten. Oder das Land ist in vier Jahren in einem Bürgerkrieg.

          • Stefan Sasse 13. November 2024, 10:39

            Die haben auch constraints. Hoffen wir das Beste.

            • Ralf 13. November 2024, 12:34

              Welche Constraints hat Trump denn? Seine angekündigten Zölle zielen auf wirtschaftliche Autarkie. Verteidigungspolitisch braucht Trump die westlichen NATO-Partner nicht. Die USA empfangen auch keine Geldtransfers – anders als die ehemaligen Ostblockländer in der EU.

              • Stefan Sasse 14. November 2024, 07:21

                Innerhalb des Systems und der Institutionen. Er wird alles tun was er kann, die zu beseitigen. Aber ob es ihm gelingt ist noch unklar.

        • CitizenK 13. November 2024, 12:08

          Es wird wohl mehr als eine Orbanisierung, wenn er diese Liste abarbeitet und willfährige oder eingeschüchterte Richter findet:
          https://www.morgenpost.de/politik/article407640700/donald-trump-us-wahl-rache-obama-kamala-harris.html

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