Der amerikanische oberste Gerichtshof ist ein ungeheuer mächtiges Gremium. Mit lebenslang dienenden Richter*innen, die nichts und niemandem verpflichtet sind, kann er Gesetze in einem ungeheuer weiten Rahmen auslegen und damit die politische Realität maßgeblich mitbestimmen. Die letzten Jahrzehnte sind zudem von einer ständigen Ausdehnung der Kompetenzen des obersten Gerichts geprägt, die unter dem Vorsitzenden John Roberts neue und nie dagewesene Höhepunkte erreicht hat. Durch die aggressive Besetzungspolitik, mit der Mitch McConnell einen Sitz stahl und damit die rechte Mehrheit zu zementieren half, wie durch die egoistische Weigerung Kennedys und Ginsbergs, rechtzeitig für eine Neubesetzung zurückzutreten, ist das oberste Gericht nun auf Jahre hinaus stark konservativ bis hin ins rechtsradikale Spektrum geprägt. Die neue Marschrichtung des Gerichts wurde durch eine Reihe von Entscheidungen deutlich, die Ende Juni 2024 verkündet wurden, kurz vor der Sommerpause, in einer wahren Ladung von Urteilen, in der einzelne Entscheidungen untergehen – und das in einer ohnehin nicht sonderlich an Details interessierten Öffentlichkeit.
Aber zuerst einige Grundlagen. Der Supreme Court besteht aktuell aus neun Richter*innen, eine Zahl, die bereits seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr verändert wurde (aber grundsätzlich fluide ist; der Gerichtshof bestand auch schon aus acht und zehn Personen). Davon hat einer das Amt seit der Präsidentschaft George H. W. Bushs inne (Clarence Thomas, seit 1991), zwei seit der Präsidentschaft seines Sohns George W. Bush (John Roberts, seit 2001, und Samuel Alito, seit 2006), zwei seit Barack Obama (Sonia Sotomayor, seit 2009, und Elena Kagan, seit 2010), drei seit Trump (Neil Gorsuch, seit 2009, Bret Kavanaugh, seit 2018, und Amy Coney Barett, seit 2020) und eine seit Biden (Ketanji Brown Jackson, seit 2022). Dadurch besteht der Gerichtshof aus drei demokratischen und sechs republikanischen Ernennungen.
Dem Naturell Obamas entsprechend sind Sotomayor und Kagan eher moderat liberale Richterinnen, wie alle seine Ernennungen (man bedenke nur seine Nominierung von Merrick Garland 2016; seine Amtszeit als oberster Staatsanwalt unter Biden zeigt deutlich, welche Leute Obama bevorzugte). Jackson ist demgegenüber schon eher das Kind einer neuen, nach links gerückten demokratischen Partei, bleibt aber immer noch firm im liberalzentristisch Lager.
Auf der Gegenseite findet sich hier John Roberts, der mittlerweile die moderateste Stimme im republikanischen Spektrum darstellt – was einiges heißt, denn Roberts ist nicht eben ein zurückhaltender Zeitgenosse. Etwas überraschend hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Bret Kavanaugh und Amy Coney Barrett (und damit zwei Trump-Ernennungen) noch gelegentlich ihre Stimmen mit denen ihrer liberalen Amtskolleginnen vereinen (und eine 6-3-Entscheidung für das Fortbestehen der Meinungsfreiheit lässt nicht eben Zuversicht aufkommen), während die Bush-Altlasten Clarence Thomas (der zudem zutiefst korrupt ist) und Samuel Alito zusammen mit Neil Gorsuch den radikalen Rand bilden, dem mittlerweile alles zuzutrauen ist. Thomas und Alito waren schon immer die extremestischen Ausleger des Gerichtshofs, vor allem Thomas mit seiner angeblich „originalistischen“ Philosophie (hinter der allerdings nichts steht, wie ich schon ausführlich beschrieben habe), aber zunehmend auch Alito, der immer weniger Rücksicht zeigt. Neil Gorsuch ist für manche hier sicher die größte Überraschung; die schlechten Kolumnen von 2017 sind diesbezüglich nicht gut gealtert; die mahnenden Stimmen haben Recht behalten.
Aber letztlich sind die Entscheidungen des Supreme Courts, wann immer eine relevante Frage ansteht, verlässlich für die republikanische Partei. Der daraus resultierende massive Vertrauens- und Ansehensverlust der letzten Jahre ist so seismisch, dass er eigentlich kaum ignoriert werden kann. Die gleichzeitig immer größere Offenheit und abnehmende Zurückhaltung scheinen Ausdruck eines „ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert“ zu sein. Jedenfalls Clarence Thomas lebt offensichtlich nach dieser Maßgabe.
Aber damit zu den jüngsten Urteilen. Roberts plante diese mit gewohnter Akribie: im Mai veröffentliche der Gerichtshof eine Reihe von kleinen Urteilen, in denen die moderat-konservativen Richter*innen immer wieder mit den drei progressiven Richterinnen stimmten, um den Eindruck von Objektivität und Unvoreingenommenheit zu wahren. Professionellen Beobachtenden war das jedoch von Beginn an klar; die Verzögerung der großen Urteile zu offensichtlich. In den letzten Stunden der aktuellen Amtsperiode kamen dementsprechend auch die Klopper. The Nation schreibt vom „biggest power grab since 1803„, im Spiegel-Leitartikel heißt es, dass der Supreme Court „hilft, die amerikanische Demokratie zu zerstören„, das Washington Monthly reminisziert über „This Horrible Supreme Court Term„, selbst die Welt sieht „den Grundstein der amerikanischen Demokratie zerschlagen„. Was ist passiert? Vor allem zwei Urteile stechen heraus: die Grundsatzentscheidung über die Immunität des Präsidenten und die Aufhebung von Chevron U.S.A. v. Natural Resources Defense Council von 1984.
Kümmern wir uns zuerst um Letzteres. 1984 entschied der damalige Supreme Court in einem wegweisenden Urteil, dass den Behörden der Prärogativ bei der Auslegung von Gesetzen zustehe, soweit es um Ausführungsbestimmungen geht. Wenn also etwa der Kongress ein Gesetz verabschiedet, das neue Umweltregeln für das Beseitigen von Müll vorsieht, dann liegt es an der Umweltbehörde EPA, festzulegen, wie das genau nachgehalten wird. Das macht auch Sinn; schließlich ist genau das die Rolle der Exekutive: die Ausführung von Gesetzen.
Damit hat der Supreme Court jetzt Schluss gemacht. Wie Kevin Drum ätzend zusammfasst, lässt sich die dahinterstehende Logik als „Supreme Court decides courts are the very best at everything“ zusammenfassen, was mit Roberts‘ Institutionalismus durchaus kompatibel ist (wesentlich weniger mit den angeblich konservativen Werten von gerichtlicher Zurückhaltung, die immer nur dann hervorgeholt wird, wenn es um progressive Urteile geht), aber tatsächlich der von der Nation beklagte „größte power grab seit 1803″ ist. Zur Erinnerung, damals etablierte John Marshall den Supreme Court überhaupt als das heutige Gremium, indem er das judicial review erfand.
Die Konsequenz ist, dass ab sofort nicht die Behörden (wo die Fachkenntnis zuhause ist) sondern die Gerichte (die keine Sachkenntnis haben, aber dank Jahrzehnten erfolgreicher Organisationsarbeit republikanische Bastionen sind) die Regulierungspraxis bestimmen sollen. Da die Gerichte dafür aber überhaupt nicht die personellen Ressourcen haben, noch die Erfahrung, ist damit zu rechnen, dass dies dazu führen wird, dass ein wilder Mix von inkohärenten Urteilen die jeweils stärksten Kläger bevorzugen wird – und damit auch die Großunternehmen, die Hauptspender der GOP sind.
Die Konsequenzen reichen aber weit über den wirtschaftlichen Sektor hinaus, und dort liegt das Hauptinteresse der Republicans. Wie Andrew Polino in seinem Thread zur Verbindung zwischen Chevron und Project 25 beschreibt, erlaubt die Aufhebung von Chevron eine Durchsetzung der radikalen GOP-Politik unter anderem eine stärkere Kontrolle über die Medien durch die Exekutive, ein unkontrolliertes Vorgehen gegen Immigrant*innen, stärkere präsidiale Kontrolle über FBI und CIA, weitere Zerstörung der legalen Abtreibung, eine Politisierung der Behörden und vieles mehr. Das ist alles konsequent, denn „the Supreme Court really hates federal agencies“ (auch The Atlantic sieht das so: „The Supreme Court Won’t Stop Dismantling the Government’s Power„). Selten wurde der Demokratie ein solch heftiger Schlag versetzt.
Von unmittelbarerer Bedeutung ist das Urteil zur Immunität des Präsidenten, aber konkret gesprochen: Trumps. Hier ist bereits der Weg zum Urteil von höchster Ruchlosigkeit. Die Entscheidung über die Strafbarkeit Trumps ist mitten im Wahlkampf, in dem er der Favorit für das Präsidentenamt ist, von größter Bedeutung. Der Supreme Court verschleppte das Urteil über Monate (bereits vergangenen Herbst prognostizierten professionelle Beobachtende, dass er dies tun würde und welchen Effekt dies haben würde), um den republikanischen Kandidaten zu schützen, und gab die Entscheidung vor der Sommerpause zurück an die nachgeordneten Gerichte, was garantiert, dass es zu keinem Urteil vor dem Wahltermin kommen wird. Er betätigt sich damit direkt als Wahlhelfer Trump. Dass er durchaus anders kann, wenn das zur Hilfe Trumps nötig ist, hat er bewiesen, als er im Frühjahr in einer Eilentscheidung das Urteil des obersten Gerichts im Bundesstaat Colorado kippte, das Trump nach seiner Verurteilung nicht auf die Wahlzettel zuließ. Die bereits erwähnte Schamlosigkeit zeigt sich in Roberts‘ Urteilsbegründung, in der er sich selbst auch noch für die „schnelle“ Urteilsfindung lobt. Der Mann braucht dringend einen Twitteraccount, im Shitposten macht ihm niemand etwas vor.
Die eigentliche Substanz des Urteils ist etwas schwieriger zu greifen. In aller Kürze postuliert es eine weitreichende Immunität des Präsidenten für Handlungen während seiner Präsidentschaft, mit der Begründung, dass das Gegenteil bedeuten würde, dass Präsident*innen sich nie sicher sein könnten, dass ihre politischen Gegner sie nicht nach Amtsende gerichtlich verfolgen würden. Die historische Parallele ist eindeutig das Ende der römischen Republik, und ich stehe dieser Argumentation durchaus aufgeschlossen gegenüber. Es hat seinen Grund, dass etwa Obama die Rufe nach einer strafrechtlichen Verfolgung George W. Bushs entschieden ablehnte. Bisher ist das zugebeben ein nur auf Präzedenz und Normen beruhender Fall, wenngleich einer, der in 230 Jahren nicht ein einziges Mal gebrochen wurde. Hier regt sich vermutlich das schlechte Gewissen eines Präzedenzfälle routiniert missachtenden Gerichts. Gleichwohl würde dies vor allem Trump helfen: Obama hat sich nichts vorzuwerfen, und alle anderen politischen Gegner – nehmen wir Hillary Clinton, die Trump und seine fanatische Anhängendenschaft seit 2016 hinter Gittern sehen will – sind dadurch unberührt.
Gleichwohl ist die wahre Konsequenz des Urteils umstritten. Der New Statesman etwa sieht Trump als „König über dem Gesetz„, und auch das Washington Monthly sieht die Trump-Entscheidung als „even worse than you think„, Kevin Drum dagegen betrachtet sie „nicht das Ende der Demokratie“ und erklärt, warum Trump „still can’t shoot someone on Fifth Avenue„. Letzten Endes kann es durchaus sein, dass die realen Konsequenzen überschaubar bleiben. Ich hatte bereits vergangenes Jahr prophezeit, dass es zu keiner politischen Verurteilung Trumps kommen würde, schon gar nicht vor den Wahlen, ungeachtet des Urteils, in dem der Supreme Court die „Utterly Baffling“ Entscheidung (The Atlantic) trifft, dass ein gewaltsamer Putschversuch kein großes Problem ist, das irgendwie die Gerichte zu beschäftigen habe, solange der Putschist nur ein republikanischer Präsident ist.
Denn das gehört mit zu den Dimensionen dieses neuen Supreme Court: alle Urteile müssen parteiisch gelesen werden. Könnte sich ein demokratischer Präsident (zweideutig hier) darauf verlassen, ebenfalls immun zu sein? Oder würde Roberts‘ Gerichtshof einen Grund finden, die Klage doch zuzulassen und zu seinem urteilenden Abschluss zu bringen? Würde er, wenn es sich um eine transparent politische Verfolgung handelte, dies anerkennen? Die Antwort darauf ist bestenfalls unsicher, aber wer Geld im Spiel hat, würde auf „Nein“ tippen müssen. Und selbst eine unsichere Antwort ist ein vernichtendes Urteil über den obersten Gerichtshof.
Dazu passen auch einige kleinere Entscheidungen, die der Gerichtshof neben diesen Kloppern veröffentlicht hat. So zeigt etwa eine kleine Entscheidung zur Meinungsfreiheit im Internet, dass „Free speech probably lives, though only 6-3“ – bereits drei Richter sind bereit, die Meinungsfreiheit, wie sie im ersten Verfassungszusatz garantiert ist, zur Disposition zu stellen (erneut: wer braucht schon Präzedenzfälle als konservativer Richter). Gleichzeitig erlaubte er nebenbei, Obdachlosigkeit zu kriminalisieren, was mit Sicherheit dabei helfen wird, diesem Problem Herr zu werden.
Mit am entmutigendsten aber sind manche Reaktionen der Öffentlichkeit auf diese Urteile. Nicht nur das weitgehende Desinteresse an dieser judikativen Abrissbirne, sondern auch völlig illusorisch-naive Hoffnungen auf Gewaltenteilung spielen mit hinein: als ob in einem Land, in dem der Präsident mit einem ihm ergebenen FBI politische Gegner verhaften lässt, diese noch auf einen fairen Prozess hoffen und wegen der offensichtlichen Gesetzlosigkeit des Handelns freikommen würden! Auch die Verfassung der russischen Föderation garantiert in blumiger Sprache solch rechtsstaatliche Prinzipien. Was es Nawalny genutzt hat, dass das auf bedrucktem Papier steht, sei dahingestellt. Genau dasselbe würde in den USA auch passieren, käme es je soweit. Nur wäre es dann zu spät. Hier muss den Anfängen gewehrt werden, und die sind längst da.
Die Unverfrorenheit der SCOTUS-Entscheidung ist wirklich erstaunlich. Sie geben sich nicht mal mehr Mühe, die Parteilichkeit zu verdecken, d.h. sie müssen sich ziemlich sicher sein. Mit der Wiederwahl Trumps wäre der Staatsstreich dann wohl abgeschlossen.
Ironischerweise gelingt den MAGA-Republikanern damit genau das, was sie schon immer angestrebt haben, was sie jetzt aber nicht mehr so gut gebrauchen können: Sie schwächen Washington. Die Bedeutung der Bundespolitik wird wahrscheinlich abnehmen, weil viele Bundesstaaten die neuen MAGA-USA nicht akzeptieren werden. Das sind die Geister, die die MAGA-Republikaner gerufen haben. Politische Institutionen leben letztlich von ihrer grundsätzlichen Akzeptanz. Wenn diese Akzeptanz erodiert, haben auch die Institutionen keine große Zukunft mehr.
Wahrscheinlich haben aber die Bundesstaaten kein allzu großes Zeitfenster, in welchem sie eine größere Unabhängigkeit durchsetzen können. Die – ich nenne es mal: – klassischen Amerikaner müssen sich jetzt sehr gut überlegen, wie groß sie die Gefahr durch MAGA-Amerikaner wirklich finden.
Ich weiß nicht, ob die Washington schwächen. Eigentlich sehe ich das nicht. Die verlagern nur die Macht an ein Arbitrationsinstrument, das sie kontrollieren. Washington ist schwach, WENN DEMOCRATS REGIEREN, aber nicht, wenn ein Republican an der Macht ist.
und wenn die usa immer mehr abdriften in den völligen wahnsinn und den autoritären umbau, wie lang wird sich europa dann noch halten?
für die ungarnisierung europas.
die teuflische perfidie am immunity urteil ist eben das wort „official“.
was genau ein „official act“ ist, entscheiden im notfall die gerichte, selektive immunität. und dann von „originalism“ zu faseln, wovon man davon nichts in der constitution findet, um ein feigenblatt für seinen bullshit zu haben. es ist alles so köstlich niederträchtig.
man kann ja auch schon länger beobachten, wie die rechten als unausgesprochene agenda haben, jedes städtische leben, vor allem demokratischer bastionen, absolut in den dreck zu reden. obdachlosigkeit, gewalt, kriminalität, überregulierung, preise, etc.
was nun passiert, wenn alle rechten kommunen obdachlosigkeit kriminalisieren und die obdachlosen noch verstärkter in die blauen städte abwandern?
kann man sich für seine sauberen und toll funktionierenden gemeinden loben und über die „dysfunktionalen“ linken städte herziehen, wobei man selbst der verursacher ist.
ich würde ja meinen, genau das veranschaulicht rechte politik perfekt.
externalisierung von kosten, internalisierung von profiten und sich dabei noch effektiv und effizient vorkommen, während man das problem entweder nicht richtig versteht, oder verstehen will.
Betrachte das „Chevron“ Urteil aus einer deutschen Perspektive. Bei uns ist es absolut selbstverständlich, dass die Rechtsinterpretation letztendlich bei Gerichten und nicht bei Behörden liegt. Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben wir einen eigenen Justizzweig dafür. Und an höchstrichterliche (damit Grundsatz-)Urteile ist die Verwaltung auch über die Entscheidung inter pares hinaus an Leitsätze gebunden (*mit einer kleinen Praxisausnahme). Deshalb zeugt diese Aufregung eher von der unterschiedlichen amerikanischen Rechtskultur (und dem Willen, rechtliche Probleme „politisch zu lesen“) als von einem „power grab“.
Ich verstehe nicht, wie du zu der Schlussfolgerung kommst. Deutsche Gerichte sind mit amerikanischen nicht zu vergleichen, und mit dem SCOTUS schon gar nicht. Was wir hier sehen ist ein massiver power grab. Das wäre wie wenn Scholz den Oberbefehl über die Bundeswehr in Friedenszeiten beanspruchte und du sagen würdest „in den USA hat der Präsident sie auch, kein power grab“.
Sorry, aber hier geht es nicht um Verfahrensfragen sondern um den definitionsnahen Kern der Gewaltenteilung: Legislative macht Gesetze, Judikative legt sie aus, Exekutive wendet sie an. Genaugenommen wäre eine im Sinne der Exekutive „sinnentstellende“ Auslegung eine Aufforderung an die Legislative, da durch „nachschärfen“ Klarheit zu schaffen.
Nein, keinesfalls. Das ist nicht die Aufgabe der Legislative. Hast du mal gesehen, wie das Verhältnis zwischen den (eh schon aufgeblähten) Gesetzestexten und Ausführungsbestimmungen ist?
Schau genau, über welche Situation wir sprechen: Es muss sich erst einmal einen um einen Konfliktfall (zwischen Behörde und einer Person) handeln. Genau in solchen Situationen und für solche Situationen sind Gerichte da. Dieser muss bedeutend und strittig genug sein, dass es bis in höchstrichterliche Entscheidung hochgeht. Und wenn jetzt die Rechtsprechung und -auslegung – genau die Kompetenz eines Gerichts – der behördlichen widerspricht, dann muss die Exekutive sich entweder dem Gesetz unterordnen (Rechtstaatsprinzip) oder versuchen, die Gesetze richtigzustellen. Aber – und hier irrt Drum fundamental – der Richtervorbehalt ist ja nicht darauf begründet , dass Gerichte „besser“ als die Regierung sind, sondern , dass sie NICHT die Regierung sind und deshalb einen unabhängigen Blick auf den Konflikt haben.
Es wird Stefan S. nicht überraschen, dass ich ihm in allen drei aufgeworfenen Feagen nicht folge:
1) Späte Entscheidung des SCOTUS. Schaden wie Nutzen einer früheren Entscheidung halten sich in so engen Grenzen, dass ich nicht erkennen kann, warum eine frühere Entscheidung zwingend war? Oder wem sie genützt hätte?
2) Trumps Immunität: Ich begrüsse ausdrücklich, dass man Politiker wegen im Amt getroffener und amtsbezogener Entscheidungen NICHT vor Gericht zerren kann. Wäre das anders, würde das in blankem Irrsinn enden. Und die Idee, der SCOTUS wmüsse en passant Trump wegen Insurrektion verurteilen, bevor die Anklage vor niedrigeren Gerichten geprüft wurde, ist abenteuerlich albern. Und wäre das auch vor dem BVerfG in Deutschland.
3) Das Chevron-Urteil:
Wen die Fakten mehr interessieren, als Stefans Lesart, der wird hier fündig:
https://www.winston.com/en/insights-news/supreme-court-overturns-landmark-chevron-decision
Wenn ich das richtig verstehe, entzog der SCOTUS nationalen Behörden lediglich die gerichtliche Immunität für bestimmte Entscheidungen. Bisher durften die Behörden bei einer unklaren Gesetzeslage selbständig interpretieren und Regeln eigenmächtig festlegen und niemand hatte die Aussicht auf Erfolg, ging er dagegen gerichtlich vor, weil die Gerichte nach einem alten SCOTUS-Entscheid die behördliche Auslegung nicht in Frage stellen durften.
Kann man gerne diskutieren, aber – wo präzise ist der Schaden, der nicht woanders durch einen gleichgewichtigen Nutzen aufgewogen wird? Behörden sind weder allwissend noch sollten sie allmächtig sein – also muss deren eigenständige Interpretation unklarer Gesetzesregeln gerichtlich überprüft werden können?
Gruss,
Thorsten Haupts
1) Beschreibe ich doch?
2) Sage ich explizit ja auch.
3) Meinem Verständnis nach bestand auch vorher keine Immunität, sondern ein Prärogativ.
Zu 3)
Wenn Gerichte ihren Entscheidungen automatisch und zwingend die Auslegung einer Behörde bei unklarer Gesetzeslage zugrunde legen müssen, dann ist das technisch natürlich keine Immunität. Es hat nur dieselbe Wirkung? Und wenn der von mir verlinkte Text zutrifft, ist die Aufhebung dieses Automatismus die neue SCOTUS-Entscheidung. Scheint mir nicht so weltbewegend (in keiner Richtung)?
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich hoffe, dass du Recht hast, aber die bishere Praxis des Roberts-SCOTUS lässt mich da ehrlich gesagt sehr, sehr skeptisch zurück. Also, ja, in der Theorie gebe ich dir durchaus Recht (wie auch bei der Immunität), ich fürchte nur, die Praxis wird mit der Theorie nicht wirklich deckungsgleich sein.
Na ja. Du traust jetzt dem SCOTUS genausowenig, wie Republikaner ihm bei liberalen Mehrheiten traute. Willkommen in einer Realität, in der „gemässigt“ und „neutral“ nicht mehr automatisch bedeutet „liegt im liberalen (!) Mainstream.
Hui. Rechtsradikale Richter verschwören sich, um das zu kaschieren stimmen sie bei 8 Entscheidungen mit den Liberals, um dann bei den wesentlichen Fragen Trump zum König zu erklären.
Aber letztlich sind die Entscheidungen des Supreme Courts, wann immer eine relevante Frage ansteht, verlässlich für die republikanische Partei.
Ahh deswegen wurde im Fall „Moody v. NetChoice.“ EINSTIMMIG gegen zwei REPUBLIKANISCHE Staaten gestimmt. Die radikalen Verschwörer tarnen sich wirklich saugut.
Frage: Stimmen die von Obama eingesetzen Richter nicht ebenfalls „verlässslich“ für die Demokraten, ausser natürlich sie haben sich verschworen und stimmen für die Republikaner nur zur Tarnung?
Dem angeblich von Trump befohlenen gewaltsame Putschversuch mangelt es daran, dass er bislang nicht dafür verurteilt wurde und man ihn deswegen schlecht nur wegen eines bislang unbewiesenen Vorwurfes an der Wahl hindern kann. Im Rechtsstaat gilt eben bis zur Urteilsverkündung die Unschuldsvermutung.
Gestorben sind an dem Tag übrigens „lediglich“ vier Trumpsupporter, der Polizist Brian Sicknick starb 8 h später an den Folgen eines Herzinfarktes eines natürlichen Todes und wies keine äußeren Verletzungen auf.
https://www.cbsnews.com/news/brian-sicknick-capitol-riot-died-natural-causes/
Die Verurteilung Trumps könnte schwierig werden, denn Aufruf zu Gewalt ist schwer zu finden.
https://www.politifact.com/article/2021/jan/11/timeline-what-trump-said-jan-6-capitol-riot/
So sagte oder retweete Trump vor der Capital Riot z.B.:
Retweet: If you are planning to attend peaceful protests in DC on the 6th, i recommend wearing a body camera.
und
I know that everyone here will soon be marching over to the Capitol building to peacefully and patriotically make your voices heard
Seine Tweets während der Riots „Go home“ setze ich als bekannt vorraus.
Es sind übrigens die Republikaner die ständig beklagen, dass die Dems die Institutionen „weaponizen“. Unvergessen, dass das FBI bei Facebook intervenierte um den „LapTop of Hell als FakeNews zu diskreditieren“ mit der Folge, dass der Account der Facebookaccount der NyPost komplett gecancelt wurde und sämtliche Tweets von Anderen dazu. MITTEN im Wahlkampf! 50 FBI erklärten sogar öffentlich, dass der LapTop of Hell eine FakeNews sei. Zu dem Zeitpunkt war beim FBI bereits bekannt, dass er echt ist. Kürzlich hat ein Untersuchungssauschus bestätigt, dass die Biden Adminastration erheblichen Druck auf die FDA ausgeübt hat, Sicherheitssignale bei der Zulassung der mRna Impfung zu IGNORIEREN.
Du bist extrem einseitig. Vielleicht solltest du hinzufügen, dass du mit „radikal“ lediglich meint, dass jemand eine radikal andere Meinung als du hast und nicht im Sinne von rechtsradikal.