Der mit Abstand größte Faktor, der in der Diskussion beharrlich ignoriert wird, hat mit der Tiefenstruktur des deutschen Schulsystems zu tun und ist auch der größte Grund, warum die soziale Ungleichheit ein so beharrlicher und im internationalen Vergleich übermäßig großer Faktor im Schulerfolg bleibt: egal ob Gymnasium, Realschule oder Werkrealschule (vor allem aber im Gymnasium), die implizite Annahme des gesamten Systems ist, dass eine qualifizierte nebenberufliche Nachhilfekraft zuhause zur Verfügung steht. Das ist üblicherweise die Mutter, die in Deutschland als vollzeit erwerbstätiges und/oder akademisch nicht vorgebildetes Wesen immer noch nicht anerkannt ist.
Dieses Problem kann in seiner Bedeutung gar nicht unterschätzt werden. Wenn die Elternteile nicht die entsprechende Vorbildung mitbringen, sei es, weil sie selbst keine höhere Bildung genossen haben („bildungsfern“), sei es, weil ihnen die Sprachkenntnisse fehlen (migrantischer Hintergrund) oder eine Kombination dieser Faktoren, starten die Kinder bereits mit einem eklatanten Nachteil in ihre Schulkarriere. Thorsten Haupts hat das sehr plakativ auf den Punkt gebracht: „Kinder aus Buldungshaushalten beginnen die Grundschule mit einem Wortschatz von 5.000, Kinder aus entgegengesetzten Haushalten mit einem Wortschatz von 1.500 Worten. Game over, bevor es begonnen hat – das Kernproblem der deutschen Bildungsmisere liegt im Kindergartenalter.“ Das ist seit mittlerweile deutlich über zwei Jahrzehnten allgemein bekannt – und noch immer ungelöst. Aber das ist nur der Start.
Denn die Schere der Ungleichheit auf diesem Gebiet öffnet sich noch viel weiter, je höher die Kinder im Schulsystem aufrücken. Wo die Grundschule noch alle Kinder beieinander und mittlerweile üblicherweise wenigstens angebotenen Ganztag hat und deswegen wenigstens einen kleinen Beitrag zur Einebnung der Unterschiede leistet (wenngleich auch sie massiv versagt, die entsprechenden Bevölkerungsgruppen zu erreichen und die betroffenen Kinder zu fördern), ignorieren die weiterführenden Schulen die Thematik komplett. Es ist „sink or swim“ angesagt. Die Kinder schaffen es entweder aus eigener Kraft, die Defizite des Elternhauses zu überwinden und zu Bildungsaufsteigenden zu werden oder eben nicht. Allzu oft ist die Antwort „oder eben nicht“.
Das Lernen in der Schule ist, und hier kommen die Stofffülle und die veralteten Methoden und Strukturen ins Spiel, darauf angelegt, dass die Kinder nachmittags große Teile der Lernarbeit eigenständig erledigen, und „eigenständig“ heißt hier: unter Hilfe der Eltern. Es gibt natürlich Kinder, die selbstständig, diszipliniert und gleichzeitig kognitiv in der Lage sind, das alles selbst zu stemmen. Von den meisten Kindern und Teenagern ist das aber zu viel verlangt. Deswegen sind sie Kinder und Teenager. Die Schule ignoriert allzu oft zugunsten des Abarbeitens von „Stoff“ die Methodik, in der irrigen Annahme, dies werde schon irgendwie durch Osmose nebenbei erlernt beziehungsweise zuhause aufgearbeitet.
Mein Sohn etwa bekommt immer wieder Aufgaben wie das Erstellen einer Powerpoint-Präsentation, deren Grundfertigkeiten in der Schule nie erlernt wurden. Wer setzt sich wohl stundenlang hin und macht das mit ihm? Und er hat noch das „Glück“, dass er zwei Elternteile hat, die nahe am Schulsystem dran und akademisch gebildet sind und deswegen die entsprechenden Fertigkeiten mitbringen, von der entsprechenden Ausstattung ganz zu schweigen. Wie soll es aber Kindern ergehen, deren Eltern nicht wissen, wie man Powerpoint-Präsentationen erstellt (und hält)? Das ist nur ein Beispiel von vielen. Beständig werden umfangreiche Hausaufgaben und längere Projekte mit nach Hause gegeben, die viele Kinder nur machen, wenn die Eltern es nachhalten, Nachmittag für Nachmittag, Stunde für Stunde.
Und das erfordert neben den entsprechenden Sprach- und Bildungsfertigkeiten vor allem eines: Zeit. Da aber immer mehr Frauen vollzeiterwerbstätig sind und zudem die Anforderungen an die Kinder immer mehr steigen (dazu gleich mehr), fallen entsprechend auch mehr Kinder durchs Raster. Ich spreche hier aus eigener, leidvoller Erfahrung und will an der Stelle kurz anekdotisch persönlich werden: aktuell (2023) ist mein Sohn in der sechsten Klasse. Da meine Frau und ich beide voll berufstätig sind bedeutet das, dass er seit er zehn ist (in der 5. Klasse) nachmittags weitgehend alleine zuhause ist (Ganztagsbetreuung mit sinnvollem Programm gibt es nur an der Grundschule). Dort macht er alles, aber nicht eigenständig Hausaufgaben und lernen. Und die Aufmerksamkeit eines Kindes in diesem Alter ist ab 17 Uhr, wenn wir dann nach Hause kommen, Abendessen machen etc., nicht besonders ausgeprägt. Oft könnten wir gegen 18.30 Uhr mit ihm hinsitzen und diese Dinge machen – wer Kinder in dem Alter kennt weiß, wie zielführend das noch ist. Ich habe die weiterführende Schule aus Elternsicht bisher als eine ungemein frustrierende Erfahrung wahrgenommen, und meinem Kind geht es oft nicht besser.
Das führt dann auch zu den von Thorsten genannten Kitas, in denen bereits die Bildungsnachteile nicht aufgeholt werden können. Die frühkindliche Bildung ist ein ebenfalls unterschätzter Problembereich, weil noch immer die Vorstellung vorherrschaft, dass Kitas hauptsächlich der Aufbewahrung von Kindern zu dienen haben. Ohne Kindergartenpflicht und entsprechend breit und verbindlich angelegte Angebote kann aber die Arbeit in diesem Bereich trotz aller Verbesserungen der letzten zwei Jahrzehnte nur Stückwerk bleiben, die häufig genau diejenigen nicht erreicht, die am meisten davon profitieren würden.
Ein weiteres ungelöstes und viel zu wenig thematisiertes Problem sind die Geschlechterrollen und ihr Einfluss auf den Schulerfolg, konkret: die Benachteiligung von Jungen im Schulsystem. In den letzten 40 Jahren hat sich ein vormaliger Trend komplett gedreht. Waren früher Mädchen in der Sekundarstufe II benachteiligt und unter Abiturient*innen unterrepräsentiert, so ist das mittlerweile um 180 Grad gedreht. Im Jahr 2019 lag der Anteil der Mädchen mit Abitur schließlich um ganze 10 Prozentpunkte höher als der Abiturientenanteil der Jungen (28,8 zu 38,2 Prozent) (Quelle). Das ist ein gigantischer Unterschied, und man darf mit Fug und Recht annehmen, dass der Aufschrei wesentlich größer wäre, wenn das andersherum liefe.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Ich würde vier herauspicken. Grund Nummer 1 ist biologisch: die Pubertät beginnt bei Jungen später, weswegen sie in der entscheidenden Periode der Mittelstufe, in der die Grundlagen für den Erfolg in der Sekundarstufe II gelegt werden (oder eben nicht) weniger aufmerksam und leistungsfähig sind als Mädchen. Grund Nummer 2 sind die zugeschriebenen Geschlechterrollen; für Jungen ist es oftmals weniger sozial erstrebenswert, innerhalb des Schulsystems erfolgreich zu sein, und wird sozial belohnt, gegen das System zu rebellieren. Grund Nummer 3 ist schlicht der Abbau von Benachteiligungen für Mädchen, der es diesen erlaubt hat, im Schulsystem wesentlich stärker zu reüssieren, als dies unter dem alten System der Fall war. Das führt direkt zu Grund Nummer 4, dass die Struktur des Schulsystems mit der Betonung von Fleiß und Anpassung den gesellschaftlich zugeschriebenen Frauenrollen eher entgegenkommt und daher auch Mädchen bevorteilt. Hier wäre wesentlich mehr pädagogische Differenzierungs- und entsprechende Konzeptionsarbeit zu leisten. Mir fehlen allerdings die Fachkenntnisse um sagen zu können wie das konkret aussehen müsste.
Zuletzt hat der Kommentator Kning die Frage gestellt, welche Rolle die Inklusion spielt. Darunter wird eine seit rund einem Jahrzehnt gefahrene Philosophie verstanden, die für gehandicapte Kinder – also solche mit physischen oder psychischen Behinderungen – vom früheren Konzept der Sonderschulpädagogik weg hin zu einer Inklusion in den Regelunterricht vorsieht. Das stellt die Schulen vor enorme Herausforderungen, einmal schon alleine baulich – Rollstuhlfahrende etwa haben häufig keine Möglichkeit, die Räumlichkeiten zu erreichen – als auch vom Konzept her. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich keine Ahnung habe, wie sich das niederschlägt. Auf der einen Seite ist die Herausforderung natürlich eine Belastung für die Beteiligten, andererseits werden Leuten, die früher aufs Abstellgleis gestellt wurden, Chancen der Teilhabe geboten. Ich gehe aber davon aus, dass der Effekt insgesamt verhältnismäßig klein ist. Wenn sich hier jemand auskennt, bin ich gerne auf mehr Einordnung gespannt.
Aber ich habe auch gute Nachrichten versprochen. Denn tatsächlich ist die aktuelle Misere gar nicht so groß, wie es angesichts der bisherigen Auflistung den Anschein hat. Zwar bin ich emphatisch der Überzeugung, dass das System grundsätzlich krankt und zahlreiche Baustellen hat; allerdings rechtfertigt dies die Grundsatzkritik à la „das deutsche Schulsystem ist generell schlecht“ oder „unsere Kinder lernen nichts mehr“, wie man das gelegentlich vernimmt, nicht. Die Bereiche, aus denen diese Kritik kommt, stellen zudem die Prämissen des Systems selbst – gegliedertes Schulsystem, an Klausuren orientierte Prüfungskultur, auf Stoffvermittlung konzentrierte Bildungspläne – nicht nur nicht in Frage, sondern sehen eher in der Abkehr von diesen Konzeptionen das eigentliche Problem. Dieser Grundsatzstreit kann an dieser Stelle nicht aufgelöst werden und ist auch eine philosophische Debatte darüber, was Schule grundsätzlich eigentlich tun und leisten soll; ich will daher für die weitere Betrachtung in den Prämissen des Systems bleiben und die Grundsatzkritik – hin zu einer viel offeneren Schule auf eher progressiver Seite, die Rückkehr zu einem klarer gegliederten und „disziplinierteren“ System von eher konservativer Seite – außer Acht lassen, schon allein, weil ich mich keiner dieser Strömungen zugehörig fühle.
Ich glaube, dass die Kritik am Bildungssystem zu Teilen auch eine Folge des eigenen Erfolgs ist. Wie auch auf dem Feld der Integration von Migrant*innen führen wir – das Integrationsparadox lässt grüßen (siehe hier) – viele dieser Debatten vor allem, weil die Probleme überhaupt erst sichtbar wurden und nun als solche begriffen werden, anstatt als „so ist die Welt nunmal“ abgeheftet zu werden.
Der wohl größte und viel zu wenig thematisierte Erfolg deutscher Bildungspolitik des letzten halben Jahrhunderts (der dazu absurderweise oft auch noch als Manko kritisiert wird) ist die der Bildungsexpansion der 1960er und 1970er Jahre folgende Anstieg der Abiturient*innen. Man vergegenwätige sich einmal folgende Zahlen: in den Geburtenjahrgängen 1945-1950 erreichten noch 48,3% den Hauptschul- und nur 19,6% den Gymnasialabschluss als höchste Bildungsweihe. Die Geburtsjahrgänge 1970-1975 hatten nur noch 23,6% Hauptschul- und bereits 34,8% Gymnasialabschluss. In meiner eigene Kohorte sind diese Zahlen auf 19,9% und 44,3% gesprungen, ein Wert, der seither im Großen und Ganzen gehalten wurde. Und das trotz der seither massiv gestiegenen Zuwanderung, die vor den 1990er Jahren in diesem Ausmaß ja kein Thema war!
Das bedeutet auch, dass die soziale Ungleichheit, die nach wie vor ein riesiges Problem darstellt, in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch abgebaut wurde. Riesige Bevölkerungsgruppen, die früher nicht einmal davon träumen konnten, das Gymnasium zu besuchen, haben inzwischen regulär Zugang zum Abitur und produzieren Akademiker*innen der ersten Generation. Dazu hat auch beigetragen, dass das ridigde dreigliedrige Schulsystem eine deutliche Aufweichung erfahren hat. Wechsel zwischen den Schularten sind wesentlich einfacher möglich, als das noch zu meiner Zeit der Fall war, und es gibt viel mehr Möglichkeiten, höhere Bildungsabschlüsse nachzuholen. Dadurch hat sich die durchschnittliche Verweildauer im Schulsystem ebenso erhöht wie die Zahl der höheren Bildungsabschlüsse. Dass eine solche Zunahme zu einer größeren Diversität in der Schule führt und damit den Durchschnitt senkt, ist eigentlich selbstverständlich. Zumindest zu einem Teil sind die Probleme daher auch eine Fehlwahrnehmung: dass wir sie überhaupt haben ist der eigentliche Erfolg.
Ich habe zudem bereits mehrfach anklingen lassen, dass die Anforderungen der Schule sich geändert haben, und zwar häufig in Richtung von mehr Anspruch. Letztlich leidet das ganze System unter einer Überforderung. Es wurden beständig neue Lernziele – Methoden, Kompetenzen, Produktformen, etc. – eingeführt, neue Fächer geschaffen, Formate komplexer gemacht, aber auf der anderen Seite nie der Stoff in dem Ausmaß gekürzt, das notwendig wäre. Entsprechend befinden sich die offiziellen Lernziele in einem beständigen Widerstreit mit dem „heimlichen Lehrplan“, also dem, worauf im Unterricht der eigentliche Fokus gelegt wird. Und das – hier muss ich mich auch an die eigene Nase fassen – ist immer noch viel zu oft das Abarbeiten von Stoff, in der irrigen Annahme, dass nur, weil etwas besprochen wurde, es schon auch gelernt worden sei.
Um das Ganze etwas deutlicher zu machen: in Vorbereitung der Artikelserie fragte ich einen bekannten Mathelehrer (bekannt im Sinne von mir bekannt), was seine Meinung zu den Gründen der Misere sei. Er antwortete wie aus der Pistole geschossen, dass die Kinder heute einfach viel mehr Dinge lernten, als wir das zu unserer Zeit noch in der Schule hatten, und nannte als Beispiele das Präsentieren. Zu unserer Schulzeit (also in den 1990er Jahren) wurde das Vorbereiten und Halten von Präsentationen noch praktisch nicht gelernt. Inzwischen spielt das eine immer größere Rolle (auch zu Recht im Übrigen!) und konkurriert um die Zeit und Aufmerksamkeit von Schüler*innen und Lehrkräften. Das wird viel zu wenig bedacht.
Dieser gesteigerte Anspruch ist Teil der didaktischen Revolution, die in den 1970er Jahren unter dem Stichwort „Kommunikative Wende“ ihren Anfang nahm. Vereinfacht ging es dabei darum, dass Kommunikation im Klassenzimmer nicht bilateral im Frage-Antwort-Spiel zwischen Lehrkraft und Schüler*in stattfindet, sondern erstens in beide Richtungen und zum anderen auch horizontal mit den Mitschüler*innen (zum Lerngegenstand, nicht den üblichen Privatgesprächen) läuft. Auch auf diesem Feld wurden deutliche Fortschritte erzielt, die einerseits durch Rechtschreibtests kaum abgebildet werden können und andererseits einen klaren Bildungsgewinn darstellen. Auch wenn Kritiker*innen es beharrlich verleugnen, so hat doch ein unheurer Bildungsgewinn an Kompetenzen, Methodenkenntnis etc. stattgefunden, der aber in dieser Debatte gerne unter den Tisch gekehrt wird.
Auch fachlich ist der Anspruch entgegen der allgemeinen Vorurteile gestiegen. Ich kann an dieser Stelle kompetent nur für meine eigenen Fächer sprechen, aber das Deutsch- und Geschichteabitur in Baden-Württemberg sind heute WESENTLICH anspruchsvoller, als sie dies zu meiner eigenen Schulzeit waren und im Jahr 2023 immer noch DEUTLICH anspruchsvoller als zum Beginn meiner Karriere 2013. Um dies nur an einem Beispiel zu verdeutlichen: die Pflichtlektürenaufgabe in Deutsch wurde seit 2013 in zwei Reformen der Abituraufgaben erschwert, explizit mit diesem Ziel (also schwerer zu werden), weil man das Auswendiglernen der Lektürehilfen vermeiden wollte. Dazu wurde zuerst der so genannte Außentext eingeführt, auf den sich ein Vergleich zu beziehen hatte, und nun neuerdings die Literarische Erörterung, die in einem Ausmaß anspruchsvoll ist, das mir als Student das Wasser in die Augen getrieben hätte. Auch in Geschichte sieht die Lage nicht anders aus.
All das widerspricht sich übrigens nicht mit der oft beklagten „Noteninflation“, die glaube ich keine Schimäre ist. Nur: ich halte das für kein ernsthaftes Problem. Möglicherweise sind die Noten im Schnitt etwas besser geworden, aber das ändert insgesamt wenig. Sie sind kaum aussagekräftig, so oder so, und sowohl Universitäten als auch Arbeitgebende wären gut beraten, zumindest flankierend andere Evaluierungsmaßnahmen zu nutzen. Solange aber die Gesellschaft darauf besteht, alles mit numerischen Werten zu versehen – und dieses Bestehen haben wir offenkundig – müssen die Schulen dem nachkommen.
Zuletzt scheint es sich mir auch um ein typisches Diagnoseproblem zu handeln. Nehmen wir als ein Beispiel die Epidemie an LRS-Diagnosen (Lese-Rechtschreibschwäche). Haben mehr Kinder als vorher LRS, oder sind wir inzwischen einfach nur wesentlich stärker dafür sensibilisiert? Kinder mit LRS wurden vermutlich früher einfach nur aussortiert und durch das viel rigidere dreigliedrige Schulsystem einfach in die „unteren“ Schulen gebracht. Heute gibt es eine riesige Förderungsmaschinerie. An jeder Schule gibt es mindestens eine*n LRS-Beauftragte’n, es gibt Förderunterricht, Nachteilsausgleich etc. Da wir mittlerweile viel mehr Kindern eine viel größere Bandbreite von Fähigkeiten vermitteln und dies besser nachhalten, fallen Defizite auch stärker auf. Auch hier kann ich gerne anekdotische Evidenz aus dem eigenen Familienumfeld beitragen: ein Verwandter von mir scheiterte in der Schule, vor allem wegen seiner ADHS-Erkrankung. Diese wurde damals erst jahrelang nicht diagnostiziert, dann mit Medikamenten behandelt, die zu einer regelrechten Betäubung des Geistes beitrugen. Wenig überraschend scheiterte das Kind am Gymnasium; die Lehrkräfte damals erklärten lapidar, das Kind „gehöre eben nicht auf das Gymnasium“. Heute würde man dieses Kind fördern und es durchbringen. Würde es ein gutes Abi schreiben? Nein. Aber es hätte eine gute Chance, es zu schaffen. Das ist ein Erfolg, kein Makel, auch wenn es den Durchschnitt ruiniert.
An dieser Stelle möchte ich zum Abschluss kommen. Ich hoffe, dass meine Darstellungen interessant waren. Sie sind mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern versuchten einigermaßen strukturiert darzustellen, wo meine eigene Analyse in diesen Tagen ist. Das mag sich ändern; ich lerne konstant dazu, und meine Ansichten sind entsprechend beständig im Fluss. Ich bin von daher gespannt, welchen Input, welche Erfahrungsberichte, welche Kritik, aber auch welche Zustimmung von eurer Seite kommt.
• Kita: Bin bei Thorsten
• Funktion der Eltern: Zustimmung, die machen den Unterschied
• Aufgaben verlangen, deren Tools nicht vermittelt wurden: Zustimmung
• Inklusion: Nach meiner Wahrnehmung in NRW unter Hannelore Kraft ist der Schaden größer als der Nutzen. Die zu inkludierenden Kinder können in „normalen Schulen“ nicht richtig betreut werden, sind verstärkt Mobbing ausgesetzt, und die anderen Schüler:innen kriegen nicht die benötigte Betreuung, weil ein relativ großer Aufwand für die zu inkludierenden betrieben werden muss.
Ansonsten weitgehende Nachvollziehbarkeit.
Danke für den Aufwand und die Infos 🙂
Sehr gerne. Wie gesagt, mir fehlt für Inklusion einfach das Wissen für ein Urteil in die eine oder andere Richtung.
Bedenkenswerte Erklärungsansätze. Danke.
Die Spitzenreiter bei IGLU und PISA haben alle Pflicht-Kitas bzw. Vorschulen. Was hält uns auf?
Stofffülle/Überlastung: Gibt es Vergleichs-Studien?
Was hält uns auf? Die Konservativen.
Keine Ahnunung.
Die „Konservativen“ sind 15% der Bevölkerung max. Also haben 15% der Bevölkerung die Macht, 85% von einer entsprechenden Regelung abzuhalten? Das glaubst Du doch selbst nicht!
@ Thorsten Haupts 16. November 2023, 11:52
Die „Konservativen“ sind 15% der Bevölkerung max. Also haben 15% der Bevölkerung die Macht, 85% von einer entsprechenden Regelung abzuhalten? Das glaubst Du doch selbst nicht!
Wenn ich spötteln wollte, würde ich sagen, dass „Konservative“ einfach nur der zusammenfassende Begriff für Menschen ist, die „Progressive“ von etwas abhalten, was diese für gut und richtig halten.
🙂
Naja, da musst ja nicht wirklich spötteln, das sind ja die zwei Seiten des Spektrums. Und ich habe noch nie daran gezweifelt, dass die Konservativen die Mehrheit in Deutschland sind.
@ Stefan Sasse 16. November 2023, 14:53
Naja, da musst ja nicht wirklich spötteln, das sind ja die zwei Seiten des Spektrums.
🙂
Das ist offenbar zumindest Deine Definition, dass es nur „entweder – oder“ gibt. Und aus solch einer Sicht folgert, dass „Konservative“ Menschen sind, die aus progressiver Sicht einfach nur „nicht progressiv“ sind.
Der mich zum Spötteln reizende Aspekt daran ist, dass aus der Selbsteinschätzung von „progressiv“ (= fortschrittlich) nicht nur „Bewegung“ abgeleitet wird, sondern „Bewegung nach vorne“; die „richtige“ Richtung unterschwellig stets vorausgesetzt. „Konservativ“ wird deshalb nicht als „Bewegung in eine andere Richtung“ (von mir aus auch gerne aus progressiver Sicht „in die falsche Richtung“) interpretiert, sondern als „gar keine Bewegung“ bzw. als „Bremsen“. Das macht die Welt einfach.
Selbstverständlich. Ich hab auch noch nie Konservative gesehen, die meine Richtung positiv eingeschätzt hätten. Das ist doch wohl klar. Man hat ja eine Position nicht, weil man sie für falsch hält. Aber, um zum Thema zurückzukehren: Die meisten Leute sind keine Freunde von Veränderungen. Das sollte doch nun wirklich nicht kontrovers sein, das haben wir ja oft genug durchgekaut. Systemwechsel haben nie viele Freunde.
@ Stefan Sasse 16. November 2023, 22:33
Man hat ja eine Position nicht, weil man sie für falsch hält.
Keine Einwände. Aber dort, wo Du eine andere Meinung hast, definiere ich eine „andere“, nicht eine „entgegengesetzte“ Meinung, was bei Deiner Definition von konservativ nicht vermeidbar ist.
Du meinst, weil es noch mehr Differenz des Meinungsspektrums gibt? Klar, grundsätzlich richtig. Ich vereinfache da natürlich.
1) Wir haben schon zigmal festgestellt, dass die Bevölkerung strukturkonservativ ist. Ich meinte „konservativ“ hier nicht im politischen Bereich, sondern von der Einstellung her. Das ist DEUTLICH über die Hälfte der Bevölkerung.
2) Davon unabhängig: 15% Leute reichen, um alles aufzuhalten. Auch das haben wir hier schon oft festgestellt. Wer etwas aufhalten will, ist IMMER in der stärkeren Position.
Ich meinte „konservativ“ hier nicht im politischen Bereich, sondern von der Einstellung her.
Danke für die Klarstellung. Für einen Lehrer bist Du häufig erstaunlich unpräzise 🙂 .
Ich hab die angewohnheit, in den kommentaren zu schreiben, wie ich spreche. eher umgangssprachlich. das ist gelegentlich ein Nachteil.
Das Thema „Schule“ beschäftigt mich immer noch, obwohl ich Jahrgang 1966 bin und das Ganze doch ein wenig in der Vergangenheit liegt (und ich keine Kinder habe).
Das liegt an einem frühen Scheitern meinerseits in der Schule, nämlich der Rückstufung vom Gymnasium in die Hauptschule nach der sechsten Klasse (also mit 12 Jahren). Leider kann ich nicht mehr genau rekonstruieren was genau der Grund für diese Empfehlung war.
Allerdings habe ich in meiner weiteren schulischen Karriere einiges nachgeholt: Nach der Hauptschule die Mittlere Reife (Wirtschaft), nach einer Berufsausbildung im Abendstudium das Fachabitur Wirtschaft und danach noch ein Studium bei einer VWA bis zum erfolgreichen Abschluss als Wirtschaftsinformatiker.
(Auch mein Berufsbild hat sich dabei sehr verändert: Vom Angestellten im öffentlichen Dienst über einige Zwischenschritte zu einem Selbständigen Softwareentwickler)
Wegen dieser persönlichen Erfahrungen bin ich der Meinung, dass unser Schulsystem ein gewisses Maß an Durchlässigkeit hat und man kann – wenn man den „Biss“ hat – sich durchaus weiterbilden bis zu einem Studium.
Ich kann nicht beurteilen, ob die Anforderungen mittlerweile höher geworden sind, aber ich denke schon, dass dies auch heute noch möglich ist, es ist vielleicht sogar einfacher geworden, da es wohl viel mehr Angebote gibt.
Ich verstehe allerdings nicht wenn Leute behaupten, sie wären wegen ihrer schulischen Entwicklung benachteiligt, aber sich nicht selbst darum kümmern das zu ändern.
Danke für deinen Beitrag! Ja, das System hat definitiv Durchlässigkeit, und heute mehr als je zuvor. Das meine ich ja gerade: es hat sich wirklich viel getan.
@ VD 16. November 2023, 09:32
Nach der Hauptschule die Mittlere Reife (Wirtschaft), nach einer Berufsausbildung im Abendstudium das Fachabitur Wirtschaft und danach noch ein Studium bei einer VWA bis zum erfolgreichen Abschluss als Wirtschaftsinformatiker.
Respekt! Ist nicht der leichteste Weg …
… und man kann – wenn man den „Biss“ hat – sich durchaus weiterbilden bis zu einem Studium.
…
Ich verstehe allerdings nicht, wenn Leute behaupten, sie wären wegen ihrer schulischen Entwicklung benachteiligt, aber sich nicht selbst darum kümmern, das zu ändern.
Du hast ja die wichtigsten Punkte ja schon genannt: Nur Intelligenz und Einsicht reichen nicht, man braucht (von Dir schön mit „Biss“ zusammengefasst) Eigeninitiative, Disziplin, Willen, Durchhaltevermögen, eine gewisse Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen – ein Set von Eigenschaften, den man zum größten Teil über das Elternhaus (Gene, Sozialisierung) mitbekommt.
„Eigeninitiative, Disziplin, Willen, Durchhaltevermögen, eine gewisse Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen – ein Set von Eigenschaften, den man zum größten Teil über das Elternhaus (Gene, Sozialisierung) mitbekommt.“
Unterschreibe ich. Hat allerdings Konsequenzen für die Beurteilung von Menschen, wenn man es weiter und zu Ende denkt. Und ist nicht kompatibel mit der These „Mein Erfolg ist ganz allein meine Eigenleistung“.
@ CitizenK 16. November 2023, 18:28
Unterschreibe ich. Hat allerdings Konsequenzen für die Beurteilung von Menschen, wenn man es weiter und zu Ende denkt. Und ist nicht kompatibel mit der These „Mein Erfolg ist ganz allein meine Eigenleistung“.
Ächz – der schon wieder.
Wenn Du Deine Definition („ganz allein“) durch meine („weitgehend“) ersetzt, passt es wieder.
Der eine kriegt Messer und Gabel in die Hand gedrückt, der andere nicht. Den Mund aufmachen, etwas hineinschieben, kauen und schlucken müssen beide. Es geht nicht ohne Eigenleistung.
Einverstanden. Missverständnis ausgeräumt.
Vielen Dank für den umfangreichen Artikel.
Sie erwähnten einen Punkt, leider nur in einem Nebensatz: Dass Kinder heutzutage Autoritäten nicht anerkennen können. Und das ist natürlich eine Folge unserer Erziehung. Erzogen werden die Kinder hauptsächlich durch Gleichaltrige, Eltern und Erzieher/Lehrer (meist in dieser Reihenfolge). Verantwortlich für die Erziehung sind natürlich in erster Linie die Eltern. Diese machen aber in der Regel (oft ungewollt) nur das, was gesellschaftlich gerade im Trend liegt: Die Auslagerung der Erziehung an staatliche Institutionen. Diese sind aber für Erziehung nicht hinreichend befähigt – weder personell, noch konzeptionell. Das ist meiner Meinung nach die grundlegende Ursache für die Bildungsprobleme. Ein Kind, was den Lehrer nicht anerkennt, lernt schlecht.
Ich habe lange in Japan gelebt und daher eine völlig andere Sicht auf unser Schulsystem. Die Kinder nutzen dort heute noch Lernmaterial, was inhaltlich seit 30 Jahren nicht geändert wurde. Japan konnte einfach sein gutes Niveau über der Zeit bewahren – ohne die Notwendigkeit grundlegend neuer Konzepte. Meine Kinder gingen in Japan sehr gerne in die Schule und berichteten mir allerlei. Auch ich selbst konnte viel Zeit dafür nutzen, die Abläufe und das Verhalten von Lehrern und Schülern zu studieren. Was am meisten auffällt, ist das gute Sozialverhalten zwischen den Schülern und auch zwischen Lehrern und Schülern. Und das ist eindeutig darauf zurückzuführen, dass die Kinder die Autorität der Lehrer, Erzieher und Eltern anerkennen. Dadurch reagieren die Kinder auf Hinweise und lassen sich zu einem guten Sozialverhalten erziehen. Und nein, es ist kein Drill – Schläge sind auch in Japan verboten. Die Lehrer sind motiviert und liebevoll. Die Kinder hören einfach.
Meine Kinder (Japanisch als zweite Muttersprache) gingen und gehen in Japan viel lieber in die Schule, als in Deutschland. Die Klassen sind voller, aber trotzdem ruhiger. Die Kinder sind viel freundlicher zueinander. Der Unterricht geht unkompliziert vorwärts. Die Lehrer schreien viel weniger rum, als in deutschen Klassen und sind nicht so ausgelaugt. Die Schule funktioniert einfach.
Wenn ich das jemanden so erzählte wird meistens zustimmend genickt, dann kommen aber in der Regel zwei Gegenargumente: Erstens: In Japan gäbe es keine Individualität. Und Zweitens: Japan hätte keine Probleme durch Migration.
Der zweite Punkt ist richtig und falsch. Ja, die Bevölkerung in Japan ist sehr homogen ,was sicherlich ein Vorteil bei der Bildung ist. Und nein: Das ist meiner Meinung nach nicht der Grund für die Probleme bei uns. Ich lebe ländlich und in den Klassen meiner Kinder, sind alle deutsch und können gut Deutsch. Dennoch ist der Unterricht oft eine Katastrophe, weil die Kinder den Lehrern auf dem Kopf rumtanzen und auch untereinander asozial sind.
Zu dem Argument der fehlenden Individualität bei Japanern: Von außen betrachtet mag das so scheinen. Das liegt aber vor allem am fehlenden Verständnis der Kultur. Meine Lebenserfahrung zeigt, dass sich die Individualität der Japaner nicht von den Deutschen unterscheidet – bei Kindern wie bei Erwachsenen. Ja, der Gruppenzwang ist in Japan ein Problem, wie in Deutschland auch. Da sehe ich keinen Unterschied. Auch meine japanische, in Deutschland lebende Frau ist nicht der Meinung, dass die Individualität in Deutschland ausgeprägter oder der Gruppenzwang schwächer wäre.
Unsere Gesellschaft hat sich für eine antiautoritäre Erziehung entschieden und erntet jetzt die Früchte. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die Misere im westlichen Bildungswesen.
Übrigens: waren meine Kinder nicht in Kindergarten/Vorschule/Hort. Die Kinder sind, das bestätigen mir alle Lehrer, sehr sozial und haben beste Lernleistungen. Und: Sie sind sehr individuell-anders und stolz darauf. Der Grund für uns als Eltern, weshalb wir unsere Kinder nicht in die deutsche Fremdbetreuung geben wollten war: Wir sind nicht davon überzeugt, dass unsere Kinder dort sozial gut entwickeln. Also mussten wir die Erziehung selbst in die Hand nehmen (nein nicht mit Schlägen, sondern mit Zeit und Liebe) – auch wenn es starke finanzielle Einbußen bedeutete. In Japan ist die Fremdbetreuung von Kleinkindern inzwischen auch Standard. Dort hätten wir unsere Kinder mit guten Gewissen abgegeben, weil wir das Erziehungskonzept gutheißen. Natürlich hat Japan viele Probleme und auch bei der Bildung und im Miteinander läuft nicht alles perfekt. Ich will Japan nicht idealisieren. Aber die erwähnten Unterschiede in der Bildung/Erziehung sind zu offensichtlich.
Die Bildung der Jungen ist das Fundament unserer Gesellschaft. Das sagt/schreibt sich so leicht, aber es ist tatsächlich so: Nichts ist wichtiger, als eine gute Bildung UND eine gute Sozialisation unserer Kinder. Eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse ist mit dieser Generation, die wie heranziehen, vorprogrammiert. Der Abstieg zeigt sich ja bereits überall durch verfallende Strukturen: Bildung, Gesundheit, Pflege, Infrastruktur, Sicherheit, Wohnraum, Soziales, Verwaltungen, Deutsch Bahn, Rente, Politik …
Ein letztes Wort: Wir haben in erster Linie kein Bildungsproblem, sondern ein Erziehungsproblem. Ich habe das Gefühl, dass es eigentlich alle wissen, aber es kaum einer ehrlich zugibt, weil wir als Eltern und Gesellschaft dafür alle mitverantwortlich sind und es leichter ist, mit dem kritisierenden Finger nach oben zu zeigen.
Ich würde mich über die Meinung des Autoren und der Leser freuen.
1) Auslagerung: Ich würde hier den anklagenden Ton bzw. das Framing zurückweisen; wie ich schreibe hängt das auch viel damit zusammen, dass Vollzeiterwerbstätigkeit beider Elternteile keine andere Wahl lässt.
2) Veralteter Kram: Hab ich ja im Artikel thematisiert. Zu Japan kann ich nichts sagen.
3) Antiautoritäre Erziehung: wir haben keine antiautoritäre Erziehung, far from it. Aber wir haben eben auch keine autoritäre mehr.
4) Ich würde nicht sagen, dass wir vorrangig ein Erziehungsproblem haben. Klar, wenn beide Eltern Zeit und Fähigkeiten und Glück mit den Kindern haben, dann läuft es. Aber das war zu allen Zeiten so. Die Schwierigkeit ist ja, wie man mit denjenigen ugeht, bei denen es nicht läuft.
Danke für die Antwort. Zu Ihren Punkten:
1)
– Welches Framing meinen Sie konkret?
– Ich klage die allgemeinen Umstände an, nicht einzelne Personen. Ich schrieb ja, dass viele Eltern „ungewollt“ die Erziehung auslagern. Die Lösung liegt sicherlich nicht nur bei den Einzelnen, da es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Dennoch: Wie beschrieben, schaffen es andere Länder trotz vollbeschäftigter Eltern, dass die Erziehung/Bildung gut funktioniert.
2)
– Was genau ist „veralteter Kram“? Ich kann diese Bemerkung inhaltlich nicht meinem Kommentar zuordnen. Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge?
– „Zu Japan kann ich nichts sagen.“ Wie wäre Ihre Meinung zu den beschriebenen Umständen Japans, in der Annahme, dass diese korrekt sind?
3)
– Darüber lässt sich wahrlich streiten
– Wenn ein Großteil der Kinder (in der Regel der auffällige, den Unterricht störende Teil) sich von Lehrern nichts sagen lässt, würde ich zumindest behaupten, dass antiautoritäre Erziehungselemente zu stark ausgeprägt sind.
4)
– Das Problem ist ja gerade, dass es bei immer mehr Kindern nicht mehr „läuft“. Und das war nicht zu allen Zeiten so. Wenn andere Länder es schaffen, mit klassischen Methoden das Bildungsniveau zu halten, kann das doch nicht des Übels Wurzel sein.
Sowohl Grundschullehrer, wie auch Professoren klagen mir gegenüber darüber, dass sie mit den Kindern „nichts mehr anfangen können“. Es funktioniert einfach nicht mehr, wie früher, weil sich die Kinder geändert haben. Sicherlich haben alle von Ihnen in der Artikelreihe angesprochenen Punkte, ihre Berechtigung. Wenn wir es aber nicht schaffen, dass die Kinder innerlich zum Lernen bereit sind, halte ich es für schwierig etwas zu verändern. Und diese innerliche Befähigung zum Lernen kann meines Erachtens nur durch Erziehung (durch Eltern & Erzieher) wiedererlangt werden. Wenn für diesen Aspekt ein Problembewusstsein in der Gesellschaft vorhanden wäre, könnte sich etwas ändern.
Bitte „du“, das hier ist kein Seminar.
1) Ja, ich halte das für ein gesellschaftliches Sturkturproblem. Das Bildungssystem funktioniert innerhalb dieser dysfunktionalen Prämissen.
2) Methoden von vor 30, 40 Jahren. Die klare Fächeraufteilung, der lehrkraftzentrierte Unterricht, die starren Bildungspläne, etc.
3) Ich halte das nicht für „anti-autoritär“. Die beschriebenen Kids kommen ja oft eher aus super autoritären Haushalten. Das passt nicht zusammen.
4) Ich glaube nicht, dass das früher besser war. Was zu allen Zeiten so war ist, dass über die Jugend von heute geklagt wird.
Unsere Gesellschaft hat sich für eine antiautoritäre Erziehung entschieden und erntet jetzt die Früchte. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die Misere im westlichen Bildungswesen.
Etwas präziser: Unsere Gesellschaft hat sich für eine „anything goes“ Erziehung entschieden – und das funktioniert bei Kindern (nachweisbar) niemals und selbst bei Erwachsenen nur selten! Ansonsten Zustimmung, das ist ein Aspekt, der bei Stefan gar nicht vorkommt. Allerdings ein Aspekt, aber nicht der Hauptgrund.
Dass es zumindest ein Aspekt ist, dafür sprechen die seit vielen Jahren jährlich zunehmenden Klagen über zunehmende Respektlosigkeit im Umgang zwischen Erwachsenen in allen Lebensbereichen. Diese alles überwölbende Respektlosigkeit spielt eine mehr oder weniger grosse Rolle in allen gesellschaftlichen Feldern, die wir aktuell als problematisch betrachten. Wird angesichts ihrer Bedeutung viel zu wenig thematisiert, vermutlich deshalb, weil im weitesten Sinnen Liberale das Problem nicht sehen (wollen), das ist „konservativ“ konnotiert.
Gruss,
Thorsten Haupts
Etwas präziser: Unsere Gesellschaft hat sich für eine „anything goes“ Erziehung entschieden
Ich finde, wir haben hier ein ähnliches Dilemma wie in der Schule:
Es gab und gibt einfach einen Wandel auch in der Erziehung, wo es nicht mehr darum geht, folgsame unsichtbare Kinder zu haben, sondern man will sie zu mündigen Erwachsenen mit eigener Meinung erziehen. Das würden hier vermutlich auch die konservativsten Knochen erstrebenswert finden.
Nur mit Wandel hin zu Individualisierung ist das gar nicht so einfach und logischerweise gibts da dann auch kein Handbuch mit standardisierter Methode und die Balance zu finden ist eben die Kunst.
Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass die alte Lehre deswegen besser oder gar unfehlbar war.
@ Ariane 18. November 2023, 15:39
Es gab und gibt einfach einen Wandel auch in der Erziehung, wo es nicht mehr darum geht, folgsame unsichtbare Kinder zu haben, sondern man will sie zu mündigen Erwachsenen mit eigener Meinung erziehen.
Die allerhöflichste Antwort darauf lautet, dass Wollen nicht auch Können bedeutet.
„Mündig“ setzt meiner Interpretation nach voraus, dass Kompetenzen vorhanden sind, eine kompetente Entscheidung zu treffen. Irgendeiner Killer-Bratze den Willen zu geben, weil es nerviger quengelt, als es die eigenen Nerven aushalten, ist kein Zeichen von Mündigkeit. Es geht in der Regel nicht um „folgsam oder mündig“, sondern um „bequem oder mündig“.
Zur Mündigkeit gehört, sich Gedanken über die Konsequenzen und Folgen einer Entscheidung zu machen und diese zu verstehen, bevor man die Entscheidung trifft, und Konsequenzen und Folgen zu akzeptieren, wenn die Entscheidung getroffen wurde. Kinder sind dazu überhaupt nicht, Jugendliche nur eingeschränkt in der Lage. Das Vermitteln solcher Fähigkeiten ist Erziehung zur Mündigkeit; dem Nachgeben gegenüber egoistischenWünschen ist es nicht.
Was ich bei vielen jungen Menschen sehe, ist, dass es eher nach Bequemlichkeit, nach Befindlichkeit, nach momentaner Laune (neudeutsch: Bock) geht. Bei manchen wird es besser, wenn sie älter werden, bei anderen nicht. Aber meine Erfahrung (ich weiß: Opa erzählt vom Krieg) ist, dass es kein bequemes Leben gibt, und dass zu viele bequeme Entscheidungen sehr häufig einen unbequemen Ausgang haben.
… dass die alte Lehre deswegen besser oder gar unfehlbar war …
Dahin wollte ich auch gar nicht zurück.
… und die Balance zu finden ist eben die Kunst.
Mir scheint eben, wir haben sie nicht gefunden? Ich könnte hier eine Reihe von Geschichten von Eltern mit kleinen Kindern aus meinen vielen beruflichen Bahnfahrten zum besten geben, die alle auf eines hinauslaufen: Eine deutliche Mehrheit verzichtet auf JEDE Form von Erziehung, aus welchen guten oder schlechten Gründen auch immer. Und abgewandelt nach einer alten Bundeswehr-Regel: Jede Erziehung ist besser, als keine Erziehung.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich antworte mal hier auf dich und Erwin gleichzeitig, ging ja in eine ähnliche Richtung.
… und die Balance zu finden ist eben die Kunst.
Mir scheint eben, wir haben sie nicht gefunden?
Ja das meinte, ich. Ein Wunsch nach einem Wandel, heißt nicht, dass das funktioniert. Oder auch nur, dass überhaupt jemand Plan hat, wie das funktionieren soll. Lebendige Kinder mit eigener Meinung und Vorstellungen ohne Scheu, sie auszusprechen ist eine höchst neue Sichtweise. Als Kinderlose hab ich ja immer nur so Kurzeinblicke, aber ich wüsste jetzt niemanden, der meint, er macht einfach gar nichts, was Erziehung heißt. Würde aber mal behaupten, dass Bahnfahren für Kinder eine noch größere Herausforderung ist als für Erwachsene^^
Anderes Beispiel:
In meiner Erziehung (die übrigens nicht autoritär war^^) wurde enormst viel Wert auf Höflichkeit gelegt. Hat auch geklappt, ich bin ein krass höflicher Mensch.
Das war für mich aber gar nicht mal so gut, weil es ja durchaus Situationen gibt, wo mal gut sein muss mit Höflichkeit und ein „auf den Tisch hauen“ angesagt ist. Konnte ich nicht, nicht mal den Punkt erkennen, wo man umschalten muss. Kann ich auch immer noch nicht gut, musste ich mir mühsam irgendwie selbst beibringen und mich durchmogeln.
Deswegen ist Höflichkeit nichts Schlechtes, aber müsste ich nun wieder ein Kind erziehen, würde ich nicht Richtung „Höflichkeit in jeder Lebenslage“ erziehen. Ohne zu wissen, wie das geht und ob das funktioniert.
@ derBrain 16. November 2023, 10:49
Danke für Deine spannenden Ausführungen zu Japan. Ich habe ein paar Jahre für ein japanisches Unternehmen gearbeitet, war Ende der 80er, Anfanmg der 90er Jahre ein paarmal drüben, einmal auch für einen etwas längeren Zeitraum (aber bestimmt nicht mit Dir vergleichbar). Ich habe alles so oder ähnlich selbst erlebt: z.B. eine alte Oma, die in Tokyo zur Rush Hour vom Bürgersteig auf eine achtspurige Straße abbog und sie überquerte; jedes Auto hielt, keiner hupte – wäre hierzulande undenkbar gewesen. Mein japanischer Begleiter erklärte mir auf Nachfrage, dass die Frau alt sei und daher Respekt verdiene.
Mir wurde die „gesellschaftliche Disziplin“ besonders mit zwei Aspekten erklärt:
• Die Öffnung des streng feudalistischen Systems erfolgte, sehr spät, erst Mitte des 19. Jahrhunderts; der eigentliche kulturelle Umbruch erfolgte nach 1945. Vieles ist dort also noch in hierarchischem Denken verhaftet.
Ich bin seit zwanzig, dreißig Jahren komplett raus aus dem Thema, aber ich erinnere micht gut an die Verbeugungsriten (wer in welcher Reihenfolge vor wem wie tief etc.). Wollte ich meinem Ansprechpartner drüben ein Geschenk mitbringen, durfte ich das nicht direkt übergeben, sondern nur über den Chef, der dadurch automatisch ebenfalls Anspruch auf ein Geschenk bekam, dass spürbar teurer zu sein hatte.
• Japan hat in etwa die doppelte Landfläche der alten Bundesrepublik, und mit knapp 126 Millionen Einwohnern recht genau die doppelte Bevölkerung. Nun sind aber rund 80 Prozent von Japan mit Gebirgen bedeckt; auf den verbleibenden 20 Prozent ihrer Landfläche müssen die Japaner nicht nur ihre gesamte Bevölkerung unterkriegen, sondern auch einen Großteil ihrer Landwirtschaft für über 120 Mio. Menschen (ist halt eine Insel). Die Bevölkerung ist also viel dichter gepackt wie bei uns, Platz ist überaus kostbar (winzige Steingärten sind unglaublicher Luxus, Bonsai-Bäume etc., von Tamagotchi als Haustier-Ersatz bis hin zu „japanische Lautsprecher können keinen richtigen Bass“, damit die Nachbarn nicht belästigt werden), so dass man gezwungen ist, viel Rücksicht aufeinander zu nehmen.
Beides klang für mich nachvollziehbar und plausibel.
Ein Nebenaspekt mag sein, dass das japanische Volk, dass mit so viel Rücksicht aufeinander miteinander umgehen muss(te), zumindest damals nach außen hin eine ziemlich elitäre, wenn nicht arrogante und rassistische Weltsicht pflegte. Japaner waren Fans von Deutschland und Israel (die gingen wie die Japaner allein gegen den Rest der Welt), Apartheits-Südafrika (wer sagt denn, dass alle Menschen gleich sind?), England (blaues Blut an der Spitze des Staats, die Kinder tragen Schuluniform) etc.
Dazu kamen durchaus eigenartige Meinungen zu Nachbarn (O-Ton eines Fremdenführers: „Korea ist undankbar; wir haben das Land doch erst zivilisiert“), die Chinesen haben keine Disziplin, keine Kultur, kein Benehmen etc. – ganz asien war Scheiße, bis auf Japan.
Sie mochten es, wenn ich ein paar Brocken japanisch sprach, etwa zur Begrüßung. Aber ein Kollege, der mit einer Japanerin verheiratet war, sprach japanisch so perfekt, dass man ihn (etwa, wenn er in ein Geschäft ging und einen Verkäufer von hinten ansprach) im ersten Moment für einen Japaner halten konnte. Der löste immer wieder tiefe Unsicherheiten und teilweise regelrechte Panik aus – vielleicht nicht weiter verwunderlich für ein Volk, das für die beiden Begriffe „Mensch“ und „Japaner“ die gleiche Vokabel benutzte („bei einem Flugzeugabsturz starben 245 Amerikaner, aber es kam kein Mensch zu Schaden“).
Dieses hinter jeder Fassade lauernde wilde Tier hat mich zu der Zeit (ich war damals knapp dreissig Jahre alt) ziemlich eingeschüchtert, obwohl ich als Deutscher (wie gesagt: „allein gegen den Rest der Welt“) überaus wohl gelitten war.
Hat mir damals sehr schnell die Flausen ausgetrieben, dass ein jeder, wenn er nur will, einen jeden verstehen kann.
Also vielen Dank für Deine Eindrücke, die bei mir Erinnerungen an ein früheres Leben wachriefen. 🙂
Danke für die Erinnerungen!
Wirklich interessant. Die Sitten und Gebräuche, erinnern mich an ältere Japanische Filme, die ich manchmal ansehe. Japan hat sich in den letzten 20 Jahren, die ich überblicken kann, sehr geändert. Es ist deutlich liberaler und toleranter geworden. Mich wundert es aber immer wieder, wie es Japan schafft, sich zu ändern, zu modernisieren, auch zu liberalisieren und es dennoch seine Kultur zu bewahren. Viele Entwicklungen sind parallel zu Deutschland. Dennoch funktioniert die Gesellschaft. Das liegt meines Erachtens unter anderem an dem besseren vertikalen Wissenstransfer (generationsübergreifend), an dem Respekt füreinander und dem damit einhergehenden Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft als ganzes. Die Arbeitsmotivation ist viel höher. Es wird mehr gearbeitet und weniger gemeckert. Allgemein sind Japaner viel positiver, als Deutsche. Vielleicht liegt das auch an der hohen Zahl an Sonnenstunden 🙂
Vergleiche zwischen Ländern hinken natürlich immer. Dennoch wäre es meiner Meinung nach sinnvoll, wenn wir uns mal demütig bei andern Ländern umsehen würden, was und warum es dort besser läuft. Wenns der Nachbar besser kann, muss man halt „abschreiben“. (*^_^*)/
„Wenns der Nachbar besser kann, muss man halt „abschreiben““
Ja.
Im Kleinen geschieht das auch. Der erste PISA-Schock hat immerhin dazu geführt, dass Lesen gefördert wurde, durch Schulbibliotheken, „Lesenächte“ usw. Leider war das nicht so erfolgreich wie erwartet. Deshalb übernimmt man nach und nach das Konzept des „Oral Reading“ (deutsch: Lautlesen) aus den angelsächsischen Ländern. In Hessen schon länger, in Baden-Württemberg seit diesem Schuljahr.
Bei der Schulstruktur allerdings glaubt man immer noch, es besser zu wissen als die Nachbarn. Gesamtschulen gelten nach wie vor als Anstalten für Gleichmacherei.
Die Idee, dass der Bildungsföderalismus zu „Wettbewerb“ führe, ist eh so ein Wunschdenken.
Nennen wir es Lebenslüge oder Wunschdenken. Das mildert die moralische Schärfe.
Ja, das meinte ich auch. Danke!
Könnte er schon, nur dazu fehlt den Landesregierungen die Traute. Ich persönlich hatte das Vergnügen, mit anderen zusammen dem rheinland-pfälzischen und bayrischen Kultusministerium Ende der achtziger vorzuschlagen, das Bremer Abitur nicht mehr anzuerkennen. Die Antwort war „Dann tun die das auch“ und war natürlich Bullshit – die Nichtanerkennung durch Bremen hätte niemandem wehgetan. Man war nur politisch zu feige, das ist alles.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ist auch viel Pfadabhängigkeit. Der Bullshit etwa, dass jedes Bundesland (und teilweise jede Kommune/Landkreis) eigene Schulverwaltungssoftware hat, die komplett inkomptabiel mit allem anderen ist, führt ja nicht zu Wettbewerb, weil keiner auf ein „besseres“ System umsatteln kann – viel zu hohe Wechselkosten. Nur ein Beispiel.
Korrekt, nur ist beides – der fehlende Wettbewerb wie die fehlende Systemintegration – die Folge von Entscheidungen und nicht naturwüchsig.
Richtig.
Ohne Bildungsförderalismus sähe das Bildungsniveau der Schüler überall so aus wie in Bremen und NRW und nicht wie in Bayern.
Wieso?
Das Erziehungswesen ist eine der wesentlichen Kernkompetenzen der Bundesländer. Bremer Schüler gelten seit Jahrzehnten schulisch als besonders rückständig. Umgekehrt verhält es ich mit Schülern aus Bayern. Das galt beides schon in den Siebzigern, als ich zur Schule ging.
Bremen wird seit Urzeiten von der SPD regiert, Bayern ebensolange von der CSU. Die Konservativen beweisen damit, dass ihre Schulpolitik die eindeutig bessere ist. Die alternative Erklärung, dass in Bayern die gute Luft Intelligenz fördern würde, akzeptierst Du wahrscheinlich noch weniger. 😉
Ja, das weiß ich schon; ich verstehe nicht, weswegen du darauf kommst, dass ein bundesweites System notwendig das Bremer übernehmen würde und nicht das bayrische.
Wann hätte sich die CSU mit ihren Ansichten durchsetzen können? Das System der Bundesrepublik ist auf Kompromiss und den kleinsten gemeinsamen Nenner ausgelegt. Das wäre eher NRW als Bayern gewesen.
Ich glaube das eher nicht. Aber das ist letztlich ein kontrafaktisches Szenario, weil das ja 1949 hätte entschieden werden müssen. Da wäre glaube ich dann ein stärker amerikanisch orientiertes System rausgekommen, wenn.
Ist auf jeden Fall das bei weitem wahrscheinlichere Ergebnis, ja.
Why? Es gibt zig zentralistisch organisierte Länder, die deswegen auch nicht automatisch ein Schrottsystem haben (ohne Kenntnis dessen, was in Bayern und Bremen gemacht wird; ich kenne deren Strukturen schlicht nicht. Ich habe nur einigermaßen Einblick in Bayern und Niedersachsen sowie eingeschränkt Berlin).
Nur zur Erinnerung: wir haben auch eine Schrott-Bundeswehr und in der Pandemie war der Zentralismus auch nicht von Vorteil, nachdem der Bundestag das selbständige Arbeiten eingestellt hatte.
Da wir uns in Deutschland immer vom Langsamsten leiten lassen, ist der Föderalismus eine gute Waffe gegen die grassierende Inkompetenz
@ derBrain 17. November 2023, 08:38
Japan hat sich in den letzten 20 Jahren, die ich überblicken kann, sehr geändert. Es ist deutlich liberaler und toleranter geworden.
Das freut mich sehr. Mich hatte das Land tief beeindruckt, aber für kein Geld der Welt hätte ich dort dauerhaft leben wollen. Etwas weniger „Strenge“ klingt nach einer guten Entwicklung.
Mich wundert es aber immer wieder, wie es Japan schafft, sich zu ändern, zu modernisieren, auch zu liberalisieren und es dennoch seine Kultur zu bewahren.
Ich glaube, dass der Druck durch Geographie, Politik, Lebensverhältnisse etc. einfach größer, das gesellschaftliche Korsett einfach enger ist. Bei vielen asiatischen Gesellschaften vermeine ich eine Art von übergeordneter Idee wahrzunehmen, während hier das Individuum im Vordergrund steht.
Dennoch funktioniert die Gesellschaft. Das liegt meines Erachtens unter anderem an dem besseren vertikalen Wissenstransfer (generationsübergreifend), an dem Respekt füreinander und dem damit einhergehenden Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft als Ganzes.
Deckt sich mit meinen damaligen Eindrücken. Ist imponierend.
Danke nochmal
„antiautoritäre Erziehung … der Hauptgrund für die Misere im westlichen Bildungswesen.“
Denke ich nicht. Andere machen den Wettbewerbs- und Selbstoptimierungswahn für die Ruppigkeit in der Gesellschaft verantwortlich.
Die sogenannte antiautoritäre Erziehung war eine Reaktion auf die Autoritätsfixierung, die Deutschland (und nebenbei: auch Japan) in die Katastrophe geführt hatten. Solche Gegenbewegungen schießen leicht über das Ziel hinaus. Was möglicherweise in der Grundschule noch nachwirkt: Keine Routinen mehr, kein Auswendiglernen von Gedichten, weil: Bloß kein Drill! Hier wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Statt Einüben von Rechenschritten durch Reime und Singspiele seitenweise Arbeitsblätter, mehr oder weniger „motivierend“ gestaltet.
Aber bitte nicht zurück zur alten Schule! Dass Schüler (und Eltern) sich trauen, Lehrern auch zu widersprechen. Der Ton macht die Musik. Das gilt es zu lernen und einzuüben.
Wie gesagt, antiautoritäre Erziehung macht eh so gut wie niemand. Das war mal kurz ein Trend der 68er-Nachwehen, aber wenn das ein paar Tausend durchgezogen haben, ist das viel. Wie Kommune 1 – viel rezpiert, wenig gelebt.
Es war nachlässig von mir, den Begriff „autoritäre Erziehung“ zu verwenden, ohne ihn aus meiner Sicht genau zu defineren, da jeder etwas anderes darunter versteht. Ich selbst erziehe meine Kinder ja auch nicht mit Drill und „harter Autorität“. Natürlich sollen Kinder auch widersprechen und hinterfragen.
Vielleicht wäre „Respekt“ der bessere Begriff gewesen. Und in dieser Beziehung, ist es wohl so, dass die Respektlosigkeit der Jüngeren gegenüber Erwachsenden noch nie so schlimm war, wie heute.
Ich möchte die „alte Schule“ nicht beschönigen. Natürlich sind neue Konzepte nötig. Der Punkt, den ich verdeutlichen wollte, war einfach, dass andere Länder mit der „alten Schule“ immernoch hohe Bildungsleistungen erreichen.
„Respektlosigkeit“ enthält eine starke Wertung. Ich würde das positiver sehen: heute müssen sich Erwachsene Respekt auch verdienen. Sie bekommen ihn nicht einfach qua Alter.
Nun wäre es interessant zu erörtern, inwieweit sich Respekt und Lernbereitschaft gegenseitig ausschließen.
Natürlich lerne ich am besten bei einem Lehrer, den ich mag. Und idealerweise sind alle Lehrer so befähigt, dass sie sich den Respekt erarbeiten können. Dieses Ideal ist leider nicht erreichbar.
Dann wäre es aus meiner Sicht hilfreich, wenn die Kinder bei einem „langweiligen Lehrer“ wenigstens ruhig wären, und auf die Weisungen des Lehrers hören. Die meisten Lehrer wären ja schon zufrieden, wenn die Kinder, die es nicht interessiert, ruhig wären.
Respektlosigkeit werte ich negativ, weil es meiner Meinung nach ein Makel ist. Ich respektiere natürlich, dass Sie da anderer Meinung sind 🙂
Das schließt sich überhaupt nicht aus. Ich sage nur, dass Respekt etwas ist, das einem nicht einfach zusteht. Wenn ich will, dass mich jemand respektiert, muss ich mir das verdienen – unter anderem, indem ich meinem Gegenüber ebenfalls Respekt entgegenbringe. Respektlosigkeit ist selbstverständlich etwas Negatives, insofern sie als unhöfliches Verhalten definiert ist.
Danke für die Antwort.
Wenn Kinder der Meinung sind, nur Lehrer zu akzeptieren zu müssen, die sich den Respekt verdienen verdient haben (woran immer das Kinder festmachen), führt es doch gerade dazu, dass ein Großteil der Kinder den Lehrer eben nicht respektiert, weil es nur wenige Lehrer schaffen sich den Respekt zu erarbeiten.
Wäre es dann nicht viel leichter für die Bildung, wenn Schüler den Leherern gegenüber prinzipiell respektvoll sind, weil es einfach eine gesellschaftliche Norm ist?
Nein, die allermeisten Lehrkräfte haben den Respekt der Schüler*innen. Du solltest die Kids nicht unterschätzen. Die kommen ja üblicherweise nicht mit dem Willen in die Schule, alles scheiße zu finden und zu zerstören.
„Ruhig“ im Sinne von „nicht stören“?
Ja, wenn damit gemeint ist: Die Mitschüler nicht am Lernen hindern und allgemein-menschlich nicht unhöflich sein (s. Stefan).
Aber: Dann fehlt dem Lehrer die Rückmeldung, dass er etwas an seinem Unterricht ändern sollte. Für das Lernergebnis aller Schüler ist damit wenig gewonnen.
Den Anspruch an die Lehrer sollten wir nicht aufgeben. Wie alle Kinder hatten auch unsere solche Lehrer („Bei dem/der lernt man einfach nichts“) – und sitzt den Unterricht ab. Kein befriedigender Zustand.
Exakt.
@ Stefan Sasse 17. November 2023, 08:59
Ich würde das positiver sehen: heute müssen sich Erwachsene Respekt auch verdienen. Sie bekommen ihn nicht einfach qua Alter.
Das sollte in die andere Richtung genauso gelten. Tut es meist nicht. Und von jemandem zu fordern, dass er sich seinen Respekt erst verdienen muss, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass man unhöflich werden muss.
Kein Stück, nein. Das würde ich auch nie sagen. Das Gegenstück von jemandem Respekt entgegenbringen ist ja auch nicht Unhöflichkeit. Ich kann ja auch höflich gegenüber Leuten sein, die ich nicht respektiere. Oft muss ich das sogar 😉
@ Stefan Sasse 19. November 2023, 11:58
Zustimmung, kenne ich.
Mein Punkt war aber auch: Wenn Kinder und Jugendliche Älteren keinen automatischen Respekt entgegen bringen, dürfen sie auch keinen automatischen Respekt erwarten. Und als gestandene(r) Erwanchsene(r) habe ich in der Regel eine gewisse Lebensleistung vonzuweisen, die Jugendlichen aber noch nicht. Keine ideale Ausgangspositition für gute bzw. gleichberechtigte Kommunikation.
Hab übrigens aus Neugier mal meine Frau gefragt. Sie sieht einen Unterschied zwischen Respekt und Höflichkeit; Respektlosigkeit belegt sie aber in der Regel durch Unhöflichkeit.
Ja, das ist sicher richtig. Ich bin vielleicht auch etwas sensibilisiert für das Thema, weil Bullies gerne „Respekt“ einfordern und damit Unterwerfung meinen. Leider war/ist das bei vielen Erwachsenen auch so. Respekt ist aber nicht Unterwerfung.
Hatte ich ganz vergessen:
„Andere machen den Wettbewerbs- und Selbstoptimierungswahn für die Ruppigkeit in der Gesellschaft verantwortlich“
Natürlich ist das vielleicht die noch tiefere Ursache. Durch den Stress, den Eltern und Kinder in dieser Gesellschaft ausgesetzt sind, leidet die Erziehung. Durch mangelnde Erziehung leidet die Bildung.
Dieser menschenfeindliche Neoliberalismus ist definitiv an den meisten Fehlentwicklungen ursächlich stark beteiligt. Leider wird darüber öffentlich noch weniger diskutiert, als über Bildung.
@ CitizenK 17. November 2023, 07:24
„antiautoritäre Erziehung … der Hauptgrund für die Misere im westlichen Bildungswesen.“
Ich weiß nicht, ob das nicht etwas zu plump formuliert ist. Aber was mir auffällt, und was ich hier auch schon öfter geschrieben / bemängelt habe, ist, dass das sich ausleben („sei Du selbst“, „mach Dein Ding“ und ähnlicher Quatsch) gefeiert wird; Egoistik und Egozentrik inklusive Rücksichtslosigkeit, rüder Ton etc. sind inzwischen „normal“. Eine übergeordnete Idee (wie sie die USA, China, und fast alle anderen Gesellschaften prägen) haben wir leider nicht.
Früher war das die Religion und/oder die Nation. Beides mit erheblichen Schattenseiten, insbesondere in der Kombination.
Wo wir schon mal am Philosophieren sind: 😉 Ist es der Preis der Freiheit von einengenden Traditionen, dass nicht alle nicht damit umgehen können?
Ich fand euren Dialog sehr anregend. In dem Zusammenhang eine Frage: Oft ist zu hören und zu lesen, auf deutschen Autobahnen „herrscht Krieg“ – was als extremer Ausdruck der in der Gesellschaft vorhandenen Spannungen gedeutet wird. In Japan ist das vermutlich anders? Aber auch in den USA – am Individualismus liegt es also auch nicht. Was ist eure Erklärung?
Aber was mir auffällt, und was ich hier auch schon öfter geschrieben / bemängelt habe, ist, dass das sich ausleben („sei Du selbst“, „mach Dein Ding“ und ähnlicher Quatsch) gefeiert wird; Egoistik und Egozentrik inklusive Rücksichtslosigkeit, rüder Ton etc. sind inzwischen „normal“.
Sicher, aber das ist kein Problem der Schule, das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Erinner dich mal an die Sylvesterdebatte oder Kubicki während Corona, nur als Beispiele.
@ Stefan Sasse 18. November 2023, 09:47
Sicher, aber das ist kein Problem der Schule, das ist ein gesellschaftliches Phänomen.
Das meine ich ja. Schon die Kleinsten kriegen vorgebetet, dass cool ist, wer „sein Ding“ macht. Es wirkt sich halt auch in der Schule aus.
Danke für die spannende Artikelserie. Schade, dass Bildung kein wichtiges politisches Diskussionsthema ist. Es geht ja auch bloß um die Zukunft unserer Gesellschaft.
Zwei Themen hast Du völlig ausgespart:
– Schulpflicht vs. Bildungspflicht
– private vs. staatliche Anbieter
Aus Deiner Sicht unbedeutende Aspekte?
Ohne Stefans Antwort vorzugreifen, antworte ich mal aus meiner vergangenen Beschäftigung mit Bildungspolitik:
Yup, beides für die existierende Problemlage weitgehend irrelevant.
Gruss,
Thorsten Haupts
😀
Nein, ich denke nur nicht, dass sie im Kontext der Bildungsmisere relevant sind.
Schulpflicht vs. Bildungspflicht ist eine so fundamentale Frage, dass ich sie ausgespart habe.
Private Schulen sind denselben Zwängen unterworfen wie staatliche; alle laufen nach demselben System. Daher fand ich das hier recht irrelevant. Privatschulen haben ihre eigenen Vor- und Nachteile, aber nichts, das fundamental anders wäre.
O.K., das wäre mein Ansatz gewesen: Man könnte ja mit viel freieren privaten Schulen experimentieren und schauen, ob/was die besser können. Aber wahrscheinlich ist das in Deutschland sowieso unmöglich, sogar private Kitas usw. sind ja bis ins Detail durchreguliert.
Das Ding ist halt: wenn du einen staatlich anerkannten Abschluss (Abitur, Mittlere Reife, FHS) vergeben willst, musst du dich an Stundentafeln, Bildungspläne etc. halten. Das beschränkt deinen Experimentierspielraum deutlich. Wir können natürlich schon diverse Dinge machen, aber keine grundlegenden Dinge.
Die Frage ist, warum ein Bildungsabschluss unbedingt staatlich anerkannt sein muss. Unser Staat versagt in immer mehr Bereichen. Leider verbietet er meist Alternativen, so auch im Bildungssektor. Unglaublich viel Potenzial wir ganz bewusst nicht.
Du kannst halt nur eines haben: viel Experimentierpotential oder Vergleichbarkeit der Abschlüsse. Und der Tenor, übrigens gerade unter den Erzliberalen hier, ist üblicherweise, dass die Vergleichbarkeit der Abschlüsse über allem steht. Ich wäre sofort für mehr Experimentiermöglichkeiten.
Vergleichbarkeit der Abschlüsse hat mich nie überzeugt. Letztlich entspricht das doch Schubladendenken: Die Schüler werden einsortiert und kriegen einen staatlichen Stempel. Kein sehr liberaler Ansatz und auch weit weg vom liberalen Menschenbild.
Ich verstehe Schule eher als Service an den Schülern. Am Ende sollen sie selbst wissen, was sie können und was sie interessiert.
Völlig richtig, mich überzeugt das auch nicht. Aber frag mal etwa Stefan Pietsch, der sieht das ziemlich anders. Und das ist eben die überwältigende Mehrheitsmeinung.
Liberal heißt eben im liberalen Sinne nicht nur liberal. 🙂
Wie meinen?
Jetzt fühle ich mich wirklich alt. Das ist ein Zitat aus Loriots Sketch „Politikerrunde“. Der FDP-Mann sagt immer nur diesen Satz auf, wenn er gefragt wird.
Erst einmal vielen Dank für die umfangreiche Gesamtarbeit und für die weitgehend in sich schlüssige Zusammenfassung, zu der ich wenig Sinnvolles beizutragen habe. Nur einen Aspekt:
In meiner eigene Kohorte sind diese Zahlen auf 19,9% und 44,3% gesprungen, ein Wert, der seither im Großen und Ganzen gehalten wurde.
Ob die 44% Abiturienten tatsächlich, wie von Dir explizit vorausgesetzt, für die Gesellschaft wie für alle betroffenen Individuen ein Vorteil sind, ist extrem diskussionswürdig. Aus meiner Sicht mitnichten.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Thorsten Haupts 16. November 2023, 11:57
Ob die 44% Abiturienten tatsächlich, wie von Dir explizit vorausgesetzt, für die Gesellschaft wie für alle betroffenen Individuen ein Vorteil sind, ist extrem diskussionswürdig. Aus meiner Sicht mitnichten.
Ich habe mein Elektriker-Lehre auch nicht am gesellschaftlichen Bedarf orientiert. Meine Entscheidung fiel im Spannungsfeld zwischen „Irgendwas muss ich tun, warum nicht das“ und „Papa hat was klargemacht“.
😉
Das kann man ja diskutieren, aber es hatte ohne Zweifel massive Auswirkungen.
Insgesamt ein guter Artikel mit vielen wichtigen Punkten, aber ein paar lose Enden habe ich schon noch, die ich ungeordnet anmerken möchte:
0) Wir haben 80 Millionen „hochkompetente“ Bundestrainer – mich selbst eingeschlossen.
1) Du sprichst das Thema Inklusion an und schreibst über die Schwierigkeiten, die daraus erwachsen. Auf der anderen Seite musst du einfach sagen, dass sie schlichtweg ein Menschenrechtsgebot ist. Deutschland hat die Konvention über Behindertenrechte ratifiziert und damit das allgemeine Recht auf kompletten Bildungszugang bestätigt. Das heißt aber auch, dass du einem Kind den Bildungszugang wegen z.B. Down-Syndrom genauso wenig verweigern darfst wie wegen der Hautfarbe. Das deutsche System der „Sonder“-schulen wird diesem Anspruch nicht gerecht.
2) Bei den guten Nachrichten solltest du auch über den Gymnasien-Horizont hinaussehen und das (auch im internationalen Vergleich) gute System der beruflichen Ausbildung erwähnen. Deutschland hat vor allem deshalb scheinbar so wenige „höhere“ Bildungsabschlüsse, weil viele Berufsausbildungen, die andernorts durch Studium erzielt werden, hierzulande mit dualer Ausbildung erreichbar sind.
3) Etwas, wo Bernhard Kroetz auf der richtigen Spur ist: Aufgrund des Verhältnis Stoff/Zeit kann die Schule vielleicht Werkzeuge nahebringen und den Umgang damit zeigen, aber um tatsächliche Fertigkeit zu erwerben, ist sehr viel Übung nötig, die Zeit kostet – Zeit die nicht vorhanden ist.
4) Thorsten Haupts hat auch die Leistungsbereitschaft von E-Sportlern angesprochen. Das finde ich interessant, weil Videospiele nicht nur auf der sportlichen Hochleistungsebene, sondern über alle „Intensivitätsniveaus“ hinweg, extrem gut darin sind, die Nutzer zu motivieren – obwohl dort alles NUR über Leistung und Belohnung funktioniert. Vielleicht wäre es spannend, sich aus dieser Quelle mal abzuschauen, wie die das machen. Der Unterrichtslehrplan, so wie er sich aktuell präsentiert, ist ja eine gigantische Demotivationsmaschine (was du schonmal am Beispiel Deutschlektüre diskutiert hattest)
5) (Offene Diskussionsfrage) Viele lernpsychologische Untersuchungen zeigen, dass die persönliche Befähigung des Lehrers, den Schüler zu motivieren, mit der stärkste Einflussfaktor auf den Lernerfolg hat. Was hältst du von deiner praktischen Perspektive aus davon, dies stärker in die Evaluation der Lehrer einfließen zu lassen ?
0) Ohja!
1) Völlig korrekt! Wie gesagt, mir fehlen nur die Sachkenntnisse, um das vertiefen zu können. Es ist aber offensichtlich, dass das was mit dem Durchschnitt macht, wenn du plötzlich Inklusion betreibst.
2) Absolut!!!
3) Richtig.
4) Wenn du intrinsisch motiviert bist, fällt halt alles wesentlich leichter…
5) Das lässt sich halt super schwer messen. Was ich mache, das die einen motiviert, finden die anderen furchtbar. Das ist alles extrem individuell.
4) Dann sollten wir die Motivation intrinsischer machen: Erzähl Schülern erst, wie der zweite Weltkrieg ausgeht, nachdem sie den Endboss „Adolf“ (mit richtigen Antworten) auf 0 Health runtergeprügelt haben. Lass die Schüler sich in Gilden zusammenschließen, die miteinander um den Sieg in irgendwelchen Wettbewerben konkurrieren. Gib denen, die in jedem Fach 10 Quatloo-Punkte verdient hat, einen silbernen Rand beim Klassenfoto, mit 50 Punkten einen goldenen. Am Ende werden sie zahlen, damit du ihnen was beibringst. Ok., das ist bei einer Privatschule nicht so neu, aber du verstehst, was ich meine.
Gamification nennt sich das, und leider schafft das keine intrinsische Motivation. Mittlerweile Generationen platter Lernspiele wurden von Eltern umsonst gekauft. Nein, vergeblich, die Industrie verdient sich mit dem Bullshit ja eine goldene Nase.
Das ist ein weit verbreitetes und tiefsitzendes Fehlurteil darüber, wie Spiele funktionieren. Basically – der Belohnungsaspekt (neuen Loot finden, neue Ausrüstung bekommen etc.) ist der KLEINERE Teil des motivierenden Belohnungssystems. Der deutlich grössere und zu selten erzählte – man ist der Held seiner eigenen Geschichte. Als General, als Regierungschef, als Scharfschütze, als Magier. Man macht sich selber besser und die äusseren Anzeichen dafür sind neue Panzer, neue Zaubersprüche oder neue Gewehrgranaten. Dieser Teil der Motivation in Spielen lässt sich nur in extrem seltenen Ausnahmefällen auf Arbeit oder Schule übertragen, weshalb Gamification nicht funktionieren kann.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Thorsten Haupts 19. November 2023, 12:39
Der deutlich grössere und zu selten erzählte – man ist der Held seiner eigenen Geschichte.
Spannender Gedanke, danke dafür. Als nicht sonderlich leistungsorientierter Spieler (Winmines etc. 🙂 ) habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht.
6) (Nachtrag) Bildung gestalten ist sowieso keine politische Priorität – egal welche Parteienkombo regiert. Die jetzige Bildungsministerin musste ich googeln, bei den Vorgängerinnen sieht es genauso aus. Die letzte mit halbwegs Profil war Schavan (bevor sie weggedoktorarbeitet wurde) und das auch nur deshalb, weil sie sich für Religionsunterricht eingesetzt hat. Und es ist bemerkenswert, dass trotz der Neigung der letzten Regierungen, jedes auftretende Problem erst mal mit Geld zu bewerfen, keine nennenswerte Beträge für die Schulen lockergemacht hat.
Yup, Bildungspolitik hat in KEINER Partei irgendeine Priorität und auch niemals gehabt. Die letzte und nahezu einzige profilierte Bildungspolitikerin der Union z.B. war Hanna Renate-Laurien (Kultusministerin RP 1976).
Warum auch? Damit gewinnt man keine Wahlkämpfe.
Schavan hat G8 durchgesetzt, das ist wesentlich relevanter als ihre Haltung zum Religionsunterricht.
Soweit ich weiß ist G8 Ländersache. Wie sonst könnte es sein, dass die Bundesländer unterschiedliche Formen haben?
Schavan war Kultusministerin hier in BaWü, daher ist meine Erfahrung mit ihr eine…intimere 😀
Stimmt, sie ist da furchtbar hin- und hergeeiert… Wen wunderts, wenn am einen Ende die Bertelsmann-Stiftung und am anderen der Philologenverband rumzerrt.
Vielen Dank für die spannende Artikelreihe und auch an die Kommentatoren hier für weitere Ausführungen!
Ich bin ja durch meine Umschulung gerade selbst Umschülerin und ich finde den Vergleich oft ganz interessant. Bei uns ist es gesplittet, ein Jahr lang wird der komplette Schulkram durchgezogen, 2. Jahr nur Praktikum und Prüfungsvorbereitung.
Und wir sind alle erwachsen und vermutlich disziplinierter und motivierter, dafür trifft aber eine enorme Stofffülle auf Leute mit noch unterschiedlicherem Hintergrund (zb 20 Jahre Altersunterschied und verschiedene Bildungshintergründe)
Und die IHK hängt noch in den 80ern, also echt viel nutzlose Fakten. Ernsthafte Prüfungsfrage in VWL zb: Wo hat das statistische Bundesamt seinen Sitz?
Es ist übrigens Wiesbaden bevor alle wie normale Menschen googlen, und fürchten, ihre volkswirtschaftliche Kompetenz ist fraglich^^
Und das erste, was passiert: brutale Effizienz. Wenn da nicht eine Note draufgeklatscht wird oder der Satz „irrelevant für die Prüfung“ fällt, rührt man sich kein Stück.
Genauso (das hat Thorsten mal so schön beschrieben) Psychologie: man weiß im 2. Halbjahr, wie die Lehrer bewerten und Klausuren aufbauen, also richtet man sein Lernen genau darauf aus.
2. Und das passt sehr gut zu Stefans Ausführungen: Die Lehrer mit pädagogischem Hintergrund und neuer Methodik (Selbstlernen, Transfer und so) sprengen das System.
Wir hatten jetzt 2 Wochen VWL mit paar Grundlagen zu Konjunktur, Leitzins, Nachfragepolitik und jetzt eine Ausarbeitung 5 Themen mit einem Artikel zur Auswahl und dann: Erkläre die Gründe und Auswirkungen für die überraschende Senkung der Festgeldzinsen.
Das ist schon ein Brett für Leute, die noch nie eine gymnasiale Oberstufe besucht haben, wo man noch jedes Kochbuch analysiert und bewertet. Und weil die nicht mehr ihre Eltern fragen, kommen die alle zu mir (immerhin dankbarer als Kinder!)
Und da hilft auch kein Biss und Disziplin oder die theoretisch vorhandene Lehrerin, die sie mit VWL-Uniwissen vollblubbert, da fehlen die Fähigkeiten und die Übung an so etwas heranzugehen (und die die Lehrerin auch nicht mal eben nachschieben kann)
Und da haben wir ja das Dilemma, bzw Zielkonflikt: Entweder man nimmt die Stoffülle, die man super easy messen und standardisieren und bewerten kann, oder echtes Lernen, was nützlicher, aber individueller und unmessbarer ist. Beides zusammen geht imo nicht, außer man verdoppelt mal eben sämtliche Ausbildungszeiten.
Was für sinnloser Blödsinn, diese Auswendiglernerei.
… Stoffülle, die man super easy messen und standardisieren und bewerten kann, oder echtes Lernen, was nützlicher, aber individueller und unmessbarer ist.
Wenn man den Effekt von „echtes Lernen“ nicht messen kann, gibt es ihn dann überhaupt? Oder ist „echtes Lernen“ das Gegenstück zur „sozialen Kompetenz“, die jahrzehntelang Bremens Antwort/Entschuldigung darauf war, warum seine Schüler um 1 Jahr oder mehr hinter z.B. bayrischen zurückblieben?
Deutsch-, Englisch oder Rechenkenntnisse kann man messen. Damit auch den Schulerfolg, sowohl individuell als auch im statistischen Mittel und im Vergleich zu anderen Schulen. Und meine Anforderungen an Schule sind niedrig – nach Abschluss soll man ein paar notwendige, solide Grundkenntnisse und ein paar elementare Methodenkenntnisse erworben haben. Wenn Schulen das nicht hinbekommen, haben sie versagt. Denn die Behauptung der Vermittlung von „beliebiges Schlagwort einsetzen“ ist eine reine Behauptung ohne Belege, die man glauben oder nicht glauben kann. Ich glaube sie nicht.
Gruss,
Thorsten Haupts
Man misst, was man misst. Klar, auf einem basalen Level kannst du Kompetenzen abprüfen. Jemand kann die binomischen Formeln aufsagen oder halt nicht, jemand kann Vokabeln oder halt nicht. Aber sobald es um das echte Lernen damit geht, die ANWENDUNG, die Nutzung von dem Kram, wird’s mit der Messung schon wesentlich schwieriger.
Ja Anwendung ist ein besseres Wort. Bei meinem Beispiel oder auch der Powerpoint-Präsentation kommt ja dazu, dass ein großer Teil „Handwerk“ ist. Man muss wissen, wie man solche Texte liest, wie man so etwas aufbaut, wie so ein olles Programm so funktioniert, wie man es braucht, typische Formulierungen. Das ist Anwendungswissen.
Viel mühsamer und schwieriger zu erlernen als paar Fakten, die Anwendung kann man aber nicht einzeln bewerten. Hauen dir gerne aber die Note runter, obwohl du deine Fakten korrekt wiedergegeben hast.
Zurecht! Wenn ich nur Daten will, kann ich auf Wikipedia gehen.