Rezension: Maurice Höfgen – Teuer! Die Wahrheit über Inflation, Ihre Profiteure und das Versagen der Politik

Maurice Höfgen – Teuer! Die Wahrheit über Inflation, Ihre Profiteure und das Versagen der Politik (Hörbuch)

Maurice Höfgen, der Shooting-Star der linken Ökonomikszene („Wirtschaftsbriefing„), hat sein erstes Buch herausgebracht. Als bekanntester deutscher Vertreter der MMT – er studierte bei Dirk Ehnts, der bereits bei den Bohrleuten zu Gast war – hat er eine gewisse Notoriät aufgebaut, die den Verkaufszahlen sicherlich keinen Abbruch tun dürfte und die, wie man dem Klappentext entnehmen darf, eine „erfrischende Stimme“ in die deutsche Wirtschaftspolitiksdebatte einbringt. Angesichts der aktuellen Lage befasst es sich mit der Inflation, die in Deutschland gerade in aller Munde ist. Der Untertitel verspricht vollmundig „die Wahrheit“ über das Phänomen, ihre Profiteure und das Versagen der Politik. Nun denn, schauen wir, ob das Buch hält, was es verspricht.

Bereits in der Einleitung stellt Höfgen einige Thesen zur Inflation auf. Der Begriff werde in der Debatte oftmals falsch verwendet: meist sei nämlich gar nicht Inflation gemeint, also ein permanent steigendes Preisniveau (üblicherweise durch eine Preis-Lohn-Spirale hervorgerufen), sondern Teuerung. In diesem Sinne sei das aktuelle Phänomen keine Inflation, sondern eine Teuerung durch externe Faktoren. Deswegen sei auch der politische Instrumentkasten, eine künstliche Rezession herbeizuführen, zur Lösung ungeeignet: die Wirtschaft läuft ja gerade nicht eben heiß. Höfgen erklärt daher die Unterschiede zwischen angebots- und nachfrageinduzierter Inflation: besteht eine zu hohe Nachfrage, steigen die Preise, weil die Anbieter höhere Gewinnmargen verwirklichen können. Das geht meist mit hoher Beschäftigung und damit steigender Arbeitnehmendenmarktmacht einher, die zu einer Lohn-Preis-Spirale führt. Bei einer angebotsinduzierten Inflation dagegen gilt das Umgekehrte. Hier bricht das Angebot einer Ware zusammen, weswegen das Preisgefüge der Wirtschaft aus den Fugen gerät: die Teuerung ist dann nicht Folge eines Überhitzens der Wirtschaft, sondern von externen Schocks, und wird häufig von einer Wirtschaftskrise begleitet, in der die Arbeitnehmenden starke Reallohnverluste hinzunehmen haben.

Der Autor erklärt in Kapitel 1 auch das Problem der Statistiken: die Inflationsrate zu messen, ist gar nicht so einfach, weil es zu zahlreichen Verzerrungen kommen kann. Aktuell besonders relevant sind die Verzerrungen durch staatliche Interventionen: die Benzin- und Gaspreisbremsen etwa drückten die Inflationsrate um über einen Prozentpunkt, sorgen nun aber mit ihrem Auslaufen für einen entsprechenden Sprung nach oben. Generell haben die gestiegenen Energiepreise das Preisniveau deutlich erhöht; ob sie aber deswegen eine Inflation bedeuten, sei gar nicht so eindeutig.

In Kapitel 2 erklärt er, dass die aktuell hohen Teuerungsraten haben dementsprechend auch wenig mit der viel gefürchteten Lohn-Preis-Spirale zu tun haben. Höfgen weist nach, was ohnehin eigentlich außer Zweifel stehen sollte: die Lohnabschlüsse der Beschäftigten hinken der Inflation in den letzten zwei Jahren deutlich hinterher und führten zu massiven Kaufkraftverlusten der Beschäftigten. Als Quelle der Inflation fallen sie daher aus. Stattdessen lässt diese sich in Höfgens Erzählung eindeutig auf den Ukrainekrieg zurückführen; einen externen Schock, der zu einem massiven Anstieg der Energiepreise führte. Höfgen zeichnet nach, welche Kaskadeneffekte auf andere Preise, von Nahrungsmitteln bis zur Chemieindustrie und wieder zurück, diese Preisschocks haben, welche Auswirkungen auf wirtschaftliche Aktivität und Beschäftigung.

In diesem Zusammenhang widerlegt er auch die häufig gehörte und nicht nachweisbare Behauptung, dass die „Geldschwemme“ der Zentralbank für die Inflation verantwortlich sei. Er erläutert den Mechanismus der Geldmenge, bezweifelt aber, dass diese einen kausalen Zusammenhang mit der Inflation habe. Seine Beispiele sind grundsätzlich einleuchtend, aber vor allem überzeugen Gegenbeispiele wie Japan und die Schweiz sowie die Periode der ganzen 2010er Jahre. Warum just jetzt die Geldpolitik diesen Effekt haben sollte, haben Kritiker*innen nie überzeugend nachweisen können.

Stattdessen sieht Höfgen die Ursache für die aktuelle Inflation klar in einem externen Angebotsschock, und zwar einem doppelten: einmal die Unterbrechung der regulären Wirtschaftsaktivität durch die Corona-Pandemie und andererseits den russischen Angriffskrieg in der Ukraine (den er, sehr angenehm für einen Linken, in klarer Sprache verurteilt und nicht relativiert). Wenn erst ein solcher doppelter Schock Inflation in der Eurozone auslöst, kann die „Geldschwemme“ vorher dafür nicht verantwortlich sein, so Höfgen. In seinen Augen sind die Monentaristen widerlegt und hängen einer ideologisch überkommenen Fixierung an.

Damit wechselt er in Kapitel 3 das Thema und geht zu den „Crashpropheten“ über, die im letzten Jahrzehnt wie Pilze aus dem Boden geschossen sind und mit Ankündigungen der Katastrophe ihr Geld machen. Dass die Ansagen alle nicht eingetroffen sind, ist in diesem Genre auch kaum zu erwarten, und die Performance der Fonds, die diese Leute managen (und die man wohl eher als Betrugsmaschinen begreifen muss) passen dazu auch ins Bild.

Dazu zeichnet Höfgen die historische Realität von 1923 nach, um die Narrative der „Crashpropheten“ (und leider auch vieler Medien und Politiker*innen) mit ihren Weimarvergleichen zu entkräften. Seine Darstellung ist insgesamt korrekt, wenngleich notwendigerweise natürlich sehr grob und holzschnittsartig gefasst, aber die Einschätzung, dass die Situation nicht vergleichbar ist, ist offensichtlich richtig.

Die Relevanz der „Crashpropheten“ sieht Höfgen zusammen mit der verschobenen Erinnerung an 1923 in der Narrativbildung, die eine Panik gegenüber einer scheinbar drohenden Hyperinflation befördert, obwohl eine solche nicht in den Karten steht. Etwas ungewohnt ist der Deutungsversuch, auch die Hyperinflation 1923 vorrangig mit einem Angebotsschock erklären zu wollen. Natürlich stellen die Umstellung erst auf Kriegs- (1914) und dann Friedenswirtschaft (1919) sowie Reparationen und Rheinlandbesetzung allesamt Angebotsschocks erster Güte dar. Er unterschätzt mir da aber durchaus die Rolle der Notenpresse, die im Kaiserreich bereits zur Kriegsfinanzierung und dann in Weimar zur Friedenssicherung (in mehrerlei Hinsicht) angeworfen wurde. Dabei wären die Parallelen beziehungsweise ihr Fehlen zur heutigen „Geldschwemme“ der EZB, die einer völlig anderen Natur ist (weil sie keine reale Wirtschaftskraft ausfüllt bzw. ersetzt) eine Betrachtung wert gewesen, wenn man denn schon diesem Thema solchen Raum widmet.

Das anschließende vierte Kapitel befasst sich mit der Frage der Verteilung. Hier erreicht Höfgen die in meinen Augen größte Relevanz. Es ist die schmutzige Wahrheit jeder Inflation, dass sie nicht nur Verlierer*innen, sondern auch Profiteure kennt – je nachdem, was für eine Art Inflation auftritt. Wird sie etwa von den Löhnen getrieben, sind die Arbeitnehmenden die Profiteure. Treiben die gestiegenen Preise sie, sind es diejenigen, die die nun teurerern Produkte verkaufen. Und so weiter. Irgendjemand bekommt am Ende immer mehr Geld. Höfgen ordnet das schwankende Preisniveau in ein ständiges „Armdrücken“ zwischen den verschiedenen Interessengruppen, in denen mal die eine, mal die andere Seite die Oberhand hat.

Das ist in meinen Augen deswegen so besonders wichtig, weil die Art, wie in Deutschland über Inflation gesprochen wird, diese Dimension bewusst ausschließt. Stattdessen wurde und wird immer so getan, als ob es natürliche Teuerungsraten gebe, die alle gleich betreffen, und als ob die auf den monetaristischen Prinzipien beruhende Geldpolitik für alle die gleichen segensreichen Auswirkungen hätte. Dabei ist das aber nicht der Fall. Das bedeutet im Umkehrschluss keinesfalls, dass man Inflation als etwas Gutes sehen sollte. Höfgen lässt keinen Zweifel daran, dass sie eine zerstörerische Wirkung hat und dass ihre Effekte die Ärmeren mehr betreffen als die Reichen (weil die steigenden Preise für Güter des Grundbedarfs von wohlhabenderen Schichten aufgefangen werden können).

Er verortet die Gewinner der aktuellen Inflation recht klar: die größten Sieger sind die Energiekonzerne, deren Gewinne explodiert sind. Die allermeisten dieser Gewinne wurden im Ausland realisiert, etwa von saudischen Ölfirmen, von Gazprom und anderen Versorgern. Davon hat in Deutschland niemand etwas. Die duch den Energiepreisschock ausgelöste Inflation ist also für die Deutschen in ihrer Gesamtheit offensichtlich schlecht. Ähnlich war es auch mit der pandemiebedingten Inflation: hier profitierten etwa Amazon und Biontech massiv. Bei Letzteren wird wohl niemand etwas dagegen haben.

Das letzte, fünfte Kapitel fragt dann nach Lösungen. Zuerst reiteriert Höfgen die Machtlosigkeit der Zentralbanken. Entgegen dem monetaristischen Dogma sieht er ihren Werkzeugkasten als extrem grob und sehr eingeschränkt. Die Flurschäden (Rezession und Arbeitslosigkeit), die diese Geldpolitik anrichtet, sind gigantisch. Natürlich senkt es die Inflation, wenn die Wirtschaft in die Rezession rutscht, aber das ist nicht eben die beste Heilmethode. In einer Energiepreisinflation ist es zudem widersinnig, erst diejenigen Unternehmen zu treffen, die besonders energiearm wirtschaften; diese aber sind in einer Rezession zuerst betroffen (kleine Dienstleister, Kinos, Theater, Gaststätten etc.), und sie waren auch diejenigen, die bereits in der Coronapandemie litten.

Auch bestreitet Höfgen die Signalwirkung der Geldpolitik auf die meisten Wirtschaftsteilnehmenden. Die Idee, dass die ausgegebene Zielmarke etwa das Preisniveau im Friseurgewerbe beeinflusse, hält er nicht ganz zu Unrecht für völlig wirklichkeitsfremd. Auch dem Euro-Wechselkurs, über den die EZB quasi „über Bande“ zu spielen versucht, spricht Höfgen wegen der Vielfalt der Faktoren, die zu seiner Preisbildung beitragen und der großen Unsicherheit und Unprognostizierbarkeit keine gute Funktion zu.

Der Vorstellung Christian Lindners, sich aus der Inflation heraussparen zu können, erteilt er denn auch eine Absage, zumal der Finanzminister ohnehin nicht ehrlich arbeitet: er unterstützt schließlich durchaus große Entlastungspakete, nur eben für das eigene Klientel. Dabei hat der Staat unter eben jenem Lindner durchaus wirksame Maßnahmen gegen die Inflation getroffen, vom 9-Euro-Ticket über den Tankrabatt (von dem Höfgen übrigens, anders als viele Linke, ein großer Fan ist) hin zum Bau neuer LNG-Terminals.

In seinem Ausblick stellt Höfgen dann die Frage, wo die Reise hingeht. Er sieht die Inflation deutlich zurückgehen, sobald die Gaskrise erst vorbei ist, und stellt sogar negative Inflationsraten in Aussicht – nicht, dass das etwas Gutes wäre. Für den Fall, dass das geschehen sollte, fragt er auch nach der Reaktion der EZB. Senkt sie die Zinsen dann wieder massiv? Für den Autor zeigt das einmal mehr, dass das Mandat der EZB nicht zwischen Teuerung und Inflation unterscheide, und dass das ein zentraler Konstruktionsfehler ist. Es wird wohl kaum jemanden überraschen, dass seine Gegenrezepte, die er noch sehr kurz skizziert, einem „whatever it takes“ der Fiskalpolitik entsprechen. Nicht in der Geldpolitik, sondern in der Finanz- und Wirtschaftspolitik erwartet Höfgen die Lösung für das Inflationsproblem. Ich bin geneigt, ihm zuzustimmen (sicher ebenfalls überraschend, ich weiß).

Bleibt die Frage, für welche Zielgruppe das kurze, gut lesbare Buch gemacht ist. Zahlreiche Beispiele und die Vermeidung überkomplizierter volkswirtschaftlicher Abhandlungen machen es sehr zugänglich; die zahlreichen Metaphern wie der „Groschen im Sparstrumpf“, „Bäcker Lutze“, „knallende Sektkorken“, „auf Maloche gehen“ und andere sind zwar allesamt etwas angestaubt, aber dafür sicherlich allgemein verständlich. Wer sich bereits etwas mit der Debatte auskennt, wird hier wenig Neues finden, und wer linke Wirtschaftspolitik ohnehin als unsolide ablehnt, wird von diesem Buch sicherlich nicht bekehrt werden. Die Zielgruppe sind daher eher Menschen, die sich zum ersten Mal mit diesen Themen beschäftigen und eine Erklärung der Phänomene wollen. Die bekommen sie hier auch, sofern sie mit der grundsätzlichen Stoßrichtung leben können und keine neutrale Sicht der Dinge erwarten. Aber wo soll die auch herkommen, wenn sie nicht einmal in den VWL-Lehrbüchern existieren kann? In jedem Fall ist Höfgens Buch ein guter Beitrag im Meinungsstreit um Geld- und Fiskalpolitik, und das ist ein Bereich, der wesentlich mehr Meinungsstreit vertragen kann, als er in den letzten Jahrzehnten hatte.

{ 8 comments… add one }
  • Kning4711 6. April 2023, 09:41

    Im letzten Satz wolltest Du wahrscheinlich schreiben: „und das ist ein Bereich, der wesentlich mehr Meinungsstreit vertragen kann“ und nicht „vertraten“ 😉

  • Kirkd 6. April 2023, 11:04

    Die deutsche Debatte über Inflation ist in der Tat ideologisch vorbelastet und in hohem Masse verengt. Ich glaube aber nicht, dass Höfgen hier einen Weg aufzeigt, der aus diesem Schlamassel herausführt. Im Gegenteil, ein Problem wegreden zu wollen und möglichst viel eigene Wunschvorstellungen hineinzudrängen, ist der beste Weg, dass alles beim Alten bleibt, weil die linke Theorie im Diskurs nicht anschlussfähig ist.

    • Stefan Sasse 6. April 2023, 11:39

      Neue Ideen sind im Diskurs doch nie anschlussfähig. Der Monetarismus war auch mal ein völliges Nischenphänomen, bevor er Stück für Stück zum Mainstream wurde. Keynesianismus zuvor dito.

      • Erwin Gabriel 6. April 2023, 12:13

        Ein Problem wegreden zu wollen ist dennoch keine Lösung 🙂

        • Stefan Sasse 7. April 2023, 10:57

          Ich rede es ja nicht weg. Meine Haltung ist und bleibt, dass es im demokratischen Diskurs völlig normal für eine Minderheitenposition ist, zu versuchen, Mehrheitsposition zu werden. JEDE Position hat mal als Minderheitenposition angefangen. Das zu verweigern ist undemokratisch und normalitär.

  • Lemmy Caution 6. April 2023, 19:45

    Geldpolitik kann dazu eingesetzt werden, um den Konjunkturverlauf zu glätten. Mir ist kein Land bekannt, das über eine künstlich niedrige Zinsrate zu nennenswerten Wachstum gekommen wäre. Höffgen scheint es zu meiner Beruhigung irgendwie ähnlich zu sehen.
    Realwirtschaftlich muss dafür technologische Innovation stattfinden und die Wirtschaft wissen, die auch umzusetzen. Kühne geldpolitische moves lässt die Wirtschaft eine Weile gut geschmiert laufen, aber der Bestand an Kapital verbessert sich nicht. Die Lateinamerikanische Wirtschaftsgeschichte ist voller Episoden, in denen die Volkswirtschaften nach dem Poltikwechsel erst gut anliefen, aber dann überhitzt aus der Bahn geworfen wurden (Perón 1946-51, Alán García/Peru Ende der 80er, Salvador Allende 1970-72, etc.)
    Die Zinsrate der EZB ist mit 3,5% immer noch sehr niedrig. FED hat 5% und die Chilenische Zentralbank 11,25%. Letztere hat auch u.a. was damit zu tun, dass Schwellenländer in internationalen Krisenzeiten den natürlichen Drang zu Kapitalabflüssen irgendwie konterkarieren müssen, aus meiner Sicht übrigens ein wenig bekannter unappetitlicher Aspekt unseres globalen Finanzsystems.
    Wirklich problematische Inflationsraten stellen sich dann ein, wenn Länder ihren Haushalt nicht mehr mit normalen Steuern stemmen könnnen, weil Steuererhöhungen aus politischen Gründen nicht möglich sind. Das Land muss dann Geld drucken, um überhaupt solvent zu sein. Ein gutes Beispiel dafür ist Argentinien seit etwa 12 Jahren. Dort sind die offiziellen Steuern sowieso schon viel zu hoch. Die venezolanische Hyperinflation folgt ebenfalls dieser Dynamik.

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