Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Cult Classic ‘Fight Club’ Gets a Very Different Ending in China
Fight Club is getting an entirely different ending in a new online release in China, where imported films are often altered to show that the law enforcement, on the side of justice, always trumps the villain. […] The 1999 film by David Fincher originally ends with the Narrator (Edward Norton) killing his split personality Tyler Durden (Brad Pitt). With the female lead Marla Singer (Helena Bonham Carter), he then watches all the buildings explode outside the window and collapse, suggesting Tyler’s anarchist plan to destroy consumerism is in the works. The exact opposite happens in the edit of the same film released in China. In the version on the Chinese streaming site Tencent Video, the explosion scene has been removed. Instead, viewers are told that the state successfully busted Tyler’s plan to destroy the world. “Through the clue provided by Tyler, the police rapidly figured out the whole plan and arrested all criminals, successfully preventing the bomb from exploding,” a caption said. “After the trial, Tyler was sent to lunatic asylum receiving psychological treatment. He was discharged from the hospital in 2012.” It’s unclear if the ending was altered out of self-censorship or by government order. Tencent Video declined to comment. A source familiar with the matter said the film was edited by the copyright owner and then approved by the government before it was sold to streaming sites for distribution. (Viola Zhou, Vice)
Weitaus relevanter als die absurde Zensur des Films (leider sind solch sinnentstellende Kürzungen auch in Deutschland nicht eben unbekannt, wenngleich nicht aus politischen Gründen) ist die Selbstzensur, die das für die Produzenten hat. Der chinesische Markt ist für die Unterhaltungsindustrie ungemein wichtig und nimmt an Bedeutung nur noch zu, und vorauseilender Gehorsam gegenüber den Wünschen der chinesischen Führung findet sich leider in immer mehr Hollywoodprodukten. Und da diese kulturbildend für weite Teile der Welt sind, werden so chinesische Propagandastücke (zum Glück noch selten) verbreitet und auch nur die leiseste Kritik an China unmöglich. Das ist ein zentraler Unterschied zum Kalten Krieg, als Kritik an der Sowjetunion nicht eben ungewöhnlich war, um es milde auszudrücken.
2) Andrea Nahles wird Chefin der Bundesagentur für Arbeit
Die frühere SPD-Chefin rückt an die Spitze der Arbeitsagentur. Fachlich ist die Ex-Arbeitsministerin und Vordenkerin des Sozialstaatskonzepts eine Idealbesetzung. […] Als Chefin der Arbeitsagentur, einer Mammutbehörde mit knapp 100.000 Beschäftigten, kann Nahles nun zentrale Teile des SPD-Sozialstaatskonzepts selbst exekutieren. Das gilt etwa für die Einführung des neuen Bürgergelds, mit dem die SPD Hartz IV überwinden will und das sich inzwischen auch im Koalitionsvertrag der Ampelregierung findet. […] Das neue Führungsteam sei für alle Aufgaben bestens aufgestellt – von der Bewältigung der Coronakrise über die Gestaltung des Strukturwandels und der Transformation bis hin zur Digitalisierung und zum Fachkräftemangel, sagte die Verwaltungsratsvorsitzende Anja Piel. (Frank Specht, Handelsblatt)
Grundsätzlich, auf rein menschlicher Ebene, gönne ich Nahles die Position. Ihre Amtszeit als SPD-Vorsitzende war nicht eben glücklich, und sie hatte nicht verdient, wie das ablief. Gleichzeitig kann ich dem Handelsblatt nur zustimmen: sie ist mit Sicherheit eine der bestqualifiziertesten Ernennungen, die man sich dafür vorstellen kann. Hoffen wir, dass ihre Qualifikationen sich auch in eine gute Amtsführung übertragen.
3) Im Basar der Meinungen – über die grassierende Manie des Überzeugtseins
Ich wage eine paradoxe These: Wir festigen Meinungen gerade dadurch, dass wir sie nicht zu fest werden lassen. Das heisst, wir spielen das alte sokratische Spiel: wider das Überzeugtsein. Meinungsstreitigkeiten kranken viel zu oft daran, dass die Kombattanten ihre Meinung bereits «gemacht» haben, um damit auf die Gegner einzuprügeln. Es entsteht die Subspezies der Wut- und Kampfmeiner. Eine Meinung «haben» bedeutet dann letztlich Selbstsuspendierung vom Denken. Das sokratische Spiel verlangt hingegen nichts weiter als die radikale Bescheidenheit, unsere Meinung auf den Prüfstand zu stellen, sprich: einen solchen Prüfstand überhaupt zu akzeptieren. Das tun nicht nur die Wissenschafter, das tun alle Menschen mit Vernunft. Vernunft, nicht primär verstanden als eine individuelle Eigenschaft, sondern als eine gemeinsame Errungenschaft, als ein Metier, das tägliches intellektuelles Training verlangt. Maxime: Die eigene Meinung ist antastbar. Das Metier hat eine lange, aber prekäre Tradition. Sie verkümmert im Basar zusehends. Und mit ihr ein robuster Meinungskonsens, der Boden der Res publica. Denn wohin man blickt: manisch Überzeugte allenthalben. (Eduard Kaeser, NZZ)
Das „sokratische Spiel“ in allen Ehren, aber der Artikel geht von einer schwerwiegenden Fehleinschätzung aus: dass das je anders gewesen sei. Dass eine Verkümmerung „zusehends“ geschehe, ist ein Irrtum. Da ist nichts zu Verkümmern. Ich darf Kaeser an dieser Stelle daran erinnern, wie das „sokratische Spiel“ für seinen Erfinder ausging: die Athener hatten die Faxen dicke und zwangen Sokrates, den Schirlingsbecher zu trinken. Weder vor 2500 Jahren noch vor 25 Jahren gab es irgendeine wie auch immer geartete Mehrheit, die bereit gewesen wäre, die eigene Meinung stets als antastbar zu betrachten. Selbst wir hier im Blog, die dieses „tägliche intellektuelle Training“ bereitwillig betreibt, schaffen das ja nicht, und ich lehne mich nicht aus dem Fenster zu sagen, dass wir da schon echt eher zur Spitze der Gesellschaft gehören, was diese Bereitschaft angeht. Das heißt nicht, dass wir es nicht trotzdem ständig tun und andere dazu anhalten sollten, aber let’s not kid ourselves, die meisten werden das nicht machen, und wir werden vermutlich nie erfolgreich damit sein. Wir kämpfen da gegen unsere eigene Psyche an.
4) Die Einführung einer Impfpflicht wäre ein kommunikatives Scheitern
Die Einführung einer Impflicht wäre ein denkwürdiges politisches Scheitern. Nicht, weil sie zur Überwindung der Pandemie ungeeignet wäre. Womöglich ist sie dafür am Ende sogar das letzte realpolitische Mittel. Das Scheitern bestünde darin, dass das parteiübergreifende Ziel, eine ausreichende Impfquote durch Überzeugung zu erreichen, verfehlt wurde. […] [S]ie waren nicht von vornerein festgelegt, man hat sie aber offenbar auf den entscheidenden Etappen der Meinungsbildung nicht erreicht. Und nun sind sie mehrheitlich nicht mehr zum Umdenken zu bewegen. Ihr Misstrauen wird auch mit weiteren Plakaten oder Social-Media-Bildern nicht zu überwinden sein, zumal wenn sie so emotionslos wie in der neuen Regierungskampagne für das Impfen daherkommen. […] Und tatsächlich steht ja mit der Klimaneutralität die nächste Mammutaufgabe bereits auf dem Plan. Auch Energiewende und Dekarbonisierung greifen tief in die Lebenswelt der Menschen ein. Wenn das Ziel für die Stromquote der erneuerbaren Energiequellen – 80 Prozent bis 2030 – nicht so krachend wie das Ziel für die Impfquote scheitern soll, muss die Politik aus dem kommunikativen Versagen der Impfkampagne ihre Lehren ziehen. (Johannes Hillje, Tagesspiegel)
Keine Notwendigkeit zum Konjunktiv: die Einführung der Impfpflicht, allein die Debatte darum, IST Eingeständnis eines offensichtlichen kommunikativen Scheiterns. Denn dass immer noch nur rund 70% der Bevölkerung geimpft sind, ohne dass Aussicht bestünde diesen Wert noch signifikant zu steigern, ist eigentlich DAS Scheitern der Pandemie, zumindest was Kommunikation angeht. Und auf dem Feld der Kommunikation ist echt viel gescheitert.
Was mich so nachhaltig entsetzt ist das fehlende Wissen über grundsätzliche Zusammenhänge in der Bevölkerung. WARUM Masken getragen werden sollen, WARUM Impfungen eigentlich vor dem Virus schützen, WARUM soziale Distanzierungsmaßnahmen die Ansteckungsgefahr reduzieren ist vielen unbekannt. Was bekannt ist, sind die Regeln (wenn überhaupt). Ihr Sinn ist es meist nicht. Auch das ist ein kommunikatives Versagen von geradezu epischer Breite.
Siehe zum Thema übrigens auch dieser Thread.
5) Mit der Putinbrille auf der Nase sieht die Welt ganz anders aus
Wie wenig an Putins Schutzbehauptungen inhaltlich dran ist, habe ich ja schon in einem Artikel erklärt. Was ich so auffällig an der Kommunikationsstrategie des Kreml finde ist, neben der Tatsache, dass es hervorragend funktioniert, wie diese Strategie der Inszenierung als Opfer gegen alle Kontrolle immunisiert. Da werden die glattesten Lügen erzählt, aber wenn man den Erzählenden damit konfrontiert, ist das für den nur eine weitere Gelegenheit, sich in die Opferrolle zu werfen. So immunisiert man sich in einem tautologischen Kreislauf. Das funktioniert für Putin genauso wie für die Republicans.
6) «Christian Lindner könnte eine Art postfaktische Politik verfolgen» (Interview mit Adam Tooze)
Sie befürchten, dass Lindner in einer Krise wie etwa der zu Beginn der Pandemie die EU mit Spardiktaten in den Abgrund manövrieren könnte?
Nicht nur in der Krise. Die heutigen Systemprobleme des Kapitalismus sind für Leute wie Lindner schwer zu verdauen: 60 Prozent der Europäer:innen leben in Ländern, deren öffentliche Schuld 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übertrifft. Das heisst, die Maastrichter Kriterien, die ein Maximum von 60 Prozent erlauben, sind nicht mehr relevant. Natürlich können sich Konservative ihre Fantasiewelt zusammenbasteln, in der diese Regeln bald wieder eingehalten werden, aber das sind kindliche Vorstellungen – viele Länder werden diese Kriterien nie erfüllen. Italiens Schuldenquote beträgt rund 155 Prozent! Wir müssen uns von der Vergangenheit verabschieden und uns der Realität stellen. Die Frage ist: Was machen wir damit?Was ist denn Ihre Antwort?
Mir macht Angst, dass Lindner und seine Leute eine Art postfaktische Politik verfolgen könnten, indem sie die Einhaltung der Maastrichter Kriterien durchzusetzen versuchen. Sie sollten stattdessen den Mut haben, ihrer Klientel zu sagen: «Leute, es tut uns leid, aber damit ist es nun vorbei.» Wir sind nicht mehr in den sechziger Jahren, als man den angeblich zeitlosen Prinzipien des deutschen Ordoliberalismus folgen konnte. Meine Furcht ist, dass sich die deutsche FPD zu Hause flexibel zeigt und dafür eine umso härtere Linie in der EU verfolgt: Im Scheinwerferlicht der EU wird man gezwungen, sich mit einer klaren Linie zu profilieren. Aber ich wäre erfreut, wenn sich unsere Befürchtungen nicht bewahrheiten. Lindners erster Auftritt in Brüssel am Montag lässt alles offen. Die Debatte wird erst nach den französischen Wahlen richtig losgehen. (Yves Wegelin, WOZ)
Für mich ist Lindner eine Gefahr und eine Chance zugleich. Die Gefahr sehe ich ähnlich wie Tooze: dass er sich aus rein parteipolitischen Motiven gezwungen sehen könnte, eine schädliche Politik zu fahren, um die Ideolog*innen der eigenen Basis und Wählendenschaft zu beruhigen. Das ist in jeder politischen Situation immer eine Gefahr, und wir sehen die Auswirkungen in der Außenpolitik ja gerade beispielsweise bei der SPD, oder in der Energiepolitik bei den Grünen.
Auf der anderen Seite ist da aber auch immer eine Chance, ganz getreut dem Motto „Only Nixon can go to China“. Vielleicht ist es gerade die Rückendeckung, die Lindner als des Linken eher unverdächtige Person (auch wenn die CDU massiv an dieser Wahrnehmung zu schrauben versucht, Stichwort „links-gelb“) genießt, die es ihm ermöglicht, Deutschland aus der finanzpolitischen Sackgasse zu befreien, in die es sich gefahren hat. Wir werden sehen.
7) Das erschreckende Geständnis des Karl Lauterbach
Der Bundesgesundheitsminister hatte schon in einem Interview mit der „FAZ“ seine fehlende Unterrichtung durch das RKI eingestanden. Er gab jetzt bei Frau Illner interessante Einblicke in seine Arbeitsweise. So habe man im Ministerium über die Quarantäne-Verordnungen gesprochen. Parallel sei „auf Arbeitsebene eine Diskussion” gelaufen, für wie lange jemand als genesen gelte. Er habe gedacht, „das wäre noch nicht abgeschlossen” und werde „dann später entschieden” und sei „dann doch an diesem Abend entschieden worden”. Auf einer anderen Arbeitsebene war zur gleichen Zeit in der EU beschlossen worden, sich auf eine sechsmonatigen Genesenenstatus zu verständigen. Für Lauterbach war das eine „andere Baustelle”, weil es um die Reisevoraussetzungen in der EU gegangen sei. Diese vielen Arbeitsebenen und Baustellen sind wirklich verwirrend. So funktioniert wissenschaftliche Beratung in unserem System öffentlicher Gesundheitsfürsorge: Auf Arbeitsebene diskutieren irgendwelche Leute über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, teilen die dem Minister nicht mit und anschließend wird jemand aus dem Bordrestaurant geworfen. […] So war diese Sendung ein Beleg dafür, was bei uns unter öffentliche Gesundheitsfürsorge zu verstehen ist: ein Sammelsurium mit aus der Hüfte geschossenen Maßnahmen auf Grundlage nicht vorhandener Daten. In Großbritannien, Dänemark, Norwegen oder Schweden ist das anders. Dort ist die öffentliche Gesundheitsfürsorge auf Arbeitsebene in professionellen Händen. Genau deshalb brauchen wir auch im Gegensatz zu diesen Ländern die Impfpflicht: als letzten Ausweg der Amateure. (Frank Lübberding, FAZ)
Frank und ich haben grundsätzlich entgegengesetzte Ansichten zur Gefährlichkeit der Pandemie und der richtigen Strategie sie zu bekämpfen, aber in der Kritik dessen, was die Bundesregierung fabriziert (ob Merkel IV oder Scholz I) kommen wir problemlos zusammen. Und da werfe mal jemand der Politik vor, sie spalte die Gesellschaft! Aber Scherz beiseite. Wie in Fundstück 4 schon angesprochen haben wir es mit zahlreichen Fehlschlägen der Politik zu tun, und dieses überlappende Kompetenzchaos gehört mit Sicherheit dazu und trägt das seinige zu dem kommunikativen Dauerdesaster bei.
8) Spotify says it will put a content advisory on podcasts that talk about COVID-19
After doctors, scientists, health-care professionals, professors, and musicians raised concerns over COVID-19 misinformation running rampant on Spotify podcasts, the streaming service announced it will now add a content advisory to podcasts that discuss the virus. „To our knowledge, this content advisory is the first of its kind by any major podcast platform,“ Spotify said on Sunday, adding that the global rollout will start within the next few days. The advisory will link to a hub containing facts on COVID-19, information from reputable doctors and scientists, and links to additional resources. Earlier this month, 270 experts signed an open letter to Spotify, criticizing misinformation being shared on The Joe Rogan Experience, the platform’s most popular podcast. The letter specifically referred to a December episode with virologist Robert Malone, who spread vaccine misinformation and false conspiracy theories, including that people only believe vaccines work because of „mass formation psychosis.“ The experts asked Spotify to „establish a clear and public policy to moderate misinformation on its platform.“ (Catherine Garcia, The Week)
Wenn man ein Paradebeispiel sucht, wie man Pandemiekommunikation verkacken kann, dann hätte man das hier. Die Feigheit von Spotify gegenüber einem High-Performer wie Rogan führt zu der irren Folge, dass die gleiche „Content-Warnung“ neben verschwörungstheoretischen Podcasts wie dem von Rogan und dem Coronavirus-Update des NDR steht. Klar, Spotify kann natürlich auf seine „Links zu einem Hub mit Fakten“ verweisen, aber die Botschaft ist das katastrophale „such dir selbst aus, was wahr ist“, das die Querdenker-Szene überhaupt erst so groß gemacht hat. Wenn alle Informationen dieselbe Content-Warnung haben, dann kann ich mir endgültig aussuchen, an was ich glaube.
9) Kretschmanns Corona-Kurs löst Erstaunen in der Wirtschaft aus
„Mögliche Lockerungen der Corona-Maßnahmen oder zumindest Überlegungen dazu dürfen nicht einfach durch Vorfestlegungen ausgeschlossen werden“, sagte Dick. Mit einer solchen Vorgehensweise gerate das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zunehmend ins Wanken. „Die künftigen Schritte in der Corona-Politik müssen auch weiterhin vom Infektionsgeschehen und hier insbesondere von der Hospitalisierungsinzidenz abhängig gemacht werden“, forderte Dick. Im Verband sind Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie organisiert, unter anderen die Branchen Fahrzeugbau und Maschinenbau. Der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), Wolfgang Grenke, sagte, die Festlegungen Kretschmanns seien für Unternehmen schwer nachzuvollziehen. „Viele Betriebe sind mittlerweile existenziell bedroht, unsere Innenstädte drohen im Rekordtempo zu veröden“, erklärte Grenke. Es sei nicht mehr möglich, weiter auf Sicht zu fahren. Die betroffenen Branchen bräuchten „ein klares Signal, was ab Frühjahr wieder möglich sein wird.“ (red, Stuttgarter Zeitung)
Ja, Sherlock, das Problem ist, dass keiner das weiß. Klar ist Unsicherheit Gift für die Wirtschaft. Unsicherheit ist Gift für alle. Unsicherheit macht krank. Leider ist das Wesen der Pandemie Unsicherheit. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was passieren wird. Keiner. Das ist die Natur der Sache. Entsprechend kann die Politik auch niemandem sagen, ob im Frühjahr wieder alles gut wird. Weil es keiner weiß. Alle wetten nur auf die Zukunft. Kretschmann wettet darauf, dass es bis Ostern kein Verschwinden der hohen Inzidenzen geben wird. Ich wüsste auch nicht, woher eine solche Hoffnung kommen sollte. Andere wetten darauf, dass schon alles gut gehen wird. Kann man auch machen. Aber es bleibt eine Wette. WISSEN tut niemand was.
10) The Problem with „Good Republican“ Candidates Is That They Answer to Bad Republican Voters
If you were hoping for green shoots from the Republican party, McCormick is exactly the kind of candidate you’d want. He’s smart. He’s a grown up. He’s not an insurrectionist. He’s the kind of candidate you would expect from a healthy, pro-democracy GOP. But here’s the problem: In order to be a viable candidate in that party, McCormick has to hide all of this stuff. Which demonstrates yet again that the foundational problem in American politics isn’t “the Republican party.” It’s Republican voters. You can have as many David McCormicks as you like. But if Republican voters demand that they act like insurrectionists, then at best they’ll be anti-anti-insurrection. Why did Lindsey Graham and Tim Scott and Mike Lee and all of those “serious” Republicans become Trump collaborators? It wasn’t because they wanted to, or because they believed Trump’s garbage. (Jonathan Last, Bulwark)
In Demokratien läuft die politische Willensbildung immer in zwei Richtungen: oben nach unten wie unten nach oben. Gerade letzterer Zusammenhang wird generell zu wenig gesehen. Die Politik ist in hohem Maße responsiv gegenüber der stets schwankenden Stimmungslage, auch wenn das gerne verleugnet wird (warum auch immer). Man sieht das immer wieder. Gerade Merkel war Meisterin darin, wie ein Seismograph diese Veränderungen zu spüren und nachzuvollziehen; allein, manchmal war die Schizophrenie dabei dann doch zuviel des Guten (Stichwort Flüchtlingskrise 2015/16).
So ist es auch hier: die Republicans haben lange Zeit ihre eigene Basis radikalisiert, aber das ist ein Prozess, den sie nicht mehr aufhalten können. Der letzte diesbezügliche Versuch war Mitt Romney und die folgende Autopsie 2013, seither dreht das effektiv frei und wirkt weiter. Deswegen ist auch dieser „Trump slaying Republican“ (siehe letztes Vermischtes) so ein Mythos; kein*e Politiker*in kann Macht gewinnen UND sich gegen die eigene Wählendenschaft stellen.
11) Schluss mit der Lückenstopferei!
Deren Zahl ging zuletzt sogar noch zurück, obwohl die Länder seit Jahren mit einem immer krasseren Lehrermangel kämpfen und selbst alle Seiten- und Quereinsteiger nicht mehr reichen. Klar ist auch: Einfach mehr Studienplätze, die bitter nötig sind und bislang nur teilweise eingerichtet wurden, werden es nicht richten. Weil es erstens rund sieben Jahre dauert, bis aus einer Studienanfängerin eine fertige Lehrerin wird. Weil es zweitens wenig bringt, wenn sich zum Beispiel mehr Abiturienten für Deutsch auf Gymnasial-Lehramt einschreiben, dann aber vor allem Mathe- oder Informatiklehrer an Sekundarschulen gebraucht werden. Die entscheidenden Fragen lauten: Wie kann es gelingen, mehr technik-, zahlen- und naturwissenschaftsaffine junge Menschen für den Lehrerberuf zu begeistern? Und wie können sie schneller in den Schulen ankommen? Das mit der Begeisterung wird nur gelingen, wenn aus dem Gerede über mehr Geld für Schulen etwas folgt, wenn die Länder (und der Bund!) endlich massiv und flächendeckend in die Gebäude, Ausstattung und didaktische Konzepte an den Schulen investieren. Wenn sie nicht nur vakante Lehrerstellen verwalten, sondern parallel Sozialarbeiter einstellen, Systemadministratoren und Verwaltungskräfte. Symbole eines bildungspolitischen Aufbruchs statt der immer gleichen Katerstimmung. Andernfalls werden viele hochqualifizierte Studienanfänger weiter einen Bogen um das Lehramt machen – erst recht, wenn künftigen MINT-Absolventen anderswo der rote Teppich ausgerollt wird. (Jan-Martin Wiarda)
Korrekt, nur halte ich für es nicht möglich, MINT-Lehrkräfte besser zu bezahlen. Eine solche Ungleichbehandlung mag zwar marktwirtschaftlich sinnig sein (Angebot <–> Nachfrage), aber in diesem System nicht funktionieren. Es kann allerdings bei den Studienvoraussetzungen angesetzt werden, um nur ein Beispiel zu nennen (das Lehramtsstudium gehört eh reformiert). Eine andere Problemquelle wird im Artikel ja schon angesprochen: die Arbeitsbedingungen. Ich habe darüber auch schon ausführlich geschrieben. Es sind einfach massive Nachteile mit dem Beruf verknüpft, egal wie sehr neidzerfressene Kritiker*innen auch immer auf dem angeblichen Schlaraffenland herumreiten.
Letztlich sind die Leute, die von MINT angezogen werden, überdurchschnittlich nicht diejenigen, die vom Lehramt angezogen werden. Eventuell muss also das Pferd von hinten aufgesattelt werden und man muss Leute, die sich zum Lehramt hingezogen fühlen zu MINT bringen (Berg und Prophet, ihr wisst schon). Keine Ahnung wie, aber das würde das Grundproblem effektiver angehen. Gute Lehrkräfte sind wichtiger als gute Mathematiker*innen, besonders wenn man das geforderte fachliche Niveau bedenkt. Idealerweise hat man natürlich beides, aber in der aktuellen Mangelsituation scheint mir das immer selbe Anrennen gegen die immer selbe Wand wenig zielführend.
11) Kann man das Dogma, dass alle Fächer gleichwertig sind (Physik – Religionslehre) wirklich nicht hinterfragen? Vor allem, wenn der Gesellschaft als Ganzes massive Nachteile erwachsen, wenn die Bildung in den MINT-Fächern krankt. Und die Bezahlung ist in Konkurrenz zu Wirtschaft und Wissenschaft schon ein Faktor.
Fragt einer, der von einer solchen Differenzierung ganz sicher nicht profitieren würde.
Kann man schon. Aber mal ernsthaft, wie realistisch ist a) die Umsetzung politisch und b) die Umsetzung pragmatisch? Was glaubst du was in den Schulen abgeht wenn plötzlich Leute wesentlich besseren Status haben, nur weil sie Mangelfächer studiert haben, obwohl ihre Leistung nicht höher ist? Das ist ein Kernproblem.
Zu 11
Das Kind ist ja schon in den Brunnen gefallen. Der Lehrmangel ist da und die Auswirkungen spürbar. Ich glaube die Politik muss sich da ehrlich machen und eingestehen, dass man gescheitert ist.
Was es braucht ist eine Runderneuerung des Schulsystems. Dafür aber braucht es einen sehr langen Atem, da es min. eine ganze Schülergeneration brauchen wird, bis die Veränderung wirkt. Wo die politische Gestaltungskraft dafür herkommen soll ist mir ein Rätsel, denn ich erlebe unsere Politik als Kinder und Jugendlichen feindlich.
Lese ich aber Artikel über bspw. dass finnische Bildungssystem vgl. https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/finnland-eine-lehrerausbildung-der-anderen-art/
bin ich um so wütender, weil es nämlich deutlich besser gehen könnte.
Die Argumentation ist mir unklar. „Reformen sind sinnlos, weil das Problem akut und die Lösung zu langfristig wäre, deswegen brauchen wir eine noch langfristigere Lösung“? Und schlagt es euch aus dem Kopf, es wird keine Komplettreform des Schulsystems geben, weil kein System je komplett reformiert wird.
Ja, da habe ich mich verheddert.
Was ich sagen wollte ist:
Wir können natürlich an diesem Schulsystem weiter herumreformieren. Hat man bereits in den vergangenen Jahrzehnten versucht. Ergebnis: Das Schulsystem behindert weiterhin den Aufstieg von Kindern aus sozial schwachen Haushalten. Gleichsam wird die Bildungsqualität schlechter, weil man, wie schon erwähnt mit Quereinsteigern, Überfüllten Klassen und Festhalten an überkommenden Prinzipien (bspw. Fixierung auf Prüfungen, Noten über alles, Grundschule nur bis Klasse 4) eine Mangelverwaltung.
Wie, wenn nicht radikalen Reformen, will man da den gordischen Knoten druchbrechen. Der Job scheint jetzt nicht mega attraktiv zu sein. Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit bis auch die Mittelschicht sich ins private flüchtet und dann werden auch die engagierte Lehrkräfte folgen. Zumindest eine breite Reformdebatte gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse und internationale Erfahrungen, sollte die KMK doch mal anschieben können.
Mein Punkt ist nur der, eine Reform wird (analog Rente) so schwierig sein, da der Erfolg sich erst nach Ablauf von mindestens zwei Legislaturperioden einstellen. Wenn es da keinen übergreifenden Kompromiss gibt, bleibt die Reform Stückwerk.
Ich halte es für eine Fehlwahrnehmung, das werde schlechter. Das Schulsystem ist besser geworden, und die Probleme wurden alle besser. Wir nehmen sie inzwischen nur überhaupt als Probleme wahr. Das ist das Thema.
Angesichts der miesen Bezahlung an Privatschulen sehe ich keinen Trend zur Flucht aus dem öffentlichen Schulsystem. Und die öffentlichen Schulen sind in Deutschland von sehr guter Qualität. Verwechsle das nicht mit UK oder USA.
Deswegen: klar gibt es viele Problembereiche. Klar kann man viel verbessern. Aber es nicht so, als wäre der Unterbau komplett nutzlos.
6) Ich würde vorschlagen, dass es jetzt gut ist mit „only Nixon could go to China“. Ein reichlich weit hergeholter Vergleich, der inzwischen dermassen überstrapaziert ist, dass er nur noch nervt.
In der Sache stimme ich zu: es könnte eine Situation sein, in der es hilfreich ist, wenn ein wirtschaftsliberaler das Eingeständnis macht, dass Schuldenreduktion nicht der heilige Gral der Wirtschaftspolitik sein muss.
Es ist halt einfach wahr. Die eigene Seite kann leichter gegen ihre eigene Orthodoxie verstoßen als der Gegner.
Leider ist das Wesen der Pandemie Unsicherheit. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was passieren wird. Keiner. Das ist die Natur der Sache. Entsprechend kann die Politik auch niemandem sagen, ob im Frühjahr wieder alles gut wird. Weil es keiner weiß.
Der Peak der Durchseuchung wird Mitte Februar erwartet. Mit Beginn der Saisonalität spätestens April wird Corona verschwinden. Lauterbauch will eine Zwischenwelle verhindern. Ob das gelingt, ist noch fraglich.
(Impfpflicht)
„Was bekannt ist, sind die Regeln (wenn überhaupt). Ihr Sinn ist es meist nicht. Auch das ist ein kommunikatives Versagen von geradezu epischer Breite.“
Ist es das? Eine andere Erklärungsmöglichkeit wäre, dass viele Menschen einfach gaga sind und Wissenschaft nicht begriffen haben.
Hast Du schon mal versucht, einen Verschwörungstheoretiker zu überzeugen? *Es* *geht* *nicht*. Das heißt aber keinesfalls, dass das ein „kommunikatives Desaster“ ist, sondern dass der Verschwörungstheoretiker sich ganz einfach von der Realität abgekoppelt hat.
Klar, du kannst es damit erklären, dass 25-30% der Menschen einfach zu doof sind, aber…nicht mein Ansatz.
Sagen wir: vielleicht 10-15 %.
Ein Impfarzt sagte mir im Oktober, dass die meisten Erstimpfer Migranten seien, denen einfach muttersprachliche Informationen fehlten und die daher die Dringlichkeit der Lage nicht korrekt einschätzen konnten. Also keinesfalls Gaga-Querdenker.
Das kann man natürlich durchaus als „kommunikative Katastrophe“ deuten. Aber ich nehme an, das waren nicht unbedingt die Leute, die Du oben im Sinn hattest.
Ne, da hast sicher Recht. Auch da wurde sehr viel verpasst.
2) Andrea Nahles wird Chefin der Bundesagentur für Arbeit
Die Andrea Nahles, die sich bei ihren großen Projekten katastrophal verrechnet hat. Bei der Projektion der Kosten für die Gesetzliche Rentenversicherung endete ihr Planungshorizont beharrlich mit dem Jahr 2025, so als wüsste sie nichts über die Bevölkerungsentwicklung in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts. Es ist der kürzeste Planungshorizont ever seit es dieses Tool gibt.
Mit der Rente mit 63 konzipierte sie nicht nur ein Instrument, das zielsicher die gemeinten Zielgruppen verfehlte, sondern bei dem sie die Inanspruchnahme und Kosten völlig unterschätzte und den Beitragszahlern eine Bombe ins Körbchen legte. Wollen wir hoffen, dass dieses Amtsversagen nur Zufälle waren.
4) Die Einführung einer Impfpflicht wäre ein kommunikatives Scheitern
Es gibt wohl keine westliche Demokratie, in der die Gesellschaft nicht so brav jedem Unsinn folgte, den Politik und Bürokratie verzapften. In Baden-Württemberg werden jetzt fleißig FFP2-Masken getragen. Bringen zwar nichts, aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gezeigt, was für ein harter Hund er ist.
Warum Impfungen eigentlich vor dem Virus schützen
Das scheinen in der Tat nur wenige zu wissen, am wenigsten die Impfpflicht-Befürworter. Denn die Vakzine schützen derzeit weder vor Ansteckung noch Übertragung.
Ich weiß nicht, welches Baden-Württemberg du meinst, aber in dem in dem ich lebe wird nix „brav“ umgesetzt und FFP2 ist bei weitem nicht Standard .
Du willst doch nicht sagen, dass Dein Ministerpräsident Maßnahmen verhängt hat, denen viele nicht folgen?
Doch klar. Wann war denn das je anders?
6) «Christian Lindner könnte eine Art postfaktische Politik verfolgen» (Interview mit Adam Tooze)
In einer Zeit, wo Superkluge genau hinschauen, ob ein sich äußernder Wissenschaftler Virologe oder Epidemologe ist und wie oft er zu einem Thema publiziert hat, scheinst Du einen Narren an einem Historiker gefressen zu haben.
Adam Tooze hat sein wirtschaftstheoretisches Wissen anscheinend an Mickey Mouse-Heften, wenn er behauptet, Inflation sei ja nichts anderes als eine maßvolle Steuer auf Vermögen. Dagobert Duck aus Entenhausen steht für dieses Bild offensichtlich Pate, er sein Geld in einem riesigen Speicher aufbewahrte.
Das hat schon Ewigkeiten nichts mehr mit der Realität zu tun. Je vermögender, desto höher der Anteil von inflationsgesicherten Sachwerten. Entsprechend stöhnen die unteren Einkommensgruppen, die über wenig inflationsgesicherte Sachwerte verfügen und dafür von Preissteigerungen hart getroffen werden.
Den logischen Widerspruch der Transferfreunde in der EU können sie selbst nicht auflösen. Einerseits behaupten sie, hohe Staatsschulden seien kein Problem. Andererseits wollen sie, dass Deutschland hohe Transfers in solche Länder mit hohen Staatsschulden leistet, weil diese als Staaten nur beschränkt handlungsfähig seien.
Wir befinden uns im Jahr 14 nach der globalen Finanzkrise. In dieser Zeit sind die weltweiten Staatsschulden ungebremst weiter angewachsen, ja, in vielen Staaten erlebten sie durch die Niedrigzinspolitik der Notenbanken einen regelrechten Push. Das Gegenteil des angeblich gewollten – erleichterter Schuldenabbau – ist eingetreten. Deutschland stützt heute die europäischen Staatsschulden mit seiner Bonität. Außer Berlin besitzt nur Luxemburg noch das beste Rating, das über das Zinsniveau der Staatsschulden entscheidet. Die Bonität gründet auf der maßvollen Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Genau diese Bonität soll Deutschland nun ruinieren.
Oconomics for Dummies.
Stefan Pietsch 3. Februar 2022, 10:58
6) «Christian Lindner könnte eine Art postfaktische Politik verfolgen» (Interview mit Adam Tooze)
Je vermögender, desto höher der Anteil von inflationsgesicherten Sachwerten. Entsprechend stöhnen die unteren Einkommensgruppen, die über wenig inflationsgesicherte Sachwerte verfügen und dafür von Preissteigerungen hart getroffen werden.
…
Einerseits behaupten sie, hohe Staatsschulden seien kein Problem. Andererseits wollen sie, dass Deutschland hohe Transfers in solche Länder mit hohen Staatsschulden leistet, weil diese als Staaten nur beschränkt handlungsfähig seien.
Zustimmung komplett.
Frage an den anderen Stefan: Sind solche Zusammenhänge nicht einleuchtend?
„Wir befinden uns im Jahr 14 nach der globalen Finanzkrise. In dieser Zeit sind die weltweiten Staatsschulden ungebremst weiter angewachsen, ja, in vielen Staaten erlebten sie durch die Niedrigzinspolitik der Notenbanken einen regelrechten Push“
In der Tat, der Wahnsinn hat Methode. Moderne Haushaltspolitiker sind wie Leute, die das Loch in der ihrer Badewanne dadurch stopfen, dass sie immer mehr Wasser reinkippen. Dass man dadurch am eigentlichen Problem nichts ändert, kommt ihnen nicht in den Kopf.
Insbesondere die EU ist in wenigen Jahren komplett auf den französischen Ansatz der Wirtschaftssteuerung umgestiegen. War da mal was mit „Lissabon-Ziel“?
Adam Tooze ist der, von dem Sasse in einer fast begeisterten Buchbesprechung berichtet, er sei fantastisch, weil er mit dem Mythos aufgeräumt habe, Deutschland sein vor dem Zweiten Weltkrieg ein hochentwickelter Industriestaat gewesen.
Fakt: Deutschland war vor dem Zweiten Weltkrieg nach absolut allen gängigen Kriterien ein hochentwickelter Industriestaat – und das schon seit mindestens 1890. Das ist alles, was man über den Kasper wissen muss.
Gruss,
Thorsten Haupts
Widerspricht so allen Daten.
Zwischen 1920 und 1930 stieg das Bruttonationaleinkommen von den westlichen Ländern in Deutschland am stärksten. In dieser Phase konnte man sich wieder der Entwicklung in Großbritannien annähern. Die These, Deutschland sei damals ein rückständiges Land gewesen, ist aus wirtschaftshistorischer Sicht nicht zu halten.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/250066/umfrage/bip-pro-kopf-in-ausgewaehlten-laendern-weltweit/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1064910/umfrage/entwicklung-des-bruttonationaleinkommen-je-einwohner-weimarer-republik/
Ich bin sicher, deine Googlesuche nach den Statistiken ist zuverlässiger als die jahrelange Forschung eines studierten Geschichtswissenschaftlers. Die im Übrigen keine Einzelmeinung ist.
Interessante Position: Wissen richtet sich nach der Dauer der Ausbildung und der (hoffentlich großen) Menge an Angelernten, nicht Angewendeten. Komisch, Du erzählst hier regelmäßig das Gegenteil. Aber jetzt verstehe ich auch Deine Vorliebe für Politiker, die nach 15 Jahren Studium aufhören, ohne Abschlussprüfung. Wird ja total überschätzt. 😉 Ich gehe davon aus, Du wirst Dich das nächste Mal trollen, wenn ich Dir ob Deiner ökonomischen Wissensverbreitung einfach über den Mund fahre. Das muss reichen.
In meinem Wirtschaftsstudium habe ich das noch anders gelernt. Das hatte, zumindest in den Achtziger-/ Neunzigerjahren, noch einen Geschichtsteil. Kann sein, dass man uns da was vom Pferd erzählt hat, das kann natürlich nicht mit der Intensität der Geschichtswissenschaftler mithalten. Aber die Zwanziger waren die Jahre, wo in Deutschland große Konzerne entstanden und boomten, meist ein gutes Zeichen für Wohlstand und Prosperität. Doch was wissen wir Ökonomen.
Die jetzt mal schnell zusammengegoogelten Zahlen passen ins Bild. Dabei habe ich nicht eingegeben „Fake Daten, die Wohlstand in Deutschland Zwanzigerjahre suggerieren sollen“.
Das passt ins Bild des von mir Gelernten. Allerdings, vielleicht sollte ich es machen wie auf dem Job, in der Teamsitzung.
ICH: Das neue Produkt entwickelt sich hervorragend. Wir liegen völlig über Plan.
Mitarbeiter: Bisher zeigen die Umsatzzahlen aber eine sehr maue Entwicklung. Wir haben bisher kaum etwas verkauft.
ICH: Unsinn, ich kenne die Zahlen besser. Und wir beide unterhalten uns nachher noch einmal unter vier Augen.
Mein CEO sagt dann manchmal, ich müsste mit meinem Wissen solche abweichenden Meinungen einordnen. Nach dem Motto „Wie passen die bisher niedrigen Umsatzzahlen zu unserer Erwartungshaltung. Aber der Kerl hat einfach keine Ahnung. Von Menschenführung ohnehin nicht.
Also, für einen Studierten hältst Du Dich sehr knapp und in Deiner Wissensvermittlung eher wie ein Grundschullehrer. 2+2 ist 4. Ist so, setzen.
@ Stefan Pietsch 4. Februar 2022, 09:09
Also, für einen Studierten hältst Du Dich sehr knapp und in Deiner Wissensvermittlung eher wie ein Grundschullehrer. 2+2 ist 4. Ist so, setzen.
Mag ja schön sein, sich ständig überlegen zu fühlen. Aber ehrlich, so etwas nervt, und ist auch DEUTLICH über ‚lustig‘ hinaus. Das kannst Du deutlich besser.
Ist so, setzen.
Also, meine Bitte: Höre also auf Deinen CEO, und versuche das nächste Mal, einordnend und sachlich zu antworten statt derart arrogant.
Du glaubst doch nicht, dass die Geschichte echt ist, oder? 😉
Die Kunst des Überlegenen ist, sie die anderen nicht spüren zu lassen. Ich kann Menschen nicht führen, wenn ich ihnen dauernd sage, ich wäre besser. Das stellt sich im Verlauf heraus, nicht durch Angabe.
Stefan kennt sich zweifellos hervorragend in Geschichte aus, alles andere wäre auch sehr verwunderlich. Leider blitzt manchmal hervor, was alles angelesen ist. Da fehlen aber die Komponenten Erfahrung, Erleben und Umstände analysieren.
Ein Beispiel aus unserer deutschen Geschichte ist sein Kanzlerranking. Zu Helmut Kohl schrieb er, seine Steuerreform von 1989 habe die Staatsfinanzen über Jahre ruiniert. Das ist mit den eigenen Zahlen des Bundesfinanzministeriums nicht haltbar. Woher hat er also dieses „Wissen“? Anscheinend stand es mal in einem Buch, das er so gelesen hat. Aber anscheinend war der Autor voreingenommen und hat sich, ähnlich wie bei der Buchbesprechung neulich über die amerikanischen Gotteskrieger nicht mit dem Untersuchungsgegenstand auseinandergesetzt. Und wäre Stefan älter (was nicht sein Verschulden ist), dann wüsste er aus eigenem Erleben, dass durch die Wiedervereinigung der Boom der Endachtzigerjahre in Deutschland eine Verlängerung erfuhr. Die Staatsfinanzen standen so hervorragend da, dass Helmut Kohl das Geld mit vollen Händen ausgab und den Eindruck vermitteln konnte, die Kosten der Wiedervereinigung könnten aus der Portokasse bezahlt werden.
Ich bin in meinem Leben sehr viel in der Welt herumgereist. Ich bin nach Griechenland, Italien und Spanien nicht (nur) wegen dem Strandurlaub. Ich interessiere mich seit frühester Jugend sehr für die Antike. Aber ich habe die Umstände mit eigenen Augen gesehen und sie nicht nur auf Google abgebildet erlebt. Ich weiß, wie es in Santiago, Buenos Aires, Sao Paulo, Montevideo, Athen, Rom, Kopenhagen aussieht und nicht, weil ich darüber gelesen habe. Ich gehe in Museen, laufe kreuz und quer durch die Städte und unterhalte mich mit den Menschen. Das wenigste, was ich weiß, habe ich aus einem Geschichtsbuch.
Wer Athen, Madrid, Sevilla, Lissabon, Porto betrachtet, kann keinen signifikanten Unterschied zu den Lebensverhältnissen in Leipzig, Hannover oder Mainz feststellen. In Norditalien – Mailand, Turin, Bozen – und auch im Latium lebt es sich nicht schlechter als in Stuttgart oder im Münchner Großraum. Wer käme angesichts der Verhältnisse auf die Idee, Italien oder Spanien als rückständig zu bezeichnen?
Von den Zahlen her liegen diese Länder heute so weit von Deutschland weg wie die junge Weimarer Republik von den USA der Zwanzigerjahre. Das ist ungefähr der Vergleich. Deutschland brachte damals Konzerne von Weltgeltung hervor.
Stefan hat einzelne Lieblinge wie eben Tooze, der in gefühlt 80 Prozent seiner Vermischten auftaucht. Oft hat er aufgezeigt, dass er mit Tooze völlig übereinstimmt. Ab einem Punkt wird es dann schwer, sich von solchen Vorbildern zu distanzieren ohne sich nicht selbst hinterfragen zu müssen. Die Inflationsthese ist so eine Behauptung, wo sich die große Mehrheit der Ökonomen schlicht an den Kopf tippt. Inflation ist eine Steuer auf Vermögen!
Ich lese gerne Berichte, Analysen und Kommentare von Robin Alexander (WELT) und Wolfram Weimer (The European). Das schreibe ich aber nur an dieser Stelle, ich habe sie fast nie zitiert. Weimer kommt aus meiner Heimatstadt Gelnhausen (eigentlich Bad Orb, dort bin ich aufgewachsen) und hat 3 Jahre vor mir am Grimmelshausen Gymnasium sein Abitur als Jahrgangsbester abgelegt. Ich konnte ihm deswegen nicht persönlich begegnen, ich wechselte erst in seinem Abgangsjahr in die Oberstufe. Aber die Herkunft verbindet.
Auch der Fernsehautor Jens Oliver Haas, der mit der Moderatorin Sonja Zietlow verheiratet ist, kommt aus Gelnhausen, mit ihm war ich in der Abiturklasse.
In meiner Heimat residierte bereits Kaiser Barbarossa. Und wenn wir schon bei Prosperität und Innovation sind: Philipp Reis, der Erfinder des Telefons, stammt auch aus Gelnhausen.
Gut, ein bisschen abgeschweift. 🙂
@ Stefan Pietsch 5. Februar 2022, 11:51
Die Kunst des Überlegenen ist, sie die anderen nicht spüren zu lassen.
Sagen wir mal so: Du bist offenbar kein Künstler …
😀 😀 😀
Ihr seid so gemein!!!
Nein gar nicht, wir sind Künstler 😛
Und nochmal: Tooze ist der Typ, der Inflation mit Blick auf Entenhausen und Dagobert Duck betrachtet. Der ist offensichtlich in den Zwanzigern des vorherigen Jahrhunderts steckengeblieben. Allerdings kein Wunder als Wirtschaftshistoriker.
Keine AHnung worauf Sie sich beziehen.
Tooze hat ein hervorragendes Buch über die NS-Wirtschaftspolitik geschrieben, das mit dem Mythos aufräumt, dass die Nazis eine auch nur irgendwie erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben hätten. Und nebenbei auch deutlich aufzeigt, wie vollkommen absurd und völlig aussichtslos der Kampf war.
Keine AHnung worauf Sie sich beziehen.
Auf ein fettes Lob von Stefan S zu einem Buch von Tooze vor kurzem.
… das mit dem Mythos aufräumt, dass die Nazis eine auch nur irgendwie erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben hätten …
Jo. Das Umstürzen selbst aufgestellter Strohmänner funktioniert immer am besten. Was Tooze getan hat, ist Widergabe des Standes der historischen Forschung seit mindestens (!) 40 Jahren, der „Mythos“ ist also eine Erfindung, die der Herr dann erfolgreich widerlegt hat.
Bin beeindruckt.
Gruss,
Thorsten Haupts
Tooze sagt nicht, dass das ein Mythos ist, das war ich. Und sorry, dieser Mythos ist zwar, wie du richtig sagst, in der Geschichtswissenschaft längst widerlegt, aber nicht in der allgemeinen Wahrnehmung.
Thorsten hat eine Fantasieversion von Tooze im Kopf, an der er sich reibt. Kann man machen, aber er sollte lieber das Buch lesen.
@ Hias 3. Februar 2022, 22:40
… das mit dem Mythos aufräumt, dass die Nazis eine auch nur irgendwie erfolgreiche Wirtschaftspolitik betrieben hätten.
Haben Sie ja auch nicht (haben sie , glaube ich, in keinem Bereich). Aber das ist doch kein Beleg dafür, dass Deutschland Anfang des Jahrhunderts ein wirtschaftlich unterentwickeltes Land war.
Das ist auch gar nicht die Aussage. Die Unterentwicklung ist kein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. Die einzig „entwickelte“ Nation in dem Kontext sind die USA, was der Krieg ja dann auch deutlich offenlegt. Tooze vergleicht die Wirtschaftsleistung des Dritten Reichs mit HEUTIGEN unterentwickelten Ländern, um ein Gefühl für die Kategorien zu geben, in denen wir uns bewegen. Das wüsste man, wenn man das Buch gelesen hätte 😉
Die Unterentwicklung ist kein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. Die einzig „entwickelte“ Nation in dem Kontext sind die USA …
Auch das ist historischer Unsinn, aber das auszuführen würde den Rahmen dieses Blogbeitrages sprengen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Wie gesagt, ich fasse hier ein komplettes Buch in einem Satz zusammen. Rate dringend zur Lektüre. Es lohnt sich.
@ Stefan Sasse 4. Februar 2022, 14:18
Die Unterentwicklung ist kein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. Die einzig „entwickelte“ Nation in dem Kontext sind die USA, was der Krieg ja dann auch deutlich offenlegt.
Dass die USA Ende des 19. Jahrhunderts an den Engländern (und damit auch an Deutschland) vorbeigezogen sind, ist ja OK. Aber deshalb Deutschland, England oder Frankreich als ‚unterentwickelt‘ zu beschreiben, befremdet mich schon sehr.
Deutschland entwickelte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von einem überwiegenden Agrarstaat zu einem industriell und großstädtisch geprägten Land. Zwischen 1871 und 1914 versechsfachte sich Deutschlands industrielle Produktion, die Ausfuhren vervierfachte sich.
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/industrie-und-wirtschaft.html
Von 1900 bis 1913 stieg die reale Wirtschaftsleistung in Deutschland um fast 44 Prozent, und Deutschlands Wirtschaft exportierte stark in die damals mächtigen länder der Welt.
https://www.iwd.de/artikel/als-die-industrie-durchstartete-146332/
Den Vergleich damaliger Wirtschaft mit heutigen Ländern ist sinnlos, da die bestimmtenden Parameter wie technische Entwicklung, Bildung, Kommunikation, Bevölkerungsgrößen., Märkte etc. in keinster Weise vergleichbar sind.
Wie gesagt, unterentwickelt war meine Formulierung, und wie ich bei CitizenKs Kommentar ausgeführt habe irreführend. Kommt nicht wieder vor.
Ja, stimmt alles und Deutschland war tatsächlich in den damaligen Zukunftsindustrie (Chemie/Pharma, Maschinenbau und Elektro) bis in die 1930er Jahre hinein führend, hatte eine sehr starke Industrie und war führend in der Wissenschaft.
Zugleich war der Agrarsektor massiv unterentwickelt und so modern auch viele deutsche Industriestädte und insbesondere Berlin waren, so rückständig waren nicht wenige mittelgroße Städte bzw. die Provinz.
Das zeigt sich v.a. darin, dass die Verbreitung elektrischer Geräte und langlebiger Konsumgüter (Autos, Elektroherde) in Europa und auch in Deutschland bis in die 1950er/1960er deutlich geringer war als in den USA.
Und um das Verhältnis deutlich zu machen: Selbst auf dem Gipfel der Macht gelang es den Achsenmächten nicht mal ansatzweise in der Rüstungsgüterproduktion mit den USA (geschweige denn mit den Alliierten) gleichzuziehen, obwohl sie den Großteil des europäischen Kontinents besetzten und über seine Industriekapazitäten verfügen konnten. Währenddessen versorgten die USA Großbritannien und die UdSSR mit Waffen und Gütern, und bauten zusätzlich die zweitgrößte Streitkräfte praktisch aus dem Nichts auf.
Der Vergleich mit einem Dritte-Welt-Land stimmt insofern natürlich nicht. Aber der Unterschied zu den USA war schon sehr groß und das galt für den gesamten Kontinent.
Genau das ist der Punkt. Mit Entwicklungsländern vergleicht Tooze das Dritte Reich nur, um es begreifbar zu machen: HEUTIGE Entwicklungsländer. Nicht damalige, das Konzept ist ja völlig anachronistisch. Aber man neigt ja dazu, die eigene gegenwart rückwärts zu projizieren, und dagegen, und nur dagegen, wendet sich der Vergleich.
Expansive Geldpolitik ist ein valides Werkzeug, um externe Schocks kurzfristig abzufedern. Als Stimmulierer von langfristigem Wachstum taugen sie nichts.
In seiner Darstellung der flexiblen Südländer vs tumben Teutonen wird Tooze zu einem Hund, der den Mond anbellt. Manche Sachen von dem Mann, die Stefan Sasse erwähnt, finde ich interessant. Das nun gerade nicht. Muss den mal lesen.
„Tooze hält Inflation für eine maßvolle Steuer auf Vermögen“
Hier nicht zwischen Vermögensarten zu unerscheiden, wäre in der Tat seltsam und unakzeptabel. Aber woher kommt eigentlich diese undifferenzierte Behauptung? Finde dafür keinen Beleg.
Was ich von Tooze fand, ist durchaus diskutabel:
“ die Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale.
Wie @heimbergecon erklärt, gibt es in den Lohndaten für die Eurozone keinen Hinweis auf eine solche Spirale.
Für eine Lohn-Preis-Spirale bräuchte man nicht nur einen Druck auf die Löhne, sondern auch auf die Lohnstückkosten (produktivitätsbereinigte Löhne), und selbst die Bundesbank befürchtet das für 2022 nicht wirklich. Im Gegenteil, die Prognose für das Wachstum der Lohnstückkosten im Jahr 2022 liegt bei miserablen 0,2 %!“ (Chartbook ’71, übersetzt)
Inflation ist ja nichts anderes als eine geringe Steuer auf in Geld angelegtes Vermögen. Problematisch für die Wirtschaft wird sie erst ab rund zehn Prozent.
Eine solche Wertanlage ist zumindest in Deutschland in den Mittelschichten weit verbreitet. Dazu gehören übrigens auch betriebliche Pensionen und im weiteren Sinne die gesetzlichen Renten. Es sollte klar sein, wenn eine Inflation von bis 10% massiv trifft. Das ist in jeder Volkswirtschaft zu jeder Zeit so – jetzt und früher gewesen.
Für eine Lohn-Preis-Spirale bräuchte man nicht nur einen Druck auf die Löhne, sondern auch auf die Lohnstückkosten (produktivitätsbereinigte Löhne), und selbst die Bundesbank befürchtet das für 2022 nicht wirklich. Im Gegenteil, die Prognose für das Wachstum der Lohnstückkosten im Jahr 2022 liegt bei miserablen 0,2 %!“ (Chartbook ’71, übersetzt).
Wieso ist das miserabel? Die Kritiker langsam steigender Lohnstückkosten unterliegen einem gedanklichen Missverständnis. Lohnstückkosten bedeuten nicht Löhne, sondern Löhne in Bezug zur produzierten Menge. Wenn die Lohnstückkosten steigen, dann bedeutet das, der Arbeiter bekommt mehr für die gleiche Arbeit. Umgekehrt: bleibt der Lohn gleich, aber der Arbeiter öfter zuhause, steigen die Lohnstückkosten. Es liegt auf der Hand, dass steigende Lohnstückkosten zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gehen. Und das produziert meist Arbeitslosigkeit.
In den Zehnerjahren dieses Jahrhunderts sind die deutschen Lohnstückkosten deutlich gestiegen, hier haben wir also keinen Nachholbedarf, zumal die deutschen Lohnstückkosten ohnehin zu den höchsten der OECD gehören.
Die EZB schreibt zur Entwicklung im Euroraum:
Die Lohnstückkosten dürften sowohl 2021 als auch 2022 sinken, bevor sie im Jahr 2023 um 1,4 % ansteigen. Grund hierfür sind Schwankungen im Zusammenhang mit Programmen zur Arbeitsplatzsicherung. Nach dem kräftigen Anstieg im Jahr 2020 infolge der massiv gesunkenen Arbeitsproduktivität dürften die Lohnstückkosten angesichts der Erholung der Arbeitsproduktivität in den Jahren 2021 und 2022 gedämpft sein und dann bis 2023 allmählich ansteigen. Sowohl die Arbeitsproduktivität als auch das Wachstum des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer schwankten angesichts von Programmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen stark. Dies hat die Jahreswachstumsrate des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer im Jahr 2020 zunächst gebremst und danach im ersten Halbjahr 2021 zu einem Anstieg geführt. Da sich die Arbeitsmärkte über den Projektionszeitraum hinweg allmählich erholen und die Wirkung der Programme langsam nachlässt, dürfte sich die Entwicklung des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer normalisieren. Im Jahr 2023 dürfte das jährliche Wachstum bei 2,5 % und damit etwas über den vor der Pandemie verzeichneten Wachstumsraten liegen. Darin spiegelt sich vor allem die Aufhellung der Arbeitsmarktlage über den Projektionszeitraum hinweg wider. Es wird nicht davon ausgegangen, dass der projizierte starke Anstieg der Gesamtinflation im Euroraum im zweiten Halbjahr 2021 mittelfristig zu erheblichen Zweitrundeneffekten beim Lohnwachstum führt.
https://www.ecb.europa.eu/pub/projections/html/ecb.projections202109_ecbstaff~1f59a501e2.de.html
Ansonsten: Zur kurzfristigen Projektionsfähigkeit der EZB, ist schon viel gesagt.
9) Kretschmanns Corona-Kurs löst Erstaunen in der Wirtschaft aus
Unsicherheit macht krank. Leider ist das Wesen der Pandemie Unsicherheit.
Ein Ökonom würde so etwas nie schreiben. Zukunft ist unsicher, das wusste schon Marty McFly. Denn die Zukunft ist nicht geschrieben. Ökonomen nähern sich der Unsicherheit durch Szenarien und geplantes Vorgehen. Nichts davon findet sich in der deutschen Politik und der sie beratenden Wissenschaft. In der Pandemie sahen sich zu viele Forscher als Aktivisten und nicht als neutrale Wissensvermittler.
Viele Länder machen es anders und zunehmend mehr. Als die Omikron-Welle die Niederlande erfasste, verhängte die Regierung ob der Unsicherheit über das Ausmaß einen Lockdown, allerdings mit einem klaren Planungshorizont versehen. Mitte Januar 2022 würden die Beschränkungen wieder aufgehoben. Die Bürger konnten sich darauf verlassen und zogen mit. Im Gegenzug hielt die Regierung ihre Planung ein, trotz hoher Inzidenzen.
Dänemark, Niederlande, Großbritannien – um nur die wichtigsten zu nennen – setzten im Frühjahr 2021 Pläne auf, in welchen Schritten unter welchen Bedingungen Normalität hergestellt würde. Planmäßiges Vorgehen. Und so kam es. Kein Schielen auf Impfquoten. Schweden ging von Beginn an einen anderen Weg, aber eben auch einen planmäßigen.
In Deutschland erklärte die Politik den Bürger für unmündig und riss die Hoheit über die Grundrechte an sich. Der Staat zeigte in jeder Phase der Pandemie, dass er es besser wusste. Das ist, wie wenn der Vorgesetzte seinem Team sagt, er könnte alles besser. Dann muss er es eben machen, irgendwann folgt keiner mehr.
Wenn dann noch Politik und Behörden so inkompetent agieren, wie sie es die vergangenen zwei Jahre getan haben, ist jedes Vertrauen dahin. Irgendwann macht jeder, was er will.
Das Gefasel von potentiellen weiteren Wellen ist dummes Zeug. Es illustriert nur weiter die völlige Inkompetenz. Es ist selbstherrlich, wie der baden-württembergische Ministerpräsident agiert. Das die Bundesregierung beratende wissenschaftliche Gremium geht von einem Abflauen der Omikron-Welle ab Mitte Februar aus. Das entspräche dem Verlauf in anderen Ländern. Schnell kommen, schnell gehen. Die Hospitalisierung im Schwabenland ist weiterhin mit 5,4 entspannt. Wie dann der 70jährige auf die Idee kommt, erst Mitte April sei überhaupt an Lockerungen zu denken, ist ohne wissenschaftliche Evidenz. Aber die braucht die Politik ohnehin nicht mehr, wie der Epidemologe Karl Lauterbach, derzeit Gesundheitsminister, täglich beweist.
Wenn Politik immer nur sagt, man müsse halt schauen, hat das weder mit Planbarkeit noch mit Rechtstaatlichkeit zu tun. Das ist einfach Willkür. Die Gerichte, einschließlich Karlsruhe, scheinen nicht mehr gewillt, dem tatenlos zuzusehen. Die Politik hat sich mit ihrer Unfähigkeit, Unsicherheit planbar zu machen, ihre eigene Glaubwürdigkeit zerstört.
Politikern kann man nichts glauben. Die politische Klasse ist selbst schuld, dass diese Überzeugung längst wieder gilt.
1) Cult Classic ‘Fight Club’ Gets a Very Different Ending in China
… und vorauseilender Gehorsam gegenüber den Wünschen der chinesischen Führung findet sich leider in immer mehr Hollywoodprodukten.
Ja, voll grausam. Glückwunsch an China: Offenbar alles richtig gemacht.
2) Andrea Nahles wird Chefin der Bundesagentur für Arbeit
… sie ist mit Sicherheit eine der bestqualifiziertesten Ernennungen, die man sich dafür vorstellen kann. Hoffen wir, dass ihre Qualifikationen sich auch in eine gute Amtsführung übertragen.
Ich schließe mich an.
3) Im Basar der Meinungen – über die grassierende Manie des Überzeugtseins
… der Artikel geht von einer schwerwiegenden Fehleinschätzung aus: dass das je anders gewesen sei.
Zustimmung, war schon immer so.
4) Die Einführung einer Impfpflicht wäre ein kommunikatives Scheitern
Die Einführung der Impfpflicht, allein die Debatte darum, IST Eingeständnis eines offensichtlichen kommunikativen Scheiterns. …
…
WARUM Masken getragen werden sollen, WARUM Impfungen eigentlich vor dem Virus schützen, WARUM soziale Distanzierungsmaßnahmen die Ansteckungsgefahr reduzieren ist vielen unbekannt. Was bekannt ist, sind die Regeln (wenn überhaupt). Ihr Sinn ist es meist nicht. Auch das ist ein kommunikatives Versagen von geradezu epischer Breite.
Volle Zustimmung!
6) «Christian Lindner könnte eine Art postfaktische Politik verfolgen» (Interview mit Adam Tooze)
[Wir müssen uns von der Vergangenheit verabschieden und uns der Realität stellen. Die Frage ist: Was machen wir damit? ]
Das erinnert mich schon stark an Merkels Spruch: „Jetzt sind sie nun mal da“.
Ich habe so die Nase voll davon, dass bestimmte Kreise der Politik – nicht nur bei uns – sich durch Unterlassen und Schlampereien ein Umfeld erzwingen, mit dem sie ihre Verantwortung für offenkundige falsche Politik, für ihre Scheitern einem irgendwie ‚unentrinnbaren Schicksal‘ aufbürden.
Selbst wenn der Vergleich hinkt: Ich kann niemanden über den Haufen schießen und davonkommen, weil ich der Polizei sage: „Jetzt ist er nu‘ mal tot, und was immer ihr mit mir macht, bringt ihn nicht zurück“. Ist ein Scheißprinzip.
Für mich ist Lindner eine Gefahr und eine Chance zugleich. Die Gefahr sehe ich ähnlich wie Tooze: dass er sich aus rein parteipolitischen Motiven gezwungen sehen könnte, eine schädliche Politik zu fahren, um die Ideolog*innen der eigenen Basis und Wählendenschaft zu beruhigen.
Was ist ‚schädlich‘?
… die es ihm ermöglicht, Deutschland aus der finanzpolitischen Sackgasse zu befreien, in die es sich gefahren hat.
In welcher finanzpolitischen Sackgasse stecken wir?
8) Spotify says it will put a content advisory on podcasts that talk about COVID-19
… aber die Botschaft ist das katastrophale „such dir selbst aus, was wahr ist“, das die Querdenker-Szene überhaupt erst so groß gemacht hat.
Alte Journalisten-Weisheit: Wenn einer sagt, dass es regnet, und der andere behauptet, dass die Sonne scheint, sollte man nicht beide zitieren, sondern den Kopf aus dem Fenster stecken und schauen, was stimmt.
6) Schädlich: Austeritätspolitik; Sackgasse: Selbige Austeritätspolitik auf die EU übertragen.
8) Richtig, aber das passiert aus irgendeinem Grund nicht.
„Austerität“
Es gab nirgendwo in der westlichen Welt in den letzten 50 Jahren irgend etwas, was auch nur entfernt an Austeritätspolitik erinnert. Westliche Staaten geben das Geld des Steuerzahlers heute überall nahezu besinnungslos aus. Hartes Projektcontrolling, klare Zielvorgaben und messbare Erfolgsfaktoren/KPIs sind Fremdwörter für die öffentliche Hand, man schaue nur auf die maximal ineffiziente deutsche Energiewende. Das Ergebnis dieses Denkens sind öffentliche Haushalte, die sich eigentlich nirgendwo durch die Einnahmen decken lassen – und der Schutz überkommener Wirtschaftsstrukturen, die das Problem immer weiter verlängern.
Bei Staatsquoten um die 30 % wäre ich ja gern bereit, über die Verwendung des Wortes „Austerität“ nachzudenken, aber davon sind wir im Westen schon mindestens 60 Jahre entfernt. Hier die Realität unserer Junkie-Staaten:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6769/umfrage/staatsquoten-der-eu-laender/
Sollten die Zinsen durch Kapitalknappheit jemals wieder anziehen, ist die Hälfte der EU-Staaten sofort pleite. „Kapitalknappheit? Warum sollte so etwas geschehen? Wir sehen doch, dass seit den frühen 80ern immer mehr Kapital auf den Märkten verfügbar ist?“ Ja, wir haben uns an die Droge gewöhnt, aber Energiewende, Re-Regionalisierung der Lieferketten, vielleicht auch zunehmend Rüstung werden teuer, und sie werden weltweit Kapital fressen, viele Jahre lang.
Heute fahren alle westlichen Regierungen dauerhaft ein permanentes Keynes-Programm unter Hochdruck. Es wäre ja schön, wenn das Geld des Steuerzahlers in sinnvolle Investitionen geht, durch die die wirtschaftliche Basis gestärkt und Innovationen gefördert werden. Doch in der Realität werden vor allem konsumtive Ausgaben gefördert, siehe etwa die traurige Struktur des Bundeshaushalts.
Austerität … Das ist so, als ob man schwer Übergewichtigen Magersucht andichtet.
Zu 6)
„Austeritätspolitik“: Linker Euphemismus für die Weigerung mancher Politiker und politischer Richtungen, ständig neue Schulden auf alte draufzupacken. Hat mit echten Einsparungen an Staatsausgaben nichts zu tun, die existieren nicht, nirgendwo. Hat sich völlig losgelöst von seiner ursprünglichen wörtlichen Bedeutung und sollte bei intelligenten Zeitgenossinnen im Zusammenhang mit der Finanzpolitik westlicher Staaten anständigerweise nicht verwendet werden – bisher haben sich Staatsausgaben langfristig immer erhöht. In allen westlichen Staaten kennt die Staatsquote wie die Staatsausgaben in realen Preisen (Inflation rausgerechnet) pro Kopf nur eine Richtung – nach oben.
Sobald man „Austeritätspolitik“ liest, weiss man, der Nutzer dieses Wortes will einen veralbern :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
Es haben ja schon ein paar gesagt, was von dem Pauschalvorwurf der Austerität zu halten ist. Italien hat höhere Rentenausgaben als das ungleich größere Deutschland. Dafür gehen die Italiener 3-4 Jahre früher in Rente. Ist es Austerität, in Italien das Renteneintrittsalter an das deutsche Level anzupassen? Der Staatshaushalt würde dadurch entlastet.
Spanien führt ein Grundeinkommen ein. Finanziert wird das mit dem Corona-Paket aus Brüssel. Wäre das verzichtbar?
Zu 3)
Die weit schwerwiegendere Fehleinschätzung des Artikels ist eine implizite – dass es notwendig ist, diese „sokratische“ Bereitschaft überhaupt herzustellen. Ist es nicht – 95% der heissest diskutierten Topics sind den meisten Leuten nicht wichtig genug, um nach dem Fällen und Kommunizieren einer klaren (!!!) Entscheidung das Thema überhaupt noch einmal aufzunehmen. Wenn es an etwas mangelt, dann viel eher an „Entscheidung“. Alleine die Erwähnung dieses Wortes „Entscheidung“ löst nach meiner anekdotischen Beobachtung unter jüngeren Leuten schon beinahe Traumata aus :-).
Zu 5)
Yup, Putin hat die zentrale Schwäche des heutigen Liberalismus (im weitesten Sinne) klar erkannt – die absolute Unfähigkeit, einem Argument etwas entgegenzusetzen, dass auf „Ich fühl mich aber verletzt“ aufbaut. Das passiert, wenn selbst in akademischen Räumen Argumente mit Gefühlen ersetzt werden – und ist ganz nebenbei auch exakt die Strategie des Wokismus. Beide sind leider erfolgreich – und daran gibt es im akademischen Establishment der angelsächsischen Welt einen eineindeutig erkennbaren Schuldigen.
Zu 8)
Ich korrigier das hier auch mal leicht:
„Die Feigheit von Spotify gegenüber woken Irren …“ So wird ein Schuh draus.
Zu 11)
Letztlich sind die Leute, die von MINT angezogen werden, überdurchschnittlich nicht diejenigen, die vom Lehramt angezogen werden.
Yup. Und jede „Lösung“, die das ignoriert, taugt automatisch nichts, völlig richtig erkannt.
Gruss,
Thorsten Haupts
3) Ich glaube, das ist nicht auf junge Menschen beschränkt.
5) Jo.
8) Natürlich.
11) Leider kommt die Debatte damit nicht zurande.
Zu 3)
Mag sein. Ich hatte für diese Beobachtung vielleicht das falsche Umfeld – ältere Offiziere und Projektmanager im Anlagenbau leiden nicht gerade an Entscheidungsschwäche.
Gruss,
Thorsten Haupts
Vermutlich 😀
1) So gruselig diese Metzgerarbeit ist, bei deinem Kommentar stellt sich mir die Frage, ob deine These von der Selbstzensur westlicher Produzenten konkret nachweisbar oder verschwörungstheoretisches Geraune ist. Gegenprobe: Wieviel Selbstzensur üben europäische Produzenten im eigenen Markt aus, um den Erfordernissen des US-Marktes zu genügen (Sexualmoral, strong language)
Zur Relativierung noch zwei kuriose Beispiele, wie in der Nachkriegs-BRD politisch Filme sinnentstellt wurden:
– ‚Casablanca‘ wurde so zusammengeschnitten/synchronisiert, dass es keine Hinweise auf Weltkrieg, Nazis und Widerstand gab. Viktor Lazlo wurde zu einem Physiker etc..
– Der Film ‚Anders als du und ich‘ des Regisseurs Veit Harlan(!!), der Homosexualität zum Thema hatte, war der FSK zu verständnisvoll und wurde erst freigegeben, nachdem dieser durch nachproduzierte Szenen Homosexualität eindeutig verurteilte und erklärende Passagen herausgeschnitten wurden.
2) An der Qualifizierung von Nahles möchte ich zweifeln:
– In Leitungsfunktion (SPD) hat sie versagt
– Im Rechtskreis SGB II ist sie als Ministerin für Soziales vor allem durch einen Fehlgriff (versuchte Kürzung des Sozialgeldes bei Alleinerziehenden) aufgefallen
– Politiker in Managementpositionen (Durch die Selbstverwaltung der Arbeitsagentur ist das keine Beamtenposition mehr) zu rochieren hat immer ein Drehtür-Geschmäckle
3) Du vergisst, dass das abendländische Denken der letzten 2.500 Jahre immer wieder versucht hat, genau die Gegenmeinung aktiv und institutionalisiert zu fördern: Vom dissoi logoi über den advocatus diaboli bis zum schwarzen Denkhut de Bonos. Das ist verloren gegangen. Dem anderen kein Forum für seine Argumente geben ist probates Mittel in Diskussionen.
4) Und 7) und 9) Hart gesprochen: Die (offizielle) Corona-Kommunikation hatte nie das Ziel, Zusammenhänge zu vermitteln, sondern eher, die Mehrheit der Bevölkerung auf den jeweiligen Kurs der Regierung einzuschwören und das Missmanagement zu kaschieren (Aktuelles Beispiel: der Mangel an PCR-Tests). Und dieses Erfolgskriterium wurde erfüllt.
5) Ein bemerkenswert strohmannlastiger Kommentar Lobos. Genauso (Siehe Fundstück3) könnte man gut argumentieren „Was ich so auffällig an der Kommunikationsstrategie des Pentagon finde ist, neben der Tatsache, dass es hervorragend funktioniert, wie diese Strategie der Inszenierung als Wohltäter gegen alle Kritik immunisiert.“
11) „Eventuell muss also das Pferd von hinten aufgesattelt werden und man muss Leute, die sich zum Lehramt hingezogen fühlen zu MINT bringen“ hat den Nachteil, dass in punkto Wissen der Lehrer einen Vorsprung braucht. Das heisst, dass wenn ein Schüler wie scheijtan mit einem Beweis für „1+2+3+4+5+6+… = -1/12“ kommt, muss der ihm erklären können, wo der Fehler liegt, obwohl alles richtig gerechnet ist.
1) True, aber das eine ist Moralquatsch und das andere Grund- und Menschenrechte, ich würde da schon differenzieren.
3) Warum soll das verlorengegangen sein?
4/7/9: So viel Bösartigkeit unterstellt mehr Zielsetzung und Kompetenz, als gezeigt wurde.
2) Ich wollte da gar nicht gleichsetzen, sondern behaupte, dass der Faktor Selbstzensur, um auswärtigen Märkten zu gefallen, eher gering ist.
Viel mehr interessiert mich, ob jemand konkrete Hinweise hat, dass die chinesische Führung Hollywood-Produktionen direkt inhaltlich beeinflusst (über Product-Placement und Standortwahl hinaus). Ich denke an die Art Einflussnahme, die das US-Militär tatsächlich ausübt.
3) Dass Multiplikatoren bisweilen ‚eristische‘ Argumentation bevorzugen, siehst du z.B. bei Fundstück 5. Und so eine Argumentation findet sich in jedem Vermischten, manchmal von dir kritisiert und manchmal positiv gewertet.
[Hier sticht im übrigen dein Artikel zur Osterweiterung positiv hervor, wo du ein konkretes Element einer Argumentation ebenso konkret und sachbezogen diskutierst. Es gibt noch andere Elemente, die man ebenso diskutieren könnte (etwa die Raketenstationierung 2010 in Polen und Rumänien oder die boshafte Wahrheit, dass die USA öfter Russland/Sowjetunion militärisch angegriffen haben als umgekehrt), aber das ist eine andere Geschichte].
Und da schlägt der Kulturpessimist durch, der eine Erklärung im Zeitgeist sucht : verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, Informationsüberflutung, Wechselspiel verschiedener Propaganda, ideologisches ‚Stammesdenken‘ mit moralischer Bewertung von Meinungen.
4) Nein, ich meinte eben nicht, dass dies gezielt böswillig geschehen ist, sondern vielmehr, dass es aus der eigenen Unsicherheit von Politik und Medien resultiert, die mit dem Autoritätsargument überspielt wurde. Wie bei einem Wanderführer, der die Orientierung verloren hat und deswegen(!) die Karte nicht hergibt, damit er ‚seine Autorität nicht verliert‘.
2) Ja sicher. Der Zugang zu chinesischen Märkten hängt direkt daran, dass die Zensurbehörden das okay geben. Die Förderung des US-Militärs dagegen ist eine andere: die finanzieren deinen Film mit, wenn sie beim Drehbuch mitsprechen dürfen. Das ist ja aber keine Pflicht. Das würde ich nicht gleichsetzen.
3) Mein Punkt war eher: das war noch nie weit verbreitet.
4) Verstanden. Ja, das macht sinn.
2) Nochmal: Es geht mir nicht um Vergleiche, sondern ob es Nachweise gibt, dass es diese Einflussnahme Chinas auf Hollywood gibt. Bisher klingt das verdächtig nach „Die kontrollieren Hollywood“ Geraune (einschließlich latentem Rassismus).
Nein, soweit würde ich nie gehen. Es geht eher um Selbstzensur und eben den nicht eben subtilen Einfluss der Zensurbehörde durch den Zugang zum Markt. Krasses Beispiel ist etwa „red Dawn“ (also das remake)
Echt jetzt ‚Red dawn‘ ?
Was hältst du für plausibler : Dass den Produzenten erst im Nachhinein aufgefallen ist, dass Rassismus im betroffenen Land nicht gut ankommt oder dass es ein guter PR-Stunt für einen jingoistischen Film ist, zu behaupten, dass die Feinde Amerikas einen zensieren wollen?
Ich sehe keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie den Film mit Chinesen machen wollten, weil das komplette Umschwenken auf „Nordkorea“ nachträglich passierte. Und es wurde nicht an die große Glocke gehängt, ist also eben gerade KEIN PR-Stunt.
Ein bemerkenswert strohmannlastiger Kommentar Lobos …
Nein. Er fokussiert auf diese Strategie nur deshalb, weil er in einem Umfeld sozialisiert wurde, das diese Strategie verinnerlicht hat, wo sie Allgemeingut ist. Ich beobachte diese Szene („intersektionale Feministinnen“/“Anti-Rassisten“ et al) jetzt seit etwa 15 Jahren aufmerksam, wenn auch mehr am Rande – und da ist das der rhetorische Universalkniff, wenn man keine Argumente mehr hat (was bei dem löchrigen theoretischen Unterbau dieses Schwachfugs häufig vorkommt).
dass in punkto Wissen der Lehrer einen Vorsprung braucht …
Korrekt, ich selber habe das für meine (einzige) Serie von Einsen in Geschichte zu nutzen gewusst. Spielt aber nur wirklich eine Rolle gegenüber den sehr wenigen in einem Fach herausragenden Schülern (die da eigentlich keinen Lehrer mehr brauchen) und nicht beim Schülerdurchschnitt. Und ich glaube schon, dass man einer zum Lehren geeigneten Person genügend MINT-Wissen vermitteln kann, dass der gegenüber dem Durchschnittsschüler ausreichenden Vorsprung besitzt.
Gruss,
Thorsten Haupts
Lehrkräfte müssen ja auch nicht alles wissen. Ich brech mir auch keinen Zacken aus der Krone zu sagen „da kenne ich mich nicht genug aus“ oder „das weiß ich nicht“. Manchmal kann ich auch was von Schüler*innen lernen.
zu 1) Für eine an der Sowjetunion benötigten die Russen nicht Hollowood. Das konnten die mitte der 80er selbst viel besser als etwa Rocky IV oder Rambo III.
Häh?
Jedes Gesellschaft ist selbst für die Kritik an ihrer Elite verantwortlich. In der ausgehenden Sowjetära gabs davon sehr viel und vieles gutes. So etwas wird sich mit der Zeit auch in China entwickeln. Es ist nicht die Aufgabe von Hollywood, die Chinesen zu in unserem Sinne kritischen Bürgern zu machen.
Nö, aber es ist ein Problem wenn die anpassung an chinesische zensur unsere eigenen Medien beeinflusst.
Es geht natürlich in Richtung orwell-1984, wenn da Filme umgeschrieben werden. Wenn sich Hollywood da anpasst, sind die aber selber Schuld.
Es gibt allerdings auch ein Problem in unserer Erwartung, dass andere Gesellschaften unserem Weg folgen.
Bisher haben es alle Gesellschaften getan, wenn deren Bürger eine Wahl hatten. Nur, wenn man ihnen diese entweder nie gab oder wieder wegnahm, haben sie es nicht (mehr) getan. Für den Schritt zur totalitären Diktatur gab es nie Mehrheiten in freien Wahlen, nirgendwo auf der Welt.
Sie verwechseln „Regierung“ oder „Machthaber“ mit Gesellschaft. Das ist eine sehr tiefsitzende westliche Krankheit seit vielen Jahrzehnten und bei vielen Leuten, womit Sie entschuldigt sind.
Gruss,
Thorsten Haupts
TH: Sie verwechseln „Regierung“ oder „Machthaber“ mit Gesellschaft. Das ist eine sehr tiefsitzende westliche Krankheit seit vielen Jahrzehnten und bei vielen Leuten, womit Sie entschuldigt sind.
LC: Danke für das schöne Beispiel eines Strohmann-Arguments.
Das bei auch bei Libertären hoch im Kurs stehende Singapur hat eine Art Ein-Parteien Diktatur und häufig Präsidentschaftswahlen ohne Gegenkandidaten. Von Widerstand hört man da nichts.
Ich find die aktuelle chinesische Regierung auch beunruhigend, aber ich würd denen nicht unbedingt Legitimität absprechen. Die atemberaubenden Erfolge in der Entwicklung der eigenen Wirtschaft gibt ihnen eine breite Unterstützung aus dem Volk. Ähnlich sehe ich die Situation in Vietnam.
Ich bin zu der festen Überzeugung gelangt, dass es im Cono Sur bei den Putschen der entsetzlichen Militärdiktaturen der 70er Mehrheiten für den Bruch mit der Legalität gab, aber keine für deren Menschenrechtsverbrechen.
Ausser in Uruguay funktioniert repräsentative Demokratie heute dort nicht besonders gut. In Chile sucht man in einem höchst aufwendigen Prozess nach einer neuen Verfassung, die einen tiefgreifenden institutionellen Wandel zur Folge haben wird, falls die Gesellschaft der Verfassung zustimmt. In Argentinien gewinnt mit Javier Milei ein Libertärer Politiker Zustimmung, der das aktuelle System zerstören und im Grunde die sehr negative Sicht auf die Militärdiktatur im historischen Diskurs des Landes relativiert.
Es ist doch eher so, dass in den meisten lateinamerikanischen Staaten sich Populisten und Technokraten abwechseln. Und dieses Wechselspiel zerstört die Gesellschaften. Uruguay bildet da eine wohltuende Ausnahme. Allerdings ist es auch das reichste südamerikanische Land.
Milei ist Populist UND Technokrat.
Ökonomie Professor, Chef-Ökonom der drittgrößten argentinischen Unternehmensgruppe und Auftritte wie „Ich bin nicht hier um Schaafe zu hüten, ich bin hier um Löwen zu wecken“.
Oder das hier: https://www.youtube.com/watch?v=laMbcwXnsis -> Die (Politiker-)Kaste hat Angst.
In Chile ist das noch komplizierter:
Bei der letzten Wahl waren rechte Kandidaten die besseren Populisten, Franco Parisi noch mehr als Kast.
Kein einziger gewählter Präsident seit 1990 war Populist. Davor Allende (1970-73) und Carlos Ibáñez del Campo (1927-31) und (1952-58).
In Argentinien und Brasilien siehst Du das Muster seit Jahrzehnten ganz genau. Chile, da stimme ich Dir zu, ist da stabiler.
Nein. Das ist eine in Europa und den USA beliebte Wahrnehmung. Sie ist so falsch wie hoffnungslos überheblich.
Das geht in die Richtung: Das sympathische aber dumme Volk lässt sich immer wieder von Populisten verführen und ein Technokrat räumt wieder auf.
Menem war Populist und gleichzeitig eine Art Facilitator des einzigen wirklich technokratisch-liberalen Versuchs der Republik Argentinien seit 1910. Die Kirchners waren populistisch, aber Mauricio Macri war kein Technokrat. Alfonsín war weder Technokrat noch Populist.
Bolsonaro ist Populist. Lula wars irgendwie auch, Dilma Rousseff ganz sicher nicht. Goulart als letzter gewählter Präsident vor der langen Militärdiktatur von Mitte der 60er bis in die 80er hatte genauso wie die Militärregierungen populistische Elemente, wirklich populistisch waren sie nicht.
Mauricio Macri war kein Technokrat.
Das halte ich für streitfähig. Ansonsten zeigst Du ja anhand der letzten Präsidenten Brasiliens, dass an der Behauptung etwas dran ist: Lula, Rousseff, Bolsonaro. Und jetzt gibt es das Duell zweier Populisten.
In Argentinien folgten auf den Technokraten Menem – als Populist geht er eher weniger durch – und einer Übergangsphase in Folge des Staatsbankrotts 2001 die Populisten Kirchner. Danach Mauricio Macri und nun Alberto Fernández. Er steht durchaus im Konflikt mit seiner Förderin Cristina Kirchner und er ginge eher als Technokrat durch.
Stefan,
Menem war ein super-populistischer, peronistischer Provinzfürst einer armen nordargentinischen Provinz. Der setzte lange Jahre erfolgreich aber eher aus Opportunismus 1990 NACH DER WAHL auf die Neoliberalismus-Karte, nicht wegen langjährig erarbeiteter Überzeugung. Es blieb beim Versuch, weil die argentinische Neoliberalisierung anders als in Chile Anfang der 00er aufgrund von Konstruktionsfehlern in eine schwere Wirtschaftskrise stürzte.
Dilma Rousseff war nicht populistisch, aber die unteren Ränge der Partido dos Trabalhadores schon.
Suche bitte auf youtube „carlos melconian macri“ oder „jose luis espert macri“. In der Spätphase Macris habe ich viel argentinisches Wirtschafts-youtube geschaut. Die wirklichen Technokraten veracht(et)en Macri.
… aber ich würd denen nicht unbedingt Legitimität absprechen.
Ach? Nach welchen Kategorien ist diese Regierung „legitim“? Sie hat sich diesem Test nie stellen müssen, ihre heutige Macht wurde mit Gewehrläufen hergestellt und nur über diese gehalten.
Und diese chinesische Regierung glaubt ja nicht mal selbst an ihre Legitimität. Denn nur damit ist ihre Paranoia vor nicht von ihr zu 100% kontrollierten Informationsflüssen, ihre Totalüberwachung der eigenen Bevölkerung und die Einknastung jedes auch noch so milden Kritikers zu erklären. Eine Regierung, die über breite Zustimmung im Volk verfügt, braucht so etwas nicht.
Aber das ist müssig. Der Test wären freie Wahlen. Und davon ist China so weit entfernt, wie die Kuh vom Klavierspielen. Aktuell weiter als Hitler oder Stalin.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ja und ja.
Jedes Gesellschaft ist selbst für die Kritik an ihrer Elite verantwortlich.
Klar. Gegen Gewehrläufe, Gefängnis und Totalüberwachung muss eine Gesellschaft schon ankommen können.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich bin für eine gemässigte Unterstützung von Menschenrechts/Demokratie-Gruppen in sagen wir Kuba, Hong Kong, Venezuela, Kolumbien, Nicaragua, im Mittleren Osten, etc.
Der track record der nordamerikanischen/europäischen militärischen Einsätze erscheint nicht gerade ermutigend. Das setzt dann immer nicht zu kontrollierende Folge-Ketten in Gang, an dessen Ende die Akzeptanz unseres Verständnis von Demokratie im Land nicht gerade gestiegen ist.
Ausnahmen bilden der Falkland-Krieg, der Korea Krieg und Reagans Drohkulisse gegenüber Pinochet 1986 bis 1988. Aber bereits diese Fälle sind problematisch. Südkorea stand zwischen Korea-Krieg und Demokratisierung jahrzehntelang unter der Fuchtel einer entsetzlichen Militär-Regierung.
Die Re-Demokratisierung Argentiniens und Chile haben bis heute Defekte, die sich auch auf die Art der Transition zurückführen lassen.
@ Lemmy Caution 4. Februar 2022, 18:39
In der ausgehenden Sowjetära gabs davon sehr viel und vieles Gutes. So etwas wird sich mit der Zeit auch in China entwickeln.
Ich zweifle daran. Die Chinesen haben sich genau angeschaut, was das sowjetiche System stabilisiert bzw. destabilisiert hat. Politisch scheint mir China so starr wie die Sowjetunion zu Stalins Zeiten zu sein, während sie in wirtschaftlichen Dingen die USA fast rechts außen überholen. Darüber hinaus bekommt China vom Westen einen außenpolitischen Erfolg nach dem anderen in die Finger gespielt. Auch so etwas hält innen die Leute auf Kurs, erst recht, wenn sie so nationalistisch eingestellt sich wie die Chinesen.
Die Autokraten (oder Diktatoren?) üben gerade den Schulterschluss bei Olympia. Mit einem langen Arm (Militär, Wirtschaft, Energie) Die USA sind gespalten, Europa sowieso.
Der „diplomatische Boykott“ der Spiele war möglicherweise kontraproduktiv. Da stellt sich die Frage, welche Chance eine „wertbasierte Außenpolitik“ noch hat.
Möglicherweise haben wir es hier auch bald mit (vergleichsweise gemäßigten) Autokraten zu tun, in USA, evtl. Frankreich und von außen unterstützten Orbans? Mir wird langsam bange um die Demokratie.
Ich denke die Chancen einer wertebasierten Außenpolitik sind ziemlich gut, wenn man sie denn macht.
Yup, man muss nur bereit sein, die dafür anfallenden Preise zu bezahlen. Ich freu mich ja als Amateur-„Historiker“ rein intellektuell auf die nächsten Jahre – mal schauen, ob die westlichen Demokratien der Dekadenzfalle entrinnen können.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich glaube nicht, dass die Bereitschaft dafür existiert.
Korrekt.
11) Find die Idee von Quereinsteiger als Mathe und Naturwissenschaftslehrer gut. Ich habe und hatte viele Kollegen mit Physik, Biologie, Mathematik, Chemie und Informatik-Studium. Fast alle würden sich als introvertiert einschätzen. Ich hab mal gehört, dass der Beruf Lehrer zu den meisten Kontakten mit anderen Menschen an einem Arbeitstag führt. Manche von den Introvertierten merkte es man nicht wirklich an. Es gibt da wirkliche gute-Stimmung-verbreiter und brilliante Selbst-Verkäufer. Aber jeden Tag mit 70 (oder so) verschiedenen Schülern kommunizieren… weiss nicht.
Zu dem Thema IT-admins an Schulen: Vergisst es.
Ich habe das Licht gesehen. Wir haben dafür heute Technologien, um so was zentralisiert zu erledigen. Bin ja dem Thema Cloud in den letzten Jahren ausgewichen… um nun im kalten Wasser zu einem Docker-Captain und Kubernetes Steuermann zu werden. Aktueller Status an letzterer Front ist eher Leichtmatrose, aber ein begeisterter: Vermutlich das disruptivste, was ich je im (virtuellen) Büro erlebt habe.
Quereinsteiger*innen sind nicht die Lösung, die verschärfen das Problem. Denn sie sind genau die Lückenstopferei, die dann im Schnitt die Qualität runterzieht. Zwangsläufig. Quereinsteiger*innen fehlt völlig die pädagogische und didaktische Ausbildung, und zwar gibt es Nachqualis und alles, aber das ist ja das Zentrale. Deswegen sag ich ja Pferd von hinten: bring Leute, die Lehrkraft lernen, in MINT, nicht Leute, die MINT gelernt haben, in Lehrkraft.
Ich unterstütze das nachdrücklich.
Musste bei der Diskussion mit Lehramtsstudenten vor vielen Jahren feststellen, dass damals (das hat sich wohl geändert) die Offizierausbildung der Bundeswehr mehr an Methodik und Didaktik der Ausbildung vermittelte, als das Lehramtsstudium. UND Offiziere im Rahmen ihrer Ausbildung (wegen des Wechsels von Theorie auf Lehrgängen und Praxis in der Truppe) mehr Praxiswissen hatten, als ein fertig ausgebildeter Lehrer.
Und Methodik/Didaktik sind das a und o jeder Lehre. Die Bundeswehr legt da soviel Wert drauf, weil unser Standardszenario (Wehrpflicht) war, dass wir einen Minimalstandard in Leute bekommen mussten, die (nicht als Ausnahme) gleichzeitig unwillig und dumm waren.
Ich habe schon in der Schule einige brilliante Fachexperten kennengelernt, die für ihre Fächer wirklich brannten, aber als Lehrer vollkommen untauglich waren. Trotz universitär bescheinigter Lehrbefähigung. Und da wir, wie erst beim Abitur bekannt wurde, für einige Jahre als Testklasse für Referendare dienten (die armen Schweine), habe ich vermutlich deutlich mehr frische Lehrer gesehen, als die meisten anderen.
Quereinsteiger sind keine Lösung für irgendwas, es sei denn, sie sind zufällig auch Naturtalente fürs Lehren.
Gruss,
Thorsten Haupts
An der Uni wird das auch nicht gelehrt. Siehe meine Antwort an CitizenK, es ist das Referendariat. Nur: wenn du halt ein Mangelfach hast und mit ach und Krach und ner 4 das Ref schaffst, hast überall mit Kusshand eine Stelle. In meinen Fächern kriegen nur die Besten eine.
Ich muss mich mehr konzentrieren, wenn ich hier was poste.
Ich meinte mit Quereinsteiger ja gerade *Lehrer aus anderen Fachbereichen*.
Bin ja selbst ein Quereinsteiger in einem Mint-Bereich. Das geht, aber es ist
a) anstrengend und
b) muss man lernen, die MINT Kultur zu respektieren. Sowas gibts nämlich.
Ich habe eine Theorie, dass die weniger dazu neigen, Nebenbedingungen in Frage zu stellen. Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass dies in meinem Job oft eine Stärke ist. Wenn man das kapiert hat, ist die holistischere Kritikfähigkeit dann sehr hilfreich.
Ah verstehe. Unter „Quereinsteiger*innen“ fassen wir Leute, die fachliche Kompetenz haben (etwa Informatikstudium) und aus der Praxis in den Lehrerkraftberuf „quereinsteigen“.
Der Witz ist: Es existiert ausreichend auch didaktisch hervorragendes und diversifiziertes Lehrmaterial, um Leute in einer sub-akademischen Tiefe in Themen der Informatik einzuführen. Aus meiner Sicht müssten sich da Lehrer aus anderen Fachbereichen einarbeiten und könnten das dann auch vermitteln.
Das wäre für meine Branche sehr hilfreich. Eine sehr praxisorientierte Einführung, die an der Uni bei Bedarf vertieft werden könnte.
Kann ich nicht beurteilen, klingt aber spannend!
Es erfordert natürlich Arbeit und man muss das nicht machen.
Falls es dich oder einen Kollegen interessiert:
udemy.com -> Seite immer mal wieder besuchen. Eigentlich gibt es zumindest jeden Monat Sonderangebotstage, an denen alle Kurse zwischen 10 und 13 Euro kosten. Die Kurs-Ersteller arbeiten an den Kursen jahrelang weiter und wenn man 1x gekauft hat, erhält man die updates.
Problem: Die Kurse sind sehr lang.
Gut für ambitionierte Webentwicklung ist etwa Maximilian Schwarzmüller. Kurse in Englisch mit bayrischem Akzent.
Ich komme zum Lernen damit nicht klar, aber ich benutze seine Elaborate als eine Art Nachschlagewerk.
Gut für Python als vergleichsweise saubere Programmiersprache: Dr. Angela Yu
Sinnvoll für Schüler fände ich auch Linux Command Line. Da gibts auch haufenweise gute Kurse.
Für mich besser funktioniert pluralsight.com. Da kostet aber die jährliche subscription 490 Dollar oder so. Manchmal haben die Sonderangebote. Ist eigentlich wirklich für jeden etwas dabei.
Didaktisch umgehauen hat mich letzte Woche Adhithi Ravichandran: Cypress: End-to-end JavaScript Testing. Die Frau hat allerdings an US Unis gelehrt. Thema ist etwas spezieller, aber nicht wirklich übermässig kompliziert. Ihr Material reicht an vielen Stellen tiefer als was sie im Kurs erklärt und es gelingt ihr, dass das nicht einmal stört.
Danke, ich gebs weiter.
Es existiert ausreichend auch didaktisch hervorragendes und diversifiziertes Lehrmaterial, um Leute in einer sub-akademischen Tiefe in Themen der Informatik einzuführen.
Anderes Thema, aber – nicht nur dort. Schulen und Universitäten steht ein tiefgreifender Umbruch bevor, der natürlich die Bezahl-Unis in GB oder den USA eher treffen wird, als uns. Mal sehen, wann die ersten in Deutschland es merken – bei dem Thema herrscht Winterschlaf.
Gruss,
Thorsten Haupts
Institutionelle Blindheit. Man macht es so, wie man es immer gemacht hat. Ein bekanntes Problem 🙁
„Quereinsteiger*innen fehlt völlig die pädagogische und didaktische Ausbildung“
Findest Du, dass die an den Hochschulen stattfindet? In den MINT-Fächern sowieso nicht – Lehramt gilt als nicht gleichwertig. Hatten wir doch auch hier schon im Blog. Und wenn, dann besteht die aus einer Reihung von psychologischen und soziologischen Theorien ohne Praxisbezug. Gilt leider inzwischen auch für die PH’s, seitdem die auf Wissenschaftlichkeit machen (Promotionsrecht!).
Es gibt in anderen Berufen Menschen mit Interesse am Unterrichten, die gute Lehrer/innen werden. Ein Problem sind die Absolventen, die nicht Professor werden konnten und deshalb frustriert in den Schuldienst gehen.
Nein, an den Hochschulen gibt es zwar einige Pflichtveranstaltungen, aber die sind für den Popo und sichern nur einige Stellen (sei ihnen gegönnt, aber die Veranstaltungen sind kacke). Die Ausbildung kommt im Praxissemester und, vor allem, im Referendariat. Das fehlt massiv, das merkt man sehr deutlich.
Und ja, Leute sie Lehrkräfte werden, weil nichts Besseres da war, sind natürlich ein Problem, aber das ist ja bei jedem Job so.
3)
Du schreibst etwas in die Richtung ja öfter und mir ist das ehrlich gesagt zu einfach. Es ist doch wirklich nicht schwer, sich der eigenen Begrenzungen bewusst zu sein und somit die eigene Meinung und auch eigenes Wissen mit Vorsicht zu genießen.
@derwaechert
„Es ist doch wirklich nicht schwer, sich der eigenen Begrenzungen bewusst zu sein und somit die eigene Meinung und auch eigenes Wissen mit Vorsicht zu genießen.“
Ich glaube die meisten Menschen sind sich die meiste Zeit auch ihrer Begrenzung bewusst. Diese Menschen bemerkt man aber nicht, weil sie sich nicht lautstark an Diskussionen beteiligen. Und selbst die Lautstarken sind nur bei Themen laut, die entweder gleich ihr ganzes Weltbild in Frage stellen (Religion) oder sie sonst in ihrer Lebensweise direkt betreffen.
@Detlev Schulzet
Ja, das darf man nicht vergessen, wenn man an den Lautstarken verzweifelt
Klar, aber die Idee, dass du komplett aus dir raustreten kannst ist Unfug.
Im Sinne von totaler Objektivität? Das geht wohl nicht. Aber dazwischen liegt ja ein weites Feld.
Klar, kein Widerspruch. Aber gerade dieser Anspruch an Objektivität wird leider immer wieder formuliert…
Leute, die von sich und ihrer Meinung vollends überzeugt sind haben etwas mit denjenigen gemeinsam, die sich für total objektiv halten: offensichtliche Unfähigkeit zur Selbstreflexion 🙂
Korrekt.
4)
Ich finde es schwierig die Menschen so aus ihrer eigenen Verantwortung zu lassen. Die Wissenslücken, die Du ansprichst kann wirklich jeder füllen der will. Wahrscheinlich sogar bereits wenn man nur Bild läse.
Die Kommunikation könnte sicher besser sein, aber andererseits gab es doch wohl nie eine Zeit in der man sich als Laie über ein so komplexes Thema wie die Pandemie so umfassend und qualitativ hochwertig informieren konnte.
Wenn Menschen dann trotzdem weiter glauben, was ihnen Schwurbler und andere bei Telegramm oder Facebook so erzählen, dann liegt das vielleicht auch an ein bisschen an ihnen selbst, oder?
Ich will die Leute gar nicht aus der Verantwortung lassen, kein Stück. Nur ist es nicht eben so, als hätte die bisherige Politik geholfen.
Die Politik in Deutschland scheint sich da nicht mit Ruhm zu bekleckern.
Aber, wenn rund 70% der Bevölkerung unter den gegebenen Bedingungen geimpft sind, können diese Bedingungen ja so schlecht auch nicht sein.
Reflexion ist ein gutes Stichwort. Können sie mir beantworten, wer in der Gesundheitspolitik das Primat inne hat? Die Politik oder das Virus?
Sagen wir – aus Höflichkeitsgründen – irrelevante Fragestellung?
Ich verstehe die Frage nicht.
Ich sag es immer wieder: die deutsche Politik war mittelmäßig. Nicht katastrophal, nicht geil. In der Mitte. Wie fast alle anderen auch.
1) Die ‚Fight Club‘ Geschichte ist noch eine ganze Größenordnung bizarrer: Scheinbar entspricht der Tencent-Schluss dem Ende des Buches besser als der Fincher Film. Das wiederum hat den Autor zu Kommentaren gebracht, die so von Sarkasmus gegen Zensur triefen, dass der ironieentwöhnte Guardian damit total überfordert ist:
https://www.theguardian.com/film/2022/jan/27/fight-club-author-chuck-palahniuk-praises-chinese-cut-super-wonderful
Aber der Originalstoff ist ja irrelevant; es geht um den Film, nicht das Buch. Und die Chinesen wollen ja nicht näher an die Buchvorlage.