Klassenkampf in der Vorstadt

Mal wieder eine Erklärung vorab:
Wer eine wissenschaftliche Analyse gut strukturiert erwartet, darf bitte gleich aufhören zu lesen. Es wird eher ein Essay wie Korrespondent Dennis mein Internetgeschreibsel geadelt hat. Ich hab auch ehrlich nicht mehr die Kapazität, groß auf Aufbau/Gedankenführung zu achten. Ordinäre Sprache und Gefluche sind also zu erwarten. Es wird eher eine Beschreibung meiner allgemeinen Lage und jeder darf selbst entscheiden, ob das zur Gesamtsituation passt.

Außerdem empfehle ich vorab sämtliche Kommentare dieses Artikels zu lesen, weil ich sehr bewusst kommentiert habe und es auch absichtlich bis zur völligen Eskalation getrieben habe. Konnte ich nur machen, weil ich weiß, dass ich mich auf einige Kommentatoren hier verlassen kann. Daher vielen Dank an alle, die mitgeholfen haben ohne es zu wissen.

Wer sich soviel Lesemühe gegeben hat, den weise ich noch auf diese Problematik in eigener Deliberation-Daily-Sache hin.

Und außerdem bitte ich ausdrücklich um soviel Anstand und Respekt, mir hier nicht die gesammelten Vorurteile der Welt in die Kommentare zu meinem Artikel zu kippen.

Die Pandemie-Chaos-Apokalypse

Herzlichen Glückwunsch erstmal an diejenigen, die meinen so eine globale Pandemie wäre keine Katastrophe gigantischen Ausmaßes. Bitte tut mir den Gefallen und sinkt dankbar auf die Knie und freut Euch, dass ihr gesund und sicher in Eurem Zuhause seid. Ich schrieb ja schon mal, dass vermutlich niemand so gut intellektuell auf diese Katastrophe vorbereitet ist wie die regelmäßigen DD-Leser (vielen Dank Stefan!). Ich möchte von meinem Ausflug in die Bremer Vorstadt-Innenstadt (normalerweise mehr tot als lebendig) erzählen, bei dem ich den Spitznamen Trümmer-Lotte erhielt, der nicht unberechtigt ist. Meine Analyse vom 1. Mai war erstaunlich richtig, ist aber natürlich mittlerweile völlig überholt.

Tja, schade auch. Von Gemeinwohl, Solidarität und Fürsorge redet leider keiner mehr. Wir sind mitten im brutalen Existenzkampf, beziehungsweise wenn man sich die Ereignisse außerhalb Deutschlands ansieht mitten im Kampf auf Leben und Tod gelandet. In meiner Kenntnis der Leser hier, rate ich allen wissenschaftlichen Experten, sich nicht zu sehr in Statistiken und Analysen zu vergraben. Das ganze Jahr 2020 wird Stoff für die nächsten 100 Jahre Wissenschaft bieten, das ist hier mehr ein allgemeiner Praxistest, den man vermutlich gar nicht großflächig analysieren sollte, weil einfach zuviel gleichzeitig passiert. Ich musste mich von meinem Ausflug zwei Tage erholen und die unwichtigen Probleme fallenlassen und die drängendsten Probleme auf passendere Spezialisten auslagern, bevor ich hier ausführlich berichten kann und um meinen safe space kämpfen kann. Vielen Dank an alle, die mir dabei geholfen haben.

Setting

Wer mich regelmäßig liest, weiß dass Deliberation Daily mein Hobbyprojekt ist. Ich habe quasi meinen Berufswunsch zum Hobby gemacht: neugierige Erkenntnis-Sammlerin oder Selfmade-Karla-Kolumna oder so. Keine Ahnung, wie das alles kam, aber Sensationell! ist irgendwie noch stark untertrieben.

Ich bin eine Weltenwanderin, typischer Nerd vermutlich. Vielleicht mag der Sassestefan seine Sicht auch noch beisteuern, da wir zu ähnlichen und doch anderen Clubs gehören. So eine Pandemie ist ja eine totale „Alles hängt mit allem zusammen“-Katastrophe, der Mensch selbst ist die Gefahr, weil er die unsichtbaren Viren mit sich herumschleppt und keinen oder wenig Einfluss darauf hat, ob er jemandem den Tod bringt oder selbst das Pech hat, ansteckt zu werden. Ich selbst habe schon Scherze darüber gemacht, dass ich mich wie Wonderwoman fühle, denn bei all der Scheiße, die gerade abläuft, bin ich eigentlich gar nicht direkt betroffen. Ich bin eine Frau, weiblich, sehe vollkommen harmlos aus, habe eine recht robuste Gesundheit und weiß bin ich auch noch und meinen dänischen Minderheitsstatus hab ich ja ein bisschen erfunden, weil Dänen allgemein gar nicht als Ausländer gelten.

Ich könnte also beruhigt Urlaub machen und sämtliche Bücher lesen und GTA von hinten bis vorne durchzocken. Dummerweise ist das aber nicht meine Art. Gerade weil ich hier bei den ganzen Problemen so sicher wie möglich bin, fühle ich mich in der Pflicht meine wenigen Möglichkeiten zu nutzen, um zumindest in kleinem Rahmen zu helfen. Es gibt – meine ich – Untersuchungen zur Altersstruktur, denn 35 ist mal echt nicht das richtige Alter, wenn eine Pandemie ausbricht. Heutzutage ist es gerade bei gut ausgebildeten Menschen das typische Alter, in dem man sesshaft wird. Indem man über Karrierepläne und Familienplanung nachdenkt oder schon Kinder hat und auch die vorige/n Generation/en kommen in ein Alter, in dem sie mehr Unterstützung als sonst brauchen. Vermutlich ist den meisten schon aufgefallen, dass Kinder/Jugendliche und RentnerInnen einiges gemeinsam haben. Ich wusste das ja schon immer, meine Oma ist meine zweite Mutter und meine Seelenverwandte. Weswegen ich immer höchst ungehalten werde, wenn jemand einen Generationenkonflikt herbeiraunt. Alte Familientradition, ich heiße nicht zufällig Ariane Sophie, denn Oma Sophie war meine Urgroßmutter und ich habe das große Pech, das sie mir durch die vielen Geschichten bekannt ist, die sie überlebt haben.

„Unglückliches Timing“ kann ich ehrlich gesagt nicht mehr hören, alles was je in meinem Leben oder der Welt passiert ist, sorgt hier jetzt irgendwie für Kuddelmuddel. Auf der einen Seite habe ich die perfekte Wohngegend gefunden. Bremer Vorstadt, am Kleinstadtbahnhof. Und kam auf die Idee, meinem Vater erst vor 1,5 Jahren zu erzählen, dass meine Mietwohnung zum Verkauf steht und das ein ideales Anlageobjekt für das Alter ist. Kleine Wohnungen gibt es nicht genug und Amazon baut hier gerade ein großes Logistikzentrum (alle Autobahnen vor der Haustür). Dass wir hier eine Hausgemeinschaft haben mit zwei Einfamilienhäusern und zwei Mehrfamilienhäusernn mit je sechs Parteien und die ein oder anderen Nachbar-Blockwarten habe ich vielleicht nicht zu ausführlich erwähnt. Ich wohne hier schon 10 Jahre und bin nun gleichzeitig Mieterin und Stellvertreterin des Eigentümers, was ja eigentlich ganz praktisch ist. Naja. Zudem sorgt der recht späte soziale Aufstieg meiner Vorfahren dafür, dass ich einerseits fast nur selbständige Handelsmenschen und andererseits wichtige praktische Leute kenne. Die Bullshitjobs die in der Pandemie völlig irrelevant sind aber großtmögliche Sicherheit bieten, sind weniger vertreten.

Und ich habe ein Talent dafür, mir jeden komischen Kram zu merken und Dinge organisieren zu können und mit wirklich allen Leuten freundlich zu reden. Und ich kann gut mit jedem, egal welches Alter, Hautfarbe, Geschlecht und vor allem Alter. Mit 35 tickt ja die Uhr und man fängt doch an, sich auch analytisch mit Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen. Ich kann also viele nützliche Dinge in so einer Pandemiesituation, nur ist meine eigene Familie im einzigen Bundesland, das sich echt gut abschotten kann und die größte Herausforderung ist, auf sich selbst aufzupassen um nicht ständig in die Überforderung zu rasen.

Ich wurde hier schon mehrmals für meine Empathie gelobt. Empathie lässt sich aber nicht steuern, man kann sie lernen. Aber nicht vollends kontrollieren. Und in Stress-Situationen, die aktuell ständig auftreten, fliegt sie mir regelmäßig um die Ohren. Gefühle sind nämlich für empathische Menschen verdammt ansteckend und man muss sie wie Aerosol-Tröpfchen erstmal wieder einfangen, um nicht total durchgeknallt zu wirken, nur weil man mal ein bisschen melodramatisch wirkt. Als passionierte Sprachspielerin habe ich dafür den Ausdruck coronakaputt gefunden, weil jeder auf anderen Ebenen unterwegs ist, die häufig nicht so ganz zueinander passen.

Action!

Also. Es war ein großes Abenteuer geplant. Friseurbesuch in der Achimer Innenstadt, bzw die Haare waren eigentlich egal. Ich kenne meinen Friseur schon länger und würde sagen, wir sind gut befreundet. Friseure sind ja eh so Co-Therapeuten, da Frauenbehaarung generell so ein riesiges Thema ist, wie Männer übrigens wissen sollten, deswegen kennen die melodramatische Frauen wegen emotionaler Überforderung nur zu gut.

Das Spektakel begann schon am Abend zuvor, weil ich anbot, Schlüssel für den Fahrradschuppen für die Nachbarin nachmachen zu lassen. Das ganze Haus ist ein Drama, war wohl mal ein Bürogebäude und wurde immer nur irgendwie improvisiert geflickschustert. Die Kurzfassung ist, dass wir vier Singles mit unterschiedlichem Coronachaos sind und neben wohlstandsverwahrlosten Menschen wohnen, die ein Theater um Klüngelkram machen, dass schon Schlichter und gott weiß wieviele Leute involviert sind und ich nicht in Ruhe das Haus verlassen kann, ohne irgendeine Eskalationsstufe zu erfahren. Immerhin konnte ich bisher alle von der Anwaltlösung abhalten.

Nun, das erzähle ich eigentlich nur, weil es eine Verwechslung gab und sie dachte, ich fahre in die Bremer Innenstadt. Da war sie nämlich schon ewig nicht mehr. Bremen ist Tabuzone, Metropole und weil wir ein abgefucktes durchgedrehtes föderalistisches Land ist, weiß niemand, was in Bremen eigentlich los ist. Wir wohnen direkt dran, aber Bremen gehört zu einem anderen Sendegebiet. Die laufen nicht über den NDR, den ich verfolge, weil ich ja schon Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein im Blick behalten möchte. Also verrückterweise hab ich keine Ahnung, ob Bremen noch existiert.

Ich schilderte ja ausführlichst, dass in Niedersachsen komplette Anarchie herrscht und dass es einen guten Grund hat, dass man sonst gar nicht merkt, dass es eine Landesregierung gibt. Kaum ist Pandemie fällt nämlich auf, dass die selbst vergessen hatte, dass das eine wichtige Aufgabe ist. Meistens hört man konfuse Ansagen oder „besonnen durch die Krise schippern“. Wenn wieder irgendwo ein Hotspot entsteht und Menschen sterben, wird erzählt, dass man jeden Hans und Franz testen will und die Gesundheitsämter machen hier scheinbar alles. Außer „mach mal spontan ein Hygienekonzept und setze das selbständig um“ gibt es keine Vorgaben von oben (oder es kennt sie niemand, weil die Internetseite scheinbar von nem Hobbynerd im Keller zusammengebastelt wird und bis heute kaum modernisiert wurde). Dummerweise sind die Gesundheitsämter sonst ja nicht so wichtig und das letzte, was ich von dieser Front hörte ist, dass die Bundeswehr aushilft, weil die ja nicht soviel Personal haben. Das sind natürlich die perfekten Leute für die erste Pandemie-Chaos-Front.

Wie der Zufall es so will, wird ausgerechnet jetzt endlich nach Jahren das große Logistikzentrum gebaut (ich möchte nicht drüber reden, dass mein Ort langsam ein Hotspot wird, weil die scheiß Steuerflüchtlinge aus Bremen ihr Logistikzeug lieber hier aufbauen und das mal so gar nicht pandemiesicher ist!). Ja immerhin heißt das, dass Geld in Infrastruktur und Modernisierung fließt, weil wir hier ja die niedersächsische Pampa sind und eine kleine Bimmelbahn von Verden bis Bremen haben und sonst hauptsächlich kaputte Straßen und einen Bürgerbus. Einkaufsgelegenheiten sind ja meistens auf Stadtränder konzentriert, weil hier sowieso jeder ein Auto haben muss. Tja also „unglückliches Timing“ die eine Woche Lockdown, die letzte Woche in der echt mal gar nichts passierte, wude genutzt um mein Stadtviertel mit Baustellen einzukreisen und den Verkehr in der Stadt vollkommen lahmzulegen.

Der Tag begann schon damit, dass zum zweiten Mal jemand an der Tür klingelte (zum Glück war ich nicht im Schlafanzug), um meinen kaputten Feuermelder zu tauschen, der schon längst getauscht ist. Einen Auftrag, die jährliche Überprüfung aller Wohnungsfeuermelder zu unternehmen hatte der gute Mann natürlich leider nicht. Immerhin wollte er mein 1zimmriges Chaos mit zwei Rauchmeldern nicht persönlich überprüfen.
Dann ging es endlich los und ehrlich Leute. Man kann sich nicht vorstellen, wie sehr eine kleine Pandemie das Vorstadt-Bild verändert. Das ist als wäre ich in einem verrückten Trashfilm gelandet, den nicht mal Til Schweiger und Joko & Klaas zusammen erdenken können.

Der Anteil an sichtbaren Ausländern (hier zähle ich Südosteuropäer nicht mit, davon gibt es auch etliche, aber die fallen nicht auf den ersten Blick als fremd auf) wirkt als wäre er sprunghaft angestiegen, weil die anscheinend kein HomeOffice haben, sondern in Achim den Laden am Laufen halten. Auch die Jugendlichen sitzen hier hauptsächlich an den Kassen von Einkaufsmöglichkeiten herum. Komme mir immer vor wie in einem Kiez und es gehen übrigens alle extrem rücksichtsvoll miteinander um, mit Coronaparties ist hier gar nichts. Durch diesen On/Off-Zustand ist die Verkehrssituation mittlerweile wirklich gemeingefährlich geworden. In der niedersächsischen Pampa hat man noch nie von Mobilitätskonzepten für die Bewohner gehört. Meistens müssen sich Fußgänger und Radfahrer einen kleinen Bürgersteig teilen, während die Autos einfach am Straßenrand abgestellt werden, damit man in kleine Läden reinspringen kann. Das ist ungünstig. Auf den Bürgersteigen Wackelkinder auf allen möglichen Gefährten, Radfahrer dann meistens auf der Straße. Autos sind olle Karren der armen Bevölkerung, die von A nach B müssen oder was ich jetzt nicht erwartet hätte, absolut spacige Karossen. Die krassesten Luxuskarossen, die man sich vorstellen kann. Hypermoderne Sportwagen. Und uralte Oldtimer, gerne aus Amerika oder Großbritannien. Die reiche Schicht scheint irgendwo ein geheimes Autolager für Freizeitfahrzeuge zu haben. Leute, wir müssen dringend mal damit aufhören, Autos zu verherrlichen, bevor hier alle in Verkehrsunfälle verwickelt sind, das ist echt gefährlich.

In Verden wurde eine Brems-Schwelle einfach abgebastelt nachts. Denn dummerweise sind Verkehrsregeln hier nur noch gutgemeinte Hinweise und im Schilderwald sieht man einzelne Schilder eh nicht mal, weil ja zig Umleitungen sind. Und niemand ist ein geübter Fahrer für die ganzen Fahrzeuge. Kinder lernen Radfahren, die Rentner fahren mit 30 durch die Gegend und hatten vorher das Auto wohl schon aufgegeben und die – sorry Klischee – Midlifecrisis-Männer freuen sich, ihr Freizeitauto spazieren zu fahren ohne dass sie wissen, dass man bei ollen Karren ordentlich auf die Bremse treten muss. Ich hätte dann doch lieber Covid als das nächste Mal wirklich von einer fancy Ami-Oldtimer-Karre überrollt zu werden, weil ich in meine Straße einbiege, vielen Dank.

Ich kämpfte mich also durch irgendein Industriegebiet, die alle gleich aussehen und fragte mich gerade, ob ich schon versehentlich in Delmenhorst gelandet bin, als die Nachrichten liefen und berichteten, dass sie in Münster wohl einen der schlimmsten Pädophilie-Ringe ausgegraben haben, den man sich vorstellen kann. Mit super Verschlüsselung und Familiengeschäft und Väter müssen ihre Kinder identifizieren und Kinderhandel und man mag das gar nicht wissen. Die armen Polizisten und Kinder und überhaupt haben hoffentlich beste therapeutische Betreuung.

Nun ich erreichte also schon mit höchst angeschlagenen Nerven meinen hygiene-gesicherten Friseur und durfte auf der Terrasse (jetzt Raucherecke) erstmal eine rauchen, während die Haare trockneten. Obwohl man fürsorgliches „Erzähl mal von Anfang an“ ja gerade nicht so gut gebrauchen kann und es eh nur zum Spitznamen Trümmer-Lotte führte und zum Angebot ein Haarmodell zu werden. Hoffentlich muss man dafür nicht fotografiert werden. Und – das wissen hochstudierte Wissenschaftsmänner vermutlich nicht – wenn man offen zugibt, dass die Nerven angeschlagen sind, bekommt man übrigens die richtigen Horrorstories angedeutet.

Denn ja, das sind alles Tabuthemen, das müssen wir schleunigst ändern, bevor hier alles explodiert und Deutschland nicht mehr das ruhige Auge des Sturms ist, sondern es für alle um Leben und Tod geht. Jeder verarbeitet gerade alle seine Traumata auf mal. Ich sagte es schon einmal, deswegen ist eine Pandemie auch direkt mit der Menschenwürde verknüpft. Es geht nicht um den Tod an sich. Es geht um unseren Umgang mit schutzbedürftigen Menschen, ob das alte oder junge Menschen sind. Schwarze oder Weiße. Egal. Deswegen wurden die allgemeinen Menschenrechte damals aufgeschrieben, weil jedes Leben für sich gleichwertig ist. Und wenn das – so wie jetzt noch rhetorisch – in Deutschland plötzlich wieder in Frage gestellt wird, dann wissen wir alle, wo das endet. Niemand auf der ganzen völlig abgefuckten Welt weiß das besser als wir. Also WTF: tickt ihr noch richtig? Ist es wirklich so wichtig, ob man Geld hat oder in den Sommerurlaub braust oder eine Maske über Mund und Nase trägt? Sind das echt die wichtigen Themen des Lebens? Habt ihr jegliches Mitgefühl und Anstand verlernt? Wollt ihr, dass so mit euch umgegangen wird, wenn ihr mal Schwierigkeiten habt? Echte? Existenzielle? Schämt Euch! Wirklich! Setzt Euch hin und recherchiert Eure Familiengeschichte! Wie seid ihr in der deutschsprachigen Welt gelandet? Und wollen wir da wieder hin oder setzen wir uns alle mal kurz hin und sind dankbar dafür, dass wir im Jahr 2020 am sichersten Ort der Welt für eine Pandemie leben? Und ja, das ist anklagend und radikal. Heult leise! Oder jedenfalls bei Tichy, die jetzt immerhin offiziell neurechte Plattform genannt werden dürfen, deren Geschäfftsmodell aus Hetze besteht. Danke Claudia Roth!

Nun sorry der Rant musste mal sein. Es wurden wohl auch Haare geschnitten und es sieht wohl gut aus, aber da ich kurzsichtig bin, hab ich es ehrlich gesagt noch gar nicht groß bewundert. Das ist das gute, wenn man mit seinem Friseur befreundet ist, ein einfaches „Mach mal was, worum ich mich nicht kümmern muss“ klappt wunderbar. Übrigens herrscht in der normalerweise ausgestorbenen Innenstadt die reinste Paranoia, jeder ist mit den Nerven zu Fuß. Die einen haben Angst vor Ansteckung, die anderen Angst dass sie irgendeine der undurchsichtigen Hygieneregeln nicht richtig umsetzen und im Knast landen, alle stehen mehr oder weniger vor der Pleite. Und mittendrin das Verkehrschaos, das dafür sorgt, dass ständig die freiwilligen Rettungskräfte sich da durchwühlen müssen und ne Rettungsgasse ist da ja nicht mehr so einfach. Ich ging also gutaussehend mit neuer Frisur und froh und glücklich zum kleinen Eisenwarenladen für die Schlüssel und ausgerechnet! erwischte ich den einzigen Laden in Deutschland, bei dem man bar bezahlen muss. Und natürlich hatte ich die Hälfte meines verbliebenen Bargelds gerade dem Friseur überreicht, nachdem wir bequatscht hatten, dass nur die Kriminellen noch Bargeld wollen (schon mal überlegt übrigens, warum die Grenze zu Holland die einzige ist, die dauerhaft auf war – Gras und Subunternehmer für Schlachtbetriebe.

Außerdem tobt übrigens wohl der große Kampf um Prostitution und in ganz Schleswig-Holstein sind sämtliche Schrottimmobilien ausverkauft. Ich bin sehr dafür, das Wort Clankriminalität aus dem deutschen Wortschatz zu entfernen und nur noch von Bandenkriminalität zu reden. Auch weiße alte Männer sind kriminell, meist nur in viel größerem Ausmaß, ich erinnere zum Gedenken an die EM 2020 mal daran, wo die nächste Fußball-WM stattfindet). Ja auf jeden Fall endete dieser Teil des Ausfluges damit, dass ich den Friseur bitten musste, die 5€ aus dem Sparschwein wieder herauszuholen, damit ich nicht noch ganz zur Bank latschen muss, es war schon spät und ich hatte Hunger.

Nach diesem vollständigen Comedy-Akt fuhr ich auf dem Nachhauseweg zum Supermarkt, der Geld und eine Hähnchenbude hat und an der schlimmsten Kreuzung der Vorstadt steht und entdeckte recht überraschend eine Insel der Ruhe und Normalität. (unnötig zu erwähnen, dass ich vorher fast vom krassesten Mercedes-Sportwagen angekachelt wurde, den ich je gesehen hab). Der Hähnchenmann machte mir meine Pommes (damit die Kartoffelbauern nicht auch noch pleite gehen!) und ich saß auf der Bank, bestaunte das Verkehrschaos und eine Jugendliche bestellte auch noch was. Lustigerweise waren das zwei Mädels aus Bremen auf einem Ausflug, die mir erzählten, dass Bremen noch steht und auf die Frage, wie so der politische Blacklifesmatter-Kampf läuft erzählten, dass man nicht rassistisch sein sollte. Recht haben sie. Echt Leute, Kinder und Jugendliche sind die einzigen, die noch alle Latten am Zaun haben, wir sollten aufhören, auf ihnen herumzuhacken. Und der Hähnchenmann, der aber leider nur wenig Deutsch kann und mir nur verraten konnte, dass es seine Tante ist, die das sonst macht (und auch sehr nett ist). Wir sollten uns an dieser kleinen Episode wirklich ein Beispiel nehmen. Es war so herrlich normal und scheiß auf die bekloppt gewordene Welt, dass ich da picknicken würde, wenn man unbeschadet hinkäme.

Nachwort

Das wäre ein perfekter Abschluss, aber nach dem Nachhausekommen musste ja noch der Schlüssel überreicht werden und ich landete direkt wieder im Nachbarschaftskrieg, der die Nerven meiner körperlich beeinträchtigten Nachbarin auf die Probe stellt, so dass ich gestern erstmal meine Experten für Großprobleme vorbereiten musste, dass eventuell mehr Handlung nötig ist, wenn die Schlichter-Sache nicht reicht. Daher kam ich auf safe space. Ich glaube jeder hat gerade einen safe space nötig. Ob das im zu Hause ist, im Internet, in der Natur – egal. Aber die Paranoia und die Gereiztheit, die ich den ganzen Tag über von allen Seiten aufnehmen musste, hat mich ehrlich besorgt. Das ist nicht gesund. Wenn alle gleichzeitig durchdrehen, sieht man was passiert, wenn man in die USA guckt.

Von daher meine Bitte an alle und vor allem an diejenigen Männer (und Frauen), die gerade keine krass existenziellen Sorgen haben. Achtet mal auf andere, ihr seid nicht der Nabel der Welt. Wir haben hier auf der ganzen Welt gerade Katastrophen ohne Ende, weil Leute es nicht mögen, wenn Menschen sterben oder in Lebensgefahr sind! Und wenn ihr nicht mehr könnt und eine Pause braucht oder Euch die Nerven durchgehen, dann holt Euch bitte gottverdammt Hilfe! Vor allem Männer, sorry aber wenn Männern die Nerven wegfliegen, dann bringen sie sich und andere in Gefahr. Der sehr gefühlvolle Nachruf von Barbara Hans auf ihren Kollegen Christoph Sydow ist leider ein kleiner Beweis dafür. Und ich wäre froh und glücklich, wenn Deliberation Daily für mich und alle Menschen auch ein safe space sein könnte, auch für nichtstudierte, junge, eventuell homosexuelle, migrantische Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen.

Und dafür braucht es Rücksicht und Respekt, auch im Internet.

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