Frauen errichten Brandmauern, damit Bildungspläne Steuererklärungen für jüdische Grüne beinhalten – Vermischtes 15.08.2024

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Die Brandmauer wird zur Ruine

Der Artikel beschreibt die aktuellen Herausforderungen der CDU im Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene in Deutschland. Offiziell hält die CDU an ihrer „Brandmauer“ fest, die jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt, um ihre Glaubwürdigkeit und christdemokratischen Werte zu schützen. In der Praxis bröckelt diese Abgrenzung jedoch zunehmend, besonders in Ostdeutschland. In mehreren Kommunen wurden AfD-Kandidaten in Positionen gewählt, wobei Hinweise auf eine stillschweigende Unterstützung durch CDU-Abgeordnete bestehen. Parteichef Friedrich Merz hatte ursprünglich jede Zusammenarbeit ausgeschlossen, doch seine Aussagen und die Reaktionen der Landesverbände zeigen, dass die Grenzen zunehmend verschwimmen. Kritiker innerhalb der CDU fordern eine klare Haltung, da das Vorgehen auf kommunaler Ebene nicht nur der Partei, sondern auch dem Land schade. Es wird deutlich, dass die einst feste Abgrenzung zur AfD zunehmend erodiert und die Parteiführung unter Druck steht, eine klare Linie zu definieren. (Peter Maxwill/Ann-Katrin Müller/Jonas Schaible/Jean-Pierre Ziegler, Spiegel)

Es wird nicht mehr lange dauern, bis die CDU mit der AfD koaliert. In den Ostlandesverbänden ist das bereits jetzt der dringende Wunsch der Leute. Zu offenkundig sind die inhaltlichen Überlappungen. Das wird sich durch Torpfostenverschiebung immer weiter nach oben bewegen. Erst Zusammenarbeit in den Kommunen (bereits Realität), dann in den Kreisen (so gut wie), dann kommt es im Land (absehbar). Das einzige, was vermutlich vorerst halten wird, ist die Brandmauer im Bund. Gleichzeitig wird es auch zu Verschiebungen in der Horizontalen kommen: da wird dann nicht nur für den täglichen Verwaltungskram zusammengearbeitet, sondern auch bei den krasseren AfD-Vorhaben, etwa den klar rechtswidrigen Ankündigungen, geltende Gesetze (etwa den Verteilungsschlüssel) nicht einhalten zu wollen. Für die CDU ist das ein Riesenproblem, weil es die Partei zerreißen kann. Wenn eine CDU-AfD-Koalition in Thüringen etwa tatsächlich den Verteilungsschlüssel aussetzt – wird die Bundes-CDU dann zum Bundeszwang greifen? Oder wird sie den renitenten Landesverband decken? Solche Schritte werden es sein, die die Demokratie und den Rechtsstaat ernsthaft beschädigen.

Gleichzeitig steht die Partei natürlich in einem Dilemma. Sie ist neben Einiges Russland (AfD und BSW) die einzige relevante Partei im Osten. FDP und Grüne sind in vielen Landtagen nicht oder absehbar bald nicht mehr vertreten; der Liberalismus ist in den neuen Bundesländern damit praktisch tot. Die SPD ist in vielen Ländern marginalisiert. Eine Koalition ohne die AfD ist bereits schwierig; will man LINKE und BSW auch noch ausschließen, ist das manchmal schon arithmetisch nicht mehr möglich, manchmal politisch kaum durchführbar. Es wird sich zeigen, ob die aktuelle Annäherung zwischen CDU und BSW ein Alternativmodell sein könnte. Es ist quasi die Definition von „vom Regen in die Traufe“, aber zumindest hat der BSW noch nicht angekündigt, die Verfassungsstruktur ins Wanken bringen zu wollen.

2) Steuererklärung in den Lehrplan? Klingt modern, ist aber vor allem ungebildet

Der Text argumentiert, dass die Entwertung von Bildung in der modernen Gesellschaft mit einer falschen Vorstellung von Gleichheit zusammenhängt. Wilhelm von Humboldt sah Bildung als den wahren Zweck des Menschen, doch heute wird sie oft als nutzlos betrachtet, wenn sie keinen direkten praktischen Nutzen hat. Diese Sichtweise führt dazu, dass nur noch „lebenspraktische“ Inhalte gefordert werden, während klassische Bildungsinhalte wie Mathematik, Literatur oder Geschichte als irrelevant erscheinen. Der Autor betont, dass Bildung weit mehr ist als nur das Erlernen von nützlichen Fertigkeiten. Sie fördert Selbstbewusstsein und hilft dabei, die Welt zu verstehen. Die Tendenz, Bildung zu vereinfachen und Standards zu senken, führt laut dem Autor zu einer oberflächlichen Gleichheit, die das Leistungsprinzip und die individuelle Entwicklung untergräbt. Die Idee, dass jeder ungeachtet seines Wissens mitreden kann, sei ein Trugschluss, der letztlich zur „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ führe. Bildung, so der Autor, bedeutet nicht Gleichmacherei, sondern die Fähigkeit, sich selbst und die Welt zu erkennen. (Hanna Bethke, Welt)

Eine Grundregel für alle Bildungsdiskussionen, mit der ich eigentlich recht gut fahre: jede Forderung nach einem neuen Fach wird nicht ernstgenommen; jede Forderung, irgendwelche Allerweltsthemen in den Bildungsplan zu schreiben genausowenig. Die Idee von „Steuererklärung unterrichten“ ist so eine, weswegen ich froh über Bethkes Intervention bin. Einfach einmal kurz ausbuchstabiert: wann genau lehre ich die Steuererklärung? Nehmen wir mal an, ich mache es in der Abschlussklasse. Da es nicht Prüfungsstoff ist, mache ich es nach den Prüfungen, wo die Aufmerksamkeit der Schüler*innen eher ausbaufähig ist. Die erste eigene Steuererklärung liegt noch weit in der Zukunft: die allermeisten Schüler*innen werden noch mehrere Jahre primären oder sekundären Bildungsweg anhängen. Da es Schüler*innen sind und die Steuererklärung ein rein theoretisches und wenig spannendes Thema ist, ist das für die genauso abstrakter Stoff wie der Aufbau einer Zelle oder die Gründung des Deutschen Reiches. Wenn sie es überhaupt lernen, ist es schnell wieder vergessen. Die Steuererklärung lernt man wie so vieles durch Praxis, wenn man sie braucht. Es ist die Aufgabe der Schule, den Schüler*innen das Rüstzeug zu geben, mit dem sie es dann schnell lernen können. DAS ist Bildung.

Gleichzeitig stimme ich Bethke auch beim notwendigen Wissen zu. Welches das genau ist, ist natürlich ein endloser Streitpunkt. Aber es ist in jedem Falle so, dass auch komplizierte, abstrakte und theoretische Inhalte großen Wert haben. Es ist übrigens auffällig, dass Forderungen wie „Steuererklärung unterrichten!“ oft aus derselben Ecke kommen wie „unbedingt alle Faust lesen lassen!“ Diese Imperative sich gegenseitig ausschließen entgeht denen meisten – wobei die Fordernden meist viel zu wenig Sachkenntnis haben um überhaupt zu bemerken warum ihre Forderungen unrealistisch sind.

3) Zwei jüdische Welten prallen aufeinander

Der Text beschreibt einen Konflikt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, der durch die geplante Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an Meron Mendel und seine Frau Saba-Nur Cheema ausgelöst wurde. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, kritisiert diese Entscheidung, da er Mendels Positionen als israelkritisch und von der Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft nicht getragen ansieht. Der Konflikt spiegelt tiefere Differenzen zwischen jüdischen Perspektiven wider: Mendel, der als Israeli mit direkter Erfahrung im Nahostkonflikt spricht, und Schuster, der als in Deutschland sozialisierter Jude die Bedeutung Israels als Zufluchtsort betont. Der Artikel thematisiert auch die unterschiedliche Wahrnehmung von Juden in der deutschen Öffentlichkeit, wo ihre Meinungsvielfalt oft als ungewöhnlich betrachtet wird, was auf tiefe historische Vorurteile zurückgeführt wird. Die Diskussion zeigt die Spannungen zwischen verschiedenen jüdischen Identitäten und deren Einfluss auf öffentliche Debatten. (Richard C. Schneider, Spiegel)

Ich finde den Artikel vor allem deswegen spannend, weil der Diskurs in der Öffentlichkeit meist viel zu reduziert ist: da wird gerne von „den Juden“ gesprochen, oder doch zumindest „Israel“. Zu ignorieren, dass letzteres Land eine Demokratie ist, in der es eine große und breite Opposition gibt, hat ja quasi Tradition. Da wird dann gerne ein Extremist wie Netanjahu als repräsentativ für eine ganze Bevölkerung angenommen, und die Bevölkerung dann gerne als identisch mit allen Juden weltweit. Auf der anderen Seite ist es schön zu sehen, dass natürlich auch in dem Bereich Leute versuchen, sich gegenseitig zu canceln. Die Mechanismen sind überall dieselben.

4) Nur auf die Grünen ist noch Verlass

Der Artikel behandelt die schwierige Lage der Grünen in Ostdeutschland, wo sie bei den Kommunalwahlen in vielen Regionen schwach abschneiden. Während die Grünen im Westen Deutschlands oft erfolgreich sind, haben sie im Osten deutlich weniger Rückhalt. Dies hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen, unter anderem mit der starken Präsenz der AfD, die in Ostdeutschland zunehmend an Einfluss gewinnt. Die Grünen hingegen scheitern oft an der 5-Prozent-Hürde und sind in vielen Kommunalvertretungen nicht vertreten. Der Artikel betont, dass die Grünen in Ostdeutschland kaum verlässliche politische Partner finden und es schwer haben, in der Region Fuß zu fassen. Zudem wird die Kluft zwischen Ost und West deutlich, sowohl in den Wahlergebnissen als auch in den politischen Einstellungen der Bevölkerung. Dies stellt die Partei vor große Herausforderungen und macht deutlich, wie unterschiedlich die politische Landschaft in den beiden Teilen Deutschlands ist. (Jasper von Altenbockum, FAZ)

Es ist eine der größten und faszinierendsten politischen Verschiebungen der letzten Jahre, dass die Fackel der Westbindung, NATO und des Transatlantizismus von der CDU zu den Grünen wandert. Der Prozess ist natürlich nicht gleichförmig: ein Friedrich Merz etwa ist weiterhin klassischer Transatlantiker, und bei den Grünen gibt es genug Restbestände aus der alten Friedensbewegung, deren reflexhafter Antiamerikanismus tief verhaftet ist. Aber die Bewegung ist unübersehbar: dank der Ostlandesverbände der CDU (siehe Fundstück 1) ist die Westbindung mittlerweile innerhalb der Partei effektiv umstritten. Das schlägt sich auf die Bundespolitik meist nicht so stark nieder, weil, wie diskutiert, die Länder da nichts zu sagen haben. Aber alleine die Meinungsumfragen im Osten mit ihren deutlich über zwei Dritteln Ablehnung von NATO und Westbindung sprechen eine deutliche Sprache. Von der SPD brauchen wir überhaupt nicht anfangen, die hatten mit dem Thema ja schon immer ihre liebe Not, und auch die FDP ist mittlerweile ein sehr unsicherer Kantonist, im Osten sowieso (wo sie da überhaupt noch existiert).

5) This is a misogyny emergency. A huge outpouring is coming in the runup to the US election

Der Artikel argumentiert, dass die US-Präsidentschaftswahl 2016, bei der Donald Trump gewann, einen beispiellosen Moment globaler Frauenfeindlichkeit darstellte, der weitgehend unbeachtet blieb und auch Jahre später kaum aufgearbeitet wurde. Die Autorin vertritt die Ansicht, dass soziale Medien mit ihrer enormen Reichweite und der Tendenz, hasserfüllte Inhalte zu verstärken, auf tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit trafen und eine mächtige Kraft gegen Hillary Clinton erzeugten, die maßgeblich zu ihrer Niederlage beitrug. Dieses Ereignis habe gezeigt, wie Frauenfeindlichkeit, insbesondere in Kombination mit Rassismus, genutzt werden kann, um Frauen in Machtpositionen zu untergraben – wie es derzeit bei Kamala Harris geschieht. Der Artikel warnt vor der gefährlichen und allgegenwärtigen Natur der Frauenfeindlichkeit in der Politik und beschreibt sie als eine unsichtbare, aber tödliche Bedrohung für die Demokratie und die globale Sicherheit. Die Autorin fordert ein Bewusstsein und Handeln, um zu erkennen, dass Frauenfeindlichkeit nicht nur ein gesellschaftliches Problem, sondern eine entscheidende Bedrohung ist, die künftige Wahlen und die globale Stabilität beeinflussen könnte. (Carole Cadwalladr, The Guardian)

Wie ich in meiner Serie zu den Faktoren von Clintons Niederlage 2016 beschrieb, war Sexismus ein relevanter Effekt. Allerdings funktioniert er im Wahlkampf durchaus in beide Richtungen: wie Ariane und ich im Podcast diskutiert haben, ist die Krassheit der republikanischen Attacken und die Offenheit ihres Sexismus (und Rassismus) eine, die viele Menschen abstößt und auch einen gegenläufigen Mobilisierungseffekt hat. Aber: der grundsätzlich Punkt Cadwalladrs steht natürlich. Frauenfeindlichkeit ist weiterhin ein Problem, mit dem Frauen auf dem Weg in Führungspositionen viel zu kämpfen haben. Ich würde noch ergänzen wollen, dass es sich dabei um kein symmetrisches Problem von Männern vs. Frauen handelt. Viele Frauen leiden unter dem Imposter-Syndrom, und noch viel mehr Frauen ziehen ihre Geschlechtsgenossinnen mit aller Macht nach unten. Ich halte Frauen, die Frauen aufhalten, inzwischen für ein mindestens gleich großes Problem wie dass Männer das tun. Vom „sich zu wenig zutrauen“ mal ganz abgesehen.

Resterampe

a) Trump, by the numbers.

b) Völlig korrekt.

c) Solarzahlen aus den USA.

d) Zum Verhältnis von Klimabewegung und Grünen.

e) Wesentlich schlimmer als bei Biden, aber interessiert keine Sau.

f) Halte das für korrekt.

g) Kosten der Klimakrise.

h) Die Anti-Habeck-Kampagne der BILD in Zahlen.

i) Echt albern.

j) Wir machen unsere Zukunft völlig kaputt, aus reiner Ideologie und Unfähigkeit.

k) Gleicher Punkt hier: völlige Überbürokratisierung und natürlich wieder Opfer der Schuldenbremsenideologie.

l) An den Rändern bricht leider der im letzten Vermischten gelobte demokratische Konsens immer wieder.

m) Typisch für Deutschland, aber besonders für die Bürgerlichen: Buschmann hat völlig Recht, dass nur mehr Wohnungen gegen höhere Mieten helfen. Aber seine Partei weigert sich, irgendetwas zu tun, damit sich der Zustand ändert.


Fertiggestellt am 13.08.2024

{ 182 comments… add one }
  • Stefan Pietsch 15. August 2024, 08:00

    1) Die Brandmauer wird zur Ruine

    Die Brandmauer existiert ohnehin nur für CDU. SPD und LINKE fühlten sich noch nie an solche Ausschlüsse gebunden. In einer Demokratie sind Brandmauern auch nur bedingt aufrecht zu erhalten. Als Demokrat akzeptiert man, dass der Souverän das letzte Wort hat.

    Kretschmer und Vogt sind die einzigen, die die AfD tatsächlich als Gegner bekämpfen. SPD und Grüne führen nur ihren albernen „Kampf gegen Rechts“. R2G regiert in Thüringen seit 10 Jahren, im Bund dominieren SPD und Grüne seit drei Jahren die Sicherheits-, Wirtschafts-, Klima- und Migrationspolitik mit dicker Soße Wokiness. Und die haben nichts damit zu tun, dass die AfD heute in den ostdeutschen Bundesländern bei weit über 30 Prozent steht? Wer soll so etwas glauben?

    Ein Blick in andere Länder gibt solchen Analysen mehr Qualität. Wo man hinblickt, anders als gemäßigte Linke haben Konservative kein Interesse, mit Extremisten zusammen zu arbeiten. Wo ist z.B. in Frankreich eine Brandmauer der Linken zu Linksextrem? Oder in Spanien? Oder Italien? Linkspopulisten wie Podemos oder Linksextremisten wie Melenchon werden da schnell eingemeindet und die Sache passt.

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 08:09

      SPD und LINKE stehen jetzt auch nicht im Risiko, mit der AfD zu koalieren.

      • Stefan Pietsch 15. August 2024, 08:56

        Wenn es parteipolitisch nützlich ist, arbeiten sie mit der AfD zusammen. Und in Österreich hat die SPÖ auch keine großen Berührungsängste mit der FPÖ. Nur wenn die ÖVP mit denen regiert.

  • Stefan Pietsch 15. August 2024, 08:08

    4) Nur auf die Grünen ist noch Verlass

    Die Zusammenfassung gibt nicht her, was die Überschrift verheißt.

    Die Grünen sind eine reine Westpartei, was ihre Westbindung ausreichend erklärt. Ihre Wähler sind weitgehend Städter im obersten Einkommensregal. Mit typischen ostdeutschen Wählern hat die Partei so viel gemeinsam wie der Mond mit der Venus oder Putin mit Biden. Ostdeutsche sind keine Westdeutschen, das sollte in keiner politischen Analyse fehlen. Wie ihre früheren Blockbrüder ticken ehemalige DDR-Untertanen anders, sie haben ein anderes Verständnis zu Gemeinschaft (deswegen bekommen die Individualistenparteien FDP und Grüne auch keinen Fuß auf den Boden), Demokratie (wenig Parteibindung) und Rechtstaat. Anders als Polen, Tschechen und Ungarn, die unter russischer Besatzung historisch stärker gelitten haben, haben die meisten Ostdeutschen ein freundschaftliches, teilweise romantisches Verständnis von Russland.

  • VD 15. August 2024, 08:10

    4) Nur auf die Grünen ist noch Verlass
    „dank der Ostlandesverbände der CDU (siehe Fundstück 1) ist die Westbindung mittlerweile innerhalb der Partei effektiv umstritten. … und auch die FDP ist mittlerweile ein sehr unsicherer Kantonist, im Osten sowieso (wo sie da überhaupt noch existiert).“

    Die FDP existiert schon noch, wird aber nicht (mehr) wahrgenommen, schmerzt mich natürlich, aber es ist wie es ist.
    Aber wo äußert sich „die FDP“ denn gegen die Transatlantikbindung? (wenn es dieser Kemmerich aus Thüringen ist: Der macht sowieso sein eigenes Ding und ist meines Erachtens sowieso eine große Bürde und kein Gewinn).

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 09:54

      Die sind nicht dagegen, ist die CDU ja auch nicht. Es ist nur nicht mehr so stark verankert wie früher. Und mit „nicht existieren“ meine ich dasselbe wie für die Grünen gilt: die Partei ist kaum mehr in Landtagen und spielt praktisch keine Rolle.

  • Stefan Pietsch 15. August 2024, 08:13

    5) This is a misogyny emergency. A huge outpouring is coming in the runup to the US election

    Die Wahl 2020 war dann in dem Kontext eine systematische Diskriminierung der Alten, genauso wie 2024. Da räumt die demokratische Partei einfach mal ihren Spitzenkandidaten ohne übliches Parteivotum ab und installiert stattdessen ohne jede Vorwahl eine Kandidatin, die nirgends auf dem Wahlzettel stand. Irgendwie wie in der EU Ursula von der Leyen 2019.

    Und auch bei den Republikanern war der neben Trump aussichtsreichste Kandidat eine Frau. So sieht moderne Frauenfeindlichkeit aus. Dazu passt, dass die ehemalige Frauenpartei die Grünen und ihre Vertreterin Baerbock gerade ein Klatsche von der UN wegen ihrer frauenfeindlichen Politik kassiert haben.

  • VD 15. August 2024, 08:15

    m) Typisch für Deutschland, aber besonders für die Bürgerlichen: Buschmann hat völlig Recht, dass nur mehr Wohnungen gegen höhere Mieten helfen. Aber seine Partei weigert sich, irgendetwas zu tun, damit sich der Zustand ändert.

    Die FDP fordert weniger Gesetze (Vorschriften), hat versucht Steuererleichterungen durchzubekommen und noch einiges Andere um die Bauwirtschaft zu stärken. (z. B. https://www.fdp.de/bauen-soll-einfacher-und-guenstiger-werden).

    Soll Buschmann die Maurerkelle in die Hand nehmen oder was soll „die FDP“ denn sonst machen?

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 09:55

      Sich nicht gegen den Sozialwohnungsbau stellen fände ich gut. Man kriegt mehr Wohnungen wenn man Wohnungen baut. Auch die Privatisierung von Bestandsraum sollte aufhören.

      • Tim 15. August 2024, 10:51

        Glaubst Du, das ist die Lösung? Sozialen Wohnungsbau kann sich dank gesetzlicher Überfrachtung mit Aufgaben praktisch keine Kommune mehr leisten.

        • Stefan Sasse 15. August 2024, 13:07

          Kommunen können sich generell praktisch gar nichts leisten, aber das liegt an der verkorksten Finanzstruktur. – Generell ist mir egal, wer die Wohnungen baut. Ich will, DASS welche gebaut werden.

          • Stefan Pietsch 15. August 2024, 13:21

            Welche verkorkste Finanzstruktur? Einige Kommunen können sich sehr viel leisten. Aber in der allgemeinen Aussage hast Du nicht Unrecht. Ergänzend ist zu sagen, die Länder können sich praktisch nichts leisten und der Bund auch nicht. Die Rente ist auf irrwitzige Zuschüsse bei extrem hohen Beitragssätzen angewiesen, selbst die Krankenkassen können sich trotz hoher Zuzahlungen der Versicherten nicht selbst tragen, von der Pflegeversicherung ganz zu schweigen. Die meisten Deutschen haben kaum Ersparnisse, ein Haus gilt als ausgesprochenes Luxusgut.

            Finde den Fehler. Der Staat kann unmöglich für die Mehrheit bauen, schon gar nicht, wenn er die Mieten dauerhaft bezuschussen muss. Und die meisten Einwohner können sich das Bauen auch nicht leisten. Da hilft kindliches Aufstampfen auch nicht wirklich weiter.

            • Tim 15. August 2024, 13:46

              Exakt so ist es. Hätten wir heute das Wohlstandsniveau der USA, wäre mehr möglich, aber die Politik hat nun mal jahrzehntelang auf soziale Wohltaten gesetzt. Der Wähler bekommt jetzt das, was er wollte.

            • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:00

              Länder und Kommunen haben praktisch keine Spielräume. Wo Geld ausgegeben werden kann, ist das der Bund, aber der ist ja schon qua Föderalismus (und auch wegen realer Grenzen) nicht in der Lage, diese Aufgaben zu übernehmen. Klar, reiche Kommunen gibt es, aber das kann ja nicht die Lösung sein…?

              • Stefan Pietsch 16. August 2024, 10:18

                Der Bund kann über 90 Prozent seiner Ausgaben nicht mehr verfügen. Ein Drittel des Bundeshaushalts gehen zwingend an die Rentenkasse und Pensionen. Bei all diesen Kennziffern ist die Tendenz deutlich steigend. Es sei denn, Du glaubst den Finanzwirtschaftlern und Haushältern nicht.

                Die meisten Kommunen haben auch nicht geringere Spielräume. Du unterliegst einem Irrtum, wenn Du meinst, der Bund hätte viel Dispositionsmasse. Die aktuelle Regierung schafft es ja schon seit Jahren nicht, die Ausgabendynamik im öffentlichen Haushalt unter Kontrolle zu behalten.

      • Stefan Pietsch 15. August 2024, 11:30

        Ich kenne absolut niemanden und keine Partei, die prinzipiell gegen sozialen Wohnungsbau ist. Nur sind öffentlich geförderte Wohnungen nur etwas für die unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher, nicht für die Masse. Und das Problem des sozialen Wohnungsbaus sind neben den horrenden Kosten – CitizenK bringt ja hier immer Beispiele aus seiner Heidelberger Heimat und bekommt dann belegt, wie teuer das ist – die Unfähigkeit der Kommunen, die Berechtigungen nachzuverfolgen. Die sogenannten Fehlbelegungen von geförderten Wohnungen sind extrem hoch. D.h., in günstigem Wohnraum in zentralen Lagen leben Bürger, die längst mit ihrem Einkommen aus der Förderung rausgewachsen sind.

        Und von welcher Privatisierung sprichst Du?

        • Tim 15. August 2024, 11:42

          Möchte noch ergänzen, dass im Mekka des sog. sozialen Wohnungsbaus (Wien) diese Wohnungen für die unteren 20 % gerade nicht zur Verfügung stehen. Die wirklich Bedürften haben dort praktisch keine Chance, eine Sozialwohnung zu erhalten. Hinzu kommen die typischen Probleme wie mangelnde Wartung, schleichender Sanierungsstau, mangelhafte Ausstattung usw.

        • Stefan Sasse 15. August 2024, 13:08

          Der Staat hat die Wohnungsbestände massiv abgebaut, indem die Wohnungen verkauft wurden.

          • Stefan Pietsch 15. August 2024, 13:15

            Du stellst eine Forderung für das Heute und die Zukunft, beziehst Dich aber auf die Vergangenheit. Ich wollte wissen, wo das jetzt und heute passiert.

          • Thorsten Haupts 15. August 2024, 21:25

            Zu einem Zeitpunkt, um fair zu bleiben, als ihm die Wissenschaft (Demographie) einen deutlichen Rückgang der deutschen Bevölkerung vorhersagte. Die Masseneinwanderung war damals noch kein Thema …

            • CitizenK 16. August 2024, 08:01

              Wo ist der Zusammenhang? Auch in einer schrumpfenden Bevölkerung gibt es Menschen, die sich teuere Wohnungen nicht leisten können.

              • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:10

                Exactly, aber der Druck auf dem unteren Segment hilft sicher nicht.

            • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:08

              Okay, das ist sicher ein fairer Punkt. Aber auch ohne Einwanderung hätten wir diesbezüglich ein Problem, nur sicherlich nicht ganz so groß.

              • Stefan Pietsch 16. August 2024, 10:07

                Von 2016 bis heute hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Schutzsuchenden auf 3,2 Millionen verdoppelt. Das bedeutet ein Zuzug vorrangig von Menschen im prekären Einkommensbereich von 1,6 Millionen zuzüglich jener, die sich nur für wenige Monate bis Jahre hier aufhalten. Laut Bundesregierung fehlen in Deutschland rund eine Million Wohnungen.
                https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/schutzsuchende-zeitreihe-schutzstatus.html

                Und da soll die Armutsmigration ein verhältnismäßig kleines Problem sein?

                • Stefan Sasse 16. August 2024, 10:27

                  Dem steht allerdings gegenüber, dass die Leute gerne aufs flache Land gebracht werden, wo Wohnraum tendenziell eher zur Verfügung steht. Wir haben ja nicht so sehr ein Problem vom Brutto-Wohnraum, sondern wo der ist. Aber wie gesagt, ich halte das für ein großes Thema, auch hier findest du von mir keinen Widerspruch. Ich sage nur, dass es nicht der EINZIGE Faktor ist.

                  • Stefan Pietsch 16. August 2024, 12:23

                    Das Gros lebt in den 15 größten Städten. Aufs Land werden sie nur in Containern untergebracht. Das hat aber mit dauerhaften Wohnungen nichts zu tun.

                    Wir haben kein Wohnraum-Problem, wenn Du das sehr dünn besiedelte MeckPomm, Sachsen-Anhalt und Ost-Hessen mitrechnest, ja. Ansonsten ist die Wohnungsnot selbst in mittleren Lagen spürbar. Doch das Einzige, was Roten und Grünen einfällt, ist die Mangelverwaltung. Mietpreisbremsen in immer ausgefeilteren Varianten und, neuester Vorschlag der Grünen, einen „Führerschein“ für Vermieter. Klasse Ideen!

                    • Thorsten Haupts 17. August 2024, 14:53

                      Ja. Migrations- und Wohnungskrise deutscher Grosstädte sind untrennbar miteinander verbunden. Der damalige FAZ-Kolumnist Don Alphonso hat schon zu Beginn der Krise in 2015 darauf hingewiesen und wurde für diese offensichtliche Erkenntnis heftig angefeindet.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 17. August 2024, 19:28

                      Naja, der Ton macht halt auch die Musik.

                    • Thorsten Haupts 17. August 2024, 20:52

                      Würde ich sogar akzeptieren. Der Don war nur schon lange für seinen rüden Ton bekannt – und solange er aus allen Rohren gegen die „New Economy“ schoss, fanden das viele seiner späteren Kritiker gut. Was das „Ton“-Argument weniger überzeugend macht.

                    • Stefan Sasse 18. August 2024, 09:05

                      Ich weiß nicht, was „spätere Kritiker“ früher mal gesagt haben. Ist für meine Haltung auch irrelevant. Worauf ich rauswill ist, dass Kontext das entscheidende ist. Nutze ich solche Zahlen, Fakten, Daten, um zu hetzen? Oder will ich auf ein Problem aufmerksam machen oder eine Analyse unterfüttern?

                    • Thorsten Haupts 20. August 2024, 14:34

                      Nutze ich solche Zahlen, Fakten, Daten, um zu hetzen?

                      Ach, die berühmte „Hetze“ für die polemische Kritik an einer nicht gewünschten Politik. Wenn ich mir überlege, wie oft ich dann schon „Opfer“ von „Hetze“ war, begebe ich mich am besten in psychologische Betreuung.

  • Stefan Pietsch 15. August 2024, 08:21

    g) Kosten der Klimakrise.

    Schon wieder so eine Überschrift, die mit den Tatsachen nichts zu tun hat. Richtig ist: Die Kosten der Ansiedlung an Meeren und Flüssen.

    h) Die Anti-Habeck-Kampagne der BILD in Zahlen.

    Wäre da zum Vergleich mal die Zahlen von 2022 verfügbar? Nein? Oder hilfsweise die Zahlen zu Nancy Faeser? Nein? Oder die Werte in der taz zu Lindner und Merz? Nein?

    Was verfügbar ist, sind Auswertungen zur Darstellung von Union und FDP sowie von Merz und Lindner in den steuerfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen. Dort werden die beiden Vormänner von Konservativen und Liberalen deutlich negativer (um die 70 Prozent) dargestellt als Grünen-Politiker. Kampagnenjournalismus mit öffentlichen Geldern.

    m) Typisch für Deutschland, aber besonders für die Bürgerlichen: Buschmann hat völlig Recht, dass nur mehr Wohnungen gegen höhere Mieten helfen. Aber seine Partei weigert sich, irgendetwas zu tun, damit sich der Zustand ändert.

    Und noch so einer, wo der Teaser nicht passt. Buschmann ist gegen Mietpreisbremsen und strafrechtlicher Verfolgung von Vermietern. Es ist nicht bekannt, dass gesetzgeberische Limitierung von Wohnraum und staatlich verordnete Mietpreise zu mehr Bautätigkeit geführt hätten. Da schreit jemand, haltet den Dieb.

    • Erwin Gabriel 16. August 2024, 15:51

      Stefan Pietsch

      g) Kosten der Klimakrise

      Richtig ist: Die Kosten der Ansiedlung an Meeren und Flüssen.

      Zustimmung.

      m) Buschmann hat völlig Recht, dass nur mehr Wohnungen gegen höhere Mieten helfen.

      Buschmann ist gegen Mietpreisbremsen und strafrechtlicher Verfolgung von Vermietern. Es ist nicht bekannt, dass gesetzgeberische Limitierung von Wohnraum und staatlich verordnete Mietpreise zu mehr Bautätigkeit geführt hätten.

      Zutreffend. Wenn es 100 Wohnungen gibt, die im freien Angebot 20 Euro/qm bringen, bleiben es bei Mietpreisbremse 100 Wohnungen, wenn auch vielleicht nur noch für 12 Euro/qm. Selbst wenn sich nun mehr Menschen diese Wohnungen leisten könnten, würden die Vermieter vermutlich die gleichen Mieter hineinsetzen wie vorher, nur für weniger Geld.

      Hohe Mieten erlauben eine halbwegs brauchbare Rendite, und das vergrößert das Interesse an Investitionen in diesem Bereich. Die schleichende Kriminalisierung der Vermieter (bei der man inzwischen jedem privaten Vermieter unterstellt, ein Arschloch zu sein) sorgt dafür, dass im privaten Bereich keine Investionen mehr laufen. Für den institutionellen Bereich, für große Immobilienentwickler sind die Kosten so hoch, dass Banken Kredite verweigern, Projekte abgebrochen werden, Unternehmen in die roten Zahlen rutschen und Pleite gehen. Der öffentlichen Hand fehlt es an ALLEM, was es braucht, um selbst aktiv zu werden.

      Aber ist in unserer „Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass“-Gesellschaft natürlich logisch, bei Wohnungsmangel diejenigen in die Pfanne zu hauen, die noch (!) Wohnungen anbieten. Dabei haben die Vermieter weder für den Mangel gesorgt, noch machen sie die Preise; die machen diejenigen, die eine Wohnung suchen und nicht finden können.

  • Tim 15. August 2024, 08:53

    (c – Solarzahlen aus den USA)

    Ich habe die Zahlen nicht geprüft. Aber wenn sie stimmen, geben die Amerikaner pro kWp nun eben deutlich mehr aus als vor dem IRA. Ein großer Erfolg der strategischen Industriepolitik.

  • Tim 15. August 2024, 09:11

    (j – Wir machen unsere Zukunft völlig kaputt, aus reiner Ideologie und Unfähigkeit)

    Das stimmt – aber aus ganz anderen Gründen, als Du glaubst.

    Die Batterieindustrie in Deutschland soll nur mit diesen 155 Mio. Euro Fördermitteln wettbewerbsfähig sein? Das ist doch albern. Schon seit langem zeichnet sich ab, dass die deutsche Industrie für sich keine Zukunft in diesem Markt sieht, der Rückgang der Fördermittel bildet das bloß nachträglich ab.

    Solche kurzfristigen Sachen sind für die Zukunft des Standortes Deutschland auch wirklich völlig egal. Ich sage es immer und immer wieder: Wir ernten jetzt die Probleme, die wir in 25-30 Jahren strategischer Blindheit und Bequemlichkeit gesät haben. Die Industrie investiert in Deutschland seit Jahrzehnten zu wenig, weil die Standortfaktoren bei weitem nicht optimal sind. Dazu gehört übrigens auch die viel zu geringe Zahl an MINT-Absolventen, was hier im Blog von einigen ja gern bestritten wird.

    Deutschland hat sich nun mal implizit entschieden, kein führendes Industrieland mehr sein zu zu wollen. Die Wirtschaft setzt diesen gesellschaftlichen Wunsch nun – zwangsläufig – langsam um.

    Ende der 80er Jahre war Deutschland kurz davor, beim BIP pro Kopf zu den USA aufzuschließen. Heute liegt Deutschland nur noch bei knapp bei der Hälfte(!) des amerikanischen Wertes.

    Isch over. Deine 155 Mio. Euro sind völlig belanglos.

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 09:56

      Du missverstehst mich; mir geht es nicht um die 150 Millionen. Die sind ein Scherz auf Rädern, das hatten wir vor ein paar Wochen im Kontext der südkoreanischen Investitionen schonmal. Der relevante Punkt ist, dass wir keine Industriepolitik machen wollen.

      • Tim 15. August 2024, 10:18

        Wir machen durchaus Industriepolitik, hab ich doch oben beschrieben. Die wohlstandsverwahrlosten Deutschen wissen sehr genau, welche Formen von wirtschaftlicher Betätigung sie NICHT wollen und welche sie stark erschweren möchten. Hinzu kommt die verkorkste Energie-Industriepolitik. Allmählich wird das alles wirksam und spürbar.

        Wie ich ebenfalls schon hundertmal sagte: Die beste Industriepolitik ist die, die der gesamten Wirtschaft zugutekommt, nicht bloß ausgewählten Branchen oder Firmen.

        • Stefan Sasse 15. August 2024, 12:59

          Ja sicher, nur haben unterschiedliche Branchen unterschiedliche Bedürfnisse. Es wird keine Politik geben, die allen zugute kommt bzw. gleichermaßen zugute kommt.

          • Tim 15. August 2024, 13:48

            Da spricht der Mittelstandsexperte. 🙂

            • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:02

              Diesen Anspruch habe ich nie erhoben und werde ich mit Sicherheit auch nicht.

          • Stefan Pietsch 15. August 2024, 15:48

            Es gibt Bedürfnisse und Interessen, die sind praktisch bei allen Unternehmen gleich:

            – Eigenkapitalbildung
            – Niedrige Gewinnbelastung => Besteuerung beim Eigentümer
            – Qualifizierte Arbeitskräfte
            – Einfaches Arbeitsrecht mit Freiheiten bei Vertragskonstellationen und Kündigungen
            – Wenig Bürokratievorschriften
            – Gute Infrastruktur
            – Leichter Immobilienerwerb
            – Schnelles, effizientes Rechtssystem

            Das fällt alles unter Wirtschaftspolitik. Doch die deutsche Politik will diese Bedingungen entweder nicht gewähren oder sie möchte nicht die politischen und finanzwirtschaftlichen Prioritäten setzen. Stattdessen wollen linke Parteien eine ineffiziente Industriepolitik, die einige Unternehmen nach Größe und Wohlverhalten deutlich begrünstigt, was die übrigen bezahlen sollen. Das ist ein sicherer Weg, die Marktwirtschaft zu zerstören, wenn sich Politiker und Beamte zu Richtern über Unternehmer aufschwingen.

            • Tim 15. August 2024, 19:44

              Das fällt alles unter Wirtschaftspolitik.

              Übrigens könnte genau das ein Verständnisproblem sein. Das, was heute als Wirtschaftspolitik verstanden wird (Subventionen & Zölle/Außenhandelsfragen), ist für eine lebendige Wirtschaftskultur viel weniger wichtig als Themen, die gar nicht als Wirtschaftspolitik gelten (siehe Liste oben).

              • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:07

                Ich widerspreche der Wichtigkeit dieser Liste gar nicht.

            • Thorsten Haupts 15. August 2024, 21:33

              Ich füge für einen industriestarken Standort noch „niedrige Energiekosten“ hinzu. Ansonsten alles richtig. Die deutsche Wirtschaft kam bisher im Vergleich zu grossen Konkurrenten mit weniger Industriepolitik sehr gut zurecht – und die Ergebnisse dieser Insdustriepolitik überzeugen mich nicht. Erinnert noch jemand den Hype um Japan und sein halb planwirtschaftliches MITI-Modell in den neunzigern?

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:08

                Zu jung, das kenn ich nur aus den Geschichtsbüchern. War das nicht 80er Jahre?

      • Lemmy Caution 15. August 2024, 16:36

        Wir haben sind in den erfolgreichen Jahren der Nachkriegszeit sehr erfolgreich ohne Industriepolitik gefahren. Auch die Industrialisierung im 19. Jhdt lief afaik ohne größere staatliche Eingriffe ab. Südkorea hat da ganz andere Erfahrungen.
        Der Auftrag zum Bau des VW Käfers stammte 1933 von Adolf Hitler. Der war schon deutlich Politiker. Bin kein Experte, aber unter den Nazis gab es sicher eine massive Industriepolitik. Möglicherweise hat die deutsche Industrie davon in der Nachkriegszeit profitiert.
        Ein für eine staatliche Industriepolitik immer wieder genanntes Argument stammt ursprünglich von einem Deutschen Ökonomen des 19. Jahrhunderts. Siehe letzter Abschnitt hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_List#Publizistische_T%C3%A4tigkeiten_und_Hauptwerk_(1837%E2%80%931841)
        Erziehungszoll.

        Vielleicht müssen wir umdenken.

        • Thorsten Haupts 15. August 2024, 20:10

          Möglicherweise hat die deutsche Industrie davon in der Nachkriegszeit profitiert.

          Nicht dadurch. Aber profitiert hat sie vom Krieg. Indirekt. Der deutsche Kapitalstock an Maschinen und Ausrüstung war durch die massiven Investitionen im Krieg modern. Moderner, als der aller anderen europäischen Staaten. Und davon hat trotz Zerstörung soviel überlebt, dass die deutsche Industrie beim Neustart einen Wettbewerbsvorteil hatte.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

    • Sören Schmitz 16. August 2024, 11:45

      Vollzieht Deutschland nicht letztlich eine Entwicklung, die bereits in vielen anderen europäischen Nationen durchlaufen wurde? Der vergleichsweise hohe Anteil des Industriesektors am BIP ist für eine Volkswirtschaft unseres Reifegrads eher ungewöhnlich. Grossbritannien, Frankreich, Niederlande, Dänemark haben ein deutlich niedrigeren Wert.
      Die Frage ist ob du dich als Hochlohnland global gegen diesen Trend stemmen kannst oder ob Du dich nicht in den Nischen spezialisieren musst, wo du noch echte Wettbewerbsvorteile hast. Letztlich sehen wir eine Entwicklung, die bereits in den späten 70ern in NRW ihren Anfang genommen und als Strukturwandel bekannt ist. Nur erstreckt sich der Strukturwandel nicht auf die Montanindustrie, sondern auf viele breitere Bereiche. Die Antwort wäre eigentlich Bildung und Spitzentechnologie – aber da ist Deutschland sehr unzureichend aufgestellt.
      Wir glauben heute noch, dass die Autoindustrie die Basis unseres Wohlstands ist – aber letztlich ist diese in ähnlicher Phase wie das Ruhrgebiet in den späten 70er Jahre.

  • Dennis 15. August 2024, 10:33

    1)
    Jüngste Äußerungen von verzweifelten SPD-Ostzonis, die im Sinne einer Sofort-Notmaßnahme auf Wagenknecht-Kurs einschwenken, machen deutlich, dass nicht nur die Unionschristen dieses Problem am Hals haben.

    Da können sich FDP und Grüne genüßlich zurücklehnen: Da im Osten praktisch nicht mehr vorhanden, beschränkt man sich auf Klientelpolitik nur im Westen; führt aber leider zu häßlichen Ausfallerscheinungen bei bundesweiten Wahlen.

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 13:00

      Die SPD war da nur noch nie anders, deswegen habe ich das nicht explizit vermerkt.

  • Thorsten Haupts 15. August 2024, 10:34

    Zu g)
    Du solltest vielleicht Zahlen mal selbst wenigstens auf Plausibilität prüfen, auch wenn sie Dir passen?
    Ich kann das nicht nachvollziehen. Die Entwicklung bspw. der Sach- und Kfz-Schäden, die von deutschen Versicherungen beglichen wurden, findet sich hier:
    https://www.gdv.de/gdv/medien/medieninformationen/naturgefahrenbilanz-2023-4-9-milliarden-euro-schaeden-durch-wetterextreme–162854
    Und da haben sich die Aufwände mitnichten dramatisch erhöht, sondern sind – von Ausreissern abgesehen – praktisch gleich geblieben (die Eurowerte sind inflationsbereinigt).

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • Thorsten Haupts 15. August 2024, 10:38

    Zu 5)
    Gefühlt einmal im halben Jahr wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben in der Frage, wer daran schuld ist, dass Trump 2016 gewählt wurde. Die neueste Sau – grassierender Frauenhass – ist genauso wenig überzeugend, wie der Grossteil dieser Säue. Das spiegelt nur die Überzeugungen des Autors, sonst nichts. Weshalb auch mit Ausnahme einiger Anekdoten die Autorin keinerlei Belege für ihre steile These liefert. Aufmerksamkeitsökonomie für GUARDIAN-Leser …

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 13:00

      Das ist keine neue Sau, das hatten wir schon 2016. Und ich halte von der Erklärung auch nicht viel. Ich habe meine eigene Analyse aufgeschrieben und hier auch verlinkt. Ich halte sie weiterhin für zutreffend.

  • Thorsten Haupts 15. August 2024, 10:40

    Zu h)
    Taschentuch reich. Ich bin ja so alt, ich erinnere mich noch an die Zeit, als der SPIEGEL mindestens einmal im Moment eine Negativberichterstattung über „Birne“ Kohl raushaute und alle damaligen Linken sich darüber diebisch gefreut haben. Seitdem hält sich mein Mitleid wegen „Kampagnen“ in ganz engen Grenzen.

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 13:06

      Ich erwarte auch kein Mitleid, sondern die Anerkennung, dass es passiert. Dass der Spiegel Kohl runtermachte (oder Barzel und Strauß!) ist absolut kein Geheimnis. Das macht es aber nicht besser, und die Regung „andere mach(t)en es auch, deswegen ist es jetzt ok“ ist milde ausgedrückt nicht hilfreich.

      • Stefan Pietsch 15. August 2024, 13:27

        Ich kann es absolut nicht leiden, wenn von mir bezahlte Journalisten von ARD und ZDF CDU und FDP permanent negativ darstellen, während sie grüne und sozialdemokratische Politiker loben. Und schon gar nicht kann ich es leiden, wenn die Mehrheit wegen ihrer Einstellungen zu Migration und gesellschaftlichen Fragen zu Nazis erklärt werden oder das öffentliche Fernsehen versucht, dem Gebührenzahler eigene Themen wie „die Klimakrise“ einzuhämmern.

        Da ist die angebliche „Kampagne“ gegen einen einzelnen Regierungspolitiker, der nach Ansicht von Fachleuten ein miserables Gesetz vorgelegt hat, das nach Ansicht von Praktikern die Mehrheit finanziell überfordert, wesentlich leichter erträglich. Einfach kein Abo der BILD kaufen.

      • Thorsten Haupts 15. August 2024, 15:58

        Anerkannt, damit abgehakt. Niemand muss die BILD Zeitung kaufen.

        Es ist nicht okay, weil andere es machten. Es ist sehr okay, weil die eine Seite des demokratischen politischen Spektrums damals erkennen liess, dass sie Kampagnen für okay hielt, als die andere unter diesen litt. Okay, angenommen 🙂 .

        • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:04

          Ich sag es ständig: das gilt für ALLE. Kampagnen sind immer total ok, wenn sie den Gegner betreffen (siehe auch Stefans Einlassungen zu Habeck) und immer schrecklich, wenn das eigene Team betroffen ist. Das ist völlig normal.

          • Thorsten Haupts 16. August 2024, 13:20

            Schön. Dann gibt es eigentlich keinen Grund mehr, sie besonders hervorzuheben? Ich kann mich aus den achtzigern alleine an gleich mehrere Kampagnen erinnern und habe dabei vermutlich einige vergessen oder übersehen – die BILD gehörte nicht in den Lesekanon politisch Interessierter 🙂 .

  • CitizenK 15. August 2024, 10:56

    2) Zustimmung. Warum diese eine Äußerung einer Schülerin solche Wellen geschlagen hat, erschließt sich mir bis heute nicht. Dass man allerdings in Wirtschafts- und Sozialkunde gar nichts über Steuern lernt, auch nicht.

    • schejtan 15. August 2024, 11:47

      mh…ich frag mich jez schon, was man in der Schule grossartig ueber Steuern lehren will, was

      a) ueber die relativ trivialen Grundkenntniss hinausgeht
      b) nicht so speziell dass es uninteressant/irrelevant ist (oder wie Stefan sagt, bis es relevant wird, eh wieder vergessen wird)
      c) nicht politisch/ideologisch motiviert ist

    • Stefan Sasse 15. August 2024, 13:07

      Mir erschließt sich das durchaus, es bedient alle relevanten Vorurteile. – Klar lernst du was über Steuern. Aber halt nicht, wie man eine Steuererklärung macht.

      • CitizenK 15. August 2024, 18:11

        Muss man auch nicht. Aber ein Absolvent eines kaufmännischen (!) BK mit Fachhochschulreife sollte den Unterschied zwischen Umsatz- und Einkommensteuer schon mal gehört haben, meine ich. (Beispiel aus dem Umfeld – wollte mit Musiker-Freunden eine GbR gründen.)

        • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:06

          Ja, das wäre nicht schlecht. Aber das liegt nicht am BP, ich weiß, dass das am BK Stoff ist.

  • Lemmy Caution 15. August 2024, 11:35

    1) Ostdeutschland braucht neue Lösungsansätze.
    Ich hatte über die Jahre viele gute Arbeitsbeziehungen zu Ostdeutschen, die oft zu temporären Freundschaften wurden. Meine Schwester hat ihren Lebensmittelpunkt in Berlin Pankow mit entsprechenden Freundschaften Individuen mit der autochthonen Spezies. Ich liebe die Landschaft, bin irgendwie über 5.000 km in Ostdeutschland Fahrad gefahren und fand das da eigentlich menschlich total nett. Ich habe Bücher verschiedener Soziologen zum Thema Ostdeutschland gelesen.

    Aber politisch reicht es wirklich.

    Der von mir sehr geschätzte Historiker Ilko Sascha Kowalczuk wiederholt als Erklärung gebetsmühlenartig, dass sich politische Einstellungen über den Abendbrottisch in die nächsten Generationen tradieren.

    Es kommt der Tag, da will die Säge sägen.

    Einfach Mauer wieder hoch geht nicht, weil die sich direkt mit Putin verbünden.

    Lösung: Neufünftland als Nowa Polska an Polen übergeben verbunden mit der Empfehlung, dort auf unbestimmte Zeit eine strenge Militärregierung einzuführen.

    • Tim 15. August 2024, 11:44

      Und endlich die leidige Reparationsfrage geklärt! Win-win-win!

    • Tim 15. August 2024, 11:45

      Bin allerdings nur für die Idee, wenn Berlin mitabgegeben wird.

    • Thorsten Haupts 15. August 2024, 12:36

      … übergeben verbunden mit der Empfehlung, dort auf unbestimmte Zeit eine strenge Militärregierung …

      Ah. Die „deutsche“ Lösung eines schwerwiegenderen Problems 🙂 .

      • Erwin Gabriel 15. August 2024, 22:38

        m) Typisch für Deutschland, aber besonders für die Bürgerlichen: Buschmann hat völlig Recht, dass nur mehr Wohnungen gegen höhere Mieten helfen.

        Aber seine Partei weigert sich, irgendetwas zu tun, damit sich der Zustand ändert.

        Ich finde diese Sicht naiv. Du scheinst absolut keine Ahnung zu haben, wie komplex die Situation ist. Da kann keine Partei mal eben „irgendetwas“ tun, weil kostentreibende Gesetze und Vorschriften, Bürokratie, fehlende Grundstücke, fehlende Fachkräfte, Materialproblematik, Zuwanderung, Anwohnereinwände und jahrzehntelange Vernachlässigung des Themas etc. eine Rolle spielen.

        Es geht nicht nur darum, kurz die Schuldenbremse zu lockern, ein paar Milliarden rauszukloppen und alles wird gut.

        • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:09

          Das behaupte ich auch nicht. Ich sehe nur kein Konzept. Den Vorwurf der Naivität kann man spiegeln; jemand (Tim?) hatte zu dem Thema hier kommentiert, die FDP wollte einige Vorschriften abbauen. Dass das mehr als ein Tropfen auf heißem Stein wäre ist genauso naiv. Mein Vorwurf ist, dass ich kein Konzept sehe, nicht, dass es ungeeignet wäre. Ich wäre mittlerweile froh, wenn es Konzepte gäbe, die ich mit Herz und Seele ablehne. Ich sehe einfach gar nichts, ein Abdanken jeglichen Gestaltungsanspruches.

          • Stefan Pietsch 16. August 2024, 10:02

            Die Anzahl der Bauvorschriften hat sich binnen anderthalb Jahrzehnten verfünffacht. Jedes Jahr diskutieren wir neue Vorschriften – und setzen sie um. Wer soll unter solchen Bedingungen Lust haben, gewerblich neue Wohnungen zu bauen? Der deutsche Markt ist für internationale Investoren zwar groß, aber im Vergleich nicht lukrativ.

            Merke: In einer Marktwirtschaft muss etwas wirtschaftlich Sinn ergeben, damit es umgesetzt wird. In Deutschland wird immer weniger gebaut. Schlussfolgerung?

            • Stefan Sasse 16. August 2024, 10:25

              Ich argumentiere seit 2017 für eine massive Deregulierung im Bauwesen, bei mir trägst du da Eulen nach Athen.

              • Stefan Pietsch 16. August 2024, 12:24

                Dann bist Du aber im linken politischen Spektrum falsch. 😉

                • Stefan Sasse 16. August 2024, 12:51

                  Ich weiß schon, warum ich mich als Liberalen bezeichne. Du bist der, der hartnäckig ignoriert, was ich sage und mich ständig als „links“ bezeichnet.

                  • Stefan Pietsch 16. August 2024, 13:05

                    Du bist kein Liberaler. In Deiner Gesamtausrichtung schaust Du auf die Gemeinschaft, hinter der das Individuum zurückzutreten habe. Liberale sehen es genau umgekehrt. Das zeigte sich nirgends so deutlich wie während der Pandemie, wo die Liberale jeglicher Coleur, die auf ihren individuellen Rechten beharrten, ziemlich angegangen bist. Lieber eine Impfpflicht mit fragwürdigem Nutzen für alle, aber sicher ist sicher. Kein Liberaler denkt so.

                    Ansonsten argumentierst Du mit den Bedürfnissen des Staates. Wir brauchen Investitionen, Klimaschutz, Wohnungen? Der Staat muss in Vorlage treten, das Individuum dahinter zurück. Dabei finden neunzig Prozent aller Investitionen in jeder freien Gesellschaft außerhalb des staatlichen Raums statt.

                    Anders als in anderen Ländern ist der deutsche Staat vergleichsweise reich mit geringen Schulden und viel Besitz (Infrastruktur, Unternehmen, Grundstücke) und die Bürger arm. Und diese Relation findest Du nicht falsch. Was ist daran liberal und freiheitsdenkend?

                    • Erwin Gabriel 17. August 2024, 15:01

                      @ Stefan Sasse 16. August 2024, 12:51

                      In Deiner Gesamtausrichtung schaust Du auf die Gemeinschaft, hinter der das Individuum zurückzutreten habe.

                      Ansonsten argumentierst Du mit den Bedürfnissen des Staates.

                      Da hat er Dich erwischt 🙂

                    • Stefan Sasse 17. August 2024, 19:29

                      Ich sehe nicht, wo günstiger Wohnraum ein „Bedürfnis des Staates“ ist. Ich argumentiere sicher mit einem aktiveren Staat, überhaupt keine Frage. Aber in den Bedürfnissen des Staates? Nein. Was ich schon eher gelten lasse ist das Pandemie-Argument.

                    • Stefan Pietsch 17. August 2024, 20:27

                      Wo ist billiger Wohnraum das Bedürfnis des Individuums?

                      Was hat ein Bürger mit überdurchschnittlichem Einkommen (nicht Höchsteinkommen) und überdurchschnittlichem Vermögen (nicht Superreiche), davon, wenn der Staat von ihm so hohe Abgaben erhebt, dass er selbst schwer oder gar nicht Wohneigentum erwerben kann, der Staat aber für eine kleine Gruppe sehr günstigen Wohnraum in besten Lagen für Preisen unter Markt schafft?

                      Mit Deiner Argumentation kannst Du jeden Staatsetatisten zum Liberalen erklären. Und damit ist das Argument falsch. Denn wie ich immer sage: Ein Argument, dass immer und in jeder Situation stimmt, ist keins. Wenn es keine Rolle spielt, ob jemand meint, der Staat sollte sehr umfangreich Aufgaben des Bürger übernehmen oder er sollte möglichst wenige Aufgaben übernehmen und beides als liberal gelten soll, dann wäre der Begriff inhaltsleer.

                      Du bist tolerant. Du bist respektvoll. Aber das sind keine Synonyme für Liberalismus. Auch intolerante, respektlose Menschen können Liberale sein.

                  • Erwin Gabriel 18. August 2024, 12:06

                    @ Stefan Sasse 17. August 2024, 19:29

                    Ich sehe nicht, wo günstiger Wohnraum ein „Bedürfnis des Staates“ ist. Ich argumentiere sicher mit einem aktiveren Staat, überhaupt keine Frage. Aber in den Bedürfnissen des Staates? Nein.

                    Du argumentiert – vielleicht wäre das die bessere Wortwahl gewesen – häufig aus Sicht der Gemeinschaft. Keine falsche Scheu: ein Stück weit bin ich als Konservativer (= Nicht-Liberaler) ja auch so unterwegs.

                    Aus Stefan Pietschs Sicht (der ich mich weit und oft genug anschließe) müsste deutlich mehr Eigenverantwortung für Erfolg oder Mißerfolg beim Individuum liegen; um dieser Eigenverantwortung gerecht werden zu können, muss unser Staat die Voraussetzungen (u.a. Chancengleichheit, etwa bei der Bildung) schaffen, was er aber nicht tut; oft genug ist das Gegenteil der Fall, das „Macher“ ausgebremst und kleingehalten werden.

                    Wo Du aus Staatssicht argumentierst, sind die Punkte, wo Du Gemeinschaftsbedürfnisse erkennst bzw. zu erkennen glaubst und der Argumentation des Staats bzw. der Regierungen folgst, dass es dazu mehr Geld braucht.

                    Grundsätzlich stimme ich dem zu, möchte aber, dass der Staat vorher (!) die anderen Bremsen löst. Du bist sicherlich der gleichen Meinung, bist aber bereit, wenn die anderen Bremsen nicht lösbar sind, schon mal mit dem Geld anzufangen – ich nicht.

                    Wenn Du die durch den Staat abzudeckenden Aufgaben und sein dahinterstehendes Handeln beurteilst, ist Stefan Pietsch sicherlich an einem Ende, Du links der Mitte, ich rechts davon. Du stehst nicht so weit außen in Deiner Ecke wie Stefan Pietsch in seiner, aber ich denke, die Aufgaben des Staates und welche Maßnahmen er trifft oder unterlässt, sie umzusetzen, sind die Knackpunkte.

          • CitizenK 16. August 2024, 11:04

            Warum haben die Anti-Bürokratie-Parteien keinen Plan in petto, welche Vorschriften wann abgeschafft werden sollen – ohne gravierende Einbußen bei Brandschutz, Statik, Energieverlusten?
            Oder muss man die Kauf nehmen?

            Die Zuwanderung hat zweifellos zu einer Konkurrenz um günstigen Wohnraum geführt. Deshalb käme es darauf an, in Ballungsgebieten bauen zu können. Regelmäßig wird geklagt, die Kommunen stellten den Baugrund nicht zur Verfügung. Warum werden solche Vorschläge nicht aufgegriffen?
            https://buo.de/bau/wohnraum-schaffen/parkplatzueberbauung/
            Überall stehen auch Flachbauten für Supermärkte und Bankfilialen herum. Ist Grund und Boden doch nicht sooo knapp?

            • Stefan Sasse 16. August 2024, 11:27

              Genau das ist mein Punkt! Ich sehe nur das Gejammer, aber keine Versuche, was umzusetzen.

            • Stefan Pietsch 16. August 2024, 12:29

              Es gibt doch Vorschläge!

              – Ein Moratorium für neue Auflagen.
              – Gesetze mit beschränkter Laufzeit.
              – Neue Bürokratieauflagen nur gegen Abschaffung alter.

              Ich habe Ihnen die Frage schon häufiger gestellt, Sie ziehen es vor sie nicht zu beantworten:

              Finden Sie, dass Häuser und Wohnungen vor 30 Jahren instabiler und stärker brandschutzgefährdet waren? Wenn nein, dann ließe sich ja der gesetzgeberische Zustand wieder herstellen. Wenn ja, dann die Folgefrage: Selbst als Laie müssten Ihnen Zweifel kommen, ob für dieses Maß an zusätzlicher Sicherheit eine Verfünffachung der Auflagen notwendig war.

              • CitizenK 16. August 2024, 14:57

                Die betreffen ja nicht alle den Brandschutz. Und der ist, btw, trotz oder wegen der Vorschriften mangelhaft. Es sterben noch zu viele Menschen durch Brände.

                Die Vorschläge sind wenig glaubhafte Absichtserklärungen. Wenn man das wirklich will (also nicht nur als Wahlkampfmunition), dann legt man eine Liste vor:
                DIN xyz muss/soll/kann weg. Vor- und Nachteile. Gewichtung. Wer kann ändern/abschaffen? (Ministerium, Verwaltung auf welcher Ebene (Kommune/Kreis/Land/Bund/EU).

                • Stefan Pietsch 16. August 2024, 15:15

                  Sie haben die Gründe für eine größere Regelungsdichte genannt. Daran müssen Sie sich messen lassen. Sie können natürlich auch sagen, Sie möchten Regelungen und Vorkehrungen für jeden Quatsch, den sich ein Mensch ausdenken und der passieren kann. Ist zumindest ehrlich, denn darauf läuft Ihre Argumentation ja hinaus.

                  Apropos: Sie fordern eine Methode zum Bürokratieabbau, die schon oft in vielen Ländern erprobt und wegen Erfolglosigkeit verworfen wurde. Die Wege, die ich aufgeführt habe, haben ihren Erfolg bereits belegt. Entweder wissen Sie das also nicht, oder Sie wollen keine Rücknahme der Regelungsdichte. Wäre ehrlich, das einzuräumen.

                  Gerade wir Deutschen sind wirklich nicht gut darin, innovative Wege der effizienten Staatsführung zu entwickeln. Darüber diskutieren wir beide nun schon seit über einem Jahrzehnt. Sie verteidigen immer das Nicht-Gelingen. Ich präferiere die Benchmarks nach dem Motto: Lieber gut kopiert als schlecht selber gemacht.

                • Erwin Gabriel 17. August 2024, 14:55

                  @ CitizenK 16. August 2024, 14:57

                  DIN xyz muss/soll/kann weg. Vor- und Nachteile. Gewichtung. Wer kann ändern/abschaffen? (Ministerium, Verwaltung auf welcher Ebene (Kommune/Kreis/Land/Bund/EU).

                  Inzwischen entstehen Normen in der EU. Dort werden sie, oft über viele Jahre, in Fachausschüssen diskutiert, zwischen allen europäischen Ländern und Interessen abgestimmt. Dann werden sie beschlossen, in der Regel mit Fristen für die nationale umsetzung. Um die kümmert sich dann wiederum ein deutscher Ausschuß, der die unterschiedlichen Interessen bei der Auslegung und Umsetzung abstimmt, ausgleicht, berücksichtigt. Es gibt Einspruchsmöglichkeiten von außen.

                  Die haben auf einen Olaf Scholz, Friedrich Merz, Christian Lindner oder Robert Habeck nur gewartet …

            • Erwin Gabriel 17. August 2024, 00:06

              @ CitizenK

              Warum haben die Anti-Bürokratie-Parteien keinen Plan in petto, welche Vorschriften wann abgeschafft werden sollen …

              Na klar haben die Vorstellungen. Die lassen sich aber meiner Einschätzung nach nicht mehr umsetzen. Unsere Bürokratie ist inzwischen derart komplex, dass Du sie nicht einfach rückabwickeln kannst.

              … ohne gravierende Einbußen bei Brandschutz, Statik, Energieverlusten?

              Die von Dir hier angesprochenen Punkte sind frei skalierbar; „besser“ oder „schlechter“ geht immer. Es liegt in der Natur der Sache, dass ab einem gewissen Niveau jeder kleine Fortschritt überproportional teurer wird.

              Zurück, etwa auf den Stand von 2014, geht aber nicht, da die Schlüsselentscheidungen in Brüssel getroffen werden – erst recht dann nicht, wenn klimarelevante Aspekte betroffen sind.

              • CitizenK 17. August 2024, 11:49

                Auch in Brüssel kann man was erreichen – wenn man will. Zum Beispiel bei e-Fuels. Früher bei Abgaswerten.

                • Erwin Gabriel 17. August 2024, 14:48

                  @ CitizenK 17. August 2024, 11:49

                  Auch in Brüssel kann man was erreichen – wenn man will. Zum Beispiel bei e-Fuels. Früher bei Abgaswerten.

                  Du mit Deinen schrägen Beispielen; das sind neue Themen, und da ging es in erster Linie um Verzögerungen.

                  Stell Dir vor, Du baust 1948 ein Haus für Dich und Deine Frau, mit den Standards von damals. Die Kinder sind klein und passen in ein Zimmer, es gibt eine Wohnküche, und eine gute Stube. Im Laufe der Jahre verändern sich die Anforderungen: Erst kommt ein, Kind, dann das nächste. Du kaufst ein Auto, legst drumherum einen Rasen an. Mit der Zeit kommen E-oder Gasherd, Zentralheizung, Waschmaschine, Telefon, Fernseher – jedes Mal müssen neue Strom-, Wasser-, Gas- oder Antennenanschlüsse gelegt werden. Dann wollen die Kinder ihr eigenes Zimmer, mit einem eigenen Fernseher. Du möchtest ein Büro, Deine Frau vielleicht einen Wintergarten. Neue Fenster müssen her, ein neues (nun ausgebautes) Dach, mit einer Gaube drin. So wächst Dein Haus, so wächst die Ausstattung, so wird hier an- und da umgebaut. Aber selbst, wenn Du das eine oder andere modernisieren kannst, bleiben die Wände dünn und durchlässig, die Dielen knarzen, in den Außenecken wird es im Winter feucht und schimmelig. Nun kommst Du mit Wärmedämmung und anderen Geschichten, aber egal, was Du tust – es bleibt ein altes, zusammengefrickeltes Haus, wo Du bei jeder neuen Idee, bei jeder neuen Anforderung darauf achten und mit allen Mitbewohnern diskutieren musst, wie sich das mit der vorhandenen Substanz, den bisherigen Umbauten und den Vorstellungen der Einzelnen verträgt.

                  So sehen unsere Gesetze aus: es wird stücklesweise daran herumgebastelt. Die einzelnen Vorschriften beziehen sich auf andere Gesetze, die ebenfalls alt sind; die „Bewohner“ möchten, dass man gerade auf ihre Befindlichkeit Rücksicht nimmt; Wünsche und Anforderungen widersprechen sich; ein jeder will, Ahnung/Betroffenheit hin oder her, mitreden. Änderst Du einen Teil, so dass einer glücklich ist, schreit ein anderer „ich auch“; kostet etwas Geld, will jeder Geld, oder es woanders ausgeben. Änderst Du einen kleinen Teil, sind andere Elemente mitbetroffen, und man muss dort schauen, ob es passt, ob z.B. Vorgaben, die sich als Basis auf die zu ändernde Vorschrift stützen, dann noch funktionieren.

                  Alles in den Orkus spülen dauert zu lange, ist zu aufwendig, kostet zu viel Geld. Also schraubt man weiter, ergänzt Stück um Stück, bis es nicht mehr funktioniert.

                  Diesen Punkt haben wir jetzt in vielen relevanten Bereichen erreicht. Ich frage mich, ob es überhaupt noch einen Menschen gibt, der z.B. das komplette Steuerrecht oder das komplette Baurecht erfasst (die ja auch ein Stück weit zusammenwirken, da ich unter Umständen Baukosten oder Teile davon absetzen kann).

                  Es hat beispielsweise Jahre gedauert, bis man vorschreiben konnte, dass Baugerüste ab der dritten Ebene nicht mehr mit Leitern, sondern mit Treppentürmen ausgestattet sein mussten. Bringt Vorteile in der Sicherheit, bringt Vorteile beim Arbeitstempo. Da man zwar die zusätzlichen kosten für den Treppenturm auflisten, aber nicht die Einsparungen im Baubetrieb konkret beziffern konnte, wurden letztendlich alle Gerüstangebote mit Treppentürmen nicht berücksichtigt. Jeder wusste das, doch musste der Einkäufer auf den günstigsten Preis gehen.

                  Das waren nur Gerüste. Was glaubst Du, wie komplex das wird, wenn Du eine Wiese mit ein paar Bäumen niedermachen musst, um ein neues Wohnquartier zu errichten? Wie sehen die Freizeitflächen aus, die Spielplätze, Garagen unter die Häuser, Solar oben drauf, das Ganze überflutungssicher bzw. sturmfest, klimaneutral, kostengünstig, wärme und schallgedämmt auf modernstem Niveau. Dann kommen die Banken (die Kredite auch nach gesetzlichen Vorgaben vergeben und einer Sorgfaltspflicht nachkommen müssen), schauen auf die Kosten, auf die Mieten, und verweigern den Kredit …

                  Und ich kratze mit diesen Ausführungen hier nur an der obersten Oberfläche. Frag mal Thorsten zum Thema Energie (Solar- und Windenergie von Nord nach Süd „transportieren). Viel Spaß dabei, wenn jeder stellvertretende Bürgermeister, jeder Verein mitreden will, weil sie ja alle sooo wichtig sind.

                  • CitizenK 17. August 2024, 17:26

                    Dass das schwierig ist, bestreite ich nicht. Aber es ist auch wichtig, Fatalismus ist keine Lösung.
                    Ich in meiner grenzenlosen Naivität stelle mir das so vor:
                    Eine Kommission von erfahrenen Praktikern setzt sich zusammen und identifiziert die 20 stärksten Kostentreiber. Damit schlägt man zumindest eine Schneise ins Gestrüpp. Alle Parteien wollen doch Bürokratie-Abbau – der allfälligen Kritik kann man damit begegnen. Dann identifiziert man die legislativen und administrativen Stellen, die das umsetzen können/müssen und setzt alle Hebel in Bewegung. Wenn es einem wichtig ist.
                    P.S. Meine Beispiele sind nicht schräg. Die führende Bürokratie-Abbau-Partei hat in Brüssel schon fertige internationale Beschlüsse platzen lassen – weil es ihr wichtig war.

                    • Stefan Pietsch 18. August 2024, 10:08

                      In Deutschland gelten 1.792 Gesetze und 2.854 Verordnungen allein auf Bundesebene. Für die Länder- und kommunale Ebene können Sie den Faktor 16 ansetzen. Der Bundestag würde zwei Legislaturperioden an Sitzungswochen nur für die Außerkraftsetzung der der Gesetze und Verordnungen benötigen ohne sie in ihrer Wirkung gesichtet zu haben. Was Sie verlangen ist eine Generationenaufgabe für Beamte, die unter Unterbeschäftigung leiden.

                      Einige der kostenintensivsten Einzelauflagen sind zwingend notwendig. Die Berichtspflichten nach dem nicht-gesetzlichen IFRS sind wesentlich umfangreicher als das deutsche HGB. Und dennoch will es keiner abschaffen. Nur: Die Dosis macht das Gift.

                      Ich will Ihnen da mal das Interview der WELT am Sonntag mit dem Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel vorhalten, was bereits der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft sagte:

                      WAMS: Gibt es Parteien, die mehr zu Regelungen und Gesetzen neigen als andere? Wie würden Sie da Ihre Partei, die SPD, da einordnen?
                      Dressel: Ich sehe uns als SPD eher leider an der oberen Kante. Wir müssen aber immer bedenken, welche Gesamtschau entsteht und wie die Wechselwirkungen zwischen bestimmten regulatorischen Vorgaben sind. Und die Frage beantworten können, wer das angesichts des wachsenden Fachkräftemangels eigentlich umsetzen soll, auch in der öffentlichen Verwaltung. Es wird in zehn Jahren in der Verwaltung keine Geisterarmeen geben, die die Arbeit übernehmen.
                      WAMS: Das jetzige System wird sich also ohnehin nicht mehr halten lassen?
                      Dressel: Das ist so, und je früher wir an die Sachen fundamental herangehen, umso besser. Ich sehe das zum Beispiel im Bereich des Steuerrechts. Wenn wir EDV-Verfahren neu machen oder ändern wollen, kommen wir in eine Warteschlange unseres Hamburger Programmierverbundes „Konsens“. Da kann ich mich jetzt mit neuen Vorhaben für 2028 anmelden, so lang ist die Warteschlange. Die Innovationszyklen sind aber andere, und wir werden an bestimmten Stellen im Bereich von Verwaltungsdienstleistungen, Steuern und anderen irgendwann eine Reset-Taste drücken müssen. Einige baltische und skandinavische Staaten haben es vorgemacht. Irgendwann muss Verwaltung für Bürgerinnen und Bürger und Wirtschaft so einfach sein wie Online-Banking. Das setzt aber voraus, dass wir Datenschutz ein Stück weit hinterfragen. (..)

                      WAMS: Haben Sie Hoffnung, dass die KI Ihnen in die Karten spielt?

                      Dressel: Die wird helfen, bei Sachen, die inhaltlich prüfbar sind. Aber die wichtigere Frage ist, ob es einfacher ist, bestimmte sehr spezielle Regelungen einfach abzuschaffen und mehr mit Pauschalierungen zu arbeiten, insbesondere im Bereich des Steuerrechts. Was diese Nachweisanforderungen angeht, von Handwerker-Dienstleistungen bis zur Frage, wie häufig man nun genau im Home-Office oder doch im Büro war. Das sind häufig Fragen, wo die Nachweiserfordernisse doch an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbeigehen.

                      Übersetzung: Mit der Reset-Taste wird ein System auf Anfang gesetzt.

                    • Erwin Gabriel 18. August 2024, 12:20

                      @ CitizenK 17. August 2024, 17:26

                      Fatalismus ist keine Lösung.
                      Eine Lösung nicht, da hast Du recht. aber für jemanden, der erkennt, dass er nichts bewirken kann, immerhin ein Ausweg. 🙂

                      Eine Kommission von erfahrenen Praktikern setzt sich zusammen und identifiziert die 20 stärksten Kostentreiber.

                      Das ist in der tat eine halbwegs einfache Ausgabe. Aber der eine Kostentreiber betrifft beispielsweise die Auflagen für den Brandschutz, der nächste Auflagen bei Nachhaltigkeit und Umweltschutz, ein weiterer die Absschreibungen bei Steuern. Und schon sind aus Deinen 20 Kostenexperten 2.000 Experten aus den einzelnen Fachbereichen geworden, die am Schluss ihrer jahrelangen Arbeit feststellen müssen, dass viele geplante Maßnahmen mit EU-Recht kollidieren.

                      Die EM ist ja schon ein paar Tage vorbei, aber hier noch mal als Beispiel für die verfahrene Situation eine Erläuterung zur Abseits-Regel.

                      Damit schlägt man zumindest eine Schneise ins Gestrüpp. Alle Parteien wollen doch Bürokratie-Abbau – der allfälligen Kritik kann man damit begegnen. Dann identifiziert man die legislativen und administrativen Stellen, die das umsetzen können/müssen und setzt alle Hebel in Bewegung. Wenn es einem wichtig ist.
                      P.S. Meine Beispiele sind nicht schräg. Die führende Bürokratie-Abbau-Partei hat in Brüssel schon fertige internationale Beschlüsse platzen lassen – weil es ihr wichtig war.

                  • Stefan Sasse 17. August 2024, 19:27

                    Ich frage mich, ob es überhaupt noch einen Menschen gibt, der z.B. das komplette Steuerrecht oder das komplette Baurecht erfasst (die ja auch ein Stück weit zusammenwirken, da ich unter Umständen Baukosten oder Teile davon absetzen kann).

                    Mit Sicherheit nicht. Das konnte aber auch vor 100 Jahren schon keiner. Aber ich weiß, was du meinst – die Komplexität ist wesentlich höher geworden.

          • Erwin Gabriel 16. August 2024, 15:33

            @ Stefan Sasse 16. August 2024, 09:09

            Das behaupte ich auch nicht.

            Ah, wir lernen 🙂

            Ich sehe einfach gar nichts, ein Abdanken jeglichen Gestaltungsanspruches.

            Jeglichen Gestaltungsanspruch hat Frau Merkel gründlich und dauerhaft begraben. Sie hat in ihren 16 Jahren derart gründlich eine Gemengelage aus Bürokratie, Sozialhilfe, Flüchtlingspolitik, Anspruchsdenken und EU-Hörigkeit zusammengerührt, dass man da nicht mehr sinnvoll rankommt; sinnvoll bedeutet hier, dass jede Partei, die ansatzweise eine Änderung versucht, bei der nächsten Wahl marginalisiert wird. „Keine Gestaltung“ ist alternativlos geworden.

            Hat aber schon 2015 niemanden interessiert, und das Interesse ist seitdem eher geschrumpft.

            • Stefan Sasse 16. August 2024, 21:33

              Ja, aber das erklärt nur und entschuldigt nicht. Merkel hält weder Habeck noch Scholz, weder Lindner noch Merz auf zu gestalten. Sie ist Rentnerin. Davon abgesehen war Merkel zwar wirkmächtig, aber SO wirkmächtig dann auch wieder nicht als dass sie das im Alleingang hinbekommen hätte.

              • Thorsten Haupts 16. August 2024, 22:11

                Das mit Merkel stimmt. Sie hatte sich exakt im Zeitgeist eingeordnet – bräsige Bequemlichkeit.

                • Stefan Sasse 16. August 2024, 22:29

                  Richtig, die war je eher Zeitgeistsurferin als -setzerin.

                  • CitizenK 17. August 2024, 08:02

                    Wenn die Politiker das tun, was die Leute (das Volk, der Souverän) wollen – ist das nicht DEMOKRATIE?
                    So wird doch hier regelmäßig argumentiert. Jedenfalls, wenn es um Migration geht (deutlich weniger bei Sozialleistungen).

                    • Stefan Pietsch 17. August 2024, 08:12

                      Als Merkel 2015 Kanzlerin wurde, gab es eine Umfrage, welches Krankenkassensystem die Leute wollen. Eine große Mehrheit sprach sich für das Leistungen der privaten Versicherungen nach der Finanzierung der Gesetzlichen (Beiträge nach Einkommen) aus. Wer gefragt wird, sagt, ich wünsche mir Schlaraffenland. Das ist keine Demokratie.

                    • Stefan Sasse 17. August 2024, 08:26

                      Sicher. Ich würde Merkel auch nie vorwerfen, undemokratisch zu sein.

                    • Thorsten Haupts 17. August 2024, 14:50

                      Wenn die Politiker das tun, was die Leute (das Volk, der Souverän) wollen – ist das nicht DEMOKRATIE?

                      Wer hat das hier bezweifelt und warum ist das – hier – für Sie ein Argument und wofür?

                  • CitizenK 17. August 2024, 11:07

                    Dann müsste man eher den Zeitgeist beschimpfen, sprich: Bürger, Wähler? Das gilt aber unter „guten“ Demokraten als unzulässig. Wat nu?

                    • Stefan Sasse 17. August 2024, 13:26

                      Ich hab da überhaupt kein Problem damit 😀

                    • Ariane 17. August 2024, 17:21

                      Ich auch nicht. Gute demokratische Praxis gefälligst, die Beschimpfungen gleichmäßig zu verteilen! 😉

              • Erwin Gabriel 17. August 2024, 00:18

                @ Stefan Sasse

                Merkel hält weder Habeck noch Scholz, weder Lindner noch Merz auf zu gestalten.

                Doch. Nicht durch aktives Handeln jetzt, sondern durch Ausbau der Bürokratie, Aufstockung und Festschreibung der Sozialausgaben, Flüchtlingspolitik und Klimaversprechen, Vernachlässigung von Bildung, Infrastruktur etc.

                Wenn Du eine Erkältung lange genug verschleppst, hast Du halt irgendwann eine ausgewachsene Lungenentzündung. Die lässt sich dann mit Aspirin und Inhalieren nicht mehr bekämpfen.

                • Stefan Sasse 17. August 2024, 08:24

                  Ja, sicher, das spielt alles rein und macht deren Job nicht leichter. Aber der Unwille, das anzugehen, ist trotzdem derer.

                  • Erwin Gabriel 17. August 2024, 14:59

                    @ Stefan Sasse 17. August 2024, 08:24

                    Ja, sicher, das spielt alles rein und macht deren Job nicht leichter. Aber der Unwille, das anzugehen, ist trotzdem derer.

                    Würdest Du gerne den Schulunterricht ändern (egal jetzt, ob Lehrplan, Methodik etc.)? Wohl ja.

                    Wärst du bereit, das mit anderen auf allen möglichen Ebenen zu diskutieren? Wohl ja.

                    Würdest Du einen konkret ausgearbeiteteen Vorschlag einreichen, wenn das garantiert bedeutet, dass Du gefeuert wirst? Wohl nein.

                    • Stefan Sasse 17. August 2024, 19:28

                      Klar, aber das ist ja nicht garantiert.

                    • Erwin Gabriel 18. August 2024, 12:24

                      @ Stefan Sasse 17. August 2024, 19:28

                      Klar, aber das ist ja nicht garantiert.

                      Sei konsequent, und Du bist weg, denn das entscheiden (nach ausführlicher Diskussion) Deine Schüler:innen und deren Eltern 🙂

  • CitizenK 16. August 2024, 08:19

    f) Warum kommt Trump mit seinen Lügen an und durch? Eine mögliche Erklärung findet sich in einem 30 Jahre alten Buch:
    https://www.amazon.com/TAINTED-TRUTH-Manipulation-Fact-America/dp/0671792857
    Wer ständig und überall mit Werbe-Lügen und manipulierten „wissenschaftlichen“ Studien bombardiert wird, entwickelt das Gefühl, keinem mehr trauen zu können.

    • Stefan Sasse 16. August 2024, 09:10

      Warum passiert das dann bei uns nicht? Das überzeugt mich nicht. Ich halte andere Erklärungen für wesentlich überzeugender.

    • Stefan Pietsch 16. August 2024, 10:21

      Die meisten Amerikaner glauben das eben nicht.

      Es tut der Entwicklung des Landes aber keinen Abbruch. Die Amerikaner sind in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich reicher geworden, erzielen höhere Einkommen, können sich mehr leisten. Ob da ein Teil der Bevölkerung zeitweise einem Lügner aufsitzt, spielt auf Perspektive keine Rolle. Wir sollten langsam von unserem hohen Ross herunter.

      • Lemmy Caution 16. August 2024, 12:02

        Der bekannte Harvard Professor Steven Levitsky vermutet, dass sich die USA in einer neuerlichen Trump Präsidentschaft von eine Demokratie in ein hybrides autoritär-demokratisches System wandeln würde. Im Hinblick auf die Demokratie zieht Levitzky Paralellen zu den ersten Jahren unter Chávez in Venezuela.
        Das wäre für die Entwicklung der USA schon ein Abbruch.

        Guter Interview Ausschnitt von CNN Chile:
        https://www.youtube.com/watch?v=nH191e0aoCs [Spanisch]
        Levitsky ist mit einer Peruanerin verheiratet und spricht flüssig Spanisch.

        Das gesamte sehr gute 50 Minuten Interview gibts auch irgendwo auf der yt Seite von CNN Chile.

        • Stefan Pietsch 16. August 2024, 12:43

          Ich will da nicht falsch verstanden werden. Natürlich ist Trump eine große Gefahr für die amerikanische Demokratie. Das habe ich allerdings schon vor langer Zeit gesehen. Ein Politiker, der mit den schlimmsten Diktatoren kuschelt und demokratisch gewählte Repräsentanten verachtet, hat kein demokratisches Verständnis. Vor vier Jahren behauptete ich – und der Meinung bin ich heute noch – dass Trump 2020 nicht mit demokratischen Mitteln gewinnen wollte. Er wollte zeigen, dass er mit antidemokratischen Mitteln sich die Präsidentschaft sichern könne. Selbst Stefan als eingeschriebener Trump-Verächter hat das als abwegig angesehen.

          Aber über die Nachhaltigkeit einer zweiten Trump-Präsidentschaft für die amerikanische Demokratie kann durchaus gestritten werden. Mir reden dabei zu viele Typen wie Annika Brockschmidt mit, die normale Amerikaner nicht im entferntesten kennen, aber zu wissen meinen, wie das Land tickt.

          Trumps hohe Attraktivität zieht sich zum einen aus seinem unbestreitbaren Charisma und seinem Respekt gegenüber den einfachen Leuten. In vielen westlichen Demokratien – und Deutschland bildet da keine Ausnahme – verachtet der Großteil der regierenden Politikerkasten die Breite der Wähler. Sie erfinden nur Slogans, die die Leute ansprechen sollen, aber haben von deren Lebenswelten keine Ahnung. Und kein Interesse.

          Aber was ist nach Trump? Und dass seine Methode nur bedingt verfängt, zeigen seit Jahren seine Umfragewerte.

          • Lemmy Caution 16. August 2024, 14:34

            Es ist ein ernstes Thema. Selbst der Versuch ein autokratisches System in den USA zu errichten würde einen großen Schaden anrichten.
            Die venezolanische Mittel- und Oberschicht hat Chávez 1998 auch nicht ernstgenommen.
            Ann Applebaum von gestern:
            https://www.youtube.com/watch?v=GczGQ-hXrlM
            (insbesondere ab 39:06)

            • Stefan Pietsch 16. August 2024, 14:59

              Natürlich ist es das. Aber eines lernen wir auch aus der Geschichte: Ist der demokratische Gedanke erst durch Geschichte und Kultur tief in einer Gesellschaft verankert, ist sie nicht leicht auszuhebeln. Polen, Ungarn, Ostdeutschland, Russland ohnehin haben keine demokratische Tradition. In der alten Bundesrepublik philosophierten noch 1969 einige Generäle über einen Militärputsch.

              Die USA sind deutlich demokratischer organisiert als Deutschland. Der Vergleich mit Venezuela ist da eine Beleidigung.

              • Lemmy Caution 16. August 2024, 15:20

                Applebaum hat in dem Gesprächen für September einen Podcast angekündigt: „Autocracy in America“.
                Der Titel bezieht auf Alexis de Toquevilles Klassiker der politischen Philosophie „De la démocratie en Amérique“. Die viel gelesene englische Übersetzung heißt „Democracy in America“.
                Ist Ann Applebaum hysterisch, wo die Demokratie in Amerika ja unzerstörbar ist?

              • Stefan Pietsch 16. August 2024, 19:48

                Da kannst Du auch argumentieren, die Demokratie sei in Deutschland und Frankreich ohnehin gefährdet. Was meinst Du was hier los ist, wenn AfD und BSW in den neuen Bundesländern 40-50 Prozent erreichen? Im Prinzip müssten wir uns dann ernsthaft mit der Separation beschäftigen.

                Trump ist 78 und wird zunehmend hinfällig. Auch ersichtlich: seine Kräfte schwinden. Wer sagt denn, dass er vier Jahre durchhält? Biden bei besserer Konstitution hat es nicht geschafft. Allerdings scheinen seine Chancen ohnehin nicht mehr riesengroß, seine Vize-Wahl geht in Richtung Desaster. Eigentlich ist Harris eine denkbar schwache Kandidatin, die nicht mal in den eigenen Vorwahlen positive Eindrücke hinterlassen konnte. Sie ist eine Chaotin und unorganisiert, nicht unbedingt das, was man sich als Präsident(in) wünscht.

                Es scheint sich zu bewahrheiten, was politische Analysten vor Monaten prophezeiten: Die Wahl wird von der Partei gewonnen, die als erstes ihren alternden Kandidaten austauscht. Die Amerikaner sind eine relativ junge Gesellschaft, das Medianalter beträgt 38 Jahre (Deutschland: 48 Jahre). Kaum vorstellbar, dass sich die Mehrheit von Greisen angemessen vertreten fühlt.

                • Lemmy Caution 16. August 2024, 21:20

                  Der erste Abschnitt ist ein whataboutism. Es geht hier nicht um Westeuropa. Frankreich befindet sich noch stärker als Deutschland in einer Abwärtsspirale. Ich bin ja überhaupt nicht anti-US-Amerikanisch. Trump bedeutet aber eine *echte* Gefahr für den Westen. Das läßt sich nicht wegdiskutieren, auch wenn Du immer das letzte Wort haben willst. Im Kreml sehen die ihn als den Gorbatchow der USA, d.h. ein Trottel, der das Land zerstört.

                • Erwin Gabriel 18. August 2024, 21:16

                  @ Stefan Pietsch 16. August 2024, 19:48

                  Es scheint sich zu bewahrheiten, was politische Analysten vor Monaten prophezeiten: Die Wahl wird von der Partei gewonnen, die als erstes ihren alternden Kandidaten austauscht.

                  Guter Punkt: Trump sieht gegen Biden aus wie ein energiegeladener Macher im Vergleich zu einem grenzdebilen Greis. Gegen Kamela Harris wirkt wer wie einer der grantelnden alten Säcke aus der Muppet-Show.

                  • CitizenK 19. August 2024, 15:34

                    Ja, aber ich finde es zutiefst beunruhigend, das DAS über die Zukunft der halben Welt entscheidet.

                    • Erwin Gabriel 19. August 2024, 16:56

                      @ CitizenK 19. August 2024, 15:34

                      Ja, aber ich finde es zutiefst beunruhigend, das DAS über die Zukunft der halben Welt entscheidet.

                      Besser als „welcher Greis gibt den besten Brüllaffen“. 🙂

    • Erwin Gabriel 18. August 2024, 21:13

      @ CitizenK 16. August 2024, 08:19

      f) Halte das für korrekt.

      f) Warum kommt Trump mit seinen Lügen an und durch?

      Die Leute spüren, dass sich was verändert, und das diese Veränderungen ihren Lebensstil bedrohen. Geht Dir (vermute ich) nicht anders.

      Und nun kommt einer, der auf andere zeigt und sagt, dass die Schuld haben, und das er es besser kann. Ist doch, wenn man die Komplexität gesellschaftlicher Entwicklungen nicht versteht und glaubt, dass einfache Lösungen helfen (es sind stets die Politiker, die alles kompliziert machen), ein sehr verlockendes Angebot.

  • Thorsten Haupts 16. August 2024, 22:29

    Zu 1)
    Ich hätte da mal eine ganz konkrete Frage: Der taz-Artikel hier beschreibt das Dilemma (natürlich ohne Lösungsvorschlag):

    https://taz.de/Brandmauer-in-Ostdeutschland/!6027118/

    Auszug: Ein Szenario: Nach den Wahlen werden die Verhandlungen mit dem BSW unerfreulich verlaufen. Die CDU wird sich von Wagenknecht nicht ihre Außenpolitik aufzwingen lassen wollen.

    Also meine Frage an die hiesigen Politexperten: Was genau macht die CDU in einer Situation, in der ein möglicher Koalitionspartner eine für die Union unmöglich zu erfüllende Forderung an die Aussen- und Sicherheitspolitik zur unverhandelbaren Bedingung macht und der andere mögliche Koalitionspartner rechtsradikal ist?

    Konkret bitte – was würden SIE jetzt tun?

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 16. August 2024, 22:30

      Die AfD hat dieselbe außenpolitische Position!

      Davon abgesehen hatte ich ja schon an anderer Stelle gesagt, dass das in den Ländern recht Hupe ist, die machen ja keine AP.

      • Thorsten Haupts 17. August 2024, 20:05

        Die AfD hat es nicht zur unverhandelbaren Koalitionsposition gemacht?

        Und es ist völlig wurscht, ob es rechtlich „Hupe“ ist, eine CDU Thüringen müsste es unterschreiben, um mit Wagenknecht zu koalieren.

        Und jetzt könntest Du mal auf die konkrete und mitnichten hypothetische Frage antworten, Citizen ebenso, oder drückt Ihr Euch?

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 18. August 2024, 09:03

          Die CDU kann das nicht unterschreiben. Der BSW macht genau das wieder, was die LINKE zwischen 2005 und 2013 aus der Regierung gehalten hat: sich außenpolitisch völlig inakzetapel aufstellen. Neu ist, dass sie das nicht nur für den Bund beschließen, sondern auch für die Länder. – Ich fürchte allerdings, dass in Ostdeutschland diese Position für die CDU gar nicht so weit weg ist wie für die Bundes-CDU oder die Westverbände.

          • Thorsten Haupts 18. August 2024, 10:44

            Zum Kern: Wenn sie das nicht unterschreiben kann, gibt´s keine Koalition.

            Und damit zurück zur Frage: Was soll die CDU in der geschildertem, absolut möglichen, Situation tun?

            • Stefan Sasse 18. August 2024, 14:02

              Wahrscheinlich wird da kein Weg um Neuwahlen rumführen.

    • CitizenK 17. August 2024, 11:10

      Ich möchte die Frage gern zurückgeben: Was würden SIE tun, konkret bitte.
      (Möchte gern wissen, ob meine Vermutung zutrifft).

      • Stefan Pietsch 17. August 2024, 13:17

        Wieso zurückgeben? Das ist absolut unhöflich!

        • CitizenK 17. August 2024, 22:01

          Nicht unhöflicher, als die Frage so zu stellen. Ich springe nicht gern über Stöckchen.
          Und nein. Eine staatstragende Partei sollte nicht mit einer koalieren, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und in Teilen eindeutig verfassungswidrig ist.

          • Stefan Pietsch 17. August 2024, 22:46

            Darauf ließe sich mit einem bekannten Sprichwort antworten: Es gibt angeblich keine dummen Fragen.

            Man könnte Ihre Position mit dem Stöckchen eventuell verstehen. Nur, so unterschiedliche Typen wie Erwin Gabriel, Thorsten Haupts und ich scheitern bei Ihnen immer an dem Punkt, wo wir eine Position von Ihnen wollen. Das sorgt regelmäßig bei uns für Verärgerung und Frustration. Es ist Ihre Masche, nur jetzt tun Sie noch so, als wäre es anders.

            So wie es aussieht, reicht es in Sachsen und Thüringen jeweils zu einer Regierung aus AfD und BSW. Dies präferieren Sie offensichtlich als bevorzugte Option gegenüber einem CDU-Ministerpräsidenten unter Duldung des BSW. Immerhin, dass ein Sozialdemkrat sagt, ihm ist ein Rechtspopulist, ggf. Faschist in der Leitung eines Bundeslandes lieber als ein Christdemokrat, kommt nicht so häufig vor.

            Danke für die Klarheit.

            • Stefan Sasse 18. August 2024, 09:06

              Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum es an der Stelle Unklarheit zu meiner Position geben sollte. Ich habe schon immer gesagt, dass mir eine CDU-BSW-Koalition lieber ist als eine CDU-AfD. Aber ich finde beides scheiße. Nur wenn ich die Wahl zwischen zwei Scheißhaufen habe, nehme ich den kleineren.

              • Stefan Pietsch 18. August 2024, 09:47

                Nun, ich sprach nicht von Dir. CitizenK hat nach mehrfacher Aufforderung Position bezogen. Sein Standpunkt, übersetzt, besagt, lieber ein AfD-Ministerpräsident als ein CDU-Ministerpräsident von Gnaden eine in Teilen verfassungsfeindlichen Partei.

                In Thüringen haben die als populistisch und extremistisch verorteten Parteien in Umfragen eine Zweidrittelmehrheit. Da kann eine bürgerliche Partei, die noch gestalten will, nicht mehr wählerisch sein. Thüringen ist heute auf Platz 16 und damit ganz unten bei der Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung aller Bundesländer. Da wird sich die rot-rot-grüne Regierung kaum freisprechen können, das Land mit heruntergewirtschaftet und damit die eigenen Bürger verarmt zu haben.

            • CitizenK 18. August 2024, 10:22

              Den Unterschied zwischen einer Koalition mit Partei A und einer Minderheitsregierung unter (unsicherer) Duldung von Partei B kann jeder sehen, der guten Willens ist. Haltlose Unterstellungen bin ich ja mittlerweile gewohnt, aber diese Perfidie hat mich nun doch überrascht.

              • Stefan Pietsch 18. August 2024, 10:47

                Da liegt kein materieller Unterschied dazwischen. Manchmal beeinflusst die duldende Partei die Regierungspolitik stärker als wenn sie in die Kabinettsdisziplin eingebunden wäre.

                Thorsten Haupts hat (mehrfach) gefragt:
                [Ein Szenario: Nach den Wahlen werden die Verhandlungen mit dem BSW unerfreulich verlaufen. Die CDU wird sich von Wagenknecht nicht ihre Außenpolitik aufzwingen lassen wollen.]

                Also meine Frage an die hiesigen Politexperten: Was genau macht die CDU in einer Situation, in der ein möglicher Koalitionspartner eine für die Union unmöglich zu erfüllende Forderung an die Aussen- und Sicherheitspolitik zur unverhandelbaren Bedingung macht und der andere mögliche Koalitionspartner rechtsradikal ist?

                Nach langer Bedenkzeit antworteten Sie:
                Eine staatstragende Partei sollte nicht mit einer koalieren, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und in Teilen eindeutig verfassungswidrig ist.

                Wagenknecht und ihre Partei sind in Teilen so extremistisch wie die AfD. Soweit man Extremismus nicht nur danach sortiert, ob eine Partei migrationsfeindliche Ansätze („Deportation“?) verfolgt, ist das BSW extremistisch.

                Wenn es in Ihren Aussagen trotz langer Bedenkzeit an Klarheit und Verständlichkeit mangelt, ist das Nichtverstehen vielleicht nicht perfide, sondern Ihrem Ansatz geschuldet. Dem Ansatz, immer der Gute sein zu wollen.

                Ich sage Ihnen etwas Persönliches: Es macht keinen Spaß und ist für einen selbst emotional belastend, Menschen zu kündigen. Doch manchmal ist es einfach notwendig und gehört zum Job. Dann muss ich damit leben, dass andere das nicht verstehen und mich für herzlos halten. Ich kann mein Tun nur erklären. Ich bin dann nicht der Gute, aber ich kneife nie vor dem Notwendigen. Das unterscheidet mich von Gutmenschen.

              • Thorsten Haupts 18. August 2024, 15:42

                Wenn sie bei der Minderheitsregierung auch noch ausschließen müssen, dass sie zusammen mit einer Aussätzigen Partei eine Mehrheit für ein Vorhaben bekommt, wird selbst eine Minderheitenregierung praktisch unmöglich, oder?

                • CitizenK 18. August 2024, 16:07

                  Das wird man nicht ausschließen können. Das heißt doch aber nicht, dass die CDU sofort mit den Proto-Faschisten ins Bett gehen muss. Wie lange hat die Regierungsbildung in den NL gedauert? So lange es keine neue Regierung gibt, bleibt die alte geschäftsführend im Amt.

                  Mit dem „Einrahmen“ (darauf läuft Ihre Frage doch hinaus? hat man in D ja keine guten Erfahrungen gemacht.

                  • Thorsten Haupts 18. August 2024, 21:56

                    Gut, dann läuft Ihre Lösung auf eine CDU-Minderheitsregierung hinaus, die sich ab und an parlamentarische Mehrheiten auch bei der AfD holen wird und muss. Das ist auch der absolut einzig gangbare Weg. Stefan S „Neuwahlen“ sind albern, da kommt erfahrungsgemäss (Nachbarländer) nichts deutlich anderes bei raus. Wie auch.

  • Ariane 17. August 2024, 00:07

    1) Brandmauer wird zur Ruine

    Hach ja, ich glaube ja die Diskussion ist schon längst überholt bei den politischen Zuständen und Mehrheiten in Ostdeutschland. Ich möchte da auch nicht mit der CDU tauschen, die ganze Verantwortung liegt ja fast alleine bei denen und es wirkt jetzt schon so, dass da ein erheblicher Ost-West-Riss innerhalb der Partei existiert. Jetzt brodelt das nur, aber gut möglich, dass das in diesem Jahr noch aufreißt.

    Ich sehe da auch keine Lösung, man manövriert sich in immer mehr Dilemmata rein, auch wenn man bedenkt, dass die Landes-Geheimdienste Vorkehrungen treffen, den Informationsfluss zum Bund abzuschneiden. Das ist doch eine völlig unmögliche Situation.

    5)Wie ich in meiner Serie zu den Faktoren von Clintons Niederlage 2016 beschrieb, war Sexismus ein relevanter Effekt

    Finds tatsächlich ganz spannend und 2016 war ich der Meinung, dass es unklug war, eine Frau gegen Trump ins Rennen zu führen. Heute bei Harris würde ich sagen, dass es keine Rolle spielt.
    Zum Einen sind Trump & Co immerhin darin verlässlich, null Selbstkontrolle zu haben und diese offensichtlichen Ausfälle werden dann eher zum Eigentor.

    Zum Anderen war dieser Wechsel zu „politikjunge, schwarze Frau“ jetzt ideal für den totalen Stilwechsel ohne dass es wie eine Kurskorrektur oder Affront an Biden gesehen werden kann. Und durch diesen Wechsel auf Lebendigkeit, Witz, Freude etc. hat man das total gedreht, dass Trump jetzt wie der vertrottelte, aggressive Opa wirkt. (selbst wenn sie es nicht betonen).

    Mal sehen, wie sich das entwickelt. Das Problem existiert noch, hat sich aber gewandelt imo. Merkel und auch Hillary waren mit ihrer Hosenanzug-Uniform und dieser Überkontrolle noch anders, da wurde Weiblichkeit eher versteckt. Das war schon häufiger damals bei AKK Thema (hach, bin immer noch große Bewunderin btw) und Harris ist da auch ein anderer Schlag.

    Ich würde noch ergänzen wollen, dass es sich dabei um kein symmetrisches Problem von Männern vs. Frauen handelt
    Ach, das fand ich eh immer ein bisschen quatschig und total unterkomplex.

    Vom „sich zu wenig zutrauen“ mal ganz abgesehen.
    Kleine Anekdote, weil ich auch gerade entdeckt habe, dass eine Lehrerin von mir und ich da eine ganz ähnliche Geschichte haben:
    Ich war als Kind enorm schüchtern und leise und langsam, und das wurde immer kritisiert, stand in jeder Schulbeurteilung und was man in dem Alter noch so hat.
    Durchs Älterwerden, aber auch, weil ich daran aktiv gearbeitet hab (war ja wohl ein RIESIGES Problem) hat sich das gelegt.
    Ergebnis (gerade weil ich jetzt wieder in so einer Dauerbeurteilungs-Situation bin): Hauptkritikpunkte, zu laut, zu vorlaut, zu hektisch.

    Und ähm^^ es ist ja durchaus möglich, dass das gar nicht so unberechtigt ist 😉
    aber a) halte ich das tatsächlich für ein geschlechtsspezifisches Problem, weil das Punkte sind in beiden Richtungen, wo anscheinend die Balance für Frauen und „richtiges Verhalten“ 1mm beträgt.
    Frage an die Männerrunde hier: spielt das da auch so eine große Rolle?
    und b ) ist man in meinem Alter und einer gewissen Vorlautheit zwar abgehärtet, aber das hat mich zwischendurch in den letzten zwei Jahren tatsächlich in kurzfristige Selbstbewusstseinskrisen gestürzt. Und jetzt mit Praktikum und Jobangebot hat sich das auch als gänzlich unnötig erwiesen, weil das in einer Reparaturabteilung wieder eine große Stärke ist. (vielleicht sollte man insgesamt mal diese Psychobeurteilungen hinterfragen, nur weil Leute unterschiedlich sind, ist das ja nicht zwingend ein Problemfaktor)

    • Lemmy Caution 18. August 2024, 12:24

      In beruflichen Kontexten zurückhaltend agieren ist kein reines Frauen Ding. Viele Programmierer haben das auch.
      Oft rührt es von einer übertriebenen Angst her, Fehler zu machen. Manche begreifen irgendwann, dass sie daraus zumindest in IT-Projekten eine Position der Stärke entwickeln können. Die warten dann auf den richtigen Augenblick zum Konter. Das ist ziemlich weit verbreitet. Ich hasse das, aber kann solche Personen ziemlich gut entdecken.
      Ich hatte zwei weibliche Manager, die überhaupt kein Problem, damit hatten, große Reden zu schwingen, obwohl sie gewaltige technische Wissenslücken hatten. Die eine hat mich gefeuert, weil sie mit meiner Art von Humor nicht klarkam. Mit der anderen hatte ich ein sehr gutes Verhältnis… und wurde dafür von einigen Programmier-Kollegen gehaßt.

      Gerade als neuer, ist es aber eine gute Idee erstmal sehr gut zuzuhören. Zumindest bei mir rührte eine gewisse Vorlautheit oft letztlich aus einer Unsicherheit. Mir fällt dieses nicht-agieren oft auch schwer, aber ich arbeite daran. Wenn ich Ideen für größere Veränderungen habe – also bei starker Motivation für das Projekt eigentlich immer – läßt sich das so effektiver durchsetzen.

      • Ariane 18. August 2024, 13:23

        Ich bin kein Freund von diesen einfachen Kategorisierungen, zu schüchten, zu vorlaut etc. Richtig problematisch ist das doch erst bei totalen Extremen.
        Und Leute sind unterschiedlich. Das ist gut, man braucht auch unterschiedliche Typen.

  • Ariane 17. August 2024, 00:40

    k) Gleicher Punkt hier: völlige Überbürokratisierung und natürlich wieder Opfer der Schuldenbremsenideologie.

    Du machst dir keine Vorstellungen! Ich bin mittlerweile total radikalisiert und halte diese Idee von individueller Förderung und Rohrkrepierer für die dümmste Idee ever.
    Einmal Geld in die Hand nehmen und dann wird reihum Glasfaser gelegt oder auf jedes Haus Sonnenkollektoren mit verbaut (und finanziert!) etc. wäre dreimal effizienter und vermutlich sogar günstiger. Hat man das nicht früher auch so gemacht, irgendwann hat man ja mal in der ganzen Republik Telefon- und Fernsehkabel verlegt?

    Glasfaserkrams hab ich täglich bestimmt 5-10x aufm Tisch und das ist ja auch nicht die Telekom oder Glasfaser-Nordwest, sondern Tausende Subsubsubunternehmer für jeden! einzelnen! Schritt! (die untereinander wohl noch in Wettbewerb stehen, damit ich zusätzlich noch 3x wöchentlich Verkaufsgespräche abblocken muss)
    Totales Drama, ich glaub es gibt nicht mal mehr sowas wie regionale Hauptstelen, also können wir jedem dieser Einzelsubunternehmer erklären, dass wir nur für Protokoll + Baumaßnahme IM Haus zuständig sind und die ihre Termine mit dem Antragsteller (der da ja wohnt) regeln sollen. Was nie weitergegeben wird, ständig rufen Leute an, überzeugt sie hätten mit unserem Geschäftsführer persönlich(!) einen Auskundungstermin, denen der gute Tipp gegeben werden muss, nach einem weiteren Namen auf ihrem Schrieb zu suchen und denen man dann noch sagen muss, dass sie im EG links klingeln sollen.

    In einem unserer größten Objekte (so Wohnblöcke, da verwalten wir die ganze Straße) geht nix mehr. Brandneuer, teurer Kabelschacht und die Telekom weigert sich, den zu nutzen wegen Brandgefahr. Es gibt ein Statement der Gemeinde, dass das unproblematisch ist (bei nem Brand hat man ja andere Sorgen).
    Leider ist es bisher niemandem gelungen, eine Art Telekomautorität zu finden, die sich mit der Frage weiter befasst. Während auf der anderen Seite der nächste Subunternehmer anbrandet und auskunden will, weil er noch nie davon gehört hat und man das auch nicht im System hinterlegen kann.

    Irgendein FDP-Ultra, der ernsthaft meint, das wäre effizient, darf gerne mal ne Woche vorbeikommen und den Glasfaserbeauftragten spielen. Imo ist das ein Rechentrick, weil niemand den volkswirtschaftlichen Schaden berechnet, der dann eben nebenbei woanders miterledigt wird.

    • Stefan Sasse 17. August 2024, 08:25

      Selbstverständlich. Und das ist auch ein gutes Beispiel dafür, wo falsch verstandener Effizienzwille Ineffizienzen produziert.

  • CitizenK 17. August 2024, 17:40

    @Thorsten Haupts
    Weil hier einerseits auf Merkel eingeprügelt und andererseits der Wille des Souveräns (in Form von Wahlstimmen, nicht: Umfragen) als letzte Instanz gilt, die man nicht hinterfragen darf. Der Widerspruch wird nicht gesehen.
    Nach dem gängigen (auch hier vertretenen) Demokratieverständnis hat sie einfach ihren Job gemacht. Ihr das vorzuwerfen, finde ich nicht fair.

    • Thorsten Haupts 21. August 2024, 09:07

      Okay, verstanden. Ich habe an Spitzenpolitiker schon den Anspruch, dass sie über die aktuelle Wahlstimmung hinaussehen und absehbare Probleme angehen. Insbesondere strukturelle, die wenig Einfluss auf Wahlentscheidungen haben. Aber ich werde keinem Politiker jemals die Anbiederung an den Zeitgeist vorwerfen — die gehört praktisch zwangsläufig zur Demokratie.

  • Ariane 17. August 2024, 18:03

    @CitizenK
    Warum haben die Anti-Bürokratie-Parteien keinen Plan in petto, welche Vorschriften wann abgeschafft werden sollen – ohne gravierende Einbußen bei Brandschutz, Statik, Energieverlusten?
    Oder muss man die Kauf nehmen?

    Die Zuwanderung hat zweifellos zu einer Konkurrenz um günstigen Wohnraum geführt. Deshalb käme es darauf an, in Ballungsgebieten bauen zu können. Regelmäßig wird geklagt, die Kommunen stellten den Baugrund nicht zur Verfügung. Warum werden solche Vorschläge nicht aufgegriffen?
    https://buo.de/bau/wohnraum-schaffen/parkplatzueberbauung/
    Überall stehen auch Flachbauten für Supermärkte und Bankfilialen herum. Ist Grund und Boden doch nicht sooo knapp?

    Ich zieh es mal hier runter, weil die Diskussion schon so zerstückelt ist und bei „Stefan ist ein linker Merkelfreund“ gelandet ist^^

    Es ist imo ein sehr deutsches – vielleicht auch universelles Problem – jeder weiß, dass es aktuell nicht gut ist, aber kleines Rumbasteln macht es eher schlimmer. Man kann nicht einfach losrennen und 50% der Bauvorschriften unbesehen wegwerfen, die Einführung hatte ja durchaus einen vernünftigen Grund (Statik ist ja nicht unwichtig)

    Es bräuchte also eine grundlegende Reform, vermutlich auch noch in Zusammenhang mit einer Föderalismusreform (mir zB völlig unklar, was die Aufgabe einer BUNDESbauministerin ist) und vermutlich auch noch Beschneiden von „direkte Demokratie-Elementen“ also zb Bürgerbegehren, weil aufm Feld nebenan ein Windrad oder so gebaut wird.

    Kann man machen, aber wer soll die politische Energie, die dafür nötig ist, aufbringen? Am Ende nörgeln alle genauso rum wie jetzt, ich hätte da auch keine Lust zu. Und ich halte das keineswegs rein für die Schuld der Politiker allgemein oder der Politik im Speziellen, das ist systemisch.

    Das ist immer ein schönes Schlagwort, aber Bürokratieabbau kostet genauso viel (eher mehr) Zeit, Geld, Nerven, politisches Kapital wie andere Dinge.

    2. Es braucht eigentlich eine neue Balance zwischen staatlichen Aufgaben und reiner Privatwirtschaft. Siehe auch meine Glasfaser-Erfahrung.
    Es ist nicht wirtschaftlich, Sozialwohnungen in Innenstädte (oder sonstwohin) zu bauen. Nie. Da hat die Brandvorschrift xyz überhaupt nichts mit zu tun. Es ist einfach kein guter – privatwirtschaftlicher – Deal.
    Wenn man Kohle machen will, baut man Luxusappartements.

    Nun leben wir aber in einem Land, in dem der Grundkonsens ist, dass Wohnen irgendwie zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählt und auf keinen Fall rein privatwirtschaftlich organisiert sein sollte.

    Meine Idee, dass die Kommunen halt genug Geld in die Hand gedrückt bekommen sollen, um den ganzen Bums (bauen, vermieten, verwalten) gilt aber als schwer linksradikal. Also wird einfach irgendwie beides vermischt und alle wundern sich, dass das nicht funktioniert und kennt natürlich die Schuldigen (entweder der Staat oder die Vermietermafia).
    Oh und gar nicht davon anzufangen, dass man durch diese Vermischung wieder einen ganz eigenen Bürokratiesumpf geschaffen hat.

    • Stefan Pietsch 17. August 2024, 20:51

      Wer sollte den Kommunen das Geld in die Hand drücken? In den Nullerjahren spekulierten eine Reihe von Kämmerern mit öffentlichem Geld und kauften amerikanische Derivate. Die Finanzkrise brachte deren Haushalte in existenzielle Schieflagen. Andere Kämmerer wirtschafteten seriöser. Ist es tatsächlich in Ordnung, alle Kommunen immer wieder finanziell auf den gleichen Stand zu stellen? Und weiso kann Berlin seinen Bürgern gebührenfreie Kita-Plätze anbieten, erhält aber über den Länderfinanzausgleich von Münchner Bürgern Milliarden, denen ihre Stadt keine kostenlose Kitaplätze ermöglicht?

      In Deiner Argumentation sind einige Denkfehler. Unternehmer fragen als erstes, wer sind die Kunden, die man ansprechen, gewinnen und zu Zahlern machen will. Und vor allem: Wie viele davon gibt es eigentlich? Die Anzahl von Bürgern, die problemlos in der Lage sind, Mieten von 30, 45 Euro pro qm zu bezahlen, ist äußerst überschaubar. Sie fühlen in keiner Großstadt überhaupt nur ein Viertel mit wenigen tausend Wohnungen. Und viele derjenigen, die in der Lage sind, solche Mietpreise zu bezahlen, werden sich fragen, warum sie eigentlich mieten und nicht kaufen sollen. Es wird also nicht viele Unternehmen geben, die von der Vermietung von Luxusappartments leben können. Deswegen kaufen und bauen große Konzerne wie Vonovia auch nicht Luxuswohnungen in der Preislage für die oberen Zehntausend, sondern stinknormale Mietwohnungen.

      Porsche kann wunderbar davon leben, jährlich nur ein paar tausend Autos zu produzieren. Erstaunlicherweise fahren die wenigsten Deutschen Porsche und trotzdem Auto.

      Schöne Metropolen bieten für Einwohner und Besucher hohe Lebensqualität, weil sie Viertel wie die Waterfront in Kapstadt, Manhattan, Notting Hill oder auch Berlin-Mitte haben. Wunderschön auch Darwin in Australien. Zugegeben, Sozialwohnungen gibt es dort nicht oder in geringer Zahl. Aber mit Ausnahme Berlins sind die sogenannten Reichenviertel sauber, relativ sicher und architektonisch schön. Die Gegenden für die unteren Zehntausend sind es in der Regel nicht. Falls daran Zweifel bestehen, empfehle ich einen Besuch in den Außenbereichen von Kapstadt, in der Frankfurter Bahnhofsszene, Detroit oder Baltimore.

      Zu Deiner Glasfasererfahrung: Deutschland hat mal ein einem weltweit einmaligen Projekt ganze Landesteile auf modern getrimmt. Das brauchte über ein Jahrzehnt, kostete die schlappe Summe von eine Billion Euro, überzeugte die Bürger dennoch nicht von Demokratie und Marktwirtschaft und heute sind schon wieder viele Straßen und Gebäude baufällig. Vor allem haben sie rapide an Wert verloren, ökonomisch ein reines Verlustgeschäft für Staat und Gesellschaft und modernes Internet hat dieser Landstreifen auch nicht. Was ist falsch gelaufen und warum meinen wir, heute tausend Mal klüger zu sein und gleich 83 Millionen Deutschen einem Jahrzehnte dauernden Infrakturexperiment unterziehen zu können?

      • Lemmy Caurion 18. August 2024, 09:58

        In den 60ern und 70ern hat der Staat viel mehr für den Sozialen Wohnungsbau ausgegeben. Zum Teil entstanden da üble Trabanten-Städte, aber nicht nur. Man könnte aus den Fehlern lernen und trotzdem konsequent auf eine möglichst günstige Bauweise setzen. Ich halte es allerdings auch für schwachsinnig, dass junge Hipster unbedingt in bestimmten In-Vierteln leben wollen, obwohl sie sich die Miete gar nicht leisten können.
        Aber rund um mir gut bekannte Großstädte wie Köln, Berlin und Hannover existiert einfach eine Menge Bauland, das man verwenden könnte.
        Die Wohnqualität in Berlin Mitte ist für Personen ü30 in den letzten Jahren immer schlechter gewesen. Du mußt zum Schlafen, fast immer die Fenster schließen, weil da zwischen 1 und 5 Uhr nachts in der Regel spontan-Parties auf der Straße stattfinden. Bestimmte Geschäfte wie etwa eine Änderungsschneiderei fehlen in dem Viertel. Viele Wohnungen dort werden als Party-Basis-Lager für Kinder reicher Eltern, airbnb oder als Dritt oder Viertwohnung von reichen Leuten genutzt.
        Glasfaser-Internet wird völlig überschätzt. Ich habe überall normales Telekom-Internet und das reicht für meine klar über den Durchschnitt liegenden Bedürfnisse völlig. Ich lade berufsbedingt manchmal wirklich große Softwarepakete runter und mein gesamter Medienkonsum läuft über das Internet.
        Extrem segregiertes Wohnen führte in der Geschichte oft zu schwerwiegenden gesellschaftlichen und politischen Problemen. Ein frühes Beispiel ist die gewaltige Umgestaltung Hausmanns im Paris des 19. Jahrhundert. Man riss weite Teile der mittelalterlichen und auch eigentlich nicht mehr bewohnbaren Stadt ab und es entstanden breite Boulevards mit standardisierten Luxuswohnungen. Die Armen konzentirierten sich auf den Hügeln oder zogen in die Banlieu ab. Deren starke Konzentration führte dann in der Krise während der militärischen Niederlage 1871 zu einer politischen Polarisierung in der Stadt und zu dem schrecklichen Bürgerkrieg zur Niederschlagung der Pariser Kommune.
        In vielen us- und lateinamerikanischen Großstädten sowie der Pariser Banlieu sind bestimmte Viertel zu no go areas für normale Leute geworden. Dort herrscht dann irgendeine Drogenmafia.

        • Ariane 18. August 2024, 12:09

          In den 60ern und 70ern hat der Staat viel mehr für den Sozialen Wohnungsbau ausgegeben. Zum Teil entstanden da üble Trabanten-Städte, aber nicht nur

          Man darf auch nicht unterschätzen, wie groß die Änderungen der letzten Jahrzehnte war. Die Plattenbauten waren auch in Westdeutschland damals ein totales Upgrade und bis in den Mittelstand hinein quasi Luxus.
          Die hatten nämlich eigene Badezimmer und vermutlich auch eigene Telefonanschlüsse. Und das hat nicht nur der Staat gemacht, in den 50ern/60ern war das schon eher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Großindustrien haben auch für Ihre Angestellten ein ganzes Stadtviertel mit Arbeiterwohnungen gebaut.

          Und ja, ich bin auch kein Fan von zu segregiertem Wohnen. Neben den sozialen Spannungen, die du erwähnst, schafft das wieder andere Probleme, wie die desaströse Verkehrsinfrastruktur. Und für Ausweichen brauchst du eben normal auch die Kohle dafür. Ich wohn auch in nem Speckgürtel, wir haben auch kein Überangebot an kleinen, günstigen Wohnungen. Normal kauft man sich hier ein Häuschen und zwei Autos und pendelt dann nach Bremen.

          Viele Wohnungen dort werden als Party-Basis-Lager für Kinder reicher Eltern, airbnb oder als Dritt oder Viertwohnung von reichen Leuten genutzt.
          Jep, das kommt noch dazu und setzt den Markt genauso unter Druck wie Flüchtlinge, nur dass einem hier gleich ne Neiddebatte angehängt wird. In den Küstengebieten SH hat das lange auch nicht wirklich interessiert und mittlerweile ist das ein Riesenthema, da gibts schon Gegenden, die bestehen fast nur noch aus Ferienhäusern/wohnungen und die Einheimischen sind ganz woanders.

        • Stefan Pietsch 18. August 2024, 16:10

          Die günstige Bauweise endet bei den Auflagen. Du kannst eben nicht einfach einen simplen Rasen nur mit Dünger anlegen, wenn Du zusätzlich das Ganze mit einem mindestens 2 Meter hohen Gartenzaun umzäunen, einen Teich mit artgerechter Fischhaltung (paarweise) anlegen und ein Zusatzfeld mit Wildwuchs bereithalten musst. Dann kann selbst die einfachste Sache teuer werden.

          In Städten wie Berlin und Frankfurt haben sich Politik und Bevölkerung dagegen entschieden, brachliegende Flächen als Bauland nutzbar zu machen. Witzigerweise darf das Tempelhofer Feld in Berlin nach einem Volksentscheid 2014 zwar nicht von privaten Bauherren, wohl aber für die Errichtung von Containerdörfern für Flüchtlinge genutzt werden.

          Als ich in Berlin gearbeitet habe, wohnte ich lieber im Hotel, meist das Crowne Plaza in der Nürnberger Straße. Ruhig, sauber, tolles Frühstück. Mehr brauche ich dann auch nicht als Arbeitsnormade.

          Ich denke nicht, dass Sao Paulo, Buenos Aires oder New York lebenswert wären, wenn es nicht eine gewisse Segregation gäbe. Vergleiche nur Kapstadt mit Durban. Am Kap der Guten Hoffnung wird die Armut auf Außenbezirke verlagert, je ärmer desto außen. In Durban wohnt die Armut im Stadtkern. Selbst tagsüber kann man sich da nur äußerst vorsichtig bewegen. Auch ein schöner Vergleich: Adelaide an der südlichen, Darwin an der nördlichsten Spitze Australiens. Die Millionenmetropole wirkt selbst im Zentrum ärmlich, während Darwin überall glitzert. Alles ist sauber und gediegen. Nur wer es etwas oder etwas viel schmuddelig mag, möchte die schöne Mischung ohne Segregation.

          Internet: Sehe ich genauso. Wir beziehen das Internet über das Kabelnetz und das ist schnell genug. Und wer sagt eigentlich, dass Glasfaser in 15 Jahren noch state of the art ist?

          • Lemmy Caution 18. August 2024, 20:36

            Natürlich kann man mit Serienfertigung und Fertigbauweise auch mit den vielen Beschränkungen günstig bauen.
            Deine Ideen zu Kapstadt, New York und São Paulo sind mir zu reaktionär. Damit die „guten Menschen“ entspannt leben können, müssen die Armen eingepfercht werden. Ich habe Berichte über die Banlieue um Paris gehört, dass es dort junge Leute gibt, die nie im Zentrum von Paris waren. Es ist für sie eine fremde Welt. Sie hätten dort viel Angst.

            • Stefan Pietsch 19. August 2024, 00:10

              Den Preis habe ich mir nicht aus den Fingern gesaugt. Den nannte vor Jahren (!) ein führender Architekt in Frankfurt. Mietshäuser werden nicht im Fertigbau gebaut, das sind sie unveräußerlich.

              Das sind nicht meine Ideen, das ist, wie ich es erlebt habe. Städte in den gleichen Ländern, aber unterschiedliche Konzepte. In den Outskirts lebt man üblicherweise nicht, wie Du schreibst, eingepfercht, schließlich nimmt das Platzangebot zu, je weiter man sich vom Stadtkern entfernt.

              In Kapstadt können sich normale Menschen ohne Angst im Zentrum bewegen, das Schlendern an der Waterfront ist von hohe Qualität. In Durban ist die Situation völlig umkehrt, da kannst Du nicht mal am helllichten Tag spazieren gehen ohne Angst vor Überfällen haben zu müssen. In Kapstadt ist das, was Du so klar ablehnst. Und Durban, was Du befürwortest.

      • Ariane 18. August 2024, 12:58

        Wer sollte den Kommunen das Geld in die Hand drücken? In den Nullerjahren spekulierten eine Reihe von Kämmerern mit öffentlichem Geld und kauften amerikanische Derivate

        Na, mit mir hast du hier doch endlich mal jemanden, der sich freimütig zum Linkssein bekennt. Ja, sollte man mal regeln, Kommunen haben ne Aufgabe und die sollen nicht rumspekulieren.
        Ansonsten halte ich gar nichts von diesem lustigen Leistungswettbewerb unter Kommunen, weil das nur neue Probleme und Abwärtsspiralen schafft. LK Verden zieht auch Leute und Unternehmen weg, weil die weniger Steuern bieten können als Bremen, dann können sie noch bessere Bedingungen bieten, während Bremen eine Sparrunde nach der anderen fährt und trotzdem immer ärmer wird, weil sie Bremerhaven nicht an Niedersachsen abgeben können.
        Zudem ist die Kommunalfinanzierung oft abhängiger von Konjunktureinbrüchen oder Einzelereignissen (siehe zb die Kommune von Biontech, die plötzlich die reichste Deutschlands war), auf der anderen Seite hat man aber das Problem, das direkt in eine kleine Delle reingespart wird und das Problem vergrößert.

        Schöne Metropolen bieten für Einwohner und Besucher hohe Lebensqualität, weil sie Viertel wie die Waterfront in Kapstadt, Manhattan, Notting Hill oder auch Berlin-Mitte haben. Wunderschön auch Darwin in Australien. Zugegeben, Sozialwohnungen gibt es dort nicht oder in geringer Zahl. Aber mit Ausnahme Berlins sind die sogenannten Reichenviertel sauber, relativ sicher und architektonisch schön. Die Gegenden für die unteren Zehntausend sind es in der Regel nicht. Falls daran Zweifel bestehen, empfehle ich einen Besuch in den Außenbereichen von Kapstadt, in der Frankfurter Bahnhofsszene, Detroit oder Baltimore.

        Was soll mir das sagen? Potzblitz, Luxusviertel sind schicker als Armenviertel. Auch in Metropolen leben nun mal arme Menschen und auch die möchten wohnen. Da sind ja auch die Arbeitsplätze, einfach nach Thüringen verfrachten, geht also nicht. Privatwirtschaftlich lohnt das sozialvermieten in Metropolen nicht – nein auch nicht für Vonovia, auch die können im Berliner Ghetto deutlich höhere Preise abrufen.

        Aktuell werkelt der Staat also kleinteilig herum, in Großstädten gibts für so Konzerne wie Vonovia zb die Auflage, dass sie 100 Wohnungen bauen dürfen, davon müssen aber 20% Sozialwohnungen sein.
        Deswegen haben wir bei gleich vielem Wohnraum jedes Jahr weniger Sozialwohnungen, weil diese Regel nur 10 Jahre gilt. Berlin hat schon mit einer Mietpreisbremse experimentiert und stellt nun fest,
        dass man einfach ein IKEA-Bett reinstellt und den Kram dann mit „möblierter Wohnung“ komplett umgeht. Auch die Wohngeld-Anträge hat man in den letzten zwei Jahren drastisch ausgeweitet, auch die Grenzen zb beim Bürgergeld, wenn es um „angemessenen“ Wohnraum geht. Glaub Wohngeld hat mittlerweile eine Bearbeitungszeit von mindestens 6 Monaten, obwohl da aufgrund der Situation schon viel durchgewunken wird.

        Es ist ja legitim zu sagen, das sollte komplett privatwirtschaftlich geregelt werden und arme Leute sollen bitte reich werden oder nach Thüringen ziehen. Nur das ist eben nicht der Grundkonsens in diesem Land und so wie es aktuell läuft, verschlechtert sich die Situation ständig, während der Staat sich in Einzelmaßnahmen verheddert. Und dann ist meine Sache genauso legitim, zu sagen, der Staat soll das gleich selber in die Hand nehmen, irgendwo hängt er eh mit drin.

    • Erwin Gabriel 18. August 2024, 21:37

      @ Ariane 17. August 2024, 18:03

      Ich zieh es mal hier runter, weil die Diskussion schon so zerstückelt ist und bei „Stefan ist ein linker Merkelfreund“ gelandet ist^^

      Das war er mal, durchaus 🙂 . Ist er inzwischen nicht mehr.

      Man kann nicht einfach losrennen und 50% der Bauvorschriften unbesehen wegwerfen, die Einführung hatte ja durchaus einen vernünftigen Grund (Statik ist ja nicht unwichtig).

      Das ist nicht der Punkt, um den es geht. Statik (um mal Dein Beispiel zu nehmen) ist wichtig und wird es bleiben. Aber wenn beispielsweise jemand in einem Haus aus den 80er-Jahren abfackelt, hat die öffentlichen Hand die Neigung, die Brandschutzvorschriften zu verschärfen, obwohl in einem Haus von 2015 nichts passiert wäre. Wer für Brandschutz verantwortlich ist, will diesen verbessern, ohne zu schauen, ob man übertreibt, ein gesundes Maß überschreitet etc. Alles sehr verständlich. Und da das alle so machen (die Zuständigen für Schallschutz, Wärmedämmung, Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit etc ticken genauso), hat man nun Vorschriften, die bei herkömmlicher Bauweise nur für sehr teure Mieten zu realisieren sind.

      Es bräuchte also eine grundlegende Reform, vermutlich auch noch in Zusammenhang mit einer Föderalismusreform (mir zB völlig unklar, was die Aufgabe einer BUNDESbauministerin ist) und vermutlich auch noch Beschneiden von „direkte Demokratie-Elementen“ also zb Bürgerbegehren, weil aufm Feld nebenan ein Windrad oder so gebaut wird.

      Yep. Und da liegt ein Stück weit der Aufgabenbereich einer Bundesbauministerin, dahin zu wirken, dass Vorgaben verallgemeinert und neue Technologien gefördert werden; als Beispiel dafür sei das serielle Bauen genannt, bei der modulbasierte Konzepte eine Teilfertigung in Fabriken ermöglichen, die auf der Baustelle mit vergleichsweise geringem Aufwand zusammengebaut werden können. Aber, wie Du zu recht schreibst, haben wir dden Förderalismus, der dem entgegensteht und statt einer Typengenehmigung deren 16 erfordert.

      Und ich halte das keineswegs rein für die Schuld der Politiker allgemein oder der Politik im Speziellen, das ist systemisch.

      Das „System“ wurde von der Politik geschaffen. Zu anderen zeiten, unter anderen Umständen, aber auch die Bundesländer kämpfen um ihre Bedeutung und ihre Pfründe.

      Das ist immer ein schönes Schlagwort, aber Bürokratieabbau kostet genauso viel (eher mehr) Zeit, …

      Ja

      … Geld, …

      eher nicht.

      …Nerven, politisches Kapital wie andere Dinge.

      Ja, deutlich mehr als Weiterwursteln.

      Es ist nicht wirtschaftlich, Sozialwohnungen in Innenstädte (oder sonstwohin) zu bauen.

      Unsere Gesellschaft ist schizophren und neidisch. Jeder will mehr Geld verdienen, um sich mehr leisten zu können. Aber kaum einer akzeptiert, dass jemand mit mehr Geld sich mehr leisten kann. Das wird irgendwie als unanständig wahrgenommen.

      Ist für mich wie so Vieles unverständlich, aber ich muss auch nicht alles verstehen.

      • Ariane 19. August 2024, 11:40

        ber, wie Du zu recht schreibst, haben wir dden Förderalismus, der dem entgegensteht und statt einer Typengenehmigung deren 16 erfordert.

        Ja, ich hätte kein Problem mit einer radikalen Föderalismusreform, meinetwegen macht der Bund zentralisierte Regeln und die Kommunen regeln den Praxisanteil und Bundesländer schaffen wir ab.
        Wird natürlich nicht passieren, weil Söder dann nicht mehr König von Bayern wäre, sondern hauptberuflich Food Blogger 😉

        Jeder will mehr Geld verdienen, um sich mehr leisten zu können. Aber kaum einer akzeptiert, dass jemand mit mehr Geld sich mehr leisten kann.
        Nee hab ich kein Problem mit. Ich find nur Hilfskonstruktionen wie Mietpreisbremse und eigene Wohngeldbehörde nicht gut, dann soll der Staat seine Sozialbauten doch lieber wieder selbst regeln.

        • Thorsten Haupts 20. August 2024, 18:03

          Ja, ich hätte kein Problem mit einer radikalen Föderalismusreform …

          Du nicht, die deutschen Länder schon, das hatten wir mal vor einigen Jahren bei der Diskussion um landeseigene Steuern.

          Ist auch logisch. Sich als regierende Landräte fette Regierungsapparate leisten, bei fast jeder Bundesgesetzgebung mitreden können, aber für fast nix die Verantwortung übernehmen zu müssen und bei Finanznot auf den Bund zu zeigen ist einfach zu verführerisch.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 20. August 2024, 19:39

            Keine Institution wird je ihrer eigenen Abschaffung zustimmen, keine.

  • Stefan Pietsch 18. August 2024, 15:10

    Na, mit mir hast du hier doch endlich mal jemanden, der sich freimütig zum Linkssein bekennt.

    Wenigstens eine, die Eier hat und nicht rumlaviert: Ich bin nicht links oder rechts, ich bin gut! 🙂

    Ja, sollte man mal regeln, Kommunen haben ne Aufgabe und die sollen nicht rumspekulieren.

    Menschen sollten vieles nicht und tun es trotzdem. Die Frage ist immer, wie damit dann umgehen, wenn es sich rausstellt, dass es falsch war. Liberale haben da eine klare Haltung: Konsequenzen tragen. Damit bleibt meine Frage: Wenn Du die schlecht wirtschaftenden Gemeinden entschuldest, tust Du das automatisch auf dem Rücken derjenigen, die sich richtig verhalten haben. Jesus hat da zwar gesagt, die Sünder seien ihm am liebsten. Ich bezweifle jedoch, dass das als Motto für gute Staatsführung taugt.

    Apropos Bremen: Die Hansestaat bekam nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil über ein Jahrzehnt Sonderzuweisungen des Bundes, neben den Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich. Hat es etwas genützt? Nicht das geringste. Es ist egal, ob die Bremer es einfach nicht können oder von der Natur sträflich vernachlässigt sind: Dann sollte dieser komische Stadtstaat aufgelöst und in das Bundesland Niedersachsen eingegliedert werden. Dann brauchst Du Dich auch nicht mehr über die Brötchentaste aufzuregen.

    Natürlich lohnt sich sozialer Wohnungsbau nicht. Genauso wenig wie sozialer Autobau oder eine soziale Krankenversicherung. Erwin nennt das so treffend: Sozial heißt, ein anderer zahlt. Der Staat hat mit seiner Fülle an Auflagen dafür gesorgt, dass ein Wohnungsbau zu Mietpreisen 9€ / qm nicht mehr gebaut werden kann. CitizenK wollte vor einiger Zeit am Beispiel Heidelberg zeigen, dass der Staat so etwas sehr wohl könne. Allerdings konnte ich ihm zeigen, dass der Staat sich da selbst bezuschusst hatte. Wenn also kostendeckend ein Wohnungsangebot zu niedrigen Preisen nicht möglich ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Der Staat senkt die Auflagen oder er nimmt von jenen, die sich mehr leisten können. Nun weiß ich ja, dass Du Variante 2 eindeutig präferierst, schließlich bist Du eine vorbildliche Linke. Nur warum Variante 1 einfach abgelehnt wird, verstehe ich nicht.

    Aktuell werkelt der Staat also kleinteilig herum, in Großstädten gibts für so Konzerne wie Vonovia zb die Auflage, dass sie 100 Wohnungen bauen dürfen, davon müssen aber 20% Sozialwohnungen sein.

    Das ist meines Wissens nach ein linker feuchter (Wohnungs-) Traum. Das ist der dieser Tage erhobene Vorschlag ein paar Grünen-Politiker, die zuletzt zu viel in der Sonne gelegen haben. Nach herrschender Rechtslage müssen private Wohnungsanbieter keine solche Sozialauflagen erfüllen, es sei denn, sie hätten entsprechende Vergünstigungen erhalten. Du verstehst, Schutz des Eigentums und so.

    Und so ist das auch mit der linken Klage wegen immer weniger Sozialwohnungen. Private Bauherren erhalten im Gegenzug für die Verpflichtung, Sozialwohnungen anzubieten, großzügige öffentliche Zuschüsse. Das nennt sich dann Wohnungen mit Sozialbindungen. Wie bei jedem guten Vertrag haben auch solche eine Laufzeitbegrenzung. Irgendwann ist das Kind erwachsen und kann auf eigenen Beinen stehen. Dein 18. Geburtstag war wahrscheinlich genauso so ein Schockerlebnis wie für mich. 🙂 Irgendwann läuft die Sozialbindung aus und dann ist das eine Wohnung für Erwachsene. Wenn der Staat also einen gewissen Bestand erhalten will, muss er regelmäßig Zuschüsse geben. Und dann ist noch die Frage, ob private Bauherren sich darauf einlassen, denn wenn sich die Wohnung trotz der Zuschüsse nicht refinanzieren lässt, lassen sie das eher. Alles eine Preisfrage. Die bleibt aber auch, wenn der Staat einfach selber baut. Erfahrungsgemäß kann er das immer nur teurer als private Bauherren, denk‘ an Elbphilharmonie und BER.

    Auch die Wohngeld-Anträge hat man in den letzten zwei Jahren drastisch ausgeweitet, auch die Grenzen zb beim Bürgergeld, wenn es um „angemessenen“ Wohnraum geht. Glaub Wohngeld hat mittlerweile eine Bearbeitungszeit von mindestens 6 Monaten, obwohl da aufgrund der Situation schon viel durchgewunken wird.

    Na, und da sind wir ja schon nahe an den Zuständen der DDR. Dort brauchte es ein paar Jahre, bevor man als zuverlässiger Werktätiger eine Wohnung zugewiesen bekam. Ernsthaft, willst Du da wieder zurück?

    • Ariane 18. August 2024, 21:43

      Dann brauchst Du Dich auch nicht mehr über die Brötchentaste aufzuregen
      Ich wohne übrigens nicht in Bremen. Ich hab oben beschrieben, dass die Probleme komplexer sind als „die sind halt doof“, ich hätte nichts gegen weitreichende Föderalismusreformen, meinetwegen auch mit Neuzuteilung von Bundesländern, ich halte die jetzige Lösung nicht für das Gelbe vom Ei.

      Der Staat senkt die Auflagen oder er nimmt von jenen, die sich mehr leisten können. Nun weiß ich ja, dass Du Variante 2 eindeutig präferierst, schließlich bist Du eine vorbildliche Linke. Nur warum Variante 1 einfach abgelehnt wird, verstehe ich nicht.
      Ich weiß nicht genau, welche Auflagen der Staat denn senken soll? Es bleibt doch das Problem, dass Privatunternehmen Wohnungen logischerweise für den höchstmöglichen Preis verticken oder vermieten wollen, da haben Auflagen erstmal wenig mit zu tun. Ich mache den Privatunternehmen auch keinen Vorwurf deswegen, dafür sind sie halt da. Oder reden wir von Radikalideen und Sozialwohnblöcke werden komplett ohne Brandschutz oder Statikvorschriften gebaut?

      Das ist meines Wissens nach ein linker feuchter (Wohnungs-) Traum. Das ist der dieser Tage erhobene Vorschlag ein paar Grünen-Politiker, die zuletzt zu viel in der Sonne gelegen haben.
      Ähm nein. Zumindest in Hamburg ist das bereits so, dass Privatunternehmen ab einer gewissen Anzahl einen Prozentsatz Sozialwohnungen mitbauen müssen. Keine Ahnung, wie die Regelung im Einzelnen ist vermutlich bekommen sie sonst die Genehmigung oder Grundstücke nicht. Aber es ist kein Traum und Hamburg wird auch nicht besonders links regiert.

      Irgendwann läuft die Sozialbindung aus und dann ist das eine Wohnung für Erwachsene
      Ja, weil arme Leute natürlich Kinder sind.

      Na, und da sind wir ja schon nahe an den Zuständen der DDR. Dort brauchte es ein paar Jahre, bevor man als zuverlässiger Werktätiger eine Wohnung zugewiesen bekam. Ernsthaft, willst Du da wieder zurück?
      ??? Nein, ich habe das deutlich kritisiert, ich finde es komplett bescheuert, sich in so einer Kleinteiligkeit zu verheddern. Ich will, dass der Staat seine Wohnungen selbst baut, vermietet und verwaltet.
      Wohnungsnot ist ja kein Problem von Vonovia oder ähnlichen Konzernen, sondern der Bürger die günstig wohnen müssen und dem Staat (und der Bevölkerungsmehrheit), die das als öffentliches Problem sieht.
      Dann soll er es auch lösen, man könnte damit auch Bürokratieabbau betreiben und die Querfinanzierung von Vermietenden, denn an die geht sowas wie Wohngeld ja letztendlich.
      Letztendlich ist es vermutlich sogar günstiger, die Kosten wären aber nicht so kleinteilig verteilt wie heutzutage.

      • Stefan Pietsch 19. August 2024, 00:28

        Jede Regelung ist sinnvoll, sonst wäre sie ja nicht geschaffen worden. In Summe sind sie widersprüchlich und völlig überlastend. Wie immer im Leben geht es um Prioritäten. Willst Du den Goldstandard, der nicht anwendbar und exekutierbar ist? Oder verzichtest Du auf das Perfekte, aber erleichterst allen das Leben? Tipp: Die private Lebensführung ist da ein hilfreicher Fingerzeig. 😉

        Stürzen in Litauen, Spanien, den USA reihenweise die Häuser ein und begraben Menschen unter sich? Nein. Wie kommen diese Länder also mit einem Bruchteil unserer Bauauflagen zurecht? Anders gefragt: Selbst wenn es keine Vorschriften zur Statik von Gebäuden gäbe, meinst Du, es würden Papierbauten hochgezogen? Eben meintest Du ja noch, private Unternehmen würden nur Luxusbauten errichten wollen.

        Die Antwort liegt auf der Hand. Alle Vorschriften zur Statik zu suspendieren dürfte ähnlich risikoreich sein wie nochmal 10 Prozent draufzusatteln. Dann ist doch Lösungsweg A besser.

        Zumindest in Hamburg ist das bereits so, dass Privatunternehmen ab einer gewissen Anzahl einen Prozentsatz Sozialwohnungen mitbauen müssen.

        Da ich in dem Markt nicht wirklich zuhause bin, muss ich Dir das mal glauben. Ich überlasse es den pingeligen Linken hier, das zu googeln.

        Aber es ist kein Traum und Hamburg wird auch nicht besonders links regiert.

        Da hat’s mir jetzt doch die Socken ausgezogen. Die relativ konservative SPD ist gerade dabei, die doch ziemlich linken und woken Grünen aus der Regierung zu werfen – mit Unterstützung der CDU. Vulgo: Hamburg wird derzeit ziemlich links regiert und pendelt gerade zur Mitte.

        Ich will, dass der Staat seine Wohnungen selbst baut, vermietet und verwaltet.

        Der Streitpunkt ist doch nicht „das“, sondern für wen? Für 1 Prozent, 10 Prozent oder 40 Prozent der Bevölkerung? Und zu welchen Kosten? Und warum startet man nicht damit, die ganzen Fehlbelegungen zu kündigen?

        Wer „muss“ denn günstig Wohnen? Vor dreißig Jahren mussten Menschen mit niedrigem Einkommen zwischen 50 und 60 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aufwenden. Das hat sich heute nicht sonderlich verschoben.

        • Stefan Sasse 19. August 2024, 08:38

          Was natürlich auch ein Problem beim Bürokratieabbau ist: weil jede Regelung sinnvoll ist, kannst du nicht einfach mit dem Rasenmäher durch. Und wenn du eine Regel abschaffst, wird zwangsläufig irgendwann was passieren und dann macht man dich dafür verantwortlich, weil du die Regel abgeschafft hast, die es verhindert hätte.

          • Stefan Pietsch 19. August 2024, 10:23

            Ich plädiere für Befristungen und neue Regelungen nur, wenn sie zwei alte ersetzen. Reset-Taste ist allerdings auch ein sehr, sehr gutes Konzept.

            Das ist übrigens ein wunderschönes Beispiel für den Unterschied zwischen Etatisten und Liberalen.

            Der Etatist sagt, ich brauche Regelungen, damit sich die Menschen vernünftig verhalten und zwar genau entlang der Vorschrift. Der Libertäre (erweiterte Form des Liberalen) sagt, wir brauchen keine Vorschriften, denn die Menschen regeln das selber.

            Nehmen wir an, in einem Akt intensiven Alkoholkonsums beschließen Bundeswirtschaftsminister Habeck, Verkehrsminister Wissing assistiert vom Justizminister Buschmann die 50 Vorschriften zu streichen, die Autobauer verpflichten, Bremsen nach DIN-Norm 543985 in jedem Fahrzeug zu verbauen.

            Etatisten schlagen da die Hände über dem Kopf: Ab sofort werden viele Hersteller sich die Kosten für den Einbau von Bremsen sparen, da diese nicht mehr vorgeschrieben sind. Das wird zu einem einzigen Chaos auf den Straßen führen, wenn Autos nicht mehr bremsen können.

            Der Liberale sagt: Kein Hersteller wird es sich leisten können, auf ein effektives Bremssystem zu verzichten. Im Zweifel prüft ja der TÜV regelmäßig die Verkehrstauglichkeit. Da sich Bremssysteme als Standard durchgesetzt haben, kann es sich kein Anbieter leisten, hierauf zu verzichten.

            Was nützen Regelungen, an die sich die Bürger nicht mehr halten, entweder weil sie sie nicht verstehen oder aufgrund mangelnder Ressourcen nicht anwenden können? Gar nichts. Inzwischen kündigen Unternehmen an, sich zukünftig nicht mehr an bestimmte Regelungen halten zu wollen. Die Reaktion der Etatisten wird sein: Genau diese Unternehmen müssen ab sofort intensiv kontrolliert und überwacht werden. So weit ist das wirklich nicht mehr von einem autokratischen System entfernt.

            Vor einigen Jahren übernahm ich die kaufmännische Leitung in einem Tochterunternehmen eine PE geführten Pharmakonzerns. Am ersten Tag erfuhr ich zwei Dinge: sämtliche fünf Controller hatten in den letzten Wochen gekündigt und der CEO, der ein Jahr ein Schreckensregime geführt hatte, wurde kurz und knapp verabschiedet.

            Der Konzern hatte ein intensives Berichtswesen und umfangreiche Standardanalysen für die Holding. Schließlich mussten die vielen Controller beschäftigt werden. Nach einer Woche erklärte ich Geschäftsleitung und Finanzleitung des Konzerns, dass ich das Reporting bis auf Basics einstampfen werde statt die Nacht durchzuarbeiten. Die umfangreichen Berichte und Analysen kamen nicht auf den Prüfstand. Sie wurden von mir schlicht gestrichen. Basics: kurzes Monatsreporting, Aufbereitung des Forecasts und Vorbereitung des Budgets, kurze Geschäftsanalyse. Alles andere – weg.

            Es ist wie bei Bürokraten: Wenn die Leute selbst für das bezahlen müssten, was sie anderen als Pflichten abverlangen, würden sie auf das meiste freiwillig verzichten.

            Das war meine Reset-Taste.

            • Stefan Sasse 19. August 2024, 13:44

              Ich finde die Idee eines Ablaufdatums in der Theorie charmant. In der Praxis wird es aber wohl dazu führen, dass gute Regelungen aus populistischen Gründen auslaufen oder dass einfach im Paket abgenickt wird.

              • Stefan Pietsch 19. August 2024, 17:47

                Es hat den Charme, in der Praxis zu funktionieren. Ist das nicht geil?

                Heute sind 90 Prozent der Gesetze in Brüssel vorbereitet, d.h. ein Mindeststandard ist verpflichtend. Die meisten Gesetze und Regelungen werden in den Ausschüssen von einer Handvoll Parlamentariern detailliert vorbereitet und einem Teil des Bundestages zur Abstimmung gebracht.

                Zehn Jahre Laufzeit bedeutet zwei bis zweieinhalb Legislaturperioden. Für Menschen wie technische Entwicklungen ist das eine Ewigkeit. Wenn wir also Gesetze hauptsächlich durch den Bundestag durchwinken statt sie in jeder Dekade mal von den neu gewählten Politikern durchschauen zu lassen, warum können wir es dann nicht umgekehrt machen?

                Vor allem würde dann überprüft, ob man den einstmals beschlossenen Goldstandard wirklich noch benötigt. Nehmen wir das AGG, das maßgeblich eine grüne Politikerin (Künast) vorangetrieben hat, die längst nichts mehr zu sagen hat. 2006 – Zypris hatte das Projekt übernommen – entschied sich die erste Merkel-Regierung, deutlich über die Brüsseler Vorlage hinauszugehen und nahm weitere Kriterien in die Antidiskriminierung auf.

                Hat es was genützt? Praktiker sagen, es schadet vor allem. Verhindert das Gesetz Diskriminierungen wegen des Alters, der sexuellen Orientierung, des Geschlechts? Wer das glaubt, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Wegen des AGG müssen Stellenanzeigen heute „Kaufmännische Leitung (m/w/d) lauten. Wer die die Buchstaben in der Klammer vergisst, kann verklagt werden. Inzwischen weiß das jeder, dennoch sind die Chancen eines Diversen, überhaupt in die engere Auswahl zu kommen, de facto Null.

                Bewerber haben heute keine Chance mehr, eine echte Analyse einer Absage zu bekommen. Eine Frau (freiberuftlich) hat mir mal erzählt: Ein potentieller Kunde habe von ihr einen gegenüber ihrem männlichen Konkurrenten reduzierten Preis gefordert, weil sie als Frau nunmal ein höheres Ausfallrisiko für ihn bedeute. Sie reduzierte nicht und bekam den Auftrag nicht. Aber sie wusste, weshalb.

                Will ich wirklich einen Job, in dem nur junge Hippies rumturnen und jeder über 40 als kommender Rentner gesehen wird? Nein, es gibt genügend Unternehmen, wo das nicht so ist.

                Arbeitszeitgesetz: Irgendwann vor annodazumals wurde das immer noch geltende Arbeitszeitgesetz beschlossen. Es liegt ebenfalls deutlich über der entsprechenden EU-Richtlinie. Es wäre doch besser, die Befristung würde die Möglichkeit bieten, das Gesetz zu überarbeiten. So sind die Verhinderer immer in der stärkeren Position.

                • Stefan Sasse 20. August 2024, 09:45

                  Wird das irgendwo umgesetzt?

                  • Stefan Pietsch 20. August 2024, 12:43

                    In Litauen und der Schweiz wird z.B. der „One in, one out“-Ansatz verfolgt. In Kanada und Großbritannien werden Gesetze befristet. In den Niederlanden und ebenfalls Großbritannien werden Gesetze systematisch nach ihren quantitativen Kosten evaluliert. Diese Länder gelten auch als vorbildlich bei der Entbürokratisierung.

                    Die erste Maßnahme wäre, das Heer an Beamten und Behörden zu verringern. Schon das hat einen automatischen Entbürokratisierungseffekt. Wenn Unternehmen aufgrund der Marktgegebenheiten zu Restrukturierungen gezwungen sind, folgt das immer einem Top-Down-Ansatz. In der Folge werden rasenmäherartig Abteilungen ausgedünnt oder Hierarchieebenen plattgemacht. Verbreitet ist auch, Geschäftsbereiche zu veräußern.

                    Die Argumente der Führungskräfte und Mitarbeiter sind die Gleichen wie beim Staat: Die Leute haben ja nicht nichts gemacht, die Aufgaben seien unverzichtbar. Das Gegenargument von Eigentümern und Konzernleitung: Das wollen wir ja mal sehen. Typischerweise haben sie recht.

                    Es ist ganz erstaunlich, worauf Unternehmen verzichten können – und beim Staat ist es mit Sicherheit nicht anders – wenn Menschen nur gezwungen werden, darauf zu verzichten.

                    • Thorsten Haupts 20. August 2024, 14:29

                      Es ist ganz erstaunlich, worauf Unternehmen verzichten können …

                      Kann ich für gleich einige Grossunternehmen – mit Ausnahme des Abstossens von Geschäftsbereichen – nicht bestätigen. Radikaler Abbau führt regelmässig dazu, dass die Aufgaben von Consultants und ANÜ übernommen werden, was meist auf andere Budgets geht und deshalb das verkündete Unternehmensziel (Personalabbau) nicht sofort offensichtlich gefährdet.

        • Ariane 19. August 2024, 13:00

          Ich halte es nicht für eine gangbare Lösung, bei Sozialwohnungen weniger Wert auf Brandschutz und Statik zu legen. Und natürlich gibt es zahlreiche Beispiele mit katastrophalen Ereignissen und zahlreichen Toten. Ich erinnere nur an den Hochhausbrand in England mit enorm vielen Toten. Dafür will niemand verantwortlich sein und schon 5x nicht deswegen vor Gericht und schlimmstenfalls ins Gefängnis. Wie Sassestefan auch sagt, das lässt sich hier in der Kommentarspalte schnell schreiben, aber wir müssen auch nichts unterschreiben und werden dann im schlimmsten Fall haftbar für 20 Tote. Das ist nämlich ein anderer Schnack.

          Der Streitpunkt ist doch nicht „das“, sondern für wen? Für 1 Prozent, 10 Prozent oder 40 Prozent der Bevölkerung? Und zu welchen Kosten? Und warum startet man nicht damit, die ganzen Fehlbelegungen zu kündigen?

          Ok, ich sehe das ist nicht dein Metier. Ich spreche von Sozialwohnungen und man kann auch nicht Fehlbelegungen einfach kündigen, egal wer der Vermieter ist.
          Es gibt natürlich mehrere Varianten, aber das sind Wohnungen, die werden nicht auf dem freien Markt vermietet, sondern für die braucht man einen Wohnberechtigungsschein. Den bekommen Menschen mit wenig Einkommen, auch Vollzeitarbeitende, ich meine die untere Grenze ist, wenn man Anspruch auf Wohngeld hat. Nach fünf Nervenzusammenbrüchen hat man am Ende einen Schrieb, der dazu berechtigt (!) und mehr nicht, sich auf bestimmte Wohnungen zu bewerben, häufig erst nachdem man einer Genossenschaft beigetreten ist übrigens.

          Das sind dann aber ganz normale Mietverträge, die am Ende unterschrieben werden. Der Staat stellt einem nicht umsonst ne geile Wohnung zur Verfügung. Und wenn man einen Monat später oder sonstwann einen guten Job gefunden hat, gilt der Mietvertrag genauso weiter. Niemand darf einem (am besten noch fristlos) die Wohnung kündigen, weil man mehr verdient als vorher. Ist auch ne recht neue Problematik, die sich auftut, weil sonst jeder froh war, der aus dem Sozialblock Ghetto entkommen konnte, heute ist es tatächlich nicht selten der Fall, dass die einzige Alternative ne Besenkammer für 2.000€ kalt ist. Und Markt regelt und so: solche Wucherwohnungen mit 20seitigen großteils rechtswidrigen Mietverträgen bekommt man heutzutage oft problemlos unter die Leute gebracht.

          • Stefan Pietsch 19. August 2024, 18:13

            Das Risiko, in einem OECD-Land durch einen Hausbrand ums Leben zu kommen, bewegt sich irgendwo bei der Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns. Die Bauwirtschaft ist nicht mein Metier, aber ich kann bewerten und analysieren. Bauen ist in Deutschland wesentlich teurer als in fast allen EU-Ländern, während das Mietniveau moderat ist. Das ist eigentlich unlogisch. Wie geht das? Durch Planwirtschaft.

            Der Staat zwingt die Renditen nach unten und produziert Massenfertigung. Und zum Glück sehen einige, meist ökonomisch nicht gut belichtete Bürger (hallo Erwin!) Mietobjekte als gute und sichere Altersvorsorge. Die Masse der Mieter hat dafür kaum Auswahl im Markt, muss finanziellen Striptease machen und wohnt doch meist nicht adäquat. Kann man gut finden. Muss man nicht.

            Ich bin sicher kein Experte für Sozial- und Mietrecht. Aber das, was Du als Expertenwissen aufzählst, das kenne ich nun seit Jahrzehnten. Denn, liebe Ariane, die Debatte über Fehlbelegungen sind älter als Du. Ist so. Aber Mieten ist kein Grundrecht. Die entsprechenden Regelungen sind einfache Gesetze, die sich mit einfacher, notfalls relativer Mehrheit anpassen lassen. Für Leute, die sich vorgenommen haben, die Schuldenbremse auszuheben, kann das also kein Argument sein.

            Befristete Mietverträge sind gang und gäbe. Ebenso Mietverträge, die an bestimmte, zu erfüllende Bedingungen geknüpft sind. Und genauso kann die Miete an Marktkonditionen angepasst werden, wenn die sozialen Voraussetzungen nicht mehr geben sind. Das Wohngeld wird ja auch nicht auf ewig gewährt.

            Ich habe als Student auch mal in einer geförderten Wohnung gelebt. Die Vertragsbedingungen waren von Anfang an klar: Ich habe nur so lange wie die Regelstudienzeit Anspruch auf gefördertes Wohnen. Danach musste ich ausziehen, keine Diskussion.

            Auch wenn es Linken weh tut: Menschen mit geringem Einkommen haben nicht das gleiche Anrecht auf die gleiche Wohnung, das gleiche Auto ja nicht einmal die gleiche Gesundheitsversorgung wie ein Gutverdiener. Das mag man im Politischen als eine schreiende Ungerechtigkeit ansehen und mich als ein kaltherzigen Neoliberalen, aber so ist das Leben. Im Zweifel müssen sich Ärmere um eine gesündere Lebensführung bemühen, sonst sterben sie früher. Sie müssen sich häufiger in kleine alte Kisten und unpünktliche öffentliche Verkehrsmittel quetschen, ihr Urlaub endet häufiger am Baggersee und in Bulgarien und ihre Wohnung ist häufiger baufällig und liegt in gefährlichen Vierteln.

            Der Staat kann helfen, die Viertel sicherer, öffentliche Verkehrsmittel leistungsfähiger und über mehr Wettbewerb gutes Essen günstiger zu machen. Gendereien, der Zuzug von mehr armen Menschen und freie Geschlechterwahl helfen denjenigen, die nicht auf der Sonnenseite leben, nicht. Doch die Lektion schlucken die deutschen linken Parteien auch nach weiteren 20 Wahlniederlagen nicht.

      • CitizenK 19. August 2024, 15:47

        „einen Prozentsatz Sozialwohnungen mitbauen müssen.“

        Ist in HD auch so – keine Spur von DDR. Der OB ist zwar parteilos, aber von CDU und FDP aufgestellt.
        Und Wohngeld ist streckenweise eine Subvention für Vermieter, die bei einem absoluten Vermieter-Markt eine Art Windfall-Profit haben.

  • CitizenK 18. August 2024, 15:37

    @ E. G.
    Danke für den Link. Jetzt hab ich die Abseits-Regel endlich verstanden. 🙂 Oder doch nicht?

  • Lemmy Caurion 18. August 2024, 22:50

    n) Whats Milei doing?
    Nach wie vor ist der Rückhalt in der Bevölkerung nachhaltig. Allerdings wird die Kritik von liberalen Wirtschaftswissenschaftlern immer schärfer. Als Devisenreserven hat man nun die lächerlich Summe von 5 Mrd USD eingesammelt. Nicht genug, um überhaupt daran zu denken, die Kapitalverkehrskontrollen aufzuheben. Das ist aber die Voraussetzung dafür, dass das Land in eine Wachstumsphase eintreten kann.

    o) Venezuela
    Ein schnelles Ende der Wahlfälscher, brutaler Repressionierer und notorischen Lügner ist nicht abzusehen. Allerdings scheint Brasilien ein bisschen gegen die Diktatur zu spielen. UNO Aussagen vom Freitag waren unerwartet scharf und man vermutet, dass das mit Brasilien abgesprochen ist.
    Kontextinformation. Beide je fast 2 Stunden.
    https://www.youtube.com/watch?v=dt-44D6Q-FE [DEUTSCH]
    Hier ein sehr empfohlenes yt Video mit dem Friedensforscher Stefan Peters in der Rosa Luxemburg Stiftung aus dem Jahre 2019. In jedem Fall bedeutete Peters Buch damals einen Bruch der nicht völlig durchgeknallten extermeren deutschen Linken mit dem Chavismus.

    2. [in Spanisch] https://www.youtube.com/watch?v=rQ7HDNqqZ4U
    Interview mit einer kolumbianischen Journalistin, die 2013 bis 2015 in Caracas gelebt hat. Hat als kolumbianische Frau Perspektiven und Zugang zu Dingen, die mir so nicht bekannt waren. Außerdem ist sie toll.
    Liebe Duolingueros. Diplomaten erhalten einen 6-monatigen Sprachkurs und dann sollen sie eine Sprache beherrschen. Wenn ihr nach 10 oder 22 Monaten euch nicht die Mühe macht, zumindest ein paar Minuten dieses Videos zu verstehen, solltet ihr vielleicht besser in den Latein-Kurs wechseln, weil der Sinn einer lebenden Sprache besteht darin, dass man sie praktiziert.
    Also:
    -1. Beide sprechen langsam und reflektiert.
    0. Wenn ihr etwas wirklich nicht versteht, ist das nicht so schlimm. Oft gehts in den nächsten Minuten besser.
    1. Untertitel auf Spanisch anschalten.
    Wenn ihr dem nicht Folgen könnt
    2. Youtube Untertitel auf automatisch in Deutsch (oder Englisch) übersetzen lassen. Die YT Übersetzung ist nicht perfekt. Verwirrend kann sein, dass Nachnamen wie Guerrero oder der Name von Radiostationen wie Caracol mit übersetzt werden. In den ersten Minuten erscheinen da Worte wie Kindergarten oder Kobold, die keinen Sinn machen. Die nicht so tollen deutschen Untertitel können aber bestimmte Vokabel-Lücken im Spanischen auffüllen.

    Ihr müsst ja nicht das ganze Video anschauen. Aber dieses Video ist fies, weil es hochinteressant ist, was diese Frau zu erzählen hat.
    Ich weiss, dass es anstrengend ist, aber mein Medienkonsum ist ak tuell zu 60% Französisch und ich konnte da im Januar fast nix verstehen.

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