Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Bankrotter Erdölsozialismus
Der Artikel beschreibt die politische Situation in Venezuela, insbesondere die Rolle der Oppositionsparteien und die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen. Einst waren die Christdemokraten (COPEI) und die Sozialdemokraten (AD) die dominierenden Parteien des Landes, doch ihre Bedeutung hat stark abgenommen, seitdem die sozialistische Regierung unter Nicolás Maduro ihre Führung übernommen hat. Diese Parteien wurden zwangsweise in das Regime integriert und schickten Marionettenkandidaten ins Rennen, um den Anschein von Pluralismus zu wahren. Maduro hat eine Reihe von Taktiken angewendet, um seine Macht zu sichern, darunter die Manipulation von Wahlen und die Unterdrückung der Opposition. Trotz eines engagierten Wahlkampfs der vereinten Opposition im Jahr 2023 gelang es Maduro, sich durch gewaltsame Repression und Unterstützung nur weniger internationaler Verbündeter an der Macht zu halten. Die Opposition hat in der Vergangenheit mehrere Fehler gemacht, wie etwa Wahlboykotte und gescheiterte gewaltsame Machtwechsel, die Maduros Position letztlich stärkten. In den letzten Jahren hat die Opposition jedoch eine strategische Wende vollzogen, indem sie sich vereinte und eine breitere soziale Basis aufbaute. Dies führte 2015 zu einem Sieg bei den Parlamentswahlen, doch die Regierung unter Maduro untergrub diesen Erfolg schnell. Die Opposition hat gelernt, dass Einheit und eine erneuerte Basisarbeit entscheidend sind, um gegen das autoritäre Regime anzukämpfen. Trotz der Rückschläge bleibt die Opposition entschlossen, den Kampf fortzusetzen, da das Regime wirtschaftlich und ideologisch gescheitert ist. (Sandra Weiss, IPG)
Ich werde die verstehen, wie irgendjemand auf die Idee kommen kann, ein Wahlboykott sei eine gute Strategie. Hat das jemals funktioniert? Generell finde ich den Artikel spannend, weil er aufzeigt, wie die bürgerliche Opposition darin gescheitert ist, sich dem Linkspopulismus entgegenzustellen, als er noch nicht in die Diktatur abgerutscht war. Die Lektionen scheinen auch unabhängig von der Gesäßgeografie zu sein: ob Links- oder Rechtsradikale, die Probleme sind dieselben, und die nötigen Maßnahmen ebenso. Einigkeit der Opposition, keine Gewalt (legitimiert immer die Regierung, weil Gewaltmonopol), wehret den Anfängen, ein Bedenken der wirtschaftlichen Lage, etc. – alles, was für den Kampf gegen Chavez und Maduro gegolten hätte, gilt auch gegen Fidesz, gegen PiS oder GOP. Im Übrigen ist auch schön zu beobachten, dass die Herrschaftsmechanismen immer dieselben sind. Verfassungsänderungen, loyales Personal, Simulation von Pluralismus – all der Kram könnte genausogut von Putin kommen wie von Maduro. Alles das gleiche Gesindel.
2) Hinter der Brandmauer gegen Rechts kann sich der Linksextremismus ungehindert ausbreiten
Der Artikel kritisiert die anhaltende Unterstützung von Nicolás Maduro durch führende linke Politiker, trotz offensichtlicher Wahlmanipulationen und Unterdrückung in Venezuela. Besonders im Fokus stehen dabei Politiker wie Brasiliens Präsident Lula da Silva, der Maduros Regime verteidigt und die demokratischen Defizite herunterspielt. Der Autor hebt hervor, dass die internationale Linke oftmals Gewalt und autoritäre Tendenzen in ihren eigenen Reihen ignoriert oder verharmlost, während sie gleichzeitig rechtsextreme Bedrohungen anprangert. Diese Haltung führt zu einem „Kollektivversagen“ der Linken, das nicht nur die politische Legitimität ihrer Ideologie untergräbt, sondern auch das Leid der betroffenen Bevölkerung verschärft. Auch die deutsche Außenpolitik wird kritisiert, da sie durch ihre Unterstützung linker Regierungen in Lateinamerika indirekt zur Stabilisierung von Regimen wie dem Maduros beiträgt. Der Artikel warnt vor den Folgen dieser einseitigen politischen Fixierung und dem wachsenden Einfluss von Linksextremismus, der zunehmend auch Europa betrifft. (Tobias Käufer, Welt)
Man kann wenig dagegen sagen. Der Umgang mit den linksradikalen Regimen in Südamerika ist wahrlich kein Ruhmesblatt für die Linken. Ich kann mich noch erinnern, dass ich in meiner linken Phase auch ein Venezuela-Fan war; hatte damals sogar ein Buch gelesen, das die „Reformen“ Chavez als wegweisend für die Demokratie pries. Dieses „Kollektivversagen“ findet sich gerade ja auch im Ukrainekrieg wieder. Ich halte es ja immer noch mit meiner These, dass Antiamerikanismus die verbindende Klammer für diesen Unsinn ist, aber letztlich ist das relativ egal: die Betrachtung anderer Länder durch die eigene ideologische Brille ist weit verbreitet. Es gehörte auch einiges dazu, in den Mudjaheddin Freiheitskämpfer im Sinne westlicher Freiheit zu sehen. Wo ich finde, dass Käufer über das Ziel hinausschießt, ist die Idee, dass in Europa ein wachsender Einfluss von Linksextremismus durch staatliche Förderung sichtbar sei. Ich sehe den wachsenden Extremismus vor allem im Öko-Segment, aber da gibt es keinerlei institutionelle Unterfütterung. Dass die Außenpolitik indirekt Regime wie die Maduros stabilisiert ist dagegen sicher wahr, aber das gilt für alle diese Regime. Das ist eben der Preis, wenn man nicht bereit ist, eine wertebasierte Außenpolitik zu fahren. Wer die für Qatar ablehnt, kann nicht plötzlich bei Venezuela damit um die Ecke kommen.
Der Artikel beleuchtet die anhaltende Debatte um die Documenta 15 und den damit verbundenen Konflikt zwischen Kunstfreiheit und dem Kampf gegen Antisemitismus. Christoph Möllers, Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph, argumentiert, dass beide Seiten legitime Anliegen haben: Die eine Seite kritisiert antisemitische Tendenzen im Kulturbetrieb, während die andere Seite eine Einschränkung der Kunst- und Meinungsfreiheit befürchtet. Möllers kritisiert, dass der Konflikt oft zu vereinfacht dargestellt wird, indem entweder Antisemitismus oder Zensur verurteilt wird, ohne die Komplexität des Themas zu berücksichtigen. Er weist darauf hin, dass der Staat zwar keine Verpflichtung zur Kunstförderung hat, aber dennoch legitime Gründe haben kann, bestimmte Kunstformen nicht zu unterstützen. Allerdings sieht er die Gefahr, dass Maßnahmen wie Antisemitismus-Klauseln oder die Einbeziehung des Verfassungsschutzes zu weit gehen und eine Politisierung der Kunstförderung zur Folge haben könnten. Möllers plädiert für eine selbstkritische und moderierende Auseinandersetzung mit dem Thema, bei der öffentliche Kulturinstitutionen ihre Unabhängigkeit durch einen glaubwürdigen Umgang mit Antisemitismus verteidigen sollten. Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit, dass die Öffentlichkeit hart, aber ohne Forderungen nach staatlichen Eingriffen, kritisiert. Abschließend fordert Möllers dazu auf, den Konflikt nicht als lösbar zu betrachten, sondern als eine lehrreiche Übung für den Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten. (Christoph Möllers, Spiegel)
Ein wohltuend differenzierter Beitrag. Die ganze Antisemitismusdebatte ist in meinen Augen deswegen so instruktiv, weil sie die Cancel-Culture-Debatten so wunderbar spiegelt. Hier haben wir es mit etwas zu tun, das vor allem (leider!) im bürgerlichen Lager auf Abwehrreaktionen stößt, während das linke Lager sich durch eine wesentlich zu entspannte Haltung auszeichnet. Ich bin völlig der Überzeugung, dass der Staat ein Interesse haben muss, keinen Antisemitismus zu fördern, Kunst- und Meinungsfreiheit hin oder her. Gleichzeitig schlägt aber natürlich das Problem auf, dass die entsprechenden Klauseln schnell über das Ziel hinausschießen. Erneut, es ist eine komplette Spiegelung der Cancel-Culture-Debatte: der ganze Bereich „Israelkritik“ (oder welchen Euphemismus man auch immer verwenden will) ist gerade in Deutschland wenn nicht Tabuzone, so doch zumindest ein Minenfeld. Ein Meinungsfreiheitsabsolutismus ist eine unhaltbare Forderung, gleichzeitig ist aber das breitflächige Canceln nicht ohne Kollateralschäden zu haben. Es ist schwierig, immer, und lässt sich nicht in simplen Parolen packen.
4) Die Erfindung einer »Generation Angst«
Der Artikel von Martin Altmeyer setzt sich mit der zeitgenössischen Kritik an der digitalen Revolution und deren Auswirkungen auf das gesellschaftliche und psychische Wohlbefinden auseinander. Altmeyer verweist auf zahlreiche alarmistische Theorien, die in den letzten Jahren populär geworden sind, wie etwa Manfred Spitzers Konzept der „digitalen Demenz“ oder Jonathan Haidts jüngste Warnungen vor einer „Generation Angst“, die angeblich durch exzessiven Medienkonsum gezeichnet ist. Altmeyer kritisiert, dass diese apokalyptischen Thesen oft zu stark vereinfacht und auf methodisch schwachen Beweisen basieren. Insbesondere Haidts Annahme einer strikten Trennung zwischen Realität und Virtualität sieht Altmeyer als unzutreffend an, da das Virtuelle ebenso real sei und tief in das menschliche Erleben eingebettet ist. Er plädiert dafür, die psychischen Auswirkungen der digitalen Mediennutzung differenzierter zu betrachten und erkennt darin auch positive Aspekte, wie die Möglichkeit zur sozialen Resonanz und Identitätsbildung. Altmeyer warnt vor überzogenen Ängsten und betont, dass die Moderne das Seelenleben zwar entfesselt hat, dies jedoch nicht zwangsläufig negativ sein muss. Schließlich sieht er in den gegenwärtigen Konflikten Ausdruck der Herausforderungen einer sich globalisierenden Welt und plädiert für eine optimistischere Sicht auf die Zukunft. (Martin Altmeyer, Spiegel)
Was ich an dem Artikel hervorheben möchte ist die Betonung Altmeyers, dass digitale Medien und der digitale Raum keine abgetrennte Sphäre sind („das Virtuelle bildet keineswegs einen Gegensatz zum Realen, sondern ist seinerseits Teil der Wirklichkeit“). Das ist ein Aspekt, den die Kritiker*innen gerne übersehen. Wenn ein solcher Gegensatz postuliert und als Grundlage von Bildungspolitik genommen wird, dann erklärt die Schule sich als Raum, der in einem scharfen Gegensatz zur gelebten Realität der Jugendlichen steht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das eine gute Idee ist. Ansonsten redet man immer davon, die Schule lebensnaher zu gestalten. Wohlgemerkt, das heißt nicht, dass eine laissez-faire-Politik bestehen sollte, die es den Jugendlichen erlaubt, während des Unterrichts TikTok-Videos zu streamen oder so. Aber es ist nötig, dass sie den Umgang mit Medien erlernen, und das können sie nicht, wenn man sie komplett verbannt. Ich habe immer noch keine Lösung für dieses Dilemma, aber ich bin überzeugt, dass ein Komplettverbot nicht die Lösung darstellt – wenngleich ich inzwischen ehrlich gesagt skeptischer bin als noch vor einem Jahr.
5) Der fatale Zusammenhang von Verschweigen und Verschwörungstheorie
Der Artikel thematisiert die brutalen Morde an drei Mädchen in Southport durch einen 17-Jährigen und die daraus resultierenden gewaltsamen Anti-Einwanderungs-Proteste in Großbritannien. Zunächst verbreiteten sich Gerüchte, dass der Täter ein illegal eingewanderter Migrant sei, was die Spannungen verschärfte. Später stellte sich heraus, dass der Täter ein in Großbritannien geborener Jugendlicher ruandischer Herkunft war, was die Behörden transparent kommunizierten. Der Autor betont die Notwendigkeit von Transparenz und Fakten in der Debatte um Migration und Integration, um Vorurteile und falsche Informationen zu bekämpfen. Es wird argumentiert, dass eine offene und ehrliche Diskussion, einschließlich der Nennung von Nationalität und Migrationshintergrund von Straftätern, wichtig ist, um Vertrauen in den Staat zu schaffen und Polarisierung zu vermeiden. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass Kriminalität nicht an Nationalitäten gebunden ist, sondern mit Integration und sozialen Faktoren zusammenhängt. Der Artikel warnt vor den Folgen mangelnder Transparenz, die zu einer Eskalation von Gewalt und Hass führen können, und plädiert für eine differenzierte und sachliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen von Migration und Integration. (Klaus Geiger, Welt)
Geiger liegt in meinen Augen richtig. Es ist ein zentrales Problem der Migrationsdebatte mit ihren Sackgassen, dass man aus Furcht vor rassistischen Strömungen lieber die Augen und den Mund verschlossen hat. Es ist sicher ein Bereich, in dem ich die Steine besser liegen lasse, denn ich habe selbst auch praktisch nie darüber geschrieben oder es thematisiert. Was für mich ein Anstoß zum Umdenken war war Sascha Lobos Buch, Realitätsschock (hier rezensiert), der das bereits 2020 offen angeprangert hat (und dafür auch von links harsch kritisiert wurde). Genauso wie bei der Fundstück 3 diskutierten Antisemitismus-Debatte haben wir hier das Problem, dass gute Absichten Folgeschäden hervorrufen und gleichzeitig die ursprünglichen Bedenken aber auch ihren Kern haben. Denn tatsächlich ist es ja so, dass auf der anderen Seite des Spektrums gerne für rassistische Attacken auf die Herkunft von Täter*innen verwiesen wird. Nur – was, wenn es wahr ist? Wie so oft stehen wir dann vor dem epistemlogischen Dilemma, dass Fakten alleine wenig Aussagekraft haben: es kommt darauf an, wie man sie interpretiert. Vor ihnen wegzulaufen allerdings kann keine Lösung sein, und das haben wir im progressiven Lager zu lange getan.
Resterampe
a) Sehr guter Überblick zur NATO-combat-readiness.
b) Rudi Dutschke und Björn Höcke – Brüder im Geist der Verachtung. Die 68er-Obsession der Bürgerlichen stirbt auch nie aus 😀
c) Chartbook 304 Hegemonic malfunction USA 1919-1923 (Hegemony note #4). Nicht nur lesenswert, der Mann haut den Kram halt quasi als öffentliches Nachdenken raus. Ich find das super.
d) Die Antwort ist: Kulturkampf.
e) Ermutigend zu den Ausschreitungen im UK.
f) Das nächste Gericht kippt die nächste Bezahlkarte. Dieses Mal Bayern.
h) Zum Familienvermögen in Deutschland.
i) Tatsächlich eine Überraschung.
Fertiggestellt am
Zu d) Zitat aus dem tweet: Die transexuelle Boxerin war eine Frau.
Obwohl sie so aufgewachsen ist und einen entsprechenden Passeintrag hat, ist sie das nach den Laborwerten eines seriösen Institutes eben biologisch nicht.
Das letzte Abendmahl war Dionosys.
Auch das ist nicht falsifizierbar, also eine reine These. Die ich glauben kann oder auch nicht.
Schlecht gewählte Beispiele. Worüber sie sich aufregt, ist in grossen Teilen, dass ihre spezifische Interpretation der Wirklichkeit nicht als Tatsache anerkannt wird. Kennzeichen dummer Leut …
Gruss,
Thorsten Haupts
Jetzt wird also eine Frau nicht durch weibliche Geschlechtsorgane, sondern durch Laborwerte (wie seriös die von einem notorisch korrupten Sportverband unter russischer Kontrolle ermittelt wurden, ist noch einmal eine andere Frage) zur Frau?
Die TERF-Pfosten sind offenbar beliebig verschiebbar.
Lesen Sie bitte die gestern von „waechter“ zitierten Artikel zu dem Thema, ja? Da wird ausführlich erklärt, wie das zustandekommt und warum das in – seltenen, aber im Sport überproportional vertretenen – Fällen ein Problem ist. Ich bin definitionsgemäss kein TERF (die setzen Feminismus voraus), die Abkürzung kenne ich ohnehin nur zufällig aus dem Wokie-Milieu. Und nur ganz nebenbei – es gab bei Olympia keine Geschlechtskontrolle, also wissen weder Sie noch ich, wie die Geschlechtsorgane aussehen.
/// Lesen Sie bitte die gestern von „waechter“ zitierten Artikel zu dem Thema, ja? ///
Sehr lustig, wo er doch auf *deine* Postings das hier geantwortet hat:
„Der Fall um den es ursprünglich ging, ist halt nur nicht so eindeutig, bzw. die Fakten sind nicht bekannt und die handelnden Verbände auf beiden Seiten alles andere als glaubwürdig.
(…)
Die Boxerin ist bei den letzten olympischen Spielen nur fünfte und bei der WM 2022 zweite geworden. Ganz unschlagbar ist sie anscheinend nicht. Es sei denn ihre Gegner waren Männer, das weiss ich nicht.“
/// TERF (die setzen Feminismus voraus), die Abkürzung kenne ich ohnehin nur zufällig aus dem Wokie-Milieu. ///
Deine Gender-Obsession ist genauso weird wie deine „Wokie“-Obsession.
Sehr lustig, wo er doch auf *deine* Postings das hier geantwortet hat:
Ach was? Vielleicht wusste er auch nicht alles – die Laborergebnisse wurden vorgelegt und stammen aus einem seriösen Institut.
Deine Gender-Obsession ist genauso weird wie deine „Wokie“-Obsession.
Schön.
„Ach was? Vielleicht wusste er auch nicht alles – die Laborergebnisse wurden vorgelegt und stammen aus einem seriösen Institut.“
Er kann bestätigen, dass er nicht alles weiss
Aber wurden die Ergebnisse wirklich vorgelegt? Ich dachte genau das seien sie nicht.
„Yet even as the I.B.A. discussed the boxers’ tests results openly, it said it was unable to provide specific details of the results because of medical confidentiality rules and what the officials said were requests by both the Algerian and Taiwanese delegations not to disclose the findings.“
https://www.nytimes.com/2024/08/05/world/olympics/imane-khelif-lin-yuting-testing-boxing.html
Aber wurden die Ergebnisse wirklich vorgelegt?
Auf twitter ist etwas an mir vorbeigerauscht, aber ich finde es nicht auf die Schnelle. Bis dahin halte ich mich an das hier:
https://www.iba.sport/news/iba-clarifies-the-facts-the-letter-to-the-ioc-regarding-two-ineligible-boxers-was-sent-and-acknowledged/
Die beiden Sportlerinnen könnten das sofort auflösen – sie haben die Testergebnisse.
Gruss,
Thorsten Haupts
„Auf twitter ist etwas an mir vorbeigerauscht“
Finde ich für die Aussage „– die Laborergebnisse wurden vorgelegt und stammen aus einem seriösen Institut.“
sehr sehr dünn.
„aber ich finde es nicht auf die Schnelle. Bis dahin halte ich mich an das hier“
https://www.iba.sport/news/iba-clarifies-the-facts-the-letter-to-the-ioc-regarding-two-ineligible-boxers-was-sent-and-acknowledged/
Wie gesagt, der Verband ist eher fragwürdig.
„Die beiden Sportlerinnen könnten das sofort auflösen – sie haben die Testergebnisse“.
Gut möglich. Hilft „uns“ aber gerade herzlich wenig.
Ganz verstehe ich die Orientierung der Diskussionsführung nicht. So wie es sich mir plausibel darstellt, ist Imane Khelif eine real intersexuelle Person, also ein Beleg, dass die konservative Formel „Mann = Penis, Frau = Vagina“ nicht so sauber funktioniert. Manche Geschlechtsmerkmale (Anatomie?) weisen wohl auf „Frau“, andere (Hormonspiegel?) auf „Mann“. Eigentlich eine gute Diskussionsbasis für mehr Geschlechtertoleranz.
Die Uneinigkeit betrifft „nur“ zwei Sportverbände und besteht darin, welches das entscheidende Kriterium ist. Sachlich haben Haupts und waechter ein valides Sachargument für die „Mann“- Sichtweise beim Sport geliefert, das eben nicht nur „Kulturkampf“-Blödsinn ist.
„Valide Sachargumente“ finden sich zwar in den von derwachter geposteten Artikeln, aber nicht in Thorsten Haupts‘ Posting, dessen „Laborwerte eines seriösen Institutes“ sich nun als Twitter-Gerücht entpuppt haben.
Eine gute Diskussionsbasis für mehr Geschlechtertoleranz liefert dieser Aufsatz von Amby Burfoot über Caster Semenya:
https://www.letsrun.com/news/2019/04/the-whole-world-is-watching-caster-semenya-vs-iaaf/ (Nachtrag: https://www.letsrun.com/news/2019/05/guest-column-by-amby-burfoot-let-semenya-run-free-in-the-1500/)
Was von mir b
Wie gut, dass das Thema in der Zeitschleife gefangen ist und erhalten bleibt.
Als Super-Oldie erinnere ich mich noch dunkel an Tamara Press in meiner ganz frühen Jungspund-Zeit:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tamara_Press
Wurde eher so hinter vorgehaltener Hand besprochen und war sehr geheimnisvoll^. Mittlerweile hat sie (und ihre Schwester) ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen.
Im Wikipedia-Artikel dazu eine „poststrukturalistische“ (was immer das heißen mag) These. Auch nicht schlecht. Und der Hinweis im Spiegel von 1967, dass sie angeblich „weder rauchte, trank noch jemals flirtete“, weist darauf hin, wie angenehm lebensnah und rustikal Geschlechterfragen einst verhandelt wurden^^. Kein Wunder, dass sich konservative Gemüter danach zurücksehnen.
Zu Liesel Westermann, einer deutschen Athletin zu damaliger Zeit, hieß es dagegen im Spiegel, dass sie „gelegentlich raucht, gern Sekt trinkt und Verehrer ihr auf Sportreisen bis Amerika gefolgt sind“.
So kann man all diese Fragen klären. Causa finita .
Wenn wir so weit zurückschauen, hier noch eine Sportler*in (Nebeneffekt: hier darf man sachbezogen gendern) in diesem Zusammenhang:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Schinegger
Noch weiter zurück Heinrich (Dora) Ratjen von Olympia 1936
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Ratjen
dass die konservative Formel „Mann = Penis, Frau = Vagina“ nicht so sauber funktioniert. Manche Geschlechtsmerkmale (Anatomie?) weisen wohl auf „Frau“, andere (Hormonspiegel?) auf „Mann“. Eigentlich eine gute Diskussionsbasis für mehr Geschlechtertoleranz.
Nicht zu vergessen die Genetik, die sich eben nicht zu 100% an XX und XY hält, sondern gelegentlich die öffentliche Debatte damit trollt, beliebig noch ein X oder Y-Chromosom dranzuhängen. Die Natur bei Säugetieren hat also mit diesem uneindeutigen Woke-Wahnsinn angefangen!
Ich bleib dabei: sportrechtlich ist das ein Dilemma, weil Testosteron eben auch ein Dopingmittel ist. Aber falls es jemand noch nicht wusste: sowohl Sportrecht als auch Sportverbände sind generell hochgradig mafiös. Und in diesem Sportrecht schlägt Olympia russische Boxverbände, also ist Imame Kelif aktuell gerade eine nichtgedopte Frau. Case closed.
Und ich bekomme die Krise, wenn hier Sportverbände in gesellschaftlichen Debatten als Zeugen zitiert werden. Wir diskutieren doch auch nicht unsere Außenpolitik nach der Meinung des IOC, die Palästina oder den Kosovo als vollwertige Staaten anerkennt, Taiwan aber nicht, die aktuell gerade gefälligst nur Chinesisch-Taipeh heißen und eine Fantasie-Hymne haben. (Russland nicht existent).
Chromosomen (genauer Gonosomen) sind natürlich das abstrakteste (und damit objektivste) Kriterium. Die von dir erwähnten Sonderfälle ließen sich dann entsprechend des Einordnungskriteriums „existiert ein Y-Chromosom“ ‚zuteilen‘. XXY und YY als Männer, X und XXX als Frauen. [Bei Tieren sähe die Sache anders aus, aber solange Perry das Schnabeltier mit seinen 5 X und 5 Y Chromosomen nicht antritt, sehe ich darin kein Problem]
Sportverbände
hast du sehr recht, dass die Verbände politisch und (korrupt) ökonomisch agieren und deswegen auch Spielball von Interessen sind. [Insbesondere weil wir in Sachen Sportpolitisierung auf das Kalter-Krieg Niveau mit Großboykotten der Sommerspiele 76,80,84 zurückfallen] Genau deswegen möchte ich (unabhängig) ein faires Kriterium herausfinden, nach dem ich meine Meinung bilde.
Was mir allerdings extrem übel aufstösst, ist der Verweis auf angeblich „russisch dominierte“ IBA. Das ist exakt die dogwhistle-Rhektorik, die auch antisemitische Verschwörungstheorien antreibt. Stell dir (analog zu sol1 oben) die Aussage „wie seriös die von einem notorisch korrupten Sportverband unter jüdischer Kontrolle ermittelt wurden, ist noch einmal eine andere Frage“ vor – das wäre für mich eine ganz dicke Redflag.
Und ich bekomme die Krise, wenn hier Sportverbände in gesellschaftlichen Debatten als Zeugen zitiert werden.
Wenn es im Kern um die Zulassung zu Wettbewerben geht? Wer soll das denn sonst entscheiden? Die Gender Studies? Die „gesellschaftliche Debatte“ darum, ob und warum das persönliche Geschlechtsgefühl (I am a woman) in ausnahmslos allen Anwendungsfällen das biologische Geschlecht schlägt, hat ggf. enorme sportliche Auswirkungen.
„Was mir allerdings extrem übel aufstösst, ist der Verweis auf angeblich „russisch dominierte“ IBA. Das ist exakt die dogwhistle-Rhektorik, die auch antisemitische Verschwörungstheorien antreibt. Stell dir (analog zu sol1 oben) die Aussage „wie seriös die von einem notorisch korrupten Sportverband unter jüdischer Kontrolle ermittelt wurden, ist noch einmal eine andere Frage“ vor – das wäre für mich eine ganz dicke Redflag.“
Äh, die Russland und Kreml connections der IBA sind aber ein ganz kleines bisschen handfester als die judische Weltverschwörung.
https://apnews.com/article/olympics-2024-khelif-russia-boxing-b53b1edda21139d14a572bd35ca440e6
Was ich bisher auch noch nicht wusste:
„Nearly 17 months ago in New Delhi, Algerian boxer Imane Khelif was disqualified from the International Boxing Association’s world championships three days after she won an early-round bout with Azalia Amineva, a previously unbeaten Russian prospect.
The disqualification meant Amineva’s official record was perfect again.“
Ja danke. Und bei Sportverbänden ist das doch gehupft wie gesprungen. Wir können zum Ausgleich auch gerne alle Sportverbände aufzählen, die quatarisch dominiert sind. Das ist systemisch und kommt nur in Nuancen noch drauf an, welches Land da irgendwo dominiert.
Also selbst in der Welt der Sportverbände scheint die IBA außergewöhnlich problematisch.
Vom IOC ausgeschlossen und „Nearly three dozen nations, including nearly all of the prominent Western boxing teams, have taken the extraordinary step of leaving the IBA to form World Boxing, a new governing body, in a final attempt to keep boxing in the 2028 Olympics.“
Wenn es im Kern um die Zulassung zu Wettbewerben geht? Wer soll das denn sonst entscheiden? Die Gender Studies?
Ähm, aber bitte erst mit dir absprechen? Sonst ist nämlich einfach, Olympia hat sie zugelassen und die sind höherrangiger als der IBA. Der einzige, der das hier in Frage stellt, bist du.
Und es ist eben nicht mehr als eine sportrechtliche Frage! Das IOC entscheidet auch im Kern, welche Länder wie zu Wettbewerben zugelassen werden.
Und stell dir vor, ich finde nicht, dass das einen Einfluss auf die Debatte haben sollte, ob wir jetzt Palästina und Kosovo anerkennen und Taiwan aber bitte nur noch Chinese Taipeh nennen. Weil IOC und FIFA und co. da natürlich mehr Plan von haben als Völkerrechtler.
„Sonst ist nämlich einfach, Olympia hat sie zugelassen und die sind höherrangiger als der IBA.“
Das ist nicht richtig. Das IOC ist gerade keine vorgesetzte Behörde oder so etwas ähnliches. In diesem Fall liegt das daran, dass die Boxwettbewerbe bei den gegenwärtigen Olympischen Spielen vom IOC selbst organisiert werden und die IBA damit gar nichts zu schaffen hat (die hat es nämlich fertiggebracht, wegen aller möglicher Schweinereien in der Vergangenheit nicht mehr als zuständiger Fachverband anerkannt zu werden).
Zum Vergleich: World Athletics (das ist der zuständige Weltverband für die Leichtathletik) hat bestimmt, dass bei den Leichtathletik-Wettbewerben in Paris überhaupt keine russischen oder weißrussischen Athleten starten dürfen – nicht einmal unter neutraler Flagge, was das IOC ja in anderen Sportarten akzeptiert. Die Entscheidung, wer dann zum Start zugelassen wird und wer nicht, liegt bei dem Verband, das den jeweiligen Wettbewerb ausrichtet.
Hier ein wissenschaftlicher Beitrag, wen’s interessiert:
„The International Olympic Committee framework on fairness, inclusion and nondiscrimination on the basis of gender identity and sex variations does not protect fairness for female athletes“
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/sms.14581
Danke für Kontext und Links an Euch beide!
Hatte mich schon gefragt, warum das IOC da zuständig ist, aber dann nicht genug Interesse gehabt, selbst rumzuforschen^^
Aber es kann eben niemand einfach so bei Olympia antreten, das ist ne ordentliche Bürokratie, die dahinter steht.
Hier ist noch eine Zusammenfassung:
https://quillette.com/2024/08/03/xy-athletes-in-womens-olympic-boxing-paris-2024-controversy-explained-khelif-yu-ting/
Letztes Abendmahl: haben das die Künstler*innen nicht selbst gesagt?
Wie oft in Deinem Leben hast Du schon beobachtet, dass Leute in der Öffentlichkeit etwas sagen, nur um Kritik auszuweichen?
Es ist halt einfach nicht fair, deine Interpretation als Standard zu setzen. Was genau können die Künstler*innen dafür, dass die Kulturkämpferblase sie falsch versteht?
Wenn partiell beide Seiten der Kulturkämpfer sie falsch verstehen, haben sie vielleicht ihr Anliegen falsch vermittelt?
Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr bin ich mir sicher, dass die Designer bei der Festwagengestaltung als Ausgangspunkt das „Abendmahl“ verwendet haben, dann aber aus völlig Nichtkulturkampfgründen (Platz und Thema zu „ausgelutscht“) ein möglichst ähnliches aber halt anderes Motiv gesucht haben – dann sind sie bei dem Bijlert-Gemälde gelandet.
Das echte Anliegen in beiden Fällen ist natürlich nicht „irgendwas mit Frieden und Toleranz“ oder „Blasphemie“ sondern einfach nur Selbstdarstellung von professionellen Selbstdarstellern. Sie hätten sich auch genauso als US-Präsidenten oder Superhelden präsentieren können. Eine Banalität bei der man gut tut, sie auch so zu verstehen.
Was mich viel mehr fasziniert – wenn es das Abendmahl gewesen wäre, so what? Ich dachte, es herrschen Kunst- und Meinungsfreiheit und Canceln ist nur so ein Linken-Ding?
Was glaubst Du, warum es im wesentlichen nur eindeutig rechtsradikale Kulturkrieger aufgriffen? Z.B. mir ist das völlig schnurz.
Fühl dich auf die Schulter geklopft und umarmt. 🙂
Was hätten sie machen sollen? Ein Schild mit der offiziellen Interpretation drunterhängen? Untertitel?
Haben sie gemacht, offizielle Aussage: Die Darstellung war eine Interpretation der Absurdität menschlicher Gewalt!
Hier, gerade zufällig wiedergefunden:
https://twitter.com/Dagobert95/status/1816929694802968576
Zu a)
Berlin is much more comfortable in managing the Bundeswehr with a degree of intentional incompetence.
Yup! Schafft die deutschen Streitkräfte bitte einfach ab. Das entspricht dem de facto Wunsch der bequemlichkeitspazifistischen deutschen Mehrheit und eine nicht einsatzfähige Armee ist dafür einfach viel zu teuer. Danach unterstellen wir uns als Protektorat amerikanischem Schutz und geben glücklich eine eigenständige Aussen- und Sicherheitspolitik auf.
Was mich intellektuell wahnsinnig amüsiert: Bisher ging in der Geschichte niemals ein Land oder ein Reich an Dekadenz seiner Bevölkerung unter (nein, auch das Römische nicht). Wir könnten das erste historische Beispiel liefern.
Gruss,
Thorsten Haupts
Also quasi Österreich in groß? ^^
zu 1) Venezuela. Versuche es kurz zu machen.
Sandra Weiss basiert ihre Argumentation stark auf die letzten Beiträge des spanischsprachigen yt Kanals „Visual Politik“. Nicht die schlechteste Quelle, aber die ganze Geschichte hat aus meiner Sicht mehr Aspekte. Noch besser wäre, wenn sie die Quelle nennen würde.
Mich nervt an diesem Punkt die im Westen weit verbreitete Überzeugung, dass sich Demokratie und Rechtsstaat letztlich durchsetzen werden, wenn die dafür streitenden Politiker nicht blöd agieren. Diesen Glauben habe ich verloren und ich halte ihn für problematisch.
Grundsätztlich ist es richtig, dass v.a. der Wahlboykott 2005 ein großer Fehler war. Das Ganze fand aber über die Jahre in einem sehr komplexen Prozess statt. Erst mit den Details werden die aus der Rückschau nicht sehr konsistenten Entscheidungen der Oppositionsgruppen nachvollziehbar. In 25 Jahren Chavismus haben sich eine Menge dieser Details angesammelt. Ich greife mal in die Detail-Kiste:
Ein Beispiel über das heute wenig gesprochen wird: 2002 war Chávez einmal kurz abgesetzt, nachdem Mitglieder chavistischer „sozialer“ Bewegungen mehrere friedliche Demonstranten mit Schüssen ermordet hatten. In Europa lief damals über die Ereignisse der beliebte Propagandafilme „The revolution will not be televised“ ( https://www.youtube.com/watch?v=wF_5xZIstPw ). Wer nicht gut über Venezuela informiert ist und sich den anschaut, wird ihn für sehr überzeugend halten. Er kann inzwischen als vollständig widerlegt betrachtet werden. Die beste Zusammenfassung inklusive eigener Recherchen findet man am in dem Buch Brian A Nelson, „The Silence and the Scorpion: The Coup Against Chavez and the Making of Modern Venezuela“. Wie viele nicht-Venezolaner haben dieses englisch-sprachige Buch gelesen? Der Propaganda Film lief dagegen mehrmals auf arte und hat einige Preise erhalten.
Aktuell funktioniert die Weltöffentlichkeit. In Chile auf allen Kanälen. Die Empörung reicht bis sehr weit links und sie ist oft sehr gut reflektiert (z.B. Programm „Descabelladas“ auf yt Kanal „u de chile tv“). Aber wie sieht es in 4 Wochen aus? Die venezolanischen Oppositionspolitiker können den Wahnsinn nicht einfach mit der Zeit ausblenden. Der ihr ganzes Leben findet unter diesem alptraumartigen Druck statt.
Zwischen 2015 und 2020 hatte die Opposition eine starke Mehrheit im Parlament. Der Chavismus errichtete eine „Verfassungsgebende Versammlung“, die Parlamentsfunktionen übernahm. Die gewählten Parlamentarier des faktisch ausgeschalteten Parlaments erhielten nicht mal mehr Diäten. Kein Wunder, dass einige anfällig für chavistische Gelder wurden.
Regieren konnte der Chavismus nie. Jemand hat mal errechnet, dass die in den Zeiten des Erdölbooms 10x des Volumens des gesamten Marshall-Plans Europas verballert haben. Heute legen Eltern für die Lehrer ihrer Kinder zusammen, damit die sich ernähren und sich kleiden können. So kann dann wenigstens der größere Teil des Unterrichts stattfinden. Mit dem Lehrergehalt alleine würden die Lehrer verhungern. Viele Eltern haben natürlich keine Mittel für dieses informelle Schulgeld. 25 bis 30% der Bevölkerung ist geflohen, viele weil sie hungerten. [all die letzten Infos von Manuel Sutherland, ein venezolanischer Ökonomieprofessor, twitter handle @marxiando und nein, Sutherland meint das mit Marx nicht ironisch]
Der Chavismus konnte aber von Anfang an eins sehr: DESINFORMATION und MANIPULATION. Warum? Ich scheue mich davor, diese Frage zu beantworten, weil man es leicht als Paranoia auslegen könnte… Warum konnte sich auf Kuba das kommunistische Regime ohne übermässig brutale Repression an der Macht halten? Die Antwort: Desinformation und Manipulation. Fidel Castro suchte in den 90ern verzweifelt nach einem neuen Finanzier für seine kaputte Insel. Er entdeckte Chávez und stellte ihm gute Berater zur Seite. Der Rest ist leider Geschichte.
Danke!
Sandra Weiss schreibt
Die Nachbarländer unter Führung von Brasilien und Kolumbien, mit Unterstützung der USA, der EU, der katholischen Kirche und der Vereinten Nationen, versuchen derzeit fieberhaft, Dialog- und Verhandlungskanäle zu öffnen.
Das läuft alles momentan mit Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Wenn jemand noch einen Zugang zu Maduro hat, dann die drei linken Präsidenten Kolumbiens, Brasiliens und Mexikos. Soweit, so gut. Der linke Präsident Chiles, Gabriel Boric, äußert sich wesentlich schärfer gegen Maduro. Allerdings ist Boric in dem Komplex „Menschenrechte, Außenpolitik, Geopolitik“ einfach konsistent kompatibel zu westeuropäischen Vorstellungen. Außerdem würde der Versuch, sich Maduro als Vermittler anzudienen in der Öffentlichen Meinung Chiles sehr schlecht ankommen.
Andererseits hat Inacio Luis „Lula“ da Silva schon Sachen rausgehauen, die eindeutig nervös machen.
Das hier war der Hammer: https://x.com/tjerkbr/status/1818433077737050352
Vielleicht will er Maduro beruhigen und verhandlungsbereit machen. Vielleicht hofft er, dass Gras über die Sache wächst und die Region inklusive Venezuela wieder ein bisschen beruhigt. Es sollte natürlich auch für ihn Anreize geben, dass der Chavismus endlich gestoppt wird. Eine neue große Flüchtlingswelle würde Brasilien auch treffen. Die Bolsonaristas werden sowieso mit ihrem strikten Anti-Maduro-Kurs Punkte sammeln. Aber Politik ist nicht unbedingt rational, weder in Lateinamerika noch in Europa.
Verhandlungen über was?
Gute Frage.
Man glaubt, dass die Opposition nicht einfach die Macht übernehmen kann. Eine gemeinsame Regierung der Nationalen Befriedung mit Regierung und Opposition erscheint aber auch unrealistisch.
Viele Chavisten haben alle möglichen Straftaten begangen. Korruption in gewaltigen Ausmaßen, Drogenhandel, Menschenrechtsverletzungen, Wahlbetrug etc. Garantien zu Straffreiheit sind nicht glaubwürdig. Garantien hatte die argentinische Militärdiktatur auch und es nützte ihnen nichts. Die letzten 4 peruanischen Präsidenten sitzen im Knast wegen Straftaten während der Präsidentschaft oder haben sich umgebracht. Da gehts oft um Korruption im Umfang von 30 bis 50 Mio Dollar. Bei vielen Chavisten reden wir über hunderte von Mio Dollar.
Irgendwelche Garantien muss man den Chavisten anbieten. Sie würden nach der Übergabe der der Macht auf Dauer kaum im Land bleiben können und ein lebenslanges Exil in Kuba, Nicaragua, Bolivien, Rußland, China oder Nord-Korea, liegt auch außerhalb deren Vorstellungen über ihre Zukunft.
Akutes Problem aus Sicht der Chavisten: Die Wahlakten haben einige schwer zu fälschenden kryptologischen Sicherheiten eingebaut.
Ich halte es für realistischer, dass ein paar eingeflogene chinesische, kubanische und/oder russische Hacker halbwegs glaubwürdige Wahlakten erzeugen. Die werden dann präsentiert und die brasilianische Regierung sagt dann, dass ihnen das ganze auch fragwürdig erscheint, aber man müsse halt die nationale Selbstbestimmung der venezolanischen Institutionen respektieren und die Wahlakten seien ja nun da.
Falls Trump die Wahl nicht gewinnt, verschärft die USA noch einmal die Wirtschafts-Sanktionen. Es verlassen jährlich 4 Millionen Venezolaner das Land. Außerhalb des Arco Minero, wo venezolanische Militärs, Guerrilla-Gruppen und Wagner extrem schmutzige Minen unterhalten, wird sich die Natur einiges an Land zurückholen. Letzteres ist zumindest eine positive Auswirkung.
Der Chavismus endet irgendwann ähnlich wie Werner Herzogs Film „Aguirre, der Zorn Gottes“ aus den 70ern. Hatte ich so um 2014 prognostiziert.
https://www.youtube.com/watch?v=Ng4S8iWRchs
Venezuela im 21. Jahrhundert ist das Grauen.
Mir taten die Venezolaner schon unter Chavez leid. Wie das ausgehen würde, stand leider schon damals mit 99% Sicherheit fest.
Hab nun begonnen Rory Carrols Buch „Comandante. Hugo Chávez’s Venezuela“ von 2013 noch mal zu lesen. Carrol war zur Chávez Zeit der Korrespondent des Guardian in Venezuela. Ich fand das zu seiner Zeit die beste Gesamtdarstellung über die Chávez-Zeit. Chávez hat das Monster erschaffen. Maduro ist nur der Verwalter.
Viele Gerüchte schwirren rum. Eins nehme ich relativ ernst: Brasilien wird laut der argentinischen Tageszeitung Clarín hart bleiben. Sie begründen das mit Aussagen aus Kreisen des brasilianischen Außenministeriums. Die Zeitung hat ein gewisses Renommee zu verlieren. Auch Luis Inacio da Silvas letzte Äußerungen lassen sich in die Richtung deuten. Allerdings sind in Brasilien einige Kommentatoren, die ich gehört habe, on fire bezüglich der laschen Äußerungen ihres Präsidenten in der letzten Woche. Eine klare Haltung der brasilianischen Regierung könnte den Druck für Maduros kleine Machtclique unerträglich machen. Schaun wir mal.
Arbeitet Brasilien mit den USA zusammen und nicht mit Kolumbien und Mexiko, gibt es eine Chance.
Zu A)
Neben der bedingten Abwehrbereitschaft der Bundeswehr ist sicherlich eines der größten Probleme im Angriffsfall die mangelnde Resilienz der Deutschen in Sicherheitsfragen.
Angenommen Putin überfällt das Baltikum und legt zur Abschreckung eine deutsche Stadt in Schutt und Asche mit Hilfe von Mittelstreckenraketen – ich wäre mir sehr unsicher, ob die Mehrheit der Bevölkerung wirklich zum Artikel 5 stehen würde, um sagen wir mal Litauen zu befreien oder nicht doch nach Verhandlungen / Frieden rufen würde.
Natürlich nicht. Aber: das ist eine exekutive Entscheidung. Das passiert ja nicht per Referendum.
Es geht – wenn wir mal die Historie der letzten Jahrzehnte überblicken – doch viel mehr um die Angriffsbereitschaft des deutschen Militärs.
Angenommen Harris/Trump legt zur „Abschreckung“ eine russische Stadt mit Mittelstreckenraketen (von Deutschland aus) in Schutt und Asche zu legen.
Und da hege ich große Zweifel daran, ob die Exekutive zu Art 1 Abs 2 und Art 26 Abs 1(GG) stehen würde oder nicht doch nach „Krägstöchtigkeit“ rufen würde.
Das wäre keine Frage für Artikel 5. Der ist für den VERTEIDIGUNGSFALL.
Zur Anwendung kam dieser Artikel bisher einmal : 2001 für die Invasion in Afghanistan – soviel zum Verteidigungsfall.
Woraus leitest du eine Angriffsbereitschaft des deutschen Militärs ab?
Ich rede nicht vom Militär, sondern der Politik – und diese verdächtige ich [aufgrund der Orte der bisherigen Kampfeinsätze der Bundeswehr, die alle nicht NATO-Territorium betrafen] unter dem Deckmantel „Verteidigung“ eine Angriffstruppe herstellen zu wollen.
Ich halte das auch für nicht nachvollziehbar.
Eine legislative Entscheidung, die Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls obliegt dem Parlament. Und hier wird es schon spannend, braucht es doch eine 2/3 Mehrheit.
Das ist die „Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“.
Das ist etwas durchaus anderes als der „Bündnisfall“ gem. Nato-Vertrag (Art. 5). Der wurde übrigens offiziell und einstimmig, also mit Zustimmung der Bundesregierung, durch den NATO-Rat nach dem 11. September 2001 festgestellt. Das war das erste und bisher einzige Mal. Daraus ergab sich dann das Afghanistan-Abenteuer mit dem mittlerweile errungenen großen Sieg^.
Der Einsatz wurde aber wiederum im Parlament bestätigt. Dutzendfach.
Genau, aber das kommt hier ja gar nicht zur Anwendung, das ist ja gerade mein Punkt.
Zu h)
Jo. Habe nen Blick in die Studie geworfen. Die bestätigt präzise einen der Gründe, warum viele (mich eingeschlossen) Familienunternehmen für vorzugswürdig halten: Anteilig schütten Familienunternehmen, die als Aktiengesellschaften geführt werden, über viele Jahre hinweg signifikant kleinere Anteile ihres Jahresgewinns nach Steuern an Aktionäre aus, heisst, sie behalten auf Dauer viel mehr Geld im Unternehmen.
Aber erwartungsgemäss – Fricke ist ja Interessierten auch einschlägig bekannt – wird genau daraus ein Vorwurf konstruiert. Lustigerweise noch einer, der mit der Studie nur ganz, ganz am Rande zu tun hat (und den die gar nicht unterfüttert). Da suchte jemand nach einem Vorwand für den Zugriff auf Vermögen.
Denn Fricke sieht die Gründe für den Vermögensaufbau in der fehlenden Konkurrenz, was die Studie gar nicht hergibt. Die Studie konzediert, dass unter den deutschen Familienunternehmen VW und BMW nach Umsatz eine überragende Bedeutung haben. Und die sind in wirklich perfekten Polypolen (viele Konkurrenten) unterwegs, nur für Verbrennerfahrzeuge eben mit sehr hohen Einstiegshürden (Finanzierung, Know How).
Gruss,
Thorsten Haupts
… ich wäre mir sehr unsicher, ob die Mehrheit der Bevölkerung wirklich zum Artikel 5 stehen würde …
Ich nicht. Nein, sie würde nicht zum Artikel 5 stehen.
5) Es mag vielleicht sinnvoll sein zu erwähnen, dass es sich bei einem Straftäter um einen Ausländer handelt (sicher bin ich mir nicht). Aus welchem Grund sollte aber der Einwanderungshintergrund eines Deutschen oder sein Aussehen extra in den Medien erwähnt werden? Ich sehe nicht, wo das irgendwie hilfreich sein könnte. Wenn wenn schon, dann moechte ich das fuer alle Straftaeter wissen. Dann ist mir auch wichtig, ob der Vergewaltiger vielleicht aus Hessen in meine schoen Stadt eingewandert ist.
Was heißt sinnvoll? Das ist eine politische Frage an der Stelle. Es ist offensichtlich der Eindruck entstanden, dass das bewusst verschwiegen wurde, aus political correctness oder wie auch immer du das nennen willst. Und das ist Gift.
j) „wer 2mal schwarzfährt“ kommt dafür ernsthaft ins Gefängnis? Das hätte ich nicht gedacht
Nicht ganz so einfach:
„Beförderungserschleichung“ als Straftat gegen § 265a StGB wird von den Verkehrsbetrieben im Wiederholungsfall (ob ab dem 2. Mal oder später ist sehr willkürlich unterschiedlich) angezeigt. Darauf wird eine Geldstrafe verhängt, die viele (um die 7.000 / Jahr) nicht zahlen können. Deswegen müssen sie als Ersatzfreiheitsstrafe ins Gefängnis und deswegen kann der Freiheitsfond sie „freikaufen“.
https://freiheitsfonds.de/
Nicht wegen Schwarzfahren sondern weil du deine Strafe nicht zahlst.
Jein, Schwarzfahren ist eine Straftat, anders als z.B. Falschparken. Wusste ich auch nicht.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schwarzfahren-strafe-wie-beim-falschparken-debatte-um-schwarzfahren-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230412-99-287494
Jep Falschparken ist nämlich keine Straftat, sondern Ordnungswidrigkeit. Ähnlich wie beim Freiheitsfonds, der die Leute aus dem Knast freikauft, gibts da auch schon Initiativen, das gesetzlich zu ändern.
Das Jacobin hatte neulich eine bedrückende Reportage wo es um solche „Armutsdelikte“ ging, die ich jetzt ums Verrecken nicht wiederfinde.
(Letzte Hoffnung: sol, der magisch sowas finden kann!)
Das waren so Kleinstdiebstähle wie eben ein Brot und dafür gibts in Berlin ein gesondertes Gericht, das im Akkord solche Fälle verhandelt und das summiert sich dann schnell so auf, dass die Leute am Ende im Gefängnis landen. Ronen Steinke hat dazu auch ein Buch geschrieben, auf das ich gerade warte (der SZ-Journalist).
Herr Buschmann hatte eigentlich auch versprochen, sich dieses Problems mal anzunehmen, aber welch Wunder, es hat sich da nichts getan.
Das Buch von Ronen Steinke kann ich sehr empfehlen:
https://www.piper.de/buecher/vor-dem-gesetz-sind-nicht-alle-gleich-isbn-978-3-8270-1415-3#detail-rezensionen
Er zeigt, dass der rein formal verstandene Rechtsstaat das Versprechen noch nicht einlöst. Buschmann ist da leider auch nur halbherzig.
Jep danke für den Link, kommt morgen an!
Der zynische Altsozialist im Hinterkopf verweist auf Brecht : „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ Akt 3: „Mangel an Geld stellt das größte Verbrechen dar.“
Oh krass ich auch nicht. Aber wenig verwunderlich. Natürlich ist die Straftat mit dem Auto viel weniger schlimm als die mit der Bahn. Wir sind in Deutschland.
Sorry, aber bin ich hier im falschen Film? Schwarzfahren ist ausnahmslos Diebstahl/Betrug – ich bekomme eine zahlungspflichtige Leistung ohne zu zahlen.
Falschparken ist das nicht. Was soll dieser absolut schräge Vergleich?
Parken ohne zu bezahlen dann eben.
Wenn du falsch parkst nimmst du dir kostenlos eine Ressource. Ich sehe nicht, wo das schräg ist.
Gar nicht von sowas wie Aufsetzparken zu reden, das gegen die Regel ist, aber jahrzehntelang nicht geahndet wurde, in Bremen entbrennt jetzt ein Krieg, weil man vielleicht doch die StVo durchsetzen möchte.
ABER: da ich hörte, es gibt bei einigen vielleicht ein größeres Interesse an Sylt, recht typisches Beispiel, diesmal ohne Autos:
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Sylter-Garage-Kampf-gegen-illegale-Ferienwohnungen-an-der-Kueste,ferienwohnungen202.html
@ Stefan Sasse
Wenn du falsch parkst nimmst du dir kostenlos eine Ressource. Ich sehe nicht, wo das schräg ist.
Das tust Du auch, wenn Du spazieren gehst – oder atmest.
Schräger Vergleich. Versuch mal, dich in Bereichen aufzuhalten oder gar zu übernachten, wo das nicht erlaubt ist…
Ich bringe morgen etwas dazu. Das ist ja inzwischen absurd, was hier bar jeder Spur rechtstaatlichen Bewusstseins kommentiert wird.
Das ist doch der Fehler: Falschparken (Ordnungswidrigkeit) wird als weniger verwerflich/sozialschädlich eingestuft als Schwarzfahren.
Dabei: Wo Parken verboten ist, behindert oder gefährdet es Menschen. Sonst wäre das Parkverbot sinnlos und falsch. Auf Gehwegen und in unübersichtlichen Kurven (erlebe ich jeden Tag) kann es zu gefährlichen Situationen führen: Kinder, Rollstuhlfahrer, Senioren mit Rollator, Kinderwagen) müssen auf die Straße ausweichen.
Trotzdem wird es erst jetzt gaanz langsam und gaanz vorsichtig thematisiert und als Problem gesehen. In Heidelberg wurden Bürger, die ihr Recht (vor ihrem Haus!) einklagten, vom Oberbürgermeister (!) als „Denunzianten“ beschimpft. Behörden sind, soweit ich weiß, Recht und Gesetz verpflichtet? In dem Fall offenbar nicht. Warum gibt es eigentlich keine Dienstaufsichtsbeschwerden?
@ CitizenK
Das ist doch der Fehler: Falschparken (Ordnungswidrigkeit) wird als weniger verwerflich/sozialschädlich eingestuft als Schwarzfahren.
Schwarzfahren ist das Erschleichen einer kostenpflichtigen Leistung, also eher vergleichbar mit z.B. Ladendiebstahl.
Ist dann vergleichbar mit „Falschparken“, wenn man sich auf einen kostenpflichtigen Parkplatz stellt, ohne zu bezahlen. Wird man dabei erwischt, kriegt man auch eine Strafe. Zahlt man die nicht, fährt man irgendwann auch ein. Ansonsten wird auch gerne für viel Geld abgeschleppt.
Aus meiner Wahrnehmung ist das Problem mit dem Schwarzfahren (wie bei Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit) eher die mangelnde Kontrolle. Gesetze, deren Einhaltung nicht ausreichend kontrolliert wird, bringen in der Regel nicht den gewünschten Effekt.
Wer ohne Ticket erwischt wird, zahlt mindestens 60 Euro Bußgeld, auch eine Strafe. Im Wiederholungsfall dann Anzeige und Strafverfahren, durchgezogen bis zur Pfändung. Es geht also nur um die „Schwarz“fahrer, die eingesperrt werden, weil sie nicht zahlen KÖNNEN. Wenn nichts zu holen ist, ist nichts zu holen. Verpflichtung zu Sozialstunden, wie teilweise praktiziert, ist eine Lösung, Gefängnis ist keine – völlig unverhältnismäßig. Es geht – anders als beim kostenpflichtigen Parkplatz – um Menschen, um Freiheit – ein höhere Gut als Geld.
Was tun Sie, wenn die nicht zu den Sozialstunden antreten?
Übrigens eine interessante Rechtsposition, die Sie da einnehmen.
Verpflichtende Sozialstunden sind in ihrem Charakter der Zwangsarbeit gleich. Sie werden fast ausschließlich im Jugendstrafrecht verhängt als Mittel der Resozialisierung und da Jugendliche typischerweise über keine eigenen Finanzmittel verfügen, die sie nicht von Dritten, z.B. den Eltern, erhalten haben. Im Erwachsenenstrafrecht spielen Sozialstunden kaum eine Rolle. Der Bürger muss bei Geldstrafen für eine festgelegte Zeit auf jedes freie Einkommen verzichten. So kommt es, dass ein Gutverdiener bei 60 Tagessätzen zwei Monate völligen Verzicht üben muss, in dem der einen fünfstelligen Betrag zahlt. Ein hoch bezahlter Fußballprofi wie Jerome Boateng zahlt einige hunderttausend und ein Bürgergeldbezieher eben 60 Euro.
Der Besserverdiener kann genausowenig wie der Bürgergeldempfänger bei der Festsetzung der Strafe geltend machen, dass er zwingend Geld für Zigaretten, Schokolade und den Museumsbesuch benötigt.
60 Tagessätze bedeutet in der Umkehrung, dass der Verurteilte 480 Sozialstunden leisten müsste. Wer sollte eine solche Alternative in Anspruch nehmen, zwei Monate völlig unentgeltlich zu arbeiten oder 60 Euro zu berappen? Nicht alles, was sozial klingt, ist auch sozial. Meist sogar das glatte Gegenteil.
Nur damit es nicht untergeht: Was tun Sie, wenn die Sozialstunden nicht abgeleistet werden?
Kommt darauf an.
Sozialstunden müssen organisiert und überwacht werden. Aufwendig. Einige werden sie auch so
„ableisten“, dass mehr Schaden als Nutzen entsteht.
Weiß ich. Aber Knast als Alternative kostet noch mehr und ist erwiesenermaßen nicht effektiv. Oft einfach unmenschlich wie im Fall der (jetzt freigekauften, Schwangeren kurz vor der Geburt). Die üblichen Referenz-Nachbarländer setzen jedenfalls (nach oberflächlicher Google-Recherche) auch auf Sozialstunden – Knast als allerletztes Druckmittel.
Schwarzfahrer im Knast sind vor überwiegend wirklich arme Leute, die kein Geld für das Ticket zum Arzt oder für Besorgungen nicht haben. Und sozio-psychische Problemfälle. Lesen Sie das Buch von Ronen Steinke!
Besser auch hier: Helfen statt Strafen. Einige Gemeinden (Heidelberg zum Beispiel) hat ein Programm dafür.
Noch eine Frage: Was machen Sie mit einem Pleitier, der seine Steuerschulden nicht zahlen kann?
Sie beantworten die Frage nicht: Der Verurteilte tritt nicht an. Was tun Sie?
Wenn es auf die Kosten ankäme, könnten wir uns den Sozialstaat nicht leisten. Jedes Arbeitsgerichtsverfahren bis zum Kammertermin ist ganz eindeutig ein Verlustgeschäft – für den Staat. Dennoch weigern sich Linke beharrlich, die Verfahren durch Abfindungsregelungen abzukürzen. Also kommen Sie mir nicht mit Kosten. Das ist amerikanisch.
Steuerschulden verfallen nicht. Also kein Problem. Der Staat ist immer der Erste, der kassiert.
Die Strafen sind immer maßvoll. Sie belasten den Reichen genauso wie den Armen. Und Sie glauben ernsthaft, ein Bürgergeldempfänger würde eher zwei Monate sozial arbeiten als zwei Monate in den Knast gehen?
Wow. Bist du ein Misanthrop.
Ganz sicher nicht. Ich bin fest überzeugt: Nur wer Menschen mag, kann Menschen führen.
Ihr Linken seid echte Drückeberger, wenn es drauf ankommt. Ich habe nun mehrfach die Frage gestellt, was der Staat tun soll, wenn ein Verurteilter sich grundsätzlich verweigert, keine Geldstrafe zahlt und keine Sozialstunden leistet. Ich verweigert die Antwort, weil es nur eine einzige dazu gibt. Und die wiederum lässt Eure ganze Position zum Einsturz bringen. Feige.
Genauso auf diesen Punkt: Die Meinung, dass eine vom Gericht festgelegte Geldstrafe die Ärmsten überfordern würde, führt zwangsläufig zu der Ansicht, das ganze System sei ungerecht. Und zwar unabhängig vom Delikt. Eine andere Folge ist nicht möglich, aber sagen mögt ihr es nicht, weil eine solche Position von 98 Prozent als absurd angesehen würde. Feige.
Das kann man sich vielleicht als Lehrer erlauben. Im realen Leben nicht, schon gar nicht, wenn man Menschen führt.
@ Stefan Pietsch 11. August 2024, 23:02
Das kann man sich vielleicht als Lehrer erlauben …..
Musst Du wirklich in jedem zweiten Posting persönlich werden?
Genau.
@ CitizenK.
Es gibt fürs Schwarzfahren, egal wie, wo und wann, keine Androhung von Gefängnis. Intolerant wird der Staat in der Regel erst, wenn es ums Geld geht, wenn also eine (für welches Vergehen auch immer) ausgesprochene Geldstrafe nicht bezahlt wird.
Ich finde diese Fixierung aufs Geld in der Regel auch überzogen. So würde ich z.B. nie einen Steuerhinterzieher in den Knast stecken, weil hinterzogene Steuern egal in welcher Höhe nicht „die Gesellschaft schädigen“; sie schmälern bestenfalls für einen kurzen Zeitraum die Kassen des Staats – auch nur solange, bis die Steuerschuld beglichen ist. Da erfüllt eine Strafe von 50% der hinterzogenen Summe viel besser ihren Zweck.
Im Gegensatz dazu schädigen Gewalttäter die Gesellschaft massiv. Hier ist zu meinem absoluten Unverständnis der Staat viel zu „tolerant“.
In beiden Fällen gilt, dass das Rechtssystem funktionieren muss, dass Kontrollen Strafverfolgung, Urteilsverkündung etc. mit ausreichend hoher Disziplin umgesetzt werden.
Aber zu fordern, dass Menschen, weil sie weniger Geld haben, sich folgenlos mehr Gesetzesübertretungen leisten können sollen (oder im Umkehrschluss Menschen mit mehr Geld einer strengeren Strafverfolgung unterliegen sollen), leuchtet mir so gar nicht ein.
Bin ich grundsätzlich bei dir. Auch bei Gewalttäter*innen allerdings würde ich restaurativer Gerechtigkeit den Vorzug geben und vor allem diejenigen einknasten, die unreformierbar sind. Denn das muss man sich grundsätzlich immer klar machen: die gibt es. Unverbesserbare Idioten gibt’s sogar zuhauf.
Das sollen sie auch nicht. Niemand fordert das. Ich nicht und die Justizminister (Bund und NRW) nicht, die das angestoßen haben.
Es geht um die Reform einer Praxis, die dem mittelalterlichen Schuldturm entspricht. Das ist alles.
Dass Gewalttaten gegen Leib und Leben oft so milde verfolgt/bestraft werden, ist ich sehr falsch. Hier wurde kürzlich einer nach einem Messerangriff nach Beweisaufnahme auf freien Fuß gesetzt.
Bei der Steuerhinterziehung bin ich grundsätzlich (wenn auch zögerlich) bei dir – erstaunlicherweise ist Stefan P. da anderer Meinung. Interessant, nicht?
@ CitizenK 12. August 2024, 16:09
Das sollen sie auch nicht. Niemand fordert das.
Vielleicht hat sich dann der eine oder andere hier mißverständlich ausgedrückt …
Es geht um die Reform einer Praxis, die dem mittelalterlichen Schuldturm entspricht. Das ist alles.
Also doch? 🙂
Ja, das ist ein Stück weit Schuldenturm, und seit Jahrhunderten üblich, und beziehnt sich auf Schulden, nicht aufs Schwarzfahren. Dass war ja der Aufhänger hier.
Hier wurde kürzlich einer nach einem Messerangriff nach Beweisaufnahme auf freien Fuß gesetzt.
Unglaublich.
Bei der Steuerhinterziehung bin ich grundsätzlich (wenn auch zögerlich) bei dir – erstaunlicherweise ist Stefan P. da anderer Meinung. Interessant, nicht?
Warum interessant?
Selbst wenn ich in vielen Bereichen ähnliche Meinungen wie Stefan P. vertrete, bin ich (ohne den anderen zu nahe treten zu wollen) als konservativer eher mit Thorsten Haupts oder R.A. auf einer Wellenlänge.
Hier hat doch jeder seine eigene Sicht der Dinge. Wäre doch auch nicht sonderlich bemerkenswert, wenn Du mal eine andere Meinung als Stefan Sasse hättest 🙂
zu d) Abendmahl / Dionysos
ok, das letzte Abendmahl hätte ich noch akzeptiert – das wird dauernd zitiert und parodiert (etwa in Mel Broooks‘ „Weltgeschichte“). Aber dass sie den Zwölfgötterglauben verhöhnen, geht gar nicht. Hat sich jemand über das Sujet der dargestellten Szene Gedanken gemacht: Die Hochzeit von Peleus und Thetis auf dem Olymp. Klares Unterlaufen der olympischen Ideale (Friedensgebot, Fairplay).
Außerdem hat Dionysos viele Beinamen (unter anderem Menschenzerschmetterer), aber „der schlumpffarbene“ ist nach meinem Kenntnisstand nicht darunter.
3) Ähnlich argumentiert Jery Montag in diesem Gastbeitrag und diesem Interview:
https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-07/jerzy-montag-resolution-gegen-antisemitismus-bundestag-juedisches-leben/komplettansicht
https://www.sueddeutsche.de/kultur/jerzy-montag-bundestag-kampf-gegen-antisemitismus-kritik-lux.DuLgEwSRAUFpXLV3fyYYxN (Paywallumgehung: https://archive.ph/nIgFN)
4) Die Erfindung einer »Generation Angst«
Oh, welch dankbare Gelegenheit, nochmal deinen Podcast mit deinen Schülern zu loben, den ich damals arg verspätet gehört habe!
Denn ja, es ist ein Teil der Realität, den man erlernen muss ob durch Schule, Erfahrung, whatever.
Und in deinem Podcast haben deine Schüler auch nebenbei erwähnt, dass das eigentlich mehr ein Boomer-Problem ist, die damit eben nicht aufwachsen. Und ich hatte tatsächlich in letzter Zeit etliche Vorfälle mit Leuten, die mind. 10 Jahre älter sind als ich, sowohl was hanebüchenen Quatsch angeht (Rauchwarnmelder sind Abhörgeräte – muss man wissen) als auch unnötiges Beschäftigen mit Betrugs-SMS angeht, dass ich am liebsten einen Leitartikel schreiben würde, der erstmal ein Medienverbot für Boomer fordert.
Es passiert sowieso und imo kann sich auch niemand diesem mentalen Lernprogramm entziehen, der mit neuen Medien einhergeht. Insofern halte ich es auch für gut, das in der Schule zu thematisieren anstatt das zu tabuisieren. Aber man sollte nicht denken, dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, das magischerweise nur Jugendliche betrifft, sondern eben alle.
Jepp!
b )
“ Die 68er-Obsession der Bürgerlichen stirbt auch nie aus “
Tja, doppeldeutig. Die 68er (im engeren Sinn, einschl. des verlinkten Autors) waren selbst kreuz-bürgerlich, wenngleich verkleidet; man sollte es ihnen nicht ansehen. Nach ihrer Reise nach rechts (eigentlich nur ein kleiner Schritt) sind nicht wenige interessanterweise ausgerechnet beim Springer-Verlag („enteignet Springer“) in leitenden Positionen gelandet. Der enge Freund von Dutschke (Rabehl) bei der NPD. Und so weiter.
Ich kenne keinen, der noch so richtig knackig links (im damaligen Sinn, also nicht weichgespült) wäre. Waren die ja auch nie. War alles nur Schminke.
Tja, doppeldeutig. Die 68er (im engeren Sinn, einschl. des verlinkten Autors) waren selbst kreuz-bürgerlich …
War die These von Sebastian Haffner – Fortsetzung der bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts.