Eleanor Janega – The Once and Future Sex: Going Medieval on Women’s Roles in Society (Hörbuch)
In Kapitel 1, „Back to Basics„, beginnt Janega mit der Darstellung der Rolle der antiken Autoren. Diese galten im Mittelalter wie auch in der Renaissance als unbestechliche Autoritäten, weil sie alt waren – und je länger etwas her war, desto näher war e san biblischen Zeiten, desto näher war es an Gott, und desto richtiger musste es also sein. So galt Hippokrates als unbedingte erste Autorität in der Frage der Unterscheidung von Männern und Frauen. Die seinerzeit unhinterfragte Vier-Säfte-Lehre, nach der jeder Mensch vier „Säfte“ im Körper habe, deren Austarierung seine Gesundheit und sein Gemüt beeinflusse, diente auch der Herausstellung von Unterschieden zwischen Mann und Frau. Für Hippokrates stellte der Frauenkörper ein unkennbares Mysterium dar, da sich in ihm Prozesse abspielten, die von der Wissenschaft (in Gesellschaften, die Anatomie tabuisierten) völlig unnachvollziehbar waren. Klar war für Hippokrates allerdings, dass der Frauenkörper gegenüber dem männlichen defizitär sein musste.
Diese Idee wurde von Platon weiter ausgeführt, der gleichzeitig als erster überlieferter Kritiker des männlichen Penises auftrat. Allerdings betrachtete er ihn vor weiblichem Uterus als deutlich überlegen, weil er anders als dieser beseelt sei: der männliche Samen war das entscheidende Element der Fortpflanzung, das aktiv in die Frau gebracht wurde, die diesen nur passiv empfing. Die Vier-Säfte-Lehre zu Platons Zeit betrachtete Frauen zudem als „feucht“ und „kalt“, Männer als „trocken“ und „heiß“. Das war relevant, weil die Hitze der Männer überschüssige und schlechte Säfte verbrannte (und sie gleichzeitig aggressiv machte, ein mit ihrer „natürlichen“ Dominanz einhergehender Nachteil), während die kühle Feuchtigkeit der Frauen dafür sorgte, dass schlechte Säfte durch die Menstruation ausgeschieden werden mussten und Frauen grundsätzlich weniger zurechnungsfähig waren als Männer, weil ihr Säftehaushalt viel mehr in Unordnung war.
Aristoteles als geschätztester Autor des Mittelalters (es hilft, eine eigene Schule zu begründen, die das eigene Werk jahrhundertelang reproduziert) brachte den Schlussstein in diese Analyse des weiblichen Körpers mit der Überzeugung ein, dass der Uterus im Körper umherwandere und dadurch für Probleme sorge; einzig durch eine Schwangerschaft werde „fixiert“, wodurch Frauen dann temporär halbwegs vernünftig würden.
Die antiken Autoren wurden im Mittelalter viel rezipiert, geradezu geheiligt. Auch die wenigen Frauen mit Zugang zu Bildung wie Hildegard von Bingen studierten sie, kamen dabei aber zu eigenen Ergebnissen (die vor allem versuchten, die weiterhin unhinterfragte Analyse der antiken Vordenker ins Positive zu wenden); der geringe Stand weiblicher Bildung habe aber einen „Dialog mit dem Patriarchat“ verhindert.
In Kapitel 2, „How to look„, werden mittelalterliche Schönheitsideale behandelt. Auffällig ist, dass die Schönheitsideale der Antike weitgehend unbekannt sind. Antike Autoren beschrieben zwar Frauen gerne generisch als schön, machten aber selten genaue Angaben, worin diese Schönheit eigentlich bestehen würde. In der mittelalterlichen Rezeption spielte daher vor allem das Ideal der Helena von Troja, das „Gesicht, das tausend Schiffe sandte“, eine große Rolle. Da ihr Aussehen aber auch unbekannt war, wurde sie mit den Schönheitsidealen des Mittelalters belegt.
Für die Menschen des Mittelalters galt eine Kongruenz von Schönheit und Macht beziehungsweise Status: schöne Frauen sind reich und mächtig und umgekehrt. Eine Königin etwa war per Definition schön, weil sie es sein musste: Herrschaft bedingte dies schlicht. Umgekehrt konnten gewöhnliche Frauen niemals schön sein, egal welche Attribute sie ansonsten auch aufwiesen. Dies zeigt sich bereits an den Schönheitsidealen des mittelalterlichen Gesichts. Die schöne Frau hatte graue Augen, weiße Haut und Zähne (die sich entgegen dem Klischee dank mangelnder die Zähne angreifender Nahrungsmittel durch Zähne putzen tatsächlich erreichen ließen), blonde Haare, hohe Stirn, volle Lippen und schwarze Augenbrauen. Dieses Ideal war reichlich spezifisch und offensichtlich europäisch geprägt; zudem war es nur durch solche Frauen zu erreichen, die nicht den Elementen ausgesetzt waren, die weiße Haut schnell verunmöglichen.
Auch mittelalterliche Beschreibung des restlichen Körpers sind, wie mittelalterliche Literatur generell, stark formalisiert. Es ist gewissermaßen ein Malen nach Zahlen, dem praktisch alle Autoren folgen und das den (literarischen) Blick von oben nach unten gleiten lässt: Von den Haaren zur Stirn und den Augenbrauen zu den Augen, der Nase und den Lippen, den Wangen, dem Hals über die Schultern, Arme und Hände, von dort zu den Brüsten, der Taille und dem Bauch, ehe Beine und Füße den Abschluss bildeten. Dabei wiederholte sich immer das gleiche Muster: weiße und weiche (!) Haut (wie sie nur wohlhabende Fraue haben konnten), kleine und runde Brüste (ganz im Gegensatz zu unserem heutigen Ideal; diese ließen sich nur durch den Einsatz von Ammen erreichen, so dass wohlhabende Frauen ihre Brüste schnell abbinden konnten, damit diese nicht durch Säugen größer wurden), kleine Füße (äußerst unpraktisch bei jeglicher Arbeit), dicker Bauch (ebenfalls in deutlichem Gegensatz zu heute), dicke Schenkel – es ist offenkundig, dass diesen Merkmalen nur reiche Frauen entsprechen konnten.
Diese Ideale finden sich auch in zahlreichen bildliche Darstellungen, vor allem in solchen der biblischen Eva. Das erlaubte es den Künstlern auch, nackte Frauen zu zeichnen. Die Ubiquität dieser Darstellungen muss auf Kirchenbesucher einen erotisierenden Effekt gehabt haben; die Bilderstürmerei der Protestanten jedenfalls wurde von ihnen explizit damit begründet, dass Männer in der Kirche ständig sexuell erregt würden.
Dem mittelalterlichen Schönheitsideal war aber auch Sauberkeit sehr wichtig. Das Klischee ist ja, dass die Menschen ständig schmutzig waren. Das allerdings ist nicht korrekt, vielmehr gehörte tägliches Waschen genau wie heute zum Alltag. Nur konnten allein reiche Frauen diese Sauberkeit einigermaßen über den Tag retten. Sauber zu sein galt als rein und nahe am göttlichen Zustand.
All diese Schönheitsideale mussten aber unbedingt auf „natürliche“ Weise erreicht werden. Frauen durften keinesfalls wirken, als würden sie sich um ihre Schönheit kümmern; eine Aura der Ignoranz gegenüber dem Thema gehörte zum guten Ton. Makeup oder Färben der Haare war generell des Teufels und eine große Sünde, wie an der biblischen Geschichte von Jezebel deutlich wird, die weniger wegen ihres Mordens, sondern wegen ihres Eyeliners unter die großen Sünderinnen der Apokalypse eingereiht wurde. Nur minimal weniger verächtlich war Parfüm, das nur so erlaubt war, dass es ausschließlich der eigene Ehemann riechen konnte (um so andere nicht in Versuchung zu führen). Körperbehaarung indessen galt als Ausdruck von zu viel Körpersäften und Unreinheit, weswegen sie geradezu verwerflich waren. Gleichzeitig galt aber – Natürlichkeit, wir erinnern uns – ein hartes Verbot, sie auszuzupfen oder zu rasieren.
Bei der Kleidung bestand ein Dilemma. Sie waren einerseits Statusmarker des Adels, mit dem sie sich auch von reichen Bürgersfrauen abheben konnten (und waren daher zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung notwendig), andererseits war aber das Tragen schöner Kleidung zur Darstellung von Schönheit sündig. Die Kleidungsverbote hatten so die wichtige Funktion, wohlhabenden gewöhnlichen Frauen zu verunmöglichen, die Schönheitsstandards des Adels zu erreichen (und die selbsterfüllende Prophezeiung von reich/mächtig=schön damit Wirklichkeit werden zu lassen).
Es ist offensichtlich, dass damals wie heute die Schönheitsideale extrem heuchlerisch waren, weil sie Frauen für das Verfehlen eines Standards bestraften, ihn zu erreichen aber verboten.
Kapitel 3, „How to love„, befasst sich mit Sex. Erneut beginnt Janega in der Ideengeschichte. Schließlich mussten die mittelalterlichen Autoren die Nacktheit Adams und Evas (vor allem Letzterer), die sie so gerne zeichneten, irgendwie erklären und einordnen. In der mittelalterlichen Theologie hatten Adam und Eva zwar Sex, empfanden dabei aber keine Lust – es war eine körperliche Funktion, die sie an- und ausschalten konnten wie alle anderen auch, weswegen sie auch keine Scham empfanden. Das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis sorgte also dafür, dass sie Lust empfanden (und Scham), was ihren Ausschluss aus dem „reinen“ Paradies bedeutete.
Sex war für Menschen im Mittelalter daher grundsätzlich in Ordnung, so er denn der Fortpflanzung diente und im Sakrament der Ehe eingehegt war. Dieses war anfangs auch noch kein Hinderungsgrund für das Priesteramt; erst ab 1123 wurde ein „hartes“ Zölibat eingeführt, das auch vor der Priesterweihe verheirateten Menschen dieselbe verwehrte. Damit einher ging eine zunehmende Betonung der Enthalsamkeit als erstrebsamem Ideal: wer seine Reinheit dadurch bewahrte, keinen Sex zu haben, war besonders nahe an Gott. Alle anderen mussten notgedrungen kopulieren, um den Erhalt der Menschheit sicher zu stellen, was Gott in seiner Weisheit so gefügt hatte.
Für die Durchführung war ausschließlich die Missionarsstellung geeignet, da sie männlich dominant war und die „natürliche“ Ordnung der Dinge wiederspiegelte. Jede andere Haltung war sündig, etwa der Doggy-Style, über dessen Sündigkeit sich die mittelalterlichen Quellen in erklecklichem Detail ausließen. Noch sündiger waren sexuelle Handlungen, die in keiner Fortpflanzung resultieren konnten; von Petting über Küsse zu Onanieren und Reiben und Oralsex war alles verboten und wurde unter dem Catch-all-Begriff der „Sodomie“ gefasst.
Für die Theologen galten Frauen anders als Männer auch als besonders lustvoll, weil ihre Säfte und ihr kalter Zustand sie nach der trockenen Hitze des Samens dursten ließen und dieser Durst nie gestillt werden könne; anders als Männer seien sie außerdem schlicht zu dumm, den sexuellen Akt in seiner gottgewollten Glorie zu begreifen und blieben wie Kinder immer passiv und auf der Suche nach mehr. Sie würden quasi als „faules“ Element zu dem „reinen“ Element des Penis gezogen. Der Sexualakt ging in der mittelalterlichen Vorstellung also von den unersättlichen Frauen aus.
Weiter geht’s in Teil 2.
Auffällig ist, dass die Schönheitsideale der Antike weitgehend unbekannt sind.
Sehr unwahrscheinlich, da genügend weibliche Skulpturen aus der Antike überliefert sind, um Rückschlüsse machen zu können.
Nicht nur Skulpturen, auch Wandgemälde, siehe überblicksartig https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mische_Wandmalerei. Wir wissen heute darüber viel, im Mittelalter war das aber tatsächlich „weitgehend unbekannt“.
Genau, es geht darum, dass in den Quellen praktisch nichts steht.
In den schriftlichen Quellen vielleicht, kann ich nicht beurteilen. Die Behauptung war aber „Auffällig ist, dass die Schönheitsideale der Antike weitgehend unbekannt sind.“ Und das halte ich weiterhin für Unfug.
Jede andere Haltung war sündig …
Na wunderbar, denn das übersetzt sich für Leute, besonders junge, in „besonders aufregend“ 🙂 .
Alleine, dass Janega so pauschal von „dem“ Mittelalter schreibt, ist für mich eine massive red flag. 1000 Jahre, über ein Dutzend verschiedene Kulturräume und soziale Parallelgesellschaften bedeutet, dass einheitliche Bilder Blödsinn sind.
Da wäre der Ansatz, anhand von konkreten Einzelfällen die Lebensumstände zu betrachten, wie z.B. bei Janina Ramirez („Femina“), viel interessanter, als das perpetuieren der immergleichen Klischees.
Ist das Buch wirklich so schlecht? Ich kann mich an keine Buchbesprechung von dir erinnern, in der du so viele Klischees, Halbwahrheiten und Irrelevantes wiedergibst. Ein paar Beispiele:
– Bei „Hippokrates“ (dem ‚corpus hippocraticum‘) sind Frauen ein solches Mysterium, dass es drei Bücher über Frauenkrankheiten, dazu mehrere über Schwangerschaftsmedizin und Geburtshilfe (inklusive Abtreibung) enthält.
– Interessanter als Platos Kritik am Penis (Wo the f.. soll die überhaupt stehen?) wäre seine Ansicht (politeia), dass Frauen für die grundsätzlich gleichen Aufgaben erzogen werden sollen wie Männer.
– Kosmetik war nicht verpönt. Eines der drei Bücher des „Trotula“ befasst sich vorrangig damit. In anderen Arzneibüchern wird z.B. Bleiweiß kritisiert – nicht weil es sündig wäre sondern weil es krank macht.
– Auf der Suche nach dem Idealbild der Frau sollte sie vielleicht statt den (seltenen) Evadarstellungen die (deutlich verbreiteteren) Marienbilder ansehen,
– Der Zölibat wurde (für die lateinische Kirche) nicht 1123 (1. Laterankonzil) sondern erst 1139 (2. Laterankonzil) eingeführt.
– Apropos: Zum Thema Sexualität wären vielleicht nicht die Ideen von (zölibatären) Theologen interessant, sondern die erotischen „Stellen“ bei Chaucer oder Boccaccio. Da sieht man nämlich ganz gut, was alles ging, wie wo und mit wem. Kurzgesagt: Eine ganze Menge.
Zum Thema Sexualität wären vielleicht nicht die Ideen von (zölibatären) Theologen interessant …
Ganz genau. Oder verallgemeinernd die ganze damalige „Trivial“literatur, die ja durchaus existierte. Ich denke auch, der Einfluss der offiziellen Theologie und von verbiesterten nichtkirchlichen Katholiken auf das Sexualleben wird erheblich überschätzt. In Deutschland gibt es dafür ein „aktuelles“ Beispiel – die berüchtigten sechziger des letzten Jahrhunderts. Die entgegen gängiger Vorurteile eben nicht 1968 mit einem Bang liberalisiert wurden – ohne einen langjährigen Vorlauf hätte es 68 gar nicht geben können.
Gruss,
Thorsten Haupts
Kosmetik war nicht verpönt. Eines der drei Bücher des „Trotula“ befasst sich vorrangig damit. In anderen Arzneibüchern wird z.B. Bleiweiß kritisiert – nicht weil es sündig wäre sondern weil es krank macht.
..das zu großen Teilen von Trota von Salerno geschrieben wurde^^
Ich denke auch, dass es problematisch ist, von „dem Mittelalter, irgendwo“ zu berichten. Es macht einen enormen Unterschied, ob wir von der süditalienischen Schule von Salerno reden, die konfessionsübergreifend war und enorm von arabischen Schriften profitierte oder von einem thüringischen Dorf, wo Frauenheilkunde deutlich besser bei der Hebamme aufgehoben war, die nicht mal ihren Namen schreiben konnte. Auch bei Schönheitsidealen und dessen Erreichen war der Nord/Süd-Gegensatz enorm, vom Zeitunterschied gar nicht zu reden, ich erinnere nur mal an das krasse MakeUp von Elisabeth I.
Ansonsten finde ich es auch schwierig, theologische Herleitungen zur Sexualität direkt auf das ganze große Mittelalter zu übertragen (der Leserkreis war ja eh recht klein^^). Zudem kollidierte das ja sowohl mit dem Alltag als vor allem der Politik. Das Zölibat sollte ja auch hauptsächlich Ehen und damit Erben verhindern, Sex war nebensächlich. (Dynastische Gründe waren sowieso häufig deutlich problematischer als Sex an sich, deswegen wars auch wichtiger, die Sexualität der Frau zu kontrollieren als die der Männer)
Genauso konnte irgendein wichtiger Erzbischof abends in seinem Kämmerlein über Enthaltsamkeit und die Sündigkeit von Hurerei und Sex schreiben und am nächsten Tag als Stadtvater die Rechnung der Hurenhäuser für seine Gäste zahlen.
Antike: Mag sein, dass ich die konkreten Autoren durcheinandergebracht habe.
Ich kenn mich zu wenig aus, um das konkret beurteilen zu können. Danke für die Hinweise.