Zu einigen der mittlerweile zum Klischee geronnenen Phrasen der US-Wahlkämpfe ist die Behauptung, dass „the stakes never were this high„. Zuverlässig wird beim nächsten Mal dann verkündet, dass sich der Einsatz noch weiter gesteigert habe; die vorliegende Wahl sei noch entscheidender als die letzte. Wenngleich mit unterschiedlichen Untertönen findet sich diese Behauptung auf beiden Seiten des politischen Spektrums: bei den Republicans in apokalyptischen Tönen der drohenden Übernahme durch einen gottlos-sozialistisch-woken Mob, der das Land mit Migrant*innen überflutet und Steaks verbietet, auf der Gegenseite mit nicht minder apokalyptischen Tönen von der drohenden Machtübernahme durch Faschisten, dem Errichten von Camps und der Schaffung einer rechtsgerichteten Diktatur. Das Problem im Jahr 2024 ist, dass eine der beiden Seiten eine wesentlich plausiblere Erzählung hat als die andere, wo idealerweise beide Narrative von kühlen Köpfen als aktivistische Fieberträume entlarvt weren könnten. Die Frage, die man sich angesichts der „dieses Mal geht es wirklich um die Rettung der Demokratie“ stellen muss ist selbst bei moderaten Beobachtenden zunehmend: was, wenn es stimmt?
Sofern nicht noch ein Wunder geschieht, wird die republikanische Partei im kommenden Sommer zum dritten Mal in Folge Donald Trump als ihren Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Das ist umso bemerkenswerter, als dass der Prozess innerparteilicher Demokratie, der seit den Vorwahlen 2011/12 in einem beständigen Auflösungsprozess war, nun endgültig zusammengebrochen ist. Trump nimmt weder an den Debatten („Unserious Debates for an Unserious Primary„) noch an irgendwelchen anderen Auswahlmechanismen teil und benimmt sich, als ob es einen Wahlkampf überhaupt nicht gäbe – womit er zu allem Überfluss auch noch Recht zu haben scheint. Allein das ist bemerkenswert und kaum rezipiert; die GOP ist effektiv die Trump-Partei. Doch das ist gar nicht das hauptsächliche Problem. Was auf der Gegenseite für wochenlange atemlose Diskussionen sorgen würde, spielt auf der Rechten eine so geringe Rolle, dass es kaum eine Erwähnung wert ist (erinnert sich noch jemand an die hystische Sorge, Hillary Clintons Vorwahlsieg wäre irgendwie undemokratisch, weil viele Parteifunktionär*innen für sie waren? Good times).
Dass die große Katastrophe zwischen 2017 und 2021 ausblieb, führte zu viel Häme im eher moderat-linken und moderat-rechtem Lager. Da schaut her, war der Tenor, so viel Warnungen und nun passiert unter Trump doch so gut wie nichts. Dem würde ich erstens entgegegnen (und habe ich), dass so wenig gar nicht war, aber vor allem, dass das auf einem entscheidenden Faktor beruhte: niemand, auch Trump selbst, rechnete mit einem Sieg in der Wahl 2016. Die Erwartung war, dass Hillary Clinton gewinnen würde. Als Trump siegte, war das für alle Beteiligten ein Schock. Trump hatte keine Vorbereitungen für einen solchen Sieg getroffen. Michael Lewis hat das in „The Fifth Risk“ hervorragend nachgearbeitet (siehe hier). Trump hatte kein Personal vorbereitet, keine Kandidat*innen durchleuchtet, kein Programm, keinen Plan. An einigen Stellen übernahmen wirre Ideologen wie Steven Miller, Scott Pruitt oder Steven Mnuchin, an anderen Stellen konservative Hardliner wie John Bolton, an wieder anderen generische Konservative wie Mike Kelley. Die Mehrheit im Kongress wurde von einem konservativen Hardliner, Paul Ryan, geführt, der nach einer Palastrevolution gegen einen generischen Konservativen, John Boehner, das Amt übernahmen hatte. Inzwischen sitzen im Kongress Spinner*innen und schlimmere Spinner*innen. Es gibt praktisch keine konservativen Hardliner mehr, und die generischen Konservativen muss man mit der Lupe suchen (mir fiele Mitt Romney ein – noch).
Aber dieser Wandel der Partei und ihrer Repräsentant*innen ist gar nicht das größte Thema. Das viel größere Thema ist, dass die Rechtsradikalen aus ihrem Versagen in der (ersten?) Trump-Präsidentschaft gelernt haben. Seit der Niederlage 2020 planen sie ihr Comeback – und der Plan sieht düster aus. Das Leitmotiv all ihrer Vorbereitungen ist Rache – Rache an den Democrats, Rache an den innerparteilichen Gegnern, Rache an der Zivilgesellschaft. Das ist keine Hyperbel, die irgendwie auf meiner Kaffeesatzleserei der amerikanischen Politik von jenseits des Großen Teichs beruht. Wir können vielmehr Trump und seinen inneren Zirkel beim Wort nehmen, denn die halten mit ihren Absichten nicht hinter dem Berg. Wie so viele rechtsradikale (und vor längerer Zeit faschistische) Bewegungen vor ihnen sind sie völlig ehrlich bezüglich ihren Absichten.
Da wäre etwa die Abrechnung mit disloyalen Elementen aus der Administration:
In private, Trump has told advisers and friends in recent months that he wants the Justice Department to investigate onetime officials and allies who have become critical of his time in office, including his former chief of staff, John F. Kelly, and former attorney general William P. Barr, as well as his ex-attorney Ty Cobb and former Joint Chiefs of Staff chairman Gen. Mark A. Milley. […] In public, Trump has vowed to appoint a special prosecutor to “go after” President Biden and his family. (Washington Post)
Die weaponization des Justizministeriums ist ein Desiderat Trumps und seiner Verbündeten, das diese bereits 2017 bis 2021 hegten und nie umsetzen konnten. Völlig zurecht identifizieren sie es als entscheidend für ihre Pläne. Schaffen sie es, demokratisch und rechtsstaatlich gesinnte Politiker*innen daraus fernzuhalten und die Schaltstellen mit ihren eigenen Leuten zu besetzen, können sie die juristischen Prozesse nutzen, um ihre Gegner*innen mit staatlichen Repressionsmitteln zu überziehen – wie das auch Diktatoren und Autokraten in vielen anderen Ländern tun. Bevor jetzt jemand denkt, dass das glatter Verfassungsbruch wäre: das hat noch nie einen angehenden Autokraten aufgehalten. Für diese Leute ist die Verfassung, ist der Rechtsstaat auch nur eine Waffe:
But Trump allies such as Russ Vought, his former budget director who now leads the Center for Renewing America, are actively repudiating the modern tradition of a measure of independence for the Department of Justice, arguing that such independence is not based in law or the Constitution. Vought is in regular contact with Trump and would be expected to hold a major position in a second term. “You don’t need a statutory change at all, you need a mind-set change,” Vought said in an interview. “You need an attorney general and a White House Counsel’s Office that don’t view themselves as trying to protect the department from the president.” (Washington Post)
Man kann nicht behaupten, diese Leute wären nicht lernfähig:
“The lesson the former president learned from his first term is don’t put guys like me … in those jobs,” Kelly said. “The lesson he learned was to find sycophants.” […] In conversations about a potential second term, Trump has made picking an attorney general his number one priority, according a Trump adviser. (Washington Post)
Ein Generalstaatsanwalt, der keinerlei Inhibitionen kennt, das Recht im Sinne Trumps als Waffe gegen seine Gegner einzusetzen, ist völlig zu Recht Trumps höchste Priorität. Sein Putschversuch 2021 scheiterte vor allem daran, dass ihm diese Leute fehlten. Wenn seinerzeit nicht die entsprechenden Posten mit grundsätzlich demokratisch gesinnten Menschen besetzt gewesen wären, die sich Trump in den Weg stellten – nicht auszudenken, was geschehen wäre. Das darf sich aus seiner Sicht nicht wiederholen:
Trump has told advisers that he is looking for lawyers who are loyal to him to serve in a second term — complaining about his White House Counsel’s Office unwillingness to go along with some of his ideas in his first term or help him in his bid to overturn his 2020 election defeat. […] Alumni involved in the current planning generally fault a slow start, bureaucratic resistance and litigation for hindering the president’s agenda in his first term, and they are determined to avoid those hurdles, if given a second chance, by concentrating more power in the West Wing and selecting appointees who will carry out Trump’s demands. […] “No one is opposed to them putting together ideas, but it’s not us,” a campaign adviser said. “These groups say they’ll have the whole transition planned. Some of those people I’m sure are good and Trump will appoint, but it’s not what is on his mind right now. I’m sure he’d be fine with some of their orders.” […] “We don’t want careerists, we don’t want people here who are opportunists,” he said. “We want conservative warriors.” (Washington Post)
Wenig überraschend sind deswegen seit vier Jahren die Verbündeten Trumps dabei, Personal zu durchleuchten. Hunderte von Kandidat*innen wurden bereits auf Herz und Nieren überprüft (Siehe dieser ausführliche Bericht von Axios). Damit kopieren die Trumpisten etwas, das die konservativen Hardliner in Reaktion auf die personellen Besetzungen Ronald Reagans und George H. W. Bush taten: deren Kandidat*innen waren oft wesentlich moderater und demokratisch gesinnter, als dies im Vorfeld gedacht worden war (man denke nur an Reagans Surpreme-Court-Besetzungen). Solch unabhängige Köpfe sollten sich nicht wiederholen, weswegen radikale Think-Tanks, allen voran die Heritage-Foundation, Kandidat*innenlisten erstellten, die absolut linientreu waren. Besetzungen wie Neil Gorsuch oder Bret Kavanaugh entstammten diesen Listen. Doch zeigte sich unter der Trump-Regierung, dass selbst diese Hardliner wesentlich zu moderat für die autoritären Umbaupläne der Trumpisten waren. Sie brauchen deswegen ihre eigenen Listen. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass dies irgendwelche Leute ohne offizielles Amt und Verbindung zur Partei sind. Aber hören wir Trump selbst an, der in einem Interview mit dem spanischen Sender Univision folgendes Statement abgab:
“Yeah. If they do this, and they’ve already done it, but if they follow through on this, yeah, it could certainly happen in reverse,” Trump told Acevedo, according to excerpts of the interview. […] “What they’ve done is they’ve released the genie out of the box,” the former president continued, adding, “You know, when you’re president and you’ve done a good job and you’re popular, you don’t go after them so you can win an election.” “They have done something that allows the next party … if I happen to be president and I see somebody who’s doing well and beating me very badly, I say, ‘Go down and indict them.’ They’d be out of business. They’d be out of the election,” Trump continued. (Washington Post)
Ich habe bereits vor zwei Jahren beschrieben, dass diese Pläne existieren und in Umsetzung sind, und nannte es den „Papierkram-Putsch“. Anstatt wie 2021 einen Mob das Kapitol stürmen zu lassen, soll dieses Mal die staatliche Bürokratie und der Repressionsapparat komplett gekapert und zur Machtsicherung eingesetzt werden. Um gequälte Analogien auszupacken: es ist quasi Trumps Version von der Entwicklung 1923 zu 1933; eine „Legalität“, die es gleichzeitig auch ermöglicht, eine plausible deniability im konservativen Spektrum aufrechtzuerhalten, bevor es zu spät ist, etwas dagegen zu unternehmen.
Weiter geht’s in Teil 2.
In Deinen düsteren Ton kann ich nur einstimmen. Um so erstaunlicher, dass die Demokraten nach Bidens Wahlsieg damals nicht alles, wirklich alles unternommen haben, um schnell den bestmöglichen Kandidaten für 2024 zu finden und aufzubauen. Biden 2024? Really? Man bekommt den Eindruck: Die Demokraten haben überhaupt keine Ahnung, was in ihrem Land passiert. Gut, den Eindruck hatte ich zu Obamas Zeiten auch schon.
Was daraus für Europa folgt, ist für mich noch weitgehend unklar. Wir hatten nun viele Jahre Zeit, um uns auf ein abtrünniges Amerika einzustellen, passiert ist in der Substanz gar nichts. Europa ist heute strategie- und führungslos und durch Wohlstandsdebatten völlig gelähmt. Noch schlimmer kann unsere Situation eigentlich nur durch einen Friedensvertrag mit russischen Landgewinnen in der Ostukraine werden. Dann droht 5-8 Jahre später ein großer Krieg.
Ich halte es für völlig verfehlt, One-Term-Präsidentschaften zu machen. Schon allein, weil der Auswechselprozess so viel Kapazitäten und Aufmerksamkeit bindet, dass die Regierung drunter leidet – und damit die Chancen des Wechsels massiv gefährdet. Den incumbency-Bonus aufzugeben wäre Irrsinn.
Jepp.
Gegen Biden sprechen zwei Dinge: seine schon immer geringe, aber stets abnehmende Strahlkraft sowie die Quälerei, die das alles für ihn selbst bedeuten muss.
Wie Du schon sagst, jetzt wird das mit einem Wechsel schon sehr knapp. Ich habe keine Ahnung, was mit den Demokraten los ist. Eine Partei ohne jeden Bezug zur Realität.
Wieso? Die haben aktuell ziemlich genau eine 50:50-Chance, das Ding zu gewinnen. Davon abgesehen: Strahlkraft nimmt nach 4 Jahren ab? What else is new? Und Biden WILL das offensichtlich machen, das macht ihm Spaß, das muss er selbst wissen.
Findest Du, eine 50:50-Hoffnung ist der richtige Anspruch, wenn man die Trump-Katastrophe verhindern will? 50:50 heißt: Münzwurf. Das kann doch unmöglich Dein Ernst sein.
Aber genau so denken die Demokraten auch. Und das macht mir Sorgen.
Im US-System ist JEDE Wahl annähernd 50:50. Das ist systemisch, unabhängig von den Kandidat*innen. In Richtung vor der Wahl verschiebt sich das etwas, weil da das Bild klarer wird, aber aktuell haben beide ungefähr die gleiche Chance. Es hängt von den fundamentals nächstes Jahr und eventuellen gaffes etc. ab.
Das ist anders als bei uns. Ich kann dir praktisch garantieren, dass wir 2025 keine*n grüne*n Bundeskanzler*in haben werden.
Ich glaube, Du verwechselt gerade Wahlergebnisse mit Siegwahrscheinlichkeiten. Wenn einem Kandidaten vor der Wahl (mit sagen wir 95%-iger Wahrscheinlichkeit) ein Ergebnis von 53 % der Stimmen im Electoral College prognostiziert wird, hat er *nicht* eine Siegwahrscheinlichkeit von 53 %, sondern eher 60-70 % (grobe Schätzung meinerseits).
Schon geringe Unterschiede bei den Stimmenanteilen können erhebliche Unterschiede bei der Siegwahrscheinlichkeit bedeuten. Darum darf eine Strategie bei US-Präsidentschaftswahlen niemals lauten, nur 50,x % zu erreichen.
Nein, ich meine schon Wahrscheinlichkeit. Deswegen meine ich ja, die Wahrscheinlichkeiten werden sich IM VERLAUF DES KOMMENDEN JAHRES verschieben. Aber AKTUELL ist es ein coin-toss, auf dessen Basis du gar nichts entscheiden kannst.
Ketzerische Überlegung (meine Überzeugung):
Die einzige Chance, Europa aus seiner sicherheitspolitischen Lethargie aufzuwecken, ist eine USA als unzuverlässiger Verbündeter, ansonsten tun wir weiterhin das, was wir am besten können – nichts.
Sollte es also eine weitere Trump-Administration geben, könnte das der notwendige Weckruf werden. Ich bin mir selbst dann nicht einmal sicher, ob Europa den hören will, aber da gilt das alte Motto: Wer nicht hören will, muss fühlen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich finde das nicht ketzerisch – ich wette in Warschau, Berlin oder Brüssel regiert das Prinzip Hoffnung und es gibt keinen Plan B für den Fall das Trump die Präsidentschaft gewinnt.
Zwar mahnt unser Verteidigungsminister an, Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ werden, jedoch sehe ich trotz Sondervermögen hier keine substantiellen Bewegungen innerhalb des Bundesregierung den Worten auch Taten folgen zu lassen,. Nicht zuletzt hat die angespannte Haushaltslage die Herausforderung nicht kleiner gemacht.
Ich bin überzeugt, dass Putin etwa tun wird, um Trump herauszufordern, z.B. Druck auf die Balten zu erhöhen. Europa wird sich warm anziehen müssen, wenn Trump eine weitere Amtszeit bekommen wird.
Da die erste Trumpadministration niemanden weckte und Deutschland gerade nach zwei Jahren Ukrainekrieg munter weiter träumt: glaub ich nicht.
Auch gut, wer sich selbst aufgibt, hat schon verloren. Ich streck mal meine Fühler nach Australien aus …
Na da hofft jemand ganz dringend, dass sich die EU ganz alleine aufmacht, ihre Sicherheit in einem tausende Kilometer entfernten Land total nicht-imperialistisch zu „verteidigen“, wenn Amerika dabei nicht den Vortänzer macht. Die vielen Milliarden im militärisch-industriellen Komplex müssen sich schließlich lohnen.
Wow. In einer seriösen Diskussion liebe ich vollständig unfundierte Unterstellungen mehr als alles andere …
Mir gefällt die Storyline nicht, weil ich sie für falsch halte. Es gab in den vergangenen vier Jahren sehr ernsthafte Versuche von führenden Republikanern, sich von Donald Trump zu emanzipieren. Jeder risikierte damit seine Karriere.
Warum? Trump ist aus Gründen, die sich uns hier nicht erschließen, eine Wahlkampfmaschine. Du schilderst es selbst: Trump braucht nicht in den Ring zu steigen um die Debatten zu dominieren. Der ehemalige Präsident führt in fünf von sechs Swing States – und Du behauptest, die Demokraten hätten keine Fehler gemacht?
Biden ist sicher der beste Präsident, den sich die Europäer wünschen können. Aber darauf kommt es kein bisschen an. Bidens Inflation Reduction Act (IRA) zielt zwar auf die vernachlässigten Regionen, in dem Subventionen wie aus einem Füllhorn ausgeschüttet werden. Aber es ist ein arroganter, westeuropäischer Irrtum, dass der Durchschnittsamerikaner Big Gouvernment lieben würde, wenn er nur davon profitiert. Was die Amerikaner jeden Abend sehen, ist ein torkelnder Präsident, der manchmal die Namen enger Vertrauter vergessen hat.
Mit der erneuten Kandidatur Bidens wollen die Democrats das Glück möglicherweise einmal zu viel versuchen. Der Wahlkampf 2020 war ein Glücksfall, brauchte Biden doch wegen der Pandemie nur wenige öffentliche Auftritte absolvieren. Seine Schwächen in Rhetorik und Konzentrationsfähigkeit vielen da nicht so auf. Heute sehen die Amerikaner, dass ein vom Alter gezeichneter Greis im Weißen Haus sitzt. Und das wollen sie offensichtlich nicht. Und Harris als potentielle Nachfolgerin im Amt ist für die meisten ohnehin nur eine einzige Horrorvorstellung.
Trump ist kein Demokrat, was nicht parteiisch gemeint ist. Dies zu sagen, ist wahrlich keine neue Behauptung. Aber was viele möglicherweise nicht sehen wollen, ist, dass Trump nicht einmal nach den demokratischen Regeln spielen will. Es war 2020 augenfällig, dass Trump nicht einmal den Versuch machte, Wechselwähler zu überzeugen. Zu unterstellen, der Tycoon sei ein Idiot, macht die Sache zu einfach und blind. Auf mich wirkte es so, als wolle Trump auf eine Situation zusteuern, wo er sich allein mit repressiven, diktatorischen Mitteln im Amt halten könnte. Er redete sehr früh davon, dass er auch einfach weiter als Präsident amtieren könnte, er sprach auch von der Aufhebung der Regel, dass nach zwei Amtszeiten Schluss sei. Seine Bewunderung, ja seine Obsession für Diktatoren ist hinlänglich bekannt.
Das System war nicht reif zum Einsturz. Aber der Reiz für Trump besteht möglicherweise nicht darin, eine Wahl demokratisch zu gewinnen, sondern zu beweisen, dass er die Demokratie abschaffen kann.
Tim hat etwas interessantes angesprochen: Die Republikaner haben wenigstens personelle Alternativen für die Primaries: Haley, Ramaswamy, de Santis. Bei den Demokraten sind da nur eher abseitige Figuren wie Robert Kennedy jr. oder Joe Exotic.
Die Dems hätten auch Leute, wenn die sich profilieren würden. Die GOP hat eine offene primary, die Dems nicht. Es wäre Quatsch, nationale Profile zu fördern wenn du die Aufmerksamkeit auf Biden willst.
Im aktuellen Economist ist ein interessanter Artikel über den Wählerverlust der Demokraten, hervorgerufen durch Realitätsverlust:
https://www.economist.com/culture/2023/11/17/why-non-white-voters-are-abandoning-the-democratic-party
Punch line: „With the exception of abortion, the Democrats are simply out of touch with most Americans on cultural matters“.
Ein fatales Trauerspiel.
Das Ding ist: die Republicans sind AUCH out of touch mit „most Americans“, vielleicht in noch extremeren Ausmaß.
Diese Tatsache mag für Demokraten und ihre Fans vielleicht ein Trost sein, aber er hilft leider nicht, Wahlen zu gewinnen.
Jein. Das schadet ja der GOP auch! Wenn die Aufmerksamkeit im Wahlkampf auf dem Radikalismus der Republicans ist, verlieren sie. Umgekehrt die Dems.
Ja. Eines der meistgehandelten Themen der 2016er Wahl in progressiven Kreisen war, dass Demographie Schicksal auch in Wahlen ist und der stetig wachsende Teil der hispanischen und schwarzen Wählerschaft den Demokraten praktisch automatisch Wahlsiege bescheren würde.
Seit einigen Jahren sieht es danach aus, als würden immer grössere Gruppen dieser als sicher geglaubten Wählerbänke zu den Republikanern wechseln – trotz Trump et al. Der Hauptgrund dafür scheint der Riesenspalt zwischen den Progressiven als – sichtbare – Funktionärskaste der Dems und dem 08/15 Wähler der schwarzen oder hispanischen Bevölkerungsteile zu sein. Konnte man übrigens bei uns an den Deutschtürken der letzten Jahrzehnte bereits beobachten – selber Kind von Immigranten zu sein z.B., bedeutet mitnichten, ein Freund von Massenmigration zu sein.
Illustratives, wenn auch zu langes, populärwissenschaftliches Werk dazu ist
Eric Kaufmann: Whiteshift: Populism, Immigration and the Future of White Majorities
Gruss,
Thorsten Haupts
Migration wird von den Progressiven als Thema ziemlich geleugnet, ja.