Rezension: Tristan Donovan – Replay: The History of Video Games (Teil 2)

Teil 1 hier.

Tristan Donovan – Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

In Kapitel 11, „Macintonshization„, wendet sich Donovan der niederländischen Cracking- und Demoszene zu. Die niederländischen Computer-Geeks waren besonders gut darin, Programme zu cracken, um Kopierschutzversuche zu umgehen, und diese dann zu teilen. Die idealistischen Grundlagen der Szene schufen aber gleichzeitig eine neue Subkultur und ein neues Genre, die Demo: auf der einen Seite war dies eine Testversion des Programmes, auf der anderen Seite nutzten die Programmier*innen aber das Cracken, um ihre eigenen Fähigkeiten zu zeigen. Viele der Cracker*innen fanden dann auch Jobs bei den Firmen, deren Produkte sie „crackten“ und oft verbesserten (was in der „Demo“ dann vorgeführt wurde).

Eine weitere Neuerung jener Jahre war die Einführung graphischer Benutzeroberflächen. Die Idee, verschiedene Fenster mit der Maus zu operieren, kam erstmals in den 1980er Jahren auf und würde mit Windows zur Massenreife gelangen. Für Computerspiele war dies insofern relevant, als dass die Steuerung mit der Maus und das Anklicken von Fenstern neue Möglichkeiten für Spiele öffnete. Generell waren PC-Spiele wesentlich komplexer als die auf Konsolen, was sich vor allem im beliebten Genre der Rollenspiele zeigte. Diese eröffneten zahlreiche Möglichkeiten, wobei Richard Garriot („Lord British“, der Schöpfer der Serie Ultima) entsetzt war, dass die Spieler*innen vor allem als Serienmörder durch seine Spielwelten randalierten, weswegen er in Ultima 4 zum ersten Mal ein Moralsystem einbaute, das die Spieler*innen anleitete, „gut“ zu sein. Solche moralischen Spielweisen wurden danach in vielen Games aufgegriffen und sind bis heute relevant geblieben.

Kapitel 12, „A Tool to Sell Software„, erzählt den Aufstieg Nintendos nach. Die Firma, deren Genese mit der Produktion von Spielkarten begann, suchte vor allem nach dem titelgebenden Gerät, mit dem sich Software verkaufen ließ (anders als die anderen Konsolenhersteller der Ära, denen vor allem die Technik ihrer Konsolen wichtig war und die die Software als nachrangig einstuften, was zu der miesen Qualität vieler Spiele führte, die ja auch den Atari-Crash maßgeblich mitbestimmt hatte). Nintendos Erfolg blieb zwar zuerst noch auf Japan beschränkt, aber ihre kartellartige Herangehensweise an die Unternehmensorganisation, die eine klare Kontrolle der Software für ihr System mit sich brachte – eine Neuheit in der Branche – und die rigide Qualitätskontrolle mit Null-Toleranz-Politik für Bugs waren wegweisend. Dazu gehörten auch harte Regeln bezüglich des Inhalts; Nintendo-Spiele enthielten wenig Gewalt und wenig Sexualität, was für das auf Skandalen und Tabubrüchen beruhende Medium eine Neuheit war.

Der Durchbruch Nintendos in den USA wird in Kapitel 13, „I Could Have Sworn It Was 1983„, nacherzählt. Die Firma tat sich wegen der verbreiteten anti-japanischen Stimmung schwer; das erste Produkt der Firma floppte, schon allein, weil es direkt im Nachgang des Atari-Crashs von 1983 erschienen war. Die hohe Qualität der Spiele allerdings überzeugte im zweiten Anlauf mit der Nintendo-Konsole, die auch dank eines konzentrierten Marketingpushs mit kluger Unternehmensstrategie einen beispiellosen Siegeszug in den USA antrat und den Markt für Konsolen quasi im Alleingang wiederbelebte. Dasselbe gelang in in Europa nicht, wo Atari und Amiga dominant blieben und das Spielen eher auf Heimcomputern als auf Konsolen stattfand, ein Trend, der bis weit in die 2000er Jahre anhalten würde und Europa zu einem von Japan und den USA klar abgetrennten und nach anderen Regeln funktionierenden Markt machte.

Die Qualität änderte sich nur in der Bekämpfung von Bugs. In Kapitel 14, „Interactive Movies„, zeigt sich ein Wandel im Anspruch des Mediums. Die steigenden grafischen Fähigkeiten (16 Farben!) der Hardware brachten neue Ambitionen bei den Programmierer*innen hervor, die sich vor allem am Film orientierten. Ein Beispiel hierfür findet sich im Motion Capturing, das etwa „Prince of Persia“ eine ungewohnte Qualität der Animationen gab. Auch das Level-Design orientierte sich zunehmend an Hollywood und seinen Erzählstrukturen, vor allem was das Pacing anging.

Eine andere Richtung, in die diese Einflüsse und Ambitionen trugen, zeigt sich bei Lucasfilm Games, die mit der SCUMM-Engine das Grafik-Adventure perfektionierten. Dabei nahmen sie bewusst Einflüsse aus Hollywood auf, etwa im bahnbrechenden „Maniac Mansion“, das einen Horror-B-Movie veralberte (und wegen der Möglichkeit, einen Hamster in der Mikrowelle zu rösten, einen Skandal in Japan auslöste). „Monkey Island“, „Loom“ und weitere erzählten ebenfalls einprägsame Geschichten mit markanten Charakteren.

Ein weiterer Höhepunkt dieses Trends war „Wing Commander“, in dem lange Zwischensequenzen mit einprägsamen Charakteren und einer ausführlichen Story mit Weltraumkämpfen kombiniert wurden. Die Serie gehört gleichzeitig in die in Kapitel 19 besprochene Blase der interaktiven Spielfilme, denn Teil 3 und 4 der Reihe erreichten Zwischensequenzen in bis dato unbekanntem Umfang und Aufwand.

Wie jeder Trend gab es dazu auch eine Gegenbewegung. In Kapitel 15, „Ah! You Must Be A God„, begegnen wir den Programmierikonen Will Wright und Peter Molyneux, deren Spiele einen völlig anderen Ansatz verfolgten. Wrights erstes großes Spiel, „Sim City“, war ein riesiger Erfolg – obwohl es weder ein Ziel noch eine Story hatte. Der Sandbox-Ansatz, der Spielenden erlaubte, ihre eigenen Ziele zu setzen, erwies sich als wegweisend und unwiderstehlich. Molyneux hatte weniger Glück; seine ersten Unternehmungen waren Fehlschläge. Erst mit „Populous“ erreichte er einen Durchbruch – nicht, dass jemand daran geglaubt hätte; die Veröffentlichung war eher einem glücklichen Zufall geschuldet. Molyneuxs fehlende Fähigkeiten hatten ihn in das Genre der „Gottsimulation“ stolpern lassen, um quasi den Spielenden die Aufgabe zu geben, die miese KI auszugleichen. Auch „Populous“ hatte kein Spielziel und faszinierte durch die große Freiheit.

An Freiheit mangelte es neben modernen Computern bekanntlich vor allem in der Sowjetunion, in der nichts desto trotz Spiele programmiert wurden. Kapitel 16, „A Plane To Moscow„, erzählt die bizarre geschichte der Tetris-Erfindung durch einen sowjetischem Geek. Das Spiel, das sich wie ein Lauffeuer durch die wenigen Computer in dem totalitären Staat verbreitete, erreichte bald auch das Ausland, und die großen Publisher leckten sich die Finger danach. Einen Verbreitungsdeal in einem kommunistischen Staat zu schließen, der für „geistiges Eigentum“ gar kein Konzept hatte (außer, dass alles dem Staat gehörte), war nicht eben leicht, und die Beschreibungen der Verhandlungen sind geradezu surreal. Die unklare Rechtslage sorgte dafür, dass es Nintendo gelang, sich die Handheldrechte zu sichern (weil niemand auffiel, dass nur über normale Konsolen und Computer gesprochen war) und das Spiel zum Flaggschiff seines neuesten Produkts, des Gameboy, zu machen, was entscheidend zu dessen Erfolg beitrug.

Ähnlich wie in Europa spielten Konsolen im Ostblock generell keine Rolle; eigene wuzrden sowieso nicht entwickelt. Osteuropäische Spielehersteller produzierten deswegen nach der Wende vor allem Computerspiele, gerade eher anspruchsvolle, die eine klare Identität aufwiesen und osteuropäische Themen aufgriffen, etwa die Flugsimulation „IL2“, die die Luftschlachten über der Ostfront thematisierte, oder „Stalker“, das sich mit Tschernobyl beschäfitgte. Die Krone osteuropäischer Spieleproduktion dürfte die „Metro“-Reihe darstellen, die einen spezifisch russischen Post-Apokalypse-Touch mit sich brachte.

In Kapitel 17, „Sega Does What Nintendon’t„, erhält der bis dahin unangefochtene Platzhirsch für Konsolen, Nintendo, von seinem japanischen Rivalen Sega Konkurrenz. Deren Produktstrategie, die im titelgebenden Slogan versinnbildlicht wurde, war der Versuch, den Megadrive als Nintendo für Ältere zu vermarkten. Die Konkurrenz zwischen den beiden Firmen würde sich auf Jahre fortsetzen und war äußerst aggressiv und persönlich. Sega setzte sich bewusst von der Inhaltskontrolle auf Harmlosigkeit von Nintendo ab und produzierte anstößige Games, in der Hoffnung, Nintendo als Kinderprodukt einzuhegen und den Markt für Teenager zu dominieren.

Dazu brauchte es eine eigene Marke, die es mit Nintendos Mario aufnehmen konnte. Die Lösung dafür war Sonic, der superschnelle Igel. Die Geschwindigkeit sollte die überlegende Hardware des Megadrive demonstrieren, weil der Aufbau des Bilds auf dem Bildschirm für diesen wesentlich effektiver möglich war als für den in die Jahre gekommenen Nintendo. Sega setzte sich damit an die Spitze der aktuellen Trends.

Die Neigung von Spielen zu Gewalt rief allerdings, wie Kapitel 18, „Mortal Kombat„, zeigt, ihren eigenen Backlash hervor. Das titelgebende „Mortal Kombat“ gehörte zur Kategorie der vor allem in den Arkaden dominierenden Beat’em’ups, in denen zwei Kämpfer*innen gegeneinander antraten. Die Programmierer*innen machten sich wenig Gedanken über die Implikationen dessen, was sie taten. Als sie den „Finishing Move“ für Mortal Kombat programmierten, bei dem auf blutige Art und Weise der Unterlegene besiegt wurde (ein absoluter Renner unter den Spielenden), kam niemand auf die Idee, dass dies vielleicht nicht das beste Material für Kinder war (in einer gesegneten Tradition kümmerten sich die Eltern wenig um das, was ihre Kinder spielten).

Eine riesige Gewaltdiskussion brach sich in den USA Bann, als der demokratische Kongressabgeordnete Joe Lieberman im Kongress eine Untersuchung ansetzte und eine riesige Moral Panic auslöste. Der Spieleindustrie wurde schmerzhaft bewusst, dass sie keine Lobby in Washington besaß und keine Strategie für den Umgang mit solchen Skandalen besaß, was besonders deutlich wurde, als Nintendos und Segas Repräsentaten sich im Kongress vor laufenden Kameras gegenseitig zerfetzten und einander beschuldigten, dem Trend Vorschub zu leisten. Die moralische Panik hatte zwei bemerkenswerte Konsequenzen. Einerseits stiegen die Verkaufszahlen der krisitierten Spiele massiv an; Kontroverse war die beste Werbung. Zum anderen führte die Industrie ein Rating-System für Altersfreigaben ein, um Zensur durch die Politik zuvorkommen. Dieses hatte den paradoxen Effekt, dass wesentlich mehr gewalttätige und anstößige Spiele als vorher auf den Markt kamen, weil das Aufdrucken einer Altersbegrenzung jeglichen moralischen Druck von den Unternehmen nahm, der sie vorher zurückgehalten hatte.

Wenig überraschend, dass es Hersteller gab, die versuchten, pädagogisch wertvolle Spiele zu programmieren. Kapitel 19, „A Library In A Fish’s Mouth„, verfolgt die Entwicklung des ersten ansprechenden Lernspiels nach. Das Genre war bisher eine Halde für Müllsoftware gewesen, von bestenfalls drittklassigen Programmierer*innen nebenbei auf den Markt geworfen. Aber ein neues Medium, die CD,  ermöglichte neue technologische Sprünge durch wesentlich mehr Speicherplatz, die erstmals ausgerechnet von Lernspielen ausgenutzt wurden. Unter den konkurrierenden Formaten setzte sich die CD-ROM schnell als Marktführer durch und verdrängte die anderen Formate, und die rapide sinkenden Kosten für CD-Laufwerke läuteten das Ende der Disketten-Ära ein.

Der nun entstandene Speicherplatz erlaubte den Hollywood-Ambitionen vieler Kreativer völlig neue Möglichkeiten. In den frühen 1990er Jahren war das Genre des interaktiven Films plötzlich der letzte Schrei. Der Höhepunkt dieses Trends kam von Sierra Online, neben Lucasfilm Games wohl dem Hauptprofiteur des Adventure-Booms (man denke an King’s Quest oder Leisure Suit Larry): „Phantasmagoria“. Mit diesem Höhepunkt platzte aber die Blase der „interaktiven Spielfilme“, denen es nicht gelangt, die Kombination von Spiel und Film überzeugend hinzubekommen: die Spiele waren letztlich alle furchtbar schlecht, weil das vefügbare Budget in die Produktion des Films ging. Einen SM-Bondage-Horror-Film als bis dato teuerstes und aufwändigstes Spiel zu produzieren war vermutlich auch nicht Sierras beste Entscheidung.

Eine weitere Blase der frühen 1990er Jahre war Virtual Reality. Sie war damals in aller Munde und mit zahlreichen hochfliegenden Zukunftsvisionen bedacht, die von den technischen Grenzen der Zeit unmöglich eingelöst werden konnten. Zahlreiche Firmen verbrannten riesige Budgets im Versuch, Virtual-Reality-Hardware und Spiele zu erschaffen. Das Gamen im Cyberspace aber bleibt bis heute trotz immer wiederkehrender Versuche ein Desiderat.

Weiter geht es in Teil 3.

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