Die lang angeteaserte und nun endlich offizielle Parteineugründung Sahra Wagenknechts hält gerade das politische Berlin in Atem. Welche Perspektiven hat die Partei? Wem schadet, wem nützt sie? Was verbirgt sich eigentlich hinter dem viel diskutierten “Linkskonservatismus”? Und nicht zuletzt: schließt sich hier ein antidemokratisches, populistisches Hufeisen, oder besteht in der neuen Partei sogar eine Chance, die Demokratie zu stärken? Ich habe mir dem Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Thorsten Holzhauser eingeladen, um das zu diskutieren.
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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))
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Shownotes:
Der Artikel von Thorsten Holzhauser diskutiert die Entstehung und Entwicklung des linkskonservativen Populismus in der deutschen Linken, insbesondere im Kontext von Sahra Wagenknechts politischem Programm. Holzhauser beleuchtet, wie Wagenknecht eine politische Bewegung schuf, die sich sowohl aus linkskonservativen als auch linksprogressiven Strömungen zusammensetzt. Die Begriffe „Linksprogressive“ und „Linkskonservative“ werden als Selbstbezeichnungen für die beiden Fraktionen verwendet.
Der Autor analysiert, dass Wagenknechts Linkskonservatismus populistische Polarisierungen, nationale Töne und antiliberale Positionen in verschiedenen politischen Bereichen umfasst, wie Einwanderung, Asyl, Identität, Klima und Umwelt. Dabei stellt er fest, dass dieser Ansatz nicht nur innerhalb der Partei umstritten ist, sondern auch historische Wurzeln hat, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen.
Die Strategie der PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) nach dem Ende der DDR, insbesondere ihre Proteststrategie gegen den Westen, wird als Vorläufer des linkskonservativen Populismus betrachtet. Holzhauser betont, dass die PDS damals eine populistische Diskursführung verfolgte, indem sie das Volk gegen die Eliten stellte und sich als Vertreterin der Ostdeutschen positionierte. Diese Strategie war erfolgreich, besonders in Ostdeutschland, wo die PDS von der Unzufriedenheit mit dem Transformationsprozess profitierte.
Der Artikel geht weiter auf die Ambivalenz des linkskonservativen Populismus in Bezug auf Fragen von Krieg und Frieden ein. Es wird darauf hingewiesen, dass trotz offizieller Ablehnung bestimmter Kriege durch die Partei, einige Politiker rechte Codes verwendeten und sich mit autokratischen Herrschern solidarisierten. Dies führte zu Spannungen innerhalb der Partei, da einige Mitglieder Bedenken wegen möglicher rechter Tendenzen äußerten.Die Diskussion erstreckt sich auch auf die Agenda 2010-Proteste im Jahr 2005, die als Vorläufer für aktuelle Friedensdemonstrationen betrachtet werden. Hier wird die Verbindung von linkskonservativen Positionen mit populistischer Mobilisierungstechnik hervorgehoben, insbesondere in Bezug auf Themen wie soziale Gerechtigkeit, Kampf der Kulturen und Identitätsfragen.
Der Artikel schließt mit der Feststellung, dass die Partei derzeit vor einem existenziellen Konflikt steht, da die Spannungen zwischen den progressiven und linkskonservativen Strömungen weiter zunehmen. Der Generationenwechsel innerhalb der Partei, verbunden mit einem klaren progressiven Gesellschaftsbild, könnte dazu führen, dass die linkskonservative Ausrichtung aufgegeben wird. Es bleibt jedoch unklar, ob die Partei diesen Konflikt überwinden kann oder ob sie auseinanderbrechen wird. (Thorsten Holzhauser, Merkur)
Der Artikel beleuchtet detailliert die politische Reise von Sahra Wagenknecht, beginnend als prominente Kommunistin in der PDS bis hin zu ihrem jüngsten Versuch, eine überparteiliche linke Bewegung namens „Aufstehen“ zu gründen. Die Analyse skizziert, wie Wagenknecht ihre politische Position im Laufe der Jahre transformiert hat, insbesondere in Bezug auf ihre wirtschaftspolitischen Ansichten.
Ursprünglich bekannt als eine herausragende Vertreterin der Kommunistischen Plattform in der PDS, wird Wagenknecht als eine eloquente und scharfsinnige Politikerin beschrieben, die sich oft im Konflikt mit ihrer eigenen Parteiführung befindet. Die Autorin hebt hervor, wie Wagenknechts politischer Wandel von der Bewunderung für die DDR-Wirtschaftspolitik hin zu einer kritischen Position gegenüber dem gegenwärtigen Kapitalismus stattgefunden hat, insbesondere nach der Finanzkrise von 2008.
Die Gründung von „Aufstehen“ wird als ein Versuch Wagenknechts betrachtet, eine Bewegung zu schaffen, die über die Parteigrenzen hinweggeht und sich auf die soziale Frage konzentriert. Der Artikel hebt jedoch hervor, dass diese Bewegung letztendlich scheiterte und Wagenknecht sich weiterhin als innerparteiliche Opposition innerhalb der Partei Die Linke positioniert, indem sie betont, dass die Parteiführung die soziale Frage vernachlässigt habe.
Die politische Strategie von Wagenknecht wird als Form des Linkskonservatismus beschrieben, die sozialpolitisch progressiv, aber gesellschaftlich konservativ ist. Die Analyse warnt jedoch vor möglichen Gefahren, da Wagenknechts Ansatz Elemente sowohl aus dem linken als auch aus dem rechten Spektrum vereint. Es wird betont, dass dies dazu beitragen könnte, rechtsextreme Diskurse zu legitimieren und zu stärken.
Abschließend stellt der Artikel die Frage, ob Wagenknecht möglicherweise eine eigene Partei gründen wird und wie erfolgreich diese sein könnte. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Wagenknechts politischer Ansatz kontroverse Reaktionen hervorrufen und möglicherweise zu einer weiteren Fragmentierung des politischen Spektrums führen könnte. (Oliver Nachtwey, FAZ)
Linken-Chef sieht neue Partei Wagenknechts „deutlich rechts“
Die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht präsentiert in Berlin ihren Verein BSW („Bündnis Sahra Wagenknecht“), der als Ausgangspunkt für die Gründung einer eigenen Partei dienen könnte. Dieser Schritt signalisiert einen endgültigen Bruch zwischen Wagenknecht und der Linkspartei, für die sie bisher eine prominente Vertreterin war. Wagenknecht betont, dass es ihr um eine „seriöse Adresse“ gehe, die nicht nur Protest ausdrückt, sondern auch Konzepte für eine bessere Politik hat.
Bei der Vorstellung wird sie von der bisherigen Linkenfraktionschefin Amira Mohamed Ali und dem Bundestagsabgeordneten Christian Leye begleitet. Linken-Chef Martin Schirdewan sieht in einer neuen Partei, die aus Wagenknechts Initiative hervorgehen könnte, vor allem eine Konkurrenz für rechte Parteien und weniger für die Linkspartei. Er vermutet, dass Wagenknecht sich deutlich rechts positionieren müsste, um Erfolg zu haben. Schirdewan betont, dass Wagenknechts Partei keine linke Partei sein werde, da eine linke Partei Menschen solidarisch zusammenführen und nicht gegeneinander ausspielen sollte.
Die SPD zeigt sich besorgt über die erwartete Spaltung der Linken. SPD-Chef Lars Klingbeil hat bereits signalisiert, dass Mitglieder der Linken unter bestimmten Bedingungen in der SPD willkommen sind. SPD-Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast kritisiert Wagenknecht dafür, dass sie in Zeiten, in denen die Gesellschaft zusammengeführt werden müsse, ihre eigene Partei spalte. Es bleibt abzuwarten, wie die Linke auf die mögliche Abspaltung reagiert und wie sich dies auf ihre Rolle im Bundestag auswirkt. (ZEIT)
Sahra Wagenknecht, politische Urgestein mit über 30 Jahren Erfahrung, steht vor einem radikalen Schritt. Sie gründet das „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“, das sich zu einer neuen Partei entwickeln soll. Der Artikel beschreibt ihren Weg von der Ankündigung bis zu ihrer Entscheidung, sich von der Linken zu trennen. Ein langer, menschenleerer Flur symbolisiert ihre Eile. Die Hintergründe der Parteigründung werden beleuchtet: Wagenknecht möchte eine Struktur von 500 zuverlässigen Personen schaffen, die diverse Posten besetzen können. Dabei warnt sie vor Glücksrittern und betont, dass andere den Parteiaufbau übernehmen müssen, damit sie sich auf ihre Stärken fokussieren kann: Überzeugen und Reden.
Der Artikel skizziert auch ihre Beziehung zu Dietmar Bartsch, der sie jahrelang verteidigte, aber nun scheinen sie kaum miteinander zu sprechen. Wagenknecht reflektiert über ihren psychischen Druck vor vier Jahren und erklärt, dass sie zwischen positivem und negativem Stress unterscheidet. Die Herausforderungen innerhalb der Linken veranlassen sie dazu, eine neue politische Heimat zu suchen. Die Frage, ob Wagenknecht tatsächlich eine Partei gründen kann, die das deutsche Parteiensystem beeinflusst, wird diskutiert. Die mediale Aufmerksamkeit und Prognosen über mögliche Auswirkungen auf bestehende Parteien werden kritisch betrachtet. Der Artikel stellt auch Wagenknechts Unterstützer vor, darunter Diether Dehm, der jedoch aktuell die Organisation des Parteiaufbaus ablehnt.
Es wird betont, dass Wagenknecht eine Einzelgängerin war, die oft Kompromisse ablehnte. Die Suche nach fähigen Organisatoren für ihre neue Partei gestaltet sich als Herausforderung. Kritische Punkte, wie die fehlende Klärung von Organisationsfragen und angeblich rekrutierten Kommunalpolitikern, werden aufgegriffen. Der Artikel hinterfragt, ob Wagenknecht als Politikerin oder als Medienphänomen wahrgenommen wird. Wagenknechts politischer Fokus und ihre Wandlung von marxistischen Ansichten zu einem kulturellen Kampf werden beleuchtet. Der Artikel analysiert ihre Visionen, die sich oft auf die 1960er-Jahre und den Sozialstaat beziehen.
Es wird die Frage aufgeworfen, ob sie die Hoffnungen und Ängste der Menschen ansprechen kann. Schließlich werden ihre Überlegungen zu möglichen Bündnissen mit der CDU thematisiert. Die Artikelstruktur bietet eine umfassende Darstellung von Wagenknechts politischem Schritt und beleuchtet die verschiedenen Facetten ihrer Entscheidung. (Robert Pausch, ZEIT)
Sahra Wagenknechts Popularität wird oft auf Charisma zurückgeführt, obwohl ihr Auftritt eher affektlos und wenig mitreißend ist. Im Vergleich zu anderen Populisten wie Trump oder Johnson wirkt sie unbehaglich in der Menge und verfügt nicht über deren Small-Talk-Fähigkeiten. Trotz ihres Selbstanspruchs, eine „seriöse Adresse“ für Protestwähler zu sein, bleiben ihre politischen Konzepte unklar, wie im Gründungsmanifest ihres Vereins ersichtlich wird. Wagenknechts Stärke liegt möglicherweise darin, Gegensätze zu verbinden. Ihr politisches Projekt erscheint wie ein rhetorisches Mash-up aller Parteien, ein Mix aus Linkskonservatismus, sozialdemokratischen Forderungen und nationalistischen Elementen.
Dieser wilde Mix erzeugt ein politisches Gefühl, das auf die Aufhebung aller Gegensätze abzielt, ähnlich einer bundesdeutschen Einheitspartei. Trotz programmatischer Inkonsistenzen spricht Wagenknecht eine postdemokratische Sehnsucht an, die in Deutschland verbreitet ist. Die Vorstellung, dass Widersprüche sich auflösen, ohne dass man streiten muss, spiegelt sich in ihrer politischen Botschaft wider. Ihre Eigenschaftslosigkeit wird so nicht als Schwäche, sondern als bewusstes Feature betrachtet, das es ihr ermöglicht, den Versuch einer Einpersonenvolkspartei zu starten. (Nils Markwardt, ZEIT)
„Diese Partei muss sich Sorgen machen“ (Interview mit Constantin Wurthmann)
Sahra Wagenknecht plant die Gründung einer „linkskonservativen“ Partei, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann prognostiziert einen Erfolg, insbesondere durch den Zulauf von AfD-Sympathisanten. Die Linken könnten in eine interne Schlammschlacht geraten, während Wagenknecht sich als Brückenbauerin zwischen verschiedenen politischen Lagern positioniert. Obwohl ihre politischen Konzepte noch unklar sind, sieht Wurthmann in Wagenknecht die Möglichkeit, gesellschaftliche Gegensätze zu überbrücken und eine demokratische Exit-Strategie für konservative Wähler zu bieten.
Wurthmann betont, dass Wagenknecht nicht nur als „linke“ Politikerin wahrgenommen wird, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft Zuspruch findet. Er sieht sie als eine Figur, die Positionen aus dieser Mitte teilt, und bezeichnet sie als eine mögliche Repräsentantin für Menschen, die sich in der gesellschaftlichen Debatte als Opfer fühlen. Diese Positionierung könnte Wagenknecht zu einer politischen Alternative für konservative Wähler machen, die sich von den etablierten Parteien nicht ausreichend vertreten fühlen. (Tom Schmidtgen, T-Online)
Das Ende der Linksfraktion, nur wann?
Sahra Wagenknecht und neun weitere Abgeordnete der Linken haben die Partei verlassen und den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gegründet. Obwohl sie vorerst in der Linksfraktion des Bundestags bleiben wollen, stellt sich die Frage, ob die Fraktion ihnen den vorübergehenden Verbleib erlauben wird. Die Gründung einer neuen Partei wird für Anfang 2024 angekündigt. Der Artikel analysiert die möglichen Auswirkungen auf die Fraktion, insbesondere die Frage, ob der Fraktionsstatus der Linken im Bundestag automatisch erlischt, da die Anzahl der Mitglieder unter die erforderliche Mindeststärke von 37 fällt. Auch die qualitative Voraussetzung der politischen Homogenität einer Fraktion wird diskutiert, da nun parteilose Abgeordnete Teil der Fraktion sind. Der Artikel betrachtet die Optionen, ob der Fraktionsstatus automatisch erlischt oder ob der Bundestag ihn aufgrund des Verlusts der politischen Homogenität aberkennen könnte, und betont die Bedeutung der Funktionsfähigkeit des Bundestags. (Jannik Klein, Verfassungsblog)
Left behind: Sahra Wagenknecht’s new populism
Sahra Wagenknecht, eine bekannte deutsche Politikerin, sorgte für Aufsehen, indem sie Die Linke verließ, um eine neue Partei zu gründen. Ihr Ansatz stellt herkömmliche links-rechts-politische Identitäten in Frage und kombiniert linkspopulistische und rechtsgerichtete Elemente. Wagenknecht zielt darauf ab, den dynamischen Wählerübergang zwischen populistisch links und rechts anzusprechen und behauptet, dass diejenigen, die zur rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) gewechselt sind, im Grunde natürliche Anhänger der Linken sind. Ihre Agenda umfasst anti-establishment-Gefühle, Euroskepsis und Kritik an Lockdowns und stimmt sowohl mit linken als auch mit rechten Ansichten überein. Wagenknecht ist der Ansicht, dass Die Linke ihre Arbeiterbasis vernachlässigt und somit eine Gelegenheit für eine staatliche, sozialkonservative Alternative besteht. Trotz Kritik und unsicherer Umfrageergebnisse repräsentiert ihre Initiative einen neuartigen Ansatz für die deutsche Politik, der die Vergänglichkeit und Persönlichkeitszentriertheit begrüßt und die herkömmliche links-rechts-Dichotomie in Frage stellt. (Marcus Colla, Lowy Institute)
„Das grenzt an Geschichtsklitterung“ (Interview mit Patrice Poutros)
Der Historiker Patrice G. Poutrus kritisiert in einem Interview die Forderungen nach einer Neuauflage des Asylkompromisses von 1992/93. Er betont, dass eine solche Forderung ohne die Berücksichtigung der damaligen rassistischen Gewalt und ihrer Ursachen an Geschichtsklitterung grenze. Poutrus argumentiert, dass die rassistischen Brandanschläge in den 1990er Jahren nicht nur von der Anzahl der Asylbewerber abhingen, sondern auch von der Art und Weise, wie über Migration in Deutschland diskutiert wurde. Er weist darauf hin, dass die Zahl der Spätaussiedler in den 1980er Jahren politisch akzeptiert wurde, während die Diskussion über Asylbewerber eine hysterische Abwehr auslöste. Poutrus warnt vor einer Einschränkung oder Abschaffung des individuellen Asylrechts und betont, dass die aktuellen Probleme der Kommunen nicht primär mit dem Thema Asyl, sondern mit strukturellen Problemen wie der Finanzordnung zusammenhängen. Er kritisiert die Argumentation, dass die Lösung in der Einschränkung des Asylrechts liege, als eine Gestaltungsvermeidungsstrategie und warnt davor, dass solche Maßnahmen langfristig die Gesellschaft ins Autoritäre führen könnten. (Christian Bangel, ZEIT)
Heute morgen endlich mal gehört, vielen Dank, sehr spannend und angenehmes Gespräch!
Ich tue mich noch schwer, da zu einer Einschätzung oder gar Meinung zu kommen. Einerseits denke ich, dass Linkskonservatismus oder „normalitär aber diesmal links!“ schon verfängt, gerade weil das so als Gefühlskonglomerat sicherlich verfangen könnte. Gabriel wär sofort dabei!
Andererseits sind Potenzial und Potenzial nutzen zwei verschiedene Dinge und ich könnte mir auch vorstellen, dass das irgendwie bei 2% verpufft.
Auch schwer vorherzusehen, ob, wie und mit welchen Themen (Wirtschaft, Ausländer, Russland) die BSW dann überhaupt in der Öffentlichkeit vor den Wahlen auftaucht.
Ähnlich ist es ja auch mit Sahra Wagenknecht, habt ihr ja auch erwähnt, das kann so in beide Richtungen gehen. Sie ist natürlich bekannt und hat eine große Präsenz und ein extrem kontrolliertes Image, ist da wirklich sehr interessant zu beobachten. Bei den Bildern der PK musste ich zb direkt zweimal gucken, weil sie sonst wirklich IMMER einen knallroten Blazer getragen hat.
Andererseits hatte ich auch den Verdacht, dass das ganze jetzt passiert, weil die LINKE den Status als Protestpartei verloren hat und den wird sie der AfD auch nicht mehr so einfach abjagen können (und das ist IMO ihr Ziel). Aber dafür müsste sie gleich von Anfang an sehr hoch einsteigen. Und vielleicht ist Wagenknecht halt auch schon zu etabliert und zuwenig einschüchternd, um eine Protestpartei anzuführen.
Also:
Wetten wir doch: ich glaube, dass sie in der ersten Wahlrunde (Europa und die drei Ostländer oder gibts noch mehr?) eher enttäuschen und höchstens einmal über 5% kommen und sonst eher bei 2-3% landen.
Zustimmung.
Interessant, aber ein paar Punkte könnten imho noch ein bisschen beleuchtet werden:
a) Die Eitelkeit dahinter: viele der neuen linken Parteien waren stark personenorientiert ( FI (Melenchon), Podemos (Iglesias), Syriza (Tzipras, Varoufakis)) , aber diese „Personality-Partei“ ist schon deutlich. Hierzu eine Neugierde-Frage: Solche „Mein Name ist die Partei“-Parteien kenne ich bisher nur aus Deutschland (Todenhöfer, Schill) und Österreich (Stronach, Pilz, Fritz Dinkhauser) . Kennt jemand Beispiele aus anderen Ländern ?
b) Könnte es sein, dass die Linkspartei dadurch sogar gestärkt wird, weil ein Konfliktherd fehlt:
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-10/die-linke-sahra-wagenknecht-bewegung-partei-mitglieder
c) Dass das größte Wählerpotential des BSW bei Nichtwählern liegt, die sich von allen „Normalparteien“ abgestoßen fühlen, denen aber die AfD zu eklig ist, hätte erwähnt werden können.
d) generell ist die europäische Perspektive interessant: Wird es innerhalb der GUE zwei deutsche Parteien geben, die sich gegenseitig nicht ausstehen können? Gibt es eine Neuauflage von „Maintenant le Peuple“, diesmal mit eigenem Fraktionsstatus?
e) Es wird immer wieder das Migrationsthema angesprochen. Wie weit betrifft die migrationskritische Rhetorik von SW Flüchtlinge und wie weit Arbeitsmigranten. Ist sie wirklich weiter „rechts“ als die Rhetorik und vor allem konkrete Politik, die von anderen Politikern, wie z.B. Faeser gemacht(!) wird?
a) Mir nicht bekannt
b) Möglich, aber ich halte es für eher unwahrscheinlich
c) Richtig!
d) GUE?
e) Gute Frage.
d) Linksfraktion im Europaparlament:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Linke_im_Europ%C3%A4ischen_Parlament_%E2%80%93_GUE/NGL
Ah! Ich glaube nicht, die werden ja ein Veto gegenüber Neuzutritten haben, oder?
Ja, danke für die Diskussion. Ist ja alles sooo kompliziert geworden. Früher zu meiner Zeit bei den zwei Volksparteien war alles viel einfacher.
Aber wie dem auch sei, das wagenknechtische „linkskonservativ“ ist jedenfalls KEIN Oxymoron, sondern Standard seit alters her. Da liegt also die Frau W. historisch keineswegs neben der Spur (womöglich nicht nur da nicht^).
Linkslinks, also Fortschritt (vermeintlich oder tatsächlich) sozio-ökonomisch, also die eher kleinen und mittelprächtigen Leute (natürlich nur die hiesigen) pekuniär nicht im Regen stehen lassen, UND sozio-kulturell, z.B. Queerfeminismus und all so was, als Einheitsgericht angeboten (und angenommen), ist die eher seltene Ausnahme.
Und ja, Wagenknecht fahndet nach Repräsentationslücken auf der aktuellen Polit-Speisekarte; die sei vollgestopft mit Woke-Gerichten, die ihrer Ansicht nach draußen im Lande die meisten gar nicht haben wollen. Die AfD andererseits zu stark auf NPD-Niveau gelandet, da ist Platz für eine Art Airbag zwischendrin. Vermögensteuer, klar, aber natürlich nur für die richtig Reichen, nicht für die „Fleißigen“ und den „Mittelstand“, Frau W’s neue Lieblingsadressen. Die genaue Abgrenzung der Mittelprächtigen (gut) nach ganz oben (böse) wird irgendwann später bekannt gegeben^. Sie vermutet im Übrigen wahrscheinlich ganz richtig, dass Putinphilie zwar offiziell als unsittlich gilt, aber heimlich weit verbreitet ist.
Glaube meinerseits, dass ihre Chancen nicht schlecht sind, wenn das Ding professionell verkauft wird. Auf Letzteres wird offenbar jetzt der allergrößte Wert gelegt, wie die bisherigen Auftritte zeigen; und erstmal eine Kapitalsammelstelle als eine Art Vorgründungsgesellschaft (i.G.), um mit dem das Parteien-Finanzierunsgrecht kreativ zu tricksen, ist ja auch offenbar durchdacht. Parteien als Businesspläne sind ja eh der große Renner.
Die altertümliche Linksrechtssortierung der herkömmlichen Politjunkies ist im Wagenknechtland eh kein Kriterium, weil auch das draußen im Lande als uninteressant gilt. Im Übrigen wird ihre frühere Heimatgemeinde „kommunistische Plattform“ im neuen „Bündnis“ wohl nicht mehr aktiv beworben^. Wendig, wendig. Für die Intellektuellen werden jetzt Ulbrichts NöSPL und Erhards Marktwirtschaft irgendwie versöhnt. Warum nicht ? Interessante Produktinnovationen. Dergleichen ist ja der postmoderne Standard im großen Durcheinander heutzutage.
Ich halte dieses „alles woke“ für eine völlige Schimäre. Das ist nicht mal bei denen Grünen 100% so und bei den anderen fünf Parteien gar nicht.
Die Frage der Qualität: das ist genau der Casus Knacksus.
Bei der Frage nach „brauchen wir eine links-populistische Partei um das Spektrum auszubalancieren?“, bin ich mir sehr viel sicherer als Du – ja! Kann BSW das sein? Da antworte ich auch mal ganz klar – nein!
Ich gebe denen keine Chance. Ich bin mir auch völlig unklar, was genau an der Position „neu“ sein soll. Ausserdem wollen Wähler schon früher oder später nicht nur Protest, sondern ‚dass was passiert‘. Spätestens dann wird die Ambiguität nicht mehr funktionieren, die Partei kippt nach rechts oder links. Wahrscheinlich eher nach rechts, aber entweder wird sie doch zur AfD light oder gar hard / NS 2.0 oder wird von MLPD, DKP, KPD/XYZ, 3/4 von 5 Internationalen oder Trotzkiite Initiative unterwandert.
Either way, selbst im Szenario imdem sie in alle 4 Parlamente einzieht und sämtliche damit verbundenen Finanzen in den Parteiaufbau reinvestiert sehe ich nur kurzfristigen Erfolg, mittel-/langfristig ist das eine Totgeburt.
Das wahrscheinlichste Szenario ist imho wie von Ariane erwähnt 2-3%, vielleicht Einzug in 1-2 Häuser. Abgeordnete mit migrantischem Hintergrund werden verdrängt, klare linke Statements bleiben aus, rechts-populistische Parolen werden lauter und lauter und assoziiert mit der Partei selbst, bis wir eine AfD 2.0 haben. Dann können sie eventuell sogar wesentlich erfolgreicher werden, denn am Ende bleibt nur eine der beiden übrig und durch einen Zufall der Geschichte kann das BSW sein.
Ich glaube jedenfalls nicht, dass sie ‚ein Problem für die AfD‘ werden / sind, bin eher im Stärkung durch Salonfähigmachung der Standpunkte Lager, aber wahrscheinlich weder noch, sondern halt doch Die Alternative 2.0
Am Ende muss ich allerdings doch meine biases offenlegen. Unabhängig meiner eigenen politischen Positionierung auf Spektren / in Communities und Parteien, war mir die Synthese von linker Sozialpolitik und progressiver Gesellschaftspolitik immer eine Herzensangelegenheit. Ehrlicherweise bin ich damit oft in alle Richtungen angeeckt. Trotzdem habe ich viele Entwicklungen im Westen in Teilen der Gesellschaft / innerhalb der linken Bewegung in den letzten 10-15 Jahren positiv gesehen / in diesem Sinne als Erfolg gewertet. Die Person Sarah Wagenknechts, insbesondere aber BSW repräsentieren damit alles, was ich so als Hürde / Problem gesehen habe, die bewusste Trennung / Antagonisierung der beiden Positionen. Mich stösst das daher persönlich schon sehr extrem ab und ich sehe es als gesellschaftlichen Rückschritt, vor allem aber als Rückschritt für „links“, dass ich hier so gar nicht erkennen kann…
Danke für deinen Beitrag 🙂
Links-populistische, national(istisch) orientierte Parteien und Politiker hatten zuletzt in Westeuropa einigen Erfolg. Zuvorderst sind hier Jean-Luc Mélenchon in Frankreich zu nennen, der zweimal knapp die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen verfehlte, Fünf-Sterne in Italien, Podemos in Spanien. Der Ansatz, den Sahra Wagenknecht verfolgt, war bisher international nicht so erfolglos. Das Entscheidende ist ja, dass die Working Class für migrationspolitische Offenheit nicht so ansprechbar ist wie es die linken Post-Consumer-Milieus und Studentengruppen meinen.
Die tragenden Wählergruppen der AfD wie meist bei rechtspopulistischen Parteien sind Arbeiter, prekär Beschäftigte, Nationalkonservative und ein schwer zu zuzuordnendes Becken an wütenden Bürgern. Ostdeutschland hat dazu ein besonderes Potential an Nationalkonservativen, die in der Vergangenheit gut bei der SED und deren Nachfolge-Organisationen beheimatet waren. Das Profil von Wagenknecht schneidet tief in die genannten Milieus ein.
Ich wäre skeptisch, 5 Sterne in die Reihe zu packen, aber sonst bin ich weitgehend bei dir.
Mélenchon muß man da auch rausnehmen, denn der verzichtet auf einen migrationsfeindlichen Kurs, seit er festgestellt hat, daß der bei seiner aktivistischen Basis nicht gut ankommt. Wagenknecht ist folglich auf Distanz gegangen, wie hier erzählt wird:
https://taz.de/Podcast-Bundestalk/!5968938/
Stattdessen werden, wie dort ebenfalls erwähnt, in Wagenknechts Buch zwei andere Vorbilder genannt: die dänische Sozialdemokratie und die polnische PiS.
Wer sind denn Ihrer Meinung nach die „linken Post-Consumer-Milieus“?
„Das Entscheidende ist ja, dass die Working Class für migrationspolitische Offenheit nicht so ansprechbar ist“
Das sehe ich nicht so. Kameradschaft unter Kollegen am Band, im Labor, an dee Anlage erfordert ja oft Offenheit und kulturellen Austausch, Vertrauen unabhängig des ethnisch-kulturellen backgrounds.
„Die tragenden Wählergruppen der AfD wie meist bei rechtspopulistischen Parteien sind Arbeiter“ eher kleine Selbständige würde ich behaupten.
Schöner Begriff, nicht wahr? 🙂 Das sind (Stadt-) Menschen, die damit prahlen, wie gut man doch alles mit dem Lastenfahrrad erledigen kann, sie brauchen kein Auto. Wenn sie abends zur Party gehen, lassen sie sich halt mit dem Taxi fahren. Postmaterialisten sagt man auch dazu.
Es ist immer ein Problem, wenn man sich den eigenen Vorurteilen hingibt. Seit Ewigkeiten wollen sich öko-sozialistisch orientierte Menschen einreden, dass die großen Gewinner von Migration doch die Unterschicht wäre. Nur sieht man das dort nicht so. Warum auch?
Sie konkurrieren mit Migranten um alles Existenzielle: Um günstige Wohnungen, einigermaßen gut bezahlte Jobs und Löhne, um Pauschalreisen, Snäppchen bei IKEA und auf dem Wühltisch. Sie erleben in Kitas und Schulen sowie vor der eigenen Haustür die negativen Folgen von Migration hautnah. Warum sollten sie Migration gut finden?
Menschen, die miteinander in einer Konkurrenzbeziehung stehen, sind seltener befreundet als solche, wo die Verhältnisse geklärt sind. Ich war auch nie mit einem unmittelbaren Konkurrenten befreundet, warum auch? Schumacher und Stein, Kahn und Lehmann, Brandt und Schmidt, Barzel und Kohl, Schröder und Lafontaine: Die Liste der schwierigen Konkurrenzbeziehungen ist ewig lang. Podolski und Schweinsteiger, Neuer und Ulreich, Claudia Roth und Beckstein – keine Konkurrenz macht die Bildung von Freundschaften wesentlich leichter.
Bei der Landtagswahl in Hessen haben 40 Prozent der Arbeiter AfD gewählt. Damit ist sie die Partei der Arbeiter. Darüber hinaus ist sie bei Angestellten ziemlich populär, ähnlich wie bei Selbständigen. Weit überproportional wurden die Rechtspopulisten von den 25-45jährigen gewählt, von Älteren eher weniger. Christen neigen weniger zu Ausfällen nach rechts als Atheisten. Sie haben halt Werte.
https://www.kas.de/documents/d/guest/tabellenanhang-analyse-landtagswahl-hessen
In meinem Team – alles mittelverdienende Bürger, über die Hälfte mit Migrationshintergrund – bekannten sich einige zur AfD oder zeigten zumindest Sympathie und Verständnis. Tenor: So kann es nicht weitergehen.
Das ist die Realität, lieber Floor Acita.
„In meinem Team – alles mittelverdienende Bürger, über die Hälfte mit Migrationshintergrund – bekannten sich einige zur AfD oder zeigten zumindest Sympathie und Verständnis. Tenor: So kann es nicht weitergehen.“
Davon kenne ich etliche, Arbeiter dagegen eher nicht, bei uns sind die eher mit ihren Kollegen kameradschaftlich verbunden als froh zu sein wenn deren Familien auf hoher See verecken.
Aber gut, ich kann die verlinkten Zahlen auch nicht abstreiten.
„Das sind (Stadt-) Menschen, die damit prahlen, wie gut man doch alles mit dem Lastenfahrrad erledigen kann, sie brauchen kein Auto. Wenn sie abends zur Party gehen, lassen sie sich halt mit dem Taxi fahren. Postmaterialisten sagt man auch dazu.“
Davon kenne ich eigentlich auch keine – die meisten Arbeiter leben wahrscheinlich auch in der Stadt. Aber vielleicht ist deshalb unser mentales Bild von „Linken“ auch oft so verschieden. Thorsten Haupt hat hier als Beispiele auch mal Gruppen genannt die eher an Unis aktiv sind als in Betrieben, die ich wenn überhaupt als Flugblattverteiler 1x im Jahr in Berlin erlebt habe, als ich selbst noch wesentlich „radikaler“ war. Wenn ich an Linksextremisten denke, dann eher an irgendwelche stalinistischen Betriebsräte und Vertrauensleute.
Aber was genau macht denn dann BSW eigentlich links, die AfD rechts? Warum ist Sarah Wagenknecht nicht Gregor Strasser 2.0? Gehört habe ich den Vergleich, für mich überraschend, eigentlich nicht. Aber sozialistische Arbeiter-, gemischt mit deutsch-nationaler (oder national-deutscher?) Politik? Das ruft bei mir Assoziationen hervor, aber sicherlich keine linken…
Wieso sollte irgendjemand gerne Menschen verrecken sehen – außer er ist ein Sadist? Aber meine Leute mit Wurzeln in Kasachstan, Russland, Türkei, Polen, dem Balkan haben nichts gemein mit jungen Männern aus dem Sudan, aus Algerien, aus Syrien. Wieso sollte es da irgendeine Identifikation mit deren Schicksal geben?
Auch Oli Kahn hat Lehmann im Elfmeterschießen gegen Argentinien die Hand gereicht. Man hat ein (eng begrenztes) gemeinsames Ziel. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich möglichst viele Zuwanderer wünscht. Die Fakten sind: Das ist nirgends bei Menschen der Fall, die nicht in den höchsten Einkommensklassen sind.
Linke machen bei der Analyse der AfD-Anhänger einen ihnen genehmen Fehler. Es ist richtig, dass die AfD bei Wahlen die meisten Zugewinne von anderen Parteien bei Unionsanhängern erfährt. Das war auch bei der Hessenwahl so, obwohl der Unterschied zu den Abflüssen von der SPD ziemlich gering war. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass die CDU bei der Wahl von vor 5 Jahren wesentlich mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte.
Aber: Die jeweilige Stärke der AfD speist sich immer hauptsächlich aus dem Lager der Nichtwähler. Bei der Wahl vor vier Wochen erhielt die AfD 70.000 Nichtwählerstimmen, verglichen mit 55.000 Stimmen aus dem Lager der CDU. Nun sind die Nichtwähler eine amorphe Gruppe. Frühere Analysen haben allerdings gezeigt, dass sie stärker aus ehemaligen Wählern des linken Lagers bestehen. Und diese Bürger sind meist nicht dauerhaft Nichtwähler, sondern setzen nur für einige Zeit aus. Dies berücksichtigt, sollte man immer davon ausgehen, dass Rechtspopulisten Anhänger in vielen Milieus einer Gesellschaft haben und nicht vorrangig aus Nationalkonservativen bestehen. Übrigens: auch Gewerkschaftsmitglieder wählen überproportional AfD.
Der Bloginhaber weist eine gewisse Nähe zu solchen Milieus auf. Wer außer ihm gendert hier? Welche Menschen überhaupt gendern in ihrer Sprache? Das ist eine sehr, sehr kleine Gruppe. Stefan regt sich über die Bezeichnung „Blondinen“ für Frauen mit blonden Haaren auf, hat aber kein Problem mit „armselige Pfeife“ für Konservative. Stefan ist dabei die nette Ausgabe. 🙂
Wo wir schon bei Stefan sind: Sahra Wagenknecht (wegen ihrer iranischen Wurzeln schreibt sie ihren Vornamen anders) macht das, was es Stefans Meinung gar nicht gibt, das Hufeisen aus Rechts- und Linkspopulismus. Wagenknechts Positionen zu Sozialstaat, Besteuerung, Eigentum sind klassische sehr linke Politik, wie sie in den USA auch Alexandria Ocasio-Cortez oder in Großbritannien Jeremy Corbyn vertreten. Auch die Linkspartei und weite Teile der Grünen wie der SPD haben Sympathien für diese Ansätze.
Die Unterschiede von BSW zur gemäßigten Linken liegen in der Unterstützung von Autokraten und Diktatoren wie Putin, der Feindschaft zum Amerikanismus und vor allem in dem dezidiert national(istisch)en Ansatz bei der Migration. Hier trifft sie sich mit dem rechtsextremen Lager.
Was aber den 2. Teil der Frage aufwirft, was genau macht die AfD dann dann rechts (wenn die ökonomische Politik sich mit AOC oder Corbyn trifft)?
Was mir im Moment schwer fällt ist die klare Abgrenzung von AfD und BSW. An diesem Punkt der Diskussion haben die beiden ja MEHR Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Wenn die eine der anderen Stimmen abjagen soll bzw das Spektrum in Ballance bringen will anstatt der AfD / dem rechts-populistischen Lager Stimmen durch Legitimierung der Standpunkte zuzuchancen muss es ja eine Art Polarisierung geben?
IST die AfD Hauptgegnerin des BSW oder sind es die grün-links versifften Post-Consumer-Milieus? Warum ist die AfD ganz klar rechts-, das BSW aber ganz klar links-populistisch?
Die AfD wurde bekanntlich von enttäuschten CDU-Anhängern und Professoren gegründet. Offiziell vertritt die Partei eine konservativ-liberale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie steht für niedrigere Steuern, die Schuldenbremse, gegen die Vergemeinschaftung von öffentlichen Schulden, einen aktivierenden Sozialstaat. Der starke ostdeutsche Flügel um Björn Höcke schleift jedoch dieses Programm und will es in sein Gegenteil verkehren.
Damit trifft man sich aber mit Sahra Wagenknecht. Und deswegen sieht man sie sehr wohl als Konkurrenz, weshalb man ihr vor Monaten das Angebot unterbreitete, der AfD beizutreten. Inzwischen wird der Ton rauer.
Was aber nicht übersehen werden darf: In Ostdeutschland sind die Bürger weit weniger parteipolitisch festgelegt als im Westen. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland. Die Menschen sind Ideologen, allerdings auch tradierten Werten fern. Das Einende ist jedoch der Gemeinschaftsgedanke, weshalb individualistische Parteien wie die FDP und die Grünen keinen Fuß auf den Boden bekommen.
Wagenknecht baut erkennbar darauf, solche Stimmen aus dem linken Lager abziehen zu können, die zwar viel Sozialstaat wollen, denen aber das Wokeness-Gedöns, Cancel Culture, Identity Policies und die Politik der offenen Grenzen gegen den Zeiger gehen. So positioniert sie sich seit vielen Jahren und im Grunde stand ihr Mann, Oskar Lafontaine, da auch immer.
Ich denke, damit hat sie Potential. Potential, das für die AfD nur begrenzt erreichbar ist. Man kann das sicher mit Umfragen belegen, aber eine ist mir in Erinnerung geblieben: Vor einem Jahr befürwortete selbst bei den Anhängern der Grünen eine Mehrheit längere Laufzeiten für Kernkraftwerke. Meist ist es in solchen Fällen so, dass die Parteiführung dann ein Adjustment ihrer Position vornimmt. Nicht jedoch der Führungszirkel bei den Grünen und Robert Habeck: Man zog unter Inkaufnahme aller möglichen Verluste den Ausstieg durch. Warum? Weil man Sorge hatte, den Kern der Grünen-Anhänger, für die Jürgen Trittin steht, zu verprellen. Lieber zog man eine Politik gegen den Willen der Mehrheit der eigenen Anhänger durch.
Das gilt auch auf anderen Feldern, für die LINKE insbesondere. Katja Kipping hat die bisherige Partei Wagenknechts klar als woke, öko-sozialistisch positionierte Alternative zu den Grünen positioniert. Ihr Gedanke: die alten SED-Nostalgiker sterben weg und die Wutbürger sind kein zuverlässiges Wählerreservior. Die Strategie ist grundlich daneben gegangen.
Zu Ihrer Schlussfrage: Erkennbar bilden AfD und BSW ein Hufeisen.
„Vor einem Jahr befürwortete selbst bei den Anhängern der Grünen eine Mehrheit längere Laufzeiten für Kernkraftwerke.“
In dieser Umfrage vom April dieses Jahres unterstützen 82 % der Grünen-Wähler den Atomausstieg:
https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3357.html
„Die Strategie ist grundlich daneben gegangen.“
Wieso?
Bei der Wahl in Berlin hat Die Linke ihr Ergebnis weitgehend gehalten.
Und dieser Kurs ist immerhin auch einer, der eine Regierungsbeteiligung ermöglicht – im Gegensatz zu dem von Wagenknecht, wo keine Option erkennbar ist.
Eine meiner Teamleiterinnen, geboren in Kasachstan, sympathisiert sehr mit Wagenknecht. Als wir vor kurzem unsere politischen Tendenzen abklopften, überraschte mich das total. Sie entspricht von der Papierform her überhaupt nicht dem klassischen Anhänger der LINKEN, wo sie sich bisher verortet hat. Sie arbeitet neben ihrem sehr gut bezahlten Job selbständig als Buchhalterin, hat ein eigenes Haus, ist extrem leistungsorientiert, eher Einzelgängerin als gemeinschaftlich unterwegs. Ich hätte zur zu CDU oder FDP gesetzt.
Wie viele andere will sie nicht dauerhaft in diesem Land bleiben, ein Land, das extrem hoch besteuert, während gleichzeitig die öffentliche Infrastruktur verfällt, die Leistungen des Staates abnehmen und jeder in den Sozialstaat eingeladen wird. Ein solches Land kann das Leistungsversprechen, was die meisten jüngeren Menschen dieser Welt einfach erwarten, nicht erfüllen. Und deswegen genießen solche Länder auch nicht wirklich Sympathie.
Also schonmal keine Arbeiterin 🙂
Aber was würde sie denn dann von Sarah Wagenknecht / dem BSW erwarten, dass sie von der FDP nicht bekommt?
Hier sind wir ja wieder bei völlig anderen Milleus. Linke Politik a la AOC oder Corbyn kann es hier ja dann schon mal nicht sein.
Sie bringen da einiges durcheinander. Die AfD ist die Arbeiterpartei. Das ist ein wichtiges, aber kein besonders großes Spektrum.
Meine Mitarbeiterin ist wie viele Migranten aus Osteuropa ein Aufsteigerkind. Das war mal klassische SPD-Klientel, aber die Sozialdemokraten können seit vielen Jahren dieser Wählergruppe kein passendes Politikangebot machen. Auch ich komme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und einem sozialliberalen Elternhaus. Eigentlich klassisch SPD, doch die Partei hat mich verloren, kaum dass ich mein Studium beendet hatte.
Meine Mitarbeiterin steht als jemand, der in einer ehemaligen Sowjetrepublik geboren wurde, offensichtlich gemeinschaftlich-sozialistischen Werten nahe. Auch die Geschehnisse in Russland bewertet sie spürbar anders als ich als Westler. Was sie abstößt ist die vermeintliche Wokeness, der Gender-Kram und all das, womit heute „Linkssein“ assoziiert wird. Dann ist es aber nur folgerichtig, zu Wagenknecht und nicht zu Wissler zu tendieren.
Ich denke nicht, dass es passend ist, AOC und Corbyn da in einen Korb zu werfen. Der ehemalige Chef von Labour ist doch weit eher ein Altlinker, der mehr mit Mélenchon gemein hat.
Ich halte es für übertrieben, die AfD „die Arbeiterpartei“ zu nennen.
Das ist sie aufgrund der Wahlanalysen. Mit über 40 Prozent Zustimmung unter Arbeitern führt sie mit großem Abstand vor allen anderen Parteien.
Hatte nicht auf dem Radar, dass das so krass ist, danke. Dann hab ich nix gesagt.
„Auch die Geschehnisse in Russland bewertet sie spürbar anders als ich als Westler.“
Also eher pro-russisch? Das wäre interessant, denn sie scheint ja keine Russin sondern Kasachin zu sein. Da hätte ich dann eher erwartet, dass sie pro-ukrainisch ist, also auf der Seite der Minderheiten der Sowjetunion.
Nicht einfach pro-russisch, so einfach sind die Dinge nicht.
Vor einigen Monaten war sie mit ihrem Verlobten in Weißrussland, da sie Unterlagen für die Hochzeit benötigten. Mit einigem Bammel sind sie hingefahren. Wie sie mir später erzählte, würden im deutschen Fernsehen die Geschehnisse ganz anders berichtet als sie sie vor Ort erlebt hätten. Ein Problem könnten die mangelnden Sprachkenntnisse internationaler Journalisten sein.
Mir fehlen die Mittel, das zu bewerten. Also registriere ich es nur. Und ja, ohne die Greueltaten zu rechtfertigen, gibt man der Ukraine eine Mitschuld an dem Krieg. Meine russisch-stämmige Mitarbeiterin wiederum ist ein Stück über ihre Landsleute desillusioniert, die glauben, wenn sie hier nach Deutschland kämen, könnten sie problemlos ihre Kinder mit ukrainischen Kindern in eine Schule geben.
Manchmal ist es sinnvoll, nur zuzuhören und nicht zu bewerten.
Ich erinnere mich nicht, dass es bei Cap Anamur diese umgekehrte Reaktion gab (CDU pro, Linke anti). Das waren ja noch Flüchtlinge vor dem Kommunismus.
Aber gut, dass ihr daran erinnert. Die Boat People hatten sich ja auch „freiwillig“ in akute Lebensgefahr gebracht. Zwar waren es viel weniger als heute, aber das Argument „Nötigung zur Rettung“ ist ja unabhängig von der Zahl.
Ja. Ich les grad auch ein Buch zu dem Thema, da kommt dann im Dezember die Rezension. 🙂
„Das waren ja noch Flüchtlinge vor dem Kommunismus.“
Aber nicht nur. Ich erinnere mich noch gut,dass Mitte / Ende der 90er noch viele meiner muslimischen (u.a. türkischem und pakistanischem Hintergrund) Kumpels und deren Familien stramme CDUler waren. Sie meinten immer, sie verstehen, dass mir als Linker due CDU vielleicht nicht so gefällt, aber ihnen hätte die CDU halt immer sehr viel geholfen. Das kam immer so rüber, als hätten sie sowas wie „historische Schuld/Verantwortung“ gegenüber der CDU als dank für Migrations-/Integrationshilfe.
Verdrehte Welt.
Würde mich interessieren: Worin bestand diese Hilfe speziell von der CDU, die von anderen Parteien nicht kam?
CDU-geführte Bundesländer wie Niedersachsen erhöhten unilateral die Kontingente und übernahmen alle Kosten.
Viele Alltagsfragen. Hilfe einen Arbeitsplatz zu finden, Deutsch zu lernen, Einkäufe zu organisieeen, Kinder durch die Gegend zu fahren etc. Es war weniger die CDU als Partei (Gesetze, Regeln etc), als Mitglieder / das christlich-soziale Umfeld.
Es gab natürlich die AWO etc. Aber viele Väter kannten die (und vertrauten der) SPD vor allem aus den Betrieben / als Gewerkschafter, Betriebsräte, Vertrauensleute. Deswegen hatten sie dieses gemischte Gefühl, viele Arbeitskollegen waren eher Sozialdemokraten / links-lehnend. Sobald sie aber nach Hause kamen, spielte das CDU Umfeld die wichtigere Rolle und Frau/Mutter und Kinder hatten hier ihre Anschlüsse (und die Kinder waren ja diejenigen mit denen ich hauptsächlich zu tun hatte / in meinem Alter).
Danke.
In den 1970er und frühen 1980er Jahren war die CDU wesentlich flüchtlingsfreundlicher als SPD/FDP, weil sie es a) antikommunistisch benutzen konnten und b) die christlichen Strömungen stärker waren.
Den taz-Podcast habe ich ja oben schon verlinkt.
Zwei schöne Sätze aus einer Analyse von Michael Bittner:
„Sahra Wagenknecht ist inzwischen eine Art Dieter Nuhr der deutschen Politik: Durchschnittsbürgerverstand, der sich als Rebellentum geriert. (…) Sahra Wagenknechts Parteigründung beruht nicht auf der Idee, verschüttete linke Ideale wiederzubeleben, sondern auf dem Plan, alle linken Forderungen fallenzulassen, die derzeit bei der Mehrheit nicht populär sind.“
https://jungle.world/artikel/2023/44/buendnis-sahra-wagenknecht-populismus-fuer-den-status-quo
Bei AfD und Umfeld wird nun auf Attacke umgeschaltet:
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/wagenknecht-afd-100.html
Klaus Ernst wiederum versucht mit Sprüchen zu punkten, die genauso gut im CSU-FW-Koalitionsvertrag stehen könnten:
https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/parteien-wagenknecht-partei-nimmt-kurs-auf-bayern-id68381956.html