Christian Lindner hat alle Ministerien angewiesen, ihre Ausgaben zu kürzen um den Haushaltsplan zu erfüllen. Dem steht die Idee zugrunde, dass der Staat zu viel Geld ausgibt. Mit dem Familienminsterium bekam er aus unerwarteter Richtung Gegenwind. Wir diskutieren die politische Dimension der Kürzungen, gehen aber auch auf die philosophische Grundsatzfrage ein: wie viel soll der Staat eigentlich leisten? Was sind denn tatsächlich Spielräume? Haben wir uns übernommen?
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Shownotes:
Bundesfinanzminister Christian Lindner verteidigt den Haushaltsentwurf der Ampel-Koalition für 2024, der Ausgabenkürzungen vorsieht. Er betont, dass politische Differenzen nicht länger durch höhere Ausgaben überdeckt werden können. Der Konsolidierungskurs werde fortgesetzt, und es sei ein Ende des Krisenmodus expansiver Staatsfinanzen erreicht. Die Einigung auf den Haushalt 2024 sei ein Signal ökonomischer Klugheit und Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Der Kurs solle in den kommenden Jahren fortgesetzt werden, mit Fokus auf strukturelle Gegenfinanzierung. Der Bundeshaushalt 2024 sieht 30,6 Milliarden Euro weniger Ausgaben im Vergleich zum aktuellen Jahr vor. Trotzdem liegen die Gesamtausgaben 25 Prozent über dem Vorkrisenniveau von 2019. Lindner nennt Sicherheit, Bildung und Umwelttechnologie als Prioritäten. Die endgültige Verabschiedung des Etats erfolgt voraussichtlich Ende des Jahres. Die geplante Kürzung des Elterngelds für Besserverdienende stößt auf Kritik von der Unionsfraktion. (dpa, ZDF)
Der TV-Beitrag thematisiert die geplante Kürzung von Mitteln für Projekte gegen Hass und Extremismus in Deutschland. Georg Restle betont, dass Gleichgültigkeit die größte Gefahr für die Demokratie sei und die Zivilgesellschaft gestärkt werden müsse. HateAid, eine Hilfsorganisation für Hassopfer, wird vorgestellt. Tareq Alaows, der Hassnachrichten erhielt, wird von HateAid unterstützt. Das Bundesjustizministerium plant jedoch massive Kürzungen in Höhe von 1,2 Millionen Euro für HateAid und andere Projekte, um die Schuldenbremse einzuhalten. Betroffene und Experten kritisieren dies und warnen vor den Auswirkungen auf die Bekämpfung von Hass und Extremismus. Die Kürzungen betreffen auch politische Bildungsprojekte und die Bundeszentrale für politische Bildung. Trotz Koalitionsvereinbarungen zur Stärkung der Demokratieförderung und Bekämpfung von Hasskriminalität wird an den Kürzungen festgehalten. Betroffene hoffen auf eine Überdenkung der Entscheidung durch die Bundesregierung. (Herbert Kordes/Till Uebelacker/Laurie Stührenberg, ARD)
Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kritisiert die geplante Kürzung der Digitalisierungsmittel durch die Bundesregierung. Sie betont, dass dies ein Fehler sei und man am falschen Ende spare. Die geplanten Kürzungen betreffen vor allem Verwaltungsdienstleistungen, die gemäß dem Onlinezugangsgesetz (OZG) bereits bis Ende 2022 digitalisiert werden sollten. Auch das Projekt „Digitale Identitäten“, welches eine sichere Online-Identifikation ermöglichen soll, wird gekürzt. Schnitzer unterstreicht die Wichtigkeit der Digitalisierung und die Chance, die aktuelle Krise für eine Neuausrichtung zu nutzen, insbesondere in Bezug auf beschleunigte Verwaltungsprozesse und die Bewältigung des Fachkräftemangels. Sie erklärt, dass die Unterschiede in den wirtschaftlichen Werten der Industrieländer nicht so groß sind und die deutsche Wirtschaft aufgrund ihrer Struktur und hoher Energiepreise vor Herausforderungen steht. Andere Länder profitieren von Tourismusaktivitäten, die durch die Menschenbereitschaft zu reisen begünstigt werden. (AFP, Spiegel)
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) kritisiert den Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 scharf und bezeichnet ihn als „Haushalt der sozialen Kälte“. AWO-Präsident Michael Groß wirft dem Finanzminister vor, eine klientelpolitische Agenda zu verfolgen und auf Kosten des sozialen Friedens zu sparen. Die geplanten Kürzungen betreffen Gesundheit, Familie und Soziales – ausgerechnet Bereiche, die die Auswirkungen von Pandemie, Krieg und Inflation abfedern sollen. Die AWO betont, dass wichtige soziale Infrastrukturen wie Kindergärten, Schulen, Sozialarbeit und Pflegeeinrichtungen nicht zum Nulltarif angeboten werden können und mehr finanzielle Unterstützung benötigen. Der geplante Haushalt sieht auch vor, den Bundeszuschuss zur Pflegeversicherung komplett zu streichen. Die AWO fordert eine auskömmlich finanzierte Pflegevollversicherung und kritisiert das Festhalten der Bundesregierung an der „Schuldenbremse“. Der Verband schlägt vor, stattdessen über Maßnahmen wie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder die Besteuerung von Übergewinnen nachzudenken, anstatt bei den Sozialausgaben zu kürzen. (AWO)
Die geplante Kürzung von Artenhilfsprogrammen im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien durch Bundesumweltministerin Steffi Lemke stößt auf Kritik. Die Programme sollen die Auswirkungen der Energiewende auf bedrohte Tierarten mildern. Die Kürzungen, als Sparmaßnahme infolge von Vorgaben des Finanzministeriums, könnten jedoch das Überleben seltener Arten gefährden. Experten sehen die geplanten Budgetänderungen als unzureichend, um ökologische Schutzstandards aufrechtzuerhalten. Kritiker befürchten, dass die Energiewende ohne ausreichende Ausgleichsmaßnahmen negative Auswirkungen auf die Tierwelt haben wird. Die Kritik richtet sich sowohl an Lemke als auch an Bundesfinanzminister Christian Lindner, der Einsparungen von den grün geführten Ministerien verlangt. Die Situation könnte zu verstärkten Forderungen nach einem höheren Stellenwert des Naturschutzes innerhalb der Parteien führen. Auch innerhalb der SPD gibt es zunehmend Kritik an einer einseitigen Ausrichtung auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu Lasten des Naturschutzes. (Thomas Krumenacke, Spektrum)
Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand reagiert besorgt auf geplante drastische Kürzungen bei Prävention, Migrations- und Flüchtlingsberatung durch die Ampel-Koalition. Brand, der das Mehrgenerationenhaus Aschenberg unterstützt, sprach mit Bürgern, um die Auswirkungen zu verstehen. Er betonte die Bedeutung von Integration und Zusammenhalt und kritisierte die geplanten Kürzungen als gefährlich und kontraproduktiv. Das Mehrgenerationenhaus leistet vorbildliche Arbeit und bietet Angebote für verschiedene Altersgruppen an, einschließlich gegen Vereinsamung. Die geplanten Kürzungen im Bundesprogramm „Mehrgenerationenhaus. Miteinander – Füreinander“ und in der Migrationsberatung werden stark kritisiert. Brand bezeichnet die Kürzungen als unvernünftig und sieht darin eine Politik der Desintegration. Er verspricht, sich in Berlin für notwendige Bundesprogramme zur Förderung von Zusammenhalt und Integration einzusetzen. (Michael Brand, CDU)
Der Bonner Kinder- und Jugendförderplan, der Mittel für Jugendarbeit durch freie Träger wie Vereine, Kirchen und Sport vorsieht, sieht ursprünglich 1 Million Euro vor. Die grüne Stadtspitze hat jedoch nur 300.000 Euro genehmigt, weniger als ein Drittel. Nach einer hitzigen Debatte haben der Kinder- und Jugendring, freie Träger und die CDU einen Änderungsantrag eingebracht, der die volle Million empfiehlt. Die Verwaltung unterstützt diese Anpassung, aber die grün-linke Koalition, bestehend aus Grünen, SPD, Linken und Volt, plant nur 300.000 Euro in den regulären Haushaltsberatungen. Die Junge Union (JU) Bonn kritisiert diese Kürzung und betont, dass gerade in der Corona-Pandemie die Jugendlichen bereits zu kurz gekommen sind. Die JU fordert den Stadtrat auf, die volle Million für den Jugendplan zu genehmigen und Jugendarbeit sowie andere wichtige Bereiche angemessen zu fördern. (Junge Union Bonn)
Die Kolumne von Nikolaus Blome reflektiert die Elterngeldkürzung für Wohlhabende. Er begrüßt die Maßnahme, die Sozialleistungen einschränkt und sieht sie als richtig an. Er kritisiert die Opposition und betont, dass die Debatte hauptsächlich Wohlhabende betrifft. Blome hinterfragt das Bild von Kindern als finanzielle Belastung und fordert mehr Fokus auf Verzicht. Er betont, dass Kinder mehr bieten als Kosten und dass Elternschaft Opfer erfordert. Er schließt mit dem Gedanken, dass gutverdienende Paare, die Verzicht nicht akzeptieren können, vielleicht keine Kinder bekommen sollten. Blome unterstreicht, dass Kinder eine wertvolle Erfahrung sind, die Kompromisse erfordert. (Nikolaus Blome, Spiegel)
Der Artikel diskutiert die Strategie des deutschen Bundesfinanzministers Christian Lindner zur Bewältigung der Inflation. Der Wissenschaftler Hüther stimmt Lindner insofern zu, als dass Ausgaben für Renten und Sozialleistungen begrenzt werden sollten. Allerdings widerspricht er Lindner bei staatlichen Investitionen für Infrastruktur, Klimawandel und Digitalisierung. Hüther plädiert für höhere staatliche Investitionen, um Deutschland’s marode Infrastruktur und den Strukturwandel anzugehen. Er betont, dass diese Investitionen mit angemessenem Schuldenaufbau finanziert werden sollten. Hüther weist darauf hin, dass die traditionelle Sichtweise, staatliche Schulden führten zwangsläufig zu Inflation, überholt sei. Er argumentiert, dass die Regierung gleichzeitig ökonomische Hemmnisse lockern müsse. Hüther betont, dass eine Investitionsoffensive von einem Standortprogramm begleitet werden sollte, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Er lehnt die Idee ab, allein auf Zuwanderung zu setzen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Hüther sieht die Notwendigkeit staatlicher Investitionen, um die Herausforderungen des Strukturwandels anzugehen. Hüther schlägt vor, einen eigenen Fonds für staatliche Investitionen zu schaffen und diesen rechtlich abzugrenzen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Er argumentiert, dass dies im Interesse der nächsten Generation liege und dass die Verantwortung für den Klimawandel gerecht verteilt werden sollte. Abschließend betont Hüther, dass Deutschland durch gezielte Investitionen und Strukturreformen seine wirtschaftliche Stärke wiedererlangen könne und dass dies im Interesse Europas liege.
Der Bezirk Neukölln in Berlin plant drastische Einsparungen aufgrund eines erwarteten finanziellen Defizits von 22,8 Millionen Euro pro Jahr im kommenden Doppelhaushalt. Um diesen Mangel auszugleichen, sollen verschiedene Projekte gestrichen werden. Zu den geplanten Einsparungen gehören der Wegfall des Wachschutzes an zwölf Schulen, die Einstellung der Tagesreinigung in Bildungseinrichtungen, die Schließung von Jugendfreizeit- und Familieneinrichtungen, die Halbierung der Müllentsorgung in Grünanlagen, das Schließen von Wasserspielplätzen, das Nicht-Erneuern kaputter Spielgeräte auf Spielplätzen und die Abschaffung des beliebten Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkts. Die Kürzungen würden vor allem Angebote betreffen, die direkt in die Kieze (Stadtteile) hineinwirken und sich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausrichten. Obdachlosenhilfe und aufsuchende Suchthilfe würden ebenfalls reduziert. Die Bezirksbürgermeisterin Martin Hikel (SPD) warnte vor den Auswirkungen der geplanten Kürzungen auf die soziale Infrastruktur in Neukölln und betonte, dass die Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung ohne ausreichende finanzielle Unterstützung nicht bewältigt werden könnten. Die Bezirke in Berlin hatten bereits zuvor einen Brandbrief geschrieben, in dem sie eine bessere finanzielle Ausstattung forderten. Sie kritisierten, dass der Senat bei der Aufstellung des Doppelhaushalts die Inflation und steigende Mindestlöhne nicht angemessen berücksichtigt habe. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat Gesprächsbereitschaft signalisiert, und die Koalitionsfraktionen von CDU und SPD drängen darauf, die Bezirke besser zu finanzieren. Der Senat plant, den Haushalt für 2024 und 2025 bis Mitte Juli zu beschließen. (Jessica Hanack/Dominik Bardow, Berliner Morgenpost)
Der Artikel behandelt die Verzögerungen bei den geplanten Superabschreibungen für Unternehmen in Deutschland. Ursprünglich hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter einzuführen. Allerdings gibt es nun Überlegungen im Bundesfinanzministerium, das Vorhaben zu verzögern. Finanzminister Christian Lindner sieht sich nicht an einen festen Zeitplan gebunden und möchte den besten makroökonomischen Zeitpunkt abwarten. Die anhaltenden Probleme bei den Lieferketten und die Schwierigkeiten vieler Unternehmen, Vorprodukte zu erhalten, könnten laut Ökonomen die Wirksamkeit zusätzlicher Investitionsanreize beeinträchtigen. Ifo-Präsident Clemens Fuest betont, dass Investitionsanreize geringere Wirkung entfalten, wenn Unternehmen aufgrund von Lieferengpässen nicht in der Lage sind, zu investieren. Die Komplexität des Vorhabens und die Frage, wie stark Unternehmen von den Superabschreibungen profitieren sollen, werden ebenfalls als Gründe für mögliche Verzögerungen genannt. Die Definition von Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Die Wirtschaft drängt auf die schnelle Einführung der Superabschreibungen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert sogar eine Ausweitung der geplanten Maßnahmen auf mindestens fünf Jahre, um eine langfristige Wirkung zu erzielen. Die geplanten Superabschreibungen sollten ursprünglich die unterschiedlichen Positionen der Koalitionspartner in Bezug auf Steuerpolitik vereinen. Die Verzögerungen deuten jedoch darauf hin, dass die Umsetzung des Vorhabens komplexer ist als erwartet und die Begeisterung der Ampelparteien abgenommen hat. (Martin Greive/Jan Hildebrandt, Handelsblatt)
Ich verzweifle zunehmend an Deinem Demokratieverständnis.
Fangen wir mit einer Kleinigkeit an: Die Benennung des “Inflation Reduction Act”. Du verneigst Dich in Bewunderung vor dem politischen Trick ein Gesetz mit dem expliziten Ziel der Wählertäuschung irreführend benannt zu haben, so dass dem uninformierten Bürger ein ansonsten unpopuläres Konstrukt schmackhaft gemacht wird, weil er es falsch versteht? Und das soll demokratisch sein?
Ist es nicht die Aufgabe von Politik Ziele zu erklären? Um Strategien und Wege nach vorne zu werben und zu streiten? Ist es nicht die Aufgabe der Politik den Wähler mitzunehmen? Ehrlich zu sein?
Und dann ziehst Du erneut Deinen Hut in Bewunderung. Diesmal vor Christian Lindner. Wegen der brillanten Idee allen Ressorts den gleichen pauschalen Sparprozentsatz aufzuerlegen? Echt jetzt? Das soll Politik im Sinne des Landes sein? Sind echt alle Ausgaben gleich wichtig? Sollte man von erwachsenen, rationalen Menschen wie Scholz, Lindner, Habeck und Baerbock, denen unser Land doch hoffentlich am Herzen liegt, nicht erwarten dürfen, dass die sich in einem Raum einsperren, den zu kürzenden Betrag festlegen und dann PRIORITÄTEN setzen? Geschenkt dass diese Prioritäten nicht notwendigerweise von jedem Bürger und jedem Wähler geteilt werden. Geschenkt dass man sich unbeliebt macht, wenn man jemandem etwas wegnimmt. Aber in jedem Unternehmen, in dem es zu Budgetkürzungen kommt, wird von den Führungskräften erwartet, dass sie das verkleinerte Budget so sinnvoll wie möglich entlang des Unternehmensinteresses einsetzen und nicht, dass sie es so einsetzen, damit möglichst viele Angestellte möglichst viele Pet-Projekte weitertreiben können und persönlich happy sind. Es ist ermüdend zu sehen, dass wir scheinbar schon wieder von Politikern nicht erwarten dürfen, was wir an anderer Stelle von jedem Supermarktleiter, von jedem mittleren Beamten, von jedem Restaurantbesitzer, von jedem kleinen Chef völlig zurecht erwarten.
Wenn in der Politik in allen Ressorts ein gleichmäßiger Cut durchgeführt wird, heißt das schlicht, dass man sich in den Ministerien auf nichts sinnvolleres verständigen konnte. Es heißt, dass die Kommunikation in der Führung versagt hat. Es heißt, dass niemand in der Leitung die Autorität und den Mut hatte, eine bessere Lösung zu finden. Es heißt, dass die Politiker verweigert haben ihren Job zu tun. Und so hat man sich – sehenden Auges Schaden für das Land, das einem anvertraut worden ist, in Kauf nehmend – für die feigstmögliche Default-Lösung – den Weg des geringsten Widerstands – entschieden. Eigentlich müssten sich Scholz und Lindner und Habeck und Baerbock in Grund und Boden schämen hier keine sachlich fundierte Lösung gefunden zu haben. Wieso Du auch noch den Hut vor diesem Totalversagen ziehst, ist mir schleierhaft.
Ich verstehe deine Verzweiflung, aber da haben wir echt unterschiedliche Ansätze.
Was Lindner angeht: ich sage explizit „unter seinen Prämissen“. Er ist überzeugt, dass seine politik die beste für das land ist. die überzeugung nehme ich ihm auch ab, und in es ist nur sinnvoll, dass er diese überzeugung umzusetzen versucht. ich halte sie für falsch, aber das macht lindner nicht zu einem bösewicht, sondern zu jemand, der falsch liegt. Sie setzen ja prioritäten. nur überlässt lindner dieses setzen den ministerien, das ist clever. das machen leute in den von dir genannten institutionen nicht anders.
Ja klar, im vakuum wäre eine „sachlich orientierte“ lösung besser. nur: es gibt den konsens nicht, weil alle andere überzeugungen haben. siehe prämissen.
Du missverstehst meine Kritik. Ich habe mit Lindner zwar einen Dissens bezüglich der Notwendigkeit von Ausgabenkürzungen insgesamt – ich glaube, wir brauchen, im Gegenteil, mehr Investitionen – aber ich teile seine Ansicht, dass wir in manchen Bereichen mehr sparen müssen, um in anderen Bereichen mehr investieren zu können. Und selbst wenn Lindner überhaupt nicht investieren wollen würde, sondern nur kürzen, dann müsste eine Koalitionsregierung auch dann Rücksicht auf alle Partner – inklusive Christian Lindner – nehmen. In einer Koalitionsregierung müssen sich alle Partner wiederfinden. Wenn Lindner im Wahlkampf versprochen hat Ausgaben zu senken und SPD und Grüne trotzdem in eine Regierung mit ihm eingetreten sind, dann müssen sie ihm jetzt auch irgendwo entgegenkommen. Wie weit und auf welchen Feldern aber ist in der Koalition zu beschließen. Wie gesagt – in jedem kleinen Unternehmen setzen sich im Fall von Budgetkürzungen die Stakeholder zusammen und baldowern aus, wo der Rotstift den Interessen des Unternehmens am wenigsten schadet. Dabei haben alle Stakeholder ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Pet-Projekte, ihre eigenen Karriereträume. Das ist aber egal, denn am Ende zählt nur, dass das gemacht wird, was dem Unternehmen maximal nutzt. Von erwachsenen Führungskräften kann man und muss man erwarten, dass sie eigene Interessen hintan stellen. Wenn sie das nicht können, sind sie im falschen Job. Und das versteht auch jeder. Nur bei Politikern machen wir erneut eine Ausnahme. Dass die sich nicht einigen können und dann zum Schaden des Landes eine inadequate Lösung wählen, ist irgendwie total normal. Ist halt so. Lässt sich nicht ändern. Von Politikern darf man scheinbar ein Reifeniveau oberhalb des Kindergartens nicht erwarten. Und das ist einfach ein Punkt, bei ich mich weigere das zu akzeptieren.
Ich verstehe nicht wirklich, wo der Dissens liegen soll. Ich glaube, wir framen einfach nur dieselbe Dynamik und denselben Effekt anders. Denn am ende wird ja ein kompromiss stehen.
Der Dissens liegt dort, wo Du scheinbar Bewunderung aufbringst für politisches Täuschen, Lügen, Wegducken, Lavieren, listiges Hintergehen. Du siehst den politischen Erfolg, den das bringt und rechnest von dort zurück. Wer gewählt wurde, hat als Politiker offensichtlich alles richtig gemacht. Wir hatten dieselbe Debatte schon zur Scholz-Wahl 2021 – wo Du hin und weg warst, was für eine großartige Strategie der Mann gefahren hat, indem er einfach nirgends in Erscheinung trat, nichts sagte und sich im richtigen Moment passiv von der Stimmungslage hochtreiben ließ.
Dieser Logik folgend, die anstatt entlang von moralischen Werten immer vom nur vom Erfolg her rückwärts bewertet und bei der der Zweck per Definition die Mittel heiligt, müsstest Du eigentlich auch dem Bankräuber, dem Enkelbetrüger, dem nigerianischen Prinzen huldigen – die ja alle, sofern sie nicht erwischt werden – wirtschaftlich wesentlich erfolgreicher sind als der Durchschnittsbürger.
Politisch müsstest Du Donald Trump bewundern. Trump ist es gelungen, eine zugegebenermaßen bereits labile Demokratie fast vollends zu zerstören, indem er mit einer gezielten Flut von Lügen ohne jede Präzedenz das Vertrauen der Bürger in das System regelrecht vernichtet hat, während seine Dauerskandale die Bevölkerung in einem Maße desensibilisierten, dass er völlig offen im Tageslicht ohne Scham Korruption in unvorstellbarem Ausmaß begehen konnte, ohne dafür sanktioniert zu werden. Die Zerstörung von Vertrauen und Zersetzung der amerikanischen Gesellschaft waren so vollständig, der von ihm erzeugte Strudel, in dem er seine Mitbürger in den moralischen Abgrund gerissen hat war so mächtig, dass er sich auf diese Art und Weise zur praktisch unumstrittenen Nummer 1 der Republikaner gemacht hat. Was für ein enormer politischer Erfolg, könnte man in bewundernder Ekstase rufen … … … wenn man nicht einen moralischen Kompass hätte, der einem sagt, dass Erfolg nur bewundernswert ist, wenn er mit anständigen Mitteln und nicht zum Schaden der Gesellschaft erzielt wurde.
Ich wünsche mir von Politikern Ehrlichkeit. Redlichkeit. Anständigkeit. Fairness. Kompromissbereitschaft. Ein echtes Interesse das Land weiterzubringen. Ein echtes Interesse mit dem politischen Gegner über den besten Weg nach vorne zu streiten. Ich verliere zehnmal lieber eine ehrliche Wahl, als eine Wahl unehrlich zu gewinnen.
Und da liegt unser Dissens. Du scheinst in erster Linie nach Politikern zu suchen, die Wahlen gewinnen – Mittel/Zweck egal.
Ich wünsche mir von Politikern Ehrlichkeit. Redlichkeit. Anständigkeit. Fairness. Kompromissbereitschaft.
Ich glaube Ihnen sogar, nur ist genau das Ihr Problem. Sie sind damit nämlich in der Realität Angehöriger einer kleinen Minderheit – die grosse Mehrheit wünscht sich das nämlich bestenfalls theoretisch (Menschen sind gut beim Selbstbetrug), die Medien als Vermittler eher gar nicht.
Unabhängig davon sind Ihre Vergleiche grob unanständig!
Man kann Lindners Strategie sehr wohl anerkennen, ohne gleich unter den Holzhammer des Trump-Vergleiches zu geraten. Denn diese Strategie spielt sich im Möglichkeitsraum des nicht Unanständigen ab – und IN diesem Möglichkeitsraum sind Wählerstimmen nun einmal die Währung einer Demokratie. Ich halte deswegen Ihr Bekenntnis, Sie wollten lieber Wahlen ehrlich, anständig und redlich zehnmal verlieren, als anders einmal zu gewinnen, für eine politische Bankrotterklärung. Ungefähr auf dem Niveau, von der grossen Mehrheit zu verlangen, sie solle ausschliesslich nach den Masstäben der Bergpredigt leben.
Gruss,
Thorstenb Haupts
Es sind eigentlich gerade die Parteien auf der konservativen Seite des Parteienspektrums, die das “C” stolz im Namen tragen und die mit Nachdruck zu betonen pflegen, dass das christliche Abendland von den Werten der Bergpredigt durchdrungen ist.
Dass die Mehrheit der Bürger betrogen und belogen werden will, halte ich übrigens für ein großes Gerücht. Die Abwendung zuerst von den Politikern, dann von der Demokratie, die unserer Gesellschaft zunehmend den Boden unter den Füßen wegzieht, hat genau mit diesem Vertrauensverlust sehr viel zu tun. In den USA ergab eine Umfrage kürzlich, dass Genitalherpes beliebter ist als der Kongress. Die Bürger sind vielmehr Spielball und Opfer politischen Leichtmatrosentums kombiniert mit toxischen Skandalmedien geworden. Die Menschen wenden sich schlicht ab, haben die Nase voll. Die einen ziehen sich still zurück. Die anderen wählen Nazis. Die dritten unterstützen Satire-Parteien oder machen stolz ihren Stimmzettel ungültig und gehen mit Wut im Bauch nach Hause. Sachlichkeit und Inhalte sind überhaupt nicht mehr im Angebot.
Was Lindner angeht – den stelle ich nicht auf eine Stufe mit Trump. Das ist wohl falsch rübergekommen. Und seine pauschale Kürzung ohne jede Prioritätensetzung ist sicher nicht nur sein persönliches Versagen, sondern ein Versagen der gesamten Regierung. Eigentlich müsste allerspätestens der Kanzler auf den Tisch gehauen und eine offensichtlich unsinnige, dem Land schadende Entscheidung gestoppt haben. Eigentlich hätte es nie soweit kommen dürfen. Eigentlich hätten sich die Koalitionäre zusammensetzen müssen, wie erwachsene Menschen, und einen Kompromiss finden müssen. Aber der Weg des geringsten Widerstands ist halt einfacher. Dass es letztlich allen schadet, ist offensichtlich egal. Schulterzucken. Bitte gehen Sie weiter – hier gibt es nichts zu sehen …
dass das christliche Abendland von den Werten der Bergpredigt durchdrungen ist.
Für diese Debatte völlig irrelevant – ich vertrete keine konservative Partei. Darüberhinaus auch noch sachlich falsch – ich erinnere mich an keinen Politiker, der in den letzten 20 Jahren öffentlich mit der Bergpredigt argumentiert hätte.
Dass die Mehrheit der Bürger betrogen und belogen werden will, halte ich übrigens für ein großes Gerücht.
Wäre das anders, bräuchten wir die Debatte überhaupt nicht zu führen! Denn dann hätten Anständigkeit, Aufrichtigkeit und saubere Argumentation sooo grosse Vorteile bei den Wählern, dass die Masse der Politiker sich dementsprechend verhalten würde. Sie werden sehr offensichtlich durch die Realität widerlegt.
Eigentlich hätten sich die Koalitionäre zusammensetzen müssen, wie erwachsene Menschen, und einen Kompromiss finden müssen.
Das ein Scherz? In den Koalitionsverhandlungen hätte man also, auf der Grundlage von Einnahmenschätzungen, Posten für Posten des Bundeshaushaltes durchgehen und dort festlegen müssen, was man auf die Million genau bei welchem Haushaltsposten ausgibt? Nicht wirklich, oder?
Aber der Weg des geringsten Widerstands ist halt einfacher.
Den gehen praktisch alle Menschen täglich. Die extrem wenigen, die das konsequent nicht tun, repräsentieren nicht einmal ein Tausendstel der Menschheit. Freut mich für Sie, dass Sie trotzdem dazugehören – Sie müssen eine interessante Ausnahmepersönlichkeit sein.
Und nur um das klarzustellen – in einer Demokratie sind Erwartungen an Politiker, die ich nicht auch täglich an meine Mitmenschen habe und stelle, zwangsläufig wahlweise naiv oder bösartig.
Gruss,
Thorsten Haupts
ich erinnere mich an keinen Politiker, der in den letzten 20 Jahren öffentlich mit der Bergpredigt argumentiert hätte
Um nur ein Beispiel zu nennen: Armin Laschet, der Vorsitzende und Kanzlerkandidat der CDU argumentierte im Bundestagswahlkampf für die Bergpredigt als politischen Kompass und Richtschnur:
https://domradio.de/artikel/richtschnur-fuer-friedliches-zusammenleben-laschet-bergpredigt-jesu-als-kompass-fuer
Wäre das anders, bräuchten wir die Debatte überhaupt nicht zu führen! Denn dann hätten Anständigkeit, Aufrichtigkeit und saubere Argumentation sooo grosse Vorteile bei den Wählern, dass die Masse der Politiker sich dementsprechend verhalten würde.
Nein. Unsere Einschätzungen von Politikerverhalten werden von der Präsentation in den Medien bestimmt. Ehrlichkeit und Anständigkeit zahlt sich schlicht deshalb nicht aus, weil der, der ehrlich und anständig ist, von den Medien vernichtet wird. Würde die Regierung etwa völlig hypothetischerweise ehrlich sein und argumentieren, dass bei einem begrenzten Budget die Abwägung zwischen Investitionen in den Klimaschutz und der Einführung der Kindergrundsicherung ergeben hat, dass man den Klimaschutz priorisieren möchte, dann würde das erwartbar zu Überschriften wie “Regierung will Kinder nicht fördern” und zahllosen Wut-Talkshows führen. Soziale Medien würden mit Hassposts und Memes überflutet. Eine sachliche Debatte würde es nicht geben, weil Sachlichkeit und positive Berichterstattung keine Einschaltquoten generiert. Das Ergebnis wäre massiver Gegenwind und die Bestrafung des Ehrlichen. Der Lügner gewinnt am Ende halt, weil er erst den Vorteil einsteckt, den er durch die Lüge gewinnt, und dann in unserem zynischen Mediensystem weder zur Rechenschaft gezogen noch sanktioniert wird. Es es unsere Entscheidung, dass wir an diesem Mediensystem nichts ändern wollen.
Das ein Scherz? In den Koalitionsverhandlungen hätte man also, auf der Grundlage von Einnahmenschätzungen, Posten für Posten des Bundeshaushaltes durchgehen und dort festlegen müssen, was man auf die Million genau bei welchem Haushaltsposten ausgibt? Nicht wirklich, oder?
Nein, kein Scherz. Dass Lindner und die FDP Steuern senken und Staatsausgaben begrenzen wollen, ist keine Überraschung. Wenn darüber (und wo diese Einsparungen eventuell gemacht werden könnten) in den Koalitionsverhandlungen überhaupt nicht gesprochen worden sein sollte – was grotesk unrealistisch ist – wäre das grob fahrlässig gewesen. Aber auch dann sollte es erlaubt sein, denselben Maßstab anzulegen, den man in jedem kleinen Unternehmen, ja sogar in jedem Familienhaushalt, zurecht anlegen würde. Unerwartete Budgetverkleinerungen sind nämlich alltäglich im wirtschaftlichen Leben (ist Dir schonmal das Auto überraschend kaputt gegangen?). Was dann folgt, ist dass die Stakeholder sich zusammensetzen und eine Lösung finden. Diese Lösung ist meist ein Kompromiss, der sicherstellt, dass Funding für Prioritäten weiterhin zur Verfügung steht, während weniger Wichtiges erstmal hintangestellt wird. Darüber was “weniger wichtig” ist, wird möglicherweise gestritten und verhandelt. So machen das erwachsene Leute. Wieso Politiker das nicht so machen können, musst Du erst noch begründen.
Unsere Einschätzungen von Politikerverhalten werden von der Präsentation in den Medien bestimmt.
Sie widersprechen sich zunehmend selbst. Bis Anfang der 2000er gab es keine sozialen Internet-Medien und die deutsche Informations- und Meinungslandschaft wurde vom ÖRR – den Sie in diesem Blog selbst für seriös erklärten – und den wenigen meinungsbildenden „Qualitäts“printmedien (ZEIT, SPIEGEL, FR, FASZ, SZ, WELT) bestimmt. Einziger Ausreisser mit politischer Bedeutung zu der Zeit war die BILD-Zeitung.
D.h., bis Anfang der 2000er müssten sich die anständigen, seriösen und aufrichtigen Politiker auf breiter Front durchgesetzt haben, ergo würden sie auch heute noch die grosse Mehrheit stellen.
… in den Koalitionsverhandlungen überhaupt nicht gesprochen worden sein sollte …
Zwischen überhaupt nicht besprochen und im Detail besprochen liegt ein Ozean von Möglichkeiten. Und zwischen den max. 50 Ausgabevarianten eine Privathaushaltes und der mehr als 1.000 des Bundeshaushaltes liegen mehrjährige Detailverhandlungen. Ihre Forderung ist (wie Ihr Vergleich mit Privathaushalten) einfach populistischer Unfug.
Gruss,
Thorsten Haupts
D.h., bis Anfang der 2000er müssten sich die anständigen, seriösen und aufrichtigen Politiker auf breiter Front durchgesetzt haben, ergo würden sie auch heute noch die grosse Mehrheit stellen.
Wenn Du noch 10-15 weitere Jahre zurückgehst, also Ende der 80er Jahre, bevor das private Fernsehen völlig die Maßstäbe verschob, war das auch so. Politiker waren damals nicht so aalglatt wie heute, hatten noch Meinungen und vertraten die auch wesentlich ehrlicher als heute. Medien waren damals viel stärker an Information interessiert, als daran “Politiker zu grillen” oder Skandale hochzujazzen. Politiker waren damals auch viel, viel geachteter als heute. Die Reputation des Bundestags, der Länderparlamente und der Demokratie in Deutschland war ungleich höher. Das Vertrauen in die Institutionen völlig unvergleichbar mit heute.
zwischen den max. 50 Ausgabevarianten eine Privathaushaltes und der mehr als 1.000 des Bundeshaushaltes liegen mehrjährige Detailverhandlungen.
Na komm, die gesamte Legislaturperiode beträgt nur vier Jahre. Da kann schlecht jede finanzielle Entscheidung mehrjährige Detailverhandlungen benötigen. Ansonsten würde, außer im vierten Jahr, nie irgendwas entschieden. Tatsächlich ist natürlich das Gegenteil der Fall. Die meisten Kernentscheidungen werden so früh wie möglich angestoßen. Und im vierten Jahr wird nichts wesentliches mehr bewegt, weil alle wieder im Wahlkampf sind …
Über die Kernforderungen der Koalitionäre wird übrigens als erstes bereits in den Sondierungsgesprächen gesprochen. Welche Projekte den Partnern besonders wichtig – und damit nicht verhandelbar – sind, ist somit von Anfang an klar (dafür braucht man natürlich nicht die Sondierungsgespräche. Diese Infos kann man auch aus der Presse bekommen oder wenn man einfach mal in der Bundestagskantine miteinander spricht. In den Sondierungsgesprächen lotet man die Kompatibilität der wechselseitigen Pläne aus). Wenn sich die Schlüsselanliegen der Verhandlungsdelegationen fundamental widersprechen, dann gibt es keine Koalition.
Und Du verbeißt Dich zu sehr in den Vergleich mit den Privathaushalten. Auch in Unternehmen sind Budgetveränderungen völlig normal. Und auch dort wird von den Stakeholdern erwartet, dass sie sich aufführen wie erwachsene Menschen. Dass sie sich auf Kompromisse einigen, die im strategischen Gesamtinteresse des Unternehmens liegen. Wenn ich bei mir im Betrieb als Reaktion auf eine Budgetkürzung vorschlagen würde, dass das Funding jedes laufenden Projektes ohne jede Priorisierung gleichmäßig um denselben Prozentsatz zusammengestrichen wird, würde ich Gelächter ernten. Weil die Kollegen das für Satire halten würden. Nur in der Politik zucken wir bei solchen Eulenspiegeleien mit den Schultern und tun so, als ginge es nicht anders.
ich denke, deine rosige sicht auf die 80er ist von nostalgie gefärbt. die politiker waren damals wesentlich korrupter als heute, und ehrlicher waren sie auch nicht. diese „starken meinungen“ sind auch eher aus der rückschau und einige wenige charaktere.
Wenn Du noch 10-15 weitere Jahre zurückgehst, also Ende der 80er Jahre, bevor das private Fernsehen völlig die Maßstäbe verschob, war das auch so. Politiker waren damals nicht so aalglatt wie heute, hatten noch Meinungen und vertraten die auch wesentlich ehrlicher als heute.
Das war meine politisch aktivste Phase im Bundesvorstand eines deutschen Studentenverbandes. Und sorry – ich teile diese Erinnerung absolut nicht.
Politiker waren – wie die meisten Menschen damals – in ihrer Sprache direkter und rauer sowie konfliktbereiter, aber das hatte absolut nichts mit den Medien, sondern mit Erziehung und Schule zu tun.
Dass Politiker das heute weniger sind, liegt absolut im Zeitgeist. Ich durfte mir vor einem Jahr von meinem Management anhören, ich mache Leuten „Angst“, ohne dass ich deren Chef, geschweige denn, disziplinarischer Chef bin. Warum? Ich greife Leute nie direkt und persönlich an, aber ich argumentiere praxisferne Prozesse, ausbleibende Entscheidungen oder überbürokratisierte Verfahren mit wenigen Worten in Grund und Boden. Reicht offenbar, weil fast alle Jüngeren (+/- unter 45) das nicht mehr gewohnt sind und als persönlichen Angriff missverstehen. Es ist der Zeitgeist, nicht weitreichende Veränderungen in Medien oder Character, die Politiker heute stärker als damals zu Eunphemismen und Ausweichmanövern treibt, ihre Wählerschaft WILL das zunehmend so.
An den Funktionsbedingungen von Politik hat sich ansonsten erstaunlich wenig geändert, Politiker der achtziger könnten heute noch genauso erfolgreich/los sein, wie heutige Politiker in die achtziger zurückversetzt. Wenig Lernaufwand in beiden Fällen.
Die TV-Privatmedien (RTL und SAT 1) haben an der deutschen Medienlandschaft in der Politik praktisch nichts geändert. Ihr gesellschaftlicher Einfluss bestand „nur“ darin, Unterschichtkultur zum Mainstream zu machen – und selbst das nicht überall (Tattoos oder Piercings sind noch heute ein fast sicherer Klassenmarker, in der Ober- und oberen Mittelschicht praktisch nichtexistent).
Nee, ich kaufe die gesamte Geschichte von der angeblich drastischen Veränderung der Politik durch ausgerechnet SAT 1 und RTL nicht, da haben Sie sich in eine eigene Illusion verrannt, gestützt durch die menschenüblich verklärte Erinnerung an die guten alten Zeiten.
Gruss,
Thorsten Haupts
ja, ich sehe diesen einfluss der privaten auch nicht, schon allein, weil sie in deutschland super unpolitisch sind. dazu mehr in einem künftigen vermischten (ich glaube dem vom 5.9., ich habe…ein wenig vorgearbeitet).
Dass sich der Zeitgeist verändert hat, ist richtig. Aber den fragilen Schneeflocken, die keine Kritik mehr vertragen und für die man überall Safe Spaces und Trigger Warnings einrichten muss, steht im Internet und den neuen Medien eine völlig neue, toxische Streitkultur gegenüber, die in der Geschichte der BRD ohne Präzedenz ist. Zugegebenermaßen gab es auch früher das Paradies nicht. Das behauptet auch niemand. Als Reaktion auf den ersten Schwulenkuss im Fernsehen in der Lindenstraße bekam die ARD z.B. zahllose Morddrohungen und die Schauspieler wurden auf der Straße attackiert und angespuckt. Keine Sternstunde des liberalen Deutschland und des Rechtsstaats. Aber solche Ausbrüche waren damals selten, lokal und meist schnell begrenzt. Heutzutage leben ganze Branchen von diesem Hass. Studien zeigen, dass sich Genozide mit tausenden Toten in manchen Weltgegenden direkt auf Facebook und Co zurückführen lassen. In den USA sind 40-50 Prozent der Bürger der Verschwörungstheorie eines gestohlenen Trump-Sieges anheim gefallen. Die Demokratie als gesellschaftliches System steht mit dem Rücken zur Wand. In Großbritannien wurde mit dreisten Lügen und – wie man heute weiß mit aktiver Mithilfe russischer Trollfarmen – eine Mehrheit der Bürger zum Brexit verführt. Die Situation ist einfach völlig außer Kontrolle, die Welt aus den Fugen geraten. Es geht nicht mehr um einzelne Spinner oder Gefâhrder, sondern um den breiten Verlust von Wissen, Information und Einschätzungsvermögen. Und da hat das Internet vollendet, was das private Fernsehen in den 90ern begonnen hat. Das private Fernsehen hat damals mitnichten nur die Unterschicht angesprochen. Der Talk-Trash lief in jedem Wohnzimmer. Formate, wie das Dschungelcamp werden auf Spiegel Online etwa Folge für Folge mit Artikeln begleitet – ein Zeichen, dass die Nachfrage bis tief in bürgerliche Schichten hineinreicht. Das verwundert auch nicht. Je tiefer das Niveau, desto größer ist gewöhnlich die Zuschauerzahl. Im alten Rom sind die Menschen zu Tausenden ins Kolosseum gestürmt um zuzusehen, wie Menschen von wilden Tieren zerrissen werden. Im Mittelalter waren öffentliche Hinrichtungen Massenereignisse, bei denen die Menschen vor Freude johlten, wenn ein Opfer vor aller Augen zu Tode gefoltert wurde. Ein Erfolg unserer Zivilisation war mal, dass wir das hinter uns gelassen haben. Als ich in den 90ern “Running Man” las, hielt ich den Roman noch für eine lächerliche Übertreibung. Heute ist er fast realistisch. Verlust von Moral, Anstand und Humanismus kommt zu einem hohen Preis.
… eine völlig neue, toxische Streitkultur gegenüber …
War hiuer überhaupt nicht das Thema, da Indernet und neue soziale Medien. Wir sprachen über die Veränderungen von den achtzigern – in denen Sie Politikern bescheinigten, ethisch/moralisch deutlich besser zu sein, als heute – bis in die späten 2000er.
Ihr Argument war, dass die Medien den Unterschied hervorriefen, mein Gegenargument, dass SAT 1 und RTL politisch kaum messbare Spuren hinterliessen. Also bleibt die angebliche Veränderung bei den Politikern ein Mysterium, weil sich ihre Medienlandschaft bis ca. 2010 nicht drastisch änderte.
Im alten Rom sind die Menschen zu Tausenden ins Kolosseum …
Ist ja okay. Die uralte Platon´sche Demokratieverachtung in aufgehübschten Kleidern. Meine Lösung des Problems kennen Sie – zurück zum Renaissance-Feudalismus mit einer zum Regieren geborenen und ausgebildeten Oberschicht, in der Volkes Stimme völlig irrelevant ist 🙂 . Ordentliche Erziehung könnte auch helfen, aber der Zug ist unter ausschliesslich linken Angriffen bereits in den achtzigern abgefahren.
Gruss,
Thorsten Haupts
rofl ja klar
Einspruch: Die Erwartungen sind abhängig von der Rolle bzw. Funktion des betreffenden Mitmenschen.
Nur mal als Beispiel: Von einem Arzt darf ich bei seiner Berufsausübung mehr erwarten als von jemand, dessen Fehler weniger Schaden und Leid anrichten. Oder einem Richter. Oder auch nur einem Fahrdienstleiter. Das spiegelt sich auch in den Kriterien der Gerichte.
jepp, so sehe ich das auch.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Ralf ist nicht allein. Es sind nicht nur einzelene Bürger, die solche Politiker achten. Bei einem knappen Wahlausgang kann das schon mal eine Rolle spielen.
Lügen. Täuschen. Wegducken.
Machiavelli hat zu den Werkzeugen funktionierender repräsentativer Demokratien eine Menge beigetragen. Ob uns das gefällt oder nicht. Lügen, Täuschen und Wegducken gehört zum politischen Geschäft.
Selbst als Programmierer können das in bestimmten Situationen geeignete Handlungsoptionen sein. Ich habe in meinem Leben zu lange gebraucht, das zu begreifen und ich habe keinen Grund, darauf stolz zu sein.
„Machiavelli hat zu den Werkzeugen funktionierender repräsentativer Demokratien eine Menge beigetragen.“
Hier ein aktuelles:
„Wo also große Gleichheit herrscht oder hergestellt ist, gründe man eine Republik, wo hingegen große Ungleichheit herrscht, errichte man eine Monarchie, sonst schafft man etwas, das ohne Verhältnis und von kurzer Dauer ist.“ (Vom Staat, Kap 55)
nimm mal den ira. ich hab etwas schnippisch im podcast gesagt, dass das eine art täuschung wäre. aber da sind natürlich sachen drin, die die inflation drücken, nur halt nicht NUR. da ist auch viel anderer kram, alles positiv. das ding so zu nennen hilft, ein gesamtpaket zu verkaufen. und dass du ein gesamtpaket dieser art brauchst liegt an der dysfunktionalität des US-Systems. deswegen finde ich es gut, dass die das machen – es ist konstruktives regierungshandeln zum wohl der bevölkerung. what’s not to like?
Dieser Logik folgend, die anstatt entlang von moralischen Werten immer vom nur vom Erfolg her rückwärts bewertet und bei der der Zweck per Definition die Mittel heiligt, müsstest Du eigentlich auch dem Bankräuber, dem Enkelbetrüger, dem nigerianischen Prinzen huldigen – die ja alle, sofern sie nicht erwischt werden – wirtschaftlich wesentlich erfolgreicher sind als der Durchschnittsbürger.
diese argumenation ist einfach unfug, sorry. Gleiches für das mit trump. ich argumentiere nicht für lügen und betrügen, sondern für vernünftiges politisches geschäft. die mittel sind nicht egal. aber framing und kommunikation – das ist kerngeschäft.
Der Inflation Reduction Act (IRA) ist ein sehr gutes Gesetz, an dem ich inhaltlich überhaupt nichts auszusetzen habe und das ich von der Sache her überwiegend unterstütze. Wahr ist aber auch, dass der Sinn des IRA nicht die Bekämpfung der Inflation ist. Warum wird das Gesetz dann also so benannt? Du nennst das “Framing”. Diese Bezeichnung hat aber nichts mit “Framing” zu tun, sondern es geht schlicht darum den Bürgern Sand in die Augen zu streuen. Die wahre Absicht hinter dem Gesetz soll bis zur Unkenntlichkeit hin verschleiert werden. Der Bürger soll in die Irre geführt, belogen, manipuliert werden. Dadurch – so die Hoffnung der Regierung – sollen die inhaltlich, wie gesagt, sinnvollen, aber gegenwärtig in der amerikanischen Gesellschaft unpopulären Maßnahmen verschleiert und der öffentlichen Debatte entzogen werden. Darüber hinaus soll der falsche Anschein erweckt werden, die Regierung habe es sich zur Priorität gemacht die Inflation zu bekämpfen, was – wenn es denn so wäre – in der Tat populär wäre. Dein “Framing” ist also nichts anderes als Lügen, Täuschen, Betrügen, Manipulieren.
Das ganze produziert natürlich einen massiven Fallout für die Demokratie – insbesondere kumulativ, da diese Täuschungsmanöver ja nicht einzigartig, sondern zum “normalen Handeln” in der Politik geworden sind. Über wichtige Ziele, die vielleicht im Augenblick keine Bürgermehrheit hinter sich haben, für die die Regierung aber werben müsste, wird schlicht nicht gesprochen. Die Menschen werden stattdessen einfach überrascht und überrollt – und zwar teilweise mit persönlichen negativen Auswirkungen – sobald das Gesetz Wirkung entfaltet. Bei den wieder und wieder Betrogenen wächst am Ende die Wut im Bauch. Die Identifikation mit der Demokratie und ihrer Repräsentanten nimmt ab. Jedes Mal ein kleines bisschen. Und der kurzfristige politische Vorteil mittels Lug und Trug eine Maßnahme schnell gegen Widerstände durchzusetzen, ist grundsätzlich immer attraktiver, als der langfristige Vorteil, den Ehrlichkeit und Anständigkeit auf die Bewahrung unserer Demokratie haben. Aber irgendwann wird uns dieses System auf die Füße fallen. Und die Wahl Donald Trumps in den USA, die Brexit-Wahl in Großbritannien, das Erstarken der Rechtsextremen in ganz Europa, inklusive des Anwachsens der Nationalsozialisten zur zweitstärksten Partei in der BRD, legen nahe, dass dieses “irgendwann” nicht in ferner Zukunft, sondern in den kommenden 5-10 Jahren liegt. Und dann gute Nacht.
> Die Benennung des “Inflation Reduction Act”. Du verneigst Dich in Bewunderung vor dem politischen Trick ein Gesetz mit dem expliziten Ziel der Wählertäuschung irreführend benannt zu haben
Moment moment. Irreführend kann man es nennen, ja, denn der IRA ist als zusammengestrichener Ersatz des Build Back Better Act primär ein _Investitionsprogramm_, und wenn der Staat ausgibt, verschlimmert dies die Inflation zunächst einmal.
Bei „Wählertäuschung“ bin ich aber nicht mehr bei dir. Den Wählern wurde mit ebenjenem Slogan Build Back Better sehr deutlich gemacht, dass Biden „builden“ möchte: nämlich massiv in Infrastruktur investieren. Hier kann man sicherlich über Details streiten (z.B., gab es Diskussionen wie breit der Begriff „Infrastruktur“ ausgelegt wurde), aber wo bitte wurden die amerikanischen Wähler getäuscht? Es war erklärtes Ziel, Geld reinzustecken, eben unter anderem auch in der Hoffnung, _mittelfristig_ die Inflation in den Griff zu bekommen. Und letzteres hat durchaus auch geklappt. Ob nun durch oder trotz dem Gesetz, sei mal dahingestellt.
Ungeachtet dessen ist es natürlich eine leicht plakative Benennung, um nicht gar zu sagen Propaganda. Aber wie Stefan ebenfalls andeutet: von sperrigen 70-Buchstaben-Gesetzesnamen hat auch niemand etwas. Die kann man vorne auf den Aktenordner schrieben, aber für die öffentliche Debatte sind sie nicht weiterführend.
> Ist es nicht die Aufgabe von Politik Ziele zu erklären?
Ich würde argumentieren: genau dies tat das Team von Biden hier.
(Was Lindner betrifft: für „Hauptsache sparen und kürzen“ habe ich wenig Respekt. Aber wie du korrekt anmerkst: wenn SPD und Grüne mit ihm koalieren, müssen sie auch damit leben, dass er genau das tut, was jedem als einer der Kernpunkte seiner Partei bekannt ist.)
Jepp.
Der Build Back Better Act war nach dem benannt, was drin war. Der Inflation Reduction Act ist das nicht – man kann sogar argumentieren, dass die vielen Investitionen die Inflation eher anheizen – der Act also sogar das Gegenteil dessen tun wird – was der Name suggeriert. Weshalb also dann eine solche irreführende Benennung, wenn nicht zum Zweck der Wählertäuschung?
Egal auf welcher Seite des Arguments man letztlich zu landen kommt, die irreführende Benennung eines Gesetzes ist sicherlich kein bedeutender Betrug, der die Erde erschüttert. Möglicherweise ist das alles so irrelevant, dass es den Streit darüber nicht lohnt. Mich hatte in dem Podcast lediglich gestört, dass offensiv gefeiert wurde, wie cool und wie klug das war, hier den Wähler hinter die Fichte zu führen. Und das halte ich für daneben und im Kern undemokratisch.
> Der Inflation Reduction Act ist das nicht – man kann sogar argumentieren, dass die vielen Investitionen die Inflation eher anheizen – der Act also sogar das Gegenteil dessen tun wird – was der Name suggeriert.
Aber genau das haben doch sowohl Stefan im Podcast als auch ich in meinem obigen Kommentar bereits angemerkt?
Und wie bereits gesagt: in der Praxis hat sich gezeigt, dass genau das nicht passiert; der Wirtschaft in den USA geht es seit dem Gesetz (ja ja, post hoc ergo procter hoc) wieder besser.
> Mich hatte in dem Podcast lediglich gestört, dass offensiv gefeiert wurde, wie cool und wie klug das war
Man kann etwas cool und klug finden und gleichzeitig auch zynisch. Ich sehe es aber eher als ideologisch. Der „USA PATRIOT Act“, was, wie wir ja alle wissen, ein Akronym für Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism (USA PATRIOT) Act war, wurde vermutlich von Leuten wie Bush tatsächlich als patriotisch empfunden. Und Herr Lindner denkt wahrscheinlich tatsächlich, dass der Staat irgendwo vage, abstrakt, zu groß und zu teuer ist, und vielleicht denkt er auch tatsächlich, dass sein Gesetz dabei hilft, dies einzudämpfen.
Anyway, ich habe Stefans Kommentar einfach nicht so dramatisch empfunden wie du.
Danke!
Ja, die gute Frau Paus ist anscheinend momentan die einzige bei Grünens, die überhaupt einigermaßen weiß, wie man Politik ins breite Publikum trägt. Und im Gegensatz zur Heizungssache ist die Kindersache ja popularitätsfähig. Bisher galt bei Grünens, dass es ne hervorragende Idee sei, die Heizungssache, die jede Menge Ärger macht, groß rauszuposaunen und gleichzeitig sicherzustellen, dass von der zu verbessernden Kindergrundsicherung möglichst niemand was erfährt.
Aber falls man will, dass sich so ein Ding bei der politisch nur am Rande interessieren breiten Masse überhaupt rumspricht, muss man halt ordentlich auf die Pauke hauen. Dass das bei Sozialgesetzen mit Verbesserungen bei der SPD neuerdings unerwünscht ist, weil man sch in erster Linie aus leicht durchschaubaren Gründen als FDP-Retterin versteht, ist jetzt keine Überraschung mehr.
Und der Lindner macht halt seinen Job, klarer Fall und auch nicht überraschend. Haushaltspolitisches Getöse dieser Art gab es schon hundertfach über Jahre und Jahrzehnte. Alles vergessen, weil Routine. Bei Grünens und den Sozen obwaltet jedenfalls aktuell die Auffassung, der Lindner soll draußen im Lande als Sieger dastehen und wir als die Dummen. Gut gemacht.
Ferner ist bei Grünens offenbar die Auffassung nicht tot zu kriegen, man würde von den Sozen geliebt und den Unionschristen gehasst. Auf den ersten Blick scheint das ja auch so, ich empfehle einen zweiten und womöglich weitere, dann relativiert sich das erheblich.
Ganz lustig auch – was ja auch angesprochen wurde – die nicht mehr ganz neue Mode, Novellen zu bestehenden Gesetzen mit poetischen Namen zu versehen. Man könnte auch einheitlich zu allem Glück- und Zufriedenheitsgesetz sagen oder Zukunftsverschönerungsgesetz und irgendwas mit Wachstum obendrauf.
Stimme zu.
Paus wird jetzt von den gleichen Akteuren angegangen, die während (und nach) der Pandemie die Vernachlässigung von Kindern heftig kritisiert haben. Sind Kinder jetzt auf einmal nicht mehr so wichtig?
Darum geht es kein Stück. Es geht im Grunde um eine Kommentierung von Stefan, die heute wie ein Witz anmutet, obwohl er sie bierernst vor wenigen Tagen veröffentlicht hat:
In Relation zur CDU unter Friedrich Merz allerdings ist die schlechte Autorität des Vorsitzenden und seine mangelnde Kontrolle über die Partei augenfällig. Sie erinnert beinahe an Zustände innerhalb der LINKEn. Die Stabilität des Führungspersonals von SPD (wo Lars Klingbeil geräuschlos die Kanzlerschaft Olaf Scholz‘ unterstützt), der FDP (die praktisch die Lindner-Partei ist) oder der Grünen (die nicht nur vergleichsweise unspektakulär mit einer konkurrierenden Doppelspitze durchgekommen sind, sondern auch noch die Transition zu einer neuen Doppelspitze hinbekommen haben) augenscheinlich.
Die Grünen sind seit längerem ziemlich kopflos und jetzt hat eine schwache Ministerin den Vizekanzler und Möchtegern-Kanzlerkandidaten der Grünen als machtlosen Bettvorleger präsentiert. Die Grünenspitze ist seit Tagen das Gespött des politischen Berlins.
Das Argument, es ginge um die Kindergrundsicherung, ist so populistisch und einer Regierungspartei unwürdig. Bei den kommenden Wahlen im Herbst werden die Grünen als Partei die Quittung für diese Chaosveranstaltung erhalten. Denn das versteht außerhalb der öko-sozialistischen Blase kein Mensch.
ein glück ist das politische berlin keine blase 😀
Das war nicht der Punkt, sondern die Fehleinschätzung die Grünen hätten einen Machtzentrum. Das sieht derzeit niemand so, der die Partei professionell beobachtet oder gar, wie die Funktionäre der SPD und FDP, mit ihnen zusammen arbeiten muss. Bereits im Frühjahr artete der Koalitionsgipfel nur deswegen auf 30 Stunden aus, weil die Grünen unfähig waren, sich parteiintern zu einigen. Während dieser Zeit verspielten sie alle Vorteile und jedes Entgegenkommen seitens der FDP, weshalb sie hinterher als Verlierer dastanden.
Deine Kommentierung zeigte daher eher ein Übermaß an Sympathie den gute Beobachtungsgabe. 😉
Übrigens wieder ein raffinierter Schachzug von Lindner, der nach der Einigung mit Habeck und in Kenntnis des Einspruchs des Familienministeriums den Gesetzesvorschlag auf die Tagesordnung des Kabinetts setzen ließ. So stand der urlaubende Habeck als Vizekanzler ohne Prokura da.
Schön, dass ihr die erste Grundregel der Budgetierung beachtet: Zuerst müssen die unvermeidlichen Fixkosten bedient werden. Eine Frage hierzu an den Lehrer: Das Thema „Budget bei öffentlichen Finanzen“ eignet sich imho gut für ein Planspiel im Unterricht. Gibt es sowas und hast du rfahrungen damit gemacht?
Etwas schade finde ich, dass ihr nicht angesprochen habt, dass der Bund für einen großen Teil der öffentlichen Finanzen ganz oder teilweise unter der Hoheit der Länder steht. Das Bundes(!)elterngeldgesetz ist da ein Ausnahme.
Hoch ärgerlich ist eine Täuschung, die ihr gleich zu Beginn aufstellt: Es sind nicht alle Resorts bei denen Lindner kürzt. Die Militärausgaben gehen hoch auf einen Rekordbetrag. Bitte also immer und überall als Antwort auf Beschwerden über Kürzungen: „Das muss euch die ‚Zeitenwende‘ wert sein. Dieses eingesparte Obdachlosenasyl bring immerhin einen halben Panzer.“ Und das immer und jedes Mal wieder, damit die Leute begreifen, was der Propagandamüll ‚Zeitenwende‘ wirklich bedeutet. Wenn die Menschen das begreifen kann der Begriff (wenn es nach mir ginge) ähnlich toxisch werden wie Hartz IV.
Hoch ärgerlich ist eine Täuschung, die ihr gleich zu Beginn aufstellt: Es sind nicht alle Resorts bei denen Lindner kürzt. Die Militärausgaben gehen hoch auf einen Rekordbetrag. Bitte also immer und überall als Antwort auf Beschwerden über Kürzungen: „Das muss euch die ‚Zeitenwende‘ wert sein. Dieses eingesparte Obdachlosenasyl bring immerhin einen halben Panzer.“ Und das immer und jedes Mal wieder, damit die Leute begreifen, was der Propagandamüll ‚Zeitenwende‘ wirklich bedeutet.
Ich habe das mal in Gänze zitiert, um dem nicht das Niveau zu nehmen. Leider sinkt Ihr Diskussionsniveau beim Thema Russland stark ab. Aber Populismus können Rechte wirklich besser.
Wir haben ja derzeit rund eine Million ukrainische Flüchtlinge hier und nur ein paar russische. Vielleicht sollten wir öfter Sendungen bei „Hart aber fair“ und Maybrit Illner machen, wo solche Flüchtlinge eingeladen werden, um den O-Ton einzufangen. „Erzählen Sie doch mal von den Vergewaltigungen und Verstümmelungen, die Sie durch Russen erfahren haben.“
Es wäre sinnvoll auf die Art jedem klar zu machen, dass nur ein starkes Militär uns davor schützt, dass Putins Schergen unsere Kinder nach Moskau und Sankt Petersburg verschleppen. Wie im Baltikum und in Polen würde da die Zustimmung zur Aufrüstung der Bundeswehr durch die Decke gehen.
Auch wenn ich mit keinem Wort Russland erwähnt habe, schieben Sie ein Finanzthema sofort auf diese Ebene. Das ist insofern bemerkenswert, als dass es ein Schlaglicht darauf wirft, wie Demagogie wirkt: Es werden Kontextautomatismen geschaffen, die emotional einen rationalen Kontext überschreiben. Konkret:
Rationaler Kontext: Mehrausgaben hier stehen im direkten Zusammenhang mit Einsparungen dort.
Emotionaler Kontext: „Lasst uns eine weitere Bühne für Gräuelpropaganda schaffen“; ein Rezept, das hinlänglich aus Kriegen von den Kreuzzügen bis zum Irak bekannt ist.
Wer ist also der Populist?
Du hast Russland zwar nicht direkt erwähnt, aber die mehrfache explizite Bezugnahme auf die “Zeitenwende” setzt Deinen Kommentar in diesen Kontext. Da kannst Du Dich dann nicht beschweren, dass die Leser Deinen Post auch in diesem Kontext lesen …
Sie haben eine billige Polemik aufgemacht, die in jeder Hinsicht falsch ist – verfassungsrechtlich, haushaltstechnisch, politisch.
Der Staat hat das Recht Steuern zu erheben, um seine Aufgaben zu erfüllen. Zu diesen gehören (in dieser Reihenfolge): Sicherheit (innere und äußere), Gewährleistung des Rechtsstaates, Infrastruktur, Bildung, soziale Sicherheit. Die Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit steht als Staatsziel eindeutig über dem Obdachlosenasyl.
Deutschland hat sich als Mitglied des Verteidigungsbündnisses NATO verpflichtet, zwei Prozent seines BIP in Verteidigungsausgaben zu investieren. Das ist eine einfache Verpflichtung und leicht zu überprüfen. Deutschland ist heute nach einhelliger Ansicht aller relevanter Militärexperten gegenüber einem Angriff Russlands nicht verteidigungsfähig. Russland hat bei Königsberg mit Atomwaffen bestückte Mittelstreckenraketen stationiert, die es nach Ansicht prominenter russischer Politiker im Krisenfall (also derzeit) einsetzen sollte. Das ist eine ernsthafte Drohung, die eine militärische Mittelmacht gegenüber unserem Land ausgesprochen hat. Der deutsche Staat könnte das Land weder gegen eine Panzerinvasion noch gegen einen Raketenangriff verteidigen.
Sie können also nicht abstreiten, dass an dieser Stelle dringenderer Handlungsbedarf besteht als beim Obdachlosenasyl.
Sämtliche Ressorts wurden mit Sparauflagen konfrontiert, mit Ausnahme der Bundeswehr, die in der Vergangenheit überproportional als Steinbruch herhalten musste. Und tatsächlich nimmt der Staat weiter mehr Steuern ein, nur sind die Ausgaben für Zinsen deutlich angestiegen. Wenn Sie also das Obdachlosenasyl aufrechnen wollen, dann gegen die Schulden für die Wiedervereinigung. Oder den Ausbau den Wohlfahrtsstaates in den Siebzigerjahren. Suchen Sie sich’s aus. Aber vor allem sehen Sie hoffentlich, dass das zu nichts führt.
Nochmal: Ich verwahre mich und den Staat, in dem ich lebe, gegen solchen Kontext, wie Sie ihn hergestellt haben. Ihr Vorwurf der Demagogie richtet sich gegen Sie selbst.
Ich teile das.
Wenn Sie Atomwaffen als vordringlichstes Sicherheitsproblem für Deutschland sehen – eine Sichtweise, die ich absolut teile – dann sollten Sie sich für das Atomwaffenverbot der UN stark machen. Der indirekte Atomwaffenstaat Deutschland hat diesen nicht unterzeichnet.
Und was die Ausgaben der Bundeswehr betrifft, so kann sie sich immer noch regelmäßige Misswirtschaft (organisationsbedingt und durch Lobbyismus verursacht) leisten. Die einzige effektive „betriebswirtschaftliche“ Rationalisierungsmaßnahme, die mir einfällt, war der großflächige Abbau schlecht qualifizierten und unproduktiven Personals.
Deutschland hat keine Verfügungsmacht über Atomwaffen. Es ist daher keine Atommacht. Nun gibt es auf der Welt einige Atommächte, wovon eine dezidiert mit dem Einsatz nuklearer Waffen droht. Da begreife ich nicht, was Ihre Einlassung soll. Ein Argument ist es nicht.
Sind wir uns einig, dass die vordringlichste Aufgabe eines Staates ist, seine Bevölkerung vor einem Aggressor zu schützen? Ist eine einfache Frage, die sich mit Ja oder Nein (dann bitte mit Begründung) beantworten lässt.
Gut. spätestens, wenn eine Atommacht (merke: Deutschland hat keine Verfügungsmacht über Atomwaffen) mit dem Einsatz gegen das Staatsgebiet eines anderen droht, wenn Politiker der feindlichen Macht Allmachtsphantasien davon haben, morgen gehöre ihnen Berlin und Leipzig, ist der andere Staat, Deutschland, in seiner Existenz bedroht.
Nächste Frage: Ist Deutschland verteidigungsfähig? Antwort von Fachleuten: Nein, keineswegs.
Dann ist die nur einzig zulässige Konsequenz: Das Land muss aufrüsten. Tun alle Anrainer Russlands, Schweden und Finnland wollten sogar unbedingt ins Verteidigungsbündnis NATO aufgenommen werden. Die deutsche Politik handelt also absolut rational und den natürlichen Prioritäten angemessen.
Russland ist ein Staat, der sich an keine Verträge, internationale Konventionen sowie Vereinbarungen hält. Das sind die Fakten. Demgemäß muss man sich darauf einstellen, dass Russland auch in nächster Zukunft sich nicht an Verträge, internationale Konventionen und Vereinbarungen halten wird. Jede Zusage der Friedfertigkeit ist im Angesichts des russischen Verhaltens der vergangenen 20 Jahre unglaubwürdig und existenziell gefährlich.
Und was die Ausgaben der Bundeswehr betrifft, so kann sie sich immer noch regelmäßige Misswirtschaft (organisationsbedingt und durch Lobbyismus verursacht) leisten.
Das gilt für den sozialen Bereich ganz besonders. Deutschland gibt 30% seines Erwirtschafteten für Soziales aus, dennoch empfinden Politiker und Bevölkerung das Land immer ungerechter. Wir geben 200 Millionen für den Kampf gegen Rechts aus und die AfD steht in Umfragen auf Platz 2. Klarer lassen sich Misswirtschaft und Verschwendung nicht ausdrücken. Also, im Sozialen gibt es enorm viel Einsparpotential für Ihr Obdachlosenasyl.
Sie sind da in einer in mehrfacher Hinsicht schwachen Argumentation:
1) „Ist Deutschland verteidigungsfähig? Antwort von Fachleuten: Nein, keineswegs.“ Die meisten dieser „Fachleute“ stehen auf der Payroll von Rüstungsindustrie und/oder Bundeswehr, die Sicht von außen ist etwas anders: https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Firepower_Index
2) Wenn Platz 8 bei den Rüstungsausgaben weltweit nicht einmal ausreicht, das (relativ begrenzte) eigene Territorium zu verteidigen, dann stimmt etwas nicht.
„rüstungsausgaben“ ist auch ein alles andere als trennscharfer begriff. schau mal, was da für deutschland alles drunter fällt…
Was denn besonderes ? Katastrophenhilfe – das ist internationaler Standard. Aber anders als in Frankreich, Italien oder Spanien übernimmt bei uns (aus gutem Grund) das Militär keine Polizei- oder Zollaufgaben.
wir hauen sehr viel für verwaltung raus, und überbezahlen grotesk für rüstungsprojekte. ich sag nur gorch fock. was hilft das gegen russland?
Platz 8 bei den Rüstungsausgaben? Wie kommen Sie denn darauf? Die globalen Rüstungsausgaben machen 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Da liegt Deutschland mit 1,4% meilenweit darunter, obwohl wir ein sehr wohlhabendes und sehr teures Land sind (Rüstungsgüter werden weitgehend in der jeweiligen Landeswährung bezahlt).
Sie vergleichen tatsächlich die absoluten Ausgaben? Wo tut man denn so etwas? Wollen Sie wirklich den Militäretat der Niederlande mit dem Polens vergleichen?
Und wenn wir schon dabei sind: Warum gibt ein Land wie Russland dennoch mit 86 Milliarden Dollar mehr als 50% mehr als Deutschland für die Rüstung aus? Immerhin war Russland in den letzten 10 Jahren in der Lage, mehrere Kriege zu führen: in Georgien, Tschetschenien, Syrien und der Ukraine. Habe ich etwas vergessen? Wahrscheinlich. Diese Fähigkeiten hat Deutschland nicht. Wenn wir uns an Militäreinsätzen beteiligen, dann in symbolischer Form mit ein paar hundert Soldaten.
Wie gefährlich übrigens schlechte Ausstattung für die eigenen Soldaten ist, erfahren die Russen gerade. Unzählige junge Männer müssen sterben, weil ihr Kriegsgerät Jahrzehnte alt ist. Und viele Ukrainer müssen sterben, weil die Russen nur mit billigeren Raketen schießen können. Wo ist da der Vorteil?
Zu Ihrer Quelle: Diese besagt, dass Russland ähnlich kriegsfähig sei wie die USA. Deutschland dagegen ist weit abgeschlagen. Da liegt das Argument drin, warum Deutschland deutlich aufrüsten muss. Denn Ihre Quelle besagt, dass Russland leicht Deutschland überfallen könnte, umgekehrt Deutschland aber nicht Russland. Da Sie Moskau anscheinend nicht bewegen können abzurüsten, muss Deutschland wohl oder übel aufrüsten.
Richtig. Deutschland ist am Ende seiner Kapazitäten, wenn es rund 5000 Leute nach Litauen schicken soll – auf eine glorifizierte Logistikübung, wohlgemerkt. Im auslandseinsatz konnten wir rund 2500 soldaten mehr schlecht als recht unterhalten, und allen war klar, dass mehr nicht geht.
Gegenfrage: Haben Sie irgendeine bessere Quelle zur Verteidigungsfähigkeit, die nicht von Bundeswehr oder Rüstungslobby stammt?
Und die Rechnung kann man auch ganz anders aufstellen: Jeder Deutsche gibt das 2,5 fache des weltweiten Durchschnitts für das Militär aus. Welche Bezugsgröße ist die Richtige ? Länge der Grenze zu „Feindstaaten“ ? Was in übrigen die Frage nach dem Effizienzgewinn eines Verteidigungsbündnisses aufwirft, wenn am Ende doch jedes Mitglied MEHR an Rüstungsausgaben aufwenden muss.
Zuletzt ist es bemerkenswert, wie schnell Sie vom Thema „Verteidigung“ auf „Ins Ausland mobilisierbar“ kommen …
Heißt das, Top-Manager und Unternehmensführer können nicht mehr als anerkannte Experten für Wirtschaftsfragen gelten? Sie definieren die Ausschlusskriterien so umfangreich, dass es in Ihren Augen kaum glaubwürdige Experten gibt.
Okay, wenn Sie sich dieses Recht zur Einschränkung herausnehmen, dann müssen Sie im Gegenzug alle Experten aus dem übrig gebliebenen Kreis akzeptieren. Das ist der Preis. Dann nenne ich eben nur einen Namen: Thomas Wiegold, Journalist und Betreiber des Blogs „Augen geradeaus“. Damit wäre die Frage geklärt.
Mit einem Welteinkommen von 26.000 Euro gilt ein Erdenbürger als reich. D.h. ein Deutscher mit unterdurchschnittlichem Einkommen kann sich als reicher gesegnet fühlen. Das sind die Relationen.
Wenn es einen globalen Markt für Rüstungsgüter gäbe, hätte Ihr Argument ja etwas für sich. Doch so ist es nicht. Russland kann normalerweise keine Mittelstreckenwaffen in den USA einkaufen und die USA können nicht auf die günstigen russischen Preise zurückgreifen. Heißt das nun, weil ein Multiple Launch Rocket System 9,6 Millionen Dollar kostet, in Russland aber nur ein Zehntel dessen, dass die amerikanische Variante zehnmal leistungsfähiger ist? Anderes Beispiel: Der Unterhalt des Atomwaffenarsenals ist für jede Atommacht sehr kostspielig und treibt das Militärbudget. Diese Unterhaltskosten bestehen zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Personalgestellungskosten. Ist jetzt eine britische Atomrakete zerstörerischer als eine russische? Nein. Also bringt der Vergleich absoluter Kosten ziemlich nichts bis gar nichts.
Die NATO verlangt von ihren Mitgliedern 2 Prozent. China und Russland wenden das Doppelte bis Fünffache auf. Man kann also durchaus sagen, dass das NATO-Bündnis für die Mitgliedsländer Kostenersparnisse in der Verteidigung erbringt.
Zuletzt ist es bemerkenswert, wie schnell Sie vom Thema „Verteidigung“ auf „Ins Ausland mobilisierbar“ kommen …
Verstehe ich nicht.
Letzter Hinweis: Bitte antworten Sie auch auf meine Argumente.
Den Kontext hast Du doch selber hergestellt, mit dem „halben Panzer“.
Und was ist bitte „Gräuelpropaganda“ in diesem Zusammenhang?
Zitat Stefan Pietsch. „Vergewaltigungen und Verstümmelungen“
Was haben Sie dagegen? Ich habe die Fakten beschrieben. Reden Sie doch mal mit geflüchteten Ukrainern und fragen Sie sich, ob sie die mit ihren Erzählungen im deutschen Fernsehen möchten.
Wissen Sie noch, was Sie geschrieben haben?
Die Militärausgaben gehen hoch auf einen Rekordbetrag. Bitte also immer und überall als Antwort auf Beschwerden über Kürzungen: „Das muss euch die ‚Zeitenwende‘ wert sein. Dieses eingesparte Obdachlosenasyl bring immerhin einen halben Panzer.“ Und das immer und jedes Mal wieder, damit die Leute begreifen, was der Propagandamüll ‚Zeitenwende‘ wirklich bedeutet. Wenn die Menschen das begreifen kann der Begriff (wenn es nach mir ginge) ähnlich toxisch werden wie Hartz IV.
Das ist doch, in Ihren Worten, Müll. Wieso wollen Sie, dass der Schutz vor Russland, einem Staat, der die Bevölkerungen anderer massakriert, abschlachtet, vergewaltigt, Kinder systematisch verschleppt, so abgelehnt wird wie von einigen (wenigen) Milieus Hartz-IV. Nun, das ist doch schon der Fall, neben der Linkspartei ist die AfD der größte Fanclub des Kriegsverbrechers Vladimir Putin.
@cimourdin
Ehrlich, ich kann Dir nicht mehr folgen. Der Krieg als solcher ist ein Mega-Verbrechen. Was gibt es daran zu relativieren?
Was Stefan Pietsch über das Verhalten Russlands schreibt, trifft ja leider zu.
Genau das ist der Punkt: DER KRIEG ist das Verbrechen und da ist es mir egal, ob die Verstümmelung durch eine russische Mine oder eine amerikanisch-ukrainische Streubombe passiert. Beendet diesen Krieg.
Beendet diesen Krieg.
CitizenK ist die falsche Adresse für Deine Aufforderung. Den Krieg kann nur der Aggressor beenden. Und zwar indem er sich zurückzieht.
DER KRIEG ist das Verbrechen …
Für einen legitimen Verteidiger ist der Krieg an sich niemals ein Verbrechen und in einem demokratisch organisierten Land entscheidet dann auch noch eine Bevölkerungsmehrheit darüber, ob ihr die Verteidigung Leben, Gesundheit und Eigentum wert sind, nicht ein paar westliche Bequemlichkeitspazifisten.
Gruss,
Thorsten Haupts
Wenn der Panzer fehlt, wird uns Moskowien besetzen und nicht zögern, unsere Obdachlosen als „biologische Minenräumungseinheit“ in Frankreich einzusetzen.
Schade, dass Sie die Ernsthaftigkeit und den Realismus, den Sie bei Betrachtung anderer Weltregionen zeigen, in Bezug auf Russland/Ukraine aufgegeben haben zugunsten von in Inhalt und Wortwahl reinen Trollpostings (die zudem noch ziemlich hüstel „hypernationalistisch“ klingen)
Du hast ein Recht auf deine Meinung über meine Meinung.
Ich halte meine Sicht auf Moskowien für sehr realistisch und überhaupt nicht nationalistisch.
… und ich bleibe sehr interessiert an dem Thema, obwohl Lateinamerika mich aktuell sehr taktet (Milei, Argentinische Krise, IWF als Shitstem(*), die vielen guten Bücher rund um 50 Jahre Pin8 Putsch, chilenische Wirtschaftskrise und viiiiel mega politische Krise der Boric Regierung).
Ich würde aber nie eine Folge des großartigen Rußlandwatcher Podcast verpassen: https://www.podcast.de/podcast/3248390/russland-watcher
(*) John Lydon behauptet, das in Jamaika aufgeschnappt zu haben: Verballhornung von sh*t und system.
„Das muss euch die ‚Zeitenwende‘ wert sein. Dieses eingesparte Obdachlosenasyl bring immerhin einen halben Panzer.“
Ich kenne ja das Argument bereits aus den achtzigern zur Genüge, z.B. aus meinen Diskussionen als Stv. des Jugendoffiziers meines Bataillons. Damit gewinnen Sie auch nur in einer langen scheinbar friedlichen Periode, in denen man alle äusseren Bedrohungen ausblenden kann. In Zeiten, in denen die Bedrohung a) deutlich ist und b) die Bedrohlichen sichtbar Barbaren sind, funktioniert selbst dieses Tränenargument nicht mehr.
Im Moment werde ich mich jederzeit gerne einer öffentlichen Debatte mit einem Pazifisten stellen 🙂 .
Gruss,
Thorsten Haupts
In den Achzigern konnte man auch bei einer Bayerwaldwanderung nach „drüben“ sehen und Militärs haben überlegt, sowjetische Panzer im Ernstfall zu stoppen, indem sie halb Hessen in eine nukleare Einöde verwandeln. Heute ist die „Zonengrenze“ tausend Kilometer weiter weg, die NATO verzeichnet mehr Militärausgaben als der Rest der Welt zusammen – aber es reicht immer noch nicht?
Der Unterschied ist der Zeitgeist: Die Bedrohung wurde durch gezielte Manipulation als solche in die Öffentlichkeit gebracht und mit „wordings“ unterlegt. (Beispielsweise liest man vor 2022 fast nirgends die Phrase „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“, diese ist ein Werbeslogan für diesen Krieg)
Insofern beeindruckt es mich deutlich mehr, dass sie in den 80ern gegen Pazifisten diskutiert haben als wenn Sie es jetzt mit einer Milliarden-Dollar-PR-Industrie im Rücken tun.
Die Phrase “völkerrechtswidriger Angriffskrieg” ist nicht für Putins Ukrainekrieg erfunden worden. Sie wurde auch sehr üblicherweise als Referenz zu George W. Bushs Irakkrieg verwendet.
Aber hier die Gegenfrage: Was stört Dich an der Bezeichnung “völkerrechtswidriger Angriffskrieg”? Ist Putins Krieg nicht ein Angriffskrieg? Ist er nicht völkerrechtswidrig?
Es ist
a) ein Angriffskrieg und als solcher
b) per Definition völkerrechtswidrig.
Es gibt keinen völkerrechtskonformen Angriffskrieg, ist also etwas doppelt gemoppelt.
Ich halte nichts davon auf juristisches Steckenpferden herumzureiten. Das ist genauso wie bei der Phrase „Wir sind nicht Kriegspartei“ mit Bezug auf den Ukrainekrieg. Selbstverständlich sind wir Kriegspartei. Wir liefern Waffen. Wir liefern Aufklärung. Wir bilden die ukrainischen Soldaten aus. Wir bezahlen den Krieg. Wir sind Kriegspartei.
Was den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg angeht, was wäre z.B. wenn die ECOWAS-Truppen mit UN-Mandat, wie angekündigt, im Niger einmarschieren? Das wäre dann per Definition ein Angriffskrieg – auch wenn die UN das in dem Fall sicher lieber anders nennen wird (wir erinnern uns, dass wir ja früher auch in Afghanistan nicht im Krieg waren, weil wir ja eigentlich nicht im Krieg sein durften, bis der gute Verteidigungsminister Guttenberg dann dafür gelobt wurde ausgesprochen zu haben, dass wir im Krieg sind – natürlich nur „umgangssprachlich“). Schließlich hat der Niger keinen der ECOWAS-Staaten angegriffen und dass dort ein Putsch stattgefunden hat, kann ja keine Einladung für die Nachbarn sein einfach mit Truppen einzumarschieren. Ansonsten hätten wir nach dem bewaffneten Maidan-Umsturz in der Ukraine ja auch einmarschieren müssen, um den pro-russischen Präsidenten mit Gewalt wieder einzusetzen … 😉
nein, wäre es nicht. wenn die un ein mandat gibt, ist es völkerrechtskonform und per definition kein angriffkrieg.
Da ist genau Dein Problem. Die Worte “per Definition”. Du nimmst einen Krieg, der offensichtlich ein Angriffskrieg ist und definierst aber dann, dass der Angriffskrieg kein Angriffskrieg sein darf. Anschließend ziehst Du die Schlussfolgerung, dass kein Angriffskrieg stattgefunden hat. Ist von der Argumentation her bequem, aber unredlich.
words have meaning
Exakt davon spreche ich.
Ich habe einfach mal die Phrase in die Suchmaschine meines Vertrauens eingegeben. Ergebnis: Bis 2021 genau 550 Treffer, ab 2022 knapp 19.000. Das ist der Unterschied.
Das liegt an zwei Dingen:
(a) In den vergangenen Jahrzehnten hat es (gottseidank) in Europa wenig Kriege gegeben. Folglich ist auch wenig über Kriege geschrieben worden. Die wenigen Auseinandersetzungen, die es gab, hatten auch nicht den Charakter von Angriffskriegen, sondern eher von Bürgerkriegen (siehe z.B. Jugoslawien, Kosovo). Also wenig verwunderlich, dass die Phrase “Angriffskrieg” in der Presse der letzten Jahre relativ selten auftaucht.
(b) Der letzte Krieg, bei dem die Bezeichnung “völkerrechtswidriger Angriffskrieg” intensiv genutzt wurde, war die US-Invasion des Irak in 2003. Damals war das Internet bei Weitem nicht so entwickelt wie heute, es gab weniger Leser, es gab weniger Internetseiten, soziale Netzwerke steckten noch in den Kinderschuhen und Information wurde noch hauptsächlich über Fernsehen und Printmedien verbreitet. Auch das erklärt, warum man wenig Artikel aus dieser Zeit findet.
Im übrigen schuldest Du mir noch die Antwort auf meine Frage:
Was stört Dich an der Bezeichnung “völkerrechtswidriger Angriffskrieg”? Ist Putins Krieg nicht ein Angriffskrieg? Ist er nicht völkerrechtswidrig?
An sich trifft der Begriff zu, aber da gibt es zwei Dinge: 1) Doppelstandards – wie Stefan Sasse schreibt sind fast alle Kriegseinsätze von außen völkerrechtswidrig.
2) Das Ignorieren der Hybridnatur. Es ist eben nebenbei auch die Fortsetzung eines langanhaltenden Bürgerkriegs, anfangs ein versuchter Regime-Change-Krieg (seitens Russland), und ein Stellvertreterkrieg. Wer sich auf ein manichäisches Denkmodell versteift, verkürzt eine komplexe Situation.
Ich sehe den Doppelstandard nicht. Welcher andere Krieg der letzten 20 Jahre ist denn treffend als “Angriffskrieg” zu beschreiben und hat in den westlichen Medien viel Publicity bekommen, ohne “Angriffskrieg” genannt zu werden? Dass ein Land ein anderes Land aus imperialen Motiven heraus überfällt mit dem Ziel der Eroberung und Annexion oder zumindest zum Zweck des Ausplünderns, ist eigentlich eher selten in den vergangenen Jahren. Auf keinen der größeren Konflikte in der Vergangenheit (Afghanistan, Syrien, IS im Irak, Äthiopien, Jugoslawien, Kosovo, Jemen, Libyen) passt der Begriff des “Angriffskrieges” besonders gut. Außer halt auf George W. Bushs Irakkrieg – und der ist auch so genannt worden. Die meisten Kriege in unserer Nachbarschaft waren erweiterte Bürgerkriege, keine imperialen Angriffskriege.
Was den Stellvertreterkrieg angeht, gehe ich mit Dir mit. Aber den Krieg hat trotzdem Putin begonnen und dem Westen aufgezwungen, nicht andersrum. Es ist schwer vorstellbar, dass der Westen von sich aus eine militärische Aggression gegen Russland begonnen hätte. Der Westen hat der Ukraine ja nicht mal wirklich geholfen, die seit 2014 von Russland völkerrechtswidrig eroberten bzw. besetzen Gebiete zurückzuholen. Die wirklich massive militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine, sowie das heftige Sanktionsregime gegen Putin begannen erst richtig mit dem unprovozierten Einmarsch der russischen Armee. Also bitte nicht Ursache und Wirkung miteinander verwechseln …
Man denke nur an den Aufschrei in (fast) der gesamten Öffentlichkeit, als Habeck aus der Ostukraine mit der Forderung nach Verteidigungs-waffen zurück kam.
Ohja!
Trifft zwar auch auf den Irak-Krieg zu. Dabei sollte man aber -trotz der berechtigten Kritik – nicht übersehen, dass es gegen einen Diktator geführt wurde, der dabei war ein anderes Land zu vernichten, Raketen auf Israel geschossen hat. Die Menschen in Tel Aviv saßen in luftdicht abgeschlossenen Badezimmern, weil sie mit guten Grund mit chemischen Waffen rechnen mussten.
Das sollten die „Der-Westen-aber-auch“-Kritiker nicht verdrängen.
Kannst Du bitte “vernichten” definieren? Und auf welches Land soll sich das beziehen? Kuwait? Israel? Kuwait ist – meinem Verständnis nach – vom Irak besetzt, nicht vernichtet worden. Und der Irak hatte niemals die militärischen Fähigkeiten Israels Existenz zu bedrohen. Von Vernichtung kann also auch hier keine Rede sein. Die verbrecherischen Raketenangriffe auf Israel, die Du erwähnst, fanden meiner Erinnerung nach in 1991, beim Ersten Golfkrieg, nicht 2003, beim Zweiten Golfkrieg, statt. Sie stehen in direktem Kontext mit dem noch von George Bush senior begonnen Krieg. Das entschuldigt natürlich nicht den Abschuss von Raketen auf ein unbeteiligtes Land. Aber wir sollten auch nicht so tun, als sei diese Aggression aus dem Nichts heraus gekommen.
Pardon, ungenau. Gemeint war Israel. Als enger Verbündeter der USA nicht wirklich ein unbeteiligtes Land.
Der zweite Golfkrieg (George Bush senior) – um das abzuschliessen – fand mit eindeutigem UN-Mandat gegen ein Land statt, dass ein anderes völkerrechtswidrig angegriffen und besetzt hatte. Einer der in absolut jeder Beziehung bestlegitimierten Kriege aller Zeiten.
Ja.
… aber selbst dieser wurde mit PR-Lügen verkauft. Krieg und Propaganda gehören zusammen.
Interessiert mich weniger, aber wenn es Sie tatsächlich bewegt, zählen Sie ja bestimmt Sie den unterirdisch widerwärtigen Propaganda-Slogan der damaligen Friedensbewegung dazu: „Kein Blut für Öl“. Ne Propaganda-Entschuldigung, warum man einem 100% unschuldig Überfallenen nicht helfen darf, finden die deutschen Bequemlichkeitspazifisten natürlich immer …
Die Bedrohung wurde durch gezielte Manipulation als solche in die Öffentlichkeit gebracht …
ROFLMAO. Die Bedrohung wurde durch das lautstarke, sichtbare und tödliche Vorrücken russischer Truppen gegen einen Staat, der sogar eine Sicherheits“garantie“ seines Angreifers hatte, sichtbar gemacht. Inzwischen führt der Angreifer ebenso sichtbar einen genozidalen Vernichtungskrieg gegen den Verteidiger. Es war echt nicht nett von westlichen Medien, das zu bemerken, Schande über sie.
Auch hier wieder eine ungeprüfte (weil redlich von hier aus unüberprüfbare) Phrasenübernahme aus der Propagandakiste:
„genozidalen Vernichtungskrieg“
Es gibt dafür genügend Hinweise von genügend verschiedenen Personen und Organisationen, inklusive der UN. Wer das unter „redlich nicht überprüfbar“ labelt darf eigentlich auch redlicherweise die Sätze der Thermodynamik nicht akzeptieren.
Für mich (wie für viele „Linke“) war „Rüstungsindustrie“ ein toxischer Begriff. Ethische Fonds nahmen keine Waffenproduzenten ins Portfolio. Nun zeigt sich, dass ohne diese Waffenfabriken die Ukraine schutzlos dem russischen Angriff ausgesetzt wäre. „Zeitenwende“ ist deshalb kein toxischer, sondern ein treffender Begriff.
Eine fatale (und paradoxe) Folge des russischen Angriffs ist ja, dass er diesen Unternehmen über Jahrzehnte große Gewinne sichern wird.
„in einer langen scheinbar friedlichen Periode…“
Musste man vor 2014 mit dem russischen Imperialismus rechnen und sich auf einen Angriff vorbereiten? Vielleicht leben wir ja auch jetzt in einer nur scheinbar friedlichen Periode – vor einem chinesischen oder nordkoreanischen Angriff? Dann müssten wir alle Ressourcen sofort in die Aufrüstung und den Bunkerbau stecken. Wenn wir das nicht tun, ist das dann auch „Bequemlichkeitspazifismus“?
Ein überzeugter Pazifist würde die Toten, Verletzten, die seelischen Schäden (vor allem bei Kindern) und materiellen Zerstörungen gegenrechnen einem Leben unter russischer Herrschaft – in Unfreiheit, vergleichbar mit Belarus. Und fragen: War es das wert?
Es ist weder Ihre noch meine Aufgabe, weder Ihr noch mein Recht, diese Entscheidung jetzt zu fällen. Die Ukrainer haben das mit grosser Mehrheit sehr eindeutig entschieden. Übrigens und das nur nebenbei – selbst in den Hochzeiten der Friedensbewegung Mitte der achtziger sind meine damaligen friedensbewegten Gesprächsgegner der klaren Entscheidung ausgewichen, „lieber rot als tot“ auszubuchstabieren. Sie fürchteten wohl zu Recht, dass man damit keine Mehrheit anspricht.
Ja. Ukraine: Sehe ich genau so.
Ich wollte darauf hinweisen, dass die als Bequemlichkeitspazifismus“ kritisierte Haltung eine gewisse Zeit eine rationale Grundlage hatte. Wir waren „nur noch von Freunden umgeben“, eine Bedrohung weit und breit nicht zu sehen. Es wurde sogar über eine NATO-Mitgliedschaft Russlands geredet.
Die Warnzeichen (s. Stefan Sasses Beitrag) wollte man nicht sehen. Wer Pipelines baut, wird keinen Krieg wollen. Eine fatale Fehleinschätzung, Wunschdenken, weithin geteilt, auch von mir. Trotzdem ist es schwierig, die aktuelle Gefährdungslage richtig einzuschätzen.
Ja, weil man darf ja auch nicht überreagieren. Siehe Irak.
Es wird da gerne mit georgien 2008 argumentiert, ich wäre aber skeptisch, ob das vor 2014 absehbar war. 2014 aber hätte durchaus ein warnsignal sein dürfen (nicht, dass ich das so gesehen hätte…).
Sogar viel früher. Bereits in den Nullerjahren setzte Putin die Pipelines durch die Ukraine als Waffe ein und erpresste das Land mit mit Stopps der Durchleitungen zu politischen Zugeständnissen. Das gleiche Schema wollte er ja auch auf Deutschland anwenden.
Ich hatte damals Debatten mit Putin-Versteher, die es als legitim ansahen, wenn Russland seine Lieferungen an die Ukraine immer wieder einstellte.
Im Rückblick einfach unverständlich, das brutale Vorgehen im Donbass und in Syrien nicht als Warnzeichen gesehen – und ernst genommen zu haben.
Versuch einer Erklärung: Unsere historisches Wissen/Gewissen um die deutschen Verbrechen in Russland (genannt wurden 22 Mio. Tote) haben das blockiert. Der Fluch der bösen Tat. Dass auch Opfer Täter werden können, haben wir verdrängt.
Und mangelndes historisches Wissen – zwischen Russland und der Ukraine wurde kaum unterschieden (Beispiele Schmidt und Steinmeier).
Nö. Mit historischer Schuld und irgendwelchen Geschehnissen von vor 70 Jahren, an denen keiner von uns teilgenommen hat, hat das sicher nichts zu tun, dass wir Putin unterschätzt haben.
Mit dem Ukrainekrieg hat schlicht keiner gerechnet, weil er offensichtlich fatale Konsequenzen für die strategischen Interessen Russlands haben würde. Mit anderen Worten: Putin wäre von allen guten Geistern verlassen, diesen Krieg zu beginnen. So habe ich noch Anfang Februar 2022 argumentiert. Und ich ging dabei sogar noch davon aus, dass Russland die Ukraine in ein, zwei Wochen erobern würde. Die Probleme – so meine Meinung damals – würden erst nachher beginnen. Nämlich beim Versuch dieses riesige eroberte Land langfristig zu kontrollieren. Wir erinnern uns an die USA, die den Irak auch im Blitzkrieg eroberten, um schließlich nach Jahren und tausenden blutigen Opfern mit eingezogenem Schwanz wieder vertrieben zu werden. Es war auch klar, dass Putins Angriffskrieg die NATO stärken würde, Schweden und Finnland möglicherweise zu Mitgliedern machen würde. Und dass die USA, die ja schon dabei waren sich aus Europa zu verabschieden, um sich auf die Konfrontation mit China vorzubereiten, wieder verstärkt an den russischen Grenzen Präsenz zeigen würden. Und dass neue, heftige Wirtschaftssanktionen folgen würden. Nichts von dem wäre im russischen Interesse. Ein Angriffskrieg in der Ukraine machte für Putin schlicht hinten und vorne keinen Sinn. Und Putin war bis dahin als Pragmatiker bekannt. Zynisch war er, ja. Aber pragmatisch.
Und deshalb war es einleuchtend diesen Krieg nicht zu erwarten. Die Lehre für die Zukunft ist, dass Player, die in der Vergangenheit rational agiert haben, manchmal plötzlich doch irrational werden.
Ich glaube nicht, dass die Weltwirtschaft ein mathematisches System ist. Es gibt keine für alle Zeiten optimale Wirtschaftspolitik. Der Neoliberalismus träumte das. Wirtschaftspolitik agiert in einer instabilen Welt, wie sie etwa in Tarkowskis Film Stalker existiert.
Unterschiedliche Zeiten setzen verschiedene Kräfte frei und wenn sich die Zeiten ändern, kann eine andere Wirtschaftspolitik überlegen sein. Es kann sein, dass die Schuldenbremse 2010 bis 2019 eine gute Idee war und heute nicht mehr.
richtig
Noch mal drüber nachgedacht.
Lemmy Economics geht noch ein Schritt über kein Mathematisches Modell hinaus.
Im Engineering versucht man eine möglichst effiziente Lösung zu der Erreichung einer good-enough Stabilität zu finden.
In der „Tarkowski-Stalker“ Welt ist diese Stabilität über längere Zeiträume weniger vorhersehbar als in der Physik Newtons.