Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Richter argumentiert, dass der Vergleich der aktuellen politischen Situation mit der Weimarer Republik irreführend ist und eine angemessene Zukunftspolitik behindert. Die Stärke der rechtsextremen AfD in Deutschland ist nicht auf Weimarer Verhältnisse zurückzuführen, sondern auf verschiedene Faktoren wie den Krieg in der Ukraine und den Klimawandel. Sie betont die Notwendigkeit, sich mit den Verbrechen der Vergangenheit auseinanderzusetzen, jedoch relativiert der Weimar-Vergleich das Ausmaß des Leids in jener Zeit. Die eigentlichen Herausforderungen liegen im 21. Jahrhundert, insbesondere im Umgang mit dem Klimawandel. „Weimar ist neunzig Jahre entfernt, 2,5 Grad Erderwärmung fünfzehn Jahre.“ Sie argumentiert, dass Deutschland eine stabile Demokratie ist, in der sozialer Frieden herrscht, und dass die Bedingungen für eine erfolgreiche Klimapolitik nicht schlecht sind. Es wird betont, dass die Politik Mut haben und die Bevölkerung auf die notwendigen Veränderungen vorbereiten sollte, um die Chancen der Zukunft zu nutzen. (Hedwig Richter, FAZ)
Richter hat sicherlich Recht, wenn sie betont, dass Weimar nur eingeschränkt Handlungshinweise für die Gegenwart geben kann und dass das Beschwören des Endes der Republik für die aktuelle Lage im Land grotesk und eher kontraproduktiv ist, weil es einen apokalyptischen Unterton schafft. Gleichwohl sehe ich durchaus relevante Lehren, die sich aus der Weimarer Geschichte ziehen lassen, was bestimmte Dynamiken angeht. Vor allem die Abwanderung vormals demokratischer Kräfte ins autoritäre Lager, also die Frage, ab wann es plötzlich denkbar wird, autoritär zu regieren, hat nichts von ihrer Bannkraft verloren. Schließlich war die Kanzlerschaft Brünings die erste autoritäre Regierung Deutschlands, nicht die Hitlers.
Natürlich liegt unsere größte Herausforderung im Umgang mit der Klimakrise. Allein, das zu wissen hilft mir ja nicht, das Problem AfD in den Griff zu bekommen. Denn die Ursache liegt ja nicht in der Klimakrise per se, sondern einerseits in ihren Begleiterscheinungen, vor allem aber in der Ablehnung ihrer Konsequenzen. Es ist ein Nicht-Anerkennen-Wollen von Realitäten und eine Ablehnung der Maßnahmen, die andere ergreifen. Inwieweit das Panacea, „die Bevölkerung auf notwendige Veränderungen vorzubereiten“ erreicht werden kann, steht auch völlig in den Sternen.
2) „Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft“ (Interview mit Carlo Masala)
In dem Interview mit Carlo Masala geht es um das Konzept der demokratischen Wehrhaftigkeit. Er betont, dass demokratische Wehrhaftigkeit nicht nur militärisch verstanden werden sollte, sondern auch die Bereitschaft einer Gesellschaft beinhaltet, für ihre Werte und Fundamente einzustehen. Masala zeigt Besorgnis darüber, dass das Bewusstsein für dieses Privileg abnimmt, da immer mehr Menschen in autokratischen Staaten leben und die Überzeugung von der Besonderheit einer freiheitlichen Demokratie schwindet. Er diskutiert auch das Konzept der Sicherheit als Freiheit der gesellschaftlichen Entwicklung und betont, dass die Sicherheit von Staaten und Gesellschaften auf ihrer inneren Entscheidungsfreiheit basiert. Er erklärt, dass der russische Angriffskrieg nicht nur ein militärischer Konflikt ist, sondern auch gegen die Freiheit und Demokratie gerichtet ist, indem er Desinformations- und Destabilisierungstaktiken einsetzt. Masala spricht auch über die Notwendigkeit, dass demokratische Staaten sich verteidigen können. Er betont, dass eine vielfältige Armee, die die Diversität der Gesellschaft widerspiegelt, ein militärischer Trumpf ist. Er kritisiert jedoch, dass die Bundeswehr in Deutschland noch nicht genügend Vielfalt und Diversität repräsentiert und dass die Diskussion um Landes- und Bündnisverteidigung zu einem Rückschritt führen könnte. Insgesamt betont das Interview die Bedeutung der demokratischen Wehrhaftigkeit und die Notwendigkeit, die Werte und Freiheiten einer freiheitlichen Demokratie zu verteidigen. (Martin Bialecki/Henning Hoff/Joachim Staron/Louisa Warth, Internationale Politik)
Das lange Interview mit Masala ist in seiner Gänze lesenswert. Der in der Überschrift bereits zitierten Aussage lässt sich jedenfalls zustimmen. Ich halte es auch für sehr unwahrscheinlich, dass die Deutschen sich in einer der Ukraine ähnlichen Weise mobilisieren lassen. Wir würden ziemlich sicher kapitulieren. Ich versuche, das an der Stelle wertneutral zu halten. Es gibt ja durchaus Argumente dafür, sich eben nicht in militärische Konfliktaustragung zu begeben, selbst wenn man der Angegriffene ist. Ich teile diese Position nicht, aber ich kann ihre Attraktivität nachvollziehen.
Dass der Krieg in der Ukraine ein Verteidigungskrieg westlicher Werte und Normen ist, ist gerade etwas, das man nicht Konsens nennen kann. Die Gegner*innen einer Unterstützung der Ukraine und „Verhandlungen“-Fordernder jedenfalls werden das so sicherlich nicht anerkennen. Auch hier stimme ich Masala völlig zu, und ich halte die Unterstützung für dringend geboten. In dem Zusammenhang freue ich mich auch über Masalas konsequentes Eintreten für eine Vereinbarkeit von modernen Werten und Resilienz, wie er sie im Schlagwort „woke und wehrhaft“ zusammenfasst. Unsere Diversität ist unsere Stärke, nicht unsere Schwäche.
Der Text behandelt die Klimapolitikkrise und argumentiert, dass die Bemühungen um den Klimawandel auf halben Wahrheiten basieren, was zu Widerständen und mangelnder Akzeptanz führt. Eine Illusion besteht darin, dass die Klimawende ohne größere Veränderungen im Verhalten der Menschen und nur durch technologische Lösungen erreicht werden kann. Diese Annahme führt zu ökologischer Hypochondrie und Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Ein weiteres Problem ist der Versuch, den antiökologischen Kulturkampf zu umgehen und stattdessen auf Klimapolitik als Wachstumsmotor zu setzen, was ebenfalls nicht effektiv ist. Die Kosten für die Klimakrise und den Umbau des Landes sind enorm und führen zu Verzicht in anderen Bereichen. Die Hoffnung, dass die Klimakrise durch konkrete Erfahrungen mehr Unterstützung erhält, wird widerlegt, da die Öffentlichkeit die Krise abstrakt beantwortet. Ulrich argumentiert, dass die Klimabewegung die ganze Wahrheit über Verhaltensänderungen und Opferbereitschaft kommunizieren sollte, um die Glaubwürdigkeit zu stärken. Der Westen muss sich bewusst werden, dass die Nebenwirkungen seines Handelns nicht mehr in die Zukunft oder auf andere abgewälzt werden können. Diese Erkenntnis stellt eine kulturelle Schwelle dar, da Privilegien nicht mehr selbstverständlich sind und die Akzeptanz der Klimamaßnahmen behindern. (Bernd Ulrich, ZEIT)
Ich mag den Begriff „ökologischer Hypochondrie“. Davon abgesehen: Illusionen herrschen definitiv zahlreiche. Obwohl mittlerweile die Berichterstattung ja wirklich sichtbarer und größer geworden ist, ist breiten Teilen das Ausmaß der Klimakrise überhaupt nicht bewusst; das Ganze gilt immer noch als eine Art Lifestyle-Frage. Sämtliche diskutierten Maßnahmen, vom Heizungsgesetz zum Tempolimit, entbehren völlig den Ernst der Situation, die Größe der Aufgabe, in den nächsten 20 Jahren klimaneutral zu werden. Da kommen noch ganz andere Konflikte auf uns zu.
4) A very short review of the question, “Is social media bad for teens?”
Die Frage, ob soziale Medien für Jugendliche schädlich sind, wird durch die bisherigen Beweise nur durch einen ernsthaften negativen Einfluss beantwortet: Depressive Mädchen, die täglich 5-6 Stunden soziale Medien nutzen, neigen dazu, noch depressiver zu werden. Es gibt auch eine interne Studie von Instagram, die zeigt, dass Instagram fast alles positiv beeinflusst, aber einen negativen Effekt auf das Körperbild von Mädchen hat. Abgesehen davon bezeichnen Kritiker die bestehenden Studien über den Zusammenhang zwischen sozialen Medien und der psychischen Gesundheit von Jugendlichen als „schwach“, „inkonsistent“, „unerklärt“, „ein Gemisch von Ergebnissen“ und „belastet durch einen Mangel an Qualität“ sowie „widersprüchliche Beweise“. Trotzdem gibt der Autor zu, dass er dazu tendiert, zu glauben, dass soziale Medien insgesamt einen ungesunden Einfluss auf Jugendliche haben. Dies liegt daran, dass viele Plattformen toxische Targeting-Algorithmen verwenden, die Empörung priorisieren; die Bildschirmzeit im Allgemeinen zu hoch ist; der FOMO-Effekt (Fear of Missing Out) süchtig macht und Angst verursacht; und schriftliche Nachrichten oft gemeiner und aggressiver sind als persönliche Gespräche. Allerdings hat er keine Beweise dafür, und ein Großteil seiner Meinung beruht wahrscheinlich darauf, dass er 64 Jahre alt ist und soziale Medien kaum nutzt. Menschen wie er – und sie sind diejenigen, die soziale Medien am häufigsten kritisieren – sind wahrscheinlich am wenigsten in der Lage, eine fundierte Meinung zu haben. (Kevin Drum, Jabberwocky)
Es ist tatsächlich super schwierig, das alles auseinanderzuhalten. Drum beweist eine bewundernswerte Selbstreflexion, wenn er betont, dass sein Bauchgefühl ihn womöglich trügt. Denn tatsächlich ist ja niemand von uns mit ständig verfügbaren Taschencomputern und Sozialen Medien aufgewachsen. Die erste solche Generation steht gerade erst in den Startlöchern. Dazu kommt, dass sich noch praktisch jede Sorge um den negativen Einfluss neuer Kulturmerkmale, von Rock’n’Roll über Comics zu MTV und Videospielen, als falsch erwiesen hat. Das darf natürlich umgekehrt nicht zum Kehrfehlschluss verleiten, dass alles eitel Sonnenschein sei und keine Probleme existierten.
Der Philologenverband Rheinland-Pfalz begrüßt die Initiative von Bundesgesundheitsminister Lauterbach, einen „Hitzeschutzplan Deutschland“ zu erstellen, während er dem eigenen Bildungsministerium Untätigkeit vorwirft. Die Landesregierung habe es versäumt, angemessen auf die steigenden Temperaturen und trockeneren Sommer mit einer geeigneten Strategie zu reagieren. Es besteht Handlungsbedarf bei der Dämmung der Schulgebäude sowie der Bereitstellung von Schattenflächen auf Schulhöfen und Kitas. Der Philologenverband fordert die Landesregierung auf, gemeinsam mit den Schulträgern Konzepte für den Gesundheits- und Arbeitsschutz zu entwickeln und bauliche Maßnahmen schnell umzusetzen. Insbesondere sollen gut erreichbare Wasserspender in allen Schulgebäuden des Landes aufgestellt werden. Die Verbraucherzentrale NRW unterstützt diese Forderung und betont, dass Landesregierungen eine Vorreiterrolle übernehmen könnten, indem sie schrittweise alle Schulen mit Trinkwasser-Zapfstellen ausstatten. Der Sanierungsstau bei Schulgebäuden in Deutschland wird auf rund 47 Milliarden Euro geschätzt. (News4Teachers)
Ich habe über dieses Thema schon in meinem Artikel „Rechtsfreier Raum Klassenzimmer“ geschrieben. Die Umstände, unter denen Unterricht stattfinden muss, spotten jedem Arbeitsrecht. Gerade hier in Baden-Württemberg, wo die Sommerferien mit Ende Juli super spät beginnen, findet die heißeste Phase des Sommers in Klassenzimmern statt, die vollbesetzt und kaum lüftbar sind. Räume gehen nach Süden raus und haben als einzigen Sonnenschutz eine Lamellenjalousie. Wie die Luft in diesen Räumen nach sechs Stunden steht, kann sich jede*r vorstellen. Zu all dem anderen Investitionsnotstand im deutschen Bildungssystem kommt nun auch noch fehlender Hitzeschutz hinzu.
Resterampe
a) Schäffler ist echt ein so lächerlich offensichtlicher Lobby-Troll.
b) Sehr gute Gedanken zu den strukturellen Mechanismen von Debatten.
c) Die Temperatur des Atlantiks ist echt crazy.
d) Noch mehr Gedanken zur AfD.
e) Selbstaufgabe von Politik. Furchtbar.
f) Sehr guter Thread zur NATO-Osterweiterung.
g) Spannende Gedanken zu Elitenselbstwahrnehmung und Gangstergeschichten.
h) Absolut zutreffend zu Autos.
i) Das ist doch so eine alberne Aussage.
j) So sehr ich Colin Kaepernicks grundsätzlicher Kritik zustimme, der Satz „Any attempt to whitewash the past should actually be understood as a concrete step toward fascism“ ist einfach Unfug.
k) Dieses unreflektierte „Wir“ kann ich auch nicht leiden.
l) The lab leak hypothesis continues to look pretty far-fetched.
m) Why do so many tech bros support RFK Jr.?
n) Amazon is being sued for making it ridiculously hard to cancel a Prime subscription. Das darf gerne Schule machen.
p) Latest NAEP long-term test shows disastrous results during the pandemic. Ich bin ultravorsichtig, was das Attributieren der miesen Schulergebnisse der letzten zwei Jahre auf Covid angeht, einfach, weil so eine bequem Ausrede ist. Da braucht es definitiv noch mehr Forschung. Aber man sollte es immer im Blick behalten.
r) Ich warte natürlich auf die gleiche Empörung auf liberaler Seite, wie es sie bei Habeck gab.
s) Ich halte Stoeckers Argumentation, dass die FDP maßgeblich von den Koch Brüdern beeinflusst sei, für reichlich überzogen.
t) Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was dieser FAZ-Artikel zur CDU mir sagen soll.
1) Eine der „Lehren von Weimar“ ist, dass die Demokratie wehrhaft sein soll: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit. Wie die Überprüfung von Beamten auf ihre Verfassungstreue. Was jetzt im Fall Sesselmann geschehen soll – und wütende Reaktionen hervorrruft.
Dabei ist es „ein Geschenk für die AfD“ (NZZ), egal wie es ausgeht.
Was sagt uns das?
Ich halte diese „Lehre“ für gar nicht so eindeutig. Andere Demokratien haben solche Mechanismen auch nicht, und die Möglichkeiten haben sich bislang als extrem unzureichend gezeigt. Das Parteiverbot ist völlig wertlos, und der Verfassungsschutz hat jetzt nicht eben den besten track record auf dem Gebiet.
„Das parteiverbot ist völlig wertlos“.
Seh ich nicht so, hat mE erheblich zur Marginalisierung der NPD beigetragen. Wenn Beamte und Richter um Status und Pension fürchten, werden sie nicht so leicht mitmachen. Auch bei der AfD gab es solche Absetzbewegungen, von der Führung als Feigheit denunziert.
Wenn Verwaltung und Justiz zur Demokratie stehen, ist sie nicht so leicht auszuhebeln.
Fundstück:
„Von der NPD unterscheiden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützer-Umfeld, nicht so sehr durch Inhalte.”
— Dubravko Mandic
Rechtsanwalt aus Freiburg und Mitglied des AfD-Jugendverbands Junge Alternative (JA),
in einer internen Facebook-Gruppe im März 2014
Hm, ok. Good point.
Max Steinbeis vom Verfassungsblog hat übrigens ein paar interessante Ideen, wie man legal die Verfassung aushebeln kann:
https://taz.de/Vor-der-Landratswahl-in-Sonneberg/!5942513/
Steinbeis verwertet seine revolutionäre Erkenntnis, dass man eine liberale Demokratie gegen eine illiberale Bevölkerungs- und Parlamentsmehrheit gar nicht verteidigen kann. Diese tiefgründige Erkenntnis lässt mich staunend und fassungslos zurück …
Gruss,
Thorsten Haupts
Aber mit höheren Chancen durch entsprechende Institutionen. Allein das Wahlsystem: Ohne Mehrheitwahl kein US-Präsident Trump. Oder wenn der Mehrheit wie jetzt in Griechenland einfach so zusätzliche Mandate geschenkt werden.
@ Thorsten Haupts
Kein Widerspruch. Ich meinte, dass sein Ansatz rein technisch interessant ist.
Gegen eine Bevölkerungsmehrheit, vielleicht auch gegen eine engagierte starke Minderheit wird man die Demokratie nicht halten können.
@ CitizenK 29. Juni 2023, 07:49
1) Eine der „Lehren von Weimar“ ist, …
Dabei ist es „ein Geschenk für die AfD“ (NZZ), egal wie es ausgeht.
Was sagt uns das?
Dies ist ein offener Blog. Hier kann jeder seine Meinung sagen, auch Du. Also: Was sagt es DIR? 🙂
es grüßt
E.G.
Die Frage war offen gestellt, nicht rhetorisch. Bin selber unsicher.
Versuch:
Wenn die Partei sicher ist, warum das Geschrei?
Der „Radikalenerlass“/Extremistenbeschluss seinerzeit hat mehr Schaden als Nutzen gebracht.
Was ist, wenn die Bürger wirkliche Verfassungsfeinde in Ämter wählen – als Bürgermeister zum Beispiel. Wie geht man damit um?
Ein gewählter Landrat wäre kaum aus dem Amt zu entfernen, ein jahrelanges Gezerre vor Gericht ein Schaden für die Demokratie.
In BW (wie in den meisten BL) werden die Landräte vom Kreistag, also indirekt gewählt. Finde ich besser. Diese Direktwahl ist nur scheinbar demokratischer – die Folgen sieht man in den USA.
Was ist ein Verfassungsfeind? Vor Wochen habe ich versucht aufzuzeigen, was eine verfassungsfeindliche Einstellung ist. Und das ist nicht, wenn man dem Demokratie- und Rechtsstaatsgebot kritisch gegenübersteht.
Wenn ein Verfassungsfeind bereits ist, wer gegen einzelne Grundrechte spricht, dann haben wir derzeit auch auf der linken Seite einige Amtsträger, die entfernt gehören. So einfach darf es also nicht sein.
Warum haben so viele Linke ein Problem mit der direkten Demokratie? Nirgends sonst in Europa versucht die linke Seite so sklavisch das Prinzip der absoluten Verhältnismäßigkeit durchzusetzen. Die großen Demokratien haben Regelungen, die dem Wahlsieger auch einen institutionellen Vorsprung geben. Das war in Griechenland übrigens schon früher der Fall. Durch eine Wahlrechtsreform wurde das Privileg abgeschwächt, dass der Wahlsieger automatisch zusätzliche Sitze zugeschlagen bekommt. Ministerpräsident Mitsotakis benötigte hierfür einen zweiten Urnengang, wo er auch hätte unterliegen können. Frankreich hat inzwischen ein starkes Mehrheitswahlrecht, wo es doch vom Verhältniswahlrecht kommt. Auch in Italien genießt der Wahlsieger Vorteile.
Der Punkt ist nämlich, dass ein striktes Verhältniswahlrecht Mehrheitsbildungen und damit die Regierungsfähigkeit erschwert. Hätten wir in Deutschland ein Mehrheitswahlrecht, hätte 2021 das linke Lager den Sieg davon getragen und man müsste sich nicht mit der widerspenstigen FDP abgeben. Für den Bürger hätte das mehr Klarheit bedeutet. In vier Jahren wird ja schließlich wiedergewählt und ansonsten ist die Regierung bereits durch internationale Verträge und den Rechtsstaat eingehegt.
Also, warum diese große Angst von Direktwahlen? Ich denke, da blitzt bei Linken ihr Reflex zum Anarchismus durch.
1) Der falsche Weimar-Reflex
Vor allem die Abwanderung vormals demokratischer Kräfte ins autoritäre Lager, also die Frage, ab wann es plötzlich denkbar wird, autoritär zu regieren, hat nichts von ihrer Bannkraft verloren.
Wie Du immer wieder betonst: Nur die Wählenden entscheiden, nur wer sich zeigt, darf mitreden. Wenn die Gruppe der Nichtwähler sich für die AfD entscheiden würde, stellt die AfD den Kanzler. Entscheidet sie sich dagegen, ist die AfD marginalisiert.
Aber offenbar gelingt es den Parteien nicht, Angebote zu machen, die alle Bürger ins Boot holen (nur als kleine Spitze: wieso fühlte ich jetzt an den ÖR erinnert?).
2) „Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft“ (Interview mit Carlo Masala)
Ich halte es auch für sehr unwahrscheinlich, dass die Deutschen sich in einer der Ukraine ähnlichen Weise mobilisieren lassen. Wir würden ziemlich sicher kapitulieren.
Abgesehen davon, dass die Ukraine genau weiß, welche Willkür sie von einer Siegermacht Russland zu erwarten hätte – unsere Bevölkerung wird seit Jahrzehnten dahin erzogen, NICHT wehrhaft zu sein, NICHT „deutsch“ oder „national“ zu denken. Wem man den Stolz aufs eigene Land abtrainiert, hat keinen Antrieb zu kämpfen.
3) Packt die Badehosen ein
Sämtliche diskutierten Maßnahmen, vom Heizungsgesetz zum Tempolimit, entbehren völlig den Ernst der Situation, die Größe der Aufgabe, in den nächsten 20 Jahren klimaneutral zu werden. Da kommen noch ganz andere Konflikte auf uns zu.
Die Situation, die wir jetzt haben, ist hart genug. Sie basiert nicht auf unserem aktuellen Verhalten, sondern spiegelt den Status der Öko-Belastungen von vor etwa 10, 20 Jahren wider. Egal, wie schnell und konsequent wir jetzt handeln, wird unser Handeln in den nächsten 10, 20 Jahren zu keiner besseren Reaktion führen als (eventuell) zu einem leicht verlangsamten Anstieg; aber es wird noch viele Jahre schlimmer werden.
Problem ist halt, das man deswegen nicht nur die Ursachen, sondern auch die Symptome angehen muss. Das ist aktuell weder von uns noch von anderen zu schaffen – gerade weil sich die Gesellschaft nicht darüber in Klaren ist, was da auf uns zukommt, und welches unglaubliche Trägheitsmoment das Klima hat.
5) Hitze macht Unterricht in maroden Schulgebäuden zur Qual: Philologen fordern Schutzplan für Schüler und Lehrer
Die Umstände, unter denen Unterricht stattfinden muss, spotten jedem Arbeitsrecht.
Wenn keiner klagt …
Gerade hier in Baden-Württemberg, wo die Sommerferien mit Ende Juli super spät beginnen, …
Willst Du lieber nach den Sommerferien im August im Klassenzimmer sitzen?
1) Wann gelang das schon jemals?
2) Richtig. Wir haben da definitiv überkorrigiert. Ich denke, aus gutem Grund – vor allem, was „Patriotismus“ à la AfD angeht. Aber einen demokratischen Patriotismus sollten wir entwickeln. Einer, der Werte wie Toleranz, Diversität, Demokratie, Rechtsstaat etc. als das begreift, auf das man stolz sein kann, das in eine deutsche Tradition stellt (1848! 1919!).
3) Es wird nicht mehr besser. Wir haben nur noch in der Hand, wie viel schlimmer es wird. Das ist echt immer noch nicht angekommen.
5) Ja. August ist üblicherweise kühler als Juli.
2) Wie entwickelt man einen demokratischen Patriotismus? Und was haben darin so Worte wie „Diversität“ zu suchen? Demokratie und Rechtsstaat stehen im Grundgesetz, die Verfassung für alle Deutschen.
2) Keine Ahnung. Das gehört dazu, weil dein Patriotismusbegriff sonst ausgrenzend ist, was genau die Kritik an seiner geläufigen Verwendung ist. Korrekt, und die Sonne geht im Osten auf.
2) Alles, was Identität und Identifikation schafft, ist auch ausgrenzend.
Die AfD stellt eine lesbische Kanzlerkandidatin auf, die mit ihrer aus Sri Lanka stammenden Partnerin und zwei Kindern zusammenlebt. Kannst Du Dir eine diversere Politikerin vorstellen? Dagegen ist Baerbock geradezu konservativ bieder. Trotzdem fliegen ihr die Sympathien der queeren Aktivist:innen (sic!) zu, während Weidel angefeindet wird. Die AfD-Politikerin hat anscheinend mehr von dem patriotischen Deutschland als die Grüne.
Wenn Patriotismus das ist, was in der Verfassung steht, dann brauchen wir das nicht. Das ist wie die Behauptung, ein bürgerlicher Mensch wäre jemand, der nicht straffällig wird.
Die AfD stellt eine lesbische Kanzlerkandidatin auf, die mit ihrer aus Sri Lanka stammenden Partnerin und zwei Kindern zusammenlebt. Kannst Du Dir eine diversere Politikerin vorstellen? Dagegen ist Baerbock geradezu konservativ bieder. Trotzdem fliegen ihr die Sympathien der queeren Aktivist:innen (sic!) zu, während Weidel angefeindet wird. Die AfD-Politikerin hat anscheinend mehr von dem patriotischen Deutschland als die Grüne.
Das ist nur Getrolle.
Definier gerne mal, was Patriotismus für dich ist.
Auch wenn es provokativ formuliert ist: Es fällt seit langem auf, dass diejenigen Linken, die sich angeblich die Förderung von Frauen und queeren Menschen zum Ziel gesetzt haben und sie bei Rechten diskriminiert sehen, Frauen in Führungspositionen bei rechten und rechtspopulistischen Parteien geradezu mit Hass (hier ist das Wort angebracht) verfolgen. Thatcher war bei Linken so verhasst wie kein anderer Tory-Politiker. Marine LePen, Giorgia Meloni und Alice Weidel polarisieren nach links so stark, wie es kein männlicher Politiker aus dem Spektrum vermag.
Frauen und queere Menschen nur dann in Führungspositionen gutzuheißen, wenn sie die „richtigen“ Ansichten und Positionen vertreten, macht das Eintreten für Förderung von Frauen und Angehörigen von Minderheiten unglaubwürdig. That’s the point.
Patriotismus: Angehöriger einer Nation, der sich mit der Geschichte seines Landes, sowohl der positiven als auch dunklen Seiten identifiziert, emotionale Verbundenheit mit seiner Heimat, die sich territorial abgrenzen lässt. Patriotismus hat eine positive bis tief berührende Einstellung zur Kultur, Sprache und dem Leben in seinem Vaterland sowie seinen Symbolen. Die Verfassung ist seine Bibel.
Ich hab einen ganz radikalen Gedanken für dich: vielleicht mögen Linke keine rechten Politiker. Die Rechten haben ja auch keine Liebe zu Christian Ströbele, nur weil er ein alter weißer Mann ist. Diese Debatte ist völlig absurder Unfug.
Patriotismus: Geh ich weitgehend mit, wenn mit der Identifizierung der dunklen Seiten gemeint ist, dass ich etwa die Shaoh als Schandfleck anerkenne und als genuinen Teil unserer Geschichte begreife.
Christian Ströbele ist tot. Ich mag Leute wie Baerbock oder Ricarda Lang nicht wegen ihrer politischen Überzeugungen. So etwas kann ich gut respektieren. Ich mag sie nicht wegen ihrer Vita, die ich nicht schätze und ihrem Universalanspruch, klugen Menschen wie mir sagen zu können, was ich für richtig und falsch zu halten habe. Zuletzt schwafelte Lang davon, dass eine Gasheizung keinesfalls sinnvoll sei, weil. Es war sachlich Unsinn und es war vor allem übergriffig. Warum sollte ich so jemanden mögen?
Genau mein Punkt. Warum sollten Linke Weidel mögen?
Das verstehe ich ja noch. Weidel ist eine höchst unbeliebte Politikerin. Aber Maggie Thatcher wurde bis zu ihrem Tod (!) mit regelrechtem Hass überschüttet.
Marine LePen und Giorgia Meloni sprechen Millionen ehemals linker Wähler an. Die Formel ist doch eine andere: Frauenförderung ist gut, wenn dadurch linke Politik gestärkt wird. Zugegeben, das ist nicht gerade sympathisch.
Thatcher, milk snatcher? ^^ Ich meine, Thatcher war jetzt auch nicht eben eine Person, die sich um Integration des anderen Lagers bemühte, um es mal milde auszudrücken. Es gibt – ob vor, bis oder nach ihrem Tod – für Linke auch wenig Grund, sie zu mögen.
Politikerin L. sprach sehr wahrscheinlich von Gazheizungen allgemein, nicht speziell von der von Herrn P.
Gerade bei klugen Menschen würde ich vermuten, dass sie eine solche Aussage möglicherweise falsch oder (vielleicht zu Recht) dumm finden. Aber „übergriffig“? Verstehe ich nicht. Ich halte auch den 68er Spruch „Ratschläge sind auch Schläge“ für falsch.
@Stefan
Das ist doch der Punkt: Linken geht es nicht um Frauenförderung, sondern um den politischen Kampf mit moralischer Untermalung. Das Argument, man müsse mehr Frauen in politische Führung bringen, wird hohl, wenn man auf die Kanzlerkandidatur einer Alice Weidel ablehnend reagiert.
So wenig ich ein/e AfD-Politiker/in als Bundeskanzler/in möchte, so demaskierend sind doch solche Parteinahmen.
Nein, überhaupt nicht. Ich finde es toll, dass auch Frauen Top-Rechtsextremisten sein können. Ich lehne aber trotzdem Rechtsextremismus ab.
@Stefan
Übrigens brauchte Thatcher selbst im Zustand der Demenz bis zu ihrem Tod Personenschutz, weil hassende Linke diesen gerne befördert hätten.
I never condoned any of this. Was ich sage ist nur, dass Thatcher jetzt nicht eben eine Persönlichkeit war, die völlig aus heiterem Himmel diese Gefühle produzierte. Sie hat das aktiv für ihren Wahlkampf und ihre ganze Persona befördert.
Erstens bringt es nicht, Politiker zu interpretieren. Sie haben sich einer klaren Sprache zu bedienen, das ist ja schließlich ihr Handwerkszeug.
Zweitens ist es, anders als das Sprechen, nicht die Aufgabe von Politikern Investitionsempfehlungen zu geben. In der Vergangenheit ging das ohnehin meistens schief und es klingt einfach zu interessengeleitet.
Die Grünen behaupteten in der Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz, der Betrieb mit Gas würde sich ab 2027 ohnehin so verteuern, dass es nicht verantwortbar sei, den Bürgern noch die Investition in Gasanlagen zu erlauben. Deswegen sei das de-facto-Verbot richtig, das Gesetz würde nur, zum Schutz der Bürger versteht sich, vorgreifen.
Hintergrund sei die Ausweitung des ETS auf die Wohnungswirtschaft. Bereits heute liegt der Zertifikatepreis bei über 90€ und würde bis 2027 und darüber hinaus fast zwangsweise noch viel stärker steigen. Schlecht für den Gaspreis.
Was die ziemlich Ungebildete übersieht, nicht weiß oder in den Diskussionen verschwiegen hat: Die EU hat in diesem Fall mit Rücksicht auf die armen südosteuropäischen Länder Rumänien und Bulgarien den Preis längst per Richtlinie auf 46€ (?) gedeckelt. Die Zertifikate werden also in vier Jahren plötzlich viel günstiger und damit erhält Gas einen Vorteil.
Mir fallen da für Frau L. nur herabsetzende Worte ein, also lass ich es. Aber ich gehe für einen Finanztipp auch nicht zu einer Abbrecherin des Jurastudiums, die außer Sitzfleisch in ihrem Leben nichts nachgewiesen hat und über keinerlei Lebens- und praktische Erfahrungen verfügt.
Das ist der Grund, warum ich von solchen Personen nicht das Geringste halte.
@Stefan
Nochmal: es geht nicht darum, dass jemand einer Politik zustimmt, die seinen Überzeugungen widerspricht. Aber es wirkt schon schizophren, auch von der AfD die Aufstellung von mehr weiblichen Kandidaten zu verlangen – in der Erwartung, dass diese nicht gewählt werden.
Also, vielleicht sollten wir solche Forderungen, die Frauen oder Diverse begünstigen sollen, etwas hintenanstellen, wenn es doch nur darum geht, dass die eigenen Farben sich durchsetzen.
Patriotismus: Mich hat die Geschichte des Holocaust immer fasziniert wie beschämt. Auch wenn ich keine persönliche Schuld trage, so habe ich mich immer als Abkömmling des Tätervolkes gegenüber Juden (überlebend wie nachgeboren) gesehen.
Aber ich war schon in der Schule immer stolz auf viele Aspekte deutscher Geschichte. Und da gibt es vieles, worauf Patrioten stolz sein können. Man muss es ja nicht mit Fliegenschiss-Vergleichen einordnen.
Ja, so sehe ich das auch.
Ein Problem haben wir aber noch offen, finde ich: wie gehe ich als Immigrant damit um?
Ich verlange von neuen Mitarbeitern auch nicht, dass sie sofort eine hohe Identifikation und Loyalität mit dem Unternehmen aufbringen, dass sie ja erst kennenlernen müssen. Wenn Du anderes annimmst, gehst Du mit einem unmenschlichen Idealismus an andere Menschen heran.
Ich erwarte, mindestens erhoffe, dass jemand, der hier geboren ist, eine patriotische Haltung zu seinem Geburtsland entwickelt. Leider ist das, wie wir immer wieder sehen, nicht selbstverständlich.
@ Stefan Pietsch 29. Juni 2023, 20:27
2) Alles, was Identität und Identifikation schafft, ist auch ausgrenzend.
Genau so. Jedem „wir“ stehen „die anderen“ gegenüber.
Daher meine Betonung von Diversität: moderner deutscher Patriotismus muss möglichst inklusiv sein und darf nicht Deutsche ausgrenzen.
Genau da ist der Dissens. Patrioten können Männer, Frauen sein. Keine Patrioten sind Tiere und Pflanzen, was sicher besonders inklusiv wäre. Keine Patrioten sind Menschen, die nicht Bürger des Landes sind. Wer fünf Staatsbürgerschaften mit sich führt, hat sich noch nicht entschieden, ob er dazugehören will, sondern betreibt Cherry Picking. Patrioten tun genau das nicht.
Nach dem Grundgesetz sind Bürger des Landes, welche die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Das sollen wir keinesfalls weiter aufweichen, wenn wir über Patrioten diskutieren. Und es ist eine logische Kette, dass nur Bürger auch Patrioten sein können.
Ich habe große Sympathien für Israel und die südamerikanischen Länder. Ich mag die USA und seine Leute enorm. Beim WM-Finale fieberte ich regelrecht mit den Argentiniern mit. Das alles macht mich zu keinem amerikanischen, argentinischen oder israelischen Patrioten. So inklusiv darf der Begriff nicht sein, damit er Identität schaffen kann. Wenn nicht, warum wollen wir so etwas überhaupt?
Wir haben da keinen Dissens. Ich sage nur, dass ein WEISSER Patriotismus nicht geht. Wenn du nicht akzeptierst, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch deutsche Staatsbürger*innen sein können, bist du kein Patriot.
Wer hat denn von der Hautfarbe gesprochen? Wer von der Herkunft der Eltern? Das ist mir alles egal und habe ich nicht zur Grundlage der Definition gemacht. Du büxt aus, um Deinen Universalanspruch durchzubekommen.
Du hast damit angefangen, weil du die Selbstverständlichkeit angezweifelt hast, dass ein Patriotismus die Diversität Deutschlands einschließen muss.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Du hast, völlig unnötig, den Diversitätsbegriff eingeführt. Weder im Grundgesetz noch von mir wurde Patriotismus dahingehend eingeschränkt, dass Nicht-Weiße und Transpersonen keine Patrioten sein könnten. Da scheinst Du mehr die Rassismus- und Sexismusschere im Kopf zu haben als ich. 🙂
Nun ist Alice Weidel die diverse Person schlechthin. Der würdest Du jedoch nicht das Prädikat „Patriotin des Jahres“ geben. So relevant kann Dir dann diese Inklusion nicht sein, wenn das ja nicht bestrittene Prinzip gilt: Geschlecht, Herkunft und Rasse sagen nichts über die Identifikation mit einem Land aus.
Von daher finde ich, dass Du Deinem Einwurf der woken Gesellschaft die Debatte auf Abwege geführt hast.
Alter…
Du bist nicht Patriot, wenn du divers bist. Du bist Patriot, wenn du in deinem Patriotismusbegriff Platz hast für die Diversität Deutschlands. Das ist alles, aber nicht unnötig.
Eine patriotische Einstellung hat nichts damit zu tun, dass man zu Transpersonen und Homosexuellen eine positive Einstellung hat. Hier kannst Du von Toleranz sprechen, aber nicht von Patriotismus. Ich muss nicht alle Familienmitglieder mögen und kann trotzdem die Familie bis aufs Blut verteidigen.
Suchst Du wirklich neue Synonyme für Toleranz?
@ Stefan Sasse 30. Juni 2023, 18:44
Du hast damit angefangen, weil du die Selbstverständlichkeit angezweifelt hast, dass ein Patriotismus die Diversität Deutschlands einschließen muss.
Nichts „muss“, bestenfalls „sollte“.
Ich gehöre zu einer Generation, der man den Stolz auf Deutschland bewusst als „hässlich“ abtrainiert hat; bzw. hat man das versucht, und ich gehöre zu denjenigen, bei denen das geklappt hat.
Ich bin nicht grundsätzlich stolz auf unsere „Vielfalt“, bin auch nicht grundsätzlich dagegen. Was mich (wie Du weißt) stört, ist diese Zuwanderungspolitik der offenen Tür in unser Sozialsystem, weil das die – biodeutschen, „weißen“ – sozial und finanziell Schwachen noch stärker ausgrenzt, dort Feindseligkeiten gegen die „Konkurrenz“ entstehen lässt, die Schere zwischen Arm und reich weiter auseinandertreibt. Wenn jemand sagt „die Ausländer kriegen doch alles hinten reingeschoben“, ist das natürlich in dieser Pauschalität falsch, hat aber einen wahren Kern.
Was mich (wie Du auch weißt) freut, ist, wenn einer woher auch immer hierher kommt, sich eine legale Existenz aufbaut, auf eigenen Beinen steht, und die Gesellschaft so unterstützt.
Ich habe auch kein Problem mit irgendeiner Art von Sexualität, habe aber ein Problem damit, das von wem auch immer unter die Nase gerieben zu bekommen. Welche Sexualität eine Person hat, ist seine Sache, und ich möchte nicht, wenn versucht wird, dass zu meiner zu machen. Das gilt übrigens auch für Heteros.
Ich bin ein großer Gegner von Religion (nicht von Spiritualität), aber meiner Meinung nach gibt es keinen Gott außer dem, den man in seinem Kopf erfindet. Auch hier: Jeder gerne nach seiner Façon, aber ich habe Riesenprobleme damit, wenn einer mit seiner oder einer anderen Religion in der Öffentlichkeit herumfuchtelt.
„Diversity“ – ob nach Religion, sexueller Orientierung, Rasse, Herkunft oder was auch immer – ist nach meiner Einstellung nach kein Selbstzweck (die Hautfarbe „weiß“ ist das ja auch nicht). „Toleranz“ als Wert lasse ich gerne gelten, aber auch das ist im Alltag eine sehr subjektive, sehr persönliche Sache, und nichts, auf das man im Rahmen von „Patriotismus“ stolz sein muss.
Du musst auch nicht stolz drauf sein. Ihr missversteht, was ich meine. Ich sage, dass Diversität als Fakt anerkannt werden muss und Raum sein für das volle Spektrum der Deutschen. Ein Patriotismus, der heternormativ und weiß ist, kann weg. Ein Patriotismus, der das nicht ist, ist völlig ok. Ich bin bei dir, was das abtrainiert bekommen angeht; ich denke aber, das Thema hat sich. 2006 war da IMHO der Scheidepunkt.
Vielleicht versuchst Du mal zu erklären, was Du unter einem „diversen“ Patriotismus verstehst und worin er sich zum amerikanischen und französischen unterscheidet.
Eigentlich gar nicht. Ich würde diese ja als Vorbild nehmen. Mir ging es von Anfang an um die Abgrenzung von dem, was NPD, AfD und Co unter „Patriotismus“ verstehen.
Diese Abgrenzung gibt es ja in aller Deutlichkeit. Was zumindest von linker Seite fehlt ist die Abgrenzung zu „alle“.
Ich finde die Darstellung in Roland Emmerichs „Der Patriot“ hat es ganz gut getroffen. In dem Historienfilm geht es um den amerikanischen Unabhängigkeitskampf. Schwarzen wurde danach zugesagt, nach einigen Monaten in der Miliz würden sie ihre Freiheit erhalten. Entsprechend wird eine Figur eingeführt, die sich verpflichtet. Als die Entscheidungsschlacht beginnt, ist seine Zeit eigentlich abgelaufen. Jetzt, so sagt er, kämpfe er als freier Mann. Mel Gibson als Held des Films zeigt in verschiedenen Szenen patriotisches Verhalten. So lehnt er als Kriegsheld den Krieg ab. Er schützt seine Familien, seine Miliz, am Ende sein Land. Er kämpft aus Überzeugung und zeigt die Fahne, unter der sich alle Amerikaner versammeln.
Wie schwer sich Linke mit der Definition von Patriotismus tun, sieht man an Ralf und Floor Acita. Dabei kommt die typisch Arroganz des linken Bürgertums zum Tragen. Die USA sind so groß wie die EU. Warum sollten sie in einem anderen Land Urlaub machen, was einer Interkontinentalreise entspräche? Auch die Europäer haben höchst selten einen so großen Bewegungsradius.
Die meisten Deutschen kennen außer dem kleinen Teil des deutschsprachigen Auslandes nur Spanien und Italien, ohne mehr als die Worte Ciao und buenos noches zu verstehen. Wie die Bewohner anderer großen Flächenländer – Italiener, Spanier, Franzosen – sprechen viele ein überschaubares Englisch. Und wie die meisten Menschen machen auch die Europäer hauptsächlich im eigenen Land Urlaub – nur eben auf kleinerer Fläche.
Ich erwarte nicht, dass Linke, die den Vorteil höherer Bildung genossen haben, verstehen, was Identität mit Herkunft, Kultur und Land bedeuten. Was ich jedoch verabscheuungswürdig finde, ist die Verächtlichmachung von Menschen, die nicht so elitär leben wie sie selbst.
Puh, „Der Patriot“ ist für mich ein ziemlich problematisches Beispiel. Da wäre einmal Mel Gibsons Charakter. Der Mann kämpft, weil die Briten seinen Sohn töten; er zieht aus Rache in den Krieg. Der Patriotismus später bezieht sich gerade nicht auf die Gemeinschaft, sondern ist ein atomisierter. Und so sehr ich das sentiment mit dem freien Schwarzen unterstütze, so ist es eine Lügenerzählung. Freiwillige Schwarze, die für ihre Freiheit stritten, kämpften für die Briten. Ich finde ein wesentlich besseres Beispiel für US-Patriotismus in einem Film „The Conspirator“, beispielsweise.
Und Verächtlichmachung von Menschen, die nicht so elitär leben wie man selbst – da solltest du vielleicht nicht im Glashaus mit Steinen werfen.
Vorsicht jetzt, sonst wird es unbeabsichtigt persönlich.
Beziehen Sie sich auf meine kurze Antwort an Erwin gestern oder (auch) auf meinen längeren Beitrag zu Deutschland & Vielfalt von heute. Das macht (eventuell?) einen Unterschied. Ich tue mir mitnichten schwer mit dem Patriotismusbegriff, sondern habe in aller Deutlichkeit meine Liebe zu Land und Leuten und den Grund dazu dargelegt.
Gegen was ich mich entschieden wehre ist eine vermeintliche ‚Verächtlichmachung‘ von Leuten, da brauche ich konkrete Beispiele.
Und eine Anmerkung zu meiner Person / meinem Werdegang. Ich habe gerade erst im Gespräch festgestellt, dass ich immernoch ca. 3x so lange im Blaumann gearbeitet habe wie alles was mein Leben heute und die letzten 5 Jahre ausmacht. Mein höchster berufsqualifizierender Abschluss ist eine 3-jährige Laborantenausbildung. Die Blitzkarriere seit Beginn der Digitalisierung, die neuerdings sogar ein ‚officer‘ in der Signatur beinhaltet verdanke ich neben sehr viel Glück wie der Weitsicht und dem Vertrauen meines ehemaligen Abteilungsleiters, das man 4.0 Förderer wie Blockierer auf allen Ebenen findet, gerade meiner Fähigkeit zwischen verschiedenen Kulturen -und dabei meine ich hier in erster Linie verschiedene Abteilungs-, Gruppen- und „Zunft“- (Programmierer, Forscher, Laborpersonal, Datenbankler etc) Kultur- zu vermitteln, Schnittstellen zu besetzen und win/win Situationen zu kreieren. Noch heute habe ich unter allen Kollegen meiner und der Ebenen darunter den herzlichsten wie fruchtbarsten Kontakt zu den Kollegen im Blaumann oder Laborkittel. Wir vertrauen uns. Oftmals muss ich diese im Übrigen sowohl im Unternehmen als auch in politischen Diskussionen verteidigen, vor allem gegenüber allzu hartnäckigen Vorurteilen was Fähigkeiten, Interessen und Wandlungsfähigkeit angeht, von Leuten die nie wirklich, schon gar nicht länger als ein paar Monate als Arbeiter verbracht haben. Im Unternehmen werden Bedenken und Blockaden einfach angenommen / projeziert die man tatsächlich 1-2 Ebenen darüber zu Häufe findet. Über den hohen (und im Vergleich der eigentlichen Zielgruppe sogar höchsten) Zuspruch zu einem zum ersten Mal für die unterste Ebene angebotenen Kurs zu einem wissenschaftlichen Recherche Tool zeigt man sich dann dagegen überrascht – nicht zum ersten Mal, dass ich Erwartungen gegen die Realität crashen sehe. Und auch im politischen Meinungsstreit werden nur allzugerne Einstellungen, Positionen, Mentalitäten von kleineren Gewerbetreibenden/Geschäftsleuten, Selbstständigen im Allgemeinen einfach auf ‚Arbeiter‘ projeziert / übertragen, die man zur wahrscheinlichen Überraschung vieler Leute meiner Erfahrung nach dort gerade nicht vorfindet (wo Izmir, Gunther, Xaver, Ümüt und Heinz ja einfach ‚Kollegen‘ sind).
Kurz und knapp – keine zu voreiligen Schlussfolgerungen … bitte 😉
Das ist das Problem mit Rundumschlägen, sie treffen auch dort, wo sie nicht treffen sollen.
Wenig überraschend ist der Nationalismus dort besonders stark ausgeprägt, wo Mangel an Bildung auf geringe Mobilität trifft. Die USA wurden ja schon mehrfach in dieser Diskussion als “besonders patriotisch” genannt. In den USA besitzt die Mehrheit der Bevölkerung keinen Reisepass. Die meisten Bürger haben ihr Land nie verlassen. Viele haben kaum mehr gesehen als den Ort, an dem sie aufgewachsen sind. Und die meisten von denen haben auch nie ein College von innen gesehen. Kein Wunder, dass die patriotisch sind.
In der EU wird es zunehmend zum Standard, dass junge Menschen Auslandssemester oder Auslandspraktika machen. Viele ziehen für die Master- oder Doktorarbeit ins Ausland.
Das ist ein Arroganzanfall im Extrem. Wer schreibt wohl Master- und Doktorarbeiten? Nicht einmal 10% der Bevölkerung. Und wer davon schiebt einen Auslandsaufenthalt ein? Irgenwo zwischen bestenfalls 5-7 Prozent. Alle anderen sind einfach zu doof. Ergo Patrioten sind Idioten.
Ironie am Rande: Wo Ralf sich über Amerikaner erhoben hat, von denen über die Hälfte keinen Reisepass besitzt, die deswegen zu doof seien ihr Land zu verlassen, hat er übersehen, dass auch die meisten Deutschen ebenfalls keinen Reisepass besitzen.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1281137/umfrage/gueltiger-reisepass-besitz/
@Stefan
Nun, es ist zweifellos ein umstrittener Film und Emmerich hat es mit seiner Erzählung im historischen Kontext nicht sonderlich genau genommen. Der Racheaspekt ist einer, aber wesentlicher ist, dass die Figur des Mel Gibson sich in den Dienst des Freiheitskampfes stellt.
Patrioten sind freie Menschen mit freiem Willen und Entscheidung, die sich in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen. So ungefähr lässt sich das fassen.
Ich kann mich an nichts erinnern, wo ich je auf Ärmere oder weniger Gebildete herabgeblickt hätte oder mich dahingehend despektierlich geäußert hätte. Da müsstest Du schon konkret werden. Im Gegenteil, meine Attacken gehen immer gegen die Hochnäsigen und die, die es besser könnten.
Beispiele: Ich bin dafür, Benachteiligte früh zu fördern mit den besten Mitteln, die uns als Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Du bist eher dafür, diese Mittel zu streuen. Ich bin dafür, die Sozialausgaben wesentlich stärker auf die Bedürftigen zu konzentrieren. Sämtliche Linken, auch hier im Blog, sind klar für Streuung. Ich bin dafür, ärmeren Menschen wesentlich mehr von ihrem Verdienst zu belassen. Du bist klar dafür, dass Arbeitgeber auch hohe Entzugsraten auszugleichen hätten. Und wenn die gesamte Mindestlohnerhöhung beim Staat landet, so hätte der Sozialhilfeempfänger doch etwas davon, schließlich bräuchte er nicht mehr so viel zu beantragen. Ich kann echt so weitermachen.
Noch ein Beispiel für guten Patriotismus: The West Wing.
@ Stefan Pietsch 3. Juli 2023, 09:54
Ich bin dafür, Benachteiligte früh zu fördern mit den besten Mitteln, die uns als Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Du bist eher dafür, diese Mittel zu streuen. Ich bin dafür, die Sozialausgaben wesentlich stärker auf die Bedürftigen zu konzentrieren. Sämtliche Linken, auch hier im Blog, sind klar für Streuung. Ich bin dafür, ärmeren Menschen wesentlich mehr von ihrem Verdienst zu belassen. Du bist klar dafür, dass Arbeitgeber auch hohe Entzugsraten auszugleichen hätten. Und wenn die gesamte Mindestlohnerhöhung beim Staat landet, so hätte der Sozialhilfeempfänger doch etwas davon, schließlich bräuchte er nicht mehr so viel zu beantragen.
Kann ich weitgehend mitgehen. Man versucht immer, die Schere von oben zuzumachen statt von unten, sammelt lieber Geld für die (weitgefasste) Symptom-Bekämpfung, statt sich der Ursachen anzunehmen. Ändert man diesen Ansatz, verbessert man Chancen, geht man auf Ursachen statt auf Symptome, können wir gerne über mehr Geld reden.
Bin ich auch gerne dabei.
@Stefan
Hm, nein, bist Du nicht. Als wir uns vor ein paar Wochen einig waren, dass die finanziellen Mittel wie die Ressourcen an Personal begrenzt sind, alle Kinder zwischen 3-6 Jahren adäquat und individuell zu fördern, plädiertest Du für eine pauschale Verteilung der Mittel und eben nicht für die gezielte Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern. Dein Hauptargument: an irgendeiner Stelle könne ja jemand diskriminiert werden, am Ende noch Eltern, die ihre Kinder vernachlässigt haben.
@ Stefan Sasse
zu 2) Du hast wirklich keine Ahnung, wie so etwas funktioniert, oder … 🙂
Ich bin stolz auf meine Kinder, mein Auto, mein Haus, meine Lebensleistung, meinen Fußballverein, mein Garten, meine Juwelen, mein Land whatever.
Ich bin nicht stolz darauf, dass in München ein Ur-Bayer Schweinshaxn abschwört und sich nur vegetarisch ernährt, in Berlin eine AfD-Bundestagsabgeordnete zu ihrer ausländischen Putzfrau nett ist, die Kinder aus der Nachbarstraße eine 1 in Mathe nach Hause bringen, oder die Bahn mal pünktlich fährt.
So funktioniert das nicht …
Ich bin stolz auf meine Kinder, mein Auto, mein Haus, meine Lebensleistung, meinen Fußballverein, mein Garten, meine Juwelen, mein Land whatever.
Das ist ja eben nicht Patriotismus. Patriotismus ist Stolz auf etwas, das größer ist als man selbst.
Obwohl das gut zu meiner Argumentation passt, dass niemand (nur) für abstrakte Werte in einen Krieg zieht, sondern immer für Kleineres. Erstmal sich selbst, Familie, Haus & Hof zu verteidigen, vielleicht noch seine Lebensweise (wenn wir jetzt mal den Fall der Ukraine nehmen, die eine Invasion eines fremden und echt nicht freundlichen Landes gegenüberstehen).
Natürlich spielen da europäische Werte etc. eine Rolle, aber erschießen lässt man sich halt doch wegen was anderem.
Idealerweise eh gar nicht.
@ Stefan Sasse
Das ist ja eben nicht Patriotismus. Patriotismus ist Stolz auf etwas, das größer ist als man selbst.
Meine Kinder, mein Auto, mein Haus, meine Lebensleistung, meinen Fußballverein, mein Garten, mein Land 🙂
… aber ich sprach von Stolz (als Voraussetzung für Patriotismus), nicht von Patriotismus selbst.
Hätte ich wohl klarer machen müssen.
lol
Ich bin stolz auf meine Kinder, mein Auto, mein Haus, meine Lebensleistung, meinen Fußballverein, mein Garten, meine Juwelen, mein Land whatever.
Ich glaube, Du vermischst da Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Dein Auto, Dein Haus und Deine Juwelen sind Gegenstände, die für Dich in erster Linie einen finanziellen Wert haben. Die würdest Du möglicherweise gegen einen potentiellen Feind verteidigen. Aber eben primär um wirtschaftlichen Schaden abzuwenden.
Dein Garten, Deine Lebensleistung und Deine Kinder erfüllen Dich hingegen mit Stolz. Die würdest Du nicht nur wegen eines blanken wirtschaftlichen Gegenwerts verteidigen, sondern weil diese Dinge eine inhärente ideelle Bedeutung für Dich haben. Deine Arbeit, Deine Leistung, Jahre von Entbehrungen, unzählige Erinnerungen stecken da drin. Das kann man Dir nicht abkaufen – egal wieviel man bietet.
Patriotismus hingegen meint, dass man sich als Teil einer großen Gruppe, einer Bewegung oder sogar einem ganzen Land identifiziert. In dieses Genre passt die Liebe zum Fußballverein oder auch die “Liebe zum Vaterland”. Dabei hat man – anders als beim Haus und beim Garten – weder zum Fußballverein noch zum Land signifikant beigetragen. In der Regel wird man einfach in eine Tradition hineingeboren. Der Fußballverein ist meist der Verein in der Stadt, in der man groß geworden ist. Das Land, das man liebt, ist das Land in dem man zufälligerweise geboren wurde und dessen Sprache und Traditionen man gelernt hat, dessen Kultur und Küche man gewohnt ist.
Da in letzterer Situation primär eine passive Identifikation vorliegt mit einer Entität, zu deren Größe man nichts beigetragen hat, ist die Verbindung meiner Beobachtung nach in der Regel eher schwach. Wer im Leben viel geleistet hat – beruflich erfolgreich ist, ein Haus gebaut hat, mehrere Kinder groß gezogen hat – sucht seine Identifikation meist eher in diesen Bereichen, wo eigene Leistung eingeflossen ist. Ich kenne ehrlich gesagt null “erfolgreiche Menschen”, die fanatische Anhänger eines Fußballclubs sind oder denen Deutschland als Land wahnsinnig wichtig ist. Alleine wenn man ein paar Jahre im Ausland gelebt hat, verlieren diese Dinge schnell an Bedeutung.
Die, die “ihren Fußballverein” besonders frenetisch feiern und die, die besonders stolz darauf sind deutsch zu sein, scheinen mir meist eher traurige Figuren zu sein, die wenig anderes im Leben haben, mit dem sie sich identifizieren könnten und die sich dann halt an diese Entitäten klammern …
SCHAAAAAAAAAAAAAAALKE!
Dr. rer. nat. Schejtan, CTO
Das ist wirklich traurig. 😉
🙂 🙂 🙂
H96-Fan
@ Ralf
Sorry, wenn mein Posting etwas unklar war.
Ich fand die Sicht von Stefan Sasse etwas befremdlich. Sein Wunsch, einen „modernen“ Patriotismus (bzw. einen Stolz auf Werte wie „Diversity“) zu entwickeln, ist meiner Meinung nach nicht möglich.
Also habe ich versucht, das Thema Stolz dahingehend zu definieren, dass es einen Bezug zu mir haben muss, dass ich mich damit identifizieren kann. Daher die komische Sammlung an Beispielen (ich selbst habe keine Juwelen), und Gegenbeispielen, und mein stets fettgedruckt.
Es ging mir um Stolz als Voraussetzung von Patriotismus.
Ich glaube, da war ich auch missverständlich. Mein Thema ist eher, dass der Begriff von Deutschland divers genug ist, alle hier lebenden Menschen einzuschließen. Ich möchte damit eine klare Abgrenzung von einem „Patriotismus“ à la AfD oder NPD, der nur weißen Menschen Platz bietet. Darum ging es mir. Ein moderner deutscher Patriotismus schließt etwa die Lebensleistungen der Gastarbeiter*innen mit ein, etc.
Wieso redest Du bei der NPD von Patriotismus? Wir haben sehr wohl eine klare Abgrenzung zwischen Patriotismus (Respekt und Sympathie für andere Nationen und Kulturen) und Nationalismus. Wir müssen aber aufpassen, dass der positiv besetzte Patriotismusbegriff nicht für ein buntes Allerlei gekapert wird, um ihn damit zu entkernen. Dahin scheinen mir Deine Begriffserweiterungen zu gehen, die so ja weder von Amerikanern noch Franzosen geteilt wird.
Weil die den Begriff für sich reklamieren und ich eine Abgrenzung vornehmen will.
Auch das ist nicht allgemein akzeptiert. Nur weise ich vehement zurück, die Methode von Rechtsextremisten von Linken durchzuwinken.
Du kannst gerne behaupten, Du seist eigentlich Arzt. Nur ist das nicht allgemein akzeptiert. 😉
Ich mag hier die Definition von Johannes Rau:
Ein Patriot ist jemand der sein Land liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Länder der anderen verachtet.
Die schwebte mir auch vor.
Jepp.
@ Kning4711 30. Juni 2023, 19:02
Ein Patriot ist jemand der sein Land liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Länder der anderen verachtet.
bei mir weder noch 😐
Ich habe das hier vor Jahren schon mal im Detail zum Besten gegeben, aber in Kürze hier nochmal. Meine besten Freunde in der Schule hatten einen Migrationshintergrund, waren Muslime, hatten dunklere Hautfarbe als die übergrosse Mehrheit der Deutschen. Ergo, Diversität HAT einen Bezug zu MIR! Das muss nicht jeder Deutsche teilen, da ich aber auch eine grössere Verbundenheit zu do manchem Ami, Franzosen, Iren oder gar Chinesen empfinde sls zu so manchem direkten Nachbar ist Divetsität als inalienable Bestandteil deutscher Identität gar Patriotismus unverzichtlich, sonst kann ich keinen Identifikatinspunkt finden.
Ich muss sagen, dass ich diesen ganzen Diskussionsstrang leider nicht verstehe. Ist nicht Vielfalt in all ihren Facetten schon viel länger als alle sozialen Bewegungen eines der, wenn nicht sogar DAS Identifikation schaffende Element Deutschlands?
Sie erwähnten die Schweinshaxe, sprachen aber von Ur’bayer‘. Ist das anti-/nicht-/weniger deutsch? Darf ich dagegen als Ur’Ruhrpottler‘ die Schweinshaxe gegen die vegetarische Pommes rot-weiss eintauschen? Macht mich die Adaption von Schäufele mehr oder weniger deutsch?
Was macht einen denn überhaupt deutsch? Für die längste Zeit hatte doch ein Ostfriese nichts mit einem Oberbayer gemein. Selbst Amis, die sich selbst über Vielfalt definieren, sind manchmal eher beeindruckt WIE vielfältig wir doch sind. Vielfalt an Landschaft, Schwarzwald, Wattenmeer, Seenplatte, Mittelgebirge etc, bereits angesprochene kulinarische Vielfalt Currywurst, Kartoffelsalat mit oder ohne Speck, auf Basis von Mayo, Essig oder Brühe? Hier zeigt sich sogar innerdeutsche Konkurenz und Lokalpatriotismus. Ist das den Deutschen beliebteste fast food Döner Kebab Teil dieser Liste? Ist es türkisch oder aus Berlin? Und Berlin hat Stand heute schon längst nicht mehr den Besten imho. Aber auch gerade Leute, Mentalitäten, Sprachen, Dialekte, Religiösität und Kultur waren schon immer und sind vielfältig. Und nicht selten eben auch in Konkurrenz. Bayern und Preussen, Bayern und Franken, Bayern, Franken, Oberpfälzer und Schwaben, Schwaben und Badener, Badener und Kurpfälzer, rechtsreinische und linksrheinische Pfälzer, Pfälzer und Rheinländer, Rheinländer und Westfalen, Ruhrpottler, Berliner, Hessen gegen den Rest der Welt. Köln vs Düsseldorf. Die Liste geht ewig weiter. Und ja, erweitert sich ständig. Und, dass Lokalpatriotismus vor nationalem Patriotismus kommt ist auch nicht gerade untypisch deutsch, wie die Beispiele gerade ja bereits gezeigt haben. Mein Vater hat immer gesagt ’siehst Du die Leute mit Verletzungen? Vieke behaupten es wären Kriegsverletzungen, aber es kam von Brandbomben über den Neckar‘. Das war natürlich nicht hundertprozent ernst gemeint, aber die Rivalität ‚über den Neckar‘ war echt und zuweilen ernster/polarisierter als m.E. gesund, aber reden sie mal von Düsseldorf/Köln oder eben Schalke/BVB und es ist wohl klar, dass es typisch deutsch ist. Ist es wirklich so viel anders was ein kleiner Junge in einem Interview im Lokalfernsehen vor ein paar Jahren gesagt hat: „Ich weiss nicht, ob ich für Deutschland oder Türkei Fussball spielen würde, aber wenn Mannheim eine Nation wäre und eine Nationalmannschaft hätte, würde ich natürlich für Mannheim spielen!“. Die Monnemer (oder Mannemer – selbst innerhalb einer Stadt gibt es sprachliche Diversität)liebten es! Islam, eine Moschee, klein Istanbul mögen nicht überall zu Deutschland gehören aber sind integraler Bestandteil von Mannheim und wenn Mannheim Teil von Deutschland sein soll eben auch ein Teil von Deutschland. Mich können Sie mit mayo-Kartoffelsalat oder Soljanka jagen. Und bei so mancher Tradition und Tracht rolle ich die Augen, aber sie sind eben deutsch. Ich kenne etliche Doppelpassler, die Gründe sind ebenfalls vielfältig, aber allen gemein ist, dass Deutschland ihnen was bedeutet -was persönliches eben, ebenfalls vielfältig/individuell‘ sonst wären sie nicht durch Reifen gesprungen um den Deutschen zu bekommen oder zu behalten. Einigen stösst Wulffs Spruch zum Islam sauer auf, anderen Alice Weidels Politik, Wowereits Sexualitöt oder sein Sprzch dazu oder … seine Politik. Aber zweifelt irgendjemand an, ob Wulff, Wowereit oder Weidel deutsch sind? Das ist doch zweifelsfrei der Fall. Und selbst ‚Biodeutsch‘ finde ich mit der Zeit immer fraglicher als Kategorie. In Amerika oder zwischen Amis und Deutschen gibt es oft Diskussionen ob jemand mit ‚16% deutscher DNA‘, der seine Linie auf irgendeinen Deutschen im 18. Jahrhundert zurückführen kann aber ansonsten keinerlei Bezug zu oder Kenntnis von Sprache, Kultur oder Leuten hat Deutscher oder eben 16% Deutscher ist. In Amerika ist bekanntlich jeder Ami der dort geboren wurde ODER ein amerikanisches Elternteil hat. Aber in der Regel wird man auch bereits als Immigrant nach ein paar Jahren adoptiert. Offizielle Smtssprache gibt es auch nicht, auch wenn deutsche Behörden amerikanische Dokumente nur auf Englisch akzeptieren um sie dann ins Deutsche zu übersetzen und auf Deutsch ausgestellte Dokumente als in Amerika gemachte Kopien identifizieren, obwohl es fpr die amerikanische Behörde Originale in Deutsch ausgestellt sind. Deutschland ist eine der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, wir sind offen und liberal was Reisen-/Reisebeschränkungen angeht, haben aber auch eine Geschichte als besetzte Nation. Menschen sind Menschen, Beziehungen jedweder Art entstehen und gehen auf vielfältigste Art auch wieder auseinander. Ist jemand der in Deutschland geboren ist, nur den deutschen Kontext kennt, nur von Deutschen Eltern(/teilen) erzogen wurde, aber schwarze Hautfarbe hat mehr oder weniger ‚bio‘ als jemand der optisch nicht zu unterscheiden von der Mehrheit ist, aber Migrationshintergrund hat? Oder für den das gleiche gilt wie für den Schwarzen in dem Beispiel, aber optisch nicht zu unterscheiden, aber trotzdem Moslem?
Deutschland = Vielfalt!
Ein hoch auf Deutschland, ein hoch auf die Vielfalt!
An dieser Stelle mal wieder:
…Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdicher Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die hatholische Haustradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dzu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schxwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pnandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Gründewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein – das heißt: vom Abendland Das ist natürlicher Adel.“
Carl Zuckmayer, Des Teufels General. Drama in drei Akten.
P.S. Das mit den „Brandbomben über den Neckar“ hab ich nicht verstanden.
„P.S. Das mit den „Brandbomben über den Neckar“ hab ich nicht verstanden.“
Das waren alte Geschichten über die Rivalität zwischen Seckenheim und Ilvesheim. Brandbomben waren es sicher nicht, irgendwelche selbstgebauten, aus Nachkriegsfunden zusammengestückelte Geschosse? Maybe 🙂
Ich glaube, das Grundproblem ist, dass Leute wie Stefan Sasse versuchen einen Begriff wie “Patriotismus”, der ein rechter Kampfbegriff ist, zu vereinnahmen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass in ihrem eigenen ideologischen Spektrum keinerlei Grundlage oder Notwendigkeit für die Verwendung solcher Propaganda-Termini existiert.
Denn was bedeutet “Patriotismus”? Liebe zum eigenen Land? Stolz auf die eigene Nation? Wer wird denn da geliebt? Auf was konkret ist man stolz? Kultur und Geschichte sicher nicht. Staatliche Grenzen laufen nicht entlang kultureller Gruppen und auch nicht entlang gemeinsamer Geschichte. Manchmal laufen sie quer durch Sprachzonen und trennen so gleichsprachige Gebiete, zum Beispiel zwischen dem englischsprachigen Teil von Kanada und den USA. Manchmal umschließen sie zwei sprachlich unterschiedliche Zonen, siehe Belgien. Und kulturell ist Österreich Bayern wesentlich näher als Bayern Mecklenburg-Vorpommern ist, aber die Grenzen behaupten das Gegenteil. Die neuen Bundesländer haben eine andere Geschichte als die alten Bundesländer, befinden sich aber trotzdem im selben Staat.
Der Patriot fühlt sich seinen “Mitdeutschen” nahe, was nur Sinn macht, wenn man nicht im einzelnen nachschaut, wer diese “Mitdeutschen” eigentlich sind. Im Zweifel sind das der Herr Meyer aus Osnabrück, der Herr Schmidt aus Nürnberg und der kleine Rüdiger aus Flensburg. Aber der Herr Meyer ist möglicherweise ein Punk mit feuerrot gefärbtem Irokesenschnitt, der Herr Schmidt ein verurteilter Drogendealer im Knast und kleine Rüdiger ein dauerbrüllendes Terrorkind. Möchte sich der Patriot immer noch mit diesen Gestalten identifizieren? Und wenn ja, warum ausgerechnet mit diesen?
Die Liebe zum Land, der Stolz auf die Nation machen offensichtlich keinen Sinn und bieten keinerlei echtes Identifikationspotential – außer man postuliert ein “unsichtbares Band”, das auf mysteriöse Weise alle Deutschen irgendwie verbindet und zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißt. Aufgrund der dramatischen Diversität unter den Bürgern und ihren Ansichten, religiösen Überzeugungen, Kulturen und der radikal unterschiedlichen lokalen Geschichte im Land kann dieses “Band” offensichtlich nichts greifbares sein – egal ob man Menschen mit Migrationshintergrund und/oder sexuelle Minderheiten ein- oder ausschließt. Rechte Nationalisten haben deshalb den Begriff des “deutschen Blutes” erfunden. “Deutsches Blut” ist das “Band”, dem der Patriot seinen Stolz und seine Liebe widmet.
Bedauerlicherweise hat die Wissenschaft gezeigt, dass “deutsches Blut” (oder “deutsche Gene”) nicht existiert. Deswegen hat die übergroße Mehrheit abseits des rechten Randes auch aufgehört dieser Fata Morgana hinterherzurennen.
Diese Mehrheit braucht folglich weder Patriotismus noch Patrioten. Den Begriff zu vereinnahmen und für die eigene Ideologie zu verdrehen, macht offensichtlich keinen Sinn.
Übers Ziel hinaus geschossen.
Wer innerhalb der gleichen Grenzen lebt, wird dadurch geprägt. Es gelten die gleichen Gesetze, die gleichen Institutionen.
Was ist der Unterschied zwischen Nationalgefühl und Patriotismus?
Denk an Olympia, an Fußball und Nobelpreisträger.
Bei Ereignissen in fernen Ländern wird sofort gefragt, ob Deutsche betroffen sind.
Oder Brechts Kinderhymne, in der tatsächlich von Liebe zum Land die Rede ist. Mir persönlich steht Heinemann näher (Lieben Sie ihr Land? – „Ich liebe meine Frau“). Aber das Konzept Patriotismus ist für viele Menschen nicht obsolet. Das zu ignorieren wäre ein Fehler.
Grenzen verschieben sich laufend. Die Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen und sozialisiert worden sind, sind anders geprägt, als die Deutschen, die im Westen geboren wurden. Trotzdem sollen wir irgendwie auf das gleiche Land stolz sein. Jeder Österreicher, jeder Schweizer ist einem Westdeutschen kulturell näher als einem Ostdeutschen. Trotzdem sollen Österreicher und Schweizer für uns “die anderen” sein, die auf ein anderes Land stolz sind.
An anderer Stelle brechen Staaten auseinander. In der Tschechoslowakei und in Jugoslawien sind Menschen gemeinsam aufgewachsen und sozialisiert worden und finden sich plötzlich auf entgegengesetzten Seiten eines Grenzzauns wieder (oder schießen sogar aufeinander). Auf welches Land sollen die jetzt eigentlich stolz sein? Gleichzeitig laufen Grenzen um Staaten herum und schließen dabei dramatisch unterschiedliche Kulturen ein. Man denke an Vielvölkerstaaten wie Indien oder Russland. Oder auch China (Stichworte Uiguren, Tibet, Hongkong etc). Auch in Belgien leben Wallonen und Flamen nicht mit- sondern bestenfalls nebeneinander, unter ständiger wechselseitiger politischer Blockade.
Du wirst mir vergeben, aber die Beispiele von Nobelpreisträgern und Athleten als Quelle patriotischen Stolzes sind unfreiwillig komisch. Kaum einer der heutigen Nobelpreisträger hat die Arbeiten, deren Erfolg mit dem Preis gewürdigt wird, daheim im eigenen Land, das “feiert”, durchgeführt. Gerade die “deutschen” Wissenschaftler leben und arbeiten in der Regel seit 30 Jahren in den USA und haben oft noch nicht einmal mehr einen deutschen Pass. Und mit Athleten sieht es nicht viel anders aus. Da werden nicht selten gezielt ausländische Talente eingebürgert, um mehr Werbefläche und Profit zu erzeugen. Als ich jung war, spielten zum Beispiel die herausragenden Tennisspielerinnen Navratilova und Seles für die USA, die beide ihre Staatsangehörigkeit geopfert haben, um als Amerikanerinnen mehr Geld zu verdienen. Staatsangehörigkeit (und Wohnort) ist insbesondere bei den von Dir genannten gesellschaftlichen Eliten käuflich. Soviel zum Thema “Patriotismus” und “Liebe zum eigenen Land” …
Das Elsass hast Du vergessen. Dort zeigt sich die Problematik auch deutlich. Mit der kulturellen Verwandtschaft der Südbadener (im Gegensatz zu Norddeutschen) habe ich schon argumentiert, als es noch gegen die NPD ging. Damit rennst Du bei mir offene Türen ein.
Auch der „Stolz“ auf Medaillengewinner der eigenen Nation ist natürlich fragwürdig – man hat nichts dazu beigetragen, und die Teams sind in der Tat nicht national.
Ich wende mich gegen Deine Bezeichnung als „Kampfbegriff der Rechten“. Der Unterschied Patriotismus/Nationalismus wurde weiter oben schon deutlich gemacht.
Nur ganz wenige Menschen fühlen sich wirklich als Weltbürger. Patriotismus ist eine Art Zugehörigkeits-Gefühl, das offenbar einem menschlichen Grundbedürfnis entspricht. Der Blick nach Norden bestärkt mich darin. Norweger (und Dänen) sind besonders patriotisch und haben Staaten geformt, die in vielerlei Hinsicht für mich Vorbild sind.
Der Unterschied, der oben zwischen Patriotismus und Nationalismus aufgemacht wurde, ist ein rhetorisches Konstrukt ohne sachliche Basis. Tatsächlich sind “Patriotismus” und “Nationalismus” Synonyme, die sich nur darin unterscheiden, ob man dem Begriff einen positiven oder negativen Spin mitgeben will. Ähnlich wie “Glas halb voll” und “Glas halb leer” oder das Wortpaar “durchschnittlich” und “medioker”.
Tatsächlich erfolgt Identifikation fast immer mittels Abgrenzung, zu den Gruppen, zu denen man nicht gehört. Oder weshalb singt der deutsche Fußballfan im Stadion “ohne Holland fahr’n wir zur WM”, obwohl Holland noch nicht mal auf dem Platz steht? Man freut sich über den Misserfolg des Gegners, weil Identifikation oft von Rivalitäten lebt. Schalke gegen BVB. Düsseldorf gegen Köln. Der Freistaat Bayern gegen alle.
Und ja, ich gebe Dir Recht, dass Identifikation mit einer Gruppe ein menschliches Bedürfnis zu sein scheint. Allerdings nimmt die Identifikation mit dem eigenen Land zunehmend ab, je öfter und je länger man im Ausland gelebt hat. Wenig überraschend ist der Nationalismus dort besonders stark ausgeprägt, wo Mangel an Bildung auf geringe Mobilität trifft. Die USA wurden ja schon mehrfach in dieser Diskussion als “besonders patriotisch” genannt. In den USA besitzt die Mehrheit der Bevölkerung keinen Reisepass. Die meisten Bürger haben ihr Land nie verlassen. Viele haben kaum mehr gesehen als den Ort, an dem sie aufgewachsen sind. Und die meisten von denen haben auch nie ein College von innen gesehen. Kein Wunder, dass die patriotisch sind.
In der EU wird es zunehmend zum Standard, dass junge Menschen Auslandssemester oder Auslandspraktika machen. Viele ziehen für die Master- oder Doktorarbeit ins Ausland. Und es wird auch zunehmend normaler, dass sich EU-Ausländer irgendwo innerhalb der EU Arbeit suchen. Auch ich bin dort, wo ich lebe, EU-Ausländer. Als ich vor fünf Jahren zurück nach Europa gezogen bin, gab es in unserem zwölfköpfigen Leitungsteam übrigens nur einen einzigen nicht-deutschsprachigen Ausländer. Heute sind wir immer noch zu zwölft. Aber sechs von uns sind nicht-deutschsprachige Ausländer. Und das sind nur die Führungskräfte. Auf der Ebene darunter gab es vor fünf Jahren exakt null Ausländer. Heute spricht die Hälfte meines eigenen Teams nicht mehr deutsch. Diese Durchmischung, dieses Erleben eines anderen Landes wird zunehmend normal. Und damit nimmt auch der Patriotismus ab. Dieses Gefühl unbedingt zu einem Land dazugehören zu müssen, verliert immer mehr an Relevanz. Ich selber habe beruflich und als Wohnort dreimal den Staat gewechselt. Mit der Perspektive von außen schaut man ganz anders auf die Gesellschaften.
Und diese Perspektive wird zunehmend normaler. Auch in Großbritannien haben ja schließlich nicht die jungen Leute, mit Erasmus-Erfahrung den Brexit und “take back control” gewählt, sondern die Alten und Verbitterten. Das Konzept des Nationalstolzes fußt immer noch auf der fernen Vergangenheit, in der man im selben Dorf starb, in dem man 70 Jahre zuvor geboren worden war. Einer Vergangenheit mit starker lokaler Verankerung und stabilen Gemeinschaften. Diese Vergangenheit ist – das kann man gut oder schlecht finden – abgewickelt worden und nicht mehr existent. Ich behaupte, dass mit ihr auch die “Liebe zum Vaterland” gestorben ist.
Ich behaupte, dass mit ihr auch die “Liebe zum Vaterland” gestorben ist.
Möglich, obwohl ich tatsächlich dagegen wetten würde. Für den Teil der Bevölkerung, für den das zumindest „möglich“ gilt, ist dann allerdings auch die Verteidigung eines Landes gestorben – man lebt ja woanders genauso gut und aus kühler Rationalität greifen Menschen nicht zur Waffe.
Und nach bisheriger historischer Erfahrung lebt ein Land, dessen Bewohner keine besondere Beziehung zu ihm haben, nicht mehr lange, aber das ist ja auch wurscht – gibt ja genügend andere.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ist nicht die militärgeschichtliche Forschung weitgehend einig, dass die Hauptmotivation aller Soldaten quasi zu allen Zeiten die Kohäsion der Einheit ist, also die Sorge um die Kameraden und der soziale Druck dort?
Wenn jemand berteits Soldat ist, absolut. Mir ging es um die im Ernstfall notwendige Aufstockung durch Reservisten, Freiwillige und dann Wehrpflichtige. Die würde in Ralfs Szenario ausfallen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich glaube wir sind uns einig, dass wenn es hart auf hart kommt Leute wieder eingezogen würden. Und dann hättest du diese Effekte ja auch wieder; die sind ja unabhängig von Patriotismus.
Mit der „Liebe zum Vaterland“ wurde schon so viel Schindluder getrieben, ganze Generationen damit missraucht. Deshalb war der Begriff für mich (und die meisten Deutschen) auch negativ besetzt. Inzwischen sehe ich das relativ.
Anekdote: Besuch aus Dänemark (junger Mann, Lehrer). Auf der Neckarwiese haben sich junge Leute auf eine Schwarz-Rot-Goldene Fahne gesetzt (nasser Rasen). Ich fand nichts dabei, der junge Däne war fassungslos. Bei ihnen undenkbar. Wenn Du durch Dänemark fährst, siehst Du überall den Dannebrog. Hier war (und ist noch) die Fahne verpönt. Erst die WM hat das etwas verändert.
Es ist wie mit der Monarchie: Weil wir schlechte Erfahrungen damit gemacht haben und das nicht mehr wollen, muss es nicht schlecht sein.
Sehe ich genauso.
+1
@ Floor Acita 2. Juli 2023, 13:40
Ich muss sagen, dass ich diesen ganzen Diskussionsstrang leider nicht verstehe.
Das sehe ich 🙂
Ist nicht Vielfalt in all ihren Facetten schon viel länger als alle sozialen Bewegungen eines der, wenn nicht sogar DAS Identifikation schaffende Element Deutschlands?
Meiner Wahrnehmung nach nicht. Vielfalt mag inzwischen ein bestimmendes und toleriertes Element in Deutschlands Großstädten sein, aber das gilt zum einen nicht fürs Land, und ist zum anderen nicht identitätsstiftend.
Sie erwähnten die Schweinshaxe, sprachen aber von Ur’bayer‘. Ist das anti-/nicht-/weniger deutsch? Darf ich dagegen als Ur’Ruhrpottler‘ die Schweinshaxe gegen die vegetarische Pommes rot-weiss eintauschen?
Ich hatte vergessen, wie kompliziert Sie sein können …
Es war nur ein absurdes Klischee-Beispiel, mehr nicht. Hätte ich ein paar Jahre in Italien gewohnt und gearbeitet, hätte ich als Beispiel eventuell die kugelrunde italienische Mama genommen, die ihre Spaghetti Bolognese jetzt vegetarisch macht.
Ich habe ihre Intention sehr wohl verstanden, sie meine aber offenbar nicht. Was ist denn Vielfalt für Sie und im Sinne von wie Sie Stefans Intention interpretieren? Und wie grenzen Sie sie ab? Ist Currywurst vs Schweinshaxe Vielfalt, erlaubt oder nicht und in welchem Kontext? Döner? Kühler Nordmensch, Rheinländer Frohnatur? Herzhafter Bayer? Hautfarbe? Geschlecht? Religion? Sexualität? Und wenn ja, warum?
Vielfalt, in welcher Hinsicht? Auf welchem Land? In welcher Stadt? Was ist „normal“, was neumodisch? Was erlaubt, was nicht und warum?
Das ist nicht kompliziert, sondern notwendiger Kontext. Von der Beantwortung hängt eine Menge ab und jede konkrete Antwort lässt ja doch sehr viel Deliberationspotential erwarten.
Und sorry, dass ich es mir am Ende doch nicht verkneifen kann, aber Konservative reden immer von Lebensstielen die aufgedrückt werden sollen, aber merken selbst nie wie viel von ihrer eigenen Weltsicht und Ideologie – und wenn es nur um die Definition von diversity geht – sie eigentlich für universell halten und voraussetzen ubd alles andere für „Abweichungen von der Norm“ halten oder eben Unverständnis. Soviel zur Arroganz von Linken die annehmen Konservative könnten gegen ihre Interessen wählen. Ganz prominent wurde konservative Ideologie ja mal sogar zur „Deutschen(!) Leitkultur“ verklärt.
„viel Deliberationspotential“ -In der Tat.
Vielfalt als Identifikationsmerkmal – interessanter Gedanke. Ist damit so was gemeintwie der melting pot wie in USA?
„Leitkultur“ – was ist das? Einerseits – wie öde wäre eine rein deutsche Esskultur und Kulturlandschaft. Andererseits: Nur noch Sushi und Döner ist auch nicht schön. Will ein Besucher „typisch deutsch“ essen, muss man suchen.
Feiertage: Die aller Religionen? Zwar: Die Mehrheit weiß längst nicht mehr, warum man Weihnachten oder gar Pfingsten „feiert“. An den Schulen gibt es Klagen, dass Veranstaltungen (Prüfungen, Elternabende) auf jüdische oder muslimische Feiertage gelegt werden. Berücksichtigt man aber alle Hindus, Sikhs), wird’s schwierig.
Aber das ist Klagen auf hohem Niveau. Wenn wir verbreitet Bürgermeister, Kultusbeamte und Schulleiter von der AfD haben, „dann wird aufgeräumt, liebe Freunde“ (Höcke). Die Gefahr ist real.
Melting pot: Ja.
THIS SO MUCH
Die USA funktionieren als großes, heterogenes Land mit permanenter Zuwanderung nur, weil sie mit dem überbordenden Patriotismus ein verbindendes Element haben. Genau einen solchen Kitt wollen Linke eben nicht, keine Symbole, keine „Leitkultur“.
Womit wir beim Thema wären. Im Jahr 2000 sagte Friedrich Merz, Zuwanderer müssten bereit sein, die Regeln des Zusammenlebens in Deutschland zu respektieren. Damit haben wir längst ein Problem. Dafür schlichten nun Friedensrichter Clanstreitigkeiten, sind Messerstechereien massiv angestiegen, ebenso wie antisemitische Übergriffe. Die Frauenerwerbsquote von Migrantinnen ist desaströs niedrig (hallo, Stefan!).
Friedrich Merz forderte unter anderem, dass Migranten die deutsche Sprache sprechen und sich in die Gesellschaft integrieren müssten – Forderungen, welche die politische Linke damals vehement ablehnte und heute anerkannt sind. Nur historisch zu spät.
Korrekt, und deswegen bin ich auch kein Linker und fordere so ein verbindendes Element auch. Mein Problem ist halt, dass wir – siehe auch das aktuelle Vermischte – hier einfach aktuell zwei doofe Auswahlmöglichkeiten haben. Ein exkludierender „Leitkultur“-Unfug aus dem rechten und ein ins Antideutsche gehender „Patriotismus=NS“-Unfug aus der linken Richtung.
Du reitest da ein totes Pferd. Hier hat niemand patriotische Einstellungen präsentiert, die andere wegen ihres Aussehens, ihrer Sexualität, ihrer Herkunft per se ausschließen. Das passiert nur in Deinem Kopf. Ich habe ja schon mehrfach geschrieben: viele Migranten gerade aus Osteuropa sind heute die besseren Deutschen.
Eine Gemeinschaft braucht verbindende Elemente. Das weiß man eigentlich schon bei einer gut funktionierenden Ehe und beim Fußballclub.
@ Floor Acita 3. Juli 2023, 23:33
Was ist denn Vielfalt für Sie …
Ich dachte, das hätte ich erklärt. Von den Menschen und den Dingen her letztendlich alles. Aber Vielfalt ist – für mich – nicht ein grundsätzlicher Wert, sondern eher ein Fakt, wie das Wetter. Das ist, wie es ist. Wir brauchen Sonne, wir brauchen regen, gut ist’s.
In vielen anderen Postings zu anderen Diskussionen bereits erklärt: Hautfarbe, Geschlecht, Religion etc. sind mir komplett schnuppe, und ob wir an dieser Stelle Vielfalt haben oder nicht, ebenfalls.
Lebt der Mensch nach unseren Regeln (in erster Linie Grundgesetz vor Religion, Toleranz und Gleichberechtigung ALLEN anderen Menschen gegenüber, Gewaltmonopol liegt beim Staat) und steht auf eigenen Beinen, ist alles gut. Das ist übrigens meine Definition von Deutscher Leitkultur.
Ist jemand ein gewaltbereiter, intoleranter Fanatiker, sind mit Hautfarbe, Religion, Geschlecht etc. ebenfalls egal – lehne ich ab.
aber Konservative reden immer von Lebensstielen die aufgedrückt werden sollen, aber merken selbst nie wie viel von ihrer eigenen Weltsicht und Ideologie – und wenn es nur um die Definition von diversity geht – sie eigentlich für universell halten
Da ist sicherlich etwas dran. Aber wenn Sie sehen, wen und wie ich abgrenze, wird vielleicht klarer, dass ich niemandem etwas aufdrücken will, solange er andere Menschen respektiert.
Fangen wir mal von hinten an… „dass ich niemandem etwas aufdrücken will, solange er andere Menschen respektiert.“
Ich würde natürlich 1:1 mein Ziel definieren. Wir haben nur 1. beide Angst vor Grenzüberschreitungen der jeweils anderen Seite und 2. steckt der Teufel wahrscheinlich im Detail, hier in der Interpretation konkreter policies.
„Ist jemand ein gewaltbereiter, intoleranter Fanatiker, sind mit Hautfarbe, Religion, Geschlecht etc. ebenfalls egal – lehne ich ab.“
Kann ich mitgehen.
„Grundgesetz vor Religion, Toleranz und Gleichberechtigung ALLEN anderen Menschen gegenüber, Gewaltmonopol liegt beim Staat“
hier in Worten natürlich auch, wieder die Sache mit den Details.
„steht auf eigenen Beinen“
Das ist halt wirklich sehr schwammig und reden wir jetzt nur noch von Migranten? Und unterscheiden wir zwischen hier geborenen Menschen? Nur nach Staatsangehörigkeit oder auch anderen Kriterien?
„Aber Vielfalt ist – für mich – nicht ein grundsätzlicher Wert, sondern eher ein Fakt, wie das Wetter.“
Das finde ich aus 2 Gründen interressant.
1. empfinde ich dasselbe bei Ihren, von mir gerade kommentierten Leitplanken. Das hat ja eigentlich nichts mit Patriotismus zu tun, insbesondere nichts mit „Deutschem Patriotismus“, denn wo genau ist hier etwas spezifisch deutsch bzw grenzt sich von irgendeinem anderen Staat / irgendeiner Nation oder Gesellschaft ab?
2. umgekehrt, schätzen wir meiner Meinung nach vielleicht die Dinge nicht wirklich, die für uns „normal“ sind. Und ich finde die deutsche Vielfalt eben doch relativ einzigartig. In Spanien gibt es natürlich etwa viel grössere Gemeinschaften mit vom Spanischen abweichenden, offiziellen Sprachen, aber auch bei ums gibt es Sorben und Dänen etc. In Spanien und Italien wollen sich halbe Nationen immer wieder absetzen. Nichts gegen due Vielfalt die natürlich überall existiert und die Menschheit ausmacht – manchmal bin ich ja selbst derjenige der 8 Mrd verschiedene Kulturen sieht und betont, aber ein so grosser, wirtschaftlich starker, politisch stabiler Flächenstaat im Herzen von Europa mit 9 angrenzenden Staaten, der DIESE Vielfalt in Menschen, Kultur, Dialekten, Mentalitäten etc aufweist und aus einem aus >200 unterschiedlichen Regierungen / Herrschern unterworfenen Gebieten bestehenden Flickenteppich hervorgegangen ist – das finde ich, ist schon ein Alleinstellungsmerkmal – wir KÖNNEN Integration. Ich bin da eben stolz darauf.
Aber, wenn wir hier nicht zusammenkommen, was sind denn ihrer Meinung nach Marker deutscher Identitätsstiftung, was macht uns Deutsch? Und was sind konkret Abgrenzungen.
@StefanPietsch u.a. hat das ja Linken vorgeworfen, @ThorstenHaupt hat es allgemein beklagt. Aber ich habe von keinem hier bisher, egal ob links oder rechts, spezifisch deutsche Marker gelesen und ehrlich gesagt, konkrete Abgrenzungen wie von Hr Pietsch gefordert, ehrlich gesagt (selbst von ihm selbst) auch nicht. Ich bin unsicher ob und inwiefern notwendig, will das aber nicht mehr allgemein, sondern nur noch an konkreten Beispielen diskutieren.
Ich hab’s mit negativer Abgrenzung probiert und Beispiele cineastischer Art angeführt. Das Wesentliche: Ein Patriot ist jemand, der eine klare Identität und Identifikation mit einem Staat, einem Land und einer Gesellschaft hat. Und das gibt es nur einmal und nicht fünfmal.
Hatten Sie nicht Stefan gefragt inwiefern sich seine Definition von der Frankreichs oder Amerikas unterscheidet oder hab ich mich verlesen? Was macht denn jetzt genau deutschen Patriotismus aus? Ihre Definition sind doch keine identitätsstiftenden Merkmale, sondern gelten erst mal in jedem Land – zudem Identifikation mit seinem Land sehr schwammig ist und alles und nichts bedeuten kann. Ausserdem ist die Nation an sich ja nicht die einzige Ordnung. Ich bin auch Europäer, und zwar EU Bürger, ein im Schengenraum lebender und den Euro benutzender. Aber ausserdem bin ich Seckenheimer, Mannheimer, Kurpfälzer und Baden-Württemberger. Und alles kann mit Patriotismus verbunden sein. In den als ‚Patriotismus ist stark‘ verschrienen USA ist es oftmals im Übrigen kein Widerspruch zu sagen „Ich bin Amerikaner“ UND „Ich bin Deutscher“ oder auch „Ich bin Deutscher und Franzose“ und eben dennoch Amerikaner.
Hatten Sie nicht Stefan gefragt inwiefern sich seine Definition von der Frankreichs oder Amerikas unterscheidet oder hab ich mich verlesen?
Nein, da haben Sie sich verlesen. Mir ging es mitnichten um den Unterschied des amerikanischen vom französischen Patriotismus. Ein deutscher Patriot wird immer für die Freiheit, die Verteidigung der Grundrechte, Liberalität und Demokratie eintreten. Ein türkischer Patriot kann da ganz andere Werte verteidigen. Aber deswegen kann ein Erdogan-Wähler mit zwei Pässen schwerlich als deutscher Patriot durchgehen.
Die interessante Frage ist daher, ob wir uns hinter dieser Unterscheidung und Abgrenzung versammeln können? Denn dazu habe ich erstaunlicherweise nichts gehört, obwohl es mehrmals angespielt wurde.
„Aber deswegen kann ein Erdogan-Wähler mit zwei Pässen schwerlich als deutscher Patriot durchgehen.“
Da kann ich mitgehen, ein türkischer dann vlt auch nicht. Aber das ist für mich eine andere Frage. Er ist halt trotzdem Deutscher, wie er auch Türke ist. Jede Menge Deutscher sind keine Patrioten, mit oder ohne Migrationshintergrund. Das klärt aber ja nicht was einen Patrioten eigentlich ausmacht.
Ich gehe da ehrlich gesagt nicht mit, weil es die Motivation für die zwei Pässe völlig ignoriert. Ich habe letzthin meine türkische Freundin danach befragt, und die meinte, dass das vor allem daran liegt, dass die alle Familie in der Türkei haben und das Behalten des türkischen Passes vom türkischen Staat massiv insentiviert wird, was zum Beispiel die Einreise oder, vor allem, Erben und solche Sachen angeht. Deutsche, die einen türkischen Pass behalten (blue card heißt das glaube ich) werden bei so rechtlichen Geschichten als Türken betrachtet. Das würde ich auch nicht aufgeben wollen. Und wir sind uns glaube ich alle einig, dass „ich will Erbschaftssteuer in der Türkei sparen“ nicht eben Ausdruck geteilter Loyalitäten ist. Sonst hätten unsere Schweizer Nummernkontobesitzenden ein echtes Problem.
@Floor Acita
Da haben wir keinen Dissens.
@Stefan
Das ist eine Nebelkerze.
Anhand der Reisegewohnheiten wie der Beteiligung an Wahlen lässt sich ableiten, dass ein wesentlicher Teil der türkisch-stämmigen Community handfestere Gründe als die Sorge um das Erbe hat, an Doppelpässen festzuhalten.
Mein Anlage- und Investitionsverhalten beeinflusst doch nicht meine Identität. Aber ich würde auch einen Boris Becker trotz seiner sportlichen Verdienste nicht pauschal zum deutschen Patrioten machen. Warum brauchst Du das Label in seiner Pauschalität für jeden Migranten?
Meine amerikanischen Freunde haben zum Teil ihren deutschen Pass abgeben als sie den amerikanischen erhielten. Das ist doch okay und das ist auch ein Statement, das ich schätze und respektiere. Wenn ich das tue, darf es Dich nicht verwundern, dass ich das gegenteilige Verhalten nicht genauso positiv bewerte.
Hast Du Deine Freundin mal gefragt, in der wievielten Generation sie bereits in Deutschland lebt? Und macht sie ihre Urlaube hauptsächlich in der Türkei? Wenn ja, weshalb? Hat sie sich an den Wahlen in der Türkei beteiligt? Die Antworten auf diese Fragen sind weit aufschlussreicher als die Rechtfertigung, es ginge noch um die Wahrung von Rechten in der Türkei.
Sie hat sich an den Wahlen beteiligt und die Opposition gewählt. Urlaube weiß ich nicht. Ansonsten muss ich sagen, dass du mir hier arg pauschal über Leute urteilst, über die du sehr wenig weißt.
Da macht bei mir tatsächlich die Erdogan Wahl den entscheidenden Unterschied. Ich habe ja selbst von Bekannten mit Doppelpass gesprochen und, dass es zahlreiche Gründe gibt. Ausschliessen kann ich deutschen Patriotismus nicht grundsätzlich in all diesen Fällen, nein. Trotzdem bin ich bei der Frage tatsächlich mal näher an Stefan Pietsch, da ich schon auch erlebe, dass sich viele halt auch aus besagten Gründen (Familie etc) etwas unschlüssig sind. Es ist eine deutsche Realität, ich will niemanden aus dem echten Gefühl Deutscher zu sein ausschliessen, aber was ist ein Patriot? Man fühlt sich auch als Ami, ist hin- und hergerissen. Ist jemand hier geboren ist es noch komplizierter, die „Liebe“ zum anderen Land ist eher eine Fata Morgana, bekannt ist die Realität in Deutschland. Aber wie gesagt, viele Deutsche ohne Migrationshintergrund, sehen sich selbst ja auch nicht als Patrioten.
Eine andere Bekannte von mir hat einen deutschen und einen amerikanischen Pass. Sie wählt bei den US-Wahlen mit. Ist das auch ein Problem?
@Stefan
Ich habe ja nicht über Deine Bekannte geurteilt, da ich sie, wie Du richtig bemerktest, nicht kenne. Ich habe Fragen zu ihrem Verhalten gestellt, da Du sie eingeführt hast. Aber jeder von uns kennt Türkischstämmige aus seinem Umfeld. Ich hatte sie auch des öfteren im Unternehmen. Auffällig war immer, dass sie weiter häufiger zu sehr ausgedehnten „Heimat“-Urlauben in die Türkei reisten als andere Migranten. Ich erinnere mich an Fälle, da wollten sie regelmäßig und außerhalb der Ordnung vier Wochen Sommerurlaub.
Was ziemlich (ver-) störend ist: Du weist bei muslimisch geprägten Migranten abseits von Studien, Umfragen und Verhaltensweisen immer weg, dass sie nicht perfekt integriert seien. Und wenn doch, dann sind sie Opfer. Das ist ein Narrativ, dass von der großen Mehrheit in diesem Land längst nicht mehr geteilt wird.
Überhaupt nicht. Bestimmt sind viele nicht gut integriert. Was ich sage ist, dass sich das nicht an der doppelten Staatsbürgerschaft festmachen lässt, mehr nicht.
„Eine andere Bekannte von mir hat einen deutschen und einen amerikanischen Pass. Sie wählt bei den US-Wahlen mit. Ist das auch ein Problem?“
Wie gesagt ist die Definition von Patriotismus für mich nicht einfach und ich sehe viele Grenzfälle. Deutsche ist sie ohne wenn und aber. Hier würde ich erst mal eine Gegenfrage stellen (vor allem aus Erfahrung und weil ich genau den Fall am Besten kenne) – würde sie sich selbst denn eine deutsche Patriotin nennen? Und wie würde sie ihr Verhältnis zu Amerika beschreiben?
Ich habe da noch nie mit ihr drüber gesprochen ehrlich gesagt.
@Stefan
Ich habe von Anfang angeführt, dass doppelte Pässe ein Indiz, kein Beweis ist. Die Summe von Indizien geben Aufschluss, wieweit sich ein Mensch mit dem Land und der Gesellschaft identifiziert, in der er lebt. Für unverhandelbar halte ich die Position, dass niemand ein Patriot sein kann, der mit den Grundrechten (allen!) unserer Verfassung über Kreuz liegt.
Widerspricht da irgendjemand…?
Ja, darum drehte sich doch die Debatte.
@ Floor Acita 5. Juli 2023, 06:16
[„steht auf eigenen Beinen“]
Das ist halt wirklich sehr schwammig …
Ich habe halt dazu passende Vorstellungen im Kopf, die – für mich – klar beschrieben sind. Gemeint ist hier: Lebt weitgehend unabhängig von der Unterstützung der Gesellschaft, verdient sein Geld mit legaler Tätigkeit.
… und reden wir jetzt nur noch von Migranten? Und unterscheiden wir zwischen hier geborenen Menschen? Nur nach Staatsangehörigkeit oder auch anderen Kriterien?
Das ist zu meiner Überraschung eine für mich schwierige Frage. Wenn einer meiner Töchter nicht so aus den Hufen kommen würde wie die anderen drei, bekäme sie sicherlich trotzdem Unterstützung und Hilfe. Aber auf meinen Nachbarn würde ich das Prinzip nicht ausrollen wollen.
Für den Bereich Zuwanderung sollte zumindest das „auf eigenen Beinen stehen“ ein kurz-, spätestens mittelfristiges Ziel sein.
1. empfinde ich dasselbe bei Ihren, von mir gerade kommentierten Leitplanken. Das hat ja eigentlich nichts mit Patriotismus zu tun, insbesondere nichts mit „Deutschem Patriotismus“, denn wo genau ist hier etwas spezifisch deutsch bzw grenzt sich von irgendeinem anderen Staat / irgendeiner Nation oder Gesellschaft ab?
Ah, verstehe …
Patriotismus ist auch nicht mein Ding. Da kann ich nicht mitreden. Die von mir aufgestellten Richtlinien sind MEINE Vorstellung von „Deutscher Leitkultur“. Diese Kriterien sollten m.M.n eigentlich überall gelten; „deutsch“ dahingehend, dass dies „meine“ Bedingungen sind, an die sich jemand halten muss, will er/sie von mir als Teil unserer Gesellschaft in Deutschland akzeptiert werden.
Die Abgrenzung zu anderen Gesellschaften (sicherlich nicht zu Dänemark, Niederlande, Schweiz etc., aber zu Afghanistan, Saudi Arabien, Iran, z.T. auch Russland etc.) liegen darin, dass es dort eine strukturell gesellschaftliche, teils auch gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung nach Geschlecht, Gender, Hautfarbe, Religion etc. gibt.
2. umgekehrt, schätzen wir meiner Meinung nach vielleicht die Dinge nicht wirklich, die für uns „normal“ sind. Und ich finde die deutsche Vielfalt eben doch relativ einzigartig.
Mag sein, dass die Deutsche Vielfalt etwas Einzigartiges hat, aber Einzigartigkeit ist eben für mich kein Selbstzweck, nichts zum Bewundern, nichts zum drüber Schimpfen.
… aus einem aus >200 unterschiedlichen Regierungen / Herrschern unterworfenen Gebieten …
… die über Jahrhunderte unter einem Kaiser zusammengefasst waren und so eine übergeordnete Identität aufbauen konnten …
wir KÖNNEN Integration.
Nun ja … mit den alten Bundesländern hat es noch nicht ganz so gut geklappt. 🙂
Nur zum Frozzeln: Wenn ich jemanden in mein Haus einlade und ihm verspreche, gut für ihn zu sorgen, ist ein halbwegs gesittes Benehmen durchaus zu erwarten. Kann man das Integration nennen?
Ich bin da eben stolz darauf.
Ich sehe das wertneutral.
Was sind denn ihrer Meinung nach Marker deutscher Identitätsstiftung, was macht uns Deutsch? Und was sind konkret Abgrenzungen?
Wieder eine Frage, die umso komplizierter wird, je länger ich darüber nachdenke.
„Deutsch“ fühle ich mich eigentlich nur im Ausland, besonders, wenn ich dort auf Deutsche treffe. Interessanterweise definiere ich eher über das, was Deutsche NICHT sind, als über das, was sie sind (alles nur meine sehr, sehr subjektive Wahrnehmung). Im Ausland nehme ich Deutsche als vergleichsweise unentspannt, humorlos, rechthaberisch und überheblich, aber teilweise auch als unsicher wahr – so, als würde man sich stets über oder unter der anderen Person einordnen, aber nicht entspannt auf Augenhöhe, wie das beispielsweise bei so vielen Angelsachsen der Fall ist.
Alles darüber hinaus würde den Rahmen hier weit sprengen.
Vielfalt mag inzwischen ein bestimmendes und toleriertes Element in Deutschlands Großstädten sein, aber das gilt zum einen nicht fürs Land, und ist zum anderen nicht identitätsstiftend.
Aber ist das nicht ein massives Problem?
Klar, nur gegenüber dem Kernproblem erst mal zweitrangig. Das darin besteht, dass wir im Moment überhaupt nichts Identitätsstiftendes im Angebot haben und Identitätsstiftung mit Ausnahme von Teilen der CDU und der AfD politisch erkennbar ablehnen.
Stimme ich dir zu, finde ich auch ein Riesenproblem.
Ja, das wäre auch meine Kritik. Danke für die Ausführlichkeit.
Gut beschrieben, IMHO. Der olle Schopenhauer hat das vor ungefähr 170 Jahren auch schon gesehen und mal so ausgedrückt, die noch unbekannten Fußballvereine allerdings nicht einbeziehend:
Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein.Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.
zu 2)
Dass der Krieg in der Ukraine ein Verteidigungskrieg westlicher Werte und Normen ist, ist gerade etwas, das man nicht Konsens nennen kann. Die Gegner*innen einer Unterstützung der Ukraine und „Verhandlungen“-Fordernder jedenfalls werden das so sicherlich nicht anerkennen.
Die Befürworter einer Unterstützung der Ukraine erkennen das ebenfalls nicht unisono an. Ich, zum Beispiel, sehe in dem Krieg einen klassischen Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und dem Osten, wie wir es unzählige Male während des Kalten Krieges erlebt haben (siehe Korea, Vietnam, Afghanistan etc.). Es geht um Macht und um Kontrolle von Regionen. Um strategischen und wirtschaftlichen Einfluss. Beide Seiten haben letztlich die Eskalation dem Frieden vorgezogen, auch wenn nicht jeder beteiligte Player notwendigerweise einen Krieg vom Zaun brechen wollte. Letztlich hat man die Ukraine zu einem Feld auf einem Schachbrett gemacht und die Mächtigen haben angefangen zu spielen. Die gewöhnlichen Menschen zahlen wie immer den Preis.
Nichts davon ändert die Tatsache, dass der Angriffskrieg in der Ukraine ein Verbrechen ist. Dass dieser Krieg Deutschlands Frieden und Wohlstand aktiv bedroht. Oder auch dass das Leben unter dem amerikanischen Hegemon deutlich angenehmer und lebenswerter ist als unter dem russischen Hegemon. Deshalb ist unsere Unterstützung für die Ukraine absolut gerechtfertigt und in unserem ureigensten Interesse. Aber diesen brutalen Machtkonflikt als “Krieg für unsere Werte” zu überhöhen ist unsachlich und gefährlich. “Unsere Werte” haben wir schon vor langer, langer Zeit geopfert und verloren. Sie sind schlicht nicht mehr existent.
„Beide Seiten“? Ein brutaler Angriffskrieg ist ja wohl doch eine grundsätlich andere Art von „Eskalation“ als wirtschaftliche und politische Einflussnahme.
Wenn man nur die Hälfte ernst nimmt von dem, was in Russland offen als Endziel der „Operation“ genannt wird, ist das in der Tat ein Angriff auf unsere Lebensweise. Die liberale Demokratie ist ein „Wert“.
„Klassischer Stellvertreter-Krieg“? Zumindest auf einer Seite kämpft das Original. Auch wenn man sieht, dass die Ukraine nicht nur aus abstrakter Freiheitsliebe unterstützt wird.
„Beide Seiten“? Ein brutaler Angriffskrieg ist ja wohl doch eine grundsätlich andere Art von „Eskalation“ als wirtschaftliche und politische Einflussnahme.
Es ist richtig, dass ein Angriffskrieg kombiniert mit zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, massiver Zerstörung und Kriegsverbrechen eine andere Art der Eskalation ist als die Unterstützung eines bewaffneten Umsturzes in einem neutralen Land oder der Kauf von Wahlen dort oder die Nichteinhaltung von politischen Versicherungen und Zusagen sowie die militärische Bedrohung von Nachbarn. Ändert nur nichts daran, dass beide Seiten aktiv daran gearbeitet haben, ihre Macht auszuweiten und ihre Einflussssphäre zu vergrößern. Also genau dasselbe Schachspiel wie seit Anbeginn der Menschheit. Mit den immer selben Bauernopfern. Deshalb tragen auch beide Seiten tiefe Schuld und Verantwortung am gegenwärtigen Zustand.
Ich find deine Weltsicht naiv.
Wenn die bösen Großmächte de jour nicht wären, gäbe es kübelweise Liebe zwischen allen Menschen.
Gesellschaften, in denen viel über Großmächte lamentiert wird, verdecken damit in aller Regel gewaltige strukturelle Defizite.
Les mal eine Geschichte Vietnams, Malaysias, Mexikos, Chiles, Argentiniens, Algeriens, der Ukraine. Obwohl alles geopolitisch periphere Länder haben die eine sehr unterschiedliche Geschichte. Das sind auch keine vor sich hindösende Bauern.
Wenn die bösen Großmächte de jour nicht wären, gäbe es kübelweise Liebe zwischen allen Menschen.
Zeig mir mal bitte konkret, wo ich geschrieben habe, dass es ohne “böse” Großmächte kübelweise Liebe zwischen allen Menschen gäbe.
Exakt.
Das ist mir wesentlich zu weitgehend.
Ich, zum Beispiel, sehe in dem Krieg einen klassischen Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und dem Osten, wie wir es unzählige Male während des Kalten Krieges erlebt haben (siehe Korea, Vietnam, Afghanistan etc.).
Wenn jemand gute Beispiele für eine genuin kolonialistische Weltsicht braucht, dann wäre eines die Theorie der „Stellvertreterkriege“. Die ich schon immer für Unsinn gehalten habe – die Konfliktparteien waren und sind lokal und hätten den jeweiligen Konflikt ohnehin bewaffnet ausgetragen. Dass sie dabei von gegnerischen Grossmächten unterstützt wurden, macht diese Kriege noch lange nicht zu „Stellvertreterkriegen“. Das würde nämlich voraussetzen, dass die lokalen Konfliktparteien reine und vollständige Befehlsempfänger der jeweils beteiligten Grossmächte waren – und dafür gibt es überhaupt keine belastbaren Belege.
„Stellvertreterkriege“ ist ein Begriff aus einer naiven, reduktionistischen und paternalistischen Weltsicht. Er trägt zur Konflikterklärung nichts bei.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich denke, es macht Sinn, Stellvertreterkriege als eine Art „Parallelkrieg“ zu begreifen. Würdest du da mitgehen?
Ich sehe einfach nicht, was das zur Erklärung beiträgt? Wenn es bewaffnete Konflikte auch ohne die Grossmächte gäbe, dann ist die Unterstützung von Grossmächten oder Machtblöcken natürlich ein Faktor in solchen Konflikten, aber eben nicht der ausschlaggebende oder auslösende.
Nehmen wir mal eben Vietnam. Letztlich gibt es den ganzen Krieg ja überhaupt nur wegen der Einmischung der Großmächte, sonst hätten die Vietminh einfach die Unabhängigkeit erkämpft und fertig (und wären vermutlich auch keine Kommunisten geworden). Aber dank Dominotheorie wird ein nationaler Befreiungskrieg erst zu einem Bürgerkrieg, der parallel einen Stellvertreterkrieg aufgepropft bekommt (die UdSSR nutzen die Nordvietnamesen als Stellvertreter gegen die USA). Die hätten auch so gekämpft, aber das läuft als parallele Dimension, die für die Vietnamesen teilweise völlig egal ist (also ihnen in der Sache nichts bedeutet, Auswirkungen hat es natürlich).
… sonst hätten die Vietminh einfach die Unabhängigkeit erkämpft und fertig (und wären vermutlich auch keine Kommunisten geworden)
Lohnt den Streit kaum noch, aber bevor ich glaube, Kommunisten nach Lenin würden in einer „nationalen Front“ NICHT versuchen, ihre „Partner“ gewalttätig auszubooten, müssen Weihnachten und Neujahr auf einen Tag fallen.
Mit Nach-Lenin-Kommunisten ist eine friedliche Machtteilung ebenso unmöglich, wie freie Medien, die Achtung der Menschenrechte oder eine Demokratie.
Gruss,
Thorsten Haupts
Du missverstehst mich. Ich denke, die Vietminh hätten einfach gewonnen. Nicht friedlich, kein power-sharing. Ich denke nur, dass sie nicht im kommunistischen Lager gewesen wären. In das wurden sie durch den Kalten Krieg gedrängt; sie selbst suchten ja die Annäherung an die USA! Dass da eine Demokratie rausgekommen wäre, pluralistisch und tolerant – in tausend kalten Wintern nicht.
Ah. Dann war „kommunistisch“ einfach falsch – Dir ging´s um die Blockzugehörigkeit. Präzise formulieren bitte, Herr Lehrer 🙂 .
Naja, die Vietminh waren in den 1940er Jahren ja auch nicht wirklich Kommunisten.
@ Thorsten Haupts 3. Juli 2023, 11:34
… die Konfliktparteien waren und sind lokal und hätten den jeweiligen Konflikt ohnehin bewaffnet ausgetragen.
Ich muss einmal mehr für den Augenöffner danken. Es ist, wenn man nicht in den typischen Worthülsen denkt, so offensichtlich. Ob spanischer oder chinesischer Bürgerkrieg, Nord- vs. Südkorea, Nord- vs. Südvietnam, Biafra vs. Kongo, die isralischen Konflikte, der syrische Krieg – alle hätten auch ohne Einfluß von außen stattgefunden.
Vielleicht mit anderem Ergebnis, aber die Kriege hätten so oder so stattgefunden.
merci
E.G.
Mit welchen/wessen Waffen?
Oft, aber nicht immer. Man muss das im Einzelfall bewerten; Grundregeln gibt es diesbezüglich IMHO nicht. Es kann auch fraglich sein, inwieweit ein Krieg überhaupt eine relevante Größe erreicht hätte, wenn nicht Einmischung stattfindet (nimm mal Korea: ohne UN-Intervention ist das Ding mit einem Durchmarsch des Nordens gelaufen).
Sorry, aber auch ein Krieg mit einem anderen Ergebnis ist ein Krieg. Und nur das ist mein Punkt. Natürlich hätte auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine ohne westliche Informations- und Waffenhilfe vermutlich mit einem Sieg Russlands geendet, nur – geführt worden wäre er auf jeden Fall, weil die Ukrainer sich wehren wollten.
Keinerlei Widerspruch. Mein Argument ist ja lediglich, dass wir die Stellvertreterkriege als Parallelkriege anerkennen müssen, um analysieren zu können, warum Kriege den Verlauf nehmen, den sie nehmen.
1) Der falsche Weimar-Reflex
Vor allem die Abwanderung vormals demokratischer Kräfte ins autoritäre Lager, also die Frage, ab wann es plötzlich denkbar wird, autoritär zu regieren, hat nichts von ihrer Bannkraft verloren.
Als Kontrapunkt zur AfD wird von Politologen ja die Partei die Grünen gesehen. Auch die Grünen haben klar autoritäre Tendenzen. Durchregieren ist ja seit Monaten das Motto ihrer Regierungsvertreter, egal was die Mehrheit sagt. Nur so konnte so lange an dem Versuch festgehalten werden, ein Heizungsgesetz gegen alle Widerstände durchprügeln zu wollen, wo selbst Fachleute der Grünen inzwischen zugeben, dass es handwerklich einfach miserabel gemacht gewesen sei.
Teile der angeschlossenen Aktivistengruppen wollen eine Abkehr von der Demokratie, wenn sie einen „Gesellschaftsrat“ mit weitreichenden Machtbefugnissen fordern. Die eigene Ansicht wird absolut gesetzt. Die massiven Stimmenverluste der Partei sind eine Reaktion auf den autokratischen Regierungsversuch.
Natürlich liegt unsere größte Herausforderung im Umgang mit der Klimakrise.
Wieso? Allein das Wort „Klimakrise“ ist ein Framing. Es gibt einen, zum Teil oder weitgehend menschengemachten Klimawandel. Laut Wikipedia ist eine Krise im Allgemeinen ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und der eher kürzer als länger andauert.
Der Klimawandel ist eben keine Krise. Wer hier von Krise spricht, will dramatisieren mit einer bestimmten politischen Intension. Er will Dramatik anzeigen und manchmal auch „Panik“ erzeugen, weil das Thema selbst eben keine Panik erzeugt. Wenn Deutsche allein den Klimawandel als das mit Abstand wichtigste Thema unserer Zeit sehen, dann müssen wir über unsere unique Bewertung sprechen. Und wenn wir es nicht tun, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn radikale und populistische Kräfte das Thema kapern. Genau in solchen Milieus sind sie erfolgreich.
@ Stefan Pietsch
Auch die Grünen haben klar autoritäre Tendenzen.
Oder wie mir kürzlich ein messianischer Grüner sagte: Es widere ihn an, dass die Grünen als Verbotspartei dargestellt würden. Aber ohne Verbote ginge es nun mal nicht! 🙂
Die Grünen haben ein großes Herz, aber eine noch größere Faust.
Auch keine größere als die CDU.
2) „Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft“ (Interview mit Carlo Masala)
Wo ist das Wundern, warum das Lamento? Menschen kämpfen für das, was sie für wertvoll halten. Sie setzen ihr Leben ein, wenn sie etwas für lebensnotwendig halten. Ein Land, das potentiellen Zuwanderern nicht erklären kann, was Deutschsein ausmacht, ein Land, in dem heutige Bundesminister ohne öffentliche Empörung schreiben können, dass die Identität mit Deutschland nichts anfangen kann und beim Zuzug von Neubürgern keinen Unterschied macht, hat nichts zu verteidigen.
3) Packt die Badehosen ein
Das Ganze gilt immer noch als eine Art Lifestyle-Frage.
Genau so ist es, wer mit offenen Augen durch die Welt geht.
Sämtliche diskutierten Maßnahmen, vom Heizungsgesetz zum Tempolimit, entbehren völlig den Ernst der Situation, die Größe der Aufgabe, in den nächsten 20 Jahren klimaneutral zu werden.
Stimmt auch, weil den Leuten eingeredet wird, mit einer deutlichen Beschneidung ihrer persönlichen Freiheiten und staatlichem Diktum könnte mit der Einsparung von 2-10 Millionen Tonnen CO2 die Klimaneutralität eines Landes erreicht werden, dass 700 Millionen Tonnen ausstößt. Das verkauft eine ideologische Klasse und so schlecht können die mathematischen Fähigkeiten der Bevölkerung nicht sein, solche Geschichten zu glauben. Da fehlen Politik und Aktivisten tatsächlich jede Ernsthaftigkeit.
Zu 2)Wir würden ziemlich sicher kapitulieren.
Nein, würden wir bei einem direkten Angriff ziemlich sicher nicht. In solchen Situationen schwenken sehr viele Menschen blitzartig um, die sich vorher für Pazifisten gehalten haben, weil ihre Familien und ihr Eigentum massiv bedroht sind. Man kennt ähnliche Blitzschwenks übrigens von Leuten, die mal selbst Opfer von Kriminalität wurden (insbesondere Wohnungseinbrüche oder gewalttätiger Raub). Darum mache ich mir tatsächlich keine Sorgen, viel spannender ist die Frage, ob wir einem bedrohten NATO-Verbündeten zur Hilfe kommen würden. Darauf würde ich mich als Pole oder Litauer nicht verlassen. Weshalb es sehr viel Sinn macht, dort möglichst viele deutsche Soldaten zu stationieren, die im Angriffsfall sterben und damit den Willen zur Bündnisverteidigung „triggern“.
Übrigens ist mir eine „diverse“ Armee völlig wurscht, eine kampffähige dagegen nicht. Wenn die Bundeswehr kampffähig und -willig ist, kann sie von mir aus eine Mischung aus Transsexuellen, Drag Queens und Marsmenschen sein.
Zu a)
Blödsinnige Schlussfolgerung. Es ging bei den Wärmepumpen nie um die Frage, ob diese prinzipiell sinnvoll sind, sondern darum, wieviel man zusätzlich zur Heizung in älteren Bauwerken noch investieren muss, damit sie funktionieren.
Zu g)
Was ich selber denk und tu, das trau ich jedem anderen zu. Klein Fritzchens Vermutungen über die „Elite“ – deren Existenz in unzähligen anderen liberalen Beiträgen immer energisch bestritten wird.
Zu n)
Ja. Gäbe es eine realistische Alternative zu amazon, wäre deren „Prime“-Primatenverhalten mein Ausstieg gewesen.
Zu r)
Die Koch-Brothers sind auf der linken Seite das exakte Gegenstück zu Soros auf der Rechten und an allem Unglück schuld. Einziger Unterschied ist, dass auf der Linken diese Schuldzuweisung als kritisch und rational gilt … Und nicht als verschwörungstheoretischer Sondermüll.
Gruss,
Thorsten Haupts
„In solchen Situationen schwenken sehr viele Menschen blitzartig um, die sich vorher für Pazifisten gehalten haben, weil ihre Familien und ihr Eigentum massiv bedroht sind.“
Das hat man ja in der Ukraine gesehen. 2014 wurden deren Truppen fast kampflos von der Krim geworfen. Schon im Sommer desselben Jahres wurden sie im Donbass nur durch ein heimliches Eingreifen der russischen Armee gestoppt.
„…deren Existenz in unzähligen anderen liberalen Beiträgen immer energisch bestritten wird…“
Mal abgesehen davon, daß Brecht kein Liberaler war, werde ich einen größeren Blödsinn heute wohl nicht mehr lesen.
2) Ok, sehe ich. Ansonsten völlige Zustimmung.
n) Völlig! Oder die mittlerweile total kaputte Suchfunktion.
r) Als ob bei der REchten das als verschwörungstheoretischer Sondermüll gelten würde 😀
Zu r)
Völlig korrekt. Nur hält die Linke eben ausschliesslich den Soros-Fimmel der Rechten für Verschwörungstheorie, ihre eigenen Besessenheiten aber nicht. Und dem schliesst sich – siehe verlinkter SPIEGEL Artikel – die liberale Presse tendentiell an, was das eigentliche Problem re Glaubwürdigkeit und Konsistenz ist.
Gruss,
Thorsten Haupts
„Die liberale Presse“ ist ein Kolumnist.
Ich such Dir gerne die über die Jahre aufgelaufenen Medienbeiträge in Deutschland über die Koch-Brothers raus 🙂 .
Ich hab das Gefühl, das hat in den letzten ein, zwei Jahren massiv zugenommen. Mag aber ein „Schwangere in der Fußgängerzone“-Phänomen sein.
@ Thorsten Haupts
Zu 2)Wir würden ziemlich sicher kapitulieren.
Nein, würden wir bei einem direkten Angriff ziemlich sicher nicht.
Wie gesagt, ich bin mir da nicht so sicher. Etwa ein Viertel bis ein Drittel unserer Bevölkerung (egal mit welchem Pass) hat einen Migrationshintergrund; deren Nationalstolz und Patriotismus gilt vermutlich nicht Deutschland. Dann haben wir ein Durchschnittsalter von über 50 (bei den Bio-Deutschen höher). Und wir haben eben diese pazifistische Drückeberger-Mentalität.
Wäre aber schön, wenn Du Recht behältst.
Übrigens ist mir eine „diverse“ Armee völlig wurscht, eine kampffähige dagegen nicht. Wenn die Bundeswehr kampffähig und -willig ist, kann sie von mir aus eine Mischung aus Transsexuellen, Drag Queens und Marsmenschen sein.
… oder Migranten …
Zustimmung
Ich glaube ehrlich gesagt gar nicht, dass die Migrant*innen da der entscheidende Faktor wären. Die haben doch viel mehr zu verlieren als manche Almans.
@ Stefan Sasse 29. Juni 2023, 19:24
Ich glaube ehrlich gesagt gar nicht, dass die Migrant*innen da der entscheidende Faktor wären.
Das habe ich weder gesagt noch gemeint.
Neben vielen anderen Faktoren (Überalterung, Mentalität, seit Jahrzehnten nicht direkt bedroht etc.) ist „Migrationshintergrund“ nur ein weiterer Aspekt.
Wenn schon die Bio-Deutschen wenig Stolz auf ihr Land zeigen – z.B. die hier lebenden Türken, die ich kenne, zeigen eher Stolz auf die Türkei.
Aber ich hoffe, dass im Fall der Fälle Thorsten Recht behält.
Es kommt halt vermutlich echt auf das Szenario an. Aber: der Begriff „hier lebende Türken“ ist schon wieder extrem problematisch. Denn er impliziert, dass die keine Deutschen seien. Viele, aber bei weitem nicht alle, haben den deutschen Pass (und nur die wären ja ggf. Soldaten). Wieder andere fühlen sich zwar Deutsch, haben aber immer noch den türkischen Pass (oft genug nur wegen der bürokratischen Hürden). Ich hab selbst im Freundeskreis so jemanden.
Wer hier in dritter Generation lebt und den deutschen Pass ablehnt oder seinen türkischen nicht abgeben will, wieso meinst Du darin einen deutschen Patrioten zu erkennen? Ich liebe meine Frau, ich gehe nur mit jeder Frau ins Bett, die mir über den Weg läuft und verbringe den Großteil meiner Freizeit außer Haus. Wir hätten für so jemanden einige Begriffe, den des liebenden, treuen Ehemannes sicher nicht.
Möglicherweise solltest du mal mit Betroffenen sprechen.
Wie gesagt, ich respektiere die Motive. Nur kann man im Leben weder alles haben noch alles sein. Nur darum geht es hier. Nochmal: 700.000 in Deutschland lebende Türken haben vor wenigen Wochen einen Herrscher gewählt, der alles mit Füßen tritt, was für uns Wert besitzt. Und da willst Du allen türkischen Doppelpass-Inhabern Absolution erteilen? Tolle deutsche Patrioten? In dem Sinne wäre dann Björn Höcke auch ein Patriot.
Ich erteile überhaupt niemandem Absolution. Ich meine, linke Antideutsche wollen ja auch keine deutschen Patrioten sein und lehnen den Staat ab. Sie müssen nur grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich affirmativ dafür zu entscheiden, weswegen ein ausgrenzender, weiß-kodierter Patriotismus nicht geht.
Was bitte ist ein „weiß-kodierter Patriotismus“? Und wie wir eingangs feststellten – Du scheinst das abzulehnen: Jede Identifikation beginnt mit dem Ausschließen von anderen. BVB- und Bayern-Fan, das geht nunmal nicht zusammen. Wenn Du das nicht willst mit dem Ausgrenzen, dann kann die Diskussion zu nichts führen.
Stellst du dich gerade dumm? Das ist natürlich die Idee, dass nur Weiße Deutsche sein können.
@Stefan
Das ist etwas nervig, dass Du solch äußere Merkmale mehrmals in die Diskussion bringst, wo sie doch mehrmals zurückgewiesen wurden. Das ist so, als würdest Du generell rassistische Motive unterstellen, wenn jemand über Patriotismus palavert. Ich schaue wahrscheinlich weniger auf die Hautfarbe wie Du.
So drückst Du die Debatte immer wieder auf den Anfang zurück: Patriotismus hat nichts mit Geschlecht, Rasse und Religion und nur bedingt mit Herkunft zu tun. Es ist eine Frage der Identifikation. Und Identifikation ist nicht, die Lebensverhältnisse in seinem Wohnsitzland für angenehm zu befinden.
@ Stefan Sasse 30. Juni 2023, 10:16
Aber: der Begriff „hier lebende Türken“ ist schon wieder extrem problematisch. Denn er impliziert, dass die keine Deutschen seien.
Ich kenne ein paar, habe auch ein paar Kollegen. Die gehen ALLE wählen, wenn in der Türkei Wahlen anstehen, und ALLE wählen Erdoğan. ALLE fühlen sich ausgegrenzt und als Türken benachteiligt, aber ALLE (bis auf einen) fühlen sich den Deutschen überlegen, weil die keinen Stolz haben, und alle (bis auf einen) finden autoritäre Politiker gut.
Und wenn Galatasaray oder Fenerbahçe einen internationalen Wettbewerb gewinnen oder die türkische Fußballmannschaft einen Sieg gegen die Deutsche Elf einfährt, hast Du hier Autokorsos in jeder größeren Stadt.
Ich sehe, dass die sich hier wohlfühlen mit unserer Freiheit, unserer Toleranz, und ihrem Verdienst, dem vergleichsweise guten Leben hier. Aber ihr Stolz liegt woanders.
Ich kenne nur zwei, zugegeben, und die wählen beide gegen Erdogan. Die Quote war, was, 60% pro Erdogan bei den Deutschtürken? Das ist zu viel, no two ways about it, aber weit weg von „alle“.
ändert nichts an meiner Aussage
Ich sag nur, man muss vorsichtig sein zu sehr zu pauschalisieren.
Ich bin mir da auch gar nicht sicher, wenn auch aus anderen Gründen.
Die Migranten und die Diversität sind’s nicht – die hat Israel in weit höherem Maße. Ich hoffe sehr, der Test darauf bleibt uns erspart.
Nicht unwahrscheinlich, dass wir bei einer Invasions Russlands kapitulieren, aber gegen die USA alles ins Feld führen würden.
Ich wette hoch dagegen 🙂 .
Da sind wir uns glaube ich alle einig.
Du würdest im Fall, der hoffentlich nie eintritt, staunen, mit welcher Geschwindigkeit aus Migranten deutsche Soldaten würden 🙂 . Vielleicht nicht aus Patriotismus, aber wegen einer Mischung aus Angst, Wut, Selbstbehauptungswillen und Schutzinstinkten.
Denke ich auch, zumindest zu guten Teilen.
@ Thorsten Haupts 29. Juni 2023, 23:27
Du würdest im Fall, der hoffentlich nie eintritt, staunen, mit welcher Geschwindigkeit aus Migranten deutsche Soldaten würden 🙂 . Vielleicht nicht aus Patriotismus, aber wegen einer Mischung aus Angst, Wut, Selbstbehauptungswillen und Schutzinstinkten.
Ich hoffe, Dass Du recht hast.
Vielleicht „Eintritt ins Militär gegen Deutschen Pass“ könnte klappen; haben die USA doch sehr erfolgreich durchgezogen.
Argumentiere ich auch schon seit Jahren.
Das ist nicht nur Selbstaufgabe von Politik, sondern auch das Gegenteil einer wehrhaften Klimademokratie
Frage: Wo finde ich den Begriff „Klimademokratie“? Antwort: Bei radikalisierten, zumindest in Teilen kriminell gewordenen Aktivisten.
Es geht nicht darum, die Bevölkerung aus der Verantwortung zu nehmen – die Menschen werden noch genug Verantwortung übernehmen müssen. Aber umso weniger darf ihnen der Staat die Gesamtverantwortung (im Grunde: sogar über das Ob) auch noch offensiv zuschieben.
Noch mehr Quatsch. Die Verantwortung für die eigene Heizung liegt nicht beim Staat, sondern bei jedem einzelnen. Und das ist mitnichten eine „Gesamtverantwortung“. So argumentieren Sozialisten und Autokraten.
k) Dieses unreflektierte „Wir“ kann ich auch nicht leiden.
Was soll auch darüber berichtet werden, dass Menschen ihre gesamte Familie anbetteln, um auf Kutter zu kommen, die bei bloßer Inaugenscheinnahme sagen: Da sollte man schwimmen können. Das passiert jeden Tag und hat nicht den geringsten Neuigkeitswert. Natürlich gibt es verzweifelte Menschen. Doch wir lesen normalerweise auch keine Geschichten über Selbstmörder.
r) Ich warte natürlich auf die gleiche Empörung auf liberaler Seite, wie es sie bei Habeck gab.
Die gab es in der WELT. Bei Habeck war jedoch nicht das Problem eine Person, sondern das Netzwerk.
„Was soll auch darüber berichtet werden, dass Menschen ihre gesamte Familie anbetteln, um auf Kutter zu kommen, die bei bloßer Inaugenscheinnahme sagen: Da sollte man schwimmen können. Das passiert jeden Tag und hat nicht den geringsten Neuigkeitswert. Natürlich gibt es verzweifelte Menschen. Doch wir lesen normalerweise auch keine Geschichten über Selbstmörder.“
Was soll der Zynismus?
Nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Überlebender wurde die Katastrophe von der griechischen Küstenwache verursacht:
https://www.welt.de/politik/ausland/article246045678/Katastrophe-von-Pylos-Hunderte-Tote-im-Mittelmeer-Augenzeugen-belasten-Griechenland.html
Zitate aus der Langversion:
https://twitter.com/Freddy2805/status/1672941316064309248
Und noch eins:
„Muhammad Nadeem erzählt seinem Neffen, dass viel zu viele Menschen auf das Boot wollten. Erzählt auch von einer Mafia, die ihn wohl trotzdem zwingen werde, an Bord zu gehen. Die Männer hätten Messer und Gewehre, sie drohten ihm.“ (Welt am Sonntag, 25. Juni 2023, S. 13)
Nicht Zynismus. Provokation.
Ich hatte den langen WELT am Sonntag-Artikel am Wochenende gelesen. Natürlich bin ich nicht empathielos. Ich finde nur, den anderen moralisch an die Wand zu klatschen ist keine gute Grundlage. Wir sollten vor solchen Debatten ein paar Sachen gegenseitig anerkennen.
Wer sich Schlepper nach Europa bedient, gehört in seiner Heimat eher zur vermögenden Schicht und sterben in ihrer Heimat nicht durch Hunger. Wer Schlepper beauftragt, weiß in der Regel, dass das keine Menschenfreunde sind. Es sind zum Großteil Männer, weil sie für die Familie als „Anker“ fungieren sollen. Nur ein kleiner Anteil sind Arbeitsmigranten, entweder aus Motivation oder zu geringer Qualifikation.
Wenn manche an den Fakten vorbei das Gegenteil erzählen will und versucht, mit moralischem Druck die Debatte zu beeinflussen, wird es schwierig. Niemand hat Lust, sich moralisch an die Wand drücken zu lassen.
„Ich finde nur, den anderen moralisch an die Wand zu klatschen ist keine gute Grundlage.“
Hier macht das keiner außer dir.
Also haben wir einen Konsens, auf welcher Basis solche Debatten stattfinden? Das wäre wertvoll.
f) Und die Sicherheit vor einem möglicherweise wieder aggressiveren Rußland war noch nicht einmal der einzige und vielleicht noch nicht einmal vorrangige Grund vor die NATO-Osterweiterung.
In Osteuropa gibt es viel Stoff für Konflikte, die mit der Einbindung der Staaten in ein kollektives Sicherheitssystem entschärft worden sind. Der Zerfall Jugoslawiens war da das Menetekel an der Wand.
Yes. Dieses „NATO-Osterweiterung ist schuld an Russlands Aggression“ gehört auf den Müllhaufen. Aber ich schrieb darüber.
t) Ich fand das eine gute Zusammenfassung der Scheindebatten in der CDU, gerade wenn man den Einstieg in den Artikel heranzieht.
/// „Als bürgerliche Opposition können wir nicht schweigen“, sagte er, „wenn die Regierung den gesellschaftlichen Frieden gefährdet“ – indem diese nämlich mit Themen wie dem Selbstbestimmungsgesetz, der Streichung der Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch oder der Freigabe von Cannabis ihrerseits aktiv einen Kulturkampf betreibe. ///
Die Grundsätze auszubuchstabieren, mit denen sich diese Positionen begründen ließen, traut sich die CDU nicht – denn sie ist ja gleichzeitig eifrig damit beschäftigt, die Grünen als „Verbotspartei“ zu framen.
g) Interessant – aber imho ergänzungsbedürftig:
i) Es geht doch weit weniger um ‚Eliten‘ sondern um das gehobene Bürgertum „Bourgeoisie“ für den Marxisten.
ii) Der Erfolg des Stücks ist keine deutsche Spezialität, sondern war auch ein internationales Phänomen.
iii) Brecht hat bei der Dreigroschenoper selber eine ziemliche „Gangstermentalität“ gezeigt, indem er Hauptmann und Weill weitgehend ausgebootet hat.
iv) Wie sieht es heute aus, Wie viele Serien zeigen – unabhängig vom dargestellten Milieu – letztendlich Gangstergeschichten (Nimm ‚House of Cards‘) ?
p) Du musst dir nur den Graphen anschauen: Schon vor dem „Coronaknick“ hatte die Leistung eine leichte Abwärtstendenz über die letzten 8 Jahre (warum eigentlich eine so lange Messpause?). Da zeigt in meinen Augen ein ‚nicht gesundes‘ System, das dann von Corona getroffen wurde.
q) Ich kann zu wenig über das konkrete Rechtsproblem sagen, aber das BVerfG hat das vermieden, was du immer wieder kritisierst. Es hat sich nicht als Ersatzgesetzgeber betätigt, sondern nur Vorgaben gemacht, an welchen Punkten Missstände vorliegen. Jetzt liegt der Ball bei der Legislative bzw. bei der Regierung.
Kann man überhaupt noch von französischem Patriotismus reden?
Die selbsternannten Patrioten zerstören, was sie zu schützen vorgeben.
Wie meinen?
Was in La France mit dem patrie passiert, sehen wir gerade.
Auch bei uns haben die „Lieb-Vaterland“-Deutschen ihr Vaterland ruiniert, das sie doch angeblich so liebten. Während die „Vaterlandslosen Gesellen“ sich sehr für dessen Erhalt eingesetzt haben.
Völlig korrekt. Das schließt sich ja aber nicht aus.
Eigenes Fundstück zur Patriotismus-Debatte oben:
Hier eine vergleichende Untersuchung zum Thema und sehr breit in artverwandte Bereiche. Das geht in vielen Punkten so weit quer zu den gängigen Klischees, dass ich gerne eure Meinung dazu hätte:
https://www.pewresearch.org/global/2021/05/05/views-about-national-identity-becoming-more-inclusive-in-us-western-europe/
Ich finde, das deckt sich eigentlich mit dem, was ich gesagt habe.
„… nichts Identitätstiftendes im Angebot“ – „Riesenproblem“
Ziemlicher Widerspruch zu dem Staatsverständnis als „Dienstleister“, dem man allenfalls (möglichst wenig) Steuern zahlen sollte.
Nun ja, in der Gefahr steht Deutschland nun wahrlich nicht, zu einer Steueroase zu verkommen. Hier zahlen Unternehmen mit die höchsten Unternehmenssteuern und Erwerbstätige die höchsten Abgaben. Dafür bekommen sie einen immer mehr dysfunktionalen Staat, in dem Grundbedürfnisse und Anforderungen wie Eigenheim, Sicherheit und andere profane Dinge nicht mehr voll befriedigt werden. Also, von „möglichst wenig Steuern“ sind wir doch ein ganzes Stück entfernt.
Mag sein, aber das ist gerade nicht das Thema.
Für mich passen Ihre beiden Positionen nicht zusammen: Der Staat als Dienstleistungsbetrieb und die Forderung nach Identifikation.
Das Austauschverhältnis auf der Ebene „Steuern für staatliche Leistungen“ ist nur ein Aspekt der Beziehung zwischen Bürger und Staat.
Helmut Schmidt als „erster Angestellter der Bundesrepublik Deutschland“ – das fand ich mal gut. Inzwischen nicht mehr. „Liebe“ ist mir (viel) zu viel, Loyalität zu wenig. Das richtige Verhältnis suche ich noch.
Guter Gedanke.
@ CitizenK 4. Juli 2023, 12:53
Ziemlicher Widerspruch zu dem Staatsverständnis als „Dienstleister“, dem man allenfalls (möglichst wenig) Steuern zahlen sollte.
Sorry, Citizen, aber bei solch einem Satz habe ich schon wieder den Gedanken „Sozialneid“ im Kopf …
Den Zusammenhang verstehe ich jetzt nicht.
„… auf Ursachen statt auf Symptome“
Konsens! Jetzt müssen wir uns nur noch einigen, welches die Ursachen sind.
„entspannt auf Augenhöhe, wie das beispielsweise bei so vielen Angelsachsen der Fall ist.“
Ich empfinde das auch so. Gibt es also doch so etwas wie einen Nationalcharakter?