Rechtsfreier Raum Klassenzimmer


Einem bekannten Bonmot zufolge haben Lehrer am Vormittag Recht und am Nachmittag frei. Mir geht es heute darum, einen Einblick zu geben in die tatsächlichen Arbeitsumstände für Lehrkräfte. Diese sind weitgehend unbekannt, selbst Denjenigen, die Lehrkräfte im Verwandtschafts- oder Bekanntenkreis haben. Das ist nur natürlich; ich habe diverse Freunde, die irgendwas mit IT machen, und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie deren Arbeitsalltag aussieht. Von meiner Warte aus könnten die auch zaubern.

Aber ich würde nicht diese Überschrift wählen, wenn alles worum es mir geht nur wäre, einen Überblick über den Alltag einer Lehrkraft zu geben. So interessant das auch wäre, und so hilfreich beim Aufploppen einiger Klischee-Seifenblasen, so mache ich doch immer wieder die Erfahrung, dass Leute regelmäßig entsetzt sind wenn ihnen klar wird, unter welchen Bedingungen Lehrkräfte eigentlich tatsächlich arbeiten. Und mit dem herrschenden Arbeitsrecht haben diese häufig ziemlich wenig zu tun, und von den Standards, die in den meisten Unternehmen in Deutschland herrschen, ist man elend weit entfernt. Aber beginnen wir dort, wo man üblicherweise zu beginnen pflegt: am Anfang. Noch das übliche Wort zum Geleit: Meine Ausführungen beziehen sich auf das Gymnasium in Baden-Württemberg. In anderen Bundesländern mag sie in Details abweichen.

Der lange Weg zur Lehrkraft

Der erste Punkt, auf den ich im Rahmen dieses Artikels noch öfter zurückkommen werde, ist das hohe Ausbildungsniveau, das Lehrkräfte in Deutschland genossen haben. Unter den studierten Professionen gehört sie zu denen mit den längsten Ausbildungszeiten überhaupt; weitgehend unbezahlten Ausbildungszeiten, wie ich hinzufügen möchte.

Inzwischen startet das Lehramtsstudium in Baden-Württemberg mit einem zweiwöchigen Praktikum an der Schule, aus der nicht unbedingt falschen Erkenntnis heraus, dass manche Leute ihre zukünftige Berufswahl vielleicht überdenken, wenn sie früh Praxiskontakt haben. Zu meiner Zeit gab es das noch nicht, aber ich kam schon in den Genuss des so genannten Praxissemesters im Grundstudium, bei dem rund drei Monate (unbezahlt) an einer Schule gearbeitet wurde. Für das Land Baden-Württemberg diente das Praxissemester neben dem unbestrittenen Vorteil einer Praxiseinheit schon im Studium (in der Hoffnung, ungeeignete BewerberInnen sanft in eine andere Richtung stupsen zu können) auch dem Sparen: Gleichzeitig wurde nämlich das (bezahlte) Referendariat um ein halbes Jahr verkürzt. Das wurde in der damaligen Debatte auch hervorgehoben; es war die Hochzeit der Hartz-Reformen.

Das gymnasiale Lehramtsstudium selbst hat üblicherweise eine Regelstudienzeit von zehn Semestern, vorausgesetzt man studiert die „normalen“ zwei Fächer (entweder zwei Hauptfächer oder ein Haupt- und ein Nebenfach). Maximal erlaubt sind drei Fächer; in diesem Fall werden zwei Semester auf die Regelstudienzeit addiert. Ich habe zweieinhalb Fächer studiert (Deutsch und Geschichte, Politikwissenschaften habe ich als Beifach studiert, eine Art verkürztes Schmalspurstudium mit etwas weniger Inhalten, das aber auch im Staatsexamen mündet). Wer eine weitere Fremdsprache erlernen muss – in Geschichte ein Großteil der Studierenden, weil sowohl Latein als auch eine zweite moderne Fremdsprache benötigt werden – darf noch einmal zwei Semester addieren.

Zum Ende des Studiums steht das erste Staatsexamen, eine mit dem früheren Diplom gleichzustellende Prüfung, etwas härter als der mittlerweile auch nicht mehr existierende Magister und definitiv härter als der Master-Abschluss. Zu diesem Zeitpunkt haben Lehramtsstudierende ein komplettes Fachstudium absolviert, das an Umfang und Qualität völlig gleichwertig mit dem früheren Magister oder dem heutigen Master ist, aber noch zusätzlich Veranstaltungen in Pädagogik, Psychologie, Fachdidaktik und Ethik belegt sowie das Praxissemester absolviert. Die Examensprüfungen selbst sind ebenfalls nicht von schlechten Eltern.

Aber wie die Qualifizierung „erstes“ vor dem „Staatsexamen“ schon andeutet, kommt da noch ein zweites. Dieses steht am Ende des Referendariats, das noch so gut wie jede Lehrkraft zärtlich als „schlimmste Zeit meines Lebens“ bezeichnet. In anderthalb Jahren (Januar bis Juli des Folgejahres) arbeiten die angehenden Lehrkräfte zwischen 50 und 70 Stunden die Woche für rund 1400 Euro Brutto. Bis nachts um zwei zu arbeiten, um am Morgen um 6.00 Uhr wieder in der Schule zu stehen, gehört ebenso zum Alltag von ReferendarInnen wie es jedem Arbeitsrecht Hohn lacht.

Das Referendariat wäre seinen eigenen Artikel wert; im Kontext dieses Textes konzentrieren wir uns auf die Aspekte, die aus formaler Sicht problematisch sind. Neben der teilweise absurden Arbeitsbelastung und dem ungeheuren Psycho-Druck (einer Studie nach entwickeln rund 40% der ReferendarInnen zu irgendeinem Zeitpunkt der Ausbildung eine Depressionsstörung, die sie dann nicht behandeln lassen können, weil das Land ihnen dann die Verbeamtung verweigert) gehört hier vor allem die Intransparenz der alles entscheidenden Noten für die zahlreichen Prüfungen dieser Ausbildungsphase besprochen. Die Lehrproben sind, was abstruse Begründungen und undurchsichtige Bewertungskriterien sowie Bewertungswillkür angeht, legendär. Aber auch die anderen Notenbestandteile, wie die Schulleitungsbewertung oder die Kolloqien, erfüllen zu keiner Sekunde die Standards, die später in der Schule an Leistungsfeststellungen und Abschlussprüfungen gelegt werden. Und wer jetzt denkt „Moment, das Abitur ist jetzt nicht eben transparent bewertet“ hat den Kern des Problems erkannt.

Aus-gebildet

Ist dann auch das zweite Staatsexamen bestanden, befand sich die Junglehrkraft im Schnitt sieben bis acht Jahre in der Ausbildung. Worauf ich damit hinaus will: Das Qualifikationslevel ist sehr hoch. In der freien Wirtschaft sind das üblicherweise Anwärter für Trainee-Programme und ähnliche höhere Jobs. Wir reden hier von Einstiegsgehältern jenseits der 50.000 Euro im Jahr. Ich erwähne das deswegen, weil gerne auf den Bezügen/Gehältern von Lehrkräften herumgeritten wird, als seien diese obszön hoch. Im Vergleich mit der freien Wirtschaft verdienen gymnasiale Lehrkräfte allerdings bestenfalls durchschnittlich gut, wie wir gleich noch näher sehen werden. Bevor wir uns mit dem Gehalt beschäftigen, will ich noch auf den Einstellungsprozess eingehen. Denn der spottet jeder Beschreibung und steht idealerweise am Ende der Ausbildung.

Zumindest in Baden-Württemberg ist der „Normalfall“ einer Lehrkraft die Verbeamtung. Um diese bewerben sich ausgehende ReferendarInnen üblicherweise. Hierzu wird die so genannte Leistungsziffer gebildet, die aus den verrechneten Noten des ersten und zweiten Staatsexamens besteht und zwischen 40 (1,0) und 160 (4,0) liegt. Man reicht seine Unterlagen dann beim Kultusministerium ein (mittlerweile online, man geht ja mit der Zeit) und kann einige Präferenzen bei der Ortsvergabe angeben.

Je mehr solcher Präferenzen man angibt (sagen wir, weil man Familie hat und örtlich nicht ganz so flexibel ist), desto geringer sind logischerweise die Chancen. Aber die Vergabeprozeduren sind in höchstem Maße intransparent. In der Theorie entscheidet einzig und allein die Leistungsziffer, aber die Sachbearbeitenden im Regierungspräsidium haben genügend Möglichkeiten, auf den Prozess Einfluss zu nehmen und gegebenenfalls Favoriten zu bevorzugen. Das passiert auch permanent. Die Schulen selbst haben auf diesen Auswahlprozess praktisch keinen Einfluss. Sie dürfen dem Regierungspräsidium Bedarfe melden, die dieses dann in unterschiedlichem Maß berücksichtig (nur weil Schule X jemand für Englisch und Geschichte braucht heißt das nicht, dass sie nicht unter Umständen jemand für Englisch und Erdkunde bekommt).

Problematisch ist das alles vor allem, weil Bevorzugungen und Benachteiligungen kaum nachvollziehbar sind. Bei einem System, das ostentativ alleine auf der Note beruht und keine Chance für persönliche Eindrücke oder andere Qualifikationen lässt, ist das ein Problem.

Die ideellen Werte

Reden wir kurz über das Geld und andere geldwerte Vorteile des LehrerInnenberufs. Das Einstiegsgehalt für verbeamtete Lehrkräfte (A13) in Baden-Württemberg beträgt aktuell 4623,89€ brutto. Das entspricht 3467,79€ netto. Davon geht noch die Krankenversicherung ab (üblicherweise privat), was sich mit rund 500€ zu Buche schlägt. Eine frisch verbeamtete Lehrkraft verdient daher rund 2900€ netto im Monat – eine durchaus stattliche Summe, wenngleich angesichts des Qualifikationsniveaus durchaus angemessen. Diese Bezüge steigen mit dem Dienstalter automatisch auf aktuell maximal 5687,24€ brutto beziehungsweise 4063,78€ netto (jeweils wieder abzüglich der Krankenversicherung). Olaf Scholz würde das wohl Sehrgutverdienen dienen.

Da sind die Vorteile des Beamtenstatus aber noch nicht am Ende. Beamte können sich privat krankenversichern und bekommen 50% der Krankenversicherung von der Beihilfe bezahlt, sprich, vom Staat. Bei Kindern beträgt dieser Anteil sogar 80%. Dieses absurde System sorgt dafür, dass der Staat eine große Gruppe sehr gut verdienender Familien direkt aus dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem zieht und dies sogar großzügig subventioniert.

Zuletzt genannt werden muss die Pension, die deutlich über der Rente liegt. Aktuell werden maximal 71,75% des letzten Grundgehalts als Pension ausbezahlt (wobei in der Realität die wenigsten Lehrkräfte diesen Wert erreichen). Das ist natürlich meilenweit über den rund 45%, die aktuell in der gesetzlichen Rente winken – ohne, dass dafür irgendwelche Abzüge beim Lohn existieren würden.

Deutlich schlechter sieht die Lage für die exakt gleich qualifizierten Lehrkräfte aus, die nicht verbeamtet, sondern angestellt werden. Sie leisten die selbe Arbeit wie ihre verbeamteten KollegInnen, werden aber wesentlich schlechter bezahlt. Das Einstiegsgehalt liegt hier bei 4002,26€ und steigt nach Dienstalter auf maximal 5798,14€ an. Darauf entfallen jedoch die kompletten Sozialabgaben, zudem besteht kein Beihilfeanspruch. De facto sind das mehrere hundert Euro netto im Monat Unterschied – für denselben Job. Man fragt sich wirklich, warum Sachsen und Berlin sich so schwer tun, Lehrkräfte für ihre Schulen zu finden, wo sie doch nicht verbeamten und zudem ihre Angestellten noch schlechter bezahlen als Baden-Württemberg dies tut. Ein Mysterium, das vermutlich nie aufgelöst werden wird.

Noch einmal wesentlich schlechter ist die Lage für alle Lehrkräfte, die bei der immer noch gleichen Qualifikation nicht im öffentlichen Dienst unterkommen, sondern an eine der vielen Privatschulen des Landes gehen (rund 10% der SchülerInnen besuchen mittlerweile eine Privatschule). Je nach Schulträger liegen die Einstiegsgehälter zwischen rund 3100€ und 3700€ im Monat, brutto, ohne irgendwelchen Vorteile. Für die privaten Träger häufig nicht nachvollziehbar tun sich die Privatschulen schwer, qualifiziertes Personal zu finden. Auch das ist ein Mysterium, dessen Klärung trotz zahlreicher studierter (und wesentlich besser bezahlter) BetriebswirtschaftlerInnen in den Leitungsebenen dieser Institutionen aktuell als ungeklärt betrachtet werden muss.

Deputierung

Soweit klingt das alles erst einmal solide, vorausgesetzt, man wurde verbeamtet. Auch sonst nagt man nicht am Hungertuch, wird aber angesichts der Gehälter, die die freie Wirtschaft für Ingenieursberufe oder BWL-benachbarte Professionen zahlt, sicherlich keine Freudensprünge machen – und das Qualifikationslevel ist, man verzeihe mir das Totreiten dieses speziellen Pferdes, absolut vergleichbar, wenn nicht sogar höher. Was aber muss eine Lehrkraft denn für diese Bezüge beziehungsweise Gehälter leisten?

Aktuell beträgt das Volldeputat in Baden-Württemberg für das Gymnasium 25 Wochenstunden Unterricht (Realschule: 27 Stunden, Grundschule: 28 Stunden, Berufsschule: 30 Stunden). Die vertragliche Arbeitszeit für eineN BeamtIn beträgt 41 Wochenstunden und liegt damit deutlich über dem Schnitt der freien Wirtschaft. Für Lehrkräfte allerdings ist sie in vielen Fällen ein unerreichbarer Traum.

Gleich vorweg: Natürlich gibt es eine Reihe fauler Lehrkräfte, die im Endeffekt ihre 25 Stunden runter unterrichten und ansonsten so wenig wie nur irgend möglich arbeiten. Aber Leute, die in ihrer jeweiligen Abteilung ihre 38 Wochenstunden absitzen und wenig zur Produktivität der Firma beitragen, gibt es ebenso. Diese Leute können aber nicht der Maßstab sein, und die Vorstellung, dass sie in der Privatwirtschaft effizienter identifiziert und ausgesiebt würden als beim Staat darf getrost ins Reich der Legenden verwiesen werden. Karriere machen sie in beiden Zweigen üblicherweise nicht. Ich will diesen Punkt daher nicht weiter besprechen und von denjenigen Leuten ausgehen, die ihren Job so machen, wie das vorgesehen ist.

Was bedeuten 25 Deputatstunden Unterricht? Jede Unterrichtsstunde will vorbereitet sein. Mache ich das vernünftig, brauche ich pro Stunde Unterricht irgendwo zwischen einer und vier Stunden Vorbereitung. Dass das für 25 Wochenstunden nicht funktionieren kann, ist klar. Daher Recyclen Lehrkräfte ihren Unterricht aus den Vorjahren und bereiten vor, was sie noch nie gemacht haben und updaten ihr Material aus den Vorjahren. Der übliche Zyklus eines Lehrkraftsarbeitsjahrs ist es, den Unterricht einiger Klassen intensiv vorzubereiten, den einiger anderer anzupassen und wieder einiger anderer zu übernehmen – das heißt, wenn man etwas zum Übernehmen hat.

Fängt man im Beruf neu an, steht man – mit Ausnahme dessen, was man vom Referendariat ausschlachten kann, und das ist nicht viel – vor dem Nichts und muss alles neu aufbauen. Die ersten zwei, drei Jahre als Lehrkraft sind ein Höllentrip, schon alleine, weil man noch in der Probezeit (die dauert regulär drei Jahre) und deswegen permanent gefährdet ist. Die spätere Arbeitsbelastung schwankt dann stark mit der jeweiligen Deputierung: Habe ich Parallelklassen, sinkt mein Aufwand beträchtlich. Manche Fächer sind wesentlich aufwändiger als andere (Deutsch etwa im Vergleich zu Sport). Oberstufe ist aufwändiger in der Vorbereitung als Unterstufe. Und so weiter.

In den Stoßzeiten für Klausuren (vor den Herbstferien, Weihnachtsferien, Osterferien und Pfingstferien) kommen zudem noch stapelweise Korrekturen hinzu. Hat man das Glück, eine Abschlussklasse zu unterrichten, stehen zudem zwischen April und Mai die Erst- und Zweitkorrekturen des schriftlichen Abiturs und im Juni die mündlichen Prüfungen an. Auch hier unterscheidet sich der Aufwand je nach Stufe, Fach und Gewissenhaftigkeit der Lehrkraft erheblich. Für Oberstufenaufsätze in Deutsch etwa kann als Richtwert eine Dreiviertelstunde je Aufsatz angenommen werden, wenn man es ordentlich macht – bei einem Klassenteiler von 33 und vier Klausuren pro Schuljahr eine ganz schöne Menge, die die Ferienzeiten deutlich relativiert.

Der Rattenschwanz

Aber die eigentliche Unterrichtsverpflichtung ist ja nur der sichtbare Teil der Lehrkraftsarbeitszeit. Dazu kommen zum einen Konferenzen. Diese sind deutlich ausufernder, als Außenstehende das üblicherweise auf der Pfanne haben. Pro Jahr sind mindestens sechs Gesamtlehrerkonferenzen abzuhalten, die gerne ihre drei bis vier Stunden dauern. Dazu kommen meist wöchentliche oder zweiwöchentliche kleinere Konferenzen. Die Fachschaften – also die Lehrkräfte, die ein bestimmtes Fach unterrichten, etwa die Geschichte-Fachschaft) treffen sich ebenfalls regelmäßig zu Konferenzen, um Schulcurricula (die Bildungspläne müssen von den Schulen noch individualisiert und bearbeitet werden, was üblicherweise im Rahmen der Fachschaften geschieht) zu erstellen oder überarbeiten, anstehende Themen zu besprechen, Studienfahrten zu planen, Bücherbeschaffungen zu diskutieren und so weiter. Dazu kommen Elternpflegschaften, Elternsprechzeiten, SchülerInnensprechzeiten, was auch immer die KollegInnen gerade von einem wollen und sonstige Termine.

Dazu kommen Aufsichten – die SchülerInnen müssen in den Pausen ja beaufsichtigt werden, Aufsichtspflicht und so weiter – sowie Vertretungen. Die stets künstlich angespannte Personaldecke der Schulen verkraftet Ausfälle durch Krankheit, Fortbildungen etc. kaum; fällt eine Lehrkraft einen Tag aus, müssen üblicherweise irgendwo zwischen vier und acht Stunden Unterricht vertreten werden, soll der Unterricht nicht ausfallen. Pro Monat müssen Lehrkräfte unentgeltlich vier Stunden Vertretungsunterricht ableisten. Nicht vergessen wollen wir an dieser Stelle Studienfahrten und sonstige Ausfahrten und Exkursionen; diese werden uns allerdings noch an anderer Stelle wieder begegnen und sollen hier nur erwähnt werden.

Lehrkräfte sind zudem wegen der Unterausstattung der Schulen durch ihre kommunalen oder privaten Träger immer auch noch Teilzeit-Verwaltungskräfte. Sie müssen SchülerInnenlisten pflegen, Geld einsammeln und verwalten, diverse Protokolle und sonstige Dokumentationen vorhalten, Adresslisten pflegen, Angebote einholen, Konten führen und vieles mehr. Einer durchschnittlichen Schule mit 700 SchülerInnen und 70-80 Lehrkräften stehen häufig nur rund anderthalb Sekretariatsstellen zur Verfügung. Dass das niemals für die gesamte Arbeit reichen kann, ist klar. Dementsprechend viel wird auf die Lehrkräfte abgewälzt.

Nicht zu vergessen, dass viele andere Aufgaben im Bereich der Schule, die in jedem Unternehmen von eigenen Profis bedient werden würden, ebenfalls von den Lehrkräften gestemmt werden müssen. So zeigt eine aktuelle Umfrage in Nordrhein-Westfalen etwa, dass ein großer Teil der Wartung der IT von Schulen (ohnehin häufig ein Oxymoron) von Lehrkräften in ihrer Freizeit gestemmt wird. Ein noch etwas größerer Anteil wird von Lehrkräften in der Arbeitszeit erledigt. Generell haben Schulen eine bestimmte Zahl von Deputatstunden (die Baden-Württemberg jüngst von 20 auf 18 pro Schule gekürzt hat…), um ihre anstehenden Aufgaben von der Verwaltung der Lernmittel über die IT-Administration bis zur Pflege der Sammlungen und Bibliotheken zu organisieren. Diese Zeit reicht natürlich nie.

Ich erinnere mich daran, dass es an meiner Referendariatsschule eine Liste von Tätigkeiten gab, die erledigt werden mussten – vom Auswechseln der Birnen in den Overhead-Projektoren zur Verwaltung der Fachschaftsbibliotheken – die genügend Einträge hatte, dass alle über 70 Lehrkräfte eine abbekamen. Unbezahlt, versteht sich. Es ist anders auch gar nicht möglich, da das Land und die Kommunen die Leistungen zwar abfordern (die Schulen MÜSSEN diese Aufgaben alle irgendwie erledigen) aber kein Fachpersonal dafür einstellen. Stattdessen arbeiten hoch qualifizierte und gut bezahlte Spezialisten für Unterricht an solchen Sachen. Ich habe selbst jahrelang die Lernmittelverwaltung gemacht; jede Sommerferien habe ich von Hand rund 3 Tonnen Bücher bewegt. Von den Paletten, auf denen sie angeliefert wurden, auf den Tisch, wo ich jedes einzelne gestempelt habe, in das Regal und von dort dann zur Ausgabe.

All diese Aufgaben sorgen für eine permanente Nebenbelastung, die zudem – da niemand für diese Tätigkeiten ausgebildet ist – mit wahnsinnigen Reibungsverlusten einhergeht. Die große rechtliche Verantwortung, die Lehrkräften darüber hinaus aufgebürdet wird, übt einen großen persönlichen Druck aus (hier übrigens sind Privatschulen deutlich im Vorteil; als Unternehmen haben sie größere Verwaltungsapparate mit Rechtsabteilungen und Buchhaltungen, wie sie an öffentlichen Schulen schlicht nicht existieren).

Eher zum Kerngeschäft gehören dagegen Eltern- und SchülerInnenkontakte. Dazu gehören natürlich die Klassenpflegschaftsabende (auch als Elternabende bekannt). Auch diese müssen vorbereitet werden und erfordern zusätzlichen Zeitaufwand. Stichwort Kontakte: Sowohl SchülerInnen als auch Eltern wollen gerne etwas von einem, und die zunehmende Digitalisierung und der Wandel des Schulsystems hin zu mehr Offenheit und flachen Hierarchien – sehr begrüßenswerte Entwicklungen! – hat zu einer größeren Erreichbarkeit von Lehrkräften geführt, besonders bei jungen Lehrkräften. Das Beantworten von Anfragen am Sonntagabend ist keine Seltenheit. Ich bin eigentlich rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, per Mail erreichbar; wenn ich mal länger als einen Tag für eine Antwort brauche ist das viel. Individuell frisst das meist wenig Zeit – aber Kleinvieh macht eben Mist.

Eine Trennung von Privat- und Berufsleben bekommen viele Lehrkräfte generell nicht hin. Während der Schulzeit findet die eigentliche Vorbereitungs- und Verwaltungsarbeit am Wochenende statt. Jede Lehrkraft kennt das Gefühl des Samstags: Endlich Wochenende, Zeit mal was wegzuarbeiten! Die Ferien sind deswegen dringend benötigte Atempausen. Das ist auch der Grund, warum Lehrkräfte gerne etwas eingeschnappt reagieren, wenn man darauf verweist, dass diese ja mit 14 Wochen im Jahr üppig bemessen sind.

Um das ganze noch etwas statistisch zu untermauern: 2015/16 wurde in Niedersachen eine Studie zur LehrerInnenarbeitszeit durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass Gymnasiallehrkräfte im Schnitt (!) wöchentlich 2:32 Stunden mehr arbeiten, als der Soll-Wert vorgibt. In Niedersachsen beträgt die wöchentliche Arbeitszeit für Beamte „nur“ 40 Stunden, die Deputatstundenbelastung auch weniger, aber als Näherung sollte die Studie genügen. Es überrascht nicht, dass andere, geplante Studien dieser Art in anderen Bundesländern nach der Veröffentlichung der Studie Niedersachsens abgesagt wurden.

Bezahlen für das Vergnügen, arbeiten zu dürfen

Eine der größten Absurditäten des Lehrkraftsberufs ist es, dass man für das Arbeiten bezahlen muss. In jedem anderen Beruf wäre das völlig unvorstellbar. Wer würde im Bewerbungsgespräch nicht schief gucken, wenn der potenzielle Arbeitgeber verkünden würde, dass das Arbeitsmaterial selbst gekauft werden muss? Sicher, würde es heißen, Sie können bei uns im Gebäude arbeiten, aber einen Computer, Stifte und Papier müssen Sie selbst kaufen.

In deutschen Lehrerzimmern ist das Realität. So bekommen im Jahr 2020 im benachbarten Dänemark zwar 91 Prozent der Lehrpersonen ihre digitale Geräteausstattung von der Schule gestellt. In Deutschland sind es gerade einmal vier Prozent. Wir reden hier noch nicht einmal von der Ausstattung für die SchülerInnen, wo regelmäßiger Zugang zu einem Endgerät oder ein stabiles WLAN absolute Luxusgüter sind, die es nur an einer Handvoll Leuchtturmschulen mit Projektcharakter gibt. Die Lehrkräfte selbst haben auch keine.

Und da hängt ja noch mehr dran: Nicht nur muss ich mir als Lehrkraft meinen Computer selbst kaufen, sondern auch alle relevanten Programme. Microsoft Office etwa, unverzichtbares Arbeitsmittel der meisten Lehrkräfte, wird nicht von den Schulen gestellt. Stattdessen wird das alles selbst angeschafft – oder eben auch nicht. Der beklagenswerte Zustand der Digitalisierung an deutschen Schulen hängt sicherlich auch damit zusammen.

Die Anschaffung von Gerät und Programmen allein ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs, denn Fortbildungen beziehungsweise Ausbildungen sind auch rar gesät. Bringt jemand entsprechende Kenntnisse nicht bereits mit, so bleibt die Funktionalität der meisten Programme für immer ein Mysterium. Auch im Jahr 2020 verwalten die meisten Lehrkräfte ihre Noten noch von Hand in einem Büchlein. Auch dieses Büchlein und die Stifte dazu kaufen sie selbst. Die roten Stifte, mit denen Klausuren korrigiert werden? Eigenanschaffung.

An manchen Schulen kaufen Lehrkräfte sogar Tafelkreide selbst. So gut wie nie gestellt werden solche Luxusgüter wie Tafelmagnete, farbige Moderationskarten und anderes didaktisch-pädagogisches Hilfsmaterial. Der größte Kostenfaktor, den Lehrkräfte in der überwältigenden Zahl der Fälle selbst stemmen müssen, sind aber Bücher. Schulbücher werden zwar (Lernmittelfreiheit!) von der Schule gestellt. Der große Markt von Lehrkraftausgaben für diese Schulbücher, die vorbereiteten Unterrichtsmodelle, Aufgabensammlungen, Lösungsbücher etc. werden meist von den Lehrkräften selbst gekauft. Auch Fachzeitschriften werden nicht immer von der Schule abonniert.

Müssen wir überhaupt vom häufig immer noch nicht vorhandenen WLAN reden? Existiert es tatsächlich, ist es meistens zu langsam und/oder fällt oft aus. Das führt dann zu „Lösungen“ wie dieser hier:


Der Mann kauft einen eigenen Internet-USB-Stick mit Lightning-Anschluss, damit er unterrichten kann. Das wird dann gerne noch als Engagement der Lehrkräfte gefeiert, anstatt dass es den zuständigen Stellen die Schames- und bei allen anderen die Zornesröte ins Gesicht treibt. Ein weiteres Beispiel wäre dieses hier, unter dem Hashtag #EinfachMalMachen:

Und ja, das Engagement ist klasse. Das Kollegium ist klasse. Daumen hoch für das Einbringen in den Job. Aber es ist blanker Wahnwitz, dass zehn hochausgebildete Menschen ihrem Arbeitgeber einfach mal 70-90 Arbeitsstunden schenken, weil der nicht in der Lage ist, die absolut notwendigste Grundausrüstung zu installieren! Ich traue mich ja schon gar nicht nachzufragen, ob sie die Adapter und Kabel selbst gekauft haben. Ich will auch nicht wissen, was los wäre, wenn eine dieser zehn engagierten Lehrkräfte sich bei der Installation verletzt hätte. Wird das überhaupt von der Versicherung gedeckt? Was, wenn eines dieser Kabel Feuer fängt? Solche Zustände sind zum Haare Raufen!

Im Schulbetrieb ist das völlig normal und allseits akzeptiert, aber das würde in keinem anderen Job – auch nicht im öffentlichen Dienst – so akzeptiert werden. Man stelle sich vor, die Verwaltungskräfte auf dem Rathaus müssten ihre eigenen Computer kaufen, auf denen sie dann die Daten der Bürger bearbeiten. Allein die Vorstellung ist absurd. Oder einE MaschinenbauerIn bei Daimler müsste sich ihre Schreibmaterialien selbst mitbringen. Nur in der Schule wird das hingenommen.

Wenn am Arbeitsplatz kein Platz zum Arbeiten ist

Ebenfalls praktisch Standard ist, dass Lehrkräfte im wahrsten Sinne des Wortes keinen Arbeitsplatz haben. In meinem Lehrerzimmer steht mir die Hälfte eines ca. 1,80m langen und etwa 60cm tiefen Tischs zur Verfügung. Das reicht nicht einmal zur Ablage; ich habe das Glück, dass mein Tisch am Fenster steht und ich so das Fensterbrett mit benutzen kann. Das ist kein sonderlich ungewöhnlicher Zustand in deutschen Lehrerzimmern.

Diese Tische und die dazugehörigen Stühle sind natürlich alles, aber sicher nicht ergonomisch. Da man an ihnen aber ohnehin nicht arbeiten kann, fällt das nicht so stark ins Gewicht, wie es das in einem normalen Unternehmen tun würde. Arbeitsrechtlichen Standards genügt das allerdings natürlich nicht. Logische Konsequenz dieses mangelnden Platzes sind extrem volle Lehrerzimmer. In diesen wäre Arbeiten auch dann nicht möglich, wenn mehr Platz zur Verfügung stünde – dazu ist es zu laut und finden immer zu viele Nebentätigkeiten statt, von das Gespräch suchenden KollegInnen bis zu SchülerInnen mit irgendwelchen Anliegen.

Stattdessen findet die Arbeit von Lehrkräften überwiegend zu Hause statt. Das ist einerseits problematisch deswegen, weil es die Kollegialität stört und die (zu Recht) viel kritisierte „Einzelkämpfermentalität“ der Lehrkräfte befördert. Es ist aber für unsere Thematik wesentlich relevanter, dass natürlich auch hier keinerlei arbeitsschutzrechtlichen Standards nachgehalten werden. Als die IG Metall anlässlich der starken Ausweitung von Home Office durch die Corona-Pandemie darauf hinwies, dass arbeitsschutzrechtliche Standards am Heimarbeitsplatz häufig nicht eingehalten und vom Arbeitgeber auch nicht kontrolliert werden, konnte die LehrerInnenschaft da nur müde lächeln – in unserem Beruf ist das schon immer so gewesen, ohne dass sich jemals jemand an diesen Zuständen gestört hätte.

In den Klassenzimmern sieht die Lage übrigens nicht besser aus, wie etwa dieser Tweet von Maike Schubert gut verdeutlicht:

An den meisten weiterführenden Schulen benutzen die SchülerInnen von der fünften bis zur dreizehnten Klasse dasselbe, unter Gesichtspunkten vor allem des günstigen Preises und der hohen Langlebigkeit ausgesuchte Mobiliar. Dass dies für die wachsenden Körper von SchülerInnen nicht besonders günstig ist, liegt auf der Hand. Genug Arbeitsfläche haben sie zudem meistens auch nicht, wie obige Aufstellung verdeutlicht. Die Lehrkraft hat im Klassenzimmer dank des Lehrerpults meist mehr „Arbeitsfläche“ als im eigentlichen Lehrerzimmer, aber diese ist nicht nutzbar. Die überwiegende Mehrheit der Schulen in Deutschland hat ein Klassenzimmermodell, sprich: in den Pausen wandern die Lehrkräfte zwischen den Klassenzimmern. Viel mehr als Ablageflächen sind diese Pulte daher auch nicht; ohnehin vollzieht sich der Unterricht für die Lehrkraft in den seltensten Fällen sitzend.

Außerschulische Veranstaltungen

Richtig spannend wird es, wenn außerschulische Veranstaltungen anstehen: Exkursionen und Studienfahrten, vor allem. Exkursionen sind Tages- oder Halbtagesveranstaltungen; spätestens am frühen Abend ist man wieder zuhause. Gleichwohl ist es keine Seltenheit, dass eine Exkursion – wenn es sich etwa um einen Theaterbesuch handelt – bis spät abends dauert und morgens direkt in der Früh wieder Unterricht stattfindet. Der eigentlich vorgeschriebene Mindestabstand mit Ruhepause ist so eher Theorie, ein Problem, das uns später noch einmal begegnen wird.

Richtig abenteuerlich wird es allerdings auf Studienfahrten, also solchen Exkursionen, die Übernachtungen beinhalten. Der Betreuungsschlüssel ist hier in Baden-Württemberg eine Lehrkraft auf 20 SchülerInnen, was bedeutet, dass eine Klasse üblicherweise mit zwei Lehrkräften auf Studienfahrt geht (die in der Abwesenheit dann vertreten werden müssen…). Fahren wir also etwa für fünf Tage nach Barelona, habe ich während dieser Zeit ständige Aufsichtspflicht über die SchülerInnen. Springt jemand um 23.45 Uhr aus dem Fenster, muss ich mich wegen Aufsichtspflichtverletzung verantworten.

Aber keine Bange, das Beamtenrecht hat hier vorgesorgt: Laut einer richterlichen Grundsatzentscheidung hat „der Beamte zwischen 0 und 6 Uhr das verbriefte Recht auf Schlaf“, in dieser Zeit entfällt die Aufsichtspflicht. Man darf annehmen, dass das auch für ihre angestellten KollegInnen gilt. Diese großzügige Ruheregelung bedeutet immerhin eine tägliche Arbeitszeit von 18 Stunden während Studienfahrten; dafür, dass diese gerne (auch im eigenen Kollegium) als „Urlaub“ verschrieen sind, ist das eine ganze Menge. Oft genug liegen Studienfahrten dazu in den Ferien oder nehmen das Wochenende mit („damit nicht so viel Unterricht ausfällt“), selbstverständlich ohne dass irgendetwas davon als Überstunden angerechnet oder sonst wie ausgeglichen würde.

Krankheit

Der Krankenstand von Lehrkräften ist vergleichsweise hoch. Das überrascht nicht, wenn man sich verdeutlicht, dass sie auf engstem Raum mit bis zu 33 Superspreadern zusammengepfercht sind – auch und gerade in Hochzeiten der Influenza-Saison. Lehrkräfte werden allen Erregern ausgesetzt, die unter Kindern gerade so umgehen. Zudem haben es Kinder und Jugendliche üblicherweise nicht so mit der Hygiene; die Oberflächen sind daher Krankheitsherde. Dass die Kommunen zudem bei den Reinigungskräften gerne sparen, ist da auch nicht hilfreich. Die generell beengten Verhältnisse, die ich oben skizziert habe, tun zu dieser gewaltigen Aussetzung gegenüber Erregern ihr Übriges.

Krankheitsausfälle von Lehrkräften sind ein Problem, weil die stets angespannte Personaldecke keine flächendeckende Vertretung erlaubt; da, wie bereits skizziert, viele Vertretungen real nicht bezahlt werden, bürdet man also mit jedem Krankheitstag den KollegInnen unbezahlte Mehrarbeit auf. Das ist das eine. Das andere ist, dass gleichzeitig wertvoller Unterricht ausfällt, denn eine Vertretung kann zwar die Betreuung der SchülerInnen garantieren, aber niemals den Unterricht adäquat ersetzen, selbst wenn sie auch vom Fach ist – was eher die Ausnahme als die Regel darstellt.

Allzu oft entscheiden sich Lehrkräfte dann dafür, trotz einer Krankheit in die Schule zu kommen. Der Gedankenprozess dahinter wurde von Mrs. Grumblebee in diesem lesenswerten Twitter-Thread aufgeschrieben; ich will ihn daher hier nicht reproduzieren:

Natürlich ist dieses Verhalten zwar kurzfristig sicher gut für KollegInnen und SchülerInnen, mittel- und langfristig aber verheerend. Denn nicht nur stellt die kranke Lehrkraft natürlich einen Superspreader für ihre jeweilige Infektion dar, sondern oft führt die Überlastung dann zu einem späteren, umso durchgreifenderen Ausfall. Zwei Wochen flach liegen statt sich drei Tage auszukurieren ist keine gute Rechnung. Allzu oft aber passiert genau das.

Eine weitere Belastung ist der Krach. In der Kolumne „Dieser verdammte Lärm!“ berichtet ein Aushilfslehrer aus Schleswig-Holstein über seine Erfahrungen in einem dreimonatigen „Nebenjob“ als Lehrkraft. Und ja, der Lärm an Schulen ist tatsächlich groß, gerade in der Unterstufe. Ich komme oft mit leicht wundem Hals nach Hause, und ich hatte auch schon des Öfteren Kopfschmerzen vom Krach (und ja, ich weiß, dass ich da durch meine eigenen pädagogischen Verfehlungen mit schuldig bin). Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wenn jemand den Lärm messen würde, dieser diverse Grenzwerte reißt, die Produktionshallen einhalten müssen.

Das generelle Stresslevel, dem Lehrkräfte im Alltag ausgesetzt sind – unter anderem wegen der Arbeitszeiten, zu denen wir gleich noch kommen – ist zudem ebenfalls gesundheitsschädlich. Dieser Raubbau an der eigenen Gesundheit, auch der psychischen, ist ein ausschlaggebender Faktor für die im Vergleich recht hohe Zahl von Frühpensionierungen bei Lehrkräften; etwa jedeR zehnte geht frühzeitig in Pension. Würde der Arbeitgeber hier ein besseres Auge haben, könnten sowohl Ausfälle als auch Frühpensionierungen durchaus reduziert werden.

Reformen

Man darf der Politik natürlich keine vollständige Untätigkeit vorwerfen. In Baden-Württemberg wurde zwischen 2003 und 2007 in einer ganzen Reihe von Maßnahmen das Beamtenrecht für Lehrkräfte (und, quasi als Dominostein, auch für Angestellte) grundlegend reformiert.

Im Jahr 2003 wurde die durch das Beamtengesetz auf 41 Stunden festgesetzte wöchentliche Arbeitszeit neu definiert: Statt wie bisher 24 Deputatstunden sollten künftig 25 Deputatstunden einem Volldeputat und damit diesen 41 Stunden entsprechen. Wie eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um 4,17% die Qualität der Arbeit positiv beeinflussen sollte, blieb das Geheimnis des Kultusministeriums (Fun Fact: In der Weimarer Republik, als Pädagogik und Didaktik noch Fremdworte waren und die Verwaltungstätigkeiten der Gymnasiallehrkräfte eher beschränkt, lag das Volldeputat übrigens bei 18 Stunden). Damals reagierten die Lehrkräfte mit einer Verweigerung von freiwilligen Zusatztätigkeiten wie Studienfahrten. Darunter litten wir damals, unsere Studienfahrt fiel aus.

Quasi zum Ausgleich für diese höhere Arbeitsbelastung wurden die Pensionen empfindlich gekürzt. Nicht nur strich die baden-württembergische Landesregierung die Realbeträge der Pensionen deutlich zusammen – vergleichbar mit dem Niveauverlust der gesetzlichen Rente der Jahrgänge vor 1950 mit denen danach -, sie strich auch noch die Beihilfe zur privaten Krankenversicherung in der Pension von 100% auf 50%. Das entspricht einer realen Pensionskürzung von mehreren hundert Euro – pro Monat. Um nicht nur die Pensionäre zu erwischen, wurde die bisher geltende Beihilfe für Eltern zweier Kinder im Sommer 2012 von 70% auf 50% gekürzt.

Wem vorher schon bei der Auflistung der privaten Anschaffungen, die Lehrkräfte zur vernünftigen Ausübung ihrer Tätigkeit leisten müssen, schon die Finger zuckten: Selbstverständlich lässt sich das als Arbeitszimmer von der Steuer absetzen. Auch hier war die Bundesregierung im Verein mit dem Land Baden-Württemberg nicht untätig: Im Jahr 2007 wurden die Absetzbarkeiten für Lehrkräfte massiv zusammen gestrichen. Ohne auch nur einen Cent in einen Ausgleich durch Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten an der Schule und die Beschaffung des Arbeitsmaterials zu investieren, wurde die Möglichkeit, den Mist wenigstens von der Steuer abzusetzen, um über die Hälfte gekürzt. Zwar gab es dort mittlerweile eine Korrektur durch das BVerfG, aber die Absetzbarkeiten bleiben nach wie vor schlecht und ein bürokratischer Albtraum.

Zusammen mit der Kürzung des Referendariats zugunsten eines unbezahlten Praktikums kürzte die schwarz-gelbe Landesregierung unter Günther Oettinger und Anette Schavan in dieser Zeit also die Kosten des Schulsystems um hunderte von Millionen Euro. Investiert wurde davon – nichts. Das Kultusministerium hatte bei all dem natürlich den längeren Atem; mittlerweile ist eine neue Generation Lehrkräfte ins System nachgewachsen, die nichts anderes als die neuen, schlechteren Zustände kennt.

Corona

Kein Artikel kann in diesen Tagen geschrieben werden, ohne die Corona-Pandemie mit zu diskutieren. Sie legt wie ein Brennglas all die Missstände offen, die ich geschildert habe.

Beengte Verhältnisse, in denen sich Krankheiten ausbreiten können? Check. Was normalerweise bei den Klassen- und Lehrerzimmern nur ein Ärgernis ist – Fenster, die sich nicht öffnen lassen, Heizungen, die nicht richtig funktionieren – wird unter den Bedingungen der Pandemie zum potenziellen pandemischen Katastrophenfall. Die unzureichende Größe von Schulhöfen und anderen Orten, an denen die SchülerInnen sich in Pausen aufhalten können, ist da auch nicht eben hilfreich.

Die Neigung der Kultusministerien, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, zeigt sich auch bei Fragen wie Maskenpflicht im Unterricht. Diese ist dank der aktuellen Corona-Leugner und anderen „Querdenker“ politisch problematisch; stattdessen gibt man einfach die Empfehlung aus, die Fenster geöffnet zu lassen (als ob das genug Luftzug schaffen würde). Darauf hingewiesen, dass es da im Winter etwas kalt wird, erwidert das Ministerium kaltschnäuzig, man könne ja in Schal und Winterjacke Unterricht machen.


Generell zeigt sich, wie bereits beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020, eine haarsträubende Missachtung von Kindern, PädagogInnen und Eltern:


Weil diese Gruppen politisch wesentlich weniger wirkmächtig sind als viele andere Interessengruppen, stehen sie grundsätzlich hinten an, was die Rücksichtnahme seitens der Politik angeht.

Besonders auffällig ist das daran, mit welcher Verve die Schulöffnung verteidigt wird. Es ist völlig überparteilicher Konsens, dass die Schulen das Letzte sind, was von einem erneuten Lockdown betroffen sein sollte. Einige Argumente, die hierzu vorgebracht werden, sind durchaus sinnvoll: Verlust von Bildungszeit der SchülerInnen, bessere Eignung der Schulen für den Präsenzunterricht, etc. Das ist alles richtig.

Es deckt aber gleichzeitig auch die Versäumnisse der Bildungspolitik der letzten 20 Jahre quer durch alle Parteien auf. Wie hat man, etwa im Umfeld der PISA-Tests, über das finnische Modell (pars pro toto) gesprochen und festgestellt, dass die deutsche Art des Unterrichtens ihre gewissen Nachteile hat? Geändert hat sich praktisch nichts. Und die Konzentration auf Präsenzunterricht ist auch deswegen nötig, weil die katastrophale digitale Infrastruktur überhaupt keine andere Wahl lässt.

Am auffälligsten aber ist, dass die Schule offen zu halten die conditia sine qua non für das Funktionieren des Rests der Wirtschaft ist. Die wichtigste Funktion der Schulen, könnte man meinen, ist ihre Betreuungsfunktion. Sie sind Verwahranstalten für Kinder. Fallen sie aus, ist zuvordererst nicht der entscheidende Punkt, dass möglicherweise Inhalte verpasst würden (Karl Lauterbach hat völlig Recht wenn er das für egal erklärt), sondern dass die Kinder zuhause unbetreut sind und dort die entsprechenden Lernerfolge nicht erreichen können – wegen eben der mangelnden Infrastruktur und veralteter institutioneller Vorgänge.  Ausbaden müssen diese Versäumnisse nun Kinder und Lehrkräfte, die in geschlossenen Hotspots der Pandemie sitzen.

Fazit

Ich möchte noch einmal zusammenfassen, worum es mir eigentlich geht.

Einerseits gilt es festzustellen, dass der Lehrkraftberuf ein hochqualifizierter Beruf ist, der eine lange Ausbildung erfordert und nicht einfach von jedermann gemacht werden kann. Entsprechend gut sollte er auch bezahlt werden (was er für Beamte in Baden-Württemberg auch wird, für die Angestellten eher nicht).

Andererseits ist es wichtig zu erkennen, dass dieser guten Bezahlung (und anderen Vorteilen) auch hohe Arbeitszeiten und eine große Arbeitsbelastung gegenüberstehen. Dies wird in der öffentlichen Debatte praktisch nie gewürdigt; eher verbreitet ist dagegen Gerhard Schröders pauschales Ressentiment von den „faulen Säcken“.

Des Weiteren sollten die blamablen Arbeitsbedingungen ins Licht gerückt werden, unter denen Lehrkräfte leiden. Privates Geld ausgeben, um Lehrmaterial zu beschaffen; völlig inadäquate Arbeitsplätze; gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen; lachhaft schlechte Infrastruktur.

Diese Probleme plagen den Bildungssektor bereits seit Jahrzehnten. Sie zu beseitigen würde Geld kosten. Viel Geld. An dieser Stelle soll gar nicht versucht werden, Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die gibt es wie Sand am Meer. Stattdessen verbleibe ich mit der deprimierten Feststellung, dass es weder den politischen Wunsch noch den politischen Willen dazu gibt, etwas an diesen Zuständen zu ändern. Nicht einmal die Pandemie wird als Anlass hierzu genommen, stattdessen konzentriert sich alle Energie darauf, möglichst schnell und umfassend zum Status Quo zurückzukehren. Und das ist in höchstem Maße unbefriedigend.

{ 12 comments… add one }
  • CitizenK 16. Oktober 2020, 10:35
  • Kirkd 16. Oktober 2020, 12:50

    Vorneweg, ich bin für eine gute Bezahlung von Lehrern, von mir aus als Beamte, und ich stimme den von Dir beschriebenen Missständen absolut zu.

    Dennoch wundert es mich nicht, dass viele Deiner Klagen von Menschen, die in der freien Wirtschaft arbeiten, nur achselzuckend zur Kenntnis genommen werden. Das liegt daran, dass diese meist ganz anderes gewohnt sind (und zwar unabhängig davon ob sie maessig oder gut bezahlt sind):

    – Vertretung: in der freien Wirtschaft gibt es keine Vertretungen. Die meisten holen ihre Arbeit nach Krankheitspause nach und was sofort fällig ist, machen sie trotz Krankheit. (Ja, das ist illegal). Und wenn nicht, dann müssen auch hier Kollegen ran.

    – Arbeitszeit: In der freien Wirtschaft liegt die Arbeitszeit irgendwo zwischen 38 und 40 Stunden, gearbeitet werden je nach job 45 – 60 und Überstundenausgleich gab es in den 80ern. Das ganze nennt sich Vertrauensarbeitszeit, der Arbeitgeber vertraut darauf, dass der Arbeitnehmer mehr arbeitet als er eigentlich muesste.

    – Auch in der freien Wirtschaft gibt es Exkursionen, sogenannte Dienstreisen. Während Dienstreisen ist das Arbeitszeitrecht faktisch ausser Kraft, und nein, lukrative Spesenpauschalen gibt es seit den frühen Nullerjahren nicht mehr. Natürlich können Dienstreisen auch sehr spontan anfallen oder kurzfristig verlängert werden.

    – Hinzu kommt natürlich, dass man dank Smartphone eigentlich ständig erreichbar ist und besser noch mal prüft, ob der Chef nicht noch eilig etwas wissen möchte oder noch Anmerkungen zur Präsentation für den nächsten Tag hat, die man dann um 22 Uhr noch schnell einarbeitet.

    – In der freien Wirtschaft werden deutlich mehr als 10% frueh verrentet, aber viel schlimmer betroffen sind die, die zwischen 55 und 62 abgefunden werden und dann keine entsprechende Arbeit mehr finden.

    Und das ist jetzt noch aus Perspektive eines Bürojobs geschrieben, Logistik oder Reinigungskräfte koennen noch ganz anderes erzählen.

    Was ich damit sagen möchte ist, dass man oft den Eindruck hat, dass sich Lehrer über Dinge empören im Vergleich zum Idealbild eines 80er Jahre Tarifangestellten bei Siemens und offenbar völlig ahnungslos darüber sind, was eigentlich sonst in der Gesellschaft normal ist (dass es eigentlich Misstände sind ist ja richtig).

    • Dennis 16. Oktober 2020, 13:11

      Okay, jetzt könnte man mal ganz nüchtern darüber diskutieren, WARUM die 80-er-Jahre-Zustände, also die bräsige Strickjackenzeit von Helmut Kohl, nicht mehr existieren und was die beschriebenen Angestellten im Vergleich zu den 80-ern denn nu großartig gewonnen haben und was das politisch alles heißt, z.B. warum rot-grün ab ’98 eigentlich ein großartiger Fortschritt gewesen sein soll, und so weiter und so weiter.

    • Stefan Sasse 16. Oktober 2020, 14:09

      Nein, den Eindruck will ich nicht erwecken. Deswegen betone ich ja gerade ständig die Vergleichbarkeit zum Privatsektor. Der muss sich halt nicht mit ständigen Klischees von 25-Stunden-Wochen und 14 Urlaubswochen herumschlagen.

      • CitizenK 16. Oktober 2020, 15:00

        Mit diesen Klischees bin ich auch einst (allerdings lange her) aus dem Privatsektor in den Schuldienst (Berufliche Schulen) gegangen und war dann überrascht (und beschämt), wie viel und wie engagiert in den Schulen gearbeitet wurde. Allerdings habe ich auch oft den Kopf geschüttelt darüber, wie ahnungslos manche Lehrer über die Anforderungen und Zumutungen in der Privatwirtschaft waren und jammerten. (Die 10 Prozent „Pfeifen“ lassen wir jetzt mal außen vor). Die konnten oder wollten die Vorteile (Privilegien?) des Lehrerberufs nicht sehen, sondern schauten auf: Dienstwagen, Sekretärin usw.

        Einen großen Unterschied macht allerdings die Unkündbarkeit. Ohne Angst vor Jobverlust arbeitet man freier. Ein unfähiger oder infairer Chef kann einem weniger anhaben. Und Stefan P hat nicht zu Unrecht hier früher schon mal darauf verwiesen, dass unbezahlte Überstunden und Wochenend-Arbeit in der entsprechenden Gehaltsklasse auch in der sogenannten Freien Wirtschaft selbstverständlich sind.
        Ist der Lehrer-Beruf bequemer oder stressiger als ein Job in der „Wirtschaft“? In einer Studie wurde der Stress-Level mit dem von Kampf-Piloten verglichen, was ich für weit übertrieben halte. Ganz wichtiger Faktor: Lehrer ist ein toller Beruf, kein Bullshit-Job. Ich habe den Wechsel nicht bereut.

        • Stefan Sasse 16. Oktober 2020, 16:51

          Ja, das gibt es sicher auch. Aber glaub mir, ich hab einen ziemlich guten Blick da drauf. Vor allem als jemand, der keine Beamtenbezüge hat…

  • Stefan R. 16. Oktober 2020, 19:04

    Vielen Dank für diese ausführliche Analyse, die ich als im Bildungswesen Tätiger nur unterschreiben kann. Vor allem die Unterfinanzierung fast des gesamten Bildungswesens ist (nicht nur im Vergleich zu vielen anderen Ländern) ein Skandal. Die Lehrerausbildung habe ich damals am eigenen Leib erfahren und finde sie mit ‚willkürlich‘ und ‚intransparent‘ noch recht höflich beschrieben. Auch dass Aufstiegschancen in kaum einem (keinem?) anderen Land der Welt so sehr von der sozialen Herkunft abhängen, ist beschämend. Die selbstverständliche Verfügen über private Mittel der Lehrenden (zu denen auch Aushilfskräfte gehören, die sich von Elfmonatsvertrag zu Elfmonatsvertrag hangeln) ist wohl ebenfalls ziemlich einzigartig.
    Wenn man in der Branche tätig ist, sollte man sich mit einem gewissen Zynismus wappnen. Denn sonntags ertönen die Sonntagsreden („Bildung wichtigste Investition in die Zukunft“, „Die Köpfe unserer Kinder wertvollste Ressource“), montags werden dann die Mittel gekürzt…

    • Stefan Sasse 16. Oktober 2020, 19:10

      Ja, bedauerlicherweise kann und will ich dir da nicht widersprechen.

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