Ralf Winkler – Grundkurs Bouldern
In den letzten Jahren hat das Bouldern, also das freie Klettern an Kletterwänden in Kletterhallen oder an den namensgebenden Felsen, massiv an Popularität gewonnen. Die Kletterhallen schießen nur so aus dem Boden, und immer mehr Menschen fangen mit dem Hobby an. I know, I’m one. Seit einem halben Jahr gehe ich regelmäßig in die Kletterhalle und habe auch leichte Fortschritte erzielen können – genügend jedenfalls, um mich etwas intensiver mit dem Ganzen zu beschäftigen. Dabei bin ich auf Ralf Winkler gestoßen. Er hat nicht nur mehrere Bücher verfasst, sondern unterhält auch die Homepage, das Blog und den Youtube-Kanal „Grundkurs Bouldern“. Und dann hat er eben noch das vorliegende Buch geschrieben, das es für wenig Geld zu erwerben gibt. Es soll einen Einstieg in das Hobby geben und vor allem Anfänger*innen aufzeigen, wie man besser wird und Verletzungen vermeidet. Selbstkritisch merkt Winkler immer wieder an, dass er anfangs zu wenig auf Technik setzte und deswegen später umso umständlicher nachlernen muss. Nach der Lektüre muss ich sagen: schuldig im Sinne der Anklage. Aber beginnen wir von vorne.
Im ersten Kapitel, „Der Urschleim„, gibt Winkler nach einer kurzen Einführung, was Bouldern eigentlich ist, einen Überblick über die benötigte Ausrüstung. Und das ist gar nicht viel. Theoretisch kann man natürlich auch mit Turnschuhen klettern gehen, aber wenn man es schon einmal ausprobiert hat wird einem schnell klar, warum Kletterschuhe WESENTLICH besser sind. Winkler erklärt auch die Gründe dafür: Kletterschuhe erlauben es viel mehr, die Kraft in den Füßen auf die Griffe zu projizieren, was unablässig für das erfolgreiche Klettern ist. Solche Schuhe kann man in den Hallen auch ausleihen, aber eigene sind natürlich besser und bereits ab 40 Euro zu haben. Schon gar nicht mehr zwingend notwendig ist ein Chalkbag, also ein Beutel, in dem das Magnesia gelagert wird, mit dem Kletter*innen sich die Hände trocken machen. Eine nicht sonderlich teure und lohnenswerte Anschaffung ist aber auch das. Weniger notwendig sind Kletterhosen – bequem geschnitten und robust -, die vor allem an Felsen sinnvoll sind, weil dort die Belastung für den Stoff viel größer ist als in der Halle, und Crashpads, die man endgültig nur am Felsen braucht. In der Halle ist der komplette Boden ohnehin gepolstert; die Crashpads braucht man nur in der freien Natur. Da allerdings wäre Klettern ohne ziemlich verwegen.
Dem schließt sich eine kurze Debatte an, ob an besser draußen oder drinnen mit dem Sport beginnt (meiner Meinung nach ja drinnen, aber ich war auch noch nie am Felsen), bevor er das Regelwerk des Boulderns erklärt. Auch das ist denkbar einfach: an den sogenannten Routen sind die Startpositionen markiert, die man mit Händen und Füßen einnehmen muss, und dann folgt man der Route (üblicherweise gleichfarbigen Griffen) bis zum ebenfalls markierten Endpunkt. Die Wand darf benutzt werden, Griffe anderer Routen und die Bohrlöcher nicht. zuletzt stellt sich noch die Frage, ob man alleine oder mit Partner*in bouldern sollte – beides ist möglich, aber wie bei so vielen Dingen macht es natürlich zu mehreren auch mehr Spaß.
In Kapitel 2, „An die Wand„, gibt Winkler wichtige Hinweise für das erste Mal, vor allem bezüglich gegenseitiger Rücksichtsnahme. Man klettert sich nicht gegenseitig in die Route, und man sollte nie unter Kletternden herumstehen. Das aus dem Weg geräumt geht es dann aber auch gleich zu den grundlegenden Techniken. Anfängerfehler Nummer 1: zu viel mit den Armen machen. Beim Bouldern kommt es auf die Füße an. Sie tragen die Last und sollten so viel wie möglich schieben, um Kraft zu sparen. Winkler stellt kurze die verschiedenen Trittarten vor, die unterschiedlich benutzt werden, ehe er einige Techniken zur Verbesserung der Fußarbeit vorstellt. Zentral ist hier etwa die Nutzung der Fußspitze, weil das Stehen auf dem Außen- oder Innenrist nur bei Anfängertritten möglich ist (da haben wir wieder die schlechten Angewohnheiten).
Auch das Greifen ist gar nicht so leicht. Saubere Bewegungen sind wichtig, um Kraft zu sparen und Verletzungen zu vermeiden. Die verschiedenen Griffarten – von den dankbaren Henkeln zu den weniger dankbaren Leisten über die ganz und gar nicht dankbaren abgerundeten Sloper zu den Fingerkraft erfordernden Zangen über die ebenso die Finger belastenden Löcher hin zu den Stützern und Untergriffen gibt es viele verschiedene Arten, und da haben wir noch gar nicht über die Nutzung der Volumen gesprochen. Seit ich diese Theorie gelesen habe ist mir immerhin klar, warum ich bei manchen Routen so unglaublich versage (mal abgesehen von schlechter Fuß- und Beintechnik): ich versuche, die Dinger völlig falsch zu greifen. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
Solcherart die Basics der Griffe erläutert geht es im zweiten Teil des Kapitels zu den Bewegungen an der Wand. Winkler erläutert das zentrale Konzept des Körperschwerpunkts, der maßgeblich mitbestimmt, in welche Richtung der Körper von der Wand wegfallen will, und wie man diesen geschickt verlagert. Dazu gehören die Techniken des Eindrehens (bei denen man die Boulder quasi seitlich angeht), des Froschens (das Aufstützen auf beide angewinkelten Beine und dann Hochdrücken) sowie das Hinterscheren (die Beine über Kreuz legen). Das alles ist wichtig, weil die Drei-Punkt-Regel immer gilt: stabil steht man nur mit drei Punkten. Greife ich irgendwo hin, wollen eine Hand und zwei Füße sicher sein. Wenn nur zwei Kontaktpunkte bestehen, kommt es schnell zur Türe: man beginnt aus der Wand zu kippen, und ohne große Körperspannung (die ich definitiv nicht habe) hat man keine Chance, der Dynamik der Schwerkraft zu widerstehen. Auch hier bietet Winkler einige gute Trainings für den heimischen Workout an. Zuletzt zeigt er die Bedeutung des langen Arms (weit greifen) und dynamischer Bewegungen auf.
Im dritten Teil des Kapitels geht es dann ins Dach, also an überhängende Wände. Hier sind wir schon im Terrain für Fortgeschrittene, denn wenn man nicht bodybuildermäßig alles aus der Kraft der Arme und Schultern macht (erneut: nope), braucht es die richtige Technik. Dazu muss man sich verspannen können und den Körper quasi zwischen die Griffe klemmen. Das geht nur, wenn man die Techniken des Toe- und Heel-Hook beherrscht, also Griffe und Tritte mit der Ferse oder den Zehen belasten kann.
Der letzte Teil des Kapitels befasst sich mit Techniken für Fortgeschrittene. An der Stelle habe ich vor allem für mich mitnehmen können, dass ich noch nicht fortgeschritten bin. Zwar gelingen mir durchaus auch Fußwechsel, aber nicht in der sauberen Ausführung, wie Winkler sie hier beschreibt. Immerhin das Kreuzen habe ich schon eigenständig für mich entdeckt. Die letzte Lektion jedenfalls wird bei der Lektüre deutlich klar: Bouldern sind keine Leitern, und Kopfeinsatz ist gefragt. Es fasziniert mich jedes Mal aufs Neue, wie viel Denkarbeit tatsächlich bei diesem Sport erforderlich ist; kein Vergleich zum geistlosen Joggen jedenfalls.
In Kapitel 3, „FAQ„, geht Winkler dann auf verschiedene andere Punkte ein. Vom Überwinden der Höhenangst (so viel ist Kopfsache, ich spreche aus leidiger Erfahrung) zu den allfälligen Hautverletzungen an den Händen und ihrer Pflege (wird schnell besser, keine Sorge) über das Tapen (siehe dazu Teil 2 der Rezension) und das richtige Aufwärmen – diese Fragen werden ebenso beantwortet wie die nach dem besten Krafttraining, der Interaktion zwischen Klettern und Bouldern, den Schwierigkeitsgraden und dem ersten Mal Klettern am Felsen.
Insgesamt kann ich das Büchlein, das sich gut liest (Winkler hat eine angenehme Schreibe) und nicht übermäßig lang ist, nur empfehlen – ob für Leute, die bereits eine kleine Weile klettern oder solche, die gerade anfangen wollen.
Daneben hat Winkler noch ein zweites Buch geschrieben, „Taping im Klettersport„. Dieses will ich als nächtes besprechen, weil ich es als komplementär betrachte.
Ralf Winkler – Taping im Klettersport
Beim Klettern bleibt es nicht aus, dass man die Hände überanstrengt oder sich Hautverletzungen zuzieht (vor allem Letzteres passiert gerade am Anfang, wenn noch wenig Hornhaut da ist, schnell). In diesen Fällen greift man am besten zu Klettertape und schützt die gefährdete Stelle. Im Falle einer Hautreizung ist das recht simpel – Tape drum, wie man ein Pflaster verwenden würde. Aber manche Sachen sind etwas diffiziler, und zudem ist es ohnehin gut, die Anatomie der Hände etwas besser kennenzulernen. Für all diese Fälle hat Winkler das Buch „Taping im Klettersport“ geschrieben.
In Kapitel 1, „Was die Hand verletzungsanfällig macht„, beschreibt Winkler die Anatomie der Hand mit den verschiedenen Sehnen und Bändern. In Kürze: diese brauchen für Anpassung an steigende Belastungen etwa dreimal so lang wie Muskeln, weswegen es häufig ist, dass man von der Kraft her mehr kann, aber nicht von den Bändern und Sehen, was zu Überlastungen führt.
Im 2. Kapitel, „Allgemeines zum Tapen„, geht es zuerst darum, warum Verletzungen nicht zu heilen scheinen, wenn man zu viel tapet und ob präventives Tapen sinnvoll ist (selten, da es die Stärkung der betreffenden Stellen verhindert). Zudem beschreibt Winkler verschiedene Tape-Arten und das richtige Anlegen eines Tape-Verbands.
Das 3. Kapitel, „Tape bei Hautverletzungen„, geht dann näher auf die häufigen Risse, Schnitte und Flaps (Hautfetzen) ein, die besonders beim Abrutschen von der Wand öfter mal vorkommen. Je nachdem, an welcher Stelle die Hautverletzung liegt, sind die Tapeverbände etwas schwieriger anzulegen. Winkler beschreibt für jeden Fall zuerst die Theorie und gibt dann mit bebilderten Schritt-für-Schritt-Anleitungen die Anleitung, wie die Verbände anzulegen sind.
Kapitel 4, „Tape zur Unterstützung der passiven Strukturen„, erklärt dann Tapearten und -techniken, die eingesetzt werden, um Kapseln, Sehnen und Co nach Verletzungen zu stützen, so dass man schneller wieder klettern gehen kann. Das ist alles sicher nützlich, aber ich fühle mich noch bei weitem nicht auf dem Level, dass ich das bei einer Verletzung, die ich – Klopf auf Holz – bisher nie hatte, auch tatsächlich so umsetzen würde. Winkler weist aber darauf hin, dass nichts davon den Gang zu Arzt oder Ärztin ersetzt und oft Röntgen oder MRT erforderlich ist, um die genaue Verletzung zu identifizieren – amateurhaft selbst zu machen, ist keine gute Idee.
Kapitel 5, „Vorsicht ist besser als Nachsicht – Prävention„, geht auf die Fälle ein, in denen man mit Tape Verletzungen vermeiden kann. Vieles davon betrifft scharfkantige Felsen und ist für mich als Hallenkletterer (noch) irrelevant, und die anderen Fälle übersteigen meinen Anfängerhorizont ebenfalls. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, die Kapitel 3-5 später in meiner Kletterkarriere wieder zu besuchen.
Wesentlich relevanter ist die Sektion für das Aufwärmen. Winkler hat auf seinem Blog auch mehrere Beiträge und vor allem auf seinem Youtube-Kanal Videos zu dem Thema, die ausführlich Übungen für das Aufwärmen vorstellen und verschiedene Dehnungen und ihre Theorie erläutern. An dieser Stelle gibt er im Endeffekt die Kurzversion davon. Grundtenor: Aufwärmen ist wichtig, sowohl zur Prävention als auch zur Steigerung der Leistungsfähigkeit. Und jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.
Braucht man dieses Buch? Grundsätzlich scheint es sich eher an Leute zu richten, die das Ganze mit größerer Professionalität treiben als ich (mehrmals die Woche, seit mehreren Jahren), während andere Kapitel Grundlagenwissen beinhalten. Es ist ein etwas merkwürdiger Mix in dieser Hinsicht. Da es aber gerade einmal 4 Euro kostet und es in einer starken halben Stunde lesen kann, macht man auch echt nicht viel falsch damit.