Rezension: Roland D. Gerste – Die Heilung der Welt: Das Goldene Zeitalter der Medizin 1840 – 1914 (Teil 1)

Roland D. Gerste – Die Heilung der Welt: Das Goldene Zeitalter der Medizin 1840 – 1914 (Hörbuch)

Für einen Großteil der Menschheitsgeschichte waren Krankheiten und Verletzungen persönliche Katastrophen. Zwar gab es eine Zunft von Heilenden aller Couleur, aber über den Quacksalberstatus kamen die wenigsten dieser Leute hinaus, egal wie gut sie es tatsächlich meinten. Diejenigen, die tatsächlich in der Lage waren, Operationen oder Behandlungen durchzuführen, verursachten bei ihren Patient*innen unsagbare Qualen. Die meisten Krankheiten, die heute durch Routineeingriffe beseitigt werden können, kamen einem Todesurteil gleich. Das alles änderte sich im 19. Jahrhundert, als die titelgebende „Heilung der Welt“ durch eine ganze Serie von Innovationen einsetzten, die die Medizin in ihr ebenso titelgegendes „Goldenes Zeitalter“ beförderten und eine neue Zeit für die Menschheit einläuteten, deren Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Dieser Aufbruchszeit der Medizin wendet sich Roland D. Gerste in diesem neuen Werk zu.

Den Beginn macht er nach einem kurzen thematischen Einstieg in Kapitel 1 mit „Menschenbilder“. Die Fotografie war zwar keine medizinische Erfindung, besaß aber auf die Medizin nachhaltige Auswirkungen – schon allein wegen des Wandels des Menschenbilds, das damit einherging. Endlich schien es möglich, objektive Darstellungen von Menschen anzufertigen. Auf die ersten Porträts folgten schnell auch Bilder der ersten Kranken – für die Medizingeschichte von unschätzbarem Wert. Aber besonders relevant war die Kombination von Mikroskop – dessen Beobachtungen bisher bestenfalls gezeichnet werden konnten – und Fotografie, die des ermöglichte, einen wesentlich größeren Wissensschatz als bisher anzulegen, der für die Ausbildung essenziell war.

In Kapitel 2, „Stille in Boston“, zeichnet die grundlegende Erfindung der Anästhesie nach. Vor 1846 waren chirurgische Eingriffe sehr beschränkt und nur unter massivem Schmerz möglich; mit der Erfindung der Anästhesie erleichterten sie nicht nur beiden Seiten den Eingriff, sondern ermöglichten endlich auch solche Operationen, die vorher wegen sich vor Schmerzen windenden Patient*innen unmöglich gewesen waren. Die großartige Botschaft wird leider durch hässliche Patentstreits überschattet, in denen Ausbeutung und Betrug für anderthalb Jahrhunderte verdeckten, wem die Ehre der Entdeckung eigentlich gebührt.

Kapitel 3, „Todbringende Hände“, führt eine ebenso grundlegende Neuerung der Medizin ein. Wie in einer Detektivgeschichte erzählt Gerste die Geschichte zweier benachbarter Krankenhäuser, in denen sich die Raten tödlichen Kindbettfiebers um ein Vielfaches unterschieden. In einem Krankenhaus starben über 20% der gebärenden Mütter, im anderen kaum 2-3% (eine ähnliche Rate wie bei Hausgeburten). Die Gründe des Kindbettfiebers lagen lange Zeit im Dunkeln, aber der donauschwäbische Arzt Semmelweiß fand schließlich heraus, dass wenn die vorher an Leichen arbeitenden Ärzte sich in einer Chlorlösung die Hände wuschen, die Todesraten deutlich sanken. Natürlich war es wahnsinnig schwierig, das Hände Waschen durchzusetzen; heute würde Semmelweiß vermutlich einfach am freiheitlichen Recht des Individuums auf schmutzige Hände scheitern. Damals konnte er seine neue Regel durchsetzen und unzählige Leben retten.

Kapitel 4, „Die Great Exhibition“, befasst sich mit derselben, die 1851 in England stattfand. Der „Crystal Palace“ ist das berühmteste Element dieser Ausstellung, aber Gerste benutzt das Kapitel vor allem, um zu zeigen, wie unterentwickelt sanitäre Standards waren (die Ausstellung hatte viel zu wenige der brandneuen Wassertoiletten) und dass um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch immer vollkommen unklar war, wie Fortpflanzung funktionierte – der Zusammenhang zwischen Sex und Schwangerschaft war nur grundlegend, aber nicht einmal in den gröbsten Details verstanden.

In Kapitel 5, „Chloroform“, kehren wir zur Anästhesie zurück. Dieses Mal über den Arzt John Snow (nicht der Bastard von Ned Stark), der sie zwar nicht erfunden, aber ihre Anwendung professionalisiert hat. Vor Snow war die Anwendung von Äther und Chloroform ein reichlich riskantes Geschäft, das Patient*innen öfter einmal das Leben kostete. Snow verlor niemanden und brachte über neue Geräte das Chloroform auch in Bereiche, in denen es bisher außen vor geblieben war, vor allem die Geburten. Wenig überraschend, dass die katholische Kirche dagegen Sturm lief, weil es mit der Bibel nicht vereinbar war, Frauen Schmerzen zu nehmen. Diese gehörten zu Geburt und man könne „Gott nicht den Schreien berauben“, denn das führe zu einem Abfall vom Glauben. So was können auch nur Männer schreiben; Queen Victoria jedenfalls war begeistert, und damit war die Sache gegessen.

Auf die Krim geht es dann in Kapitel 6, „Die Frau mit der Lampe“, das sich (natürlich) mit Florence Nightingale beschäftigt, aber räumt auch Mary Seacole den ihr gebührenden Platz ein: die jamaikanisch-stämmige Krankenpflegerin war über anderthalb Jahrzehnte zugunsten der aus gutem Haus stammenden weißen Nightingale aus der Geschichte geschrieben worden. Der Krimkrieg wurde so zur Geburtsstunde des modernen Sanitätswesens. Auch andere moderne Erfindungen wie Eisenbahn und Fotografie feierten ihr Debüt in dem Konflikt. Er zugleich auch einer der letzten altmodischen Konflikte des 19. Jahrhunderts: noch kein „totaler Krieg“ war zu sehen, noch wurde  die Zivilbevölkerung leidlich geschont. Dafür war er der wohl erste Medienkrieg, mit Kriegsberichterstattern, deren Wirken Nightingale ihren Auftritt überhaupt erst verdankt.

In Kapitel 7, „Räder aus Stahl“, spielt die Eisenbahn die tragende Rolle. Die Schlüsseltechnologie des 19. Jahrhunderts, die wie keine andere mit Fortschritt verbunden ist, schuf durch zahlreiche Arbeitsunfälle ihre eigenen medizinischen Herausforderungen. Neu jedoch waren adie kulturpessimistischen, schier hysterischen Warnungen mancher Ärzte vor dem delirium furiosum, das angeblich beim Anblick der halsbrecherisch mit 30km/h dahinschießenden Eisenbahnen ausbrechen müsse. Wesentlich realer war das bei Eisenbahnunfällen erstmals auftretende Schleudertrauma, das zur Entdeckung von PTSD und psychosomatischen Erkrankungen führte. An dieser Stelle schiebt Gerste kurz eine Betrachtung des Einzelschicksals von Phineas Gage ein. Der Eisenbahnarbeiter erlitt eine schwere Hirnverletzung, die er zwar überlebte, die aber seine Psyche änderte. Gage wurde so unfreiwillig zu einem Wegbereiter der Neurologie.

Zurück auf das Gebiet von Krankheit und Pandemie geht in Kapitel 8, „Karte des Todes“, in dem einige Ärzte endlich Schluss mit dem antiken Dogma von „Miasmen“ als Auslösern von Krankheiten wie der Cholera machen und erstmals statistische Methoden anwenden, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. In diesem Fall ist es das Wasser, dessen Verschmutzung verantwortlich für den Transport der Keime ist – so wie Ratten die Große Pest des 14. Jahrhunderts verbreiteten. Die Pionierleistung John Snows an dieser Stelle war es, auf der titelgebenden „Karte des Todes“ akribisch den Cholerafällen nachzuspüren, eine verschmutzte Wasserpumpe als Quelle zu identifizieren, dies empirisch nachzuweisen und so für Wasserhygiene zu sorgen. Natürlich dauerte es noch Jahrzehnte, bis alle Stadtverwaltungen akzeptierten, dass sauberes Wasser tatsächlich die Krankheit verhinderte; Hamburg etwa brauchte noch in den 1880er Jahren eine verheerende Cholera-Epidemie mit tausenden von vermeidbaren Toten – ein Muster, das leider viele der in diesem Buch beschriebenen Welt-Heilungen teilen.

In Kapitel 9, „Bücher“, wendet sich Gersten zwei Werken zu, die mittelbaren Einfluss auf die Heilung der Welt haben würden. Einerseits geht es um Charles Darwin und seine Fahrt auf der „Beagle“; die Evolutionstheorie, deren Genese Gerste hier nachverfolgt, würde ich als essenziell zum Verständnis von Krankheiten erweisen. Auf der anderen Seite steht erneut Ignatz Semmelweiß, der seine Erkenntnisse zur Hygiene und Kindbettfieber mittlerweile – weit weniger erfolgreich als Darwin, weil nichts auf Publikumsgeschmack gebend und extrem aggressiv-polemisch argumentierend – zu Papier gebracht hatte. Zukünftige Ärztegenerationen würden seine Erkenntnisse jedoch nach und nach umsetzen.

Wesentlich praktischer geht es in Kapitel 10, „Rotes Kreuz“, zur Sache. Die Geschichte Hendir Dunants kulminiert von seiner Gründung des CVJM – um jungen Männern einen christlichen Lebenswandel beizubringen – und Missionsversuchen in Algerien über seine harsche Ablehnung der Sklaverei in der Schlacht von Solferino, wo er die örtlichen Anwohner*innen und die Militärs dazu bringt, sämtliche Verwundeten ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu versorgen – und die Idee für eine neue Organisation, die neutral sämtliche Kriegsopfer versorgen sollte, gebar. Dunants PR-Fähigkeiten waren gut ausgeprägt, und er gewann diverse gekrönte Häupter für seine Idee, die zur Genfer Konvention führten.

Diese Ideen kamen für den blutigsten Konflikt des 19. Jahrhunderts zu spät, dem sich Kapitel 11, „Wunden der Nation“, widmet. Ein weiteres Buch – Harrier Beecher Stowe mit ihrem Werk „Onkel Toms Hütte“, das über die Schrecken der Sklaverei ein breites Publikum sich empören ließ – steht am Anfang eines kurzen Abrisses der Geschichte des Bürgerkriegs, ehe Gerste sich der neuartigen Dimension des Konflikts zuwendet: die totale Mobilisierung der beiden amerikanischen Staaten und die riesigen involvierten Menschenmassen und damit Verwundeten. Anders als es die populäre Darstellung der „Bonesaws“ oft will, gesteht Gerste den Militärchirurgen durchaus große Fachkenntnis zu – diese war nur seinerzeit noch schwach ausgeprägt, so dass Amputationen oft die einzige Möglichkeit waren, den Verwundungen der Innovation des „Minié ball“, der furchtbare Verletzungen anrichtenden neuen Munition, zu begegnen.

Das Kapitel wird von einem weiteren Einzelschicksal, in diesem Fall James Madison deWolfs, gefolgt. Der Arzt war ein aufstrebendes Talent im amerikanischen Westen – und hatte das Unglück, zu Custers Kavalleriedivision zu gehören. Sein Schicksal zeigt einmal mehr, wie eng Medizin und Militär miteinander verknüpft waren und wie sehr beides einander bedingte.

Das folgende 12. Kapitel, „Antisepsis“, sieht endlich die Bekämpfung des gewaltigen medizinischen Problems des Wundbrands. Der schottische Arzt Lister behandelte 1867 erstmals einen offenen Bruch mit Phenolsäure, die die bis dahin üblichen Infektionen – denen man durch präventive Amputation begegnete – verhinderte. Nicht nur wurden dadurch zahlreiche Verletzungen weniger tödlich oder verwandelten ihre Opfer in Krüppel, die am Rande der Gesellschaft leben mussten; plötzlich öffnete sich auch das Spektrum von Behandlungen, die möglich waren, etwa Operationen am Bauch, an der Brust oder am Kopf. Die Heilung der Welt schritt massiv voran. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Begründer der Antisepsis, Ignatz Semmelweiß, just an dem Tag starb, als Lister das Verfahren erstmals erfolgreich anwendete.

Ein weiteres Schicksal beschäftigt sich mit dem „Elefantenmann“ Joseph Merrick. Der missgebildete Merrick wurde auf Jahrmärkten zur Schau gestellt, ehe der Chirurg Frederick Treves ihn entdeckte, ihm Obdach zur Verfügung stellte und sich um ihn kümmerte. Für Gerste ist das ein Indikator dafür, dass der Fortschritt der Welt im 19. Jahrhundert nicht nur auf medizinischem Gebiet zu finden war, sondern auch im Umgang der Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern.

Weiter geht’s in Teil 2.

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  • Thorsten Haupts 3. Mai 2023, 12:53

    Jo. Zeit für mein jährliches Dankgebet, zur richtigen Zeit am richtigen Ort geboren worden zu sein.

    Zwar gab es eine Zunft von Heilenden aller Couleur, aber über den Quacksalberstatus kamen die wenigsten dieser Leute hinaus, egal wie gut sie es tatsächlich meinten.

    Das stimmt für Europa vermutlich, aber das war nicht zwangsläufig. Sowohl die alten Ägypter als auch die Chinesen verfügten nach Aufzeichnungen wie nach archäologischen Funden über eine ebenso fundierte wie erfolgreiche Heilkunde, nur wurde ausgerechnet die in Europa bis in die Neuzeit weder ausreichend systematisert noch organisiert ausgebildet.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 13:01

      Ohne Scheiß. Aber: ich habe immer diese dräuende Befürchtung, dass große medizinische Durchbrüche gerade dann kommen werden, wenn es für mich zu spät ist. Kennst du das? Stichwort Longevity.

      Ja, die sind relativ besser, aber verglichen mit moderner Medizin können sie trotzdem nicht anstinken.

      • Thorsten Haupts 3. Mai 2023, 13:54

        Kennst du das?

        Nicht wirklich. Es gibt viele Dinge, die schlicht Schicksal sind – und ich habe vor sehr vielen Jahren beschlossen, mich mit Schicksalsfragen nicht zu belasten, da vollkommen sinnlos 🙂 . Ja, das kann man tatsächlich erfolgreich entscheiden.

        • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 17:34

          Vielleicht muss ich dafür noch älter werden 😀

          • Thorsten Haupts 5. Mai 2023, 12:01

            Nee, das funktioniert auch jung.

  • Kning4711 3. Mai 2023, 13:59

    Semmelweiss war ein faszinierender Charakter. Bei WDR5 gab es mal ein sehr spannendes Radio-Feature über ihn und sein Wirken:
    https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-ignaz-semmelweis-mediziner-todestag—-100.html
    Bis heute ranken sich auch Mythen um seinen Tod.

    Spannend finde ich auch, dass es der „Semmelweiss-Reflex“ Einzug in die Sprache gefunden hat. Damit bezeichnet man dass das wissenschaftliche Establishment eine neue Entdeckung quasi „reflexhaft“ ohne ausreichende Überprüfung erst einmal ablehne und den Urheber eher bekämpfe als unterstütze, wenn sie weit verbreiteten Normen oder Überzeugungen widerspricht.

    • Thorsten Haupts 3. Mai 2023, 14:17

      Damit bezeichnet man dass das wissenschaftliche Establishment eine neue Entdeckung quasi „reflexhaft“ ohne ausreichende Überprüfung erst einmal ablehne und den Urheber eher bekämpfe als unterstütze …

      Und ich halte das im Grundsatz für eine gesunde Reaktion. Enthusiastisches Begrüssen ohne ausreichende Überprüfung wäre viel gefährlicher und das „ausreichende Überprüfen“ jeder der Zeit als abstrus erscheinenden Idee ist praktisch gar nicht leistbar.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 17:36

        Das Ding ist ja, dass seine Belege bombenfest waren. Das war ja nicht abstrus.

        • cimourdain 4. Mai 2023, 10:51

          Stell dir vor, jemand gibt heute ein Buch heraus, in dem er sagt, die beste Behandlung für (sagen wir) Krebs, ist eine (schwach) giftige Substanz, das gesamte medizinische Establishment liegt komplett falsch und der beste Beweis dafür ist der Erfolg, den er an seiner eigenen Klinik damit hatte. Die Fachwelt ist sich einig, dass dies Blödsinn ist und nicht von der Schulmedizin gedeckt. Das würdest du heute als abstrus bezeichnen.

          Aber wenn dann andere dazukommen und dieses Verfahren austesten und systematisch erforschen mit dem Ergebnis, dass es funktioniert, dann wird es ernstzunehmend.

          Die Tragödie ist nur, dass Semmelweis selbst an den „Folgen von Querulantentum“ gestorben wurde (Danke an Wächter für den Hinweis), bevor er den Durchbruch seiner Theorie sehen konnte.

    • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 17:34

      Ja, über die spricht Gerste auch.

      Ah cool, das wusste ich noch nicht.

  • derwaechter 3. Mai 2023, 15:12

    „Natürlich war es wahnsinnig schwierig, das Hände Waschen durchzusetzen; heute würde Semmelweiß vermutlich einfach am freiheitlichen Recht des Individuums auf schmutzige Hände scheitern. Damals konnte er seine neue Regel durchsetzen und unzählige Leben retten“

    Nein. Er ist damals zienlich genau daran gescheitert. Ich lass mal ein Zitat aus der Wikipedia hier.

    „Zu seinen Lebzeiten wurden seine Erkenntnisse, von ihm 1861 publiziert, nicht anerkannt und von Kollegen als „spekulativer Unfug“ abgelehnt. Nur wenige Ärzte unterstützten ihn, da Hygiene als Zeitverschwendung und unvereinbar mit den damals geltenden Theorien über Krankheitsursachen angesehen wurde. Semmelweis praktizierte zeitweise in Pest im heutigen Ungarn. Er starb im Alter von 47 Jahren in Wien unter nicht näher geklärten Umständen während eines zweiwöchigen Aufenthalts in der Psychiatrischen Klinik „Landesirrenanstalt Döbling“ bei Wien. Zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten deuten neben dem Exhumierungsbericht aus dem Jahr 1963 und Motiven für seine Beseitigung auf willkürliche Psychiatrisierung und ein darauf folgendes Tötungsdelikt hin“

    • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 17:37

      Steht doch da. „Es war wahnsinnig schwierig“. Nur hat er es geschafft, weil er Anweisungen geben konnte, denen zu gehorchen war.

      • derwaechter 3. Mai 2023, 18:10

        „Zu seinen Lebzeiten wurden seine Erkenntnisse, von ihm 1861 publiziert, nicht anerkannt und von Kollegen als „spekulativer Unfug“ abgelehnt“
        Ihm wurde nicht gehorcht. Oder reden wir aneinander vorbei?

        • Stefan Sasse 4. Mai 2023, 09:32

          Wenn ich mich gerade an das Kapitel nicht krass falsch erinnere, wurde ihm gehorcht – aber nur, solange er persönlich mit großem Einsatz dafür sorgte.

  • derwaechter 3. Mai 2023, 16:23

    “Wenig überraschend, dass die katholische Kirche dagegen Sturm lief, weil es mit der Bibel nicht vereinbar war, Frauen Schmerzen zu nehmen. Diese gehörten zu Geburt und man könne „Gott nicht den Schreien berauben“, denn das führe zu einem Abfall vom Glauben. So was können auch nur Männer schreiben; Queen Victoria jedenfalls war begeistert, und damit war die Sache gegessen.”

    Ich finde Deinen Rückgriff auf Geschlechterklischees ziemlich nervig.

    Zum einem war Snow doch auch ein Mann.

    Zum anderen gibt es natürlich auch Frauen die genauso denken und schreiben. Ich habe mal kurz nach Widerstand gegen Betäubung bei der Geburt gesucht und er der erste Artikel er auftaucht ist dieser hier: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/schmerz/geburtsschmerz-und-anaesthesie-13019093.html

    Hier wird Charlotte Roche zitiert: “Die Memmenmütter. Die eine natürliche Geburt wollen, aber bitte ohne Schmerzen“

    Und: „In einem Manifest aus der Schule des Konzepts „Working with pain in labour“ heißt es zum Beispiel: „Der Geburtsschmerz markiert eine enorme Wende in einem Frauenleben – ihren Übergang zur Mutterschaft; das komplexe Zusammenwirken von Hormonen und chemischen Veränderungen hilft ihr, sich darauf vorzubereiten, ihr Baby willkommen zu heißen; ihre Freude, Mutter zu werden, wird durch den Kontrast zum Geburtsschmerz nur noch gesteigert.“

    Nun rate mal welches Geschlecht die drei Autoren dieses Werkes haben.

    Und nicht nur das, dort liest man, dass die meisten Frauen am liebsten ohne Schmerzmittel gebären wollen würden und zwischen den Zeilen meine ich sogar zu erkennen, dass es eher Männern vorgeworfen wird, dass sich das ändere: „Historically, the childbirth culture might be viewed as being consistent with a ‘working with pain’ approach. Women were supported by other women when they gave birth. This began to change in the mid 19th century with the advent of obstetric anaesthesia and the notion of ‘saving women from pain’.“
    Verwiesen wird hier übrigens auf den Aufsatz: „The role of pain in normal birth and the empowerment of women“, geschrieben von zwei Frauen.

    Ganz nebenbei steht dort in der FAZ auch: „Die Nachricht, dass Königin Victoria bei der Geburt ihres achten und neunten Kindes nach Chloroform zur Schmerzlinderung verlangte, hat man lange zurückgehalten, weil Victoria damit als schlechtes Vorbild dagestanden hätte.”

    Du schreibst hingegen “Queen Victoria jedenfalls war begeistert, und damit war die Sache gegessen.”

    Der Artikel steht diesen Aussagen übrigens kritisch gegenüber und wurde ebenfalls von einer Frau geschrieben.

    Lange Rede, kurzer Sinn, löse dich von deinen Vorurteilen 🙂

    • Ariane 3. Mai 2023, 16:46

      Gemein, jetzt hast du mir ein bisschen vorgegriffen. Wollte auch darauf hinweisen, dass Gebären ohne Schmerzmittel immer noch ein Ding ist, nur eher mit „zurück zur Natur“ begründet und häufig von Frauen kommt.
      Logischerweise da haben Männer ja auch nicht mehr wirklich viel Mitspracherecht und allgemein ist traumatisierte Männer bei Geburten ja mittlerweile ein eigenes Ding.

      Und was Geburten, Mutterschaft etc. angeht, tun die Geschlechter sich da nicht soviel, das berührt soviele Kernbereiche, da verlaufen die Linien häufig an anderen Punkten. Nicht selten, dass Frauen da untereinander schlimmer sind als Männer.

      Aber nicht immer! Es gibt da nämlich zb einen Vorgang, der tatsächlich arg sexistisch und vorurteilsbelastet ist und das betrifft das Nähen nach der Geburt (was gelegentlich nötig ist, ich weiß nicht, wieviel Kenntnis ihr Männer davon habt). Und da war/ist es üblich (nicht selten von den Ehemännern gewünscht), dass einfach paar mehr Stiche genäht werden, weil es das Vorurteil gibt, dass die Frau nach der Geburt ausgeleiert ist und irgendwer meinte, man könnte dem so entgegenwirken.

      • derwaechter 4. Mai 2023, 10:09

        Ich dachte immer das enger Nähen sei eine Legende bzw. ein Witz.

        • Thorsten Haupts 4. Mai 2023, 13:22

          Bin genauso überrascht, aber vielleicht hat Ariane ja empirisch belastbare Daten dazu?

          • derwaechter 4. Mai 2023, 18:46

            Ich wollte da keinen Vorwurf konstruieren, sondern war einfach ehrlich überrascht.

            • Thorsten Haupts 4. Mai 2023, 21:00

              Same.

          • Ariane 5. Mai 2023, 13:55

            Also eine Legende ist es nicht, aber es gibt auch keine empirischen Daten dazu. Es gibt etliche Sammlungen von Erfahrungsberichten und wenn man tiefer wühlt findet man auch was quasi intern von GynäkologInnen – genug um zu erkennen, dass es keine Legende ist.

            Aber ich glaube auch nicht, dass man das wirklich durch Studien feststellen kann, auch die Erfahrungsberichte sind meist anonymisiert und logischerweise hat Frau nach der Geburt eh andere Sorgen als Näharbeit und es fällt dann oft nur auf, wenn das dabei angesprochen wird (und ich hoffe – und denke – mal, dass wirklich nur ne kleine Minderheit Männer SOLCHE Arschlöcher sind, sonst hätten wir die Frage der gestiegenen Scheidungsraten ja gleich mitgeklärt^^)
            oder es fällt eben auf, wenn soviel Scheiße gebaut wurde, dass weitere Behandlung erforderlich ist.

            Hier gibts Erklärungen mit einigen Links dazu:
            https://www.hallo-eltern.de/schwangerschaft/husband-stitch/

            • derwaechter 9. Mai 2023, 14:42

              Nicht so schön. Aber scheint Gott seid Dank selten zu sein.

    • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 17:38

      Yes, sir.

      • derwaechter 4. Mai 2023, 19:30

        So eine Untertänigkeit gibt’s auch nur bei Männern 😉

        • Stefan Sasse 4. Mai 2023, 20:07

          *Kusshand*

        • Thorsten Haupts 9. Mai 2023, 19:23

          Sie müssten mein „Yes, Sir“ hören, um Ihr Urteil zu ändern 🙂 .

  • cimourdain 3. Mai 2023, 16:50

    Zu Semmelweis (schreibt sich mit einem S): Da ist es doch der spannende Teil, wie kurz die Zeit zwischen Außenseitertheorie (sein Buch 1861) und wissenschaftlicher Anerkennung war : 1865 gründete Max Pettenkofer (ein in diesem Zusammenhang sehr erwähnenswerter Name) den ersten Lehrstuhl für Hygiene.

    Weiteres, was mir aufgefallen ist:

    Kapitel 4: „der Zusammenhang zwischen Sex und Schwangerschaft war nur grundlegend, aber nicht einmal in den gröbsten Details verstanden.“ ist etwas zu pauschal. De Baer hatte schon Eizellen und Spermien entdeckt sowie die Embryonalentwicklung beschrieben. [btw. wie verbindet Gerste die Wasserklosetts mit dem Thema Fortpflanzung?]

    Kapitel 7: Schleudertrauma betrifft die Halswirbelsäule, die mögliche Verbindung zu psychosomatischen Effekten ist m.w. eine moderne „Erfindung“. Trauma bezeichnet in der Medizin jede Verletzung von Gewebe, die Übertragung des Begriffs auf psychische Verwundungen, wie bei PTSD gibt es m.w. erst seitdem Janet, Breuer und Freud sich mit Hysterie befassten.

    Kapitel 10:
    Ich verwende auch gerne Schachtelsätze, aber
    „Die Geschichte Hendir Dunants kulminiert von seiner Gründung des CVJM – um jungen Männern einen christlichen Lebenswandel beizubringen – und Missionsversuchen in Algerien über seine harsche Ablehnung der Sklaverei in der Schlacht von Solferino, wo er die örtlichen Anwohner*innen und die Militärs dazu bringt, sämtliche Verwundeten ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu versorgen – und die Idee für eine neue Organisation, die neutral sämtliche Kriegsopfer versorgen sollte, gebar.“
    ist kaumverständlich.

    • Stefan Sasse 3. Mai 2023, 17:39

      4) Ja, ich zeichne in der Rezension zwangsläufig mit grobem Pinsel. Wenn ich alles in allen Feinheiten wiedergeben würde, wäre die Rezi ja so lange wie das Buch.

      7) Ich fürchte, da hab ich Sachen durcheinander gebracht 🙁

      10) Wupps. ^^

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