Die Bundeswehr führt auf Schulhöfen ein Tempolimit ein und löst so ein Wirtschaftswunder in der Gaming-Branche aus – Vermischtes 22.03.2023

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) The Putative Defenders of Liberal Education Are Destroying It

But the right-wing approach to liberal education and the Western tradition is as skewed as the notion among some academics that teaching the classics is tantamount to promoting white supremacy and European domination. In the presumption that the Western canon represents a single perspective, and in other surprising ways, elements of the radical right and the radical left seem to agree. And they are wrong. Only a censored and denatured liberal-arts curriculum can be employed in the service of ideological conformity. In the same way that liberal education does not have specific vocational and professional goals in view, it must also not have predetermined ideological or theological end points. To the extent that it is political, it is so because it cultivates self-determination, freedom of opinion, and personal agency. […] That canon should be understood not as an inherited fixture but as a process requiring continuous revision and examination. Liberal education, like all other formal education, requires a degree of restriction. Selecting a canon should be the province of neither politicians nor corporations, but of faculty on the ground who are passionate about and dedicated to educating the next generation of citizens. […] At the high-school level, rigid testing regimes promulgated by vendors like the College Board and the erosion of teacher autonomy disincentivize liberal intellectual habits such as questioning received wisdom, skepticism of authority, and creative exploration. (Annie Abrams, The Atlantic)

Ich stimme Abrams voll zu. Sowohl die radikallinke Idee einer einzigen Lesart der Geisteswissenschaften als auch die Idee einer „unpolitischen“ Basisversion sind Unfug. Wir haben ad nauseam die Exzesse der woken Linken durchdiskutiert, und die Kritik hat durchaus ihre Berechtigung. Was demgegenüber etwas zu kurz kommt ist die konservative Vorstellung, dass es eine „reine“, „objektive“ Form der Geschichte (oder anderer Geisteswissenschaften) gäbe. Die progressive Kritik daran – dass die Mehrheitsmeinung letztlich auch die objektive Wahrheit sei und nicht nur eine Abbild herrschender Machtverhältnisse, Normen und Vorstellungen – ist ja ebenso korrekt. Abrams‘ Punkt, dass einen fixen Kanon vorzugeben eine (haha) fixe Idee ist, unterstütze ich ebenfalls nachdrücklich. Gerade hier könnte ein fruchtbarer Wettbewerb der Ideen entstehen, mit eigenen Schwerpunktsetzungen nach den Spezialkenntnissen und Vorlieben.

2) Das Leben ist eine Baustelle

Insofern ist die Aussage von Olaf Scholz nicht unkorrekt, die Investitionen in den Klimaschutz könnten das Wachstum erhöhen und Arbeitslosigkeit werde in den kommenden Jahren wahrscheinlich kein großes gesellschaftliches Problem mehr sein. Man kann anderer Meinung sein, aber man kann sie nicht so einfach wissenschaftlich widerlegen. Meinungen sind keine Fakten. Was sich aber mit ziemlicher Sicherheit sagen lässt: Das neue Wirtschaftswunder wird sich anders anfühlen als das alte.  […] Wie nach dem Krieg wird es also in Deutschland genug zu tun und damit wahrscheinlich auch genug Arbeit für alle geben. Aber ein großer Teil dieser Arbeit wird dafür aufgewendet werden müssen, das Land nach dem Stillstand der vergangenen Jahrzehnte fit zu machen für eine klimaneutrale Zukunft. Es geht jetzt erst einmal darum, den Wohlstand zu erneuern, wie es Wirtschaftsminister Robert Habeck formuliert hat. Nicht unbedingt darum, ihn zu vermehren. Jedenfalls nicht auf einer gesamtwirtschaftlichen Ebene (eine gerechte Verteilung der Lasten zum Beispiel durch steuerpolitische Maßnahmen ist natürlich weiterhin möglich). Man kann es auch so sagen: Wir arbeiten jetzt, damit unsere Kinder einmal in einem Land leben, in dem die Bahn pünktlich kommt und noch genug Strom aus der Steckdose. (Mark Schieritz, ZEIT)

Den Gedanken halte ich für durchaus relevant. Das Potenzial für Wirtschaftswachstum sehe ich auch, und ich denke, Schieritz liegt auch richtig darin, dass er von investitions- statt konsumgetriebenem Wachstum spricht. Was mich aber mehr als verwundert ist die Vorstellung, dass das beim „letzten Wirtschaftswunder“ anders gewesen sei. Gerade die 1950er und früheren 1960er Jahre waren massiv von Verzicht zugunsten des „später“, vom Gedanken an dem „wir arbeiten, damit unsere Kinder es besser haben“, geprägt. Gerade mit dieser Zeit würde der Vergleich deswegen tragen.

3) Fünf Ideen für eine bessere Bundeswehr

Die Diskussionen um mögliche Verbesserungen für die Bundeswehr kreisen seit Jahren immer wieder um ähnliche Fragen: Braucht es nur viel mehr Geld und alles wird gut? Muss der legendäre Planungsstab im Verteidigungsministerium wieder her? Erlebt die Wehrpflicht doch noch ein Comeback? Soll das Beschaffungsamt weg oder braucht es radikale ​Wunderheiler‘ von außen? Könnten die Inspekteure zurück ins Ministerium gehen oder gibt man besser viel mehr Verantwortung raus aus dem Ministerium zur Truppe? Braucht es doch noch einmal langwierige Fachkommissionen und akribische Bestandsaufnahmen? Seit der Zeitenwende“ verging nun bereits mehr als ein Jahr. Hier sind fünf Ideen für eine bessere Bundeswehr: […] Mehr militärisch üben und sich weniger selbst verwalten. Mehr Truppe und weniger Stäbe. Mehr konkrete Ergebnisse, statt sich den eigenen komplizierten Prozessen unterwerfen. Mehr ungeschminkte Ehrlichkeit statt abgeschliffener, vorgeübter Vorträge. Mehr Übernahme persönlicher Verantwortung statt ​melden macht frei“ – das ist die Richtung für eine bessere Bundeswehr. Mehr als ein Jahr nach der äußeren Zeitenwende sind wir damit spät dran. In der Bundeswehr, in Ministerium und Truppe ist das Potenzial für eine innere Zeitenwende jedoch sehr groß. Was jetzt zählt: Dieses Potenzial endlich freisetzen und nutzen. (Nico Lange, 49Security)

Je mehr ich über die Probleme der Bundeswehr lese, desto mehr ist es mein Gefühl, dass diese eine Art Mikrokosmos dessen abbilden, was in Deutschland strukturell problematisch ist: zu wenig Verantwortlichkeit, zu überbürokratisiert an den falschen Stellen, zu großer Fokus auf der Darstellung und zu wenig auf der Substanz und damit einhergehend  eine Fehlallokation an Mitteln. Denn die Bundeswehr hat ja den größten Wehretat Europas, trotz allem. Die Franzosen geben in etwa so viel Geld aus wie wir, und deren Militär ist wesentlich funktionaler UND die leisten sich die nicht eben billige force de frappe. Da ist einfach systemisch irgendwas im Ungleichgewicht.

Gleichzeitig hat die Bundeswehr dasselbe Problem wie alle anderen Bereiche auch: das zu reformieren ist harte Kärnerarbeit. Das ist nichts, das sich mit einer Agenda2010 lösen ließe, also einem großen Reformwerk, das das bestehende System über den Haufen schmeißt und ein neues schafft, weil es um eine Myriade kleiner Baustellen und Verwaltungsstrukturen geht. Und wenn Verwaltungsstrukturen in etwas gut sind, ob in öffentlichen Institutionen oder in Unternehmen, dann darin, nicht genehme Veränderungen zu blockieren.

4) Schrei nach Tempolimit

Man kann dieses Verbrenner-Hintertürchen realistisch nennen, doch ist in den Reihen der FDP gleichfalls eine beunruhigende Tendenz zum messianischen Denken erkennbar. Es richtet sich mit großem Optimismus auf einen synthetischen Kraftstoff von geringer Energieeffizienz, der, wenn alles gut geht, in Chile oder anderswo wegen geringer Stromkosten grün und etwa so günstig wie deutscher Sprit erzeugt werden könnte. Doch ist der Idee von diesem Wunderstoff entgegenzuhalten, dass, würde man das wesentlich energieeffizientere Elektroauto mit ebenfalls besonders günstigem Strom, zum Beispiel aus Nordafrika, versorgen – der Abstand zu den E-Fuels wieder hergestellt wäre. […] Doch der Minister, der die Zahlen schon vorab kannte, sprach und handelte weiter, als ob es das Klimaschutzgesetz nicht gäbe, als ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2021 die Politik nicht darauf verpflichtet hätte, durch einen konsequenten Klimaschutz die Lebensqualität auch der kommenden Generationen zu sichern. […] Die FDP geriert sich als konsequente Sparpartei – Sparsamkeit und Haushaltsdisziplin müssen aber auch für das CO2-Kontingent gelten. Mit der Tempofreiheit aber lebt Deutschland deutlich über seinen Verhältnissen. […] Verabschiedet man sich beim Auto von der zwanghaften Fixierung auf den Individualverkehr, steigt man konsequent ein in den Sozialverkehr, benötigt man wesentlich weniger Fahrzeuge auf den Straßen, ein weiterer Ausbau wäre überflüssig. Der Güterverkehr allerdings bleibt die klimatechnische Achillesferse einer wohlhabenden Industrienation wie Deutschland. […] Die Verkehrsdiskussion muss nach der miserablen Treibhausgasbilanz von Volker Wissings Sektor viel offener, komplexer und radikaler in Bezug auf die möglichen Konsequenzen geführt werden. Die Strategie der FDP, Besitzstände möglichst nicht anzurühren und lieber an den Wunderkraftstoff zu glauben, der alle Probleme der Verkehrspolitik auf einmal löst, ist zu riskant und daher unsolidarisch gegenüber kommenden Generationen. Mit Technologiefreiheit ist es nicht getan. Die neuen Zahlen des Umweltbundesamtes zeigen, dass am strikten Energiesparen kein Weg vorbeiführt. Unterdessen sind in der FDP die ersten Stimmen laut geworden, die einen flexibleren Umgang mit den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes fordern. (Uwe Ebbinghaus, FAZ)

Ich sage es immer wieder: Wir brauchen mehr Realismus im Klimaschutz. Aktuell ist das einfach Traumtänzerei. Leute inszenieren sich als Pragmatiker*innen, indem sie sich hinstellen und darauf verweisen, dass Pläne, die irgendwann 2035 oder danach greifen sollen, negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben werden. Natürlich werden sie das. Aber wir haben keine Wahl. Die Klimakrise wird uns diese Veränderungen aufzwingen, weil ihr die innenpolitischen Zwänge der FDP genauso egal sind wie die Kohle-Nostalgie der SPD oder die Parteispenden durch die Autoindustrie für die CDU.

Was das Thema angeht: ich halte die Fixierung auf den Invidiualverkehr im Kern für richtig, aber der Sektor ist trotzdem eigentlich nicht die Hauptbaustelle. Davon abgesehen sind viele Einwände – Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur etc., etwa – zwar richtig. Aber was mich fuchsig macht ist, dass die als Legitimation für Nichtstun genommen werden (genauso wie die befürchteten wirtschaftlichen Verwerfungen), anstatt anzufangen. Wenn Wissing korrekt feststellt, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur gerade nicht mit den Notwendigkeiten für das Verbrenner-Aus schritthält, ist das ja durchaus korrekt. Und was ist sein Plan, das zu ändern? Er legt einfach die Hände in den Schoß. Diese Unernsthaftigkeit ist es, die mich kirre macht.

5) Schwierigkeitsgrade – “Gamer” und Exklusivität

Die Idylle der frühen Gaming- und eines guten Teils der Retro-Kultur lebt nicht nur, aber auch von der Abwesenheit von allen, die gerade in den 90ern und 00ern nicht als klassische “Gamer” galten: Frauen, People of Color, behinderte Menschen, queere Menschen – eigentlich alle, die eben keine weißen, ablebodied, cis Männer waren. […] Digitale Spiel(e)kultur, so das gängige Narrativ, war nicht immer das Baumhaus toxischer Nerds, als das Gaming lange galt und häufig immer noch gilt. Stattdessen wurden (Tele-)Spiele als eine Art Spielzeug für die ganze Familie vermarktet – wie etwa auch Brettspiele. […] Die 90er Jahre waren auch die Zeit, in der Spielzeug im Allgemeinen immer stärker gegendert wurden, Informatik und ganz allgemein alles mit Computern – ursprünglich einmal eine klare Frauendomäne, als es da noch keinen Ruhm zu holen gab – hatte sich schon mit den 70er und 80er Jahren als Männerdomäne selbst neu erfunden und auch andere Nerd-Nischen wie etwa Pen & Paper wurden mehr und mehr mit Klischees von einer Form von pickeliger, sozial unbeholfener Männlichkeit verknüpft, wie sie sich auch in digitaler Spielkultur spiegelte. […] Ironischerweise waren es keine Gewalt- oder Killerspieldebatten, die “den Gamer” der 80er und 90er Jahre tatsächlich bedrohten und schließlich seinen Untergang einläuten sollten. Diese Diskussionen verliefen sich mit der Zeit weitgehend, auch weil die Forschung nach wie vor keine direkte Kausalität zwischen digitalen Spielen und Amokläufen herstellen kann. […] Was stattdessen deutlich gefährlicher für die Könige des Baumhauses wurde, waren andere Dinge – MySpace, Facebook, Apple und Nintendo. […] Mitten in dieser Bedrohung eines möglichen Verbots veränderte sich jetzt auch noch einmal komplett, wer denn nun wo und wie spielte und damit am Medium im Allgemeinen teilhaben konnte und “durfte”. 2006 veröffentlichte Nintendo mit der Wii eine Konsole, die ganz gezielt wieder die gesamte Familie ansprechen sollte. […] Nintendo wollte nun wieder, dass die gesamte Familie Spiele spielte und deshalb die Wii im Gegensatz zu anderen Konsolen kaufte. Facebook wollte, dass man seine halbe Freundesliste zu FarmVille einlud, weil das seine User*innen auf der Seite hielt. Und mit Smartphones und Tablets waren jetzt auch Zeitfresser, die sich aber in kleine Sessions einteilen ließen und so bald ihren Entwickler*innen-Studios viel Geld einbringen sollten, für immer mehr Menschen jederzeit greifbar. Spiele im Allgemeinen waren inzwischen vieles, aber garantiert nicht mehr exklusiv. Sie waren endgültig zum Massenmedium geworden. (Aurelia Brandenburg, 54Books)

Ich könnte noch endlos viel mehr aus dieser Geschichte der Gaming-Kultur zitieren, aber die obigen Ausschnitte schienen mir die zentralsten. Lest aber unbedingt den ganzen Artikel, der ist es absolut wert. Dass aber das Gaming quasi aus einer vergleichsweise „elitären“ Ecke in den Mainstream vorgedrungen ist, hatte zwangsläufig gewisse Verwerfungseffekte zur Folge. Das war und ist immer so. Dass der Umstoß wie so häufig durch Marktkräfte hervorgerufen wurde – die richtige Erkenntnis, dass mit der ganzen Bevölkerung mehr Geld zu verdienen ist als mit einem kleinen Subsegment – und eben nicht irgendwelche finsteren woken Verschwörungen verantwortlich sind, halte ich da auch noch mal für relevant. Dasselbe passiert ja in der Konsensmaschine Disney auch.

Resterampe

a) Gute Diskussion über die Definition von „woke“.

b) Sehr lesenswertes Interview zum Mord in Freudenberg.

c) Topp-Beispiel dafür, dass nicht alle Versäumnisse der letzten zwei Jahrzehnte Merkel zuzuschreiben sind.

d) Sehr schöne Zusammenstellung zum Thema „geschlechtergerechte Sprache in Schulen„.

e) Längere Spiegel-Reportage über die Blockade der FDP im Europaparlament zum Verbrenner-Aus. Mich erinnert das wahnsinnig an 2010ff. Gleiche ideologische Sackgasse.

f) Die Geschichte von Sharon Stone ist geradezu Irrsinn und zeigt, wie notwendig #MeToo und Konsorten waren und immer noch sind.

g) Guter Thread zum Thema „Singularität des Holocaust“.

h) Die sieben größten Probleme der Energiewende.

i) Interessante Bewertung von Lincolns Reconstruction und Bewertung seiner Präsidentschaft.

j) Gedanken zur Zukunft Israels. Siehe dazu auch das hier.

k) Sehr guter Punkt zur Debatte um die Herkunft von Covid.

l) Zwei Punkte zu diesem Lindner-Interview: a) Wie verschoben ist das Weltbild, wenn Investitonen in Kinder keine Zukunftsinvestition sind? Und b): Wow, hat sich die FDP mit dem „Sondervermögen“ ein Ei gelegt.

m) Weil wir es von Glück und Geld hatten: hier wird der Unfug wieder verbreitet.

n) Jon Stewart nimmt Larry Summers auseinander. Genau das ist das nötige Framing.

o) Eine vollkommen korrekte Würdigung von Master&Commander.

{ 42 comments… add one }
  • Thorsten Haupts 22. März 2023, 08:44

    Zu 1) Selecting a canon should be the province of neither politicians nor corporations, but of faculty on the ground who are passionate about and dedicated to educating the next generation of citizens.

    In den USA stellen Nicht-Linke in allen Fächern an Universitäten ausserhalb von MINT vielleicht noch 10% der Professoren. Und wahrscheinlich 0% der Administratoren, die den Alltag der Studenten regeln. Konsequenterweise gibt es an US-Universitäten gegen den Wokie-Bullshit auch sichtbar überhaupt keinen Widerstand. Null, nada, zero. Mehr muss man zu der Forderung nach „lasst die Universitäten das selbst regeln“ nicht wissen.

    Zu 5)
    Nach meiner völlig anekdotischen Beobachtung ist die Gamer-Szene in praktisch all den Genres weitgehend intakt und ebenso weitgehend unverändert im Vergleich zu den neunzigern, die den damaligen Kernbereich ausmachen – 4X, Shooter, Action-RPGs und Kriegsspiele. Spielen ist mit Sicherheit auch für Frauen populär geworden, aber eben vorrangig nicht in diesen Zeitfressern.

    Zu g)
    Yup, der Versuch geht weiter, den Holocaust umstandslos als „Kolonialverbrechen“ zu verorten und so die Kolonialismus-„Studien“ als einzig echte Geschichtswissenschaft zu etablieren. Selbstverständlich völlig ohne ideologische Hintergedanken, is klar.

    Zu k)
    Sachlich ebenso korrekt wie politisch naiv. Mit dem aktiven und öffentlich dokumentierten Versuch, die Laborthese sehr früh in der Pandemie in den Bereich rechtsextremer Verschwörungen abzudrängen – an der u.a. Drosten sich beteiligte – hat sich ein relevanter Teil der Wissenschaft völlig unwissenschaftlich ein dickes Ei gelegt. Ich ordne den Beitrag unter den Versuchen ein, das irgendwie zu verdrängen.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Erwin Gabriel 22. März 2023, 16:22

      l) Zwei Punkte zu diesem Lindner-Interview:

      a) Wie verschoben ist das Weltbild, wenn Investitonen in Kinder keine Zukunftsinvestition sind?

      Wie versch(r)oben ist Dein Weltbild?

      Grundsätzlich sind solche Ausschüttungen für Kinder (= an die Eltern) keine Investitionen, sondern Konsum. Das Herumgereite auf „Investition in unsere Zukunft“ ist dämliche Geschwalle der allerschlimmsten Art. Wenn ich in Kinder investieren will, muss ich an der Bildung bzw. am Bildungssystem arbeiten, dass deutlichen systemischen Schwächen unterliegt. Werden die nicht abgestellt, ist das Geld verschwendet.

      Dann gibt der Staat schon Milliarden Euro für diese Themen aus. Wenn die nicht reichen – warum nicht? Werden die falsch eingesetzt? Ist auf der einen Seite Konsum (also „ja“, wenn man den Investitionsaspekt für wichtiger als die Versorgung / Betreuung nimmt).

      Auf der anderen Seite weiß man es nicht, weil die Eltern die Knete kriegen. Ob die das Geld vertrinken und verrauchen oder in für die Kinder wichtige Dinge stecken, ist für die Auszahlung übrigens völlig irrelevant.

      Nicht bös sein: Diese Fragen sind absolut albern, ideologische Totschlag-Fragen losgelöst von jeglicher Sachdiskussion. Mit dem Argument „Kinder sind wichtiger“ kann man doch JEDE Ausgabe niedermachen.

      Und b): Wow, hat sich die FDP mit dem „Sondervermögen“ ein Ei gelegt.

      Warum? Um sich bei über 50 % Sozialausgaben (bezogen auf die Steuereinnahmen) an irgendeiner Stelle über „zu wenig“ zu beklagen, sollte eher die Frage aufwerfen, wie man soziale Ausgaben (bzw., angesichts der schlechten Effizienz, „Kosten“) zurückschrauben kann, um mehr Geld für Investitionen in die Klimawende, in die Bildung, oder aber auch in die
      Krankenversorgung und Pflege (angesichts der sich anbahnenden Boomer-Flut in Richtung Rente / Heim) aufzubringen.

      Aber selbst Dir sollte einleuchten, dass es nicht funktioniert, die unendlich vielen Milliarden Einnahmen ein Stückweit zu verjubeln, um dann für jede halbwegs sinnvolle Ausgabe ein „Sondervermögen“ zu fordern.

      • Erwin Gabriel 22. März 2023, 17:03

        Sorry, sollte an Stefan Sasse

      • Stefan Sasse 22. März 2023, 18:24

        b) Weil jede*r, der irgendein Programm haben will, ab sofort nicht mehr Schulden, sondern ein „Sondervermögen“ fordern kann. Das macht die Abwehr „neuer Schulden“ politisch schwieriger.

        • Erwin Gabriel 23. März 2023, 14:05

          @ Stefan Sasse 22. März 2023, 18:24

          b) Weil jede*r, der irgendein Programm haben will, ab sofort nicht mehr Schulden, sondern ein „Sondervermögen“ fordern kann. Das macht die Abwehr „neuer Schulden“ politisch schwieriger.

          So denken vermutlich linksgestrickte, dass es nur ein neues Wort braucht, um wieder Konsum auf Pump fordern zu können 🙂

          Für mich ist auch das Sondervermögen der Bundeswehr einfach nur ein weiterer Schuldenblock, den ich (Du wirst es geahnt haben) der keinesfalls geschätzten Ex-Kanzlerin an die Backe hefte. So dringend das Geld dort gebraucht wird, so unnötig ist die Situation, die das erforderlich machte.

          • Stefan Sasse 23. März 2023, 22:45

            Ach Erwin, das ist doch einfach nur Politics 101. Ein neues Framing kann viel helfen. Bisherige Versuche sind dafür in den letzten Jahren gescheitert. Das „Sondervermögen“ ist ein Himmelsgeschenk für Schuldenfreunde.

            • Erwin Gabriel 24. März 2023, 08:31

              @ Stefan Sasse 23. März 2023, 22:45

              Ein neues Framing kann viel helfen. Bisherige Versuche sind dafür in den letzten Jahren gescheitert.

              Du siehst ja Lindners Reaktion darauf. Auch dieser Versuch, sich beizeiten auf Kosten der späteren Generationen
              ein schönes Leben zu machen, wird scheitern.

              Das „Sondervermögen“ ist ein Himmelsgeschenk für Schuldenfreunde.

              Diese Denke will einfach nicht in meinen Kopf. Wie tumb muss man sein, um sich mit viel Geld zu versuchen, eine andere Welt zu bauen, die – wie bei so vielen anderen Versuchen bewiesen – dann nicht klappt (so dass man noch mehr Geld braucht, um es wieder zu richten, nur um dann einen neuen Anlauf zu nehmen)?

              Ja, Beispiel Klimawandel: Hier wären, wie bei der Bundeswehr, seit Jahrzehnten dicke Investitionen nötig gewesen. Hat man frau vergeigt, und das Geld lieber in Wählerstimmenkauf den Konsum gesteckt. Die Konsequenz kann doch nicht sein, weiter die konsumptiven Aufgaben zu erhöhen und für jeden Mist ein Sondervermögen aufzubauen?

              Auch die Argumentation, dass man mit Investitionen ja auch was für die zukünftigen Generationen macht, ist ad absurdum geführt, wenn man sich die Ausgaben für Soziales (oder auch die Pensionen für Beamte) anscheut. Wäre man effizienter und ein stückweit bescheidener, hätte man all die Investitionen aus den laufenden Einnahmen bestreiten können.

              Mag sein, dass es nicht zielführend ist, an den Staat den gleichen Maßstab anzulegen wie an eine schwäbische Hausfrau. Aber sich gegensätzlich zu verhalten ist auch Schwachsinn.

              • Stefan Sasse 24. März 2023, 15:35

                Oh sicher, mein Punkt war ja nicht „Lindner und die FDP sind erledigt“, sondern dass ihnen das politische Probleme machen wird.

                Ich rede wirklich nur über die politische Kommunikation, nicht über die Sinnhaftigkeit.

                • Erwin Gabriel 25. März 2023, 10:29

                  @ Stefan Sasse 24. März 2023, 15:35

                  Ich rede wirklich nur über die politische Kommunikation, nicht über die Sinnhaftigkeit.

                  Aber auch die wird bestenfalls nur in einem bestimmten Teil der linken Blase funktionieren.

                  • Stefan Sasse 26. März 2023, 14:10

                    Ist ja nicht so, als würden politische Narrative nicht grundsätzlich nur in bestimmten Teilen funktionieren. Ich wäre aber bei weitem nicht so skeptisch wie du. Ich halte das Potenzial des „Sondervermögens“ für größer.

      • Kning4711 23. März 2023, 19:10

        Ich vermute aber, dass die Ablehnung der Erhöhung der Kindergrundsicherung insb. politische Gründe hatte – man wollte der SPD und den Grünen nicht den Erfolg gönnen, denn der Wähler hätte das Thema sicherlich nicht den Liberalen goutiert.

        In Summe hätten Kinder und Jugendliche deutlich mehr von dem Geld, wenn es in verbesserte Angebote der Kinder und Jugendhilfe der Kommunen, der Schulsozialarbeit oder eben Kinder- und Jugendzentren investiert würde.

    • Erwin Gabriel 22. März 2023, 16:36

      @ Thorsten Haupts 22. März 2023, 08:44

      Zu k) Sehr guter Punkt zur Debatte um die Herkunft von Covid.

      Der Punkt ist für mich nach der letzten Diskussionsrunde und Deiner Quelle entschieden; habe nichts ähnlich überzeugendes für die Viehmarkt-Hypothese gefunden.

      Ich ordne den Beitrag unter den Versuchen ein, das irgendwie zu verdrängen.
      Glaubst Du, dass der Autor sich so viele Gedanken gemacht hat? Seine Kommentierung ist schon ein Stück weit beliebig in die Richtung „ist alles gesagt, nur noch nicht von jedem“.

      • sol1 23. März 2023, 13:23

        Es war offensichtlich doch der Viehmarkt – und die Chinesen hören mit dem Vertuschen nicht auf:

        https://archive.ph/ErNpl (Spiegel-Interview mit der Evolutionsbiologin Florence Débarre)

        • Thorsten Haupts 23. März 2023, 14:45

          Es war offensichtlich doch der Viehmarkt …

          Nope, nichts daran ist offensichtlich. Man hat lediglich aus der Zeit der ersten Corona-Meldungen archivierte Corona-DNA-Spuren gefunden, die nach Angaben der Chinesen(!) aus dem Viehmarkt stammen sollen.

          • sol1 24. März 2023, 10:09

            Dein Quelle: „Trust me, bro!“

            • Erwin Gabriel 25. März 2023, 10:27

              @ sol1 24. März 2023, 10:09

              Dein Quelle: „Trust me, bro!“

              Nö.
              Seine Quelle hatte er in einem früheren Thread dargelegt.

    • Stefan Sasse 22. März 2023, 18:18

      1) Eine viel wiederholte Behauptung, die dadurch nicht richtiger wird.

      5) Es gibt noch starke Genrevorlieben, sicherlich. Aber der Gegensatz zu den 1990er Jahren ist völlig offenkundig, schon allein in dem Wissen um diese Games, aber auch die Teilnahme an ihnen.

      g) Blödsinn.

      • Thorsten Haupts 22. März 2023, 20:47

        Zu g)
        Nun sei doch nciht so gemein zu Deiner Quelle 🙂 . Originalzitat: Wahrscheinlich wird irgendwann „herauskommen“, dass sich Geschichte aus vielen Singularitäten zusammensetzt, die nicht nur scheinbar zusammenhängen.

        • Thorsten Haupts 24. März 2023, 16:19

          Und zu 1):
          Meine Sicht wird von verschiedenen Studien über viele Jahre gestützt.
          https://en.wikipedia.org/wiki/Political_views_of_American_academics
          Hast Du für „die dadurch nicht richtiger wird“ auch so was altmodisches wie Belege?

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 26. März 2023, 14:08

            Ich nehm mal random ein Zitat raus: „In 2007, Gross and Simmons concluded in The Social and Political Views of American Professors that the professors were 44% liberal, 46% moderates, and 9% conservative.“

            • Thorsten Haupts 26. März 2023, 21:43

              Jederzeit. Ich spare es mir, mit eigenen Zitaten aus demselben Artikel zu kontern (die etwas deutlich anderes sagen). Mir ging es um Deine pauschale Qualifizierung „die dadurch nicht richtiger wird“. Einigen wir uns auf „Die Behauptung ist umstritten“?

              Gruss,
              Thorsten Haupts

        • Lemmy Caution 26. März 2023, 11:35

          zu g) Das ist ein entscheidender Punkt über den ich z.Zt. oft nachdenke.
          Nicht unbedingt der Holocaust, aber das Gesamtbild des Rassenwahns der Nazis war ein koloniales Projekt.
          Slawen waren nach der widerwärtigen Logik der Nazis ein schwaches Volk ohne eigenen Willen, das Führung bedarf. In der Sowjetunion gerieten sie unter die Verfügungsgewalt der bolschewistischen Juden. Die Nazis wollten sie den Ariern als Arbeitstiere nutzbar machen.

          Wir stehen am Ende einer – aus meiner Sicht – 300-jährigen Epoche der absoluten Überlegenheit europäischer Staaten. Deshalb macht es Sinn, sich auch mit dem dunklen Kapitel der Kolonialgeschichte vertrauter zu machen. Weniger schwarz/weiß und in einer übermoralischen Einteilung in Täter und Opfer wie sich in Deutschland oft dem Thema angenähert wird, aber doch schon und zwar zz*. Europa verliert ansonsten in seiner Wahnehmung der Welt den Kontakt zur Realität.
          Im diesen Zusammenhang höre ich gerade mit wachsender Faszination das hier: https://www.youtube.com/watch?v=CHeDA7lL6dc

          —————-
          * ziemlich zügig

          • Stefan Sasse 26. März 2023, 14:16

            In der Sowjetunion gerieten sie unter die Verfügungsgewalt der bolschewistischen Juden.
            Wait what?

            • Lemmy Caution 26. März 2023, 23:56

              Nach der Nazi Ideologie waren Faschismus und Kommunismus „jüdische“ Ideologien.
              Ich halte diesen Wahn für hmm Wahn, aber so war ihre Ideologie.
              https://en.wikipedia.org/wiki/Jewish_Bolshevism

              • Lemmy Caution 26. März 2023, 23:57

                Korrektur:
                Kapitalismus und Kommunismus
                STATT
                Faschismus und Kommunismus.

                Faschisten waren sie ja selber.

              • Stefan Sasse 27. März 2023, 09:53

                Ja, nur sollte man solche Begriffe nicht ohne Anführungszeichen und entsprechende Kontextualisierung reproduzieren.

  • Erwin Gabriel 22. März 2023, 15:10

    2) Das Leben ist eine Baustelle

    … Investitionen in den Klimaschutz könnten das Wachstum erhöhen und Arbeitslosigkeit werde in den kommenden Jahren wahrscheinlich kein großes gesellschaftliches Problem mehr sein. Man kann anderer Meinung sein, aber man kann sie nicht so einfach wissenschaftlich widerlegen.

    Wow, das ist schon frech, eine unbewiesene Meinung zu verkünden und zu sagen, dass Andersmeinende das nicht wissenschaftlich widerlegen können. Welche Arroganz!

    Wie bei vielen anderen Umbrüchen wird es so sein, dass „alte“ Arbeitsplätze wegfallen und „neue“ Arbeitsplätze entstehen; da ich aber (nur um das Prinzip zu erklären) z.B. einen Bergmann nicht auf Programmierer umschulen kann, ist das ein Stückweit eine Milchmädchen-Rechnung. Selbst bei vergleichbaren Jobs in gleichen Branchen wird es schwierig: alte Kfz-Schlosser haben noch gelernt, wie man Vergaser einstellt, was die jüngeren nicht mehr können; die sind aber fit auf elektronische Auswertung moderner Motoren. Und ein gestandener Zeitungsjournalist von 50 Jahren mag Social Media konsumieren und ein Stück weit beliefern können, wird dort aber mit dem Nachwuchs nicht mithalten können.

    Meinungen sind keine Fakten.

    Sagt halt der Richtige …

    Aber ein großer Teil dieser Arbeit wird dafür aufgewendet werden müssen, das Land nach dem Stillstand der vergangenen Jahrzehnte fit zu machen für eine klimaneutrale Zukunft. Es geht jetzt erst einmal darum, den Wohlstand zu erneuern, …

    Ist ein Stückweit richtig …
    Aber auf die Art, wie man es gerade anpackt, wird es für viele enorme Wohlstandsverluste geben.

    Wir arbeiten jetzt, damit unsere Kinder einmal in einem Land leben, in dem die Bahn pünktlich kommt und noch genug Strom aus der Steckdose.

    Gottogott, wie weltfremd. Wie immer bin ich hin- und hergerissen zwischen Neid und Bewunderung für solch ein klares, idealistisches ideologisches, in keiner Weise durch die Realität beeinflusstes Weltbild, und dem Entsetzen über die Realitätsferne und das Totschweigen der enormen wirtschaftlichen Bedrohung, die die aktuellen Entwicklungen für viele bedeuten.

    Gerade die 1950er und früheren 1960er Jahre waren massiv von Verzicht zugunsten des „später“, vom Gedanken an dem „wir arbeiten, damit unsere Kinder es besser haben“, geprägt.

    Nicht, dass ich mich daran erinnern kann 🙂 . Man hat gearbeitet, um zu Verdrängen, wieder einen Wert zu haben und aus dem Nichts heraus zu kommen.

  • Erwin Gabriel 22. März 2023, 15:19

    g) Guter Thread zum Thema „Singularität des Holocaust“.

    Mir ist das inzwischen echt egal, ob der Holocaust links oder rechts, vorne oder hinten, in Kolonialismus oder als Singularität eingeordnet wird.

    Als Vertreter der Meinung, dass ein Gutteil der Menschlichen Prägung über Genetik und Veranlagung kommt, und die gesellschaftliche Sozialisierung nur eine dünne Deckschicht ist, die man leicht zum Abplatzen bringt, verstehe ich, dass es ähnliche Verbrechen immer wieder gab und geben wird. Ob es dann sechs Millionen Opfer oder „nur“ 6.000 Opfer sind, ist in der Regel keine Frage der Gesinnung, sondern der Situation. Und ob man nun aus rassistischen Motiven (wie Adolf Hitler und Konsorten) agiert, aus machtpolitischen (Josef Stalin, Idi Amin) oder aus rein ideologischen Gründen (Mao, Pol Pot), ist für die Opfer schnuppe. Diese art von Diskussion halte ich für überaus müßig.

    • Stefan Sasse 22. März 2023, 18:24

      Das sehe ich komplett anders, aber ich bin da glaube ich auch wesentlich mehr drin, da hat man dann immer mehr Bezug zu.

      • Erwin Gabriel 23. März 2023, 14:42

        @ Stefan Sasse 22. März 2023, 18:24

        Das sehe ich komplett anders, aber ich bin da glaube ich auch wesentlich mehr drin, da hat man dann immer mehr Bezug zu.

        Der Holocaust hat für mich durchaus das Alleinstellungsmerkmal der Versachlichung, „mechanisierten Verarbeitung“ von Menschen, so, als würde man Kohle verschiffen und verfeuern. Von daher störe ich mich nicht am Begriff „Singularität“.

        Aber – zugegeben, auf eine andere Art – singulär ist auch, eine mittlere bis hohe zweistellige Millionenzahl von Menschen umzubringen und sterben zu lassen, weil ein Mensch seine Meinung geändert hat.

        Diese menschenverachtende (bzw. die Opfer als Menschen nicht zur Kenntnis nehmende) Gleichgültigkeit gegenüber Schmerzen und Leid findet sich halt immer wieder, überall, jederzeit. Die Killing Fields in Kambodscha, die Hutu-Massaker in Ruanda, die 75 % der Tutsi-Minderheit auslöschten, die Jugoslawien-Kriege mit ihrer für so einen „kleinen“ Krieg unglaublichen, von oben institutionalisierten Brutalität (wie jetzt auch in der Ukraine durch russische Truppen zu sehen) …

        Ich unterscheide hier nicht großartig nach Tötungsverfahren, Organisationsgrad oder Anlass der Morde, sondern einfach danach, dass einige Menschen andere nicht mehr als solche wahrnehmen. Diese Art der Verdrängung ist keinesfalls singulär.

        Von meiner sozialen Erziehung her (Schule, Gesellschaft) bin ich geprägt, mich wegen der Nazi-verbrechen immer noch schlecht zu fühlen. Davon habe ich mich nie lösen können.

        Aber ich fühle mich so aufgrund der Größe des Verbrechens, aufgrund der Brutalität, aufgrund des zugrunde liegenden Rassismus etc., nicht, weil ich das als einzigartiges Verbrechen sehe.

        Wobei darin meiner Meinung nach auch die Gefahr liegt zu glauben, dass es sich nicht jederzeit wiederholen könnte. Und ich sehe Tag für Tag, dass es sich wiederholt.

        • Stefan Sasse 23. März 2023, 22:46

          Völkermorde sind nichts Neues. Die Singularität des Holocaust besteht in der Industrialisierung, in dieser Veradministrierung.

          Wenn es dir ein Trost ist, diese Art des Holocaust-Unterricht ist schon seit Langem perdu.

          • Erwin Gabriel 24. März 2023, 08:49

            @ Stefan Sasse 23. März 2023, 22:46

            Völkermorde sind nichts Neues. Die Singularität des Holocaust besteht in der Industrialisierung, in dieser Veradministrierung.

            Keine Einwände, die damalige deutsche Bürokratisierung war schon gnadenlos effizient. Aber Du hattest ähnliches auch in Kambodscha durch Pol Pot mit der Singularität, bei 7 Mio. Einwohnern knapp 2 Mio. Leichen erzeugt zu haben; die Singularität bei Mao lag in der unglaublichen absoluten Zahl von 40 bis 80 Mio. Toten (ein wahrhaft „großer Sprung“, aber nicht nach vorne, sondern in den Abgrund), und damit vermutlich mehr als insgesmt alles, was durch Nazi-Regime, Zweiter Weltkrieg etc. zusammengenommen zusammenkam.

            Ich schließe mich also Thorstens Standpunkt an.

            Wenn ich mich immer noch ein Stückweit mitschuldig fühle, liegt das nicht an der effizienten Bürokratie des Dritten Reichs, sondern an der Aufgabenstellung, der Zahl der Opfer und der Brutalität des Vorgehens.

    • Kning4711 23. März 2023, 09:08

      Zu j) Zukunft Israels

      Die Frage ist doch, was folgt für uns daraus? In dem ultra-orthodoxen Weltbild ist Israel deutlich größer – das geht über das Westjordanland oder den Gazastreifen deutlich hinaus.
      In jedem Falle ist mit einer solchen Regierung keine Entspannung oder kooperative Politik mit der arabischen Seite zu erwarten. Das fatale ist, dass es in der israelischen Sicherheitselite common sense ist, dass es keine Alternative zum Ausgleich mit den Arabern gibt, aber eben dieser Kurs politisch von verblendeten Hardlinern abgelehnt wird.

      Wenn wir ehrlich sind, ist der deutsche Einfluss auf die israelische Politik maximal begrenzt. Ich würde sogar sagen, dass die EU nicht in der Lage ist, eine gemeinsame Haltung zu definieren. Insofern können wir hier nur auf die USA hoffen.

      • Stefan Sasse 23. März 2023, 22:43

        Ich glaube nicht, dass wir irgendeinen nennenswerten Einfluss auf Israels Politik haben.

        • Kning4711 24. März 2023, 15:44

          Naja, als EU sind womit schon relevanter Handelspartner – vor geraumer Zeit wurde in Brüssel diskutiert, dass Produkte, die im von Israel besetzten Westjordanland produziert wurden entsprechend der Herkunft zu kennzeichnen sind. Die Idee dahinter war zu ermöglichen bestimmte Produkte zu boykotttieren. Es kam nicht dazu.
          Europa könnte Einfluss ausüben aber nur geeint.

          • Stefan Sasse 26. März 2023, 14:06

            Ja, ich bezog mich auf Deutschland. Aber ich sehe nicht, dass wir uns in dieses Brennesselnest setzen.

          • Lemmy Caution 26. März 2023, 20:28

            Ich halte es eine ausgesprochen gute Idee, die Ukraine mit Waffen aller möglichen Art zu versorgen. Die Ukraine liegt in Europa.
            Aber wenn Leute hier immer noch meinen, wir könnten Länder in anderen Regionen irgendwie zum moralischen Heil führen, dann sortieren sie manche Dinge anders ein als meine Person. Israel liegt im Nahen Osten. Der gehört nicht zu Europa.
            Die Vorstellung wirklich Einfluß auf politische Prozesse zu nehmen, ist in Deutschland nach wie vor weit verbreitet. Man merkte das übrigens auch in der massiven Unterstützung deutscher Parteistiftungen im desaströs geendeten Prozess der neuen chilenischen Verfassung letztes Jahr.
            Weiss eigentlich irgendwer was darüber, ob vielleicht die massive russische Einwanderung nach Israel in den letzten Jahren das politische System nach rechts gerückt hat?
            Ich habe viel Empathie mit den Demonstranten gegen Netanyahu in Israel, obwohl ich sehr wenig über das Land weiss. Wenn sich die Rechten durchsetzen, würde ich mich auf diese Position zurückziehen -> https://www.youtube.com/watch?v=Adgx9wt63NY . Und ich hoffe, dass dieses Land das genauso sieht.

  • Ariane 23. März 2023, 11:18

    2) Leben = Baustellen

    Naja, dass auch ein Windrad zum Wirtschaftswachstum beiträgt, ist ja nun nicht so die krasse Erkenntnis. Ganz Deutschland abzureißen ja irgendwie auch, ist ja viel Arbeit 😛

    Aber der Vergleich mit dem WiWu hinkt auf mehreren Ebenen, mal abgesehen davon, dass es so krasse Wachstumsraten vermutlich eh nicht mehr gibt, vor allem auf psychologischer Ebene. Ein Neu-/Wiederaufbau ist einfach was ganz anderes als ein Umbau, ob nun wegen Klima oder sonstwas. Es fehlt dieses Gefühl, dass es „immer besser wird“.

    5) Gamer
    Schöner Artikel. Mein Freund, ich und manchmal paar andere Leute spielen gelegentlich warframe zusammen (das ist so eine Art Feierabend-Shooter, man macht im Weltraum so verschiedene Missionen miteinander gegen „Gegner“)
    Und da gibts häufiger Diskussionen, weil ich ja eher Casual Gamerin aus Leidenschaft bin und überhaupt nicht den Ehrgeiz hab, den höchsten Level mit der besten Ausrüstung zu haben. Ich will abends ne Stunde was Schönes spielen und dann ist gut. Und das kann man natürlich auch mit sehr viel mehr Ehrgeiz angehen^^

    Und diese klassische Gamerszene gibts natürlich immer noch und ja, die guckt gerne auf Casual Gamer hinunter. Der Baumhaus-Vergleich aus dem Artikel passt auch gut. Und die Hardcore-Gamer haben natürlich ne viel stärkere Community und Exklusivitätsgefühl als so Casual Gamer, die mit dem drumrum nichts zu tun haben wollen.

  • cimourdain 23. März 2023, 15:25

    1) Der „fruchtbare Wettbewerb“ der Ideen ist eine Illusion, da dieser ‚Wettbewerb‘ vor allem darin besteht, welche Seite die andere besser ausgrenzen, zensieren und verbieten kann. Ein Verhinderungswettbewerb, der im Verdacht steht, die jeweils lautere, besser organisierte und radikalere Seite zu bevorzugen.

    2) Gerade die 50er und 60er Jahre waren von der Idee geprägt, dass Wohlstand wortwörtlich von rauchenden Schornsteinen kommt. Produktives Wirtschaftswachstum – egal ob in Konsum oder Investition – kostet Ressourcen und Energie, deren Klimakosten wohl eher externalisiert würden.

    3) Auch wenn ich nichts von der Neuauflage früherer „Flottenpolitik“ halte, hier ein Hinweis, was Frankreich anders macht: mittelfristige Planung und Transparenz. Alle 5 Jahre wird ein „Gesetz zur Planung des Militärs“ erlassen, das Ziele und ein Gesamtbudget des Militärhaushalts festsetzt. Dazu veröffentlicht die Regierung ein Weißbuch mit Dokumenten und Erläuterungen

    4) Deine Aussage „…oder die Parteispenden durch die Autoindustrie für die CDU.“ ist zwar nicht falsch, verschleiert aber die Tatsache, dass der Verband Gesamtmetall und seine Regionalverbände (z.B. VBM) die treuesten Großspender (inklusive bewusster Spenden über € 50.001 ) der meisten Parteien ( CDU, CSU, FDP, Grüne, SPD) sind.

    5) Der Artikel macht einen unglaublich beliebten Fehler: Er „entlarvt“ ein Klischee, indem er es selbst repetiert. Die unterschiedliche Motivation von Spielern ist schon lange bekannte (und geübte) Wirklichkeit: Die Bartle-Klassifikation ist von 1996. Dann bringt er viel hinein [Was hat „Gamergate“ jetzt damit zu tun, außer dass sich eine unangenehme Minderheit als „Hüter des wahren Gaubens“ aufspielt?], übersieht aber mit „Pay-to-win“ [und den Debatten darüber] eines der interessantesten Phänomene in diesem Zusammenhang.

    a) Interessant, dass hier zwei unterschiedliche Punkte zusammengebracht werden : Auf der einen Seite die Idee „Bewusstsein für systembedingte Ungerechtigkeiten“ und zum anderen das Engagement (und damit die Methodik), aktiv dagegen vorzugehen. Und damit ist der Doppelaspekt Sehen/Handeln komplett in der Idee selbst angelegt. Da muss man nicht konservativ sein, um sich an die „Propaganda der Tat“ früherer linksradikaler Gruppen zu erinnern.

    k) Natürlich ist es für die Praxis kaum von Belang (für die Wissenschaft schon). Nur war eine der Deutungen vor zwei Jahren politisch begründet Staatsräson und Zweifel daran „Verschwörungstheorie“. Unter diesem Aspekt stellt sich auch die Frage, ob das Wiederaufwärmen dieses Themas nicht auch politisch motiviert ist.

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