Wahlrechtsreformen bei werden Rentner*innen in Sizilien verboten, wenn sie sich auf die Friedrichstraße kleben – Vermischtes 29.03.2023

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Das war unnötig rücksichtslos

Der größte Schaden aber ist: Die Reform verliert den Anschein der Unparteilichkeit. Mag sein, dass das Wahlrecht ohne die Grundmandatsklausel schlüssiger ist. Aber eine Wahlrechtsreform ist kein Modellbau, sondern eine Operation am lebenden Körper der Demokratie. Die Opposition hat recht: Eine in ihren Folgen potenziell so dramatische Änderung so eilig durchzuziehen, die allein auf Kosten der politischen Gegner geht, ist „ein Akt der Respektlosigkeit“, wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte. Ein gutes Wahlrecht sollte Jahrzehnte halten. Dass die Ampel erst Anfang dieser Woche, wenige Tage vor der Abstimmung, ihren Reformentwurf an so entscheidender Stelle geändert hat, macht es noch schlimmer. Diese Eile hat das Thema nicht verdient. Dass FDP-Fraktionschef Christian Dürr noch am Vorabend der Abstimmung andeutete, man könne über die Details ja noch mal reden, verstärkt den Eindruck der Überstürztheit noch.  […] Wahrscheinlicher ist die zweite Erklärung: Teile der Ampel, insbesondere die Liberalen, hatten die falsche Hoffnung, durch die Last-minute-Änderungen noch Abgeordnete der CDU auf ihre Seite zu ziehen. SPD und insbesondere Grüne haben das zähneknirschend mitgetragen, weil auch sie nicht erkannt haben, was die Pläne für die CSU bedeuten können. Noch drei Tage vor der Abstimmung gab es Spitzenpolitiker verschiedener Parteien in Berlin, die die Wirkung noch nicht überblickt hatten. Die überstürzte Abschaffung der Grundmandatsklausel ist ganz einfach schlechtes politisches Handwerk. Regierung und Opposition stehen nun in der Pflicht, eine Lösung zu finden, die die regionale Repräsentation weiter ermöglicht, ob in Bayern oder anderswo, ohne dabei das ansonsten faire neue Wahlrecht wieder zu zerschießen. (Lenz Jacobsen, ZEIT)

Ich teile die Kritik zu 100%. Eine Wahlrechtsreform, die zum Ergebnis hat, dass die CSU nicht in den Bundestag kommt, ist ein Problem, Punkt aus Ende. Egal, wie schlüssig sie in sich ist (und ich habe hier ja schon darüber geschrieben, dass ich die Reform insgesamt gut finde). Würde man das Wahlsystem neu aufbauen – quasi Stand 1949 oder in einem hypothetischen Neustart 1990 – dann wäre das was anderes. Aber es ist eine Operation am offenen Herzen, da spielt das keine Rolle.

Bezüglich der rechtlichen Situation sind die Argumente von Christoph Möllers, einem der beratenden Verfassungsrechtler, zum einen sehr interessant zu lesen; zum anderen finde ich aber vor allem seinen Hinweis darauf relevant, dass es sich um politische Fragestellungen handelt und welche Bedeutung der Kompromiss eigentlich hat. Der Verfassungsrechtler Christoph Schönberger (eine Armee von Christophs…) argumentiert, warum die Grundmandatsklausel das verfassungsrechtliche Problem war und nicht ihr Entfall. Eine Übersicht über die aktuelle Meinungslandschaft hat die taz.

Etwas heuchlerisch allerdings sind die Krokodilstränen der Union natürlich schon. Der CDU-Plan war jetzt ja auch nicht eben…unparteisch. Hier wäre auch ein sehr guter Kommentar von Max Steinbeis, der über die Rolle der CSU in dem Skandal spricht. Die haben über ein Jahrzehnt jede Reform blockiert, die ihnen nicht Vorteile gebracht hätte. Das rächt sich jetzt, wo eine Koalition bereit ist, Nachteile für sich zu akzeptieren.

Der Kommentar von Stefan Niggemeier zuletzt, dass die Größe nicht das Problem ist, kann ich auch nur unterschreiben; ich habe in diese Richtung schon oft argumentiert.

2) »Wenn wir global bei 3 Grad landen, drohen Deutschland etwa 6 Grad« (Interview mit Stefan Rahmstorf)

In einer aktuellen Umfrage des ZDF-Politbarometers glauben 74 Prozent der Befragten, dass es die Welt in den nächsten Jahrzehnten nicht schaffen wird, den Klimawandel zu bekämpfen. Teilen Sie diese Meinung?

Stefan Rahmstorf: Die Menschen sehen, dass die Politik bislang dem Klimawandel nicht wirksam entgegentritt. Das entscheidende Maß dafür sind die weltweiten Treibhausgase, insbesondere die CO2-Emissionen. Und die steigen bekanntlich immer weiter. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat gerade erst vermeldet, dass 2022 die weltweiten Subventionen für den Verbrauch fossiler Brennstoffe auf über eine Billion US-Dollar angestiegen sind. Das zeigt, dass wir den Klimawandel finanzieren – und nicht etwa bekämpfen. […]

Nimmt die aktuelle politische Führungsriege den Klimaschutz in Deutschland ernst?

Eigentlich nur die Grünen. Mein Eindruck ist: Die FDP bremst, wo sie kann. Der Kanzler hat sich als Klimakanzler im Wahlkampf plakatieren lassen, ich vermisse da aber ein deutliches Engagement. […] Mich würde interessieren, ob alle Abgeordneten im Bundestag überhaupt einmal die kurze Zusammenfassung für Entscheidungsträger der IPCC-Berichte im Original gelesen haben. Ich habe den Eindruck, dass viele da ihre Hausaufgaben nicht machen und sich nur aus den Medien über den Klimawandel informieren – das darf nicht sein. (Marianne Falck, Spektrum)

Ich weiß nicht, wie realistisch die Befürchtung von sizilianischen Temperaturen in Deutschland ist – wenn das tatsächlich der Fall wäre, dann sind wir einfach global fucked. Da wären so weite Teile der Welt schlicht unbewohnbar, dass die menschliche Zivilisation kollabieren muss. Aber was ohne Zweifel zutrifft ist, dass der Ernst der Lage in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen steht, die wir ergreifen. Und ja, die Grünen sind die einzige Partei, die den Klimawandel halbwegs ernst nimmt, aber auch deren Policies sind geradezu lachhaft im Angesicht der Aufgabe. Klar, die sind eine 16%-Prozentpartei in einer Koalition, da geht nichts anderes, das ist mir schon klar. Aber an und für sich müssten wir massiv Dinge tun, und nicht kosmetische Solarpanele an Autobahnen aufstellen, damit die FDP ihre nutzlosen eFuels fördern darf.

3) Why the higher paid should work longer than the rest

Broadly speaking, there are two kinds of workers: the low paid and the high. The high paid tend to study well into their twenties and then might spend years choosing a career. They have lots of autonomy at work, sometimes with an office and even a toilet to themselves. They control their own schedules, ratchet up their salary and status over time and decompress during holidays by the pool. Some never want to retire. The high typically live into their eighties. Then think of low-paid workers like cleaners, cashiers and construction workers. They often enter vocational training in adolescence and start work by 18. They have little autonomy: they used to be bossed around by humans, and now increasingly by algorithms, which count things like how many calls they make. Many spend years out of work, incapacitated or unemployed. They have jobs, not careers. At 60, they might still be scrubbing floors for the minimum wage.  […] It’s cruel to make both groups work until the same age. […] If everyone worked 43 years, the garbage collector might retire at 60 and the lawyer at 67. France’s nationwide debate persuaded the government of that. Its revised plan takes account of “long careers”: people who started work before 16 can retire at 58, while those who started by 18 can leave at 60 and so on. Recommended Europe French strikes over pension reform move into ‘higher gear’ But given the class chasm, retirement ages should probably be even more gradated. True, that would make the pensions system more complex. […] But in this case, complexity is fairer. (Simon Kuper, Financial Times)

Ich finde es gut, dass Kuper die Bedeutung der Bezahlung statt der Qualifikation betont. Zu häufig läuft die Debatte entlang der Scheidegrenze der Akademiker*innen, während die relevante Frage aber schlicht die des Geldes ist: nicht alle Akademiker*innen verdienen auch nur ansatzweise gut (fragt mal Sozialarbeiter*innen). Und ich halte das hier Vorgeschlagene auch für grundsätzlich fair. Ich würde sogar weiter gehen und das Renteneintrittsalter komplett aufheben und den Eintritt stattdessen von der Arbeitsunfähigkeit abhängig machen (bestätigt durch doppeltes amtsärztliches Gutachten oder so, mit der freiwilligen Option, nach X Jahren mit vollen Bezügen aufzuhören, wie Kuper das skizziert). Das ändert grundsätzlich erst einmal nichts an den Optionen, aber ist ein Paradigmenwechsel in der Art, wie wir Arbeit betrachten: wer einen spannenden, körperlich nicht anspruchsvollen Job hat, kann problemlos weitermachen, wer dagegen malocht, hört entsprechend früher auf. Keine Ahnung wie realistisch das ist, aber seit ich das bei Ebert gelesen habe, lässt mich die Idee nicht mehr los.

Der DLF hat ein gutes Feature zu den aktuellen Protesten in Frankreich, das angenehm unaufgeregt und objektiv ist. Wer auf der Suche nach was Aufregenderem ist, findet hier bei Nikolaus Blome eine harsche Verurteilung von Linken, Kommunisten und anderen Feinden der Freiheit oder hier bei Nils Minkmar ein Lob des Streiks.

4) Brauchen wir wirklich so viele Verbote? – Streitgespräch zwischen Johann Lilliestam und Ottmar Edenhofer

Lilliestam: Aber wir wissen doch jetzt schon, was nicht kommen wird. Zum Beispiel sind E-Fuels für Pkw keine Lösung. Ihre Produktion braucht viel zu viel Strom. Die muss man verbieten. Oder Wasserstoff: In den letzten Wochen wurde zum Beispiel vorgeschlagen, dass man Heizungen mit Wasserstoff nicht verbieten sollte. Aber das funktioniert nicht. So etwas kann man ruhig verbieten. […] Wenn wir total technologieneutral sein wollen und nicht einmal den Wasserstoff zum Heizen ausschließen, dann müssen wir jetzt Rohre bauen, damit der Wasserstoff dort auch hinkommt. Bis zum letzten Haus. Nur weil wir hoffen, dass Wasserstoff vielleicht kommen könnte. Deshalb ist es wichtig, Technologien zu verbieten: damit man die Investitionen richtig lenken kann, und den Erfindungsreichtum auch. […]

Sagen wir, der CO2-Preis funktioniert. Bei den Wählern ist er trotzdem auf jeden Fall unbeliebt. Haben die ihn nur nicht verstanden, oder haben sie einen Punkt?

Edenhofer: Die Wähler haben schon einen Punkt. Wenn CO2-Preise eingeführt werden, belasten sie arme Haushalte stärker als reiche Haushalte. Das muss sich ändern: Wenn die Politik das eingenommene Geld wieder auszahlt, zum Beispiel für alle gleich viel, dann profitieren die armen Haushalte, und dann steigt auch die Akzeptanz. Dann müssen die Wähler natürlich der Politik glauben, dass sie das Geld auch wirklich auszahlt. Und da sehe ich tatsächlich ein größeres Problem.

Lilliestam: In Kanada und der Schweiz gibt es solche Rückzahlungen, und die steigern die Akzeptanz überhaupt nicht. Ich habe selbst in der Schweiz gearbeitet und habe erst nach fünf Jahren ­verstanden, was dieser komische Eintrag in den Abrechnungen bedeutet hat, die ich von der Krankenkasse bekommen habe. […]

Herr Lilliestam, das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen stößt jedenfalls auf Widerstand. Dass Habeck dieses Verbot durchsetzen kann, ist auch noch nicht bewiesen.

Lilliestam: Aber beim CO2-Preis kann ich als Mieter gar nichts anderes tun, als sauer zu werden. Ich habe eine Wohnung in Berlin gemietet und zahle dort seit zwei Jahren den CO2-Preis. Ich kann aber nichts dafür tun, dass ich Energie spare. Ich kann nicht selbst meine Fenster dämmen und nicht selbst die Heizung auswechseln. Das muss der Vermieter machen. Doch der tut nichts, er sieht ja den CO2-Preis nicht wirklich. (Patrick Bernau, FAZ)

Wenig überraschend bin ich wesentlich mehr bei Lilliestam als bei Edenhofer; ich hatte eine ähnliche Kritik am CO2-Preis ja schon vor Längerem formuliert. Ich möchte besonders sein Argument hervorheben, dass Investitionen nicht verschwendet werden sollten: schon Keynes wies darauf hin, dass wir uns „alles leisten können, was wir tun können“, aber eben nicht alles zugleich. Es macht daher nur eingeschränkt Sinn, da Verschwendung zuzuschauen. Auf der anderen Seite ist es natürlich superschwer, staatlicherseits die Gewinner herauszupicken. Eine echte Drahtseilwanderung. Ich teile auch Lilliestams Kritik an der Akzeptanz des CO2-Preises; da kommt aber bald noch was Ausführlicheres dazu. Das Problem, dass der CO2-Preis zwar alle belastet, auch die, die ihr Verhalten nicht ändern können, ist auch eine Blindstelle dieses Systems in meinen Augen, weil die Externalisierung von Kosten gerade bei Mietverhältnissen sehr leicht ist.

5) Order Prevails

The sociologist Oliver Nachtwey has written that German society is undergoing a process of ‘regressive modernization’, whereby cultural liberalization and increased inclusion of women and minorities occurs alongside the hardening of class-based inequalities and declining social mobility for the lower segments of the population. This transformation can also be seen in the political arena, where the Greens are increasingly the object (and occasionally the subject) of American-style culture wars, with spats between them and the CDU erupting over electric cars and vegetarian meals in schools, obscuring their broad agreement on most major issues. In Berlin, this ‘hyperpolitical’ antagonism has centred on the government’s attempt to turn the Friedrichstrasse, a main thoroughfare in the city centre, into a pedestrian boulevard – a fitting hill to die on for a CDU looking to score points among disgruntled commuters and anyone else suspicious of change, however cosmetic. […] For the left, the shifting winds in the capital can only be seen as a defeat. For the thousands of Berliners who spent months collecting signatures to get the 2021 referendum on the ballot and campaigning for its passage, it’s back to the drawing board. At the time, the referendum seemed to mark a watershed in the city’s approach to its spiralling rent problem and a breakthrough for the left wing of civil society. Yet paradoxically, even though the non-binding decision hinged entirely on parliament’s willingness to implement it, the only party that unequivocally advocated doing so, Die Linke, received a worse result in 2021 than it had in the previous elections. (Loren Balhorn, New Left Review)

Balhorns Beobachtung, dass die Grünen „increasingly object and occasionally subject“ von Kulturkriegen sind, halte ich für absolut zutreffend. Für das bürgerliche Lager sind die mittlerweile ein Blitzableiter, eine beständig verfügbare Folie, von der man sich wirksam abgrenzen kann – auch durch absurdeste Grabenkämpfe. Das Beispiel der Friedrichstraße ist dafür wirklich super; von beiden Seiten symbolpolitisch überhöht und seiner realen Wirkung längst enthoben. Auch die Beobachtung, dass genau die Partei am meisten Stimmen verloren hat, die als einzige das Referendum der Mietpreisbremse umsetzen will, zeigt mir vor allem wieder eines: wie bescheuert diese Policy-Plebiszite sind. Sie wecken jedes Mal unerfüllbare Erwartungen und treiben nur das Kreisrad der Politikverdrossenheit an.

Resterampe

a) Warum steigende Zinskosten für die Bundesregierung kein Problem sind.

b) Die Militärausgaben der US-Polizei (!) sind völlig absurd.

c) Neue Batterietechnologie könnte eAutos drastisch billiger machen – und wird in China entwickelt, wo man diesbezüglich nicht so ideologisch verblendet ist wie hier. Ich kann nicht beurteilen, wie realistisch das ist, aber ich bin zuversichtlich, dass das insgesamt als Trend stattfindet. eFuels bleiben in meinen Augen ein Irrweg.

d) In Berlin-Kreuzberg werden bei einem Modellprojekt Parkplätze entfernt. Auch das ist ein Trend, der in Deutschland zwar mit Verspätung kommt, aber sich verbreiten wird – und muss.

e) FAZ-Rezension des Putin-Buchs von Michael Thumann.

f) Habecks Kommunikation zum Thema Heizungen ist eine Vollkatastrophe.

g) Das Verkehrsministerium will künftig eFuels mit zwei Milliarden Euro jährlich fördern, weil Subventionen total schlecht sind und die Marktwirtschaft technologieoffen entscheiden soll. Roger.

h) Der Schufa-Score gerät unter Beschuss. Zurecht.

i) Interessanter Podcast zum sozialen Wohnungsbau in Wien. Eine ziemliche Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass das durchaus geht, wenn man es richtig macht.

j) Ich halte die Taktik von CDU/CSU, die FDP als eine linke Partei zu framen, wahlkampftaktisch für sehr sinnvoll, so quatschig sie inhaltlich auch ist.

k) Die New York Times hat ein Feature, wonach endlich bewiesen ist, dass Reagan die Befreiung der Geiseln bis nach seiner Inauguration zu verhindern versuchte. Kevin Drum hat da zwei gute Einordnungen.

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  • Stefan Pietsch 29. März 2023, 11:24

    1) Das war unnötig rücksichtslos

    Wie die Alt-Grüne Harms sagt: wir erklären überall auf der Welt, das Wahlsystem nur zusammen mit der Opposition zu machen – und was machen wir in Deutschland? Wie Robin Alexander von der WELT sagt: Der Ampel ist die Macht zu Kopf gestiegen. Sie verhält sich ja nicht nur in diesem Punkt maximal rücksichtslos und das immer wieder gegen die gemäßigten Oppositionellen von der Union.

    Die Ampelianer setzen ein Wahlrecht, das sie maximal begünstigt. Beispiel Bayern: Nach dem neuen Gesetz käme der einzige direkt gewählte Vertreter des wichtigsten Bundeslandes von den Grünen, wenn die CSU die 5%-Hürde reißen würde. Wer das noch für demokratisch hält, hat einen Vollschatten.

    2) »Wenn wir global bei 3 Grad landen, drohen Deutschland etwa 6 Grad« (Interview mit Stefan Rahmstorf)

    Wie so oft führen die Deutschen die dümmsten Debatten der Welt. Und nein, die Grünen haben nichts begriffen. Ein Investment von 10 Milliarden Euro in den brasilianischen Regenwald ist um ein Vielfaches ertragreicher als mit 10 Milliarden Euro zu versuchen, den automobilen Verkehr in Deutschland zu reglementieren. Derzeit liegt der CO2-Preis für 1 Tonne Einsparung bei 90 Euro. Um die Tonne in der Automobilindustrie einzusparen, sind über 2.000 Euro erforderlich. Deutschland ist, wo Preise nicht zählen.

    Aber an und für sich müssten wir massiv Dinge tun, und nicht kosmetische Solarpanele an Autobahnen aufstellen, damit die FDP ihre nutzlosen eFuels fördern darf.

    Fürs Protokoll: die FDP will eFuels nicht fördern, wie das Grüne mit ihrer Solartechnologie wollen, sondern sie wollen sie ermöglichen. Wenn richtig ist, was die Gegner sagen, wo ist dann das Problem? Wenn eFuels nicht sinnvoll weil zu teuer sind, wird sie niemand kaufen. Wozu dann verbieten? Eben weil die Grünen und die angeschlossenen Institute und Organisationen nur einen Weg ermöglichen.

    • Stefan Sasse 29. März 2023, 13:09

      1) Wie gesagt, ich teile die Kritik völlig. Man sollte aber auch sehen, dass die Vorschläge der CDU genauso unbrauchbar waren und sie jahrelang eine Reform blockiert hat. In der Geschichte sieht echt niemand gut aus.

      2) Ich sehe wenig Vorschläge für Investitionen in den brasilianischen Regenwald.

      Das mit den eFuels ist schlicht falsch. Bald mehr dazu.

      Davon abgesehen: wie ich selbst schrieb sind die Policy-Vorschläge der Grünen nicht eben hilfreich. Aber sie haben mehr begriffen als alle anderen.

      • Stefan Pietsch 29. März 2023, 14:26

        1) Die Union hat zu keinem Zeitpunkt das Ziel verfolgt, eine Wahlrechtsreform gegen die Opposition durchzusetzen. Wie stellt sich die Ampel das zukünftig vor? Bekommen wir im 4-Jahres-Turnus ein neues Wahlrecht. Die Ampel hat ein Tabu verletzt und das ist wirklich verwerflich.

        Der eigentliche Verbrecher ist ja das Bundesverfassungsgericht, das mit Urteil von 2013 den Ausgleich sämtlicher Direktmandate verlangte.

        2) Du solltest vielleicht mal Lula zuhören. Die Vorschläge sind ja nicht so neu. Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens sieht explizit vor, dass CO2-Ersparnisse in anderen Ländern gegengerechnet werden können. Warum nutzen anders als bei Kyoto die EU, die Grünen, die Deutschen nicht diese Möglichkeiten?!?

        Die Grünen haben nicht mal die Grundlage von dem begriffen, auf dessen Basis sie seit Jahren diskutieren, argumentieren und fordern. Was haben sie dann überhaupt begriffen? Der Berliner Volksentscheid hat gezeigt, dass die Partei nicht einmal die Basics der Klimaerwärmung begriffen haben. Nur weil jemand alles verbieten will, zeigt das noch längst kein Problembewusstsein.

        • Lemmy Caution 29. März 2023, 15:07

          3) volle Zustimmung. In einem Nachbarprojekt arbeitet ein 73 jähriger Cobol Programmierer. Der geht gerne zur Arbeit. Ab 60 will ich in eine 32 Stundenwoche wechseln, dann langsam die Arbeitszeit weiter verringern und dann vielleicht bis in die 70er weitermachen.
          Ich habe seit der Anfangszeit in der IT nicht so viel Zeit in die Fortbildung investiert wie jetzt und zwar einfach weil es mir Spaß macht. Dabei konzentriere ich mich auf unmittelbar beruflich einsetzbare Themen, also Spring mit Kotlin, Spring mit Quarkus, komplexes SQL, Java-Bereiche wo ich nicht so gut bin, Architektur, JavaScript/Typescript
          Irgendwie muss dann aber der Mitteltransfer von den Spaß-an-der-Freud Arbeitern zu den Malochern organisiert werden. Ich wäre sofort dabei.

          • Lemmy Caution 29. März 2023, 15:42

            falsch einsortiert.

          • Stefan Pietsch 29. März 2023, 16:48

            Ich habe Lula nicht politisch bewertet. Er vertritt einer längere Linie der brasilianischen Politik.

            Für alle, die im Portugiesischen nicht so beheimatet sind und die sich nicht ellenlange Namen merken, diese aber auch nicht per Copy&Paste aus Wikipedia einfügen wollen, sind vier Buchstaben ganz praktisch.

            • Lemmy Caution 29. März 2023, 17:40

              die zentralen längeren Linien der brasilianischen Politik, die ich sehe sind:
              a) Korruption
              b) Plünderung der Staatskassen
              c) Sonntagsreden halten
              d) sinnlose ideologische Streitereien
              e) irgendwelche dudes auf der Straße für Chaos mobilisieren

              Sorry, aber wir sollten nun echt mal sagen: Lateinamerikanische Politik, ES REICHT!

              • Thorsten Haupts 30. März 2023, 14:37

                Ich habe da ja nur einen sehr anekdotischen Einblick per Medienberichten, aber bei mir hat sich der Eindruck fest verwurzelt, dass in Südamerika – als Regelfall ! – Funktionseliten/Regierungen mehr an Krawall und persönlicher Bereicherung interessiert sind, als an praktischer Problemlösung für ihre Völker …

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Lemmy Caution 30. März 2023, 18:44

                  Naja. So ist das auch nicht.
                  Vieles hat sich aber in den letzten 10 Jahren eher verschlechtert, was mich für Chile überrascht hat.
                  Z.Zt. schlägt auch ein strukturelles Problem der globalen Finanzmärkte zu: In globalen Krisen werden Finanzinvestitionen aus Südamerika abgezogen, einfach weil die Region generell als riskant gilt. Das verschärft dann die Polarisierung des Diskurses und den Vollhonks.

        • Lemmy Caution 29. März 2023, 15:25

          Lula zuhören…
          Du meinst wohl Luiz Inácio da Silva? Warum verwenden alle bei ausgerechnet dem einen Knuddelnamen?

          Ich halte den seit Mitte seiner 1. Amtszeit, also etwa 2005, für eine absolute Luftnummer. In den 3 Jahren vorher profitierte er von der für brasilianische Verhältnisse recht guten Arbeit seines Vorgängers Cardoso. Natürlich nimmt der gerne woanders erarbeitetes Geld entgegen.

        • Stefan Sasse 29. März 2023, 18:56

          1) Hah! Die hätte damit null Problem gehabt, wenn sie FDP oder SPD auf ihre Seite bekommen hätte. Was die Union nicht geschafft hat ist ein mehrheitsfähiges Wahlrecht auf die Beine zu stellen. Sie hatten nur eins für sich. – Und ja! Ich sag es immer wieder, das BVerfG macht einfach zu viel Politik.

          2) Der Berliner Klimaentscheid hat doch mit den Grünen nix zu tun?

          • Stefan Pietsch 29. März 2023, 21:43

            1) Schäuble hat immer das Gegenteil gesagt. Natürlich kannst Du behaupten, die Union sei so ruchlos, sich so opportunistisch zu verhalten. Aber Du singst da nur das Lied des ehrlosen Politikers. Und warum? Weil Du es anscheinend nicht ertragen kannst, wenn Dein Lager schlecht aussieht.

            Das Bundesverfassungsgericht trifft manchmal Entscheidungen, die praktisch fast unmöglich umzusetzen sind. Das ist ein Problem.

            2) Guckst Du da:
            https://gruene.berlin/berlin-2030

            Wieder ein Fall, wo Du nicht wahrhaben willst, wie spinnert die Grünen sind.

            • Stefan Sasse 29. März 2023, 22:55

              1) Können nicht alle so unbestechlich objektiv sein wie du.

              2) Hm, weird, da war ich falsch informiert. Danke.

    • sol1 29. März 2023, 13:29

      „…und das immer wieder gegen die gemäßigten Oppositionellen von der Union.“

      Was ist an dem Vorschlag eines Grabenwahlrechts gemäßigt?

      • Stefan Pietsch 29. März 2023, 16:45

        Zur Erinnerung: Wir debattieren über ein elementares Gesetz der Regierung. Eine Regierung macht Gesetze, Opposition und Öffentlichkeit bewerten sie. So in etwa.

      • Stefan Sasse 29. März 2023, 18:50

        Nichts, aber es lässt sich als Vorwurf gegen die Ampel nutzen.

    • Lemmy Caution 29. März 2023, 14:32

      zu 2:
      SP: Wie so oft führen die Deutschen die dümmsten Debatten der Welt. Und nein, die Grünen haben nichts begriffen.
      LC: In der ganzen Welt werden diese Debatten geführt. Nur die Deutschen glauben sich so speziell, dass sie als einzige *ernsthaft* an Klimaschutz interessiert sind. China verdoppelte 2022 die Produktion von Solarpanelen. Glaubt jemand ernsthaft, dass die nur in Deutschland gekauft werden?

      SP: Ein Investment von 10 Milliarden Euro in den brasilianischen Regenwald ist um ein Vielfaches ertragreicher als mit 10 Milliarden Euro zu versuchen, den automobilen Verkehr in Deutschland zu reglementieren.
      LC: What?!?? Wir können in Brasilien überhaupt Null und Nüße kontrollieren. Die Verhandlungen für solche Vorhaben allein würde Jahrzehnte dauern… und dann wartet noch die Ratifizierung. Wenn das Ganze dann anläuft: Das Geld nehmen die gerne und dann passieren seltsame Dinge und die halten sich kalt lächelnd nicht an die Abmachungen.
      Das sollten wir lieber den Chinesen überlassen, die vielleicht im Zweifel irgendwann anfangen zu drastischen Maßnahmen greifen, um den Vertragspartner zu Wohlverhalten zu zwingen.

      Langsam verstehe ich das Problem der Überalterung. Zu viele Leute sind nicht flexibel genug, um auf liebgewonnene Marotten zu verzichten. Sie nennen das dann Freiheit. Wenn wir in 5 Jahren jede Glaubwürdigkeit in Schwellenländern verloren haben, weil es die chinesische Diktatur besser mit der Energiewende hinbekommt, kauf ich mir eine Xi-Bibel, falls es die dann gibt.
      La Chinoise II
      https://www.youtube.com/watch?v=5ecMgcTpmdw
      übrigens ein nach wie vor sehenswerter Film über die 60er Jahre.

      • Stefan Pietsch 29. März 2023, 16:58

        [Ein Investment von 10 Milliarden Euro in den brasilianischen Regenwald ist um ein Vielfaches ertragreicher als mit 10 Milliarden Euro zu versuchen, den automobilen Verkehr in Deutschland zu reglementieren.]
        LC: What?!?? Wir können in Brasilien überhaupt Null und Nüße kontrollieren. Die Verhandlungen für solche Vorhaben allein würde Jahrzehnte dauern…

        Vielleicht. Aber zum Glück gibt’s ja Vorarbeiten. Aber kleine Kunde in internationalem Recht. Für Deutschland verhandelt die EU die Verträge über Außenhandelsbeziehungen. Da gibt es bekanntlich das Mercosur-Abkommen. Praktischerweise ist es auch die EU, die das Pariser Klimaabkommen verhandelt hat. Und wo wir schon bei Klimaabkommen sind: Das Kyoto-Protokoll sah nicht nur so eine Anrechnung vor. Unter UN-Regime wurde es auch mandatiert, monitort und kontrolliert. Du siehst, wir fangen nicht bei A an, sondern sind bei X angekommen.

        Ich halte es für nicht tragbar, 2.000 Euro zu nehmen um damit eine Tonne CO2 einsparen zu wollen, wo das um einen kleinen Bruchteil günstiger zu haben ist. Haben wir wirklich so üppig das Geld? Dann weiß ich nicht, warum wir über Armut in Deutschland diskutieren und warum sich manche Haushalte angeblich nicht mehr die Heizung und den Strom leisten können. Das halte ich dann für ein Gerücht.

        Und bitte, Lemmy, Beleidigungen, so elegant sie auch daher kommen mögen, stehen Dir definitiv nicht.

        • Lemmy Caution 29. März 2023, 17:28

          Die aktuelle Erweiterung des EU – Mercosur Abkommen wurde 20 Jahre verhandelt, galt letztes Jahr als fertig und ist bis heute weder in Europa noch in den Mitliedsländern des Mercosur ratifiziert. Genau dies hatte ich im Hinterkopf.
          Zwar konnte in der ansonsten richtig katastrophalen Dilma-Amtszeit tatsächlich die Abholzung des Regenwaldes verlangsamt werden, aber ich würde gegen eine Wiederholung dieses Erfolges wetten. Die in diesem Südsommer schlimmen Waldbrände in Chile weisen für mich darauf hin, dass der brasilianische Regenwald viel stärkere Auswirkungen auf das Klima der Region als auf das der Welt hat. Wir sollten uns eher auf unser Umfeld konzentrieren als auf weit entfernte Regionen.
          Estland hat 40% Wärmepumpen. Skandinavische Länder zwischen 30 und 40%. Deutschland weniger als 1o%. Der massive Ausbau von Wärmepumpen würde auch mehr bezahlbares Gas für Gaskraftwerke frei machen, die flexibel hoch- und runtergefahren werden können.

          • Stefan Pietsch 29. März 2023, 18:32

            … die haben vielleicht auch einen neueren Häuserbestand und weniger Bauvorschriften. Deutschland hat eine vergleichsweise alte Bausubstanz. Dazu haben wir für Deine Vorstellungen nicht die Handwerker.

            Ich sehe nicht ein, für den Klimaschutz 2.000 Euro aufzuwenden, wenn es 80 Euro oder noch weniger tun für das gleiche Ergebnis. Sorry, Lemmy, aber was soll der Unsinn?

            • Lemmy Caution 29. März 2023, 18:50

              Du weisst selber, dass die 2000 zu 80 Euro eine Milchmädchenrechnung darstellt.
              80 Euro werden in Brasilien gerne angenommen, nur wird das absolut keine Auswirkungen haben.
              Was die 2.000 Euro in der Automobilindustrie bewirken, müsstest Du erst einmal erklären. Du hast oben die Zahl nur kurz erwähnt.

              • Stefan Pietsch 29. März 2023, 22:13

                Nein, weiß ich nicht. Woher weißt Du es?

                Berechnungen des ZEW Mannheim ergeben folgendes Bild. Das Erreichen des EU-Klimaziels von 55 Prozent verursacht einen Rückgang des aggregierten Konsumniveaus der EU-27 Staaten von etwa 2,8 Prozent oder 247 Milliarden Euro im Jahr 2030. Nicht berücksichtigt haben wir hierbei einen Nebeneffekt der Emissionsreduktion: den möglichen Nutzen aus vermiedenen Klimaschäden. Die Einführung eines zweiten Emissionshandelssystems würde diese Kosten um 22 Prozent reduzieren, wenn die derzeitige Aufteilung des EU-Klimabudgets beibehalten würde.

                Weitaus höhere Kostenreduktionen von bis zu 61 Prozent sind jedoch möglich, wenn den Sektoren Gebäude und Verkehr ein deutlich größeres Emissionsbudget zugeteilt wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Ein Großteil der ambitionierten Klimaziele sollte über Emissionsminderungen im Stromsektor und bei den energieintensiven Industrien realisiert werden.
                https://www.welt.de/wirtschaft/article232470843/EU-Reform-der-CO2-Maerkte-Emissionen-dort-sparen-wo-es-am-wenigsten-kostet.html

                Deutschland macht genau das Gegenteil. Offensichtlich eine dumme Politik.

                Die Vermeidungskosten einer Tonne CO2 sind extrem unterschiedlich. Das sollte Dich doch nicht wirklich überraschen. Und ansonsten kannst Du auch andere Beispiele aus Schwellenländern nehmen. Wenn Du jedoch der Meinung bist, Klimaschutz könne dort wegen der Korruption gar nicht stattfinden, dann sagst Du, dass wir den Klimawandel nicht aufhalten können. Schließlich wird das Gros der Emissionen jenseits der alten Industrieländer in Europa und Nordamerika erzeugt.

                • Lemmy Caution 30. März 2023, 07:20

                  Die Zahlen des ZEWs beruhen auf Modellrechnungen, die man sich im Detail anschauen müsste. Ökonomische Modellrechnungen sind keine Fakten.

                  Klimaschutz in Schwellenländern findet ja statt. Das funktioniert aber nicht über Ablasshandel von uns sondern durch reine Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit. Viele Schwellenländer bieten viel günstigere Standortbedingungen für Wind- oder Solarenergie. In Südamerika machten die internationalen Kupferkonzerne in der chilenischen Atacama im großen Stil den Anfang. Es ist schlicht und einfach die billigste Art der Stromerzeugung. Inzwischen haben wir in Chile eine rasante Entwicklung mit dem Ausbau von Solarfeldern bis etwa 80 km nördlich vom Bio Bio (das ist ziemlich südlich) und auch viel Windenergie. Vestas plant ein chilenisches Werk für Windkraftanlagen. Andere Länder der Region ziehen nach. Es wird interessant sein zu sehen, ob das Momentum in Argentinien im absolut absehbaren politischen Clash im nächsten Jahr anhält. Ich würde tippen, das ja.
                  Das Thema der Rettung des Regenwaldes im brasilianischen Amazonas kann nur in Brasilien gelingen. Für weite Teile der brasilianischen Gesellschaft ist das aber einfach kein Thema, auch für die konfortabel lebende obere Mittelschicht nicht. Für die aktuell starke Abholzung existieren keine starken wirtschaftlichen Anreize. Der Boden ist sehr schnell ausgelaugt. In Peru wird so gut wie kein Regenwald abgeholzt, auch in für europäische Gemüter unvorstellbaren politischen Chaos dort aktuell nicht.
                  Es macht absolut keinen Sinn in den Meeren des Südens Geld für Umweltziele mit dem Helikopter zu verteilen.
                  Mein Cousin beschäftigt sich beruflich mit vom deutschen Steuerzahler finanzierten Solarprojekten in Ländern im südlichen Afrika. Da verhalten sich aber die Partner nicht überall gleich. In Land A arbeiten die aktiv mit, in Land B nicht.
                  Wir sollten uns auf Europa konzentrieren, auch wenn das gewisse Einschränkungen für die Lebensweise mit sich bringt. Auch aus geopolitischen Überlegungen würde uns alles andere unglaubwürdig machen.

                  • CitizenK 30. März 2023, 08:16

                    Der letzte Punkt interessiert mich: Ist das wichtig? So wird behauptet, andere Länder schauten sehr darauf, was die Deutschen machen. Dagegen war hier im Blog zu lesen, das interessiere keinen und wir sollten aufhören, uns als Vorreiter aufzuspielen.
                    Hat jemand da Konkretes?

                    • Lemmy Caution 30. März 2023, 17:39

                      Konkret ist immer schwierig, weil in so einer Gesellschaft halt verschiene Menschen unterschiedlich denken.
                      Die wissen schon, dass die Entscheidungsprozesse hier sehr langwierig sind und wir natürlich aufgrund unseres Lebenstils viel mehr CO2 verbrauchen.

                      Manche denken, dass hier massenhaft deutsche Frauen von muslimischen Einwanderern vergewaltigt werden.
                      Manche sehen Europas Zukunft als reines Museum und Freizeitpark.
                      Manche glauben, dass unser Rentensystem bald zusammenbricht. Dabei haben die selber viel gravierendere Rentenprobleme.
                      Manche sehen uns als Befehlsempfänger der USA.
                      Manche sehen Russische Energie & Deutsche Technik als ganz dolle Kombination.
                      Letztens sagte der eigentlich moderate und wichtige Fernseh-Kommentator Tomas Mosciatti von Radio Bio Bio, dass die EU nur ein Zusammenschluß von Staaten darstelle, während Rußland eine „Zivilisation“ darstelle [An dem Punkt hätte ich fast das Laptop an die Wand geschmissen. VÖLLIG DURCHGEKNALLT].
                      Manche unterstützen die Ukraine, übrigens auch die Boric Regierung.
                      In Sachen Regenerative Energien hat Chile uns überholt und wird uns in den nächsten 5 Jahren abhängen. Ich vermute, dass das letzte Kohlekraftwerk 2030 abgeschaltet wird. Wegen der häufigen schweren Erdbeben haben die sich nie ein richtiges Atomkraftwerk bauen lassen und haben nun keinen Grund mehr.
                      Die haben wegen Wüste und langer Küste sehr gute Bedingungen für Wind & Solar. Neue Stromtrassen führen dort auch so Diskussionen. Die sind aber wesentlich kürzer als in diesem Land.

                  • Stefan Sasse 30. März 2023, 08:19

                    Hm, eure Positionen machen beide Sinn, schließen sich aber gegenseitig aus.

  • sol1 29. März 2023, 13:26

    1) Die taz hat noch ein paar interessante Details zum Vorlauf:

    /// Die Union hatte gegen den Vorschlag der Ampel Stimmung gemacht, aber keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt – sondern kurz vor der ersten Lesung nur einen zweiseitigen Antrag mit fünf Forderungen. Eine davon: die Anhebung der Grundmandatsklausel von drei auf fünf Mandate. Das hätte Konsequenzen für die Linkspartei gehabt, die CSU aber wäre fein raus gewesen.

    Die Ampel hatte sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich darauf verständigt, die Grundmandatsklausel nicht anzufassen – entsprechend äußerten sich die Redner der Koalition im Bundestag. Der Vorschlag der Union aber, so ist zu hören, habe das Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Hat die Union also letztlich ein Eigentor geschossen, indem sie die Grundmandatsklausel überhaupt zur Debatte gestellt hat?

    Montag, 6. Februar, Raum 2.600 im Paul-Löbe-Haus. Der Innenausschuss des Bundestags hat zehn Sachverständige zu einer Anhörung geladen. Zwei der Experten, die auf dem Ticket der Union gekommen sind, bringen vehemente Kritik an der Grundmandatsklausel vor. Ihre Argumentation: Schon bisher sei sie schwierig gewesen; da im neuen Recht aber die Bedeutung der Di­rekt­kan­di­da­ten sinke und manche Wahlkreise keine direkt gewählten Abgeordneten mehr in den Bundestag entsenden würden, wachse das Problem. (…)

    Die taz hat mit vielen Beteiligten über den Hergang gesprochen. Aus der Ampel heißt es: Die Stellungnahmen und Äußerungen aus der Union hätten dazu geführt, über die Streichung der Grundmandatsklausel nachzudenken.

    „Wir sind davon ausgegangen, dass die Union mit einer Klage auf die Grundmandatsklausel zielen wird“, sagt der Grüne Till Steffen. Und Konstantin Kuhle, der Obmann der FDP, argumentiert im Bundestag: „Der Verzicht auf eine Grundmandatsklausel im neuen Wahlrecht (ist) mit weniger verfassungsrechtlichen Risiken behaftet, als es die Einführung einer neuen Grundmandatsklausel gewesen wäre.“

    Schon Wochen vor der Debatte haben die drei Hauptverhandler der Ampel, Sozialdemokrat Hartmann, der Grüne Steffen und Kuhle von der FDP, der Union ihren neuen Vorschlag präsentiert – mitsamt dem Wegfall der Grundmandatsklausel. „Die Verhandler der Union haben nicht deutlich gemacht, dass sie im Wegfall der Grundmandatsklausel ein Problem für die CSU sehen“, sagt Steffen.

    Davon, dass die Streichung letztlich auf sie selbst zurückgeht, will die Union eher nichts wissen. „Wir haben die ersatzlose Streichung der Grundmandatsklausel jedenfalls nicht gefordert“, betont CDU-Verhandler Ansgar Heveling. Auch der Vorstellung, dass die Union bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht besonders auf die Grundmandatsklausel gezielt hätte, widerspricht er. „Wenn es um eine Normenkontrollklage geht, ist klar, dass verschiedene verfassungsrechtliche Punkte eine Rolle spielen, von denen die Grundmandatsklausel nur einer ist.“ (…)

    Und die Linke? Mit der habe es noch nicht einmal richtige Verhandlungen gegeben, heißt es aus der Ampel. Die Linke sei mit ständig wechselnden Berichterstattern aufgetreten und sich nicht einig gewesen, ob sie dem ersten Ampel-Vorschlag zustimmen wolle. Ernsthafte Gespräche habe die Fraktionsspitze abgelehnt. Aus der Linksfraktion wird diese Darstellung bestätigt. ///

    https://taz.de/Wahlrechtsreform-der-Ampel/!5921931/

  • Stefan Pietsch 29. März 2023, 13:39

    3) Why the higher paid should work longer than the rest

    Die zentrale Frage ist: Was ist gerecht? Keine der Punkte kann mich überzeugen. Warum soll jemand länger arbeiten, nur weil er mehr verdient? Es ist doch heute oft so, dass Menschen sich bequeme Jobs suchen, in denen man weniger verdient. Viele lehnen heute Führungspositionen und höher bezahlte Tätigkeiten ab, weil sie mit mehr Stress und Verantwortung verbunden sind. Wieso sollte dieses Verhalten durch ein früheres Renteneintrittsalter noch belohnt werden?

    Genauso wenig überzeugt der Punkt, den Renteneintritt von Ärzten abhängig zu machen. Ärzte sind eine bestechliche Gruppe, wie sich an der Volksseuche Krankfeiern zeigt. Im Zweifel bescheinigen Ärzte eher früher als später die Arbeitsunfähigkeit, schon weil sie Mitleid mit dem Arbeitsüberlasteten haben.

    Der fairste Vorschlag kommt von Neoliberalen. Eine soziale Versicherung wie die gesetzliche Rente sollte jedem Bürger die gleiche Rendite einräumen. Es ist völlig unsozial, einzelne Gruppen mit teils absurden kalkulatorischen Renditen zu beglücken, die von anderen zu bezahlen ist – z.B. durch Mehrarbeit. Es ist aber eine langjährige Erkenntnis, dass es eine Korrelation zwischen Beruf und Lebenserwartung gibt. Frauen leben länger als Männer, Philosophen länger als Manager. Der Grund sind Stressbelastung und körperliche Inanspruchnahme. Eine Versicherung ist in der Lage, diese unterschiedlichen Lebenserwartungen in ihre Auszahlungskalkulationen einzuarbeiten. Dann kann der Dachdecker früher in Rente gehen als der Sachbearbeiter in der GRV oder die NGO-Aktivistin.

    4) Brauchen wir wirklich so viele Verbote? – Streitgespräch zwischen Johann Lilliestam und Ottmar Edenhofer

    In einer Marktwirtschaft erfüllt der Preis nicht den Zweck, das Leben teurer zu machen. Im Gegenteil. Er signalisiert Knappheiten und lässt den Menschen die Möglichkeit, sich Wege zu suchen, bei denen Produkte und Leistungen nicht knapp sind. Wenn die Politik einerseits künstlich klimaschädliche Produkte verteuert, die Alternativen aber verbietet, dann führt das im Ergebnis zu exorbitant steigenden Preisen. Dann stellt man fest, dass das große soziale Probleme verursacht und damit an der Akzeptanz nagt und versucht dann mit staatlichen Transfers gegenzusteuern. Was dann den Zweck der Steuer konterkariert.

    Der Zertifikatehandel wirkt dem entgegen. Folge: Der Energiesektor ist jener Bereich, der zu relativ niedrigen Kosten seine CO2-Ziele seit Jahren einhält. Das ist mit Sicherheit kein Zufall.

    5) Order Prevails

    In meinem Umfeld kenne ich eine unverhältnismäßig große Zahl von Leuten, die lange Grün-Wähler waren und heute sagen: Nie wieder! Das ist wie bei Verliebten: Ist die Verliebtheit erst vorbei, wird die Beziehung nüchterner einem Realitätscheck unterzogen. Und keine Partei wird so hart mit der Realität konfrontiert wie die Grünen.

    Die meisten Menschen sind halt nicht doof. Irgendwann merken sie, wenn sie auf den Arm genommen werden, Stichwort: Energiewende zum Preis einer Eiskugel.

    • Stefan Sasse 29. März 2023, 18:53

      3) Du hast natürlich dein eigenes Verständnis von „fair“, was ja – hehe – fair ist, aber mehrheitsfähig wirst du damit sicher nicht. Aber du berührst natürlich den wunden Kern: fair kann keines dieser Systeme wirklich sein. Die Längerarbeit von Hochbezahlten ist ja, wie im Artikel angesprochen, auf der Idee fußend, dass die das a) können und b) später anfangen. Aber klar, „fair“ ist das auch nicht wirklich, wie halt keines dieser Systeme. Alles kann nur näherungsweise rankommen. – Wegen der Krankfeierngeschichte sprach ich auch explizit von Amtsärzt*innen, das ist schon noch mal eine andere Kategorie. Die hängen nicht davon ab, dass du ständig zu ihnen kommst.

      5) Du hast in deinem Umfeld viele Leute, die die Grünen nicht leiden können? Sachen gibt’s. 😀

      • Stefan Pietsch 29. März 2023, 21:54

        3) Sozial bedeutet, alle bekommen das Gleiche bei gleichen Bedingungen. Alle zahlen zwangsweise in die GKV ein. Warum sollte dann jemand 800% Rendite bekommen, andere nur 0,5%?

        Die GKV folgt dem Äquivalenzprinzip: Die Einzahler sollen einen adäquaten Gegenwert für ihre Beiträge erhalten. Das kann aber nur der (prozentual) gleiche Erfolg für alle sein. Und das ist doch das, was von Linken lange kritisiert wurde: Arbeiter leben gar nicht lange genug, um ihre Rente so wie Bürohengste genießen zu können. Kann man es Linken in den Gerechtigkeitsvorstellungen nie recht machen?

        5) Du hast den Vorspann verpasst: Welche, die den Grünen sehr zugeneigt waren. Und das gilt auch für Erzieherinnen in Frankfurt. Ansonsten umgebe ich mich nicht mit Leuten nach politischer Präferenz.

        • Stefan Sasse 29. März 2023, 22:57

          5) Den hab ich nicht verpasst, nur wundert es nicht, dass Leute, die man um Umfeld hat, ähnlich ticken wie man selbst. Ich kenn Leute die früher SPD oder FDP gewählt haben und das jetzt nicht mehr tun. Ist das repräsentativ?

          • Stefan Pietsch 29. März 2023, 23:54

            5) Tun die Leute bei mir nicht. Ich finde Menschen spannend, die nicht so sind wie ich. Ich habe es gerade heute wiederholt: Ich schätze es, wenn mir Mitarbeiter widersprechen.

            Zugegeben, mit einem bestimmten Typus hätte ich Probleme. Es ist der Typus, der eingefleischt Grün wählt. Träumer, Fundamentalisten haben in meinem Leben keinen Platz, das ist richtig. Aber, Stefan: Selbst jemanden wie Dich, der mir in vielen Einstellungen fern steht, schätze ich (sehr) und finde ich interessant. Ich respektiere Deine Positionen.

  • Stefan Pietsch 29. März 2023, 13:52

    a) Warum steigende Zinskosten für die Bundesregierung kein Problem sind.

    Da kann man nur den Kopf schütteln, was ein Ökonom verbrechen kann. Es genügt ein Blick nach Frankreich um zu sehen, wie steigende Zinsen einen Staat an den Fliegenfänger bringen. Die Mehrheit der Ökonomen geht davon aus, dass höhere Inflationsraten uns für längere Zeit begleiten werden. Mit anderen Worten: Auch wenn der Staat sich nicht weiter verschuldet, werden die Ausgaben steigen – zu Lasten anderer Bereiche.

    Dann will Fratscher genau das als Argument nutzen. Nur, der Staat braucht die inflationsbedingten Mehreinnahmen, um die inflationsgetriebenen Ansprüche der Bürger auszugleichen. Zinsen sind das, was on top kommt. Natürlich, hohe Inflationen entlasten den Staat auf der Schuldenseite – zu Lasten seiner Bürger. Das ist ja der tiefere Sinn von Inflation. Nur ist es dann Unsinn, die sinkende relative Schuldenlast dafür zu nutzen, mit höherer Kreditaufnahme die Zinslasten zu kompensieren. Hohe Inflationsraten haben einen hohen Preis, sie gehen zu Lasten des Wohlstandes. Dieses Siechtum noch treiben zu wollen, ist völlig unvernünftig.

    g) Das Verkehrsministerium will künftig eFuels mit zwei Milliarden Euro jährlich fördern, weil Subventionen total schlecht sind und die Marktwirtschaft technologieoffen entscheiden soll. Roger.

    Subventionen sind von Übel. Ein Elektroauto wird heute mit 20.000 Euro und mehr subventioniert. Und trotzdem verkaufen sich die Dinger kaum. Was für ein ökonomischer Unsinn.

    k) Die New York Times hat ein Feature, wonach endlich bewiesen ist, dass Reagan die Befreiung der Geiseln bis nach seiner Inauguration zu verhindern versuchte. Kevin Drum hat da zwei gute Einordnungen.

    Eine Geschichte, über 40 Jahre alt. Guten Morgen!

    • Stefan Sasse 29. März 2023, 18:53

      g) Und doch begrüßt du sie für eFuels.

      k) Ich bin Historiker.

      • Stefan Pietsch 29. März 2023, 21:48

        g) Ich diktiere es Dir jetzt nicht zum ersten Mal: Ich.lehne.Subventionen.ab.

        Ich verstehe nicht, warum man gegen eFuels sein kann. Wenn es zu teuer und unwirtschaftlich ist, und zwar in 10 oder gar 20 Jahren, dann wird diese Technik nicht genutzt. Wenn aber die Entwicklung dahin geht, dass synthetische Kraftstoffe ziemlich günstig werden, wäre es ein nahezu idealer Kraftstoff. Wer verbaut sich ernsthaft eine solche Option, der klaren Verstandes ist?

        Mich ärgern die Subventionen in die E-Mobilität, mit denen Du offensichtlich kein Problem hast. So viel Geld für so wenig Ertrag.

        k) Warum präsentierst Du dann so eine alte Story?

        • Stefan Sasse 29. März 2023, 22:55

          k) Weil ich es als Historiker interessant finde…?

          • Stefan Pietsch 29. März 2023, 23:47

            k) Ich fand es 1981 interessant. Liegt wohl am Alter. 😉

            • Stefan Sasse 30. März 2023, 08:18

              Ich find’s für die Deutung und Wertung der Reagan-legacy schon nicht irrelevant. Aber klar, wenn’s dich nicht interessiert, interessiert’s dich nicht. Dafür gibt’s die Resterampe ja.

        • cimourdain 30. März 2023, 09:07

          k) Es gibt eine ganz einfache Formel: Solange Behörden, Geheimdienste oder gar Kirchen zu Ereignissen Dokumente unter Verschluss halten, sind diese noch aktuell und interessant genug.

    • Lemmy Caution 29. März 2023, 21:33

      zu e) carefull! Ich hole gerade beim sympathischen „History of the Germans“ Podcast auf. Bei den für mich aktuellen Folgen gehts um die Anfangszeit von Kaiser Barbarossa. Also so round about 1140 🙂 .

  • Ralf 29. März 2023, 14:25

    zu 1 (“Wahlrechtsreform”)

    Mir missfällt die Einengung der Debatte auf die CSU. Die CSU lebt seit Jahrzehnten von der Lüge nicht ganz schlicht die CDU von Bayern zu sein und könnte sich kinderleicht aus ihrem Dilemma befreien. Mein Mitleid mit ihr ist extrem begrenzt.

    Abgesehen davon ist es irgendwie wie mit jeder Reform. Alle wollen, dass sich was ändert. Aber dabei darf sich natürlich nichts ändern. Wegen dieser Logik ist Deutschland weltberühmt für Stillstand und überbordende Bürokratie.

    Die einzige Frage, die meiner Meinung nach in diesem Kontext relevant ist, ist die Frage, ob uns als Gesellschaft wichtig ist, dass Parteien, die regional sehr stark, aber deutschlandweit eher schwach sind, Repräsentation im Bundestag haben. Ist uns das wichtig? Wenn ja, dann bitte die Grundmandatsklausel behalten. Wenn hingegen das einzige Argument für die Klausel ist, dass dann die CSU und die LINKE nicht mehr ins Parlament einziehen, bitte weg damit. Dann ziehen statt denen halt andere ein.

    Ach ja, und wo wir dabei sind: Mir persönlich ist eine Grundmandatsklausel extrem viel lieber als eine Absenkung der 5%-Hürde, die das Parteienspektrum noch weiter zersplittern würde, als es bereits ist.

    • Stefan Sasse 29. März 2023, 18:54

      Das ist nicht die einzige Frage. Die relevante Frage ist nicht, ob Regionalparteien präsent sind, sondern ob du sie mit einer Wahlrechtsreform aus dem Parlament kegeln kannst. Und die Antwort hier ist: nein.

      • Ralf 29. März 2023, 20:56

        Als das Bundesverfassungsgericht vor Jahren die 3%-Hürde bei der Europawahl kippte, war es scheinbar legitim Parteien in ein Parlament hineinzukegeln. Mir leuchtet nicht ein, wieso es in der Umkehr dann illegitim sein soll, Parteien durch das Errichten einer wie auch immer gearteten Hürde wieder hinauszukegeln. Wie wäre z.B. Deine Argumentation, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung von 2014 (war es 2014?) revidieren und die 3%-Hürde wieder einrichten würde?

        Im übrigen ist es falsch, dass durch das neue Gesetz Parteien aus dem Parlament gekegelt werden. Der einzige, der eventuell Parteien hinauskegelt, ist der Wähler. Bundesweit 5% überspringen zu müssen, ist keine unzumutbare Hürde, sondern ein Grenzwert, der sich in vielen Jahrzehnten bewährt hat. Und es ist eine Schwelle, die alle sechs im Bundestag vertretenen Parteien mehrfach übersprungen haben. Ob das erneut gelingt, wird halt in der Wahl entschieden.

        Und nochmal: Ein wirkliches Problem hat nur die LINKE. Die CSU könnte morgen anfangen ihre Lebenslüge ernstzunehmen und bundesweit Verbände gründen und antreten. Dann wäre sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im nächsten Parlament vertreten. Oder sie könnte ihre Lebenslüge beenden und sich zum CDU-Verband von Bayern erklären. Dann wäre sie ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im nächsten Parlament vertreten. Also: Where is the problem?

        • Stefan Sasse 29. März 2023, 22:54

          Dass es nicht an einer so dünnen Mehrheit sein sollte, solche Verwerfungen hervorzurufen.

          • Ralf 29. März 2023, 23:35

            Wenn die große Koalition mit einer großen Mehrheit etwa das Mehrheitswahlrecht einführen würde, wären die Verwerfungen wesentlich größer. Tatsächlich passiert durch die Reform real, wenn wir ehrlich sind, relativ wenig. Die CSU hat, wie gesagt, zwei plausible Strategien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Sprung in den Bundestag zu schaffen. Von einer klugen Partei darf man erwarten, dass sie ihre Chance erkennt und nutzt. Weshalb sich die Republik in die Geiselhaft des Traditionsstolzes eines Regionalarms der CDU geben sollte, hast Du jedenfalls bisher nicht schlüssig erklären können. Bleibt die LINKE. Für die ist die Änderung zugegebenermaßen kacke. Aber das Problem der LINKEn ist, wenn wir ehrlich sind, nicht das Wahlrecht, sondern (1) das Wiedererstarken der SPD als sozialdemokratische Kraft, (2) die schwindende Erinnerung und Nostalgie bezüglich der DDR, (3) der Verlust von Protestwählern an die AfD, (4) ein ungeklärter inhaltlicher Streit zwischen Progressiven und Altlinken bezüglich Ausrichtung und (5) quälende Personaldebatten und fehlendes Team-Play. Wenn die Partei ihre Hausaufgaben nicht gemacht kriegt, ist es nicht die Aufgabe des Wahlrechts, sie zu retten.

            • Stefan Sasse 30. März 2023, 08:17

              Hm. Ich denk nochmal drüber nach, danke für die Perspektive.

        • Thorsten Haupts 30. März 2023, 08:44

          Demokratietheoretisch wie verfassungsrechtlich ist die Antwort auf ein durch eine Wahlrechtsreform ebenso unnötig wie vorsätzlich geschaffenes Problem für eine Partei: „Dann kriecht doch bei einer anderen unter“ nicht wirklich überzeugend.

          Ausschliesslich Gegner der CSU finden die Idee übrigens schon seit Jahrzehnten toll. Aus leicht nachvollziehbaren Gründen – man kann den Landesverband einer Partei wesentlich einfacher disziplinieren, als eine eigenständige Formation.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Stefan Sasse 30. März 2023, 12:17

            Sehe ich ähnlich.

          • Ralf 30. März 2023, 17:59

            Dass eine eigenständige Partei weniger leicht zu disziplinieren ist, als ein Landesverband leuchtet ein. Falls die CSU wirklich eigenständige Partei sein möchte, kann sie übrigens deutschlandweit antreten. Dann wäre die CSU mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Bundestag. Allerdings würde die CDU dann umgekehrt vermutlich auch in Bayern antreten und der CSU womöglich den Status der regionalen Volkspartei abnehmen. Die CSU würde – so meine Projektion – zu einer kleineren 8-12%-Partei, die – zuweilen selbst in CDU-geführten Regierungen – nicht immer als Mehrheitsbeschaffer gebraucht würde. Aber das ist nicht das Problem von Deutschland oder das Problem von Bayern. Das ist das Problem der CSU. Und das Risiko der CSU wirklich ganz ohne Vertretung im Bundestag zu enden, ist nur gegeben, weil die CSU eben weder eigenständig (-> echte deutschlandweite Partei) noch uneigenständig (-> bayrischer CDU-Landesverband) sein will. Sie will ihren Einfluss maximieren, indem sie sich weder für Fisch noch für Fleisch entscheidet. Und das ist natürlich legitim, das zu wollen. Unerklärbar ist hingegen, weshalb Deutschland sein Wahlrecht an den Machtmaximierungsvorstellungen einer einzelnen Kleinpartei orientieren sollte …

      • sol1 30. März 2023, 13:14

        Es ist ja auch nicht nur eine Frage der Präsenz einer Regionalpartei, sondern der Präsenz einer Region. Eine Berechnung zeigt, daß eine Scheitern der CSU dazu führen würde, daß Bayern von 33 Abgeordneten weniger repräsentiert würde:

        https://www.sueddeutsche.de/politik/wahlrechtsreform-bayern-sitze-bundestag-csu-grundmandatsklausel-1.5777209 (Paywall)

        Aber ähnliche Probleme werden auch von der Fünf-Prozent-Hürde verursacht. Im Saarland stimmten 2012 43 % der jungen Wähler für Parteien, die nicht in den Landtag einzogen:

        https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-03-27-LT-DE-SL/umfrage-alter.shtml

        • Stefan Sasse 30. März 2023, 13:19

          Ich möchte es nochmal betonen: würden wir ein neues Land gründen und für dieses neue Land ein neues Wahlrecht schreiben – kein Problem. Aber das tun wir nicht. Wir doktorn an 70 Jahren gewachsenen demokratischen Strukturen rum.

          • Ralf 30. März 2023, 18:09

            Umso mehr Grund besteht, eine Regelung zu finden, die sinnvoll ist. Damit wir nicht auch die nächsten 70 Jahre rumdoktern müssen.

            Deshalb ist Tradition kein Argument. In den USA rege ich mich auch jedes Mal auf, wenn begründet wird, dieses oder jenes Gesetz könne nicht geändert werden, weil vor 250 Jahren die Gründerväter mal irgendwas gedacht haben. Who cares? Wir müssen im hier und heute die Lösung finden, die für unsere Zeit passt. Sollten wir eine Grundmandatsklausel haben? Ich meine ja. Aber eben weil es wichtig ist, Stimmungen, die lokal so stark sind, dass sie dort Volksparteicharakter haben, die aber bundesweit insgesamt relativ schwach sind, aus meiner Sicht im Parlament eine Stimme haben sollten. Aber sicher nicht um auf Teufel komm raus die CSU in den Bundestag zu hieven …

            • Stefan Sasse 30. März 2023, 18:16

              Ich habe viel Sympathie für deine Argumentation, wirklich. Aber was hält die CDU dann das nächste Mal auf, ein für Progressive maximal schlechtes Wahlrecht zu beschließen? Weise Selbstbescheidung halte ich da für gut.

              • Ralf 30. März 2023, 23:41

                Wir kommen wieder an demselben Punkt an, wie bei dem Streit darüber, ob es in einem demokratischen Rechtsstaat richtig oder falsch ist hochrangige Regierungsmitglieder anzuklagen, wenn diese nachweislich Verbrechen begangen haben. Und ich gebe auch hier dieselbe Antwort. Ein politisches System, in dem Regierungen abwechselnd das Wahlrecht stets zu ihren Gunsten verändern, hört auf eine Demokratie zu sein. Die Vorbedingung dafür ist, dass das System zutiefst korrupt und verrottet ist. Wenn aber das System zutiefst korrupt und verrottet ist, dann ist die Demokratie ohnehin nicht mehr zu retten.

                Eigentlich müsste von allen Akteuren ergebnisoffen diskutiert werden, welches der beste Weg ist, den Bundestag zu verkleinern. Demokratische Argumente müssten im Vordergrund stehen, nicht die Frage, ob die CSU oder die LINKE in das Parlament einzieht. Ganz naiv behaupte ich z.B. eine Halbierung der Zahl der Wahlkreise, indem jeweils zwei benachbarte Wahlkreise fusioniert werden, wäre die beste Lösung gewesen. Das hätte die Größe des Bundestags halbiert. Es hätte die Grundmandatsklausel erhalten und damit regionalen Mehrheiten Rechnung getragen. Es hätte das Prinzip erhalten, dass jeder direkt gewählte Kandidat garantiert ins Parlament einzieht. Damit hätte der Wähler besonders beliebte Kandidaten notfalls auch gegen den Willen der Parteien in den Bundestag hieven können (Beispiel Ströbele). Es hätte die 5%-Hürde erhalten und damit der Zersplitterung der politischen Landschaft entgegengewirkt. Von jemandem, der das gegenwärtig diskutierte Modell unterstützt, würde ich gerne konkret wissen, weshalb diese Punkte, die ich nenne, scheinbar nicht wichtig sind. Von jemandem, der das gegenwärtig diskutierte Modell kritisiert, würde ich gerne politische Argumente jenseits von “aber das wär scheiße für die CSU” hören. Denn wenn die CSU das einzige Hindernis ist, das zwischen uns und einem tatsächlich gerechteren, politisch saubereren System steht, … , dann weg mit der CSU …

                • CitizenK 31. März 2023, 06:24

                  „….zutiefst korrupt und verrottet…“

                  Mach mal halblang. Jede Änderung im Wahlrecht/Wahlverfahren kann eine andere Machtkonstellation und damit eine andere Politik bringen. Wie gerecht und demokratisch auch immer beschlossen.

                  • Ralf 31. März 2023, 07:51

                    Ich rede von einem Zustand, in dem Parteien regelmäßig, sobald sie an die Macht kommen, das Wahlrecht zu ihren Gunsten verbiegen.

                    • Thorsten Haupts 31. März 2023, 09:10

                      Also genau von dem Zustand, der durch die Ampel-Koalition jetzt eingetreten ist?

                    • Stefan Sasse 31. März 2023, 10:06

                      Da hast du sicher Recht damit.

                    • Ralf 31. März 2023, 17:08

                      Also genau von dem Zustand, der durch die Ampel-Koalition jetzt eingetreten ist?

                      Nein. “Regelmäßig” bedeutet meistens, dass das wesentlich öfter als einmal passiert.

                    • Thorsten Haupts 31. März 2023, 17:24

                      Ah. Wer damit anfängt, ist also entschuldigt. Erst bei der dritten Revision beginnt die demokratische Fäule. Verstanden.

                    • Ralf 31. März 2023, 20:17

                      Zumindest beginnt nach dem dritten Mal die gerechtfertigte Verwendung des Begriffs “regelmäßig” …

                    • Thorsten Haupts 1. April 2023, 15:42

                      Ja. Mir leuchtet nur die Logik nicht ein. Der erste Versuch einer eindeutig parteilichen Änderung des Wahlrechtes ist für mich der Einstieg in die Fäule.

                    • Stefan Sasse 1. April 2023, 18:30

                      Sehe ich auch so.

                • cimourdain 31. März 2023, 08:51

                  „Demokratische Argumente müssten im Vordergrund stehen, nicht die Frage, ob die CSU oder die LINKE in das Parlament einzieht.“ Gut, mein demokratisches Argument ist Minderheitenrechte. Es gibt einen Grund, warum für Europawahlen die Sperrklausel gekippt wurde. Die Gesellschaft ist nicht mehr wie in den 50er Jahren, wo sich die politischen Interessen auf drei Blocks reduzieren ließen. Willst du Minderheiten, die weniger als ein 20tel der Bevölkerung ausmachen aus Bequemlichkeitsgründen ( und es geht bei dem ‚Zersplitterungs‘-Argument um die Bequemlichkeit der Regierungsbildung) einfach ignorieren? Mal ein Gedankenexperiment: Trans*personen wären eine Partei. Da Sie deutlich unter 5% der Gesamtheit liegen, ist es nach der Speerklausel-Logik legitim, sie komplett zu vernachlässigen, denn 5% als Minimum ist eine „zumutbare Hürde, die sich Jahrzehnte bewährt hat“.

                  • Ralf 31. März 2023, 09:17

                    Es geht nicht um Bequemlichkeit. Es geht um Praktikabilität. Die Zersplitterung des Parteiensystems führt jetzt bereits dazu, dass mancherorts Viererkoalitionen regieren. Die Folge ist politische Instabilität und Vertrauensverlust in die Demokratie als Ganzes.

                    Es ist auch falsch, die Tatsache, dass es keine “Trans-Partei” gibt, mit dem totalen Vernachlässigen der Interessen von Trans-Personen gleichzusetzen. Parteien sind dafür da Interessen verschiedener Schichten zu bündeln. Eine Partei, die das nicht kann oder das nicht will, bleibt Nischenpartei und wird selten die 5%-Hürde überwinden. So führt die natürliche Auslese im Idealfall zur Repräsentation aller.

                    • cimourdain 3. April 2023, 00:12

                      Vertrauensverlust ist genau das Stichwort. Bei einem echten Mehrheitsmanöver ohne „Wegbeißregularien“ ist im Rahmen der Mehrheitsbildung einer Regierung sichergestellt, dass die Mehrheit derjenigen, die gülig gewählt haben, eine der an der Regierung beteiligten Parteien gewählt hat, also in gewisser Weise die Regierung mitgewählt hat. In einem System mit Korrekturklauseln ist das nicht mehr gegeben, dort ist es gut möglich, dass nur eine Minderheit vertreten ist. Das gilt ebenso für jede einzelne Abstimmung.
                      DAS ist eine berechtigte Quelle für Vertrauensverlust.

                    • Ralf 3. April 2023, 01:04

                      Ich betrachte die 5%-Hürde nicht als “Korrekturklausel” sondern als essentielle Bedingung dafür, dass ein Parlament überhaupt arbeiten kann. Schließlich ist auch den Minderheiten nicht gedient, wenn eine Flut aus Kleinstparteien und Partikularinteressenvertretungen Fünfer-, Sechser- und Siebenerkoalitionen erzwingt, die dann jeweils nach wenigen Wochen zusammenbrechen, so dass kaum noch eine Regierung ein Viertel der eigentlichen Legislaturperiode überlebt. Das sind dann Zustände, die die Bürger zurecht schnell satt haben, wovon in der Regel die Rechtsextremen profitieren. Und wenn die erstmal das Sagen haben, dann wird überhaupt nicht mehr gewählt. Auch den Minderheiten geht es in dem Szenario meist nicht ganz so gut.

                    • Stefan Sasse 3. April 2023, 14:32

                      +1

                  • Stefan Sasse 31. März 2023, 10:08

                    Korrekt. Ich sehe nicht, warum eine Partei der Transpersonen unbedingt in den Bundestag muss. Ich finde es ein völlig akzeptables demokratisches Kriterium, dass eine Partei ein gewisses Mindestmaß an Unterstützung in der Bevölkerung braucht, gerade um Splitterparteien und reine Interessenvertretungen zu verhindern.

                • Stefan Sasse 31. März 2023, 10:06

                  Ich muss ja sagen: ich teile generell nicht diese „der Bundestag muss dringend kleiner werden“-Prämisse und halte es für einen Fehler des BVerfG, die eingebaut zu haben.

                  • Ralf 31. März 2023, 22:15

                    Da bin ich absolut bei Dir. Meinetwegen hätte der Bundestag gerne auf 1500 Parlamentarier anwachsen können. Was mir viel wichtiger ist, ist dass wir den Modus des Wahlrechts plausibel begründen können. Die Mischung der positivsten Aspekte aus Mehrheitswahlrecht (jeder direkt gewählte Kandidat zieht in den Bundestag ein) und Verhältniswahlrecht (die Zweitstimme entscheidet über die prozentuale Repräsentation im Parlament) war aus meiner Sicht immer eine große Stärke des deutschen politischen Systems. Und die Grundmandatsklausel hat dem Land enorm gedient – ganz besonders nach der Wende, als die PDS regional Volkspartei war, aber bundesweit bei 4% lag. Ich hab bisher noch kein Argument gehört, weshalb wir diese Aspekte in Zukunft nicht mehr haben wollen.

                    Ich höre nur, der Bundestag muss kleiner werden. Mir ist das, wie gesagt, völlig egal. Wegen mir kann er gerne noch größer werden. Aber wenn ich die Prämisse voraussetze, dass der Bundestag schrumpfen soll, dann ist es unerklärlich für mich, weshalb wir das nicht durch eine Zusammenlegung von Wahlkreisen erreichen – bei gleichzeitigem Erhalten der Vorteile unseres Wahlsystems. Aber in meinem Argument geht es eben um das Wahlsystem. Und nicht um die selbstverursachten Probleme der CSU oder der LINKEN …

                    • CitizenK 1. April 2023, 09:50

                      Zustimmung beim Wahlsystem. Das Personalisierte Verhältniswahlrecht ist mE besser als das in F, UK, USA. Besser ist das in DK, allerdings auch noch viel komplizierter.

                      Verwunderung bei der Zahl der MdBs – überbordende Größe schürt antiparlamentarische/antidemokratische Ressentiments. Nicht nur wegen der Kosten.

                    • Stefan Sasse 1. April 2023, 10:28

                      Ich glaube, dieses Wahlsystem bedingt halt eine gewisse Größe des Parlaments. Und mir scheinen die Ressentiments in den Ländern, wo das Problem nicht existiert, nicht entkoppelt zu sein von denen im Bund.

                    • Stefan Sasse 1. April 2023, 10:27

                      Ein Systemwechsel, der die Existenz etablierter Parteien bedroht, braucht mEn eine bessere Erklärung als „ist eleganter“.

                    • Stefan Pietsch 1. April 2023, 11:28

                      Was soll damit erreicht werden?

                      Eine einfache Regel: sollen Menschen produktiv zusammenarbeiten, braucht es kleine Gruppen. Je größer die Gruppe, desto ungeeigneter, Entscheidungen zu treffen. Der chinesische Volkskongress ist auch deswegen so groß, weil sich ohnehin alles auf eine Person konzentriert. Diktaturen haben sich immer sehr große Parlamente geleistet. Dort Opposition zu organisieren, ist nahezu unmöglich.

                      Je größer ein Parlament, desto größer ist der Gewichtsverlust des einzelnen Parlamentariers. Auch Merkel hatte immer Interesse an einem dysfunktionalen Parlament, was sich in den größten Krisen ihrer Regierungszeit zeigte. Während der Flüchtlingskrise 2015/2016 konsultierte sie kein einziges Mal den Bundestag, sondern handelte allein durch Direktiven an ihren Innenminister. In der Corona-Pandemie installierte sie das in der Verfassung nicht vorgesehene Gremium eines Ausschusses von Regierung und Ministerpräsidenten, um mit Verordnungen ihre Politik durchzusetzen. Beides am Ende zum Schaden des Landes.

                      Die Vergrößerung der Wahlkreise hat einen ähnlichen Effekt wie reine Listenwahlen. Politischer Repräsentant und die vertretene Gruppe lösen sich voneinander. Das konnte ich immer auch in Unternehmen beobachten. Je größer der Bereich, den man vertritt, desto abgehobener wird es.

                      Keine große Demokratie interpretiert die verhältnismäßige Repräsentanz so absolut wie Deutschland, vielleicht Italien ausgenommen. Nächstes Beispiel für Deutschlands Sonderwege. Ich bin das wirklich so leid.

                    • Ralf 1. April 2023, 11:39

                      “Ist eleganter” ist das Gegenteil eines politischen Arguments, das ich einfordere.

                      Dass die Wahlrechtsänderung die Existenz etablierter Parteien bedroht, ist trotzdem ein Mythos (bestenfalls mit einem kleinen wahren Kern). Bei der CSU wird nämlich nicht ihre Existenz sondern lediglich ihr Selbstverständnis und ihr Traditionsstolz bedroht. Und bei der Linken muss man konstatieren, dass es für die Partei in 2025 extrem knapp werden wird, sowohl was den regulären Einzug ins Parlament angeht, als auch was einen hypothetischen Einzug über die Grundmandatsklausel angeht. Die Partei hatte bei der letzten Bundestagswahl 4,9% (5,0% hätten ausgereicht für den regulären Einzug) und drei Direktmandate (zwei wären zu wenig gewesen für den Einzug über die Grundmandatsklausel). Wir sollten hier also nicht so tun, als sei die LINKE quasi sicher mit beiden Beinen im Parlament und würde jetzt nur wegen einer hinterhältigen Reform des Wahlrechts aus dem Bundestag herausgeschoben …

  • Tim 29. März 2023, 16:27

    Und ja, die Grünen sind die einzige Partei, die den Klimawandel halbwegs ernst nimmt, aber auch deren Policies sind geradezu lachhaft im Angesicht der Aufgabe.

    Es ist interessant, wie weit die Meinungen auseinander gehen können. Für mich sind die Grünen mitverantwortlich dafür, wie verkorkst Umweltpolitik in Deutschland ist. Ihr EEG ist der Hauptgrund für die bestürzende Ineffizienz der deutschen Energiewende (mit Schadfolgen in ganz EU-Europa), und bis heute weigern sie sich, Flächenverbrauch als zentrales Thema des ökologischen Umbaus zu betrachten.

    Die Grünen sind das ideale Sammelbecken für alle, die Umweltschutz als Seelenbalsam betrachten. Hauptsache, man steht auf der richtigen Seite! Richtige Policys interessieren sie auch heute kaum.

    Mit einem wirksamen, umfassenden Cap&Trade-Mechanismus wären wir heute viel weiter. Statt dessen haben wir diesen bürokratischen und detailverrückten Verbots- und Förderirrsinn, mit dem wir bald auch noch die letzten Energiewende-Befürworter vergraulen werden.

    Die Energiewende, ein typisch deutsches Versagen.

    • Stefan Sasse 29. März 2023, 18:57

      Wie gesagt, wir können gerne darüber diskutieren, ob ihre ANTWORTEN die richtigen sind. Aber dass sie das Problem erkannt haben, steht außer Zweifel. Und zwar als einzige. Umso schlimmer, wenn man die Qualität der Antworten bedenkt.

  • Ariane 29. März 2023, 17:12

    Vorab kurz eine Ergänzung zum Thema Bürgerbeteiligungen, Plebisziten und warum ich da wirklich keine große Freundin von bin, ein Beispiel aus Hamburg, wo gerade um den Bau von 700 (Sozial-)wohnungen gestritten wird. (die wie man sich denken kann, absolut dringendst benötigt werden):

    https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Geplante-Wohnungen-am-Diekmoor-Bezirksamt-stellt-Plaene-vor,langenhorn222.html

    Die Kritikerinnen und Kritiker konnte das nicht überzeugen, sie kündigten weiteren Widerstand an, um durchzusetzen, dass am Diekmoor überhaupt nicht gebaut wird. Und ein weiterer Bärendienst dazu noch, dass das Argument des Umweltschutzes da wahrscheinlich eher vorgeschoben ist. Mal abgesehen davon, dass man Schrebergärten (!) problemlos mit besseren umweltpolitischen Maßnahmen kompensieren könnte.

    • cimourdain 30. März 2023, 13:44

      Es ist gar nicht so einfach eine bessere umweltpolitische Maßnahme für dichtbesiedeltes Stadtgebiet zu finden, weil Schrebergärten zwei klare Vorteile gegenüber anderen Grünformen liefern:
      – Durch die kleinteilige Gliederung und den vielen unterschiedlichen Pflanzenarten können sie ein breites Spektrum an Insekten und Vögeln beherbergen.
      – Sie benötigen keine öffentlich organisierte und bezahlte Pflege, die Arbeit wird komplett von den Pächtern gemacht.
      Gut und billig, was willst du mehr?

  • CitizenK 29. März 2023, 19:16

    2) Alle reden von China. Was ist eigentlich mit Klimaschutz in Russland? Dem Pariser Abkommen ist das Land ja offiziell beigetreten.

    • Stefan Sasse 29. März 2023, 22:53

      Soft bigotry of low expectations.

    • cimourdain 30. März 2023, 09:14

      Ganz schlecht. Mit knapp 5 % des weltweiten Co2 Ausstoßes ist R zwar pro Kopf umgerechnet immer noch deutlich hinter den USA aber weit vor Europa oder China.

  • cimourdain 30. März 2023, 10:09

    1) Einige grundlegende Punkte dazu:
    i) Es geht nicht um Verkleinerung des Bundestags sondern um nur Parteitaktik. Die Regelgröße wird sogar erhöht von 598 auf 630. Der naheliegende Lösungsansatz Reduzierung der Wahlkreise wurde nicht verfolgt.
    ii) Das Grundproblem ist die im Kern antidemokratische Sperrklausel. Die Grundmandatsregel ist ja nur eine Ausnahmeregelung zum Nachbessern.
    iii) Am leichtesten wäre es, wenn CSU und Linke eine andere Ausnahme nutzen und sich zu Parteien ethnischer Minderheiten erklären ( Bayern , Ostdeutsche). Für diese gilt die 5% Hürde nicht (Lex SSW) .

    2) i) Sizilien ist die Durchschnittstemperatur nicht 3 oder 6 sondern sogar 9 Grad höher (ca 18 Grad) als in Deutschland ( Schnitt 9 Grad)
    ii) Rahmstorf macht sich mit der Faustformel „doppelter Durchschnitt“ unnötig angreifbar. Wasser dient als Wärmespeicher, deshalb wird die maritime Lufttemperatur zeitverzögert und nicht proportional zum Durchschnitt laufen. Und den Faktor, dass die Erwärmung in polnäheren Breiten viel stärker ist als in tropischen, hätte er erwähnen können. Genau solche Unexaktheiten nutzen politische Gegner um die Klimaforschung anzugreifen.

    3) Dazu ist zu erwähnen, dass das Streikrecht in Deutschland mit das restriktivste der demokratischen Länder Europas ist. Das verdanken wir dem Nazi-Juristen Nipperdey und seinen Urteilen zu den Streiks 1952 und 1956.

    4) Ein wichtiger Punkt gegen ‚verschwendete‘ Investitionen ist, dass dabei nicht nur Geld, sondern auch Energie und Stoffressourcen eingesetzt werden, die dann tatsächlich weg sind und nicht wie Finanzierungsmittel über einen Keynes-Kreislauf zurückfließen.
    c) ist ein gutes Beispiel dafür: Egal welche Tricks angewandt werden. Natriumionen werden durch die physikalisch/chemischen Eigenschaften immer eine geringere Energiedichte auf Volumen und Gewicht bezogen liefern können als Lithiumionen. Das macht sie genau für E-Autos relativ ungeeignet. Die Vorteile des geringeren Preises und des geringeren Überhitzungsrisikos macht Na-Speicher dafür für stationäre Systeme geeignet. Richtige Investition am richtigen Ort.

    5) Die Links-Rechts Lagervorstellung ist das falsche Werkzeug, um die Situation der Grünen zu erklären. Diese sind, seit sie ‚den Weg aller Bananen‘ (Kling) gegangen sind, nicht mehr als links zu verorten. Besser dient die Frontstellung zwischen technokratischer und populistischer Politik – wo die Grünen am weitesten auf der Technokratie-Achse liegen – als Erklärungsansatz. Auf der anderen Seite werden nämlich die stark populistischen Parteien AfD und Linke ähnlich stark angefeindet. Und die Kritikcluster an den Grünen sind genau in der Technokraten-Kategorie zu verorten: „Verbotspartei“, weltfremd, kein Interesse an den ‚kleinen Leuten‘.

    b) Auch in Deutschland stattet sich die Polizei immer häufiger reichlich militarisiert aus. Dieses Bild passt imho nicht in einen demokratischen Staat:
    https://www.welt.de/vermischtes/article221482430/Bayern-Kritik-an-neuen-Panzerfahrzeugen-fuer-die-Polizei.html

    g) Wenn du die chemischen Prozesse ansiehst, erklärt sich, was für ein Schildbürgerstreich oder Greenwashing-Betrug E-Fuels sind. Bei der Synthese werden aus Wasserstoff und (abgeschiedenem) CO2 Kohlenwasserstoffe hergestellt. Nur wird aktuell der Wasserstoff fast ausschließlich aus fossilen Energieträgern hergestellt. ( https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1194793/umfrage/produktion-von-wasserstoff-nach-prozess/ ) In der Gesamtheit heißt das: Wir nutzen die fossilen Energieträger und Energie, um Wasserstoff herzustellen. Das dabei entstandene Abfallprodukt CO2 fangen wir ein, um daraus mit dem Wasserstoff unter Energieaufwand wieder etwas zu machen, was wie die fossilen Energieträger funktioniert und bei der Verbrennung CO2 freisetzt, das sich diesmal nicht einfangen lässt.

    l) Etwas schade, dass du kein Fundstück zum Jubiläum Märzrevolution hast. Allerdings gibt es da echt nur wenig. Hier eines von mir :
    https://taz.de/Maerzrevolution-von-1848/!5920559/

    • Stefan Sasse 30. März 2023, 12:21

      1)ii) Empfinde ich nicht als Problem, weder im Kern noch allgemein.
      iii) Klar, das klappt bestimmt. /Ironie

      2) Danke

      3) Ja, aber andererseits auch dem Korporatismus. Wir haben umgekehrt auch die besten Einflussmöglichkeiten AUSSERHALB Streiks.

      5) „Links“ ist für die Grünen tatsächlich falsch. Die sind eine progressive, liberale Partei. „Technokratisch“ ist sicher zu einem gewissen Teil auch nicht falsch, beißt sich aber mit dem Sozialromantiksklimbim gerade bei der Gentechnik.

      b) Bleibt aber eine Ausnahme.

      g) Da hat du ja was für meinen neuen Artikel 🙂

      l) Danke!

  • cimourdain 30. März 2023, 14:36

    1) ii) Wenn man es für legitim hält, dass 4 Millionen gültiger Stimmen, die den ‚falschen‘ Parteien gegeben wurden, nicht nur ignoriert werden, sondern den ‚richtigen‘ Parteien zugeschlagen, dann ist die Fallhöhe zu undemokratischen Praktiken andernorts nicht mehr so hoch. Die Ausrede „Mehrheitswahlrecht ist noch viel schlimmer“ lasse ich dabei nicht gelten. Zur Einordnung: Fast alle europäischen Staaten haben eine Sperrklausel, aber höher als bei uns ist sie nur in den Musterdemokratien Liechtenstein, Russland und Türkei.

    5) Da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Mit technokratisch meinte ich nicht „technikaffin“ sondern Herrschaft durch Expertise – vor allem in Verwaltungs- und Kommunikationsangelegenheiten. ‚Expertokratie‘ trifft es besser, klingt aber nach einem „Schwätzerwort“.

    • Stefan Sasse 30. März 2023, 18:11

      1) Sehe ich absolut nicht so.

      5) Hab ich schon so verstanden, aber ich weigere mich, Heilpraktiker*innen und andere Esoterik-Schwätzer*innen als Expert*innen für irgendwas anzuerkennen.

  • cimourdain 30. März 2023, 20:16

    1) Hier eine Alternative zum Stimmenraub – Verfahren der etablierten Parteien: Ersatzstimme
    https://www.mehr-demokratie.de/rettet-unsere-stimmen

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