Drei unangenehme Schlüsse aus dem Ukrainekrieg

Für uns hier im Westen ist der Ukrainekrieg zugleich nah und fern. Nah, weil es der größte Krieg in Europa seit 1945 ist, ein verbrecherischer Angriffskrieg, der unsere eigene Sicherheit in Frage stellt. Fern, weil wir – einmal abgesehen von der Inflation – das Ganze letztlich aus derselben Distanz beobachten können, mit denen wir solche Konflikte für gewöhnlich betrachten. Allem Gerede von der Zeitenwende zum Trotz hat ein tiefer Mentalitätswechsel genauso wenig stattgefunden wie ein Politkwechsel. Der unwürdige Prozess um das Sondervermögen der Bundeswehr legt das genauso offen wie die katastrophale Beschaffungsbürokratie. Doch der Krieg lässt auch Schlüsse zu, die nicht ganz so offensichtlich sind – und allesamt nicht sonderlich angenehm.

Auf der ersten Ebene steht allerdings die eklatante Unvorbereitheit des Westens, ganz besonders aber Deutschlands. Es ist kaum eine neuartige Erkenntnis, dass die Bundeswehr nicht einmal bedingt abwehrtauglich ist. Munitionsvorräte, die kaum zwei Tage Ernstfall überstehen würden, fehlende Ersatzteile, mangelhafte Ausrüstung, fehlende Ausrüstung, kaum Großgerät – die Liste ist endlos, und das für eine Armee, deren Verteidigungsbudget nicht eben gering ist.

Aber gleichzeitig ist es auch wenig sinnvoll, dieses tote Pferd weiter in Bezug auf die Zeit vor dem Februar zu dreschen. Es gab keine politischen Mehrheiten für etwas anderes, in keiner Partei und nicht in der Bevölkerung. Die Vorstellung, dass irgendjemand, selbst wenn diese Person gewollt hätte – ob Merkel, ob sonstwer – das hätte ändern können, ist anachronistisch. Die Bundeswehr war fast 30 Jahre lang effektiv eine Friedensarmee. Sie diente nicht einmal wie im Kalten Krieg zur Abschreckung. Geld auszugeben für die Einlagerung von Munition und Gerät, das nie würde benötigt werden – wer hätte das durchsetzen sollen?

Das Auffällige ist vielmehr, dass sich das nicht grundlegend geändert hat. Sieht man sich die Debatte zum Sondervermögen an, dann ist ersichtlich, dass sich die Mentalität nicht grundlegend gewandelt hat. Neun Monate wurden mittlerweile fast komplett ungenutzt verstreichen gelassen. Die üblich langsamen deutschen Politikroutinen mahlen gewohnt langsam, und die wichtigste Debatte schien zu sein, wie das Sondervermögen rechtssicher in trockene Tücher gebracht werden könne (mit der ganzen Krückenkonstruktion um die Grundgesetzänderungen und Kapriolen um den „Kernhaushalt“).

Währenddessen gingen mögliche Lieferverträge durch die Lappen und stapeln sich die Aufträge bei den Rüstungsfirmen – nur die der Alliierten, nicht der Bundeswehr. Denn die Industrie würde gerne mehr Gerät und Munition herstellen; allein, eine verbindliche Aussage Deutschlands ist nicht zu bekommen. Tiefgehender als diese Verzögerung aber ist, dass nicht zu erwarten ist, dass nach der Verabschiedung des Sondervermögens eine größere Investitionssicherheit für die Unternehmen herrschen würde: die Zeitenwende steht innenpolitisch auf wackeligen Füßen, und bereits jetzt sind die 100 Milliarden auf rund 80 Milliarden abgeschmolzen – von der weiter deutlichen Unterschreitung des 2%-Ziels ganz zu schweigen.

Die Armee bleibt daher unvorbereitet und wird das auch absehbar bleiben. Bei den europäischen Verbündeten sieht die Lage nicht sehr viel besser aus. All das aber ist nicht wirklich neu. Der Ukrainekrieg hat es nur noch deutlicher offengelegt als bislang.

Auf der zweiten Ebene steht eine Frage, die bisher vor allem als ukrainisches Phänomen diskutiert wird, aber für uns hierzulande ebenfalls von großer Bedeutung ist: die der Resilienz. Kaum ein Bericht aus der Ukraine kommt ohne die erstaunt-bewundernde Feststellung aus, dass die Moral trotz aller Entbehrungen hoch ist.

Und Entbehrungen erleidet die Bevölkerung. Die russische Terrortaktik versucht (offensichtlich ebenso vergeblich wie verbrecherisch) die ukrainische Moral durch unterschiedsloses Morden der Zivilbevölkerung zu brechen. Abgesehen von den zahlreichen Kriegsverbrechen, von denen Bucha nur das erste bekanntgewordene ist, ist der Raketen- und Drohnenbeschuss Kiews und anderer Städte sicherlich das augenfälligste Merkmal.

Das Ziel dieser Attacken ist, soweit man das sagen kann, das Ausschalten der Infrastkruktur, vor allem der Stromversorgung. Mit dieser fällt auch die Wasserversorgung, die Heizung, die Kommunikation. Es brechen Versorgungsketten weg, sterben Menschen in den Krankenhäusern wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten, werden Leute auf offener Straße, zuhause oder bei der Arbeit von zufälligen Attacken getötet.

Wir wissen spätestens seit den durch die Klimakrise hervorgerufenen Naturkatastrophen der letzten Jahre, wie sensibel unsere eigene Infrastruktur ist. Moderne Gesellschaften sind extrem komplex aufgebaut, und der margin of error ist gering. Unsere Verwaltungen, Infrastrukturen und Versorgungsketten sind auf maximale Effizienz ausgelegt. Analog zur Bundeswehr haben wir quasi eine Friedensverwaltung.

Sollte der Ernstfall tatsächlich eintreten, würde wie in der Ukraine mit breitflächigen Stromausfällen zu rechnen sein, mit Versorgungsschwierigkeiten, mit Chaos. Die Systeme haben eine vergleichsweise geringe Resilienz, weil diese die letzten 30 Jahre einfach keine Rolle gespielt hat. Redundanzen waren ausschließlich eins: ein ineffizienter Kostenfaktor, der wegrationalisiert werden musste. Genauso wie bei den Munitionsvorräten der Bundeswehr war es politisch unvorstellbar, für den Ernstfall, der praktisch unvorstellbar war, Kapazitäten vorzuhalten – ob im Gesundheitssystem, bei der Stromversorgung, bei Notfallrationen, Unterständen, und so weiter.

Im Kalten Krieg gab es ein feingliedriges System der Bevorratung für den Kriegsfall. Wie belastbar das tatsächlich war, haben wir dankenswerterweise nie herausgefunden. Aber bedenkt man, wie der letztjährige Test der Notfallwarnsysteme daneben ging und wie der aktuelle Test des Handywarnsystems lief – nämlich furchtbar – bekommt man einen Vorgeschmack davon, womit zu rechnen wäre, wäre man wirklich auf diese Systeme angewiesen. Auch die Flutkatastrophe im Ahrtal hat diesen Mangel an Infrastruktur deutlich offengelegt, genauso wie die Coronakrise immer noch zeigt, wie sensibel unsere Versorgungsketten sind, die auf weltweite, friedliche Kooperation angelegt sind.

Ich habe keine Ahnung, ob es realistisch möglich ist, die Resilienz unserer Infrastrukturen signifikant zu verbessern. Was mir auffällt ist aber, dass es praktisch nicht diskutiert wird. Das ist verständlich, denn die Vorstellung, solche Bevorratungen wieder einzuführen, Redunanzen aufzubauen und die Resilienz des Systems zu erhöhen würde Unsummen kosten und Ressourcen binden, in einer Zeit, in der wir eigentlich die lang verschleppte Bekämpfung des Klimawandels angehen und die ebensolang versäumte Digitalisierung nachholen müssten, alles zusätzlich zur Steigerung der Verteidigungsausgaben. Die Versäumnisse der Ära Merkel holen uns auch hier mit Macht ein.

Doch das alles ist nur Geld. Die dritte Ebene ist die für mich am verstörendsten. Denn der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Krieg selbst wieder in den Alltag gerückt und gezeigt, dass auch 2022 nicht unvorstellbar ist, dass Soldat*innen in schlammigen Schützengräben unter Artilleriebeschuss die Stellung halten. Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Ukraine und Russland und der Rekrutierung von breiten Teilen der Bevölkerung in aktiv kämpfende Armeen ist etwas zurückgekehrt, das westliche Armeen eigentlich seit dem Koreakrieg nicht mehr kennen: die Einbeziehung breiter Teile der Bevölkerung in aktive Kampfhandlungen (in Vietnam hatten die USA zwar noch die Wehrpflicht, zogen aber sozial diskriminierend, dass von „allgemeiner“ Wehrpflicht kaum gesprochen werden kann.

Praktisch alle Staaten weltweit haben Berufsarmeen. Das ist angesichts der Komplexität der Aufgaben und Waffensysteme grundsätzlich auch sinnvoll. Wenn für die Ausbildung eines Soldaten schon im 19. Jahrhundert drei Jahre veranschlagt wurden, wie soll das heute erst aussehen? Nur, diese Zeit existiert für die Beteiligten nicht, weswegen zahlreiche kaum antrainierte Truppen an die Front geworfen werden. Sie sind dort mehr als nur warme Körper: die heftigen Kämpfe haben die professionellen Truppen stark ausgedünnt.

Die wohl verstörendste Lektion des Krieges soweit ist, dass die professionellen Truppen, egal wie gut ausgebildet und ausgerüstet sie sind, in einem ernsthaften Krieg konventioneller Truppen hohe Verluste hinnehmen müssen. Diese Verluste müssen dann wieder aufgefüllt werden, wenn die Armee einsatzfähig bleiben soll – und eine Berufsarmee hat keine sonderlich großen Kader. Bei vielen unserer Verbündeten gibt es wenigstens ein Reservistensystem aus Veteranen, auf das man zurückgreifen kann; Deutschland hat nicht einmal das. Aber auch die Reservisten reichen nicht lange aus. Ein Krieg in dem Ausmaß und der Intensität des Ukrainekriegs erfordert die Mobilisierung der Bevölkerung – und damit deren Einsatz und Tod im Feld.

Die Vorstellung, dass dies in Deutschland passieren könnte, ist jahrzehntelang völlig unvorstellbar gewesen. Aber die Ukraine zeigt deutlich, wie schnell das gehen kann. Plötzlich sind die Altersgruppen der 17- bis 40jährigen gefragt, in die Armee eingezogen zu werden und ihr Leben auf dem Schlachtfeld zu riskieren.

Auch hierauf sind wir in mehreren Dimensionen völlig unvorbereitet. Die Vorstellung, dass zehntausende von Zivilist*innen aus ihrem Leben gerissen, am Dienst an der Waffe ausgebildet und dann ins Feld geschickt werden, ist…unvorstellbar. Die Idee allein ruft kognitive Dissonanz hervor, in einem noch schlimmeren Ausmaß als ein Stromausfall wegen Raketenangriffen. Aber sie gehört zum Ernstfall ebenfalls dazu. Sollte es zu einem echten Krieg kommen, wird der Personalbestand der Bundeswehr innerhalb von Tagen erledigt sein. Kaum 180.000 Männer und Frauen befinden sich aktuell in der Armee, wovon ein großer Teil keine Kampftruppen sind.

Und die Bundeswehr hat genausowenig Kapazitäten für eine Ausbildung von Massen völlig untrainierter Wehrpflichtiger wie irgendeine andere Armee. Die Moral der Ukrainer*innen kann nicht in Zweifel stehen, aber die Berichte von Leuten, denen effektiv eine Waffe in die Hand gedrückt wurde um den Vormarsch auf Kiew abzuhalten, binden Knoten in die Magengrube. Einer der großen Effizienzgewinne der Friedensdividende seit 1990 und der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 war, dass man die riesige Ausbildungsinfrastruktur abbauen konnte. Die Bundeswehr wäre überhaupt nicht in der Lage, einen solchen Influx zu stemmen. Es gibt nicht die Ausrüstung, nicht die Kasernen, nicht die Ausbilder*innen dafür. Was solcherart eingezogene Truppen an Verlustraten erleiden würden, will man sich gar nicht ausmalen.

Vielleicht sind diese Befürchtungen übertrieben. Aber das sind die drei mehr als unangenehmen Schlüsse, die ich aus den letzten zehn Monaten ziehe. Ich bin gespannt, wie ihr das seht.

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  • Thorsten Haupts 12. Dezember 2022, 20:27

    Dazu drei kurze Anmerkungen:

    1) Das Reserveprovlem hätte man vermeiden können. 6 monate Grundausbildung und ein paar anschliessende mandatorische Wehrübungen reichen, um jedem Menschen Schiessen, Schanzen und den Umgang mit schultergestützten Panzer- und Flugabwehrwaffen beizubringen. Das Komplexitätsargument ist auch nur die Flucht in eine Scheinentschuldigung.

    2) Ausreichend Militär ist Daseinsvorsorge, genauso, wie die Feuerwehr oder der Katastrophenschutz. Dafür keine Mehrheiten mobilisieren zu können, ist das denkbar stärkste Argument gegen Demokratie, das ich jemals gesehen habe.

    3) Das bequemlichkeitspazifistische Deutschland KANN keine Zeitenwende, weil es keine will. Das war von vorhersehbar Bullshit, auf den die deutschen Medien natürlich voll abfuhren. Rhetorik ersetzt das machen – der Preis für die inzwischen nahezu vollständige Übernahme administrativer, legislativer und medialer Aufgaben durch Geistes- und Sozialwissenschaftler.

    Aber die Deutschen können sich beruhigt zurücklehnen – noch hat Polen den Willen zur Selbstverteidigung (im Ernstfall natürlich ohne Deutschland) nicht verloren. Richtig gefährlich wird es erst, wenn auch Polen zum Bequemlichkeitspazifismus konvertiert.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 12. Dezember 2022, 20:51

      1) Kann ich nicht beurteilen.

      2) lol

      3) Ich finde nicht, dass das komplett deterministisch ist, wie du das darstellst.

      Ich sage schon seit Längerem, dass Deutschland wesentlich enger mit Polen zusammenarbeiten muss.

      • Kning4711 12. Dezember 2022, 22:15

        Leider hat Deutschland einfach kein Konzept, wie es mit seinem schwierigen Nachbarn Polen umgehen möchte. Dir verfehlte Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte, sowie eine rechtspopulsistische Regierug in Polen haben die beiden Partner entfremdet.
        Kürzlich verkündete Deutschland die Raketenabwehr Initiative „European Skyshield“ – ein Abwehrschirm von Finnland bis zum Schwarzen Meer – dummerweise hat man die Polen und die Franzosen vergessen einzubinden. Es sind diese ständigen strategischen Unzulänglichkeiten, die es Deutschland unmöglich machen eine Führungsrolle einzunehmen.

        • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 06:33

          Das hat man nicht „vergessen“, die wollten nicht. Die Franzosen haben ein eigenes System, das sie der EU gerne verkaufen würden, während die Skyshield-Länder in den USA kaufen wollen. Polen hat ebenfalls sein eigenes System und ist deswegen nicht dabei.

          • Kning4711 13. Dezember 2022, 12:21

            Naja, das ist ja auch so ein Problem, dass Rüstung in Europa auch immer Industriepolitik ist und Deutschland und Frankeich munter konkurrieren.

            Man könnte sich ja jeweils auf Schwerpunkte konzentrieren, aber so weit geht dann die Einigung doch nicht.

            • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 13:47

              Ja, aber das ist in den USA ja mit den konkurrierenden Bundesstaaten auch nicht anders. Da hast du nur halt einen einzigen Käufer…

        • Erwin Gabriel 13. Dezember 2022, 15:41

          @ Kning4711 12. Dezember 2022, 22:15

          Leider hat Deutschland einfach kein Konzept, wie es mit seinem schwierigen Nachbarn Polen umgehen möchte.

          Da ist aus meiner Wahrnehmung das arrogante Deutschland das Problem. So wie hierzulande der „richtige (=meist bequeme) Weg erkannt wurde, versucht man, das auf andere aufzupropfen.

          Die verfehlte Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte, …

          So bitter für unsere früher geknechteten Nachbarn zu sehen, wie wir den Russen hintenrein gekrochen sind. Statt Verständnis und Unterstützung gab es Belehrungen, Zurechtweisungen und „Moral“.

          … sowie eine rechtspopulsistische Regierung in Polen …

          Mit der man respektvoll leben muss. Ist deren Sache.

          Es sind diese ständigen strategischen Unzulänglichkeiten, die es Deutschland unmöglich machen, eine Führungsrolle einzunehmen.

          Dutschland will Orden für Taperkeit, ohne in den Krieg zu ziehen. Deutschland kann nicht führen, da es nicht bereit ist, auch nur einen kleinen Preis für Verantwortung zu zahlen. Mein Eindruck ist, dass sämtliche Parteien am liebsten alle wirkliche Verantwortung nach Brüssel abgeben wollen. Was bleibt: Die Hoffnung auf viele Einnahmen (ohne genug dafür zu tun), so dassman bequem verteilen kann.

          • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 18:56

            Nein, das ist nicht deren Sache. Rechtspopulistisch ist eine Sache, aber die Zerstörung rechtsstaatlicher Strukturen kann die EU nicht hinnehmen.

            • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 13:05

              @ Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 18:56

              Nein, das ist nicht deren Sache. Rechtspopulistisch ist eine Sache, aber die Zerstörung rechtsstaatlicher Strukturen kann die EU nicht hinnehmen.

              Wie Du wissen solltest, setzt sich auch die EU permanent über rechtsstaatliche Regeln und Strukturen hinweg. Und wenn Du zu einer Person gehst, versucht, sie von einem Fehlverhalten abzubringen, dass Du selber falsch machst, kriegst Du normalerweise schon eine „jetzt erst recht“-Reaktion.

              Ich akzeptiere, dass sich EU-Länder zur Wehr setzen – gegen die von Merkel aufoktroyierte Politik gegenüber islamischen Flüchtlingen (die sich nur auf den Weg gemacht haben, nachdem sich die EU einer ausreichenden Unterstützung des UN-Flüchtlings-Hilfswerks verweigerte, gegen die „Ihr müsst tun, was wir Euch sagen, sonst drehen wir Euch den Geldhahn zu“-Attitüde, gegen das unsägliche, ohnmächtige Gewinsel wg. Russlands Aggressionen, vor der wir lange genug gewarnt wurden.

              Ich stimme zu, dass die Polen oder die Ungarn inzwischen zu weit gehen (was nur meine sehr subjektive Wahrnehmung angeht), dies aber in Anbetracht der Umstände und des Verhaltens der EU in Übereinstimmung mit dem Großteil ihrer Bevölkerungen tun.

              Aber Kaczyński und Orbán sind aus meiner Sicht eher Reaktionen auf ein vom Westen bestimmtes verhalten der EU, dass den Anforderungen der östlichen Mitgliedsländer nie gerecht wurde; typische EU-Arroganz, die beim Hineinpieken platzt wie eine Seifenblase. Polen und Ungarn beweisen nach innen und außen eine stärkere Handlungsfähigkeit als die nach innen und außen machtlose EU.

              Ohne die Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern gutzuheißen oder gar für Deutschland zu wollen, verstehe ich die grundsätzliche Reaktion von Polen und Ungarn doch sehr gut.

              • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 14:35

                Ich verstehe auch die Klimakleber. Das heißt noch lange nicht, dass ich es hinnehmen oder gutheißen kann. Two wrongs don’t make a right. Das sollte doch eigentlich Konsens sein.

                • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 23:16

                  @ Stefan Sasse

                  Ich verstehe auch die Klimakleber. Das heißt noch lange nicht, dass ich es hinnehmen oder gutheißen kann. Two wrongs don’t make a right. Das sollte doch eigentlich Konsens sein.

                  „Ohne … gutzuheißen, verstehe ich …“

                  War Dir das nicht klar genug?

                  • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:09

                    Ich mach dir keinen Vorwurf, ich wollte das nur nochmal allgemein klarstellen, weil es in der Debatte gerne untergeht. (Mich ärgert gerade die Klimaaktivismusecke auf Twitter wahnsinnig, vermutlich bin ich daher etwas übersensibel.)

            • Stefan Pietsch 14. Dezember 2022, 13:17

              Ich stimme Dir absolut zu. Nur, wo sind Deine Einwände, wenn Deutschland auf praktisch jedem Politikfeld Sonderwege geht, und zwar unabhängig, ob dies in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten oder von Brüssel fällt? Wo sind Deine Einwände, wenn gegen bestehende Verträge – und sei es nur gegen deren Geist – verstoßen wird?

              Migrationspolitik ist in Teilen eine nationale Angelegenheit. Wenn Deutschland durch sein Asylrecht und soziale Gesetzgebung eine Sogwirkung auf Flüchtlinge aller Art ausübt, deren Konsequenzen dann an den Küsten Spaniens, Italiens und Griechenlands stranden und diese sich noch Belehrungen aus Berlin anhören müssen, wären Einwände von Dir eigentlich hochwillkommen.

              Oder wenn Deutschland mit seiner Energiepolitik praktisch alle Partnerländer gegen sich aufbringt, könnte von Deiner Seite auch ein paar (er-) klärende Worte folgen. Oder wenn Deutschland national ein Subventions- und Unterstützungsprogramm für Unternehmen und Haushalte fährt, die alle anderen EU-Mitgliedsländer vor Neid erblassen lässt.

              Ich könnte fortsetzen. Aber all diesen Politikfeldern ist gemein, dass von Dir eben keine Einordnung in die europäische Politik und Rechtslage folgt. Nur, wenn die Triggerworte Polen und Ungarn fallen, bist Du wegen Rechtsverletzungen auf der Zinne. Wobei die Osteuropäer manchmal nur gegen den Geist, nicht jedoch gegen die juristischen Buchstaben der EU-Verträge verstoßen. Manchmal.

              • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 14:37

                Grundsätzlich müssen wir Rechtsbrüche von Alleingängen unterscheiden. Wo ein EU-Staat alleine entscheiden darf, kann er das tun, ohne dass die EU dagegen vorgehen müsste. Das sagt natürlich noch nichts darüber aus, wie clever der Alleingang ist, was du ja gut herausstellst. Aber Polen und Ungarn verstoßen gegen Kernprinzipien der EU. Von daher: unbedingt Kritik an der konkreten Policy, aber das kann nicht rechtfertigen, wenn ein Land den Rechtsstaat demontiert und die Demokratie abschafft.

                • Stefan Pietsch 14. Dezember 2022, 14:53

                  Wie gesagt, absolut bei Dir.

                  Aber: Spanien beispielsweise hat eine Vermögensteuer, die de facto hauptsächlich die dort lebenden Ausländer aus der EU trifft. Bei Formverstößen – die sind dort sehr leicht – drohen konfiskatorische Konsequenzen. Die Südländer missbrauchen die Hilfsgelder aus dem Corona-Hilfspaket zur Haushaltsfinanzierung. Das ist sowohl gegen die übergeordneten EU-Verträge als auch gegen die von den Regierungschefs beschlossenen Kriterien. Es wird augenzwinkernd geduldet, weil man das Eigentliche, die Transferunion, politisch und rechtlich nicht bekommen konnte.

                  Das ist schon sehr mit Winkelzügen gearbeitet und liegt in der Kategorie nur eine Stufe unter Polen und Ungarn. Aber wie das so ist mit Rechtsverstößen: wenn einer mal angefangen hat und es geduldet wird, kommt immer einer, der noch einen Schritt weitergeht und auch Duldung einklagt. Wie will man da widersprechen? Es gibt nicht ein bisschen Rechtsbruch. Es gibt entweder einen Rechtsbruch oder keinen.

                  • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 18:42

                    Ich halte das mehrere Stufen drunter. Und Deutschland macht so Kram ja auch. Das ist mehr so business as usual. Die Absolutheit, die du formulierst – es gibt Rechtsbruch oder nicht – ist natürlich korrekt für die Frage, ob ein solcher stattgefunden hat. Aber genau die kategoriale Binarität, die du hier absolut setzt, hast du in Bausch und Bogen abgelehnt, als etwa um Maskentragen oder Tempolimit ging. Da war sehr viel Raum für Rechtsverstöße, die individuell erlaubt waren. Man kommt bei alledem nie um eine Wertung herum. Und da bestehen halt kategoriale Unterschiede zwischen der Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaat und der Umleitung von Subventionsgeldern.

                    • Stefan Pietsch 15. Dezember 2022, 09:51

                      Ich halte das mehrere Stufen drunter.

                      Ich sehe nicht, wie Du zu dieser Bewertung kommst. Was sollen das für Stufen sein? Der Vollständigkeit halber: Ich habe in dieser doch sehr umfangreichen Aufstellung die Triggerworte für Dich – Maastricht-Verträge und Geldpolitik – herausgelassen. Bezüglich der EZB hat immerhin das deutsche Verfassungsgericht erhebliche Zweifel, ob sich die Frankfurter Währungshüter seit 12 Jahren vertragskonform oder doch eher vertragsbrüchig verhalten.

                      Zwischen dem und der Behauptung, Polen und Ungarn seien vertragsbrüchig, erkenne ich nicht viele Stufen, wie Du behauptest. Und wenn Italien EU-Mittel aus einem Sonderfonds für den allgemeinen Haushalt zweckentfremdet, ist das ein glatter Vertragsbruch. Dieser Fonds ist laut den Europäischen Verträgen gar nicht vorgesehen und er wird aus den Mitteln anderer Mitgliedsstaaten gefüttert, die darüber ihren Bürgern rechenschaftspflichtig sind, schließlich sind die Nationalstaaten im Bereich der Steuern souverän und dürfen ihre Mittel nicht einfach auf andere Gebietskörperschaften übertragen.

                      Das mag für Dich politisch alles harmlos und trivial sein. Juristisch und damit völkerrechtlich ist es das keineswegs. Es ist schwerwiegend. Nicht so schwer wie ein Angriffskrieg oder die Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat. Aber nicht so weit unter letzterem. Denn die Basis unserer Zusammenlebens, Stefan, ist das Recht. Die EU ist eine Rechtsgemeinschaft und darf eigentlich nicht gegen Gesetze und völkerrechtliche Verträge verstoßen.

                    • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:18

                      Ich gebe dir insofern Recht, als dass juristisch gesehen – also für die Frage, ob ein Vertragsbruch vorliegt oder nicht – weniger Stufen dazwischenliegen als ich es hier darstelle. Vermutlich war mein „mehrere“ auch zu weit gegriffen, insofern es „viele“ impliziert. Einigen wir uns vielleicht auf „mehr als eine“? Was für mich hier das entscheidende ist: bei den Hilfsfonds und Maastricht geht es „nur“ um Geld. Das kann ich ggf. wieder reinholen. Im schlimmsten Fall habe ich unangenehme Reformen, muss kürzen, höhere Steuern, etc., aber das ist alles ist grundsätzlich revidierbar. Die Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaat sind wesentlich gefährlicher, tiefgreifender, gefährden das Gemeinwesen mehr. ABER: Ich gebe dir völlig Recht, dass wenn das Brechen von Verträgen gewohnheitsmäßig wird – auch bei einem Thema wie Geld – das zu einer schleichenden Erosion führt. Und ich will auch nicht behaupten, dass das konsequenzenfrei wäre oder dass man es ignorieren sollte. Meine Argumentation läuft hier eher in folgende Richtung: Angenommen, die EU schaffte die Maastrichtregeln heute ab. Das würde den Bestand der EU als das, was sie ist, nicht gefährden (wenngleich möglicherweise die Wirtschaft schwächen, aber das ist eine andere Diskussion). Schaffte sie aber die Voraussetzung ab, dass alle Mitglieder demokratische Rechtsstaaten sein müssen, würde sie ihren Kern aufgeben. Das ist für mich der kategorale Unterschied.

                    • Thorsten Haupts 15. Dezember 2022, 10:26

                      @Stefan P:
                      Ich bin da im Ergebnis Ihrer Auffassung. Die einzig gegen Kritik haltbare Begründung für die Demokratie ist neben der Institutionalisierung friedlichen Herrschaftsübergangs die Sicherung des Rechtsstaates. Und der wiederum ist primär Sicherung gegen Machtmissbrauch. Der natürlich mit Rechtsbrüchen beginnt, die Ihre und meine Steuergelder zweckentfremden. Das genau IST Machtmissbrauch – nur leider einer, an den wir (siehe Stefan S) uns als Normalfall der Politik gewöhnt haben und den viele genau deswegen schulterzuckend hinnehmen – ist halt „so“. Was die Aufregung über die „Abschaffung“ des Rechtsstaates in Polen a weng heuchlerisch macht.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:18

                      Siehe mein Kommentar zu Stefan.

                    • Erwin Gabriel 16. Dezember 2022, 11:55

                      @ Stefan Sasse

                      … nur um Geld …

                      Wenn die Führung der EU letztendlich durch Machtmissbrauch und Regelbrüche dafür sorgt, dass die gesamte Institution ausgehöhlt wird, dass immer mehr menschen sich unwohl fühlen, dass immer mehr Staaten sich abwenden, dann kannst Du das nicht ignorieren, indem Du sagst, dass die Schuld haben, die sich abwenden.

                      Großbritannien hat sich ganz verabschiedet, Ungarn und Polen sind mit dem Kopf draußen, genauso wie große Teile der Bevölkerungen von Frankreich und Deutschland. Haben ale selbst schuld?

                      Deine Wahrnehmung scheint zu sein: „Blöd, dass ich dem auf den Fuß getreten bin. Ging halt nicht anders, weil ich da lang musste – warum steht er mir auch im Weg. Ist aber noch lange kein Grund, so laut zu schreien. Das ist ja Körperverletzung.“

      • Thorsten Haupts 12. Dezember 2022, 23:21

        Zu 1):
        Ich schon.

        Zu 2):
        Wüsste nicht, was es da zu lachen gibt?

        3):
        Die Evidenz ist bisher eineindeutig. Nicht nur die deutsche …

        Gruss,
        Thorsten Haupts

    • Erwin Gabriel 13. Dezember 2022, 15:31

      @ Thorsten Haupts 12. Dezember 2022, 20:27

      Dazu drei kurze Anmerkungen: …

      Zustimmung (komplett)

  • Lemmy Caution 12. Dezember 2022, 20:47

    Bundeswehr sollte auf jeden Fall wieder ausgebaut werden. Es bräuchte da erstmal einen guten Manager an der Spitze. Uns auf die Polen, Finnen, Balten, Slowaken und Tschechen zu verlassen, ist einfach zu wenig.
    Auf internationale Solidarität kann sich Europa nicht verlassen. Dafür erzeugen wir zu viel Neid.
    Die größere Gefahr für eine wirkliche Destabilisierung sehe ich nach wie vor in Xis China. Wenn es da knallt, müssen wir Südkorea, Japan, Taiwan, Vietnam und Singapur unterstützen.
    Nach einer Beendigung des Konflikts gehört die Ukraine asap in die EU.
    Kein bulshit von wegen Marshall Plan mit Rußland oder Wiederaufnahme der Gasimporte, weil wir denen eine Chance geben müssen. Nach diesen 9 Monaten müssen wir überhaupt nichts.

    • Stefan Sasse 12. Dezember 2022, 20:51

      Ein „Manager“ für eine Armee…?

      Sonst weitgehend Zustimmung.

      • Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 06:08

        Ein Manager als jemand der die großen Linien in allgemeine Strategie, Beschaffung, Personalfragen und Investitionen bestimmt.
        Klare Ziele formulieren.
        Klassische Landesverteidigung sollte im Mittelpunkt stehen, nicht mehr diese unrealistischen Auslandseinsätze wie Afghanistan.

        • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 06:35

          Wie soll das
          a) in einer Demokratie
          b) in einer Armee
          möglich sein?

          • Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 07:36

            Vermutlich reden wir aneinander vorbei.
            Ich will da einfach eine Art Generalbevollmächtigten mit starker Persönlichkeit, der natürlich unter demokratischer Kontrolle den Wiederaufbau dieser Armee vorantreibt. Vielleicht gibt es da Ansatzpunkte in den 50ern.
            Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schienen wir keine Armee zur Landesverteidigung mehr zu benötigen. Das war ein Irrtum und jetzt muss das asap umgestellt werden. Dafür ist es hilfreich, dass diese Aufgabe in einer verantwortlichen Person gebündelt wird.

            • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 11:49

              Ich hab solche Bevollmächtigten schon öfter gesehen. Das klingt immer toll, funktioniert in der Praxis aber praktisch nie. Ohne die Bürokratie kommst du nicht weit. Und irgendjemand von außen ohne Bezug kann dann mit seinem/ihrem Team eine Menge Memoranden produzieren, aber was davon umgesetzt wird…?

              • Thorsten Haupts 13. Dezember 2022, 17:49

                Exakt.

            • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 13:19

              @ Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 07:36

              Ich will da einfach eine Art Generalbevollmächtigten mit starker Persönlichkeit, der natürlich unter demokratischer Kontrolle den Wiederaufbau dieser Armee vorantreibt.

              Den Punkt verstehe ich und heiße ihn – zumindest grundsätzlich – gut.

              Problem wird, wie so oft, die Politik sein. So wie da einer sitzt und macht, werden die ganzen Politiker, die die ganzen Jahre wohlfeil ihre Klappe hielten, mitreden wollen. Sie würden sich überschlagen mit Forderungen, die unerfüllbar sind, parteipolitische Aspekte einbringen, oder die einfach nur mit ihrem Rumgewichtel zu Anne Will oder Maybrit Illner wollen.

              Es würde an unserem System scheitern. Hat man nach jahrzehntelangem Schweigen gesehen, wer sich da plötzlich zur Ukraine oder zum Sonderetat zur Wort meldete …

              Vielleicht bräuchte man zwei: Einen, der die Arbeit macht, und einen, der sich mit Politik und Presse herumprügelt. 🙂

              • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 14:37

                Wie gesagt, ich halte die Idee des mit Omnipotenz ausgestatteten Machers für reine Fantasie.

                • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 23:21

                  @ Stefan Sasse

                  Es geht nicht um Omnipotenz, nicht um Verteidigungspolitik, sondern um das Managen von Beschaffung und Einkauf und organisatorischen Strukturen.

                  • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:11

                    Als ob sich das trennen ließe! Der OP sprach von der Festlegung der Strategie, und das zurecht. Ich kann ja nicht beschaffen und organisieren, ohne einen klaren Einsatzzweck zu haben. Und gerade der ist es ja, an dem es mangelt. Schaffen wir also einen solchen Posten, ist dieser entweder ineffektiv, weil jegliche Zielsetzung fehlt, oder er maßt sich an (zwangsläufig), am Parlament und der Regieurng vorbei die Ausrichtung der Bundeswehr und Teilen unserer Außenpolitik festzulegen. Ich sehe nicht, wie das funktionieren soll.

                    • Erwin Gabriel 15. Dezember 2022, 12:01

                      @ Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:11

                      Als ob sich das trennen ließe!

                      Na klar 🙂

                      Der OP sprach von der Festlegung der Strategie, und das zurecht. Ich kann ja nicht beschaffen und organisieren, ohne einen klaren Einsatzzweck zu haben.

                      Wir reden hier von EU-Eingreiftruppen, NATO-Einbindung etc. – an welcher Stelle haben wir denn schon mal die Bundeswehr auf eigene Kappe losgeschickt, ohne in ein größeres System eingebunden zu sein?

                      Und gerade der ist es ja, an dem es mangelt.

                      Das zu klären ist Aufgabe der Politik. Wird immer so bleiben. Man kann trotzdem eine grundsätzliche Festlegung treffen, wo und wie bereit sind, im Rahmen von EU-, UN- oder Nato-Einsätzen zu agieren.

                      Von diesen politischen Entscheidungen sind Beschaffungsentscheidungen ein Stückweit abhängig. Aber die Auswahl und Konfiguration beispielsweise eines Kampfflugzeugs sollte ohne Politik laufen, sondern sich an den Bedürfnissen der Soldaten und Einsätze ausrichten.

                      Derzeit ist die Politik offenbar unfähig, das zu regeln. Das machen viele Länder besser als wir.

                    • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 13:24

                      Kein Widerspruch. Aber diese Länder kommen ja auch ohne eine solche Person aus. Die Beschaffungsprozesse der US Army sind ja auch legendär von pork barrel politics korrumpiert. Das reicht als Erklärung für mich nicht aus.

                    • Erwin Gabriel 16. Dezember 2022, 11:58

                      @ Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 13:24

                      Aber diese Länder kommen ja auch ohne eine solche Person aus.

                      Hab überhaupt kein Problem damit, wenn man es hier auch anders vernünftig hinkriegt. Ist aber seit Jahrzehnten nicht der Fall.

                    • Stefan Sasse 16. Dezember 2022, 12:32

                      Schon, ich bin ja auch nicht für den Status Quo! Ich zweifle nur an dieser Lösungsmöglichkeit.

  • Kning4711 12. Dezember 2022, 22:44

    Machen wir uns nichts vor, selbst ein begrenzter konventioneller Konflikt innerhalb Europas pulverisiert unseren Wohlstand. Unsere Volkswirtschaften wären vollends überfordert und es würde rasch Kriegsmüdigkeit einkehren. Putin weiss das, und deshalb kann er sein Angst-Spiel durchziehen.

    Darüber hinaus ist der moderne konventionelle Krieg ein höchst komplexes Unterfangen, müssten doch die Dimensionen Boden, Luft, Wasser, Weltraum und Cyber in Einklang gebracht werden. Die Mittel dafür, kann Europa gar nicht aufbringen, da es hierzu an den notwendigen Kapazitäten fehlt. Der Wohlstand müsste zugunsten militärischer Macht eingetauscht werden. Das ist schlicht nicht mehrheitsfähig.

    Insofern können wir eigentlich nur von Glück sagen, dass wir den nuklearen Schutzschirm haben, der dann doch die ganz große Eskalation verhindert.

    Die einzige Möglichkeit die ich sehe ist die militärische Hilfe für die Ukraine aufrechtzuerhalten und auszubauen, so dass die russische Kosten-Nutzen Abwägung immer mehr kippt und Russland an den Verhandlungstisch zwingt. Putin weiss das und deswegen muss er eigentlich im Winter All-In gehen, damit die Not in der Ukraine so gross wird, dass wir die Ukraine zu Verhandlungen drängen, weil wir nicht von deren Flüchtlingen (sorry, dass ich es so zuspitze) überrollt werden wollen. Insofern ist jetzt nur die Frage: Wer ist schneller – unsere Militärhilfe oder Russlands Zerstörungskurs.

    • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 06:34

      Dass ein Krieg Wohlstand pulverisiert sehen wir ja jetzt bereits in den sehr indirekten Auswirkungen. Der Ukrainekrieg kostet uns sehr realen Wohlstand. Aber: das war den Leuten auch 1914 klar. Wirtxchaftliche Rationale sind keine Garantie gegen einen Krieg.

      Ich sehe auch keine Alternative zu Hilfe für die Ukraine.

    • Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 07:21

      What?!?

      Zunächst mal wundert mich immer diese Überschätzung Russlands.
      Die hatten 2021 143 Mio Einwohner. Davon sind Millionen in die Nachbarländer geflohen. 25% muss man bei denen wegen der Volksdroge Vodka abziehen.
      Wirtschaftlich hatten die 2021 das Gewicht Spaniens.
      Die Sanktionen werden erst nach einer bestimmten Zeit sichtbar. Das war in Venezuela nach 2019 auch so.
      Die meisten Menschen überschätzen den Nutzen von eigenen Rohstoffen für die Wirtschaft eines Landes. Insbesondere fossile Rohstoffe werden weiter an Bedeutung verlieren.

      Allein Skandinavien + Polen + Baltische Staaten + Tschechien + Slowakei + Rumänien haben 110 Mio Einwohner. Wer die Einstellung von Polen, Balten und Finnen zu Rußland kennt, weiss, das die doppelt zählen. Schon damit gäbe es eine Überlegenheit.
      Im Hinterland gibts da noch Länder wie Groß Britanien, Irland, die Niederlande und Teile Deutschlands, Spaniens, Italiens, Portugals, Frankreichs, Belgiens und Österreichs, auf die aus meiner Sicht Verlaß wäre.

      Existentielle Grundpfeiler wie repräsentative Demokratie, Meinungsfreiheit, soziale Marktwirtschaft, persönliche Freiheitsrechte, etc. kann man nicht aus Furcht vor ein paar Wohlstandsverlusten aufgeben.

      Bin auch für Verhandlungslösung. Dafür braucht man aber erstmal Forderungen, auf denen die Ukraine und der Westen dann großmütig verzichten kann:
      – Anzahl und Zeit des Dienstes der Russischen Zwangsarbeiter für den Wiederaufbau der Ukraine ist verhandelbar.
      – Anzahl der Kinder und Enkel von Russischen Politikern, Propagandisten und Oligarchen, die in den CSD Paraden der nächsten 10 Jahre durch unsere Straßen paradiert werden, ist verhandelbar.
      – Konsolidierung der Grenzen der Russischen Föderation ist verhandelbar. Ideen:
      + rechtmässige Gebietsansprüche der Ukraine aus der Zeit des Kyiver Rus des Jahres 1000
      + Kaliningrad könnte litauisch werden und Sankt Petersburg nach einer erneuten kleinen Namensänderung dieser Stadt als Sankt Sannaburg finnisch.

      • sol1 13. Dezember 2022, 10:35

        „Kaliningrad könnte litauisch werden…“

        Die Tschechen haben sich zuerst gemeldet:

        https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/russland-ukraine-tschechien-referendum-kaliningrad-100.html

        • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 11:50
        • Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 13:16

          Die Tschechen begründen ihre Ansprüche damit, dass der bömische König Přemysl Ottokar II dem Deutschen Orden bei den Pruzzen-Kreuzzügen unterstützte. Bekanntlich lebten die Pruzzen im Gebiet um Königsberg.
          Im Kampf gegen den russischen Imperialismus kann man sich nicht auf eigene imperialistische Traditionen berufen, zumal die Opfer meine Vorfahren sind.
          Am besten das Gebiet wird litauisch.

          • Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 16:04

            Tschechen schiessen manchmal übers Ziel hinaus. Dieses Plakat steht im Böhmerwald hinter der bayrisch(!!!)/tschechischen Grenze. In Železná Ruda hinter Bayrisch Eisenstein.
            Bin da mal mit dem Fahrrad durch. Železná Ruda kam mir irgendwie bekannt vor.
            https://twitter.com/idrazan/status/1212372157625503745

            • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 18:56

              lol

            • Dennis 13. Dezember 2022, 19:06

              Da geht’s ja IMHO eigentlich nur um Herrn Babis, eine durch und durch kriminelle Type à la Trump, ehemals Kommunist und in diesem Zusammenhang vermutlich auch Geheimdienstmann damals in den 80ern. Nunmehr Erzkapitalist, der das hohe Lied der „Marktwirtschaft“ absingt.

              UND mit der netten Pointe: Durchaus populär und mit ganz guten Chancen bei den Präsidentschaftswahlen in ein paar Wochen. Also ganz im Trend der neuen Zeit, dem das Plakat offenbar entgegen zu wirken trachtet. Wie erfolgreich, wird man sehen.

          • Dennis 13. Dezember 2022, 18:45

            Einverstanden, ist aber nur plausibel bei Wiederherstellung prä-christlicher Zustände oder man sagt, die Christianisierung seinerzeit war lediglich „wertegeleitete Außenpolitik“ . Gar nicht so einfach, das zu rekonstruieren, aber es gibt ja Hinweise:

            https://de.wikipedia.org/wiki/Prußische_Religion

            Ich mach mit, kann meinerseits litauische Vorfahren nachweisen.

            Die Idee könnte man natürlich ausweiten und nachträglich alles Imperialistische allerorts für ungültig erklären. Dann ist nichts mehr gültig und wir fangen noch mal ganz von vorne an, aber diesmal nur lieb und nett. Die alternative Idee, wir sind zwar ab sofort lieb und nett, aber lassen alle historischen Schweinereien per Stichtag mal so stehen und „entschuldigen“ uns lediglich wechselseitig für alles Mögliche, funzt indes offenbar auch nicht so gut 🙁

            • Lemmy Caution 13. Dezember 2022, 21:01

              Wie Du sicher weisst, war nicht so ganz ernst gemeint.
              Selbstverständlich kann man das nicht mit heutigen Maßstäben messen…
              wobei es ganz interessant ist, die Aktivitäten des Deutschen Ritterordens mit der Konquista Südamerikas zu vergleichen, aber das ist ein Riesenfaß.
              Hab letztens Andrejs Plakans, „A concise History of the Baltic States“ gelesen. Kann ich empfehlen.

              • Dennis 13. Dezember 2022, 21:26

                Zitat:
                „Wie Du sicher weisst…… “

                Klar, weiß ich.
                Und danke für den Buchtip. Ist schließlich die Heimat meiner Vorfahren.

      • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 11:47

        Obervolta mit Atomraketen.

  • Pirat 12. Dezember 2022, 23:40

    Ein wichtiger Text. Ich raufe mir über ungefähr die gleichen Fragen die Haare. Allerdings nicht erst seit diesem Jahr. Sondern schon lange. Lange genug um die Aussetzung der Wehrpflicht damals für einen horrenden Fehler gehalten zu haben.
    Stattdessen hätte ich damals einen Umbau in eine Dienstpflicht in ähnlicher Weise wie sie Steinmeier vor einigen Monaten mal in die Debatte warf für wichtig gehalten. Jeder junge Mensch, Männer wie Frauen, hätte z.B. wenigstens ein Jahr irgendeine Art Pflichtdienst machen können – primärer in Pflege und Sanitätsdienst, Betreuungsdiensten, sekundärer beim Militär. Völlig abseits von Debatten darüber ob das den Charakter nun stärkt oder nicht, würde das, richtig organisiert (ok, das ist bei uns in Deutschland dann immer der Knackpunkt), die Gesellschaft resilienter machen. Die Bundeswehr könnte aus einem größeren Pool besser Berufssoldaten anwerben (sich auf Freiwillige zu verlassen, verengt den Pool) und wäre besser in der Gesamtbevölkerung verwurzelt. Ein größerer Teil der Bevölkerung hätte schon mal militärische Strukturen gesehen und könnte im Ernstfall als erstes eingezogen werden. Diejenigen, die ihre Dienstpflicht zivil abgeleistet haben, sollten idealerweise mit Kenntnissen im Bereich Sanitätsversorgung und Pflegeversorgung da rausgegangen sein, die man im Ernstfall wieder aktivieren könnte – um Opfer von Angriffen zu versorgen, inländische Flüchtlinge zu versorgen etc.
    Zwei Punkte stehen einem solchen Konzept grundsätzlich entgegen: Es kostet Geld und in Deutschland will man ja immer alles billig haben. Auch die Kriege. Die Erkenntnis, dass sich Kriege selten für Kosten interessieren, ist hier nicht angekommen. Zweitens die inzwischen gesellschaftlich breit verankerte Ablehnung jeglicher Pflicht. Man möchte alle Freiheiten haben, sieht aber nicht ein, dass Freiheiten nur funktionieren, wenn es auch eine Gegenbalance in Form von Pflichten gibt (Beispiel: freie Meinungsäußerung ist eine total tolle Sache, aber sie geht mit der Pflicht einher, dass man eben auch die Meinungen der anderen aushalten muss und dass man die Würde anderer achtet, indem man z.B. nicht beleidigt oder ihren Tod propagiert…sonst funktioniert das nicht oder nicht gut).
    Ich hab 2014 dann vor dem Hintergrund der ersten Runde in der Ukraine mit meinem Vater viel über das Thema diskutiert. Zum Hintergrund: Mein Vater hat Anfang der 70er seinen Wehrdienst gemacht, bis in die 90er war er aktiver Reservist, jedes Jahr auf Übungen. Er war immer einer der besten Schützen in seinem Trupp, hat Einzelkämpferausbildung gemacht. Die meiste Zeit war er im Nachschub und als er sich ausmustern ließ, beendete er die Laufbahn als StUffz der Reserve. Er sah die Wehrpflichtgeschichte ähnlich kritisch wie ich (Anmerkung: ich wollte 2001 meinen Wehrdienst durchaus ableisten, wurde aber wegen kaputten Knie und Augenfehler auf T5 eingestuft und sofort ausgemustert). Wir haben darüber diskutiert, was Deutschland überhaupt tun könne. Zwei Schlussfolgerungen haben wir gezogen. In einem großen Krieg werden wir schneller die Wehrpflicht wieder haben, als irgendein Pazifist hierzulande heulen könnte. Und wir hielten es für wahrscheinlich, dass man gezwungen sein würde, selbst angehende Senioren wie meinen Vater mit über 60 einzuziehen, damit sie mit ihrem Erfahrungsschatz aus früheren Jahren nochmal in der Ausbildung helfen können – damit jüngere Offiziere an die Front können. Wer jetzt so sagt „Im Leben nicht!“, dem sei gesagt, dass das auch über einen Krieg wie in der Ukraine gesagt wurde.

    Wir müssen meiner Meinung nach lernen, die Dinge realistischer zu sehen, auch wenn sie unangenehm sind. Es gibt Beispiele am laufenden Band, wo das nicht der Fall war, obwohl ein wenig historisches Wissen und ein bissel Logik ausgereicht hätten, Dinge kommen zu sehen. Zumindest grundsätzlich. Ein Beispiel dafür ist z.B. die Behauptung, wir wären doch nun von Freunden umgeben und damit ist der Drops gelutscht. Ich hab das noch nie verstanden. Das Deutschland „von Freunden umgeben“ ist, hat sich 1989/90 quasi über Nacht ergeben. Was in die eine Richtung schnell geht, kann aber ebenso schnell wieder vorbei sein. Das ist doch offensichtlich. Warum sollte das irreversibel sein? Der Ukrainekrieg zeigt deutlich wie schnell das gehen kann. Und die Einschläge könnten theoretisch binnen 10 oder 20 Jahren, sollte die EU zerbröckeln, näher rücken – in Polen gibt es Kräfte, die gern gegen Deutschland hetzen und im richtigen Kontext eine neue Feindschaft mit uns befördern könnten und in Ungarn gibt es durchaus Sympathisanten für Grenzänderungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft für ein neues Großungarn, was nur durch Krieg ginge. Es ist die EU, die – noch – hier gewisse Dinge deckelt. Noch 2014 stellte ich eine Berechnung an, dass Putin mit einem Überraschungsangriff auf die NATO binnen eines Monats auf deutschem Boden stehen könnte (falls nicht vorher die Atombomben fliegen). Eine solide Abwehrfront hätte in dem Szenario erst am Rhein gestanden. Das war natürlich reine Spekulation und wie wir jetzt wissen, fehlen der russischen Armee Fähigkeiten und Kapazitäten dazu. Was sich aber bewahrheitet hat: Putin sieht Krieg als normales Mittel der Außenpolitik an.
    Hier wäre wir bei einem weiteren Irrtum: Die deutsche Gesellschaft hat die Ablehnung von Krieg so verinnerlicht, dass man sich hier beharrlich der Einsicht verweigert, dass andere Menschen auf diesem Planeten das vielleicht etwas lockerer sehen. Putin ist ja nicht der erste. Wenn schon ein westlicher Staatsführer wie George W. Bush Krieg als Mittel der Außenpolitik ansehen konnte – warum sollte das für freiheitsfeindlichere Staatschef nicht auch gelten? Und schon Milosevic damals in Serbien hätte uns eine Mahnung sein können. Denn tatsächlich sind viele unserer hiesigen Glaubenssätze Lebenslügen: Das Gewalt keine Lösung sei. Das bei Krieg jeder verliert. Das ist alles Quatsch und mehr eine Frage des Standpunkts. Gewalt ist vom Standpunkt des Täters aus eine konstruktive soziale Handlung, er ist lediglich für das Opfer destruktiv. Überspitzt gesagt: Wenn ich das Geschwaffel des anderen nicht leiden kann, kann ich für Ruhe sorgen, indem ich ihm den Kopf abschlage. Die Logik eines Psychopathen im Grunde, aber eine Logik. Und da draußen gibt es nun mal Menschen, auch auf Regierungsposten mancher Länder, die für eine solche Logik offen sind.
    Siehe Putin.
    Natürlich sollten wir selbst nicht so denken als Gesellschaft. Wir sind glücklicherweise weiter. Wir müssen aber realistisch genug sein, um zu begreifen, dass andere Akteure das noch nicht so sehen und uns darauf vorbereiten, damit umzugehen. Das haben wir nicht getan, was die Ursache dafür ist, dass ein Putin oder auch ein Xi Jinping uns für schwach und dekadent halten. Zugegeben, in gewisser Weise sind wir das.

    Ein weiterer enorm wichtiger Punkt sind die Mythen, denen wir uns im Hinblick darauf, wie Kriege der Zukunft geführt würden, hingegeben haben. Das fing schon Ende der 90er an, damals beim Kosovokrieg. Ich hatte damals mit unserem Geschichtslehrer zu dem Thema lange Debatten. Er hatte sich dazu belesen und vertrat die damalige und seitdem stark kultivierte Ansicht, dass es im Grunde von nun an nur noch Bürgerkriege in irgendwelchen abgewrackten Kleinstaaten geben würde, und wenn die Großmächte mal eingreifen, dann nur mit Luftwaffe und Präzisionsbomben, Bodentruppen gäbe es allenfalls noch nach Friedensschluss als Polizeitruppen oder in Form von kleinen Kommandoeinheiten für taktische Aufgaben. Später wurde das ja ab etwa 2005 dadurch erweitert, dass zunehmend Drohnen eingesetzt würden und ab etwa 2014 ergänzte man das noch um den Slogan hybrider Krieg, um Sabotage, Unterwanderung und Propaganda einzubinden. Klar war aber immer die Aussage: Große Kriege zwischen Staaten mit Massentruppen, massenweiser Artillerie und Panzergefechten ist vorbei.
    Ich war schon damals in Debatte mit meinem Lehrer anderer Meinung.
    Mein Argument ist die Geschichte des Krieges. Es ist ja fast nichts wirklich neu (außer gelegentlich mal eine bestimmte grundsätzlich neue Erfindung wie Schießpulver oder Atombombe), das meiste ist Variationen eines Themas. Wenn man durch die Geschichte blättert, fällt auf, dass verschiedene Kriegsformen zwar immer mal wieder Phasen hatten wo sie häufiger oder seltener waren – aber sie verschwanden nie ganz. Bürgerkriege gab es auch schon immer und ja, nach 1990 wurden sie die häufigste Kriegsform. Aber es gab nichts, was die Annahme unterstützt hätte, dass es nie wieder einen zwischenstaatlichen Krieg geben würde. Spätestens der Irakkrieg hätte uns eines besseren belehren können (der war in seiner ersten Phase ein zwischenstaatlicher Krieg). Es gab auch weniger prominente Beispiele wie der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea. Darüber hinaus gibt es mahnendes Beispiel liefert auch die Geschichte: Vor dem 1. Weltkrieg gingen viele Menschen in Europa davon aus, dass ein Krieg zwischen Großmächten nicht stattfinden würde, weil die Länder zu sehr voneinander abhängig seien, zu wirtschaftlich verwoben (na, kommt einem bekannt vor, wa?). Damals dachte man eher an koloniale Konflikte wie in Marokko, Aufstandsniederschlagungen oder die italienische Invasion in Libyen. Oder zwischen hinterwäldlerischen Ministaaten wie auf dem Balkan. So war doch das Denken. 1914 grätschte da geradezu brachial in die Überzeugungen.
    Was sagt die Geschichte zu den anderen skizzierten Annahmen über den Krieg der Zukunft? Zum einen, dass die alten Mittel erhalten bleiben. Panzer haben nie die Infanterie ersetzt, aber ergänzt. Ähnlich ist das nun mit Drohnen – sie ersetzen reguläre Truppen nicht, sondern ergänzen sie. Das gilt ganz besonders dort, wo es um wirkliche Kontrolle über ein Gebiet und eine Bevölkerung, also Eroberung, geht. Die Amerikaner versuchen seit einigen Jahren einen fast reinen Drohnenkrieg, bei dem sich gezeigt hat, dass dieser auf absehbare Zeit nur zur Eindämmung dienen kann und auch das ist eine wacklige Angelegenheit. Der IS zwang die Amerikaner und den Westen dann doch, noch andere altmodischere Mittel einzusetzen und in Afghanistan verhinderten Drohnen nicht den Sieg der Taliban. Drohnen sind kein Wert an sich, es kommt darauf an, in welchem Kontext sie wie eingesetzt werden, mit welchen taktischen Vorgaben und Rules of Engangement (hier in Deutschland wird ja gerne so getan, als wenn der Besitz von Drohnen automatisch bedeutet, man würde gezielte Tötungen wie die Amerikaner durchführen, was aber Quatsch ist; das ist eine Einsatzentscheidung, die Menschen treffen und natürlich kann man andere Einsatzkonzepte für Drohnen entwickeln und umsetzen, wie gerade in der Ukraine bewiesen wird). Kurz es ist komplex.
    Ähnlich beim hybriden Krieg. Das Wort ist neu. Sonst nix. Im Kalten Krieg war hybrider Krieg mit gegenseitiger propagandistischer Beeinflussung, Unterwanderung etc. im Grunde normal. In der Kolonialzeit nutzten die Kolonialmächte auch hybride Konzepte, um lokale Herrscher zu unterwerfen. Auch Söldner sind ja kein neues Phänomen, eher fallen sie in das Muster, das manche Dinge zeitweise seltener, zeitweise häufiger werden.
    Wie steht es mit reinen Luftwaffenkriegen? Der Präzisionsmythos hat sich wiederholt widerlegt (auch bei Drohnen). Darüberhinaus sind reine Luftkriege mit einem ähnlichen Problem wie reine Drohnenkriege geschlagen, wirkliche Herrschaftsausübung gibt es erst mit Bodentruppen. Der Kosovokrieg wird gerne genannt als ein rein aus der Luft geführter Krieg, dabei wird aber vergessen, dass die NATO kurz vor seinem Ende bereits den Bodeneinsatz diskutierte, weil man scheinbar nicht weiterkam. Es kam dann nie dazu, weil Belgrad zufällig kurz vorher aufgab.
    Was ist mit dem Mythos, dass nur noch kleine Truppen gebraucht werden? Der Irakkrieg hätte hier eine Mahnung sein können. Rumsfeld wollte damals am liebsten nur mit einer handvoll Truppen einmarschieren, seine Generäle beschwatzten ihn auf etwas mehr Truppenstärke. Und selbst die reichte dann fast nicht. Nach den ersten etwa zwei Wochen gab es eine kurze Vormarschpause auf dem halben Weg nach Bagdad, weil die rückwärtigen Linien der Amerikaner angegriffen wurden – wegen der knapp bemessenen Truppenzahl hatte man diese nicht gut absichern können. Es dauerte in paar Tage bis das ausgebügelt war.
    Bei den Russen in der Ukraine hat sich das im Grunde dieses Jahr wiederholt. Wenn man das mal nüchtern betrachtet, was sagt uns das alles?
    Es sagt uns: Ja, hochspezialisierte und technisch hochgerüstete Truppen haben eine hohe Schlagkraft. Aber die Option, traditioneller ausgerüstete Truppen in Masse einzusetzen bleibt auf dem Tisch. Und gerade wenn dann zwei staatliche Militärs sich gegenseitig zerfleischen, fällt es darauf wieder zurück, wenn die Spezialisten Verluste erleiden.
    Und auch das ist nicht überraschend, wenn man in die Geschichte schaut. Eine solche Entwicklung hat man mehrfach beobachtet. Allein der 1. Weltkrieg gibt mindestens zwei augenfällige Beispiele:
    Die Truppen Österreich-Ungarns begannen als eine Armee mit einem aktiven und frisch ausgebildeten Kern, um den herum man Reservisten aufstellte. Schon nach einem Jahr Krieg hatten die hohen Verluste im Grunde dazu geführt, dass die k.u.k. Truppen ihren Kern verloren hatten und damit faktisch auf den Zustand einer Miliz zurückgeworfen wurden.
    Die britische Armee begann als Berufsarmee, die im Laufe des Krieges erst mit Hilfe der vielen Freiwilligen ihre Zahl vervielfachte, dann mit Hilfe der Wehrpflicht. Die hohen Verluste führten auch hier dazu, dass die „alte“ Armee 1916 im Grunde untergegangen war und durch etwas Neues ersetzt war.
    Wer hier Parallelen zur derzeitigen russischen Armee sieht: Ja, genau.
    Was sagt einem das? Es ist alles da, war immer alles da, um alles was wir gerade erleben vielleicht für mehr oder weniger wahrscheinlich zu halten – aber eben nicht für unmöglich. Das man es trotzdem für unmöglich hielt, kann man eigentlich nur mit einem gewissen Ausmaß an Realitätsverweigerung erklären.

    Und das muss aufhören.

    • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 06:42

      Puh, danke für den langen Beitrag. Ich versuch mal auf die Punkte einzugehen:
      1) Pflichtdienst. Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich das unterstütze. Zumindest nicht in den Formen, in denen der bisher immer diskutiert wurde, als eine Art Persönlichkeitsbildung.
      2) Reversionen: Das Dilemma habe ich im Artikel ja angesprochen: du kannst nicht endlos gut auf alles vorbereitet sein. Und dass wir uns so schnell nicht gegen einen polnischen Angriff werden wehren müssen, war glaube ich 1991 schon die korrekte Einschätzung. Ich mache weniger den Vorwurf, dass man damals nicht auf Kaltem-Krieg-Niveau die Armee hat laufen lassen, sondern dass man auf die Änderung so langsam reagiert.
      3) Aggressoren: Auf Milosevic etc. HAT man ja reagiert. Man begann den Umbau von der wehrpflichtigen Verteidigungsarmee zur professionellen Interventionsarmee. Es ist ja nicht so, als wäre da gar nichts passiert.
      4) Künftige Kriege: Noch hält die Regel, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen. Demokratieförderung und, ja, wertebasierte Außenpolitik go a long way.
      5) Lehren aus der Geschichte: Ja, aber du kannst auch hier nicht einfach davon ausgehen, dass das alles letztlich statisch bleibt. Aber Zustimmung bei deiner Technikeinschätzung.
      6) Verluste im WK1: Genau darauf will ich im Artikel raus.

      • Tim 13. Dezember 2022, 18:59

        @ Stefan Sasse

        „1) Pflichtdienst. Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich das unterstütze. Zumindest nicht in den Formen, in denen der bisher immer diskutiert wurde, als eine Art Persönlichkeitsbildung.“

        Ich bin auch immer wieder erstaunt über die Nonchalance, mit der manche glauben, ohne belastbaren Grund in die Freiheitsrechte junger Menschen eingreifen zu dürfen. Freiheit als Verfügungsmasse – da ist man schnell selbst bei Putin. Wehret den Anfängen.

        • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 20:36

          Der Pflichtdienst ist so ein konservatives Ding.

          • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 13:39

            @ Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 20:36

            Der Pflichtdienst ist so ein konservatives Ding.

            Wer von Staat und Gesellschaft nur nehmen will, kann damit wohl wenig anfangen.

        • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 13:37

          @ Tim 13. Dezember 2022, 18:59

          Ich bin auch immer wieder erstaunt über die Nonchalance, mit der manche glauben, ohne belastbaren Grund in die Freiheitsrechte junger Menschen eingreifen zu dürfen. Freiheit als Verfügungsmasse – da ist man schnell selbst bei Putin. Wehret den Anfängen.

          Da machst Du ein großes Fass auf. Es gibt laufend Eingriffe in die „Freiheit“: Beim Verkehrsrecht, beim Baurecht, bei Steuern, bei Corona, beim Wohnen – wo immer Du willst. Wie allgemein willst Du das fassen? Sind wir Maskenzwang auch bei Putin?

          Ein jeder Mensch erwartet, dass andere ihre „Pflicht“ tun, wenn diese benötigt wird. Deutlich weniger sind bereit, selbst in die Pflicht zu gehen, wenn diese von anderen benötigt wird.

          Aber wollen wir mal nicht so sein: Von mir aus kann diese Staatspflicht auf freiwilliger Basis erfolgen; jeder, der teilnimmt, wird durch den Staat in Form eines Noten-Bonus für den Numerus Clausus, höheres Bafög oder eine andere Form von Ausbildungsunterstützung vergütet. Dann gibt es kein Gemaule mehr über „Zwang“.

          • Stefan Pietsch 14. Dezember 2022, 14:35

            Ich kann diese schrägen Vergleiche nicht mehr lesen, sorry Erwin.

            Das Ordnungsrecht – dazu gehört z.B. auch die Straßenverkehrsordnung, darf die Grundrechte in keiner Weise einschränken. Tut es normalerweise auch nicht. In der Pandemie jedoch wurde das Ordnungsrecht genau zu solchen Zwecken missbraucht.

            Die Straßenverkehrsordnung hindert den Bürger kein bisschen in seiner Mobilität. Eine rote Ampel sagt lediglich, dass in diesem Moment die Mobilität eines anderen Bürgers Vorrang hat. Hier geht es aber nur um Sekunden, bestenfalls um Minuten. Das ist keine Einschränkung.

            Auch in anderen Bereichen verhindert das Ordnungsrecht nicht die Ausübung von Grundrechten, noch schränkt es sie ein. Der Bürger darf grundsätzlich jedes hergestellte Produkt auch benutzen. Manches, wie ein Kraftfahrzeug, ist mit einer Einweisung verbunden, die aber so gestaltet ist, dass es nicht mit einem Knock-out (wie z.B. eine Steuerberaterprüfung) konditioniert wird.

            Auch das Demonstrationsrecht wird durch das Ordnungsrecht nicht eingeschränkt. Grundsätzlich darf der Bürger auch spontan demonstrieren, ohne dass es einer öffentlichen Anmeldung bedarf. Diese ist nur erforderlich, wenn die Grundrechte anderer (z.B. von Autofahrern) berührt sind. Deswegen ist der Vergleich von Klimaklebern und angemeldeten Demonstranten so unfassbar ignorant. Die Klimakleber wollen ja gerade, dass ihre Mitbürger durch ihr Tun eingeschränkt werden.

            Deswegen sind sie – anders als bei Verstößen gegen das Ordnungsrecht (wie die Corona-Leugner) Kriminelle. Ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr bleibt auch dann ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, wenn nicht jemand ohne Führerschein fährt, sondern sich mutwillig auf eine befahrene Straße stellt. Auch hier ist die Gleichsetzung unfassbar blöd.

            Der Satz der Politik zur Maskenpflicht – und damit zu erheblichen Grundrechtseinschränkungen – lautete: Masken verhindern, dass der Mitbürger schwer erkrankt und mit einiger Wahrscheinlichkeit an der Krankheit verstirbt. Das hat sich als absolut falsch erwiesen. Heute können selbst Maskenbefürworter zu diesem Argumentationskonstrukt nur im Konjunktiv schreiben: Vielleicht, eventuell, vielleicht.

            Dagegen gibt es Lehrer, die 3 Jahre lang eine gesundheitsschädigende Maske für jeden ihrer Schüler verlangten, weil sie selbst eine relativ abstrakte Angst vor Infektionen hatten. Hier wog zu lange die Ängstlichkeit Erwachsener mehr als das Entwicklungsrecht von Kindern. Und das im Lehrerberuf.

          • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 14:40

            Das ist doch das, was wir bereits haben? Du kriegst ja Anrechnungspunkte beim FSJ und Co. Aber von mir können wir das sehr, sehr gerne noch weiter fördern! Fände ich auch einen echt guten Kompromiss.

          • cimourdain 14. Dezember 2022, 15:33

            Wenn der Staat Wohlverhalten in einem Bereich durch Privilegien in einem anderen belohnt, klingt mir das verdächtig nach Sozialpunktesystem – oder der ‚freiwilligen‘ Parteimitgliedschaft in den früheren kommunistischen Staaten, ohne die man keinen Studienplatz bekommen hatte.

          • Tim 14. Dezember 2022, 20:04

            Sind für Dich mehrere Monate Pflichtdienst vergleichbar mit der Pflicht, an einer roten Ampel zu halten? Für mich nicht. 😉

            Aber grundsätzlich finde ich natürlich schon, dass unser Staat weit mehr Freiheiten beschneidet, als ich ihm jemals zugestehen würde. Er macht einem halt in der Tradition Vito Corleones ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

            • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:08

              Es ist vergleichbar, aber nicht gleich.

              Der Staat beschneidet manche Freiheiten, die wir gerne hätten, und erlaubt andere, die wir gerne beschnitten sehen würden. Ich glaube, das ist normal, und niemand wird je 100% mit dem Ausmaß zufrieden sein. Aber näherungsweise ist die Situation in Deutschland für alle erträglich.

            • Erwin Gabriel 15. Dezember 2022, 11:36

              @ Stefan Pietsch 14. Dezember 2022, 14:35
              @ Tim 14. Dezember 2022, 20:04

              Ich kann diese schrägen Vergleiche nicht mehr lesen …

              Vermutlich habe ich mich nicht klar ausgedrückt. Es geht mir nicht darum, zwei Jahre Wehrdienst mit zwei Minuten Wartezeit an einer roten Ampel auf die gleiche Stufe zu stellen – so gut solltet Ihr mich inzwischen kennen.

              Es ging mir darum, dass unser Leben permanent von Einschränkungen, Regeln und Gesetzen eingeschränkt wird, und dass es in der Regel (die Bezahlung von Steuern vielleicht ausgenommen) immer genug Lücken und Alternativen gibt, die (gelegentlich) durch Belohnung oder (meist) durch Bestrafung gesteuert werden. Und ja, ohne eine Gleichwertigkeit mit dem Warten vor einer roten Ampel darstellen zu wollen, das inkludiert Straßenverkehr. War als Beispiel gedacht, um das untere Ende zu zeigen.

              Aber grundsätzlich finde ich natürlich schon, dass unser Staat weit mehr Freiheiten beschneidet, als ich ihm jemals zugestehen würde. Er macht einem halt in der Tradition Vito Corleones ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

              Mein Vorschlag war halt, auf die gleiche Art auch den Grund“x“dienst zu regeln.

    • Erwin Gabriel 14. Dezember 2022, 13:25

      @ Pirat 12. Dezember 2022, 23:40
      Stattdessen hätte ich damals einen Umbau in eine Dienstpflicht in ähnlicher Weise wie sie Steinmeier vor einigen Monaten mal in die Debatte warf für wichtig gehalten. Jeder junge Mensch, Männer wie Frauen, hätte z.B. wenigstens ein Jahr irgendeine Art Pflichtdienst machen können – primärer in Pflege und Sanitätsdienst, Betreuungsdiensten, sekundärer beim Militär.

      Um es etwas kürzer zu halten als Du 🙂 :

      Ich stimme voll zu!

  • cimourdain 13. Dezember 2022, 14:28

    Eine hervorragende Demonstration, wie effektiv – dank eines massiven Propagandaapparats – das militaristische Denken wieder in die Köpfe gebracht wurde – dank der „Tomorrow belongs to me“-Zeitenwende.
    Konkret zu deinen „Lektionen“

    1) Mal wieder das alte von Interessengruppen verbreitete Lied von der unterversorgten Armee, das einer neutralen Prüfung nicht wirklich standhält:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Firepower_Index
    Auch die Geschichte vom Mangel an Munition wird immer wieder hervorgezogen – und von der Bundeswehr selbst zurückgewiesen:
    https://www.bundeswehr-journal.de/2020/munitionsreserven-der-bundeswehr-offenbar-ausreichend/
    Davon abgesehen ist es vielleicht sinnvoll, erst zu klären, was das Standardgewehr sein wird, BEVOR man tonnenweise Munition kauft.

    2) Mal davon abgesehen, dass es bezeichnend ist, dass diese Überlegungen dir jetzt kommen und nicht schon, als im Mittleren Osten oder am Balkan Länder in die Steinzeit gebombt wurden, zeigt sich hier der Kern jeglichen Militarismus: Die Gesellschaft soll auf die Bedürfnisse der Kriegsführung hin ausgerichtet werden. Ich gehöre noch zu der Generation, die in der Schule Atomübungen gemacht haben, mit Bunkerfluchtwegen und Warntonerläuterung. Die Friedensdividende war auch etwas psychologisches. Alles mit Fleiß von interessierter Seite in die Tonne getreten.

    3) Dieser Punkt beunruhigt mich ebenfalls am meisten. Liegt es doch bei dir, wie Lehrer Kantorek das potentielle Kanonenfutter für Westen, Werte und Vaterland zu begeistern, damit sie sich für den Grabenkrieg melden. Aber generell stelle ich diese Frage gerne allen hier: Würdet ihr eure Verwandten im wehrfähigen Alter in einen (konventionellen) Krieg ziehen lassen – oder euch gar, wenn im levee-en-masse-tauglichen Alter (wie z.B: Jahrgang 1984), selbst melden? Wie gut, dass hunderttausende Tote des Ukrainekriegs nur Ukrainer und Russen sind…

    4) Als vierten hochbeunruhigenden Punkt sehe ich den revanchistisch-chauvinistischen Unterton (wenn auch immer brav im Rahmen des Bündnisses) vieler Kommentare hier. Königsberg (über Proxy Litauen) zurück ins Reich holen; Kanonenboote nach Kiautschou, damit über tausend Jahre kein Chinese wagt, einen NATOler schief anzusehen; einen ‚Diktator‘ (professioneller Manager) für die Armee uvm… . Da tun sich Abgründe auf.

    • Thorsten Haupts 13. Dezember 2022, 17:53

      Vielen Dank für diese Demonstration deutschen „Normaldenkens“ bis gestern 🙂 . Es hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind – ebenso verteidigungsunfähig wie -unwillig.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • cimourdain 14. Dezember 2022, 14:51

        Ich vergesse immer wieder, was für eine finstere Zeit die letzten 70 Jahre für Deutschland waren, wenn man sie mit der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleicht, als die ‚andere‘ Einstellung zu diesem Thema „Normaldenken“ war.

        • Thorsten Haupts 14. Dezember 2022, 15:14

          Es gibt a) auch etwas zwischen den Einstellungen „nationalistischer Vernichtungsmilitarismus“ und „betroffen- und Bequemlichkeitspazifismus“, b) betraf die zweifellos ungesunde Einstellung nicht die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern die Jahre zwischen 1932 und 1945. Davor war die Einstellung der Deutschen zum Militär oder zum Krieg auch nicht wesentlich anders, als die der Franzosen, Polen oder Spanier.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • cimourdain 15. Dezember 2022, 11:16

            b) Gut, dass Sie differenzieren, ich wollte nicht auf einen dummen Nazivergleich hinaus. Aber ich bin überzeugt, dass die europaweit verbreitete Einstellung zur Gewalt als Mittel der Politik zu beiden grauenvollen Kriegen des 20. Jahrhunderts geführt hat. Auch in der Zwischenkriegszeit gab es genügend Konflikte, die das belegen (polnisch-sowjetischer Krieg, irischer Bürgerkrieg, spanischer Bürgerkrieg).

            • Erwin Gabriel 16. Dezember 2022, 12:01

              @ cimourdain 15. Dezember 2022, 11:16

              Problem ist halt: Ist einer friedlich (ob aus Überzeugung, Bequemlichkeit oder Naivität), und der andere zieht mit seiner Armee los, verliert der Friedliche.

    • Thorsten Haupts 13. Dezember 2022, 17:57

      Zu 4):

      Wenn man die Satire auf die russischen „Volksabstimmungen“ ernst nimmt, dann kommt man natürlich zi solchen Schlüssen. Entspannen Sie sich – niemand will eine Belastung wie den Oblast Kaliningrad wirklich haben 🙂 .

    • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 18:54

      1) Eine Stellungnahme von 2020 über die zureichende Menge Munition kann ich nicht ernstnehmen, sorry.

      2) Meinst du nicht, dass du rhetorisch ein klitzekleines Bisschen übertreibst?

      3) Nicht, wenn ich es verhindern kann.

      4) Ich weiß nicht, welche Kommentare du liest, aber die hier sind’s nicht.

      • cimourdain 14. Dezember 2022, 14:48

        1) Es geht darum, dass das Thema immer wieder wortgleich(!) auf die Agenda gesetzt wird. Die Tatsache, dass sich die Situation massiv geändert hat (Weitergabe von Munitionsbeständen in großem Maßstab), die Zahl (1-2 Tage) aber gleich geblieben ist, legt den Verdacht nahe, dass es sich um eine vorgefertigte „Expertise auf Bestellung“ handelt.

        2) Generationending. Ich bin noch mit der realen (und wie sich herausgestellt hat, nicht unberechtigten) Angst vor dem Atomkrieg aufgewachsen.

        • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 18:40

          1) Ich kenn mich dafür zu wenig aus. Aber Leute, die sich auskennen, sind da nicht misstrauisch.

          2) Möglich.

    • Tim 13. Dezember 2022, 19:02

      „1) Mal wieder das alte von Interessengruppen verbreitete Lied von der unterversorgten Armee, das einer neutralen Prüfung nicht wirklich standhält:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Firepower_Index

      Russland schneidet in diesem Index extrem gut ab, Finnland extrem schlecht – niemand den GFI überhaupt noch jemand ernst? 🙂

      • cimourdain 14. Dezember 2022, 14:01

        Haben Sie eine zuverlässigere Gesamteinschätzung, die nicht von Rüstungslobby (Gesellschaft für Wehrkunde) oder transatlantischen Organisationen, gefüttert wurde? Immer raus damit.

  • CitizenK 13. Dezember 2022, 16:35

    Zu deinem letzten Punkt: Wenn man eine Armee für erforderlich hält, sollte sie auch funktionieren. Wenn es stimmt, dass durch Des-Organisation riesige Summen verschwendet werden, sollte man das korrigieren. „Diktator“ passt da nicht.

    Zu 3) Es ist ja richtig, dass ganze Generationen belogen und verraten wurden von ihrer politischen Führung. Aber: Würdest du leben wollen (oder deine Kinder) wie in Russland oder Belarus (das hatten die Ukrainier vor Augen). Das zu verhindern ist die Aufgabe des Bündnisses und der Bundeswehr.

    Kaliningrad/Königsberg – tschechische Satire auf die Pseudo-Referenden. Wie man das als real nehmen kann (Lemmy) , ist mir ein Rätsel.

    • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 18:56

      Auf wen beziehst du dich?

      • CitizenK 13. Dezember 2022, 21:15

        Cimourdin, sorry.

    • cimourdain 14. Dezember 2022, 15:30

      letzter Punkt: Wie nannten die Römer einen professionellen Manager, der eigenständig Befehlsgewalt über die Armee in Krisenzeiten hatte ? Genau !

      3) Beide Diktatoren (moderne Bedeutung) haben Militärhintergrund und stützen sich maßgeblich auf die Armee als Machtbasis. Gutes Argument gegen zu viel Einfluss des Militärs.

      Kaliningrad: Satire (auch und gerade gute) ist immer auch ein wenig Trolling. Und auch wenn es bei Tschechen lustig ist, klingt es halt nicht gut, wenn Deutsche in Osteuropa „umverteilen“.
      Als Vergleich (OHNE mir bekannten konkreten Hintergrund): Wenn ein russischer Comedian vorschlagen würde, Berlin wieder mit dem Panzer zu entnazifizieren, wäre ich mindestens verärgert und würde mir denken, dass das tief blicken lässt.

      • CitizenK 14. Dezember 2022, 16:40

        Ich habe Lemmy so verstanden, dass er die Organisation insbesondere des Beschaffungswesens der Bundewehr (einer „Parlamentsarmee“) effektiver und wirtschaftlicher will. Mit den römischen Diktatoren mit ihrer unbeschränkten auch politischen Macht hat das wirklich nichts zu tun. Das „Normaldenken“ über das Militär ist aus der deutschen Geschichte gut erklärbar. Man kann es aber auch übertreiben: Manche Super-Linke haben schon die BW-Soldaten in den Gesundheitsämtern während der Pandemie als eine „Militarisierung“ gesehen.

      • Stefan Pietsch 14. Dezember 2022, 17:41

        Hat Putin den Krieg in der Ukraine nicht mit der „Entnazifizierung“ begründet? Ich habe Ihre letzten Posts allerdings nicht so verstanden, dass Sie verärgert wären.

        Anmerkung: Putin ist kein Comedian und hat einen miserablen Humor.

        • cimourdain 15. Dezember 2022, 11:20

          Verärgert ist kein Ausdruck. Angriffskriege sind durch NICHTS zu rechtfertigen.

      • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 18:43

        Das geht mir auch schon wieder viel zu weit als Kritik.

      • Lemmy Caution 14. Dezember 2022, 23:38

        Natürlich sehe ich das Kaliningrad zu Kralovec Ding als Satire.
        Mir geht das seit dem Beginn des Krieges nicht aus dem Kopf: Meine Großmutter hatte ein schöne große gemalte Schlesien-Karte in ihrem Wohnzimmer hängen. Es war mir schon als Kleinkind klar, dass diese Karte ein verschwundenes Land darstellte, in dem meine Großmutter aufgewachsen ist, meine Mutter und ihre Schwestern geboren wurden, aber das nun polnisch ist.
        Der russische Revanchismus ist anormal. Beruht auf blödsinnigen pseudo-historischem Geschwurbel.

        • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:12

          Die Vertriebenenverbände hatten diesen pseudo-historischen Unfug und Revanchismus auch jahrzehntelang. Sie wurden nur zum Glück immer unbedeutender und starben irgendwann aus. Der Abgang von Erika Steinbach zur AfD ist die logische Konsequenz davon. Der russische Revanchismus greift ja auf die Erfahrungen der 1990er Jahre zurück. Eine Mehrheit der heute lebenden Russ*innen hat die noch erlebt und gut im Gedächtnis. Der Vergleichspunkt wäre glaube ich der ostdeutsche Revisionismus.

  • Ralf 13. Dezember 2022, 20:40

    Geld auszugeben für die Einlagerung von Munition und Gerät, das nie würde benötigt werden – wer hätte das durchsetzen sollen?

    Das würde auch heute niemand durchsetzen. Wenn wirklich wieder Munition und Gerät angeschafft werden, dann werden Regierungen auch unter Druck kommen, das zu verwenden. Im Neusprech wird man das dann “Verantwortung übernehmen” nennen. In der Praxis wird es heißen, dass deutsche Soldaten in fernen Ländern, von deren Existenz der Durchschnittsbürger noch nie gehört hat, für fragwürdige Zwecke morden und sterben werden.

    • Stefan Sasse 13. Dezember 2022, 23:03

      Warum? Wir haben es 1955-1999 auch nicht verwendet, und da hatten wir massenhaft Hardware rumliegen.

      • Ralf 13. Dezember 2022, 23:38

        Von 1955 bis 1999 haben wir uns stets mit unserer Geschichte herausgeredet. Dafür haben wir für das Sterben der anderen in der Regel die Rechnung beglichen. In der ersten Hälfte der von Dir angesprochenen Periode dürfte dazu der Appetit in Westeuropa auf eine deutsche militärische Großmacht auch eher begrenzt gewesen sein. Und bis zu den Zwei-Plus-Vier-Verträgen 1990 fehlte Deutschland darüber hinaus die volle Souveränität. Die Bedingungen waren halt völlig andere als heute.

        • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 07:54

          Ich sehe keinerlei Appetit auf militärische Einsätze in Deutschland heute, unabhängig vom Level der Ausrüstung.

          • Ralf 14. Dezember 2022, 08:09

            Die Bevölkerung hat keinerlei Appetit auf Auslandseinsätze. Das ist richtig. Umso besorgniserregender, dass die gegen den Willen der übergroßen Mehrheit dennoch stattgefunden haben und die Bundeswehr weg von ihrer Kernfunktion der Landesverteidigung voll auf diese “neuen Aufgaben” ausgerichtet worden ist.

            • Thorsten Haupts 14. Dezember 2022, 08:50

              Wo bitte hatten wir als Deutschland jemals einen echten (Kriegs-)Auslandseinsatz? Afghanistan wäre das einzige Beispiel, das ich gelten lasse, ansonsten ist das Verständnis Deutschlands von Auslandseinsätzen das von bewaffneten Entwicklungshelfern. Und „gegen den Willen der übergrossen Mehrheit“ ist zwar ganz sicher richtig, nur – seit wann hat die „übergrosse Mehrheit“ ein auch nur rudimentäres Verständnis von Aussen- und Sicherheitspolitik?

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • Ralf 14. Dezember 2022, 09:54

                Und „gegen den Willen der übergrossen Mehrheit“ ist zwar ganz sicher richtig, nur – seit wann hat die „übergrosse Mehrheit“ ein auch nur rudimentäres Verständnis von Aussen- und Sicherheitspolitik?

                Den Punkt schenk ich Dir. Aber mit dem Argument kannst Du die Demokratie auch gleich vollständig abschaffen. Denn die übergroße Mehrheit hat auch keine Ahnung von Innenpolitik, Gesundheitspolitik, Sozialpolitik oder irgendeinem anderen Ressort. In einer repräsentativen Demokratie können Regierungen in Notsituationen, wo schnell reagiert werden muss, natürlich erstmal entscheiden. Um ein Mandat des Bürgers, für das man Überzeugungsarbeit leisten muss, sollte man sich anständigerweise aber anschließend bemühen. Scheitern diese Bemühungen oder werden erst gar keine Bemühungen unternommen – und das für viele Jahre – dann sind solche Einsätze aus meiner Sicht undemokratisch und delegitimiert.

                • Thorsten Haupts 14. Dezember 2022, 11:05

                  Alles gut 🙂 . Ich arbeite gerade in den aktuell wichtigsten Projekt der „Energiewende“, dass wegen naturwissenschaftlicher Ignoranz und NIMBYISM von grossen Teilen der deutschen Bevölkerung doppelt so lange dauert und dreimal so teuer ist, wie ursprünglich projektiert.

                  Selbstverständlich können wir der Neigung der Leute nachgeben, alles abzulehnen, was nicht Landesverteidigung im engeren oder Militär im weiteren Sinne ist. Wäre ich als Deutscher selber nicht direkt betroffen, würde ich ja zu gerne mal ein so stark aussenwirtschaftlich verflochtenes, grosses, Land wie Deutschland mit der konsequenten Umsetzung solcher Bevölkerungsvorgaben vor die Hunde gehen sehen.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 12:03

                  Ich gebe dir Recht, dass Thorstens Argument hier wenig taugt – die Ignoranz der Bevölkerung rechtfertigt für sich genommen nicht die Missachtung. Aber: umgekehrt haben die Bürger*innen zwanzig Jahre lang Parteien gewählt, die die Beschlüsse unterstützt haben. Das Thema war den Leuten nicht wichtig genug.

                  • Ralf 14. Dezember 2022, 19:06

                    Aber: umgekehrt haben die Bürger*innen zwanzig Jahre lang Parteien gewählt, die die Beschlüsse unterstützt haben. Das Thema war den Leuten nicht wichtig genug.

                    Die Diskussion hatten wir ja zuvor bereits schon mal. Ich halte das für ein extrem undemokratisches Argument. Parteien tun alles, um sachliche Debatten im Wahlkampf zu vermeiden. Unangenehmen Fragen wird ausgewichen. In minutenlangen Schachtelsätzen werden Nicht-Antworten verschleiert. Medien hingegen promoten lediglich Krawallthemen, die Einschaltquoten und Leserzahlen maximieren. Ansonsten wird der Wahlkampf auf lächelnde Gesichter auf Plakatwänden ohne Botschaft reduziert. Kleine neue Parteien haben strukturell null Chance eine Regierungsmehrheit zu erlangen, egal wie populär ihr Programm ist/wäre. Selbst die Fünfprozenthürde ist praktisch fast unmöglich zu überwinden.

                    Dass der Bürger unter diesen Umständen halt die Parteien wählt, die da sind und die nunmal mit einem kompletten Programm antreten, das man sich als Wähler nicht custom-zuschneidern kann, ist wenig verwunderlich. Daraus zu schließen, dass man die Meinung der Bürger getrost über Jahre hinweg ignorieren darf – und das auch noch in einer Frage, bei der es um das Leben und Sterben zahlreicher Menschen – um Krieg und Frieden – geht – ist aus meiner Sicht hochgradig bedenklich. Unserer Demokratie zieht das den Boden unter den Füßen weg.

                    • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:07

                      Nein, das sehe ich nicht so. Manche Themen sind für Wählende salient und manche sind es nicht. Wenn du mich fragst, was meine Haltung zum Tempolimit ist, habe ich eine klare Antwort, aber ich würde niemals meine Wahlentscheidung davon abhängig machen. Ich wähle Parteien als Gesamtpaket. Die sagen mir bei der Wahl, wofür sie stehen, und bei CDU, SPD, FDP und Grünen bestand 2005, 2009, 2013, 2017 und 2021 NIE ein Zweifel, dass sie die Auslandseinsätze unterstützen. Wenn den Wählenden das Thema so wichtig wäre, dass sie ihre Wahlentscheidung davon abhängig machen, garantiere ich dir, dass einige oder alle Parteien ihre Haltung geändert hätten. Aber es ist den Wählenden nicht wichtig. Dass unsere individuellen Vorlieben nicht immer von dieser durchschnittlichen salience gedeckt sind ist für uns zwar bedauerlich, aber es ist nicht undemokratisch.

                    • Ralf 15. Dezember 2022, 21:08

                      Das Argument, dass Wähler selbst schuld sind, weil sie es ja in der Hand haben, jedes beliebige Thema zur Priorität ihrer Wahlentscheidung zu machen – und Parteien damit zwingen können auf ihre Wünsche zu reagieren, ist zwar verlockend, aber falsch. Dem stehen fundamental strukturelle Hürden gegenüber, weil unsere Welt so schlicht und ergreifend nicht funktioniert.. So wählt die Mehrheit der Wähler z.B. wahrscheinlich garnicht nach Inhalt sondern nach Identität. Und welche Themen bestimmend sind, entscheiden die Medien – nach Quotentauglichkeit. So wählen selbst die, die nach Inhalten wählen, nach den Inhalten, die von fremden Interessen bestimmt werden. Klar kannst Du jetzt sagen, dass der Wähler dann eben selber schuld ist. Point taken. Aber dann sagst Du eben, dass es ok ist, wenn sich Regierungen und Parteien weitestgehend von Bürgermeinungen abkoppeln und ohne Mandat für Ihre Entscheidungen agieren. Das operative Funktionieren unseres Landes stört das in der Tat nicht. Also jetzt im Augenblick. Aber ein permanent fehlendes Mandat für Regierungshandeln führt schließlich zu einem zunehmenden Rückzug der Menschen aus der Politik, zu einem Abwenden von der Demokratie und für das langfristige Überleben des Systems kann das aus meiner Sicht nicht gut sein. Und es ist auch weder moralisch noch demokratisch.

                • Stefan Pietsch 14. Dezember 2022, 12:46

                  Das Afghanistan-Mandat hatte zu Beginn in der Bevölkerung einen starken Rückhalt in der Bevölkerung von einer Zweidrittel-Mehrheit. Dies kehrte sich erst im Zeitablauf um.

                  Also, auch die deutsche Gesellschaft hat durchaus Verständnis für außenpolitische Notwendigkeiten.

                  • Stefan Sasse 14. Dezember 2022, 14:34

                    Guter Punkt!

                  • Lemmy Caution 14. Dezember 2022, 23:43

                    Der Afghanistan Einsatz erfolgte auf der Grundlage einer völligen Überschätzung unserer Fähigkeiten uns in andere Gesellschaften wirklich hinreichend hineinzudenken, um sie „aus der Dunkelheit zu führen“.

                    • Stefan Sasse 15. Dezember 2022, 11:13

                      Das mag durchaus sein. Aber das sagt ja nichts über seine demokratische Verfasstheit 🙂

                    • Stefan Pietsch 15. Dezember 2022, 11:17

                      Das war nicht die Diskussion. Die Argumentation von Ralf war, dass die deutsche Bevölkerung deutlich gegen Kriegseinsätze sei und die Politik dies trotzdem tue. Nur ist die Geschichte eben nicht so einfach. Eindeutig war eine deutliche Mehrheit gegen die Beteiligungen am Irak-Krieg I und II. Nur: da hat sich Deutschland auch nicht beteiligt. Beim Kosovo-Einsatz weiß ich nicht (mehr), wie die Mehrheitsverhältnisse waren. Und beim Afghanistaneinsatz war im Angesicht der Schreckensbilder von 9/11 die Sachlage für die Mehrheit sowieso klar.

                      Und was die Fehleinschätzung betrifft: Hier faselten nicht nur linke Politiker jahrelang von „gemäßigten“ Taliban, mit denen man verhandeln könne. Dass das völliger Quatsch war, bezahlen die Afghanen heute häufig mit ihrem Leben. Der Afghanistan-Einsatz war grundsätzlich nur bei zwei Gruppen völlig unpopulär: den Taliban und dem linken pazifistischen Lager in Deutschland.

                      Noch ein Wort zu Ralf: Er hat nach der Krim-Annexion die Haltung vertreten, diese sei im Prinzip unumgänglich gewesen. Die Abtrennung vom Donbass unterstützte er. Eine Teilung der Ukraine lehnte er ab und befürwortete deren Neutralität. Fehleinschätzungen, die es auch auf der großen politischen Bühne gab und die die Ukrainer heute mit dem höchsten Preis bezahlen. Das sollte man ab und zu in Erinnerung rufen.

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