Faschistische Boomer im Senat reden über Kontonummern und Kalte Kriege im woken Armee-PkW – Vermischtes 04.10.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Gib mal Deine Kontonummer

Dieses Klimageld, für das es nach Knopfs Ansicht die Möglichkeit zu Direktzahlungen bräuchte, steht sogar im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Warum gibt es das dann noch nicht? Hier wird es technisch. Denn dafür müsste man die Steuer-ID, die jeder Deutsche ab Geburt hat, mit den Kontonummern zusammenbringen. Das dauere „mal eben 18 Monate“, erklärte Lindner in der Pressekonferenz. Und außerdem sei es auch dann technisch nur möglich, 100.000 Überweisungen täglich auszuführen. Das hieße: Es würde rund 800 Tage, also mehr als zwei Jahre dauern, überhaupt jedem und jeder Deutschen nur einmal Geld zu überweisen. […] Brigitte Knopf hält die Zahl für Quatsch. „Es gibt da keine technische Begrenzung, die Familienkasse beispielsweise überweist auch jeden Tag mehrere Millionen Mal Kindergeld.“ Die Familienkasse wäre aus ihrer Sicht auch dafür geeignet, die neuen Direktzahlungen zu übernehmen. „Dort gibt es die Expertise und die technischen Möglichkeiten dazu.“ In der Praxis müsste die für die Umsetzung zuständige Stelle dann erst mal alle, deren Kontoverbindung sie noch nicht hat, anschreiben und um die Daten bitten. Wie schwierig es aber ist, jene zu erreichen, die darauf nicht antworten oder gar kein Konto haben, zeigt der Blick nach Österreich. […] „Wollen wir das denn wirklich, dass der Bund eine zentrale, lückenlose Liste von allen Konten aller Bürger hat? Und gegebenfalls sogar hineinschauen kann?“ Sie will kein solches „Superregister“, wie sie es nennt. „Diese Zentralisierungsfantasien des Finanzministeriums sehe ich mit großem Vorbehalt.“ (Lenz Jacobsen, ZEIT)

Lenz Jacobsen hat auf Twitter noch einige sehr wertvolle Zusatzgedanken zur Thematik aufgestellt. Ich finde es vor allem deswegen spannend, weil das innere Gefüge des Funktionierens von Institutionen für mich einfach interessant ist. In diesem Fall steht Lindner tatsächlich zwischen zwei Güterabwägungen, und das Ergebnis dieser Abwägung ist alles andere als offensichtlich. Klar will man Effizienz, und Direktzahlungen auf die Konten, die dabei natürlich hinterlegt sein müssen, ist das mit Abstand effizienteste Mittel. Gleichzeitig will man aber nicht, dass der Staat zu viele zentralisierte Informationen hat. Dazwischen eine „Goldilocks-Zone“ zu finden, ist gar nicht so leicht. Kritik gefallen lassen muss sich Lindner allerdings, wenn wahr ist, dass viele der Verzögerungen hauptsächlich deswegen entstehen, weil da ein komplett neues System geschaffen werden soll. Ich halte diese Berichte allein deswegen für glaubhaft, weil wir diesen Bullshit auf so vielen Ebenen sehen. Diese fixe Idee, dass Behörden ständig neue, riesige Systeme selbst bauen müssten (und könnten!) ergreift offensichtlich selbst die Liberalen.

2) You really don’t understand how bad it could get in Europe this year

But as bad as it is now, these might still be the good days for Europe. With winter and higher gas demand on the way, experts told Fortune that Europe’s energy market has never been more vulnerable. Even the slightest uptick in energy demand anywhere in the world could push entire sectors of Europe’s manufacturing industry to shut down entirely, devastating European economies with a wave of unemployment, high prices, and in all likelihood public unrest and divisions between European nations. […] With immediate supplies maxed out, Europe’s energy system is balanced on a ledge. That means that addressing demand is the only realistic measure left at Europe’s disposal. And that could come through painful means like mandated and widespread energy rationioning, according to Mitrova. […] Chavez added that so far, most European factories have only reduced their capacity, rather than shut down entirely. But industrial plants that rely on natural gas for electricity or are located in countries where gas plays a bigger role in the energy mix, could start shutting down soon because of unbearably high costs. […] „We can expect some protests,” Mitrova said, adding that Europe should anticipate movements similar to the Yellow Jacket protesters who emerged in France in 2018 protesting higher costs of living and electricity bills. (Tristan Bove, Fortune)

Ich kriege solche düsteren Zukunftsprognosen immer wieder in meine Timeline gespült, aber ich habe keine Ahnung, wie zutreffend sie sind. Marco Herack hat sich mit uns im Podcast klar gegen solche apokalyptischen Szenarien ausgesprochen, aber die Gefahr einer Deindustrialisierung, Rezession und einer mittleren Katastrophe für weite Bevölkerungsschichten ist sehr real. Für mich ist das die Bewährungsstunde der Politik: sie muss irgendwie versuchen, die Folgen dieser Krisen weitgehend aufzufangen. Es gibt keine Alternative dazu. Würde man die Sache laufen lassen, stürzten Millionen ins Elend. Das hält die Demokratie nicht aus. Wie genau das ablaufen soll – keine Ahnung. Aber es MUSS.

3) Der Lehrling und sein Meister

Der europäische Faschismus wird üblicherweise als ein Angriff auf die liberale Politik, Kultur und Wirtschaft beschrieben. Ishay Landa, Professor für Geschichte an der Open University of Israel, betont hingegen die lange vernachlässigte Wesensverwandtschaft zwischen liberaler Tradition und Faschismus. Weit davon entfernt, die Antithese des Liberalismus zu sein, war der Faschismus sowohl in seiner Ideologie als auch in seiner Praxis dialektisch dem Liberalismus, insbesondere seiner wirtschaftlichen Variante, verhaftet. […] Der Faschismus, so Landa, war das organische Ergebnis von Entwicklungen, die zum Großteil innerhalb der liberalen Gesellschaft und Ideologie stattfanden. Er war der extreme Versuch, die Krise des Liberalismus zu lösen, indem man dessen innere Widersprüche durchbricht, um die Bourgeoisie auf diese Weise vor sich selbst zu retten. (Dietz Verlag)

Ohne das Buch gelesen zu haben: ich halte nichts von dieser These. In meinen Augen ist der Kardinalfehler dieser Argumentation, die sich auf der Linken schon seit den 1920er Jahren findet, dass „Liberalismus“ und „Interessen der Wirtschaft/Reichen“ gleichgesetzt werden. Da gibt es natürlich einen gewissen Überlapp, weil beide ein Interesse an Deregulierung und niedriger Staatsquote haben. Aber den Liberalismus auf Wirtschaftsliberalismus zu reduzieren (der sich dann problemlos in rechtsautokratische Regime einbinden lässt, keine Frage), halte ich für extrem verkürzt.

Für mich ist das 20. Jahrhundert im Wesentlichen vom Konflikt der drei großen Ordnungsvorstellungen geprägt: Liberalismus, Kommunismus, Faschismus. Unter diesen drei hat sich der Liberalismus eindeutig durchgesetzt. Aber der Faschismus ist, genauso wie der Kommunismus, im Kern anti-liberal. Was die Vertreter*innen der obigen Argumentation glaube ich so verwirrt ist, dass Faschismus und Kommunismus moderne ANTWORTEN auf den Liberalismus sind. Der ist ja schließlich älter; wir können ihn locker zu Adam Smith zurückverfolgen. Die Ablehnung des Liberalismus als ein scheinbar überkommenes Relikt war treibende Kraft von Faschisten und Kommunisten. Der Liberalismus hat sich als stärker und wandlungsfähiger gezeigt, als diese in ihren kühnsten Träumen angenommen haben. Das sollte man nicht vergessen.

4) If You Really Love Democracy, You Can’t Love the U.S. Senate

It’s important to remember the two reasons we have a U.S. Senate. First, it represented a compromise with those in the founding generation who wanted an unelected body like Britain’s House of Lords to counteract “the people’s House,” the lower chamber. But more important, as James Madison made clear in “Federalist 62,” it was essential to the ratification of the Constitution that the country maintain its original character as a compact of states, not as a truly United States: […] This understanding of the country as a modified confederation of states with a stronger central government than it originally had more or less perished with the outcome of the Civil War and the ratification of the Civil Rights Amendments (including the 14th Amendment, that great and still-evolving guarantee of individual rights against states rights). But the Senate remains as a relic of the era when McConnell’s hero Henry Clay and a host of other patriarchal slaveholders held the Union temporarily together by engaging in “deal-making” at the expense of human dignity. The 17th Amendment, ratified in 1913 and providing for the popular election of senators instead of letting state legislatures choose them, took the chamber as far toward democracy as a flawed Constitution would allow. “Respect for the Senate as an institution” means contempt for democracy as a fundamental value. That is why those with respect for democracy should do everything possible to minimize the Senate’s ability to function according to the Founders’ design instead of boasting about making the chamber even more susceptible to high-handed measures to frustrate the popular will. (Ed Kilgore, New York Magazine)

An der Stelle ist es einmal angebracht festzustellen, dass die Gründerväter zustimmend nicken würden. Natürlich ist der Senat undemokratisch. Dafür ist er da. Die Gründerväter hatten einen absoluten Horror vor Demokratie. Für sie war das eine dystopische Vision; sie errichteten eine REPUBLIK, und zwar genau deswegen, um der Demokratie einen Riegel vorzuschieben. Sie betrachteten sie nicht wie wir heute als etwas Positives, sondern als anarchisches Chaos. Warnungen vor den ungewaschenen Massen und ihren Emotionen einerseits und er Gefahr von „Fraktionen“, also der Macht von Interessengruppen, andererseits durchziehen alle Äußerungen der Framer. Solange die USA diese Verfassung haben, wird der Senat ein undemokratisches Bollwerk bleiben, weil er genau dafür gemacht ist.

Allein, es ist nur diese Hälfte der Senatskonstruktion, die wie vorgesehen funktioniert. Es ist ja nicht so, als wären die Senator*innen irgendwie immun gegenüber Einflüssen von außen. Das war eine von Arroganz und Hybris geleitete Annahme der Gründerväter, die der Überzeugung waren, dass wohlhabende, gebildete, angelsächsische und weiße Männer wie wie die einzigen waren, die Entscheidungen für das Staatswesen objektiv und unparteiisch treffen konnten. Diese Annahme war 1789 so falsch wie sie 2022 ist. Aber sie ist fest in die Verfassung eingebacken. Und da kriegt man sie auch nicht raus.

5) Der Boomer-Faschismus

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Büchern, die ziemlich klar und überzeugend beschreiben, was der versteckte Fokus des gegenwärtigen Faschismus ist: die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008, auch die Große Rezession genannt. […] Der neue Faschismus ist demnach eine Folge der politischen und ökonomischen Fehlentscheidungen nach 2008 […] Der neue Faschismus, und das macht ihn wohl so attraktiv, ist dabei antikapitalistisch in dem Sinn, dass er sich gegen die Globalisierung wendet, gegen Big Capital, gegen die „konsumistische Versklavung“, wie Giorgia Meloni es nennt – nicht gegen Profit in der kleptokratischen Variante von Berlusconi bis Trump. Er ist protektionistisch und abschottend, gegen Migration und gegen globalen Handel. Und dieser neue Faschismus ist keine Jugendbewegung wie der Faschismus im 20. Jahrhundert, sondern eher eine Art Boomer-Faschismus der 35- bis 60-Jährigen. […] Das ist die Welt, die wir zugelassen haben. Wir leben immer noch in den Ruinen von 2008. (Georg Diez, ZEIT)

Genauso wie bei Fundstück 3 bin ich auch in diesem Fall kein Fan dieser verkürzenden Argumentation „Ungleichheit führt zu Faschismus“. Dabei handelt es sich eher um einen Blick in den ideologischen Spiegel, eine Projektion. Das passiert ständig: etwas Schlechtes passiert, und man macht sofort das verantwortlich, was man ohnehin ablehnt. So finden Konservative problemlos, dass die Woken Schuld daran sind, dass der Faschismus wiederkommt, während die Linken natürlich die bösen Kapitalisten verantwortlich machen. Beides ist wesentlich verkürzt.

Es gibt nicht „die“ Ursache für die Rückkehr des Faschismus weltweit. Es handelt sich vielmehr um ein Bündel von Ursachen. Die ökonomischen Verwerfungen seit 2007 sind ein Grund davon, vielleicht sogar eine notwendige, nicht hinreichende Bedingung, und sind mit Sicherheit in der Debatte zum Thema unterschätzt. Aber als Hauptgrund? Man müsste eine vergleichende Untersuchung anlegen, aber ich bezweifle, dass sich das so einfach als Roter Faden halten lässt. Klar, in Italien funktioniert das halbwegs. Aber Russland? Diez würde besser daran tun, die Latte niedriger zu hängen und das Thema als einen Grund unter vielen zu betrachten.

Eine letzte Anmerkunge: Seine Generationen-Idee bleibt merkwürdig untererforscht. Er bezeichnet es als „Boomer-Faschismus“, was sich ob der Griffigkeit auch in der Überschrift wiederfindet, aber wirklich ausgebaut wird dieser Gedanke nicht. Das ist schade. Denn da hätten wir ja gleich den nächsten Aspekt. Aber er bleibt auf das Schlagwort reduziert.

6) What was the Cold War, and is it over?

Westad’s definition of the Cold War has two aspects: that of an ideological conflict between two totalizing and incompatible systems, and that of an international system, which forced many different issues and conflicts among countries into alignment with that ideological conflict. I found this is a useful distinction, as the arguments for a contemporary Cold War generally focus on the second aspect, the pattern of international relations. There’s no question that, since the invasion of Ukraine, the US and Western Europe are in increasingly direct rivalry with Russia and China. The continuity of this division with that of the Cold War period is what Rachman and Kotkin focus on in their essays. But it’s harder to see a similar ideological conflict underway today. Westad consistently emphasizes how in the twentieth century both the US and the USSR were highly ideological states, organized around universalizing ideas not just national interests. Both countries were led by elites who believed that they were spreading the right ideas about the way to organize human societies throughout the world, and that their right ideas were mortally threatened by the other side’s wrong ideas. “It was its ideological origins that made the Cold War special and hyperdangerous,” Westad writes. The existential struggle between capitalism and socialism made every minor issue seem like a terminal conflict, encouraging both sides to raise the stakes. (Andrew Batson)

Batson spricht hier einige wichtige Punkte für das Verständnis des Kalten Krieges an. Die Rolle der Ideologie wird glaube ich inzwischen zugunsten der geopolitischen Konflikte etwas unterschätzt. Ich unterrichte den Ost-West-Konflikt als einen doppelten Konflikt: einerseits einen um Macht und Einflusssphären, andererseits einen ordnungspolitischen Konflikt. Beide zusammen ergeben den Ost-West-Konflikt der Jahre 1943-1989, und sie finden insgesamt vier große Austragungsarenen: das Wettrüsten, den technologisch-wirtschaftlichen Wettlauf, den Kampf um Einflusszonen und den ideologischen Wettlauf.

Die heutigen Auseinandersetzungen, etwa zwischen Russland und dem Westen oder China und den USA, enthalten zwar ein Ringen um Einflusssphären und zumindest im Fall Chinas auch einen technologisch-wirtschaftlichen Wettlauf und ein Wettrüsten, aber die ideologische Auseinandersetzung fehlt weitgehend. China lehnt zwar den Liberalismus ab, hat aber keinerlei Ambitionen, sein eigenes System in der Welt zu verbreiten. Umgekehrt fehlt dem Westen inzwischen weitgehend der glühende Missionseifer des Kalten Krieges. Wenn heute darüber geklagt wird, dass der Westen missioniere und seine Werte zu hoch hänge, dann ist das Kritik auf niedrigem Niveau. Während des Ost-West-Konflikts brannte diese Flamme wesentlich heißer.

7) Why ‘Woke’ Armies Beat Hypermasculine Ones

Last year, Senator Ted Cruz recirculated a TikTok video that contrasted a Russian military-recruitment ad, which showed a male soldier getting ready to kill people, with an American recruitment video that told the story of a female soldier—the daughter of two mothers—who enlisted partly to challenge stereotypes. “Perhaps a woke, emasculated military is not the best idea,” Cruz tweeted sarcastically. The Texas Republican is not alone in trumpeting a Putinesque ideal. Several months earlier, the Fox News host Tucker Carlson had similarly complained about a supposedly “woke” Pentagon, which he likened to the Wesleyan University anthropology department. By promoting diversity and inclusion, he insisted, military leaders were destroying American armed forces, supposedly the last great bastion of merit in the country. More recently, Carlson has complained that America’s armed forces are becoming “more feminine, whatever feminine means anymore,” just as China’s are “more masculine.” […] Arguments like these were much easier to make before Putin unleashed his muscle-bound and decidedly unwoke fighting machine on the ostensibly weak Ukrainians, only to see it perform catastrophically. More than seven months into the war, the Ukrainian army continues to grow in strength, confidence, and operational competence, while the Russian army is flailing. Its recent failures raise many questions about the nature of military power. (Philipp Payson O’Brien, The Atlantic)

Ich würde da jetzt keine Regel formulieren wollen. Aber eine solche gibt es umgekehrt halt auch nicht. Die Vorstellung, dass Diversität und Toleranz eine Gesellschaft schwächen würden, ist letztlich Ausdruck toxischer ideologischer Modelle und Geschlechtsvorstellungen. Wie Carlo Masala das immer so schön formuliert sollten westliche Gesellschaften „woke, bis an die Zähen bewaffnet und wehrhaft“ sein. Wenn die Bundeswehr mehr auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf achtet, leidet darunter nicht die Einsatzfähigkeit. Wenn offen homosexuelle Soldat*innen dienen können, schadet das nicht dem Zusammenhalt der Truppe. Wenn Feldrationen auch Rücksicht auf religiöse Essvorschriften nehmen, zersetzt das nicht die Wehrkraft. Man sollte sich nicht in diese falsche Dichothomie ziehen lassen. Unsere Diversität und Toleranz sind unsere Stärken, und sie sind es auch im Militär. Gerade Deutschland hat mit dem Leitbild der „Staatsbürger*innen in Uniform“ da ja schon lange festgestellt, dass sich das verträgt.

8) Britain’s Blindness

Understanding the sacrifice underpinning national liberation provides a glimpse into the mindset of Brexiteers currently exploiting this rhetoric. As the UK prepares for post-Brexit hardship, experts trying to warn of the economic disruption that would follow a no-deal crash must understand that their warnings are not only being dismissed as “project fear” but also being reframed by Brexiteers as a “a blessing in disguise,” with a no-deal crash being presented as an opportunity for the “suffering which would unite & bring us together.” The Brexit argument once promised that Britain would immediately be showered in wealth if it left the EU, but now the Times is publishing articles arguing that “Brexit offers a prized return to the Blitz spirit.” […] Brexiteers are able to synthesize the ideals of national liberation with more familiar British tropes such as the “Blitz spirit” due to Britain, the former hegemonic European empire, actually having more of an anti-imperial self-image. Conveniently forgetting that Britain has invaded more countries on the globe than anyone else, Britain today can borrow the rhetoric of former anti-colonial struggles because as an “island nation” it has been haunted by an ever-present fear of invasion, which has solidified the image of Britain “standing alone” against the imperial ambitions of others. While Britain’s great colonial military victories, such as the victory over the Qing dynasty of China in the First Opium War or victory over the Russian Empire in the Crimean War, are often ignored chapters in the national story, school history curriculums make sure to focus on the halting of the Spanish Armada, the defiance of Napoleon at the Battle of Waterloo, or stalling the Nazi war machine in the Battle of Britain. Every British child is familiar with the times when plucky, underdog Britain held its ground in the face of aggressive foreign empires. As George Orwell noted, British popular military history is not one of conquest or triumph but of resistance, “fighting a desperate rear-guard action before escaping overseas (just like Dunkirk!) has more appeal than a brilliant victory. The proponents of Brexit understood this narrative well and subtly combined it with the language of national liberation, the legacy of the old anti-colonial movements, to entrench resistance to an “imperial” EU. (Kojo Koram, Dissent Magazine)

Die absolut beknackte Geschichtsrezeption Großbritanniens habe ich hier im Blog ja schon öfter diskutiert, aber dieser Artikel beleuchtet das unter einem neuen Aspekt, nämlich der Bewältigung der kolonialen Vergangenheit. Dass sich die konservativen Briten jetzt auch noch in die Rolle eines Unabhängigkeitskämpfers gegen den Imperialismus hineinimaginieren entbehrt schon nicht einer gewissen Komik. Auch diese unendliche Fixierung auf eine völlig imaginäre Version des „Blitz“ ist eigentlich nur noch peinlich. Kojo Koram vereint in seinem Artikel beide Narrative in eine Gesamtanalyse, die er mit dem realen Imperialismus kontrastiert. In letzterem Falle geht er für meinen Geschmack zu sehr in den „linken“ Bereich, aber das ändert nichts daran, dass der Text grundsätzlich empfehlenswert und anregend ist.

9) How car culture colonised our thinking – and our language

We say this because we’ve become accustomed to thinking about the street in “traffic logic”. For centuries, streets used to be a place with a multiplicity of purposes: talk, trade, play, work and moving around. It’s only in the past century that it has become a space for traffic to drive through as quickly and efficiently as possible. This idea is so pervasive that it has colonised our thinking. […] Kager says that many of the non-car phenomena he encounters and researches in his work have no names – there’s just no conceptual framework for certain things. No categories. That makes it harder to make them visible in reports and advisory papers for government – which means they get less attention and less funding. […] “What you see is that the 25% who use cars most are responsible for two-thirds of motor traffic in the city. So now we can have a meaningful discussion: should the local authority be making things easier for them? Or doing more for the other 75% who use cars less often or very little, and taking more account of their wishes in decisions affecting the city?” Picture a situation where one-quarter of the people living in a street produce two-thirds of all the rubbish in the recycling containers, so the containers are always overflowing. Should the local authority provide more containers? Employ more bin collectors? Or do something quite different? What kind of town do you want? (Thalia Verkade and Marco te Brömmelstroet, The Guardian)

Ich verlinke den Artikel hier hauptsächlich noch einmal zur Verstärkung meiner Argumentation, dass wir in einer Autogesellschaft leben. Ich begrüße es, dass immer mehr Leute darüber öffentlich sprechen und das Overton-Fenster sich verschiebt: die Wahrnehmung selbst ist das Wichtige. Es wird plötzlich möglich, überhaupt über etwas zu sprechen, das bisher einfach so selbstverständlich war, dass ein schieres Nachdenken darüber völlig außer Frage stand: die Vorherrschaft des PkW und des privaten Autoverkehrs.

Die Frage, die Verkade und Brömmelstroet am Ende stellen, ist aber sehr relevant, auch, weil ich keine Antwort habe. Nehmen wir am meisten Rücksicht auf die Vielnutzer*innen, oder tun wir das nicht? Es gibt gute Gründe dafür und gute Gründe dagegen. Ich denke, das ist letztlich eine Güterabwägung. Wem will man warum Priorität geben? Das kann nur das Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sein. Aber die Zeit, in diese kleine Gruppe der Vielnutzenden alles unhinterfragt bestimmt hat, ist zum Glück vorbei.

10) „Ich habe geschwiegen und es ausgehalten“: Frühere FDP-Europapolitikerin Koch-Mehrin berichtet von sexueller Belästigung

Die frühere FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin hat von zahlreichen sexuellen Übergriffen unter anderem durch Parteikollegen berichtet. „Ich wurde angefasst. Einfach so. Da waren immer wieder Hände auf meinem Knie. Man hat meine Brust berührt, mir ungefragt sanfte Rückenmassagen verabreicht“, sagte Koch-Mehrin dem „Stern“. „Und ständig gab es Zoten und Anzüglichkeiten – Sätze wie: „Ich würde so gern mit Ihrer Eiskugel tauschen.’“ Ein Parteifreund habe in abendlicher Runde einmal über sie gesagt, „ihre Zukunft liegt zwischen ihren Beinen“. Sie selbst habe dabei in Hörweite gesessen. Zu ihrer Reaktion auf derartige Vorfälle sagte die 51-jährige dem Magazin: „Ich habe geschwiegen und es ausgehalten. Höchstens mal mit den Augen gerollt. Hände wortlos weggeschoben. Mehr nicht.“ Sie habe damals dazugehören wollen und Angst gehabt, „zickig zu wirken“, sagte Koch-Mehrin weiter. „Ich wehrte mich nicht, sondern begann es mir schönzureden, mich selbst infrage zu stellen.“ „Ich habe durch Passivität mitgemacht, mich nicht gewehrt und keine Grenzen gezogen“, sagte Koch-Mehrin über ihr damaliges Verhalten. „Dadurch habe ich das System unterstützt.“ (AFP, Tagesspiegel)

Ich finde es gut, dass Koch-Mehrin so offen darüber spricht und auch selbstkritisch daran geht, welche Mechanismen dazu geführt haben, dass das ewig so vor sich hin lief. In einer gewissen Weise ist das ein Schlusswort zu der deutschen #MeToo-Debatte, weil das Thema ja hierzulande erstmals im Rahmen von Rainer Brüderles „Herrenwitz“ 2013 aufkam und breit diskutiert wurde. Dass jetzt eine FDP-Politikerin auf diese Art und Weise einen Schlussstein setzt, ist ziemlich passend. Wir sind seit dem #Aufschrei glücklicherweise echt ein großes Stück weitergekommen. Jetzt müssen Taten folgen.

Resterampe

a) Gleich zwei Artikel über russische Einflussnahme: einmal die ganzen Gas-Lobby-Connections von Sigmar Gabriel bis Michael Kretschmer ausführlich recherchiert, einmal die eher unbekannte Unterstützung der Klimaaktivist*innen. Besonders Letztere fand ich spannend, weil erst mal wenig intuitiv. Aber klar, Russland hat natürlich ein Interesse, dass der Westen keine eigenen fossilen Energiestoffe fördert. Und hätten wir unter Merkel nicht eine so katastrophale Energiepolitik betrieben, wäre das auch egal gewesen.

b) Mythos Counter-Strike. Coole Doku, wen’s interessiert.

c) Ganz schönes Porträt von Wolfgang Schäuble. Ich bin ja kein Fan, aber als Parlamentarier ist er echt ein Urgestein.

d) Guter Thread zu den Problemen von Klassenfahrten. Es ist einer der Vorteile einer Privatschule, dass die Organisation bei uns wesentlich leichter geht (wir haben eine Rechnungsabteilung!), aber der Aufwand bleibt gigantisch. Umso ärgerlicher, dass es allzu oft als eine Art Urlaub abqualifiziert wird. Die Studienfahrt nach Auschwitz, die ich vergangenes Schuljahr organisiert habe, hat mich über 20 Stunden Arbeitszeit allein in der Vorbereitung gekostet, von den extrem anstrengenden Tagen der Fahrt selbst nicht zu sprechen. Bezahlt wird das nicht, honoriert auch nicht. Das mach ich nebenbei, weil ich es wichtig finde.

e) Aufrufe zur Gewalt gegen Transpersonen bei Tucker Carlson zur besten FOX-Sendezeit.

f) Der Chef von Trigema geht auch unter die Verschwörungstheoretiker*innen: „Ich behaupte, dass der Amerikaner im Hintergrund alles steuert, damit er alleine eine Weltmacht bleibt. Man kann lesen, dass schon während der Regierungszeit von Bush Junior Vereinbarungen mit Putin nicht eingehalten wurden. Die einzigen Gewinner an diesem Krieg sind die Amerikaner!“

g) Großbritannien muss echt dringend seine koloniale Vergangenheit aufarbeiten.

h) Lesenswertes Interview mit Adam Tooze zum Thema Wirtschaftskrieg gegen Russland.

i) Die Grünen in BaWü basteln an einer Strategie für die Zeit nach Kretschmann. Na dann viel Glück.

j) Sehr treffende und untererforschte Beobachtung.

k) Eine interne Prüfung des NDR kommt zu dem Schluss, dass keine politische Schlagseite besteht.

l) Die EU-Staaten sollen CO2-Zertifikate im Wert von 20 Milliarden Euro verkaufen, um den Strompreis zu senken und Einnahmen für LNG zu generieren. Das ist genau das, was ich in meiner Kritik auch gesagt habe: so was wird immer passieren. Die Hoffnung auf CO2-Bepreisung ist deswegen als allein seligmachendes Mittel hochgradig naiv.

m) Für Trekkies: ein guter Artikel über die aktuelle Masse an Star-Trek-Serien.

n) Stephanie Kelton zu der Frage, ob MMT bedeutet, dass man zur Bekämpfung der Inflation die Steuern erhöhen muss.

o) Leider Gottes nur leicht übertriebene Satire auf Unterrichtsmaterialien zum Thema Medien.

p) Klar, das Problem ist, dass die BBC zu links ist…

q) Drei Faustregeln um Putin zu verstehen.

r) Der MDR verbreitet Fake-News über ukrainische Geflüchtete, die Kaviar von den Tafeln wollen. Ganz großes Kino.

s) Julian Reichelt ist jetzt 100% Klimaleugner.

t) Mal wieder Daten zum bewussten Kahlschlag bei den Erneuerbaren nach 2010.

u) Video vom russischen Fake-Referendum in Luhansk. Schön zu sehen wie „frei“ die Wahl ist. „Wollen Sie für die Unabhängigkeit stimmen oder erschossen werden?“

v) Spannendes Interview mit Frank Sauer über die Gefahr eines Nuklearwaffeneinsatzes durch Russland.

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  • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 13:30

    Zu 5)Er ist protektionistisch und abschottend, gegen Migration und gegen globalen Handel.

    Seit wann ist Protektionismus oder Einwanderungsgegnerschaft eigentlich „faschistisch“? Genau – seitdem Linke von rechts herausgefordert werden und diffamierende Kampfbegriffe auf alles ausweiten, was ihnen nicht gefällt.

    Zu 7)

    Schlichter Quatsch. Armeen sind entweder gut oder schlecht, sie brauchen eine gewisse Grundfitness und einen Basislevel an Mut und Einsatzbereitschaft. Das ist völlig unabhängig von „woke“ oder unwoke, sondern eine Folge von Ausrüstung, Training, Übung und Einsatzdoktrinen. Moral aufgrund überlegener ethischer Grundsätze kann mal helfen, ist aber praktisch verzichtbar (mit einem Seitenblick auf die vermutlich beste Armee des 20. Jahrhunderts, die deutsche Wehrmacht).

    Zu 8) While Britain’s great colonial military victories, such as the victory over the Qing dynasty of China in the First Opium War or victory over the Russian Empire in the Crimean War, are often ignored chapters in the national story, school history curriculums make sure to focus …

    Ich bin bei solch breiten, umfassenden Behauptungen inzwischen ausserordentlich skeptisch. Zu häufig verwechselt ein Autor seine persönlichen Erinnerungen mit der realen Situation, insbesondere in der Erinnerung. Aber diese nicht belegte Behauptung ist die Basis der BREXIT-Einordnung …

    Zu f)

    Ausweislich der ehemals auf der Linken für seriös gehaltenen „Nachdenkseiten“ oder selbst von Äusserungen noch heute führender SPD-Politiker (Steinmeier) war der Vulgärantiamerikanismus des trigema-Chefs bis gestern jedenfalls mindestens einer der Hauptstränge deutschen linksliberalen Mainstreams. Die Argumentationskette „Irgendwas passiert, irgendwer profitiert davon und der war daran schuld“ ist übrigens auch unter deutschen Akademikern mehrheitsfähig. Ja, die Menschen sind so einfach gestrickt.

    Zu g)

    Der Mensch muss sterben und auf Toilette, sonst muss er nichts. Schon gar nicht irgendwas in der Historie „aufarbeiten“.

    Zu p)

    Klar, der übliche unzulässige Vergleich zwischen privat – freiwillig! – bezahlten und von Staats wegen über Zwangsabgaben finanzierten Medien. Leuchtet heute nur noch Linken ein, aus für sie guten Gründen …

    zu t) … Regierungsmaßnahmen wie die drastische Absenkung der Vergütungssätze für Solarstrom 2011 …

    Und das ist dann auch schon alles, was ihm zu Solar einfällt, der Rest seiner „Argumente“ ist Wind (von Solar völlig unabhängig). Nur für die Faktenhuber – zum Zeitpunkt der Absenkung der bis dahin drastisch überhöhten Einspeisevergütungen für Solarstrom wurde Solar schon für 25 Jahre (heftig) subventioniert. Und die Absenkung fusste ganz wesentlich auf der korrekten Beobachtung, dass man eben nicht noch mehr Strom in Sommer-Sonnen-Spitzenzeiten brauchte, den man weder speichern noch überhaupt nutzen konnte.
    Der Branchenverlust an Produktionsanlagen für Solar ist widerum davon weitgehend unabhängig – deutsche Solaranlagen waren, nachdem sich die Technikkkenntnis überall verbreitet hatte, schlicht nicht mehr konkurrenzfähig, weil die deutschen Solaranlagenhersteller sich auf ihrem subventionierten Arsch ausgeruht hatten und die sich verschärfende Konkurrenzsituation verschliefen.
    Dazu passt dann der Autor – natürlich der Mitarbeiter eines grünen Europaabgeordneten ohne eine Spur von wirtschaftlicher Ahnung. Habecks Ruf geht genau deswegen gerade den Bach runter.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 14:10

      5) So ein Quatsch. Protektionismus und Einwanderungsgegnerschaft sind nicht faschistisch. Der Faschismus ist protektionistisch, aber das sagt ja wenig über Protektionismus per se aus. Aber du darfst natürlich gerne überall Sprechverbote aufstellen, wenn du der Meinung bist, dass das dem Diskurs hilft, um den Ball mal zurückzuspielen.

      7) Das ist…genau der Punkt?

      8) Ich hab jetzt mal kurz gegoogelt, und ich sehe zumindest im sehr oberflächlichen Überblick die genannten Punkte nicht explizit. Ob Lehrkräfte das unterrichten ist denen ja selbst überlassen, und ich hab keine britischen Geschichtsbücher zum Abgleich. https://www.gov.uk/government/publications/national-curriculum-in-england-history-programmes-of-study/national-curriculum-in-england-history-programmes-of-study

      g) Damit kannst halt alles abschießen, egal um was es geht.

      • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 17:25

        Zu 5)

        Tschuldigung Sir, aber es würde helfen, wenn Du mal nachguckst, was Diez unter „faschistisch“ subsumiert. Das hat mit der Historiker-Definition von Faschismus nix mehr zu tun, sondern ist die (seit 50 Jahren übliche) erheblich ausgeweitete Linksvariante.

        Zu g)

        Jedenfalls kann und werde ich damit Forderungen nach der „Aufarbeitung“ des Kolonialismus liebend gerne abschiessen. Hab ich eigentlich schon mal eine linke oder woke Forderung nach Aufarbeitung des (um Grössenordnungen mörderischeren) Stalinismus gesehen, der für z.B. Deutschland oder Osteuropa auch noch zeitlich aktueller war? Kurz nachdenken – nein, habe ich nicht. Wird Gründe haben …

        Die Forderung nach „Aufarbeitung“ des Kolonialismus ist historisch besonders albern, weil zu der Zeit, in der portugiesischer/holländischer oder britischer Imperialismus zur Eroberung von Kolonien führte, dieser Imperialismus (seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen) schlicht noch immer die vorherrschende Menschheitsnorm bei den Imperien war, die sich ihn leisten konnten. Es ist der ebenso vulgäre wie intellektuell armselige Versuch, eine lange vergangene Zeit nach den Masstäben der heutigen nicht nur zu beurteilen, sondern sich retrospektiv dafür zu entschuldigen und heutige (natürlich ausschliesslich weisse …) Generationen dafür sühnen zu lassen. Wenn ich von einem prominenten Nordafrikaner mal die Forderung höre, die Massenversklavung im Mittelmeer „aufzuarbeiten“, überprüfe ich meinen Standpunkt noch einmal (also sehr wahrscheinlich nie).

        Diese Aufarbeitungsforderungen sind der Versuch, Europäern (und ausschliesslich denen!) freiwilligen Masochismus als Errungenschaft zu verkaufen. Nein, danke.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 18:35

          5) Dann werf das bitte Diez vor die Füße und nicht „Genau – seitdem Linke von rechts herausgefordert werden“. Wenn du mit breitestmöglichem Schläger um dich haust, kannst du nicht jetzt plötzlich Genauigkeit einfordern.

          g) Ja, von mir, und von vielen anderen auch. Aber klar, rechne das gerne gegeneinander auf, als sei das eine Art Gefallen. Aufarbeitung ist um ihrer selbst Willen wichtig, und ob der ideologische Gegner sie auch betreibt ist völlig irrelevant. Deine Sicht hier ist die eines ideologischen Grabenkämpfers, der als Verlust für sein Team sieht, wenn der Kolonialismus aufgearbeitet werden muss, der sich nur durch einen Kotau der anderen Seite „ausgleichen“ lässt. Das ist nicht besonders gut, milde ausgedrückt.

          • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 19:03

            Aufarbeitung ist um ihrer selbst Willen wichtig …

            In einer idealen Welt? Ganz sicher! Nur haben wir die nicht – und tu bitte nicht so, als wüsstest Du nicht, dass „Aufarbeitung“ als rhetorische Waffe in politischen Aueinandersetzungen gebraucht wurde und wird. Und zwar nicht als Ausnahme.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 22:53

              Ich bin Historiker. Vielleicht hab ich deswegen eine andere Sicht auf diese Sachverhalte.

              Wird das als rhetorische Waffe gebraucht? Sicher. Es geht um Geschichtspolitik. Wie sollte die unpolitisch sein? Das ist ja eine contradiction in terms. Allein, etwas NICHT aufzuarbeiten ist eine genauso politische Entscheidung. Die Vorstellung, nicht aufzuarbeiten sei neutral, aber Aufarbeitung sei aufgeladen, ist falsch. ALLES ist aufgeladen.

          • Erwin Gabriel 4. Oktober 2022, 19:25

            Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 18:35

            g) Aufarbeitung des Kolonialismus

            Aufarbeitung ist um ihrer selbst Willen wichtig, und ob der ideologische Gegner sie auch betreibt ist völlig irrelevant.

            Auf der einen Seite verstehe ich den Punkt, dass man sich nur in Richtung „Selbstverbesserung“ weiterentwickeln kann, wenn man sich mit dem beschäftigt, was man bislang gemacht und auch „falsch“ gemacht hat.

            Auf der anderen Seite sehe ich natürlich auch die Berechtigung von Thorstens Standpunkt. Die Geschichte der Menschheit (soweit ich sie kenne, und vermutlich auch vorher) ist eine Geschichte des Rechts des Stärkeren, eine Geschichte von Mord und Totschlag, von erobern und erobert werden. Ägypter, Araber, Äthiopier, Azteken, Belgier, Chinesen, Dänen, Deutsche, Engländer, Franzosen, Griechen, Inka, Maya, Mongolen, Norweger, Perser, Portugiesen, Römer, Russen, Schweden, Serben, Spanier, Türken, Ukrainer, Ungarn, – nimm, welches Land oder welches Volk Du willst: Zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte waren sie Eroberer, Unterdrücker, Imperialisten, und zu einem anderen Zeitpunkt waren sie Eroberte, Unterdrückte, Opfer. Nicht, dass erobern oder erobert werden deshalb automatisch gut ist, es scheint halt nur auf eine schräge Art die Norm, unser Naturell zu sein.

            Nun mag man sich auf die eigenen Taten der Vergangenheit besinnen, um in Zukunft ein besseres Verhalten anzustreben; das ist löblich. Aber immer dann, wenn mir „Aufarbeitung“ unter die Augen und Ohren kommt, geht es darum, dass irgendjemand irgendeine große Summe Geld will. Und ja, über kurz oder lang läuft es auf Geld hinaus.

            Wenn Kning4711 beispielsweise fordert, den Koh-i-noor Diamanten an Indien zurück zu geben, so haben ihn auch „die Inder“ nicht selbst gefunden, sondern im Rahmen einer Eroberung einer anderen Nation, einem anderen Volk weggenommen.

            Natürlich macht nichts davon ungeschehen, was wir (nach heutigen ! Maßstäben) anderen Böses angetan haben. Das ändert nichts an meiner Wahrnehmung von Schieflage, dass doch einige, die sich beschweren, nicht mit gutem Beispiel vorangehen und das eigenen Fehlverhalten ausgleichen.

            Wie gesagt: Ich verstehe, dass das kein Wettbewerb ist, und es um einen selbst gehen sollte. Aber es geht eben immer doch nur ums Geld. Ich hab da aber auch keine Lösung, die beide Seiten zufriedenstellt.

            • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 22:59

              Also, die Aufarbeitung von der ich spreche hat überhaupt nichts mit Geld zu tun. Die Reparationsforderungen Namibias etwa fallen für mich bestenfalls peripher unter Aufarbeitung. Was ich darunter sehe ist etwa die Arbeit von Historiker*innen wie Jürgen Zimmerer. Deswegen weise ich entschieden die Idee zurück, es ginge bei dem Thema nur ums Geld. Das machen diverse Leute, die die Aufarbeitung als rhetorisch/politische Waffe einsetzen (da hat Thorsten ja einen Punkt!), aber darin erschöpft sich das bei Weitem nicht.

              Was das Argument von wegen „das war früher die Norm“ angeht – klar war es das. Und niemand würde von Italien eine Aufarbeitung des Imperialismus von Augustus fordern. Das wäre Quatsch. Aber dass wir darüber sprechen, die koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten, von der es noch überlebende Zeitzeug*innen gibt – sorry, da greift das für mich überhaupt nicht. Solange diese Geschichte noch hochgradig relevant für die Welt heute ist, solange sie wie in Großbritannien gar sinnstiftend ist, da muss diese Aufarbeitung einfach erfolgen.

              • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 00:33

                Solange diese Geschichte noch hochgradig relevant für die Welt heute ist …

                Ach was? Das wäre zu beweisen – und ebenso wäre zu beweisen, dass bestimmte Geschichtsepochen für die Welt von heute NICHT relevanter waren, als (ausschliesslich) der europäische Imperialismus. Um nur ein paar anschauliche Beispiele zu bringen – die islamischen Kreuzzüge 800 ff, der mongolische Sturm (insbesondere für Russland und Persien), der dreissigjährige Krieg (insbesondere für Deutschland), das römische Recht (insbesondere für Europa), der abrupte Abbruch des Seehandels für China am Beginn der europäischen Renaissance, die Inka-Eroberungen in Südamerika …

                Nein, bin nicht überzeugt. Die Forderung nach Aufarbeitung ist eine moderene Form der Selbstgeiselung – und beschränkt sich immer auf Europa. Das bis etwa 1500 für die Welt vollkommen bedeutungslos war.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 06:56

                  Nicht ganz. Mir ist die Debatte zumindest auch in Mexiko bekannt, und ich wäre nicht verwundert, dass auch Argentinien und Chile ihre diktatorische Vergangenheit aufarbeiten. Australien kennt die Debatte um den Umgang mit den Aborigines. Und so weiter. Deine Darstellung ist so also nicht korrekt. Aber wir haben hier fürchte ich sehr unterschiedliche Haltungen. Vielleicht können wir bei einem Thema zusammenkommen: dass man sich nicht positiv auf diese Ereignisse bezieht. Also wir würden ja jetzt nicht unbedingt einen feierlichen Umzug am Sedantag machen, auch wenn das seinerzeit normal war, oder?

                  • Ariane 5. Oktober 2022, 09:43

                    ich wäre nicht verwundert, dass auch Argentinien und Chile ihre diktatorische Vergangenheit aufarbeiten.

                    Weiß Lemmy bestimmt mehr zu, aber beide Länder hatten/haben Wahrheitskommissionen, die sich damit beschäftigen. Man musste ja alleine schon klären, was mit den Menschen passiert sind, die zu der Zeit einfach spurlos verschwunden sind. Zu Argentiniens Kommission kommt demnächst auch ein Film dazu raus, hab ich neulich zufällig einen Trailer gesehen.

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 12:31

                      Daran dachte ich, genau.

                    • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 10:50

                      Ja. Und in beiden Fällen (Argentinien wie Chile) geht es um grosse Teile der heute noch lebenden Bevölkerung, die von diesen Diktaturen aktiv betroffen waren. Ist der Unterschied zu der mehr als 100 Jahre zurückliegenden deutschen Kolonialisierung so schwer zu sehen?

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                  • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 10:48

                    Deine Darstellung ist so also nicht korrekt.

                    Doch, absolut. Denn auch alle Deine Beispiele zielen auf weisse Europäer! Ich kenne genau KEIN Beispiel, in dem eine „nichtweisse“ Nation aufgefordert wird, die (nach heutiger Sicht) Verbrechen ihrer Vorfahren „aufzuarbeiten“.

                    Aufarbeitung ist ohnehin bereits ein Kampfbegriff. Aufarbeiten kann ich etwas, was ich (persönlich) oder meine Generation (politisch) falsch gemacht haben. Alles andere läuft auf eine nachträgliche Verurteilung samt Schuldzuweisung und Regressforderung hinaus, dafür gibt es in der Weltpolitik der letzten 30 Jahre wahrlich ausreichend Beispiele.

                    … feierlichen Umzug am Sedantag

                    ??? Warum nicht? Frankreich feiert den britisch-amerikanischen Sieg über das deutsche Reich 1918 bis heute als nationalen Feiertag.

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 12:34

                      Hutu und Tutsi fielen mir mal so spontan ein.

                      Muss ich dir ernsthaft erklären warum wir nationalistische Feiertage und militärische Siege über unsere Nachbarn nicht feiern sollten?

                      Und deine Formulierungen sind echt schräg. „Frankreich feiert den britisch-amerikanischen Sieg“? Das war auch deren Sieg. Vielleicht behalten wir die Formulierung für den 8. Mai, da sehe ich das vielleicht. Aber für den Ersten Weltkrieg? Sorry, die Franzosen haben da schon echt ordentlich geblutet für.

                    • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 13:27

                      Muss ich dir ernsthaft erklären warum wir nationalistische Feiertage und militärische Siege über unsere Nachbarn nicht feiern sollten?

                      Solange das weltweit noch die menschliche Grundnorm darstellt – erklär mal.

                      Das war auch deren Sieg.

                      Nope. Ohne die britische Seeblockade und das massive militärische Engagement der USA hätte Frankreich mit viel Glück die Front von 1917 halten können

                      https://www.truppendienst.com/fileadmin/user_upload/Einzelbeitraege/2017/Der_Erste_Weltkrieg_in_Europa/KARTE_DEUT_WESTHEER.png

                      Wie ich meinen französischen Kollegen (und Vorgesetzten) zum Feiertag gerne sagte – Frankreich hat seit Napoleon nie mehr gegen Deutschland gewonnen :-).

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 13:55

                      GB und USA hätten ohne Frankreich aber auch nicht gewonnen. Sorry, aber das finde ich einfach daneben. Dass Frankreich ohne UK und USA verloren hätte – unbestritten!

                    • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 13:29

                      Und ich wäre ja mal wirklich gespannt auf die Erklärung, warum wir die nationalistisch-militärischen Feiertage unserer Nachbarn akzetieren müssen, selbst aber nicht dürfen sollen?

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 13:57

                      Die Franzosen feiern nicht das Jubiläum von Jena und Auerstedt. Und, korrigiere mich, wenn ich falsch liege, der 11.11. wird inzwischen eher als „Ende des Krieges“ und als Erinnerung gefeiert („lest we forget“) und weniger als Triumph. Das ist bei VE-Day anders (und auch zurecht, IMHO).

                    • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 13:33

                      Hutu und Tutsi …

                      Ach was. Wann war das? Ach ja, 1994. Also meine und Deine Generation (als Erwachsene). Und dafür gilt (ich zitiere mich selbst modifiziert): „Beschränken wir die Aufarbeitung auf die, die als Erwachsene (älter 18) am Genozid entweder aktiv beteiligt oder betroffen waren. Gute Idee!“

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 13:55

                      Du fragtest nach Beispielen. Jetzt akzeptierst du sie nicht und machst einen anderen Schauplatz auf.

                    • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 10:46

                      Akzeptiert, es gibt also ein Gegenbeispiel.

                  • Erwin Gabriel 8. Oktober 2022, 12:12

                    @ Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 06:56

                    … ich wäre nicht verwundert, dass auch Argentinien und Chile ihre diktatorische Vergangenheit aufarbeiten.

                    Das ist ja nun eine andere Geschichte.

                    Beide Fälle wären damit vergleichbar, dass wir beispielsweise aufarbeiten, wie etwa die DDR ihre eigenen Bürger unterdrückte (wobei auch das, angesichts der Strukturen und der Eingliederung der östlichen Bundesländer in die BRD) halbwegs von außen (= vom Westen) betrieben wurde/wäre. Anderes Beispiel wäre der Umgang der Amerikaner mit ihrer Sklavenvergangenheit.

                    Ist etwas anderes als die Aufarbeitung wg. Kolonialismus / Imperialismus.

                    Ist nicht vergleichbar

                    • Stefan Sasse 9. Oktober 2022, 13:19

                      Ich sehe die Unterschiede, die du aufmachst, völlig. Was mir unklar ist ist, was daraus folgt. Ist eine aufarbeitung von Kolonialismus und Imperialismus quasi ausgeschlossen?

                    • Thorsten Haupts 9. Oktober 2022, 18:23

                      Stefan, ich gebe Dir mal den „benefit of the doubt“:-).

                      Vielleicht ist einfach der Begriff „Aufarbeitung“ falsch gewählt? Aufarbeiten kann man eigene Fehler oder eigene Verletzungen, draus lernen und Dinge zukünftig besser machen oder vermeiden.

                      Eine Nation oder ein Staatsgebilde kann nichts aufarbeiten, da weder Nationen noch Staatsgebilde Fehler machen oder verletzt werden. Beides betrifft die zu einem bestimmten Zeitpunkt dortige Bevölkerungsmehrheit bzw. (in früheren Zeiten) den mächtigeren Teil der dort herrschenden Eliten.

                      Für den deutschen Kolonialismus sind beide schon, Bvölkerung wie Eliten, schon seit Generationen tot. Die Forderung, deren Fehler heute „aufzuarbeiten“ impliziert denknotwendig, dass die heutige Bevölkerung oder/und die heutigen Eliten die Fehler dieser Zeit übernommen bzw. geerbt hat. Und genau das lehne ich vehement ab!

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 10. Oktober 2022, 07:37

                      Ah, ich sehe unseren Dissens jetzt klarer. In dem Sinne können Staaten und Gesellschaften natürlich nie etwas aufarbeiten, da hast du schon Recht. Aber dann ließe sich selbst die NS-Vergangenheit nicht aufarbeiten, weil die Leute auch alle tot sind. Ich verstehe unter Aufarbeitung nichts Juristisches oder so, sondern die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Solange wir hier im Land eine energische Diskussion darüber haben, ob Bismarck-Standbilder stehenbleiben müssen, weil der ja der Staatsgründer ist, muss auch die Kolonialismusdebatte erlaubt und berechtigt sein. Schließlich hat ja auch keiner mehr Bezug zum großen Namensgeber des Einmachherings.

                    • Erwin Gabriel 10. Oktober 2022, 08:37

                      @ Stefan Sasse 10. Oktober 2022, 07:37

                      Aber dann ließe sich selbst die NS-Vergangenheit nicht aufarbeiten, weil die Leute auch alle tot sind.

                      Ich (Jahrgang 1958) bin durch Schule und Gesellschaft bzw. den damaligen teil der „Aufarbeitung“ dazu erzogen worden, mich schuldig zu fühlen. Diese Sozialisierung bereitet mit heute noch Probleme, weil an bestimmten Stellen mein Denken vor eine Wand läuft, ohne dass ich im ersten Moment sagen kann, wo das Problem liegt. Da muss ich dann immer mit Mühe drüber; das stört mich schon gewaltig.

                      Ich verstehe unter Aufarbeitung nichts Juristisches oder so, sondern die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.

                      Meine eigene Vergangenheit kann ich ja aufarbeiten. Aber letztendlich wird von mir immer noch gefordert, in Sack und Asche zu gehen für etwas, was vor meiner Zeit geschah, an dem weder ich noch meine Eltern noch meine Großeltern beteiligt waren.

                      Ich weiß natürlich, dass dies genau das ist, was Du nicht meinst; es ist aber das, was passiert ist, und was von vielen Kreisen der Politik heute noch gefordert bzw. so gehalten wird.

                      Wird diese Aufarbeitung dagegen nicht individuell, sondern als Staat oder Nation durchgeführt, stellt sich natürlich automatisch auch die Frage nach Schuld, nach Wiedergutmachung. Da bin ich dann bei Thorsten.

                      Solange wir hier im Land eine energische Diskussion darüber haben, ob Bismarck-Standbilder stehenbleiben müssen, weil der ja der Staatsgründer ist, muss auch die Kolonialismus-Debatte erlaubt und berechtigt sein. Schließlich hat ja auch keiner mehr Bezug zum großen Namensgeber des Einmachherings.

                      Debattieren können wir, keine Frage; ich halte das nur für fruchtlos. Die Zeiten, Situationen, Umstände, unter denen damals Entscheidungen gefällt wurden, waren halt andere. Ursachen und Folgen mögen Historiker analysieren können, aber dieses Selbstverständnis, mit denen man damals bestimmte Entscheidungen traf, kann man heute nicht mehr nachfühlen. Und ja, Afrika sähe anders aus, hätte es keinen Kolonialismus gegeben. Ob besser oder schlechter, und nach welchen Kriterien beurteilt? Wer weiß das schon, wer will das beurteilen können.

                    • Stefan Sasse 10. Oktober 2022, 14:33

                      Verstehe ich. Ich höre diese Gefühle von Angehörigen deiner Generation oft. Mir fehlt die direkte Erfahrung, wie das damals war, ich kann aber für heute sagen, dass dem nicht mehr so ist. Niemand fordert heute (!) von dir oder mir, in Sack und Asche zu gehen. Und das tut die deutsche Politik auch seit mindesten 1998 nicht mehr, wenn sie es denn je getan hat (was ich als Historiker für eine Übertreibung halte). Fraglos allerdings wurde und wird das oft schlecht kommuniziert, und es gab sicher Leute, die früher so drauf waren und solche, die heute dann diese Erinnerungen wachrufen, weil sie sich blöd ausdrücken.

                      Naja, es geht in der Debatte ja konkret um Herero und Nama. Denen ginge es ohne den deutschen Kolonialismus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besser.

                    • Erwin Gabriel 12. Oktober 2022, 22:10

                      @ Stefan Sasse

                      Naja, es geht in der Debatte ja konkret um Herero und Nama. Denen ginge es ohne den deutschen Kolonialismus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besser.

                      Es wäre vermutlich ansonsten britischer Kolonialismus geworden

                    • Stefan Sasse 13. Oktober 2022, 06:23

                      Ich rede nicht davon, dass Namibia eine Kolonie war, sondern vom Völkermord.

                    • Erwin Gabriel 16. Oktober 2022, 16:25

                      @ Stefan Sasse 13. Oktober 2022, 06:23

                      Ich rede nicht davon, dass Namibia eine Kolonie war, sondern vom Völkermord.

                      Ist schon klar, keine Einwände. Was ich aber meine, ist, dass es damals üblich war, gegen „Wilde“ sehr hart durchzugreifen; ob Belgier, Franzosen, Engländer, Amerikaner, Osmanen, Italiener; auch die Afrikaner unter sich – zimperlich war da keiner.

                      Nicht, dass das irgendetwas ändert oder besser macht …

                    • Stefan Sasse 16. Oktober 2022, 18:39

                      Das ist korrekt. Aber ich denke es ist fair, dass man das anerkennt und sich damit beschäftigt. Mir ist einfach unklar, warum wir das NICHT tun sollten.

              • Erwin Gabriel 5. Oktober 2022, 09:56

                @ Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 22:59

                Also, die Aufarbeitung, von der ich spreche, hat überhaupt nichts mit Geld zu tun.

                Da könnte ich folgen. Du bist halt nicht der Einzige, der spricht.

                • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 12:32

                  Natürlich nicht, aber du kannst das ja dann auch nicht auf diese Position verkürzen. Ich bin total für eine differenzierte Debatte zum Thema, wie bei den Statuen auch schon. Das ist nämlich echt alles überhaupt nicht eindeutig.

                  • Erwin Gabriel 5. Oktober 2022, 17:16

                    @ Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 12:32

                    Natürlich nicht, aber du kannst das ja dann auch nicht auf diese Position verkürzen.

                    Hat es bislang in anderen westlichen / „weiß regierten“ Ländern Aufklärungsarbeit gegeben, die NICHT von außen initiiert wurden, bzw. bei denen es nicht irgendwie auch um Schadensersatzforderungen ging?

                    Ich habe wie gesagt kein grundsätzliches Problem mit Aufarbeitung, solange sie un-moralisch erfolgt. Mir fallen gerade aber nur Vorgänge ein, wo die Aufklärungsimpulse (=Schadensersatzforderungen) von außen kamen.

                    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:05

                      Weiß ich nicht, ich bin kein Experte. Nicht-Weiße Länder waren jetzt aber halt auch die letzten Jahrhunderte eher am receiving end.

                      Wenn es Beispiele bräuchte, wo dringend Aufarbeitung nötig wäre:
                      – Japan
                      – Japan
                      – Sagte ich schon Japan
                      – China (Maoismus)
                      – Indien/Pakistan (alles seit 1947)
                      – Der ganze Mittlere Osten für seine Rolle in den Kriegen gegen Israel und die Förderung von Terrorismus

                      Nur als Start.

                    • Erwin Gabriel 6. Oktober 2022, 12:28

                      @ Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:05

                      Wenn es Beispiele bräuchte, wo dringend Aufarbeitung nötig wäre:
                      – Japan
                      – Japan
                      – Sagte ich schon Japan
                      – China (Maoismus)
                      – Indien/Pakistan (alles seit 1947)
                      – Der ganze Mittlere Osten für seine Rolle in den Kriegen gegen Israel und die Förderung von Terrorismus:

                      Nicht zu vergessen: Israel itself, mit seinem terror gegen Araber und Engländer Anfang des 20. Jahrhunderts? China vs Tibet, vs Uiguren?

                      Ansonsten stimme ich der Liste zu und nehme sie als Beleg, dass Aufarbeitung in der Regel von außen angestoßen wird, und dass unterschwellig auch immer eine „Wiedergutmachung“ im Raum steht.

                    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 14:34

                      Jepp, definitiv. Können mit auf die Liste.

                      Du siehst den Beleg dafür…wo?

                    • cimourdain 6. Oktober 2022, 19:03

                      @Stefan Sasse
                      noch ein paar Ergänzungen von mir:
                      Mongolei (alles zwischen 1200 und 1400)
                      Türkei (ditto von 1453 bis 1683 und darüber hinaus)
                      China (Ming-Qing Übergang und Taiping Revolte)

                      sowie bei der Gelegenheit Indien (BollywoodFilme, ’nuclear Gandhi‘ und der Verkauf von Chicken Vindaloo an junge unerfahrene Menschen, die meinen ‚richtig scharf‘ macht ihnen nichts aus)

                    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 19:38

                      Nein, da gehe ich nicht mit. Die heutige Mongolei hat mit Dschingis Khan abgesehen von ein wenig Folklore wenig zu tun. Dschingis Khan sollte sehr kritisch rezipiert werden, aber das ist kein spezifisch monglisches Problem. Die Türkei ist mit dem Osmanischen Reich nicht identisch; da sollte man sich nicht als Erdogans Wasserträger betätigen. Aber: den armenischen Völkermord haben sie zu verantworten, weil das schon die Proto-Türkei war, die da tätig war, und die ganze Geschichte mit Smyrna und Co sowieso. China – das chinesische Kaiserreich ist auch ancient history und nicht identisch mit dem heutigen China. Ich würde auch Friedrich den Großen nicht dem heutigen Deutschland vor die Haustüre legen.

              • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 18:46

                Die Arbeit von Jürgen Zimmer. Der sich – natürlich, wer hat etwas anderes erwartet – für deutsche Reparationszahlungen einsetzt.

                https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/2019/09/05/angst-vor-dem-praezedenzfall-prof-dr-juergen-zimmerer-in-der-tagesschau-ueber-die-verhandlungen-der-bundesregierung-mit-herero-und-nama/

                Und den Holocaust relativiert und mal so eben unter „Kolonialverbrechen“ einordnet.

                https://starke-meinungen.de/blog/2017/07/24/juergen-zimmerer-relativiert-den-holocaust/

                Reparationsforderungen nach 100 Jahren, glatte Lügen über die deutsche Kolonialgeschichte („Daher sei der Genozid an Herero und Nama ein Kapitel der kolonialen Ausbeutung, von der Europa wirtschaftlich bis heute profitiert.“) und dicht am Antisemitismus. Beeindruckend.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:07

                  Eine ziemliche Fehlrepräsentation von Zimmerer, ziemlich beeindruckend.

            • Kning4711 5. Oktober 2022, 14:06

              Ich finde Du sprichst einen guten Punkt an. Das Eingeständnis kolonialer Verbrechen ist das eine, das andere sind die Schadensersatzzahlungen. Letztere finde ich schwierig, insb. dann wenn wie im Beispiel Deutschland inzwischen 100 Jahre vergangen sind seit dem die Kolonien nicht mehr unter Deutscher Kontrolle stehen. Weit wichtiger fände ich echte wirtschaftliche und kulturelle Partnerschaft und Zusammenarbeit. Nicht Entwicklungshilfe als Almosen, sondern Investitionen in eine langfristige Wirtschaftsbeziehung nebst kulturellen Austausch (Bildungspartnerschaften, Schüler und Studentenaustauschprogramme Forschungs- und Hochschulpartnerschaften.
              Ein erster Schritt kann die Rückgabe von Kulturgütern sein (Vorausgesetzt sie landen vor Ort in einem Museum) und nicht in dunklen Kanälen.

              • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 16:47

                Absolut. Reparationen sehe ich auch skeptisch, hauptsächlich wegen der praktischen Umsetzbarkeit.

        • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 19:06

          Und nur zur Erinnerung – DAS ist mein Hauptargument:
          „Die Forderung nach „Aufarbeitung“ des Kolonialismus ist historisch besonders albern, weil zu der Zeit, in der portugiesischer/holländischer oder britischer Imperialismus zur Eroberung von Kolonien führte, dieser Imperialismus (seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen) schlicht noch immer die vorherrschende Menschheitsnorm bei den Imperien war, die sich ihn leisten konnten.“

          • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 22:54

            Kein Stück. Ich kann problemlos erkennen, dass früheres Verhalten falsch war. Oder hast du in deinem Reifeprozess zum erwachsenen Menschen nie zurückgeschaut und gedacht „Hm, das war jetzt nicht so optimal?“

            • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 00:24

              Den schrägen Vergleich nutze ich doch gerne: Beschränken wir die Aufarbeitung auf die, die als Erwachsene (älter 18) am Kolonialismus entweder aktiv beteiligt oder betroffen waren. Gute Idee!

              • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 06:53

                Der macht halt null Sinn.

                • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 10:49

                  Der Vergleich stammte von Dir.

              • cimourdain 6. Oktober 2022, 15:37

                Dann nenne ich mal ein Beispiel aus der jüngeren Kolonialgeschichte: Die Zerstörung und Plünderung Bagdads im Jahr 2003 n.Chr.

                • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 17:51

                  Da würde ich jetzt widersprechen. Den Krieg der USA gegen den Irak sehe ich nicht als Kolonialkrieg.

                • Ralf 6. Oktober 2022, 18:40

                  Um Stefans Antwort in Kontext zu setzen: Böses – wie das Führen von Kolonialkriegen – tut nie meine Seite. Böses tun immer nur die anderen.

                  • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 19:43

                    Na, Stefan hat da Recht. Man kann diesen Krieg auf viele verschiedene Weisen interpretieren, ihn ausgerechnet als Kolonialkrieg zu verstehen erforderte ziemlich heftige historische Verbiegungen.

                    • Ralf 6. Oktober 2022, 23:32

                      Eine westliche Großmacht überfällt, getrieben von Gier und vordergründig unter dem Vorwand Zivilisation zu bringen, ein Land auf der anderen Seite des Globus, mit dem Ziel es langfristig zu besetzen um seine natürlichen Ressourcen zu rauben und auszuplündern. In welchem Universum ist das nicht exakt die Definition eines Kolonialkriegs?

      • cimourdain 6. Oktober 2022, 15:44

        8) Die Liste ist sehr interessant, weil sie extrem auf die eigene Landesgeschichte fokussiert ist. Nichtbritische Themen finden nur am Rande statt (außer sie betreffen zufällig mal die Insel, wie Römer oder Wikinger)

  • Kning4711 4. Oktober 2022, 15:12

    Zu 8
    Ich las noch kürzlich, dass es in ganz Großbritannien kein Museum gibt, dass sich (kritisch) mit der eigenen kolonialen Geschichte auseinandersetzen würde. Selbst die USA haben ein Museum zur afroamerikanischen Geschichte, dass die Sklaverei thematisiert.
    In einem Artikel des Guardian von 2016 spricht der Autor davon, dass britische Kolonialgeschichte in eer Schule kaum thematisiert würde. Mit dem Tod der Queen wird diese Diskussion aber wieder aktueller werden, denn viele Commonwealth Länder hinterfragen nun, ob es wirklich richtig ist, dass das Staatsoberhaupt tausende von Kilometern entfernt lebt und vor Ort durch einen General-Gouverneur vertreten wird. In dem Zuge kommt dann auch die koloniale Vergangenheit zurück aufs Tablet. In Australian und Neuseeland steht die Monarchie gleichbedeutend für die Entrechtung der indigenen Bevölkerung. Kanada erkennt das Leid an, dass die Zwangsunterbringung indigener Kinder in Schulen (verbunden mit Missbrauch) verursacht hat. Das sind alles Vorboten der sich abzeichnenden Debatte, die Großbritannien vor sich hat.
    Vielleicht erweist sich hier sogar die Monarchie als Wegbereiter. König Charles könnte mit einer Geste, das Thema auf die Agenda setzen. Er müsste lediglich den Koh-i-noor Diamanten aus den britischen Kronjuwelen an Indien zurückgeben. In Belgien hat die Monarchie es vorgemacht bei der Anerkennung der Kongo Gräuel als das Werk belgischer Kolonisten. Es bleibt spannend.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 18:30

      Ja, das ist auch mein Punkt: diese Debatte hat das UK bisher vermieden, und der Druck wird immer größer.

      • Erwin Gabriel 5. Oktober 2022, 17:18

        @ Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 18:30

        … diese Debatte hat das UK bisher vermieden, und der Druck wird immer größer.

        Kommt der Druck von innen oder von außen?

        • Kning4711 5. Oktober 2022, 18:39

          Sowohl als auch. Bei den letzten Staatsbesuchen die Prinz William für seine Mutter in die Karibik unternehmen durfte wurde er in Jamaika und Barbados auf das Thema angesprochen. Im Commonwealth wird das Thema auch stärker thematisiert, jedoch stellt sich hier die Tory geführte Regierung taub.

          Im inneren scheint es eher eine Minderheitendebatte der extremen politischen Linke zu sein. Von den großen Zeitungen thematisiert einzig der Guardian das Thema regelmäßig. In Oxford gibt es erste vorsichtige Debatten ob Institute, die nach krassen Kolonialisten benannt sind, umbenannt werden sollten. In Summe ist die Debatte aber sehr verhalten.

        • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:05

          Sowohl als auch.

  • CitizenK 4. Oktober 2022, 16:58

    3) Die gegensätzlichen Auffassungen von Staat und persönlicher Freiheit müssten Faschismus und Liberalismus eigentlich zu Antipoden machen.

    Aber es gibt eine Brücke oder, wie @cimourdin das hier im Blog genannt hat, den Sozialdarwinismus.

    Auch dass von den Parteien der jungen Bundesrepublik die FDP den höchsten Anteil an Altnazis hatte, spricht nicht für einen fundamentalen Gegensatz.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 18:31

      In der SED haben auch diverse Alt-Nazis Karriere gemacht…

      • CitizenK 4. Oktober 2022, 18:48

        Da passen sie auch eher hin.

  • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 17:45

    Aber es gibt eine Brücke oder, wie @cimourdin das hier im Blog genannt hat, den Sozialdarwinismus.

    Mit der Art von Argumentation gibt es zwischen überhaupt keinen Ideologien fundamentale Gegensätze. Denn solche angeblichen „Brücken“ existieren immer. Zur Kenntnis genommen.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • Johnson 4. Oktober 2022, 18:56

    @ 4:

    “If you really love Democrats, you can’t love the US Senate” would be a far more accurate title for this ridiculous article. The answer to the author lies in the very name of “The United States of America”, which is very clearly different from say “The United Republic of America” or simply “America”. The US was, is and always will be a union of states that were admitted to this union as entities in their own right and therefore rightfully have representation at the federal level that recognizes the fact that they are individual states with their own rights, the Constitution and federal legislation notwithstanding. You don’t have to resort to conjecture about what the founding fathers (gasp) or the framers might have thought or contemplated at the time. It’s all pretty obvious. Added bonus: It’s actually working rather well, much to the chagrin of some Democrats. Case in point: If the US were actually a republic with straight up proportional voting what are the chances a representative/member of the House (senator) from a total backwater like Delaware (2nd from the bottom re area, 5th from the bottom re population) would ever get near the White House, let alone take the top job?

    To really understand how important the US Senate is let’s look to the neighbor to the North. Also a confederation of states (provinces) that all have fairly far reaching rights and responsibilities but no direct representation as a political entity at the federal level. This, combined with the first past the post voting system (would be similar with popular vote though) results in the fact that you only need Ontario and Quebec to decide any federal election and the course of the country afterwards as there is no political mechanism at the federal level to counteract the sheer weight of seats and votes emanating from these two provinces.

    @7:

    This article hits a straight 10 out of 10 on the BS meter without even trying. The question is not woke/diverse vs hypermasculine/aggressive but rather how those changes are being implemented and what the leadership at every level looks like in terms of supporting and enhancing moral and cohesion. I wouldn’t be crowing that loud about how Western armies are so wonderfully flexible, adaptive and “brainy” on the background of the total disaster that was Afghanistan where hypermasculine/aggressive kicked the butt of woke/diverse and it wasn’t even a close contest. I would also like to remind everyone that, its apparently dismal performance in the Ukraine aside (slight bow to Mr. Haupts here; he was right and I was very wrong about 5 months ago and I am glad I am not a betting man or he would have taken a sizable chunk of cash from me), the Russian army, unlike NATO or the US in Afghanistan and Iraq, actually won its war against an Islamic insurrection (in Chechnya). Add to that the preposterous WW 2 analogies and this dumpster fire of an article is complete.

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 22:52

      4) Which is exactly my point: the Senate is an undemocratic institution, but it’s by design. „Democratic“ isn’t a value per se, it’s neutral. Making something more democratic can be good or can be bad. The Federalist 10 has been quoted to death, but the danger of faction remains real.

      • Johnson 5. Oktober 2022, 15:57

        I honestly have no idea what you are trying to say.

        Also, I would like some examples of how „making something more democratic can be bad“ please.

        • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 16:50

          Basically it’s about the tyranny of the majority. Unfettered democracy can lead to exactly that. If we let the majority decide everything, that’s very democratic, but it’s also catastrophic. This is why we have lots and lots of guard rails against that.

          • Johnson 6. Oktober 2022, 16:08

            Well, that’s a rather gratuitous statement, isn’t it? And the default in a democratic society should always be the will of the majority, with some safeguards for (rare) extreme situations/cases where the will of the majority suppresses a minority etc.

            In any event though, I am still confused. I thought we were talking about how democratic or undemocratic the US Senate is?

            • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 17:52

              It is undemocratic, because it distorts the majority by design.

              • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 19:45

                That´s true for most 2nd parliamentary chambers in democracies. It´s a feature, not a bug.

              • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 19:46

                And lest we forget – the European parliament is according to this specific measure one of the most undemocratic possible. And this is the first chamber …

              • Johnson 6. Oktober 2022, 21:36

                Didn’t you just state though that the majority needs „guard rails“ at times? Why not here?

                • Stefan Sasse 8. Oktober 2022, 09:37

                  I’m not saying it doesn’t need them here. I’m saying these guard rails distort democratic representation. Which, again, doesn’t need to be a bad thing. Every representational system distorts it, because we give our power to representatives, which means some voices will inevitably get lost. The whole discussion started with my statement that the Senate is obviously undemocratic by design, and I think we have that marked down now. Perhaps we can move on to the question of whether or not it provides a vital guard rail, whether or not it’s needed and how well it performs in that function. Because these are the interesting questions, not whether it’s democratic. It’s obviously not. But then, neither is SCOTUS, and I guess no one would argue that makes the existence of a Supreme Court uncompatible with a democracy.

                  • Johnson 10. Oktober 2022, 18:17

                    @ S Sasse

                    I would be careful with the word „undemocratic“. Democracy can take on many forms and while the US Senate may not be the „best“ form I stipulate that its design is still a form of democracy.

                    I also thought I already gave you my answer: Yes. The US Senate ensures that the (many) smaller states of the US don’t get relegated to a total backwater/hinterland role, and it also ensures that as legal entities in their own right they have adequate representation at the federal level. In other words, the US Senate prevents the notion of needing only California, New York, Illinois, Pennsylvania, Florida and Texas to govern the US. Hence the example of Canada where you need only two out of the ten provinces to win any election.

                    • Stefan Sasse 10. Oktober 2022, 18:54

                      I’m well aware of the danger, which is why I added many qualifications and explanations. I wouldn’t make this statement in a vacuum, precisely because of that.

                      However, I would contend the idea that it helps the smaller states significantly. One, as in Canada, you need only a handful of US states to win an election. Not because of population, but the result is the same. Have you seen a presidential candidate in Wyoming recently? Also, since politics are so nationalized, individual states aren’t really represented in the Senate anymore. What difference does it make whether a Democrat is from Vermont or Georgia, a Republican from New Hampshire or Texas? Their voting behavior is almost the same.

                    • Johnson 10. Oktober 2022, 19:44

                      @ S Sasse

                      You’d be in a total minority if you believe the US Senate doesn’t help smaller states significantly. Curious statement really.

                      Also, you are confusing several things. The US Senate has nothing to do with a presidential election, it however has everything to do with governing the nation which are two very different things. Regardless of who wins the White House (and you’re right of course, for that you theoretically only need a handful of states), they still need the US Senate to govern the nation. While there has not been a candidate from Wyoming recently there have been candidates from Delaware, Tennessee Kansas, Arkansas and Massachusetts…does that count? Also there has not been a US President in a very long time that used to be a Representative but a lot of Senators and Governors. Care to venture a guess as to why that might be?

                    • Stefan Sasse 10. Oktober 2022, 23:21

                      I don’t doubt the Senate is IMPORTANT. It obviously is. I just doubt that it works as a representational body for the interests of smaller states. It has been nationalized in its senators and in its topics, and I think it’s hard to find people who disagree that this has been a trend. The old rivalry with the House has been mostly supplanted by partisan rivalry, for example, which trumps all other concerns. This was my point.

                    • Johnson 11. Oktober 2022, 00:29

                      @ S Sasse

                      I would love for you to trot out some examples or some hard data (and please not a BS article in the Atlantic) that the US Senate is a) not advocating for smaller states and b) has been increasingly „nationalized“ (whatever that means). About the latter point – of course the US Senate is „nationalized“, always has been. It’s a political body at the federal i.e. national level. What else should the US Senate do then that the various State Senates don’t already do? And of course it’s a partisan body, that’s also never been different, neither for Democrats nor for Republicans. They’ll vote with their colleagues in the House or their President in the White House as a default. After all they all belong to the same party. Please show me one democratic system where this would be different (again – as the default), and an entire chamber votes in contravention of its colleagues in the other chamber and/or their own executive. That’s absurd.

                    • Thorsten Haupts 11. Oktober 2022, 14:45

                      What difference does it make whether a Democrat is from Vermont or Georgia, a Republican from New Hampshire or Texas?

                      That´s pretty much a BS argument. The constitutional unavoidable, politically meaningful, representation of smaller states in both parties ensures, that inside both parties compromises have already been cemented before anything enters the senate floor and then gets part of the national political struggle between both US parties.

                      If smaller states were represented only according their population weight, I am as sure as hell that – in both parties following natural election logics – absolutely nobody at national level would give a damn about the needs, leanings and wishes of the population in e.g. Alaska, Delaware or Montana. Because they would be irrelevant in the election.

                      You may still be of the opinion that a purely and strictly representative system delivers a „better“ result. But to argue that the guaranteed representation and following political clout of smaller states does not matter at all is a bit disingenious.

                      Regards,
                      Thorsten Haupts

    • sol1 5. Oktober 2022, 00:16

      „…the Russian army, unlike NATO or the US in Afghanistan and Iraq, actually won its war against an Islamic insurrection (in Chechnya)…“

      Tschetschenien hat ungefähr so viele Einwohner wie das Saarland.

      Wenn sich Rußland tatsächlich etwas auf diesen Sieg eingebildet hat, braucht es sich über das jetzige Desaster nicht zu wundern.

    • sol1 5. Oktober 2022, 00:19

      „If the US were actually a republic with straight up proportional voting what are the chances a representative/member of the House (senator) from a total backwater like Delaware (2nd from the bottom re area, 5th from the bottom re population) would ever get near the White House, let alone take the top job?“

      Sieht man ja auch in Deutschland, daß es völlig unmöglich ist, als Hamburger Bundeskanzler zu werden.

      • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 06:53

        😀 😀 😀

      • Johnson 6. Oktober 2022, 17:30

        @ sol1:

        You may want to reread my post. Pretty sure Germany has a political body at the federal level that represents the states and is separate from its parliament.

        • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 17:54

          It has, and unlike the Senate it allows for population size (although still heavily distorted).

  • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 19:31

    Völlig o.T. (Ukraine Krieg):

    Sieht so aus, als wäre ich mit meiner Vorhersage von Juni nur 3 Monate zu früh dran gewesen. Die russische Armee in der Ukraine kollabiert gerade. Yay!

    https://twitter.com/i/status/1577280165377638400

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 22:59

      Hoffen wir dass
      a) das tatsächlich weitflächig so ist und
      b) die apokalyptische Version eines Nuklearwaffeneinsatzes nicht doch Wirklichkeit wird.
      Mit den beiden Qualifikationen: FUCK YEAH!

    • Ariane 5. Oktober 2022, 03:24

      Das ist wirklich (sehr geiler) Wahnsinn. Ich fühle mich ein bisschen an die Anfangszeit der Invasion erinnert, wo man nicht so genau wusste, ob die Ukraine sehr gute Propaganda macht. Wirklich so gut ist oder Russland einfach so enorm schlecht.

      • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 07:03

        Ein bisschen von beidem, denke ich.

      • Erwin Gabriel 6. Oktober 2022, 13:17

        @ Ariane 5. Oktober 2022, 03:24

        Ich fühle mich ein bisschen an die Anfangszeit der Invasion erinnert, wo man nicht so genau wusste, ob die Ukraine sehr gute Propaganda macht, wirklich so gut ist oder Russland einfach so enorm schlecht.

        • Die ukrainischen Truppen sind deutlich höher motiviert
        • Die ukrainischen Truppen sind besser ausgebildet (die Ukraine nach der Krim- und Donbass-Annektion damit begann, das eigene Militär sehr gut auszubilden
        • Zu Beginn des militärischen Überfalls sind drei Armeen aus unterschiedlichen Richtungen in die Ukraine einmarschiert; deren drei Oberbefehlshaber haben sich nicht untereinander abgestimmt
        • Nachdem das Problem erkannt wurde, übernahm Putin den militärischen Oberbefehl selbst; keine gute Entscheidung.
        • Die Logistik der russischen Armee basiert sehr stark auf Bahnverbindungen, die man stören kann. Die Versorgungswege sind recht lang, verglichen mit den ukrainischen.
        • Ein entscheidender Punkt dürfte auch die exzellente Aufklärung und Analyse des Westens sein.

    • Erwin Gabriel 6. Oktober 2022, 12:54

      @ Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 19:31

      Sieht so aus, als wäre ich mit meiner Vorhersage von Juni nur 3 Monate zu früh dran gewesen.

      Ich hab gehofft, dass Du Recht behältst, es aber ehrlicherwiese nicht geglaubt.

      Die russische Armee in der Ukraine kollabiert gerade. Yay!

      Richtig gute Nachricht!

  • derwaechter 5. Oktober 2022, 00:01

    5) Boomer bedeutet mittlerweile nur noch „nicht mehr ganz junge Leute die nicht meiner (linken) Meinung sind“
    Trotzdem schon besonders witzig, dass Diez hier explizit 35-60 jährige Boomer nennt. Also eine Altersgruppe, die mit der eigentlichen babyboomer Generation fast keine Überschneidung hat. Die jüngsten Babyboomer sind aktuell ungefähr 58 Jahre alt.

  • sol1 5. Oktober 2022, 00:37

    3) „Aber den Liberalismus auf Wirtschaftsliberalismus zu reduzieren (der sich dann problemlos in rechtsautokratische Regime einbinden lässt, keine Frage), halte ich für extrem verkürzt.“

    Der Faschismus ist eine *Versuchung* für Wirtschaftsliberale – ebenso, wie eine planwirtschaftliche Diktatur eine Versuchung für Sozialisten ist.

    Eine meiner Lieblingstheorie ist, daß in einem Schema wie dem *political compass* die beiden unteren Ecken (Anarchokommunismus und Anarcholibertarianismus) „leer“ sind – in dem Sinne, daß diese politischen Ideen zwar formuliert, aber nicht praktisch umgesetzt werden können. Der ökonomische Anteil dieser Ideologien kann allerdings verwirklicht werden, wenn man den libertären Anteil über Bord wirft und die autoritäre Keule rausholt.

    Womöglich spielt da auch eine Rolle, daß einer neuen Studie zufolge, von der ich gerade in der SZ gelesen habe, gerade hochintelligente Menschen zu extremen Ansichten über die Ökonomie neigen:

    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160289622000800

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 06:58

      Ja genau, das meine ich. Aber diese Versuchung ist nicht identisch mit der Ideologie selbst. Liberale mögen zwar im Zweifel lieber Faschisten unterstützen als Kommunisten, aber wenn das meine Wahl ist, werde ich wohl schweren Herzens die Kommunisten decken. Daraus kannst du aber nicht eine Überlappung konstruieren. Die Frage ist ja gegebenenfalls, ob die Situation tatsächlich so manichäisch ist wie sich Leute das dann einbilden und inwieweit man der Versuchung nachgibt.

      • sol1 5. Oktober 2022, 19:17

        Da stimme ich dir völlig zu.

        Ich möchte aber noch früher ansetzen. Wenn man die Gegner seiner ökonomischen Theorien ständig als „Faschisten“ bzw. „Kommunisten“ framt, kommt man an dem Punkt raus, daß Typen wie Maduro bzw. Bolsonaro ganz selbstverständlich als „einer von uns“ betrachten werden, obwohl die sich für Ökonomie nur in dem Maß interessieren, wie es ihnen beim Machterhalt nützt. Putin hat da in der Hinsicht das Meisterstück abgeliefert, da er in beiden entgegengesetzten Lagern als Held betrachtet wurde und immer noch wird. Das hat wohl auch damit zu tun, daß er geschickt die Verschwörungstheorien bedient, die in beiden Lagern kursieren.

  • Ralf 5. Oktober 2022, 00:37

    zu 1)

    Wollen wir das denn wirklich, dass der Bund eine zentrale, lückenlose Liste von allen Konten aller Bürger hat?

    Wieso ALLE Konten aller Bürger? Für den angestrebten Zweck reicht doch EIN Konto aller Bürger. Bei den meisten dieser Bürger gibt es übrigens auf dem Konto für den Staat buchstäblich nichts zu sehen. Und die Steuervermeiderklasse am anderen Ende des Einkommensspektrums hat sowieso mehrere Konten – oft sogar im Ausland. Wo also ist das große Problem, wenn das Amt hier auf EIN Konto Zugang hat?

    • Ariane 5. Oktober 2022, 03:06

      Ist das eigentlich meine Naivität oder ist es nicht sowieso üblich, dass „der Staat“ und der Bürger/die Bürgerin ähm kontotechnisch verknüpft sind?

      Klar, wenn ich eine Geldbuße an die Verkehrsbehörde überweise, hat nicht zwingend der Staat selbst meine Kontodaten, aber generell – egal ob Forderungen oder Leistungen/Rückzahlungen – kommunizieren Bürger und Staat ja doch viel über Konten, von daher sehe ich das Problem jetzt auch nicht so.

      • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 07:02

        Die Frage ist ja, wo die Informationen liegen. Deutschland ist ein funktionierender Rechts- und Verfassungsstaat. Wenn eine Behörde bestimmte Daten nicht haben darf, ist es egal, ob eine andere Behörde die vielleicht hat. Nur weil das Bürgermeisteramt mal von mir eine Überweisung bekommen hat, besitzt das Finanzministerium nicht zwingend meine Kontonummer. Nur weil mir eine Abteilung im Finanzministerium die Steuerrückerstattung überweist heißt das nicht, dass eine vollständige Liste irgendwo existiert. Das Finanzministerium hat dann nur die Nummern der abgearbeiteten Steuererklärungen, aber das wäre ja extrem lückenhaft, wenn du jeder Person (oder wenigstens jeder erwachsenen Person) eine Summe zukommen lassen willst.

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 06:59

      Ja, das war von mir blöd formuliert, da hast du natürlich Recht.

      • Ralf 5. Oktober 2022, 07:37

        Das war nicht Deine Formulierung, sondern die aus dem Text … 😉

  • sol1 5. Oktober 2022, 00:48

    a) „…einmal die eher unbekannte Unterstützung der Klimaaktivist*innen…“

    Das allerdings ist eine lausige Recherche, was mich allerdings bei Axel Bojanowski nicht wundert.

    „US-Amerikanische Medien berichteten von Dokumenten…“ – und verlinkt wird das Schmierblatt „Washington Times“.

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 07:00

      Ich kann es nicht beurteilen, aber: es würde mich trotzdem nicht wundern. Russland wäre geradezu fahrlässig, würde es nicht versuchen, diese politischen Strömungen in seinem Sinne zu beeinflussen. War ja bei der Friedensbewegung nicht anders. Genauso fördern westliche Geheimdienste ja die Demokratiebewegungen in Russland und anderswo. Das delegitimiert die ja nicht.

      • sol1 5. Oktober 2022, 10:08

        Klar, aber der Blick auf den Kalten Krieg zeigt auch, daß materielle Unterstützung ohne ein entsprechendes Umfeld wenig bewirkt. Der Westen hat mit einem Bruchteil des Geldes, das die DDR in Westdeutschland versenkt hat, den Regime Change in Polen angestoßen und damit das Ende des Ostblocks eingeläutet.

        • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 11:07

          Der Westen hat mit einem Bruchteil des Geldes, das die DDR in Westdeutschland versenkt hat, den Regime Change in Polen angestoßen …

          Haben Sie eigentlich absichtlich eine Formulierung gewählt, die die maximal mögliche Beleidigung der polnischen Freiheitsbewegung darstellt?

          • sol1 5. Oktober 2022, 19:19

            „…die maximal mögliche Beleidigung…“

            Da liest du etwas raus, was ich nicht geschrieben habe.

            • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 23:27

              „Jemand von aussen hat mit Geld einen Regime Change angestossen“ ist also keine Beleidigung für eine indigen gewachsene und unterfütterte Freiheitsbewegung? Staun.

              • sol1 6. Oktober 2022, 10:26

                Mit böswilligen Verdrehungen meiner Postings schadest du nicht mir, sondern dir selbst.

                • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 12:03

                  sol1: Der Westen hat mit einem Bruchteil des Geldes, das die DDR in Westdeutschland versenkt hat, den Regime Change in Polen angestoßen

                  Ich: Jemand von aussen hat mit Geld einen Regime Change angestossen

                  Sol1: Böswillige Verdrehung

                  ROFLMAO.

                  • sol1 9. Oktober 2022, 15:24

                    Ick kann halt nicht erkennen, was am Wort „anstoßen“ anstößig sein soll.

                    /// einen kleinen Stoß geben

                    Grammatik
                    Perfektbildung mit „hat“

                    Beispiele

                    das Pendel einer Uhr anstoßen
                    jemanden [aus Versehen] anstoßen
                    jemanden mit dem Fuß [unter dem Tisch] anstoßen
                    〈in übertragener Bedeutung:〉 ein innovatives Projekt, neue Investitionen anstoßen ///

                    https://www.duden.de/rechtschreibung/anstoszen

                • Erwin Gabriel 6. Oktober 2022, 13:38

                  @ sol1 6. Oktober 2022, 10:26

                  Mit böswilligen Verdrehungen meiner Postings schadest du nicht mir, sondern dir selbst.

                  Was immer Du gemeint hast – ich habe es so verstanden: Der Westen hat (mit einem nur kleinen Geldbetrag) die polnische Revolution initiiert und umgesetzt und somit den Ostblock zusammenstürzen lassen.

                  Eine Ansicht, die ein beteiligter Pole, der vermutlich sein Leben riskierte, durchaus als westliche Arroganz und schwerwiegende Beleidung wahrnehmen dürfte.

                  Meines Wissens begann die Revolution der Polen mit einem Streik in einer Werft; Streikführer war Lech Walesa, der schon 1970 für gewerkschaftliche Aktivitäten in den Knast geschickt wurde, nachdem die Werft gestürmt wurde und über 80 Menschen dabei ihr Leben lassen mussten.
                  Der zweite Versuch 1980 klappte besser, da in allen Bereichen des Landes andere Betriebe aus Solidarität mit in den Streik gingen. Daraus entstand die nichtstaatliche Gewerkschaft Solidarność.

                  Vom „Westen“ war 1970 nichts zu hören, und 1980 stand der „Westen“ applaudierend, aber machtlos am Zaun.

                  Der Ostblock (und damit auch das polnische Regime) stürzte erst 1990/1991 mit der Sowjetunion, in erster Linie aufgrund innenpolitischer Maßnahmen des etwas naiv agierenden Michail Gorbatschow.

        • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 12:32

          Ich würde die agency der Polen nicht kleinreden. POLEN hat einen massiven regime change angestoßen. Weitgehend ohne und im Fall der SPD sogar GEGEN den Westen.

          • sol1 5. Oktober 2022, 19:36

            „Ich würde die agency der Polen nicht kleinreden.“

            Das war auch nicht meine Absicht. Aber es wäre auch witzlos, die Unterstützung aus dem Westen abzustreiten:

            /// In the year leading up to martial law, Reagan Administration policies supported the Solidarity movement, waging a public relations campaign to deter what the Carter administration had seen as „an imminent move by large Soviet military forces into Poland.“[17] Michael Reisman from Yale Law School named operations in Poland as one of the covert regime change actions of the CIA during the Cold War.[18] Colonel Ryszard Kukliński, a senior officer on the Polish General Staff, was secretly sending reports to CIA officer David Forden.[19] The Central Intelligence Agency (CIA) transferred around $2 million yearly in cash to Solidarity, for a total of $10 million over five years. There were no direct links between the CIA and Solidarność, and all money was channeled through third parties.[20] CIA officers were barred from meeting Solidarity leaders, and the CIA’s contacts with Solidarność activists were weaker than those of the AFL–CIO, which raised $300,000 from its members, which were used to provide material and cash directly to Solidarity, with no control of Solidarity’s use of it. The U.S. Congress authorized the National Endowment for Democracy to promote democracy, and the NED allocated $10 million to Solidarity.[21]

            The Polish government enacted martial law in December 1981, however, Solidarity was not alerted. Potential explanations for this vary; some believe that the CIA was caught off guard, while others suggest that American policy-makers viewed an internal crackdown as preferable to an „inevitable Soviet intervention.“[22] CIA support for Solidarity included money, equipment and training, which was coordinated by Special Operations.[23] Henry Hyde, U.S. House intelligence committee member, stated that the USA provided „supplies and technical assistance in terms of clandestine newspapers, broadcasting, propaganda, money, organizational help and advice“.[24] ///

            https://en.wikipedia.org/wiki/Solidarity_(Polish_trade_union)

            Worauf ich hinauswollte, ist, daß aus der DDR in die BRD *viel mehr* Geld geflossen ist (die DKP etwa bekam laut Wikipedia 70 Mio. DM, ohne daß dies eine nur annähernd vergleichbare Wirkung gehabt hätte.

            • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:09

              Ja, weil eben die Polen sich selbst befreit haben und die DDR effektiv nicht.

              • sol1 6. Oktober 2022, 10:25

                Eine Selbstbefreiung war es in beiden Fällen, wobei die Polen eine viel längeren Kampf ausgefochten haben, von dem dann die anderen Völker im Ostblock profitierten.

                Aber das heißt eben nicht, daß man die Hilfe von außen in der Betrachtung unterschlagen sollte – oder auch die Rolle, die Gorbatschows Reformen gespielt haben.

                • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 14:28

                  Würde ich nie tun. Ohne Gorbatschow kein Ende des Kalten Krieges.

                • Erwin Gabriel 7. Oktober 2022, 10:07

                  sol1 6. Oktober 2022, 10:25

                  Das hattest Du halt deutlich anders formuliert. So kann ich halbwegs folgen.

                  • sol1 9. Oktober 2022, 15:29

                    „Das hattest Du halt deutlich anders formuliert.“

                    In meinen Augen nicht.

                    Und bringt es Diskussionen wirklich weiter, wenn man jedes Posting mit politisch korrekten Formulierungen gegen jede noch so abwegige Deutung absichert?

  • Ariane 5. Oktober 2022, 03:21

    Interessante Debatte zur Aufarbeitung der Vergangenheit, ich setze hier mal neu an, weil das oben etwas chaotisch ist.

    Generell halte ich die Aufarbeitung für eine wichtige Sache – wenn es noch heutige Relevanz hat. Also dass vielleicht meine Wikingervorfahren mal ein Dorf in England überfallen haben zählt da jetzt nicht so rein^^

    Es gibt aber Epochen, bei denen das nicht so ist. Der Nationalsozialismus, die Kolonisierung (die moderne, also von England jetzt konkret, Frankreich etc. gehören da aber auch mit rein, übrigens auch Deutschland) und wie ich nicht müde werde zu betonen, die Nazis in Osteuropa.

    Und dabei geht es nicht ums Geld, wenn Polen oder sonstwer plötzlich Reparationen von Deutschland fordern, halte ich das für Quatsch. Es ist aber wichtig, um heutige Mechanismen zu verstehen. Etwa, dass viele osteuropäische Staaten Deutschland gegenüber schnell empfindlich reagieren, weil nämlich die fehlende Aufarbeitung auch dafür sorgt, dass die Idee von Vasallenstaaten immer noch in den Köpfen spukt. Sehe Varwick, Precht und sonstige Leute, die meinen man könnte mal easypeasy mit Russland über das Gebiet der Ukraine verhandeln.

    Und genauso – und besonders extrem – ist es mit der Kolonisation bei GB. Es war ja auch kein Zufall, dass vor etlichen Jahren dort besonders die „Black-Lives-Matter“ Proteste so eskaliert sind und Statuen in die Themse geworfen worden, weil sie jemanden zeigten, der mit Sklavenhandel reich wurde. Stefan hatte da neulich so einen Thread auf Twitter, wo er aus einem älteren, aber nicht uralten Schulbuch zitierte, wo es darum ging, dass man „den Wilden die Zivilisation“ brachte, kann er bestimmt nochmal verlinken.

    Also es ist meiner Meinung nach nötig, um heutige Mechanismen zu verstehen. Und Gutmenschentum Galore – ich halte es auch für wichtig, um den Blick dafür zu schärfen, dass alle Menschen gleich sind und man nicht qua Geburt dazu ausersehen ist, irgendwelche wilden Horden in Afrika zu zivilisieren und vielleicht verschämt zuzugeben, dass Massenmord und Sklavenhandel nicht so cool waren.
    Die Anerkennung der Zerstörung und nicht ihre Relativierung (was natürlich politisch ist!) sollte schon ein erster, wichtiger Schritt sein.

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 07:03

      Genau das meine ich. Danke!

    • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 10:52

      Es gibt aber Epochen, bei denen das nicht so ist.

      Okay. Die islamischen Kreuzzüge 800 ff, der mongolische Sturm (insbesondere für Russland und Persien), der dreissigjährige Krieg (insbesondere für Deutschland), das römische Recht (insbesondere für Europa), der abrupte Abbruch des Seehandels für China am Beginn der europäischen Renaissance, die Inka-Eroberungen in Südamerika …

      Einverstanden?

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Ariane 5. Oktober 2022, 15:35

        Die eher nicht. Obwohl ich die Frage ganz interessant finde, wann dafür die Grenzen verlaufen. Ich könnte mir vorstellen, dass es etwas mit der Identifikation zu tun hat.

        Um bei meinem Beispiel zu bleiben: ich identifiziere mich ja nicht als Wikingerin. Aber als Deutsche, womit eben auch der ganze Krempel dazugehört, den das Land in der Vergangenheit getan hat.
        Und das gilt natürlich auch für die Opfer, natürlich identifizieren sich Natives mit den Opfern, die sie gerade in Kanada in Massengräbern entdecken.

        Und ich glaube, soviele Alternativen gibt es nicht. Es bleibt nur die Entscheidung, wie man über seine Vergangenheit redet. Der Mensch ist so, der fängt nicht bei null an und vor unserer Geburt ist halt mal entweder gar nichts passiert oder es hat keine Relevanz mehr.

        • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 17:26

          Ja. Und das „Die eher nicht.“ entlarvt die Dekolonialisierungsdebatte als das, was sie ist – ideologisch getrieben. Sie ist (für Deutschland) relevant für vielleicht 0,1% der Bevölkerung, solche, deren Familien aus deutschen Kolonien zugewandert sind. Und eher weniger Deutsche, deren Familien vielleicht iegendwie an der Kolonialisierung beteiligt waren. 0,2% der Gesamtbevölkerung, maximal.

          Dagegen sind einige der von mir genannten Ereignisse hochrelevant für die Gesamtbevölkerung, weil sich in und an ihnen entschieden hat, zu was für einem Volk und was für einer Nation wir wurden.

          Das „Identifikations“-Argument ist unter allen denkbaren begründungen für die Notwendigkeit einer Aufarbeitung übrigens das schwächste. Zu meiner Jugendzeit identifizierten sich mehr als 25% (!) meiner Altersgruppe als „Sozialisten“, praktische Folgen daraus gab es grundsätzlich betrachtet keine.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • Ariane 5. Oktober 2022, 17:49

            Dagegen sind einige der von mir genannten Ereignisse hochrelevant für die Gesamtbevölkerung, weil sich in und an ihnen entschieden hat, zu was für einem Volk und was für einer Nation wir wurden.

            Es geht nicht um Relevanz. Dass ich der Meinung bin, man müsste die römische Kaiserzeit nicht aufarbeiten, heißt ja nicht, dass sie nicht irrelevant ist.

            Und du verkürzt hier die deutsche Kolonisationsgeschichte auf Afrika, aber was genau ist denn in Osteuropa passiert? Man kann auch woanders kolonisieren und es hat nicht immer mit Sklaven zu tun. Und das hat eben nicht nur eine historische Relevanz, sondern die psychischen Auswirkungen strahlen doch recht eindeutig bis in unsere Zeit hinein. Und das Reden darüber ist immer ideologisch – bzw ich nenne es mal politisch. Du kannst nur entscheiden, wie du darüber sprichst, es gibt aber keinen unpolitischen Weg. Nur weil du sagst, das ist alles egal, ist es doch nicht weniger politisch 😉

            • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 19:05

              Und du verkürzt hier die deutsche Kolonisationsgeschichte auf Afrika …

              1918 beendet, vor 104 Jahren.

              … aber was genau ist denn in Osteuropa passiert? Man kann auch woanders kolonisieren …

              Tschuldigung, ist das ein Scherz? Die deutsche Kolonisierung von Osteuropa wurde spätestens 1410 mit der verlorenen Schlacht bei Tannenberg beendet.

              … sondern die psychischen Auswirkungen strahlen doch recht eindeutig bis in unsere Zeit hinein …

              Tun sie das? An welchen Indikatoren machst Du das fest? Nutzung der deutschen Naziverbrechen durch polnische Nationalisten?

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • Lemmy Caution 5. Oktober 2022, 21:01

                TH: Tschuldigung, ist das ein Scherz? Die deutsche Kolonisierung von Osteuropa wurde spätestens 1410 mit der verlorenen Schlacht bei Tannenberg beendet.

                LC: Meine Mutter hat den Geburtsnamen Schirdewan. Der hat pruzzische Wurzeln. Die damaligen Übergriffe des Deutschen Ritterordens sind weder vergeben noch vergessen. 😉
                Die Baltischen Länder hatten bis zur Oktober-Revolution eine Deutsche Oberschicht. Die Zaren beliessen das nach den Nordischen Kriegen einfach.
                Große Gebiete Polens gehörten nach den Teilungen Ende des 18. Jhdts zu Preußen und Österreich. Es ging da zwar liberaler als im zaristischen Polen zu, aber die Polen haben ihren eigenen Staat dann nicht zum Spaß aufgebaut. Etc.

                • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 23:24

                  Große Gebiete Polens gehörten nach den Teilungen Ende des 18. Jhdts zu Preußen und Österreich.

                  Aber hallo. Nur hat das mit „Kolonialisierung“ soviel zu tun, wie die Kuh mit dem Klavierspielen :-).

                  • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 07:54

                    Kommt halt auf die Definitionen an.

                    • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 08:25

                      Stimmt. Deine hat dann mit dem gängigen Sprachgebrauch auch in der Fachliteratur nichts zu tun.

                    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 08:51

                      Ich bin zwar kein Experte, aber ich glaube, ich kenne die aktuelle Fachliteratur besser als du.

                    • Dennis 6. Oktober 2022, 10:29

                      Ansiedlung von Personen (in nennenswerter Zahl) in bisher von diesen nicht besiedelten Gebieten, würd ich mal sagen. Das kann es mit oder ohne „Einladung“ geben, also auf die ruppige oder eher nette Art und hat viele Facetten, z.B. Abstoßung versus Anziehung oder beides gemischt aus diversen Motiven. Die „Glaubensfrage“ zum Beispiel wird heutzutage hierzulande nicht mehr ernst genommen, das war aber mal anders. Die Hugenotten in deutschen Landen zum Beispiel. Die wurden von den Fürsten angelockt, ob die besuchten kleinen Leute „unten“ das auch wollten, war natürlich ganz egal und uninteressant. Ähnlich die Salzburger Migranten in Preußen, respektive Ostpreußen. Da kann ich mitreden, denn meine Vorfahren ab Eltern sind aus Ostpreußen. Blutmäßig sind nachweislich auch Salzburger Migranten und Litauer in mir vertreten^. Ob und inwieweit ich jetzt Täter oder Opfer bin muss noch geklärt werden. Durch die Ereignisse anno 45 wurde ich perspektivisch, also nachgeborenerweise, jedenfalls zum Westkolonisator. Auch diese Kolonisierung oder meinetwegen Re-Kolonisierung war den kleinen Leuten „unten“ in den besuchten Gebieten gar nich genehm. Die Nazi-Volksgemeinschaft wurde sozusagen „aufgearbeitet“, also verdampft. Erst das Wirtschaftswunderland hat die Wogen geglättet.

                      Alles sehr vielschichtig wie auch die klassische „Ostkolonisation“. Der „Osten“ war da übrigens weeiiiiit im Westen uns fing schon bei Magdeburg an. Der Adenauer hatte also ganz recht, als er im Eisenbahncoupé etwa ab Magdeburg in Richtung Berlin (aus seiner Sicht „heidnisch“) die Vorhänge zuzog. Okay, Legende. Aber die Causa ist voller Legenden. Die nationalistische Brille ab 19. Jahrhundert und das Reinpressen der abgestandenen Kolonisationen in den damals neumodischen Nationalismus ist besonders irre.

                      Das bloße Übernehmen auf Herrschaftsebene wie der olle Fritze und dessen Nachfolger nebst Österreich und Russland in der Polen-Sache ist durchaus was anderes. Auch dieser noch prä-nationalistische Vorgang wurde erst später nationalistisch ausgemalt.

                    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 14:30

                      Ab der Elbe ist Russland, oder so. 😀

                      Und ja, ist prä-nationalistisch. Aber es ist auch nicht mehr eine reine Herrschaftsübernahme à la Mittelalter. Das Land wird ja deutlich „prussifiziert“ und die einheimische Bevölkerung schlechter gestellt.

                    • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 10:42

                      Super, dann kannst Du meine anschliessende Frage ganz leicht mit „ja“ oder „nein“ beantworten:

                      Moderne Historiker subsumieren also (überwiegend) die preussischen, österreichischen und russischen Gebetserweiterungen auf Polens Kosten Ende des 18. Jahrhunderts unter „Kolonialisierung“?

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 14:31

                      Ich hab leider keine empirische Studie zur Hand, aber du kannst mir sicher problemlos das Gegenteil belegen.

                      Diese Debatte ist völlig absurd.

                  • Lemmy Caution 6. Oktober 2022, 08:14

                    Würde ich nicht unterschreiben.
                    Im Spanischen Kolonialreich hatten die Indigenen etwa schon Rechte. Viele wissen das nicht, aber für die war es normal vor Gericht zu ziehen und die gewannen da auch.
                    Das riesige Fass hat allerdings eine Menge Details. Wenns irgendwo in den Anden einen Berg mit riesigen Silbervorkommen gab, wurden die Opportunitätskosten des Indigenen-Schutz halt sehr hoch und die Schutz-Paragraphen dann anders ausgelegt.

                    Tschechien wurde jahrhundertelang von Wien aus regiert, hatte aber nach der Unabhängigkeit nach WK I mehr Industrieproduktion pro Einwohner als Deutsch-Österreich und sogar das Deutsche Reich. Würde man so auch nicht erwarten.

                    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 08:52

                      Böhmen war industrielles Herzland. Deswegen waren die Annexion erst des Sudetenlandes und dann der „Rest-Tschechei“ auch so entscheidend für die deutschen Kriegsanstrengungen.

                  • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 14:54

                    Du hast behauptet, die polnische Teilung können man als Kolonialismus definieren, ich habe das Gegenteil behauptet. Ich habe einige Dutzend seriöse Fundstellen im Internet, die meine Sichtweise stützen, Du hast bisher … nichts. Aber halt mal ne steile Behauptung raushauen …

                    Gruss,
                    Thorsten Haupts

              • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:08

                Tschuldigung, ist das ein Scherz? Die deutsche Kolonisierung von Osteuropa wurde spätestens 1410 mit der verlorenen Schlacht bei Tannenberg beendet.

                Wow, ist das ein krasses Unwissen.

              • Lemmy Caution 5. Oktober 2022, 21:15

                Zur Entschädigung der Tschechen nach der Niederlage am Weißen Berg habt ihr die Gelegenheit das KrálovecCzechia Referendum unterstützen. https://twitter.com/KralovecCzechia
                https://visitkralovec.cz/
                Es gab da wohl im ehemaligen Oblast Kaliningrad ein Referendum und das Volk hat sich für einen Beitritt zu Tschechien entschieden. Tschechischer Zugang zum Meer. Wie cool ist das. Viele interessante Projekte, u.a. eine Bier-Pipeline durch Polen.

                • cimourdain 6. Oktober 2022, 12:43

                  Hehe…
                  Aber die Bier-Pipeline wird Bayern zu verhindern wissen. Wir haben da unsere Mittel. Immerhin würde diese Pipeline unseren geplanten Flüssig-Exportbier-Lieferungen Konkurrenz machen.

                • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 13:47

                  ROFL.

            • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:08

              Frag mal die Polen wie irrelevant der deutsche Kolonialismus für die ist.

          • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:07

            Klar ist die ideologisch getrieben. Genauso wie deine vehemente Ablehnung der Debatte. Oder dein Beharren auf Nationstolz. Es gibt keine „Neutralität“. Jede*r hat eine Ansicht zu dem Thema.

        • Johnson 6. Oktober 2022, 17:23

          @ Ariane

          First off, the people you are referring to really don’t like to be called “natives”. They prefer indigenous or aboriginal.

          Second, there are no “mass graves”. There are undocumented graves which actually in the majority of cases means unmarked (presently). Many of those graves were documented and marked at the time of their creation and left unattended and abandoned after the respective residential school or other institution and in some cases even the entire community was closed. To illustrate this point you may want to look up Ft. McPherson, NWT in Wikipedia. Look at the cemetery in the foreground of the picture associated with the article and ask yourself how those graves might look 60 or 70 years later if this community were to be abandoned.

          Third and lastly, not a single body has been confirmed or exhumed yet in regard to these undocumented graves. All there is to date is indications of ground disturbance from GPR surveys. These may very well indicate graves but who exactly is buried there and how they came to die is yet another, totally different question.

          @ S Sasse:

          Please don’t make yourself appear more naïve than you (probably) are. I would love, say 3, examples of discussions about colonization involving European colonizers that do NOT involve demands of reparations and restitution.

          • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 17:54

            Until very recently, the discussion about German colonial history didn’t. I’m not well versed enough in the discussions of other countries, so I can’t tell you either way.

            • Johnson 6. Oktober 2022, 21:35

              Maybe you meant something different but Greece demanded reparations from Germany during the 2008/2009 Euro crisis. Poland is demanding them now (and has demanded them in the past as well I think). And I seem to recall some headlines several years ago that Namibia demanded reparations.

              The discussions about this topic in the US, Canada, Australia and New Zealand all involve demands for reparations.

              • Stefan Sasse 8. Oktober 2022, 09:34

                I know. My point is that these demands came up very recently. In the Greek case, it’s obviously a political ploy to get on equal moral footing with Germany in the Euro crisis (trying to establish a sort of counter-debt). It’s not about WWII at all, that’s just a convenient excuse. The same is true about Poland: this isn’t about Germany at all, it’s about domestic consumption. Whenever PiS has domestic problems, they whip up the reparations issue. It has nothing to do with Aufarbeitung. The case is different with Namibia, where the reparation demands fall together with the heightened awareness of the topic. However, I generally view the reparation demands as a tool of political communication and not as serious demands that are expected to be met. We live in a world where nothing that doesn’t have a price tag on it doesn’t count. Putting a price tag on something is ensuring it gets treated seriously. Which the reactions of you all prove.

                • Thorsten Haupts 8. Oktober 2022, 17:57

                  A few comments before it wasn´t about raparations. Now it IS about reparations but these demands are justified as a kind of price tag, there is no real demand for money behind it. And in a few hours … I know why I don´t trust wokie arguments :-).

                  Regards,
                  Thorsten Haupts

                  • Stefan Sasse 9. Oktober 2022, 13:20

                    I have no doubt they would take the money in a heartbeat, and that if the opportunity was presented, they’d press hard to get it. What I’m saying is: CURRENTLY it’s political posturing, and CURRENTLY I see no way how this status would change.

          • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 19:39

            Don´t exist.

  • derwaechter 5. Oktober 2022, 14:31

    J) für die nordischen Ländern gilt das ziemlich sicher nicht.

  • Lemmy Caution 5. Oktober 2022, 20:45

    zu 1) 100.000 Transaktionen am Tag.
    Tja Freunde der Digitalisierung, Bezahlvorgänge laufen in Deutschland nicht nur in Behörden sehr oft über Batch Läufe auf IBM- oder Siemens-Mainframes. Technologie der 70er und 80er. Integriert wird das ganze mit Random Access Dateien. Zwischen Position 37 und 55 steht die Kontonummer, zwischen 17 und 30 der Betrag, etc. Man muss da immer auch sehr mit dem Zeichensatz aufpassen, die die auf Host-Seite verwenden. 😉 . Einige von euch waren da noch nicht geboren, aber 1982 waren 100.000 Buchungen am Tag sehr schnell. IBM und Siemens rufen übrigens für die Benutzung der Hobel auch interessante Preise auf.

    • Stefan Sasse 5. Oktober 2022, 21:09

      Oh Mann 😀

      • Lemmy Caution 5. Oktober 2022, 21:29

        Viele Prozesse werden nicht neu geschrieben sondern integriert.
        Bis zu einem gewissen Punkt macht das Sinn.
        Lohnzahlungen von Mitarbeitern werden auch noch von solchen Host-Programmen abgewickelt. Um Kosten zu sparen, werden die gerne ausgelagert. Hab mal mit einem Moldawier gesprochen, der so ein System ein Jahr in Prag am Laufen gehalten hat… bis er halt rausfand, dass er in Deutschland als Freiberufler brutto ein Vielfaches des Prager Lohns verdienen konnte, wo er schon die EU-Arbeitserlaubnis hatte.
        Der Typ war schlau und Informatiker. Detail-Kenntnis des Großrechner-Betriebssystems und der dort verwendeten Programmiersprachen hatte er nicht. Ging alles gut, aber er war da schon beunruhigt in dem Job.

    • Thorsten Haupts 5. Oktober 2022, 22:45

      Lemmy, ist das Ihr Ernst :-)?

      Ich habe Anfang der 2000er mal als IT-Consultant für ein grosses Hamburger Handelshaus gearbeitet. Die dort für die AS 400 abgeworbenen Organisationsprogrammierer eine Bank erzählten die gleichen Stories – und das konnten wir damals schon kaum glauben, inzwischen sind 20 Jahre vergangen?

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Lemmy Caution 6. Oktober 2022, 07:43

        Ja. Das hat wie gesagt gute Gründe.
        Es gibt in der IT immer eine Menge neuer Möglichkeiten für neue Projekte. Wenn so ein IT-Prozess läuft, erzeugt er sehr geringe Kosten. Etwas moderneres liefert ja das gleiche. Also präferiert man Projekte, die für die Organisation einen spürbaren Mehrwert liefern.
        Mit den verbreiteten Enterprise Umgebungen auf Java (Spring, JEE), .NET oder sowas wie Salesforce lassen sich solche Host-Prozesse auch prima integrieren oder man macht das einfach mit zeitgesteuerten Prozessen über Dateien.
        Mit Cobol und Mainframe Kenntnissen läßt sich ja immer noch eine Menge Geld verdienen, weil die Programme halt auch schon mal angepasst werden müssen.

        • Erwin Gabriel 6. Oktober 2022, 12:49

          Eine alte AS 400 sollte doch von der reinen Rechenleistung her etwa einer Playstation 3 entsprechen? Oder kann man die prozessortechnisch über PowerPC hinaus aufrüsten?

          Echt beeindruckend, was man aus solch einem System herausholen kann, wenn man die Programmierung im Griff hat.

          • Lemmy Caution 6. Oktober 2022, 19:54

            Typischer Anwendungsfall wäre eine Anwendung, die etwa 50.000 Banküberweisungen am Tag veranlasst.
            Die moderne Anwendung, aus deren Logik sich erstellt in einem zeitgesteuerten Prozess irgendwann in der Nacht eine Datei mit den Anweisungen zu den Überweisungen. Die Datei wird irgendwo hingelegt und der Host arbeitet die dann ab. Geringe Rechenleistung ist da keine Beschränkung. Es ist egal, ob das 5 Minuten oder 1 Stunde dauert.

            • Lemmy Caution 7. Oktober 2022, 05:29

              Nochmal nachgedacht.
              Die Rechenleistung der Mainframes sollten die Skalierbarkeit, d.h. die Menge der abgearbeiteten Überweisungen, nicht beschränken. Deshalb ist auch die „Wir können nur 100.000 am Tag“ Aussage Lindners kompletter BS. Der oben dargestellte Prozess läßt sich nämlich sehr vermutlich beliebig parallelisieren:
              Rechner 1 verarbeitet Überweisungen mit Nachnamen der Kontoinhaber mit A
              Rechner 2 verarbeitet Überweisungen mit Nachnamen der Kontoinhaber mit B
              etc.

  • cimourdain 6. Oktober 2022, 11:29

    1) Siehst du, das stört mich an Datenschutzdebatten so:
    a) Lindner macht den zweiten Schritt vor dem ersten: Anstelle die Vielfalt an Identifikationen im Steuer- und Sozialbereich zu stutzen [Es gibt die SteuerID, die Steuernummer, ggf die eTIN, die Sozialversicherungsnummer, die KV-Mitgliedsnummer sowie für Firmen die Registernummer, die Betriebsnummer und die UStID], greift er gleich auf den privatwirtschaftlichen und sensiblen Bereich Banken.
    b) Es übersieht die Sachlage: seit 2018 müssen Banken jedes Konto mit einer SteuerID oder Steuernummer verbinden.
    c) Verschweigt, wie rechtlich umstritten die SteuerID selbst ist. Ein höchstrichterliches (BFH) Urteil, das diese als unvereinbar mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betrachtet, wurde vom Finanzministerium per Nichtanwendungserlass überschrieben. (Und da behauptest du, im Datenschutz würde die Judikative ihr Kompetenzfeld uberschreiten).

    3) Und 5) schreibe ich extra was

    4) „die der Überzeugung waren, dass wohlhabende, gebildete, angelsächsische und weiße Männer wie wie die einzigen waren, die Entscheidungen für das Staatswesen objektiv und unparteiisch treffen konnten.“ Ich bin mir nicht sicher, ob „wohlhabende diverse Personen, die mit Partei, Medien und Wirtschaft vernetzt sind“ ein besseres Kriterium darstellt. Oligarchische Netzwerke bleiben oligarchsche Netzwerke.

    6) Nicht nur die verschiedenen illiberalen „But he’s our bastard“ Regime, die als geopolitische Verbündete dienten, auch der flotte Reigen der Primär-Feindbilder seit Ende des Kalten Krieges – Iran, China, ‚der Islam‘, dieser oder jener Diktator, jetzt ist es mal wieder Russland, aber auch China … zeigt, dass es immer um Interessen geht, die Ideologien sind flexibel, mal schaut man da genauer hin, mal nicht.

    7) Ein Sophismus zu Carlo Masalas „woke, bis an die Zähen bewaffnet und wehrhaft“: Wenn wir ‚woke‘ als illiberale Ideologie sehen (wie es konservative Kommentatoren hier tun), wäre die Kombination mit äußerer Militanz ( bis an die Zähen bewaffnet) und Gewaltbereitschaft nach innen (wehrhaft kann in Krisenzeiten darauf hinauslaufen) deutlich im totalitären Spektrum…

    8) John Oliver hat zum Thema ‚Museen‘ ( https://www.youtube.com/watch?v=eJPLiT1kCSM ) diese Woche ein sehr gutes Feature gemacht.
    Das bringt mich auf eine gute Lösung für den Koh-I-Noor: Der Stein ist bis 1850 dauernd zwischen den verschiedensten indischen, persischen und afghanischen Monarchen (gern auch gewaltsam) hin- und hergegangen – was kein darstellte. Das Problem ist, dass das Vereinigte Königreich diesen auch nach dem Tod der Kaiserin von Indien in alle Ewigkeit weiter beansprucht. Am besten wäre es also, wenn afghanische Spezialisten, den Stein als Reparation für die Kriegsschäden „befreien“ und nach Herat verbringen.
    Auch die deutsche ‚Raubkunst‘-Debatte würde definitiv mehr Dynamik gewinnen, wenn Pretiosen aus dem Grünen Gewölbe oder meinetwegen die Himmelsscheibe von Nebra (die bei den Januaraufständen 2023 in Halle ‚verlorengehen‘ wird) im Nationalmuseum Peking auftauchen.

    10) „Jetzt müssen Taten folgen“ klingt toll, aber welche? Generell sehe ich die mediale Skandalisierung mittels #allegemein für nicht zielführend. Ein Beispiel, wie übergriffiges Verhalten bei Machtgefälleim Rahmen eines Kulturwandels reduziert wurde: noch in den 60ern waren Schläge gegen Lehrlinge nicht so unüblich (Quelle: Zeitzeugen/ältere Bekannte) ). Heute ist das nicht mehr so, dank Anlaufstellen bei Gewerkschaften und Berufsschule.

    a) und f) „Der Russe steckt hinter allem“ und „Der Ami steckt hinter allem“ sollten vom Verschwörungstheoriecharakter her gleich behandelt werden.

    c) Nichts für ungut, aber das klingt ja wie ein Nachruf. Jegliche Kontroverse um die Person – und es gab reichlich davon – ist da ausgeblendet. Selbst die zentrale Rolle größten Korruptionsaffäre der BRD kommt mit einem Halbsatz aus. Offensichtlich hilft es, seine Kinder bei den Medien unterzubringen.

    j) Es gibt einen Corona-Stringency-Index und da ist über die Zeit eigentlich immer Italien eines der ‚dunkelsten‘ Länder in Europa. Dennoch ist die These schwach, einen Rechtsruck gab es auch im sehr Coronaliberalen Schweden.

    k) Interne Prüfung findet nichts, aber zwei Mitarbeiter werden gefeuert … das nenne ich salopp „Den Deckel auf dem Skandal drauf halten“.

    m) i) Elephant im Raum ist, dass CBS mit eigenen Franchises mit der Masse an Serien, die Streamingservices anbieten, mithalten möchte.
    ii) Auch bei den hier gelobten Serien ‚Discovery‘ und ‚Picard‘ gehen die Meinung von Kritikern und Publikum radikal auseinander.

    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 14:34

      4) Die genannten Netzwerke werden aber nicht in der Verfassung als die besten Leute und natürlichen Amtsinhabenden angenommen.

      7) Ja, aber das tut auch nur der rechte Rand.

      8) Jepp, fand ich auch sehr gut!

      10) Genau das ist auch mein Problem.

      a/f) Korrekt.

      c) Ja, das ist ein sehr positives Porträt, keine Frage.

      j) Jepp.

      k) Jo, nicht überragend überzeugen. Aber: mehr als die BILD. Immerhin.

      m) Ich fand sie mies.

  • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 14:00

    Zu 4) wohlhabende diverse Personen, die mit Partei, Medien und Wirtschaft vernetzt sind

    Hübsche antidemokratische Verschwörungstheorie. Kommunisten wie Nazis wären begeistert :-).

    … zeigt, dass es immer um Interessen geht …

    Mitnichten. Nur manchmal wird der eigene Bastard (Verbündete) korrekterweise für das deutlich geringere von 2 Problemen gehalten – die Gegenseite hat ideologisch wie militärisch um eine Zehnerpotemz grössere Möglichkeiten. Ich würde auch über Ihre Beispiele an ihrer Stelle nochmal nachdenken – denn sie beweisen unter dem Strich eine erstaunliche ideologische Kohärenz des Westens: Es geht immer gegen mörderische Diktaturen.

    … Koh-I-Noor …

    Ja. Den der indischen Nation zuzusprechen ist ungefähr genauso albern, wie Inka-Hinterlassenschaften der Regierung Perus. Mir nicht ganz klar, warum ausgerechnet Anti-Kolonialisten (das ist die kleine, aber medial einflussreiche, Wokie-Gruppe der Historiker) ultra-nationalistische Erzählungen ausdrücklich legitimieren, aber Konsistenz war ja noch nie die Stärke der gesitig Armen.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • cimourdain 6. Oktober 2022, 17:21

    Zum Thema ‚deutsche Kolonisation in Osteuropa‘ nach 1410 [schön, dass die Schlacht von Tannenberg erwähnt wurde, die ist in Polen ein wichtiger Teil des Geschichtsbildes, aber in Deutschland so völlig verdrängt] ein paar Gedanken meinerseits:
    Zum einen umfasst ‚Kolonisation‘ sowohl Besiedlung als auch Inanspruchnahme. Für Besiedlung gab es in der Neuzeit genügend Beispiele, einige auf Einladung (Banatschwaben, Wolgadeutsche), manche Kriegs- oder religiöse Verfolgungs- Flüchtlinge.
    Zum anderen schaut ihr nur auf Polen, es gab auch eine klar als solche erkennbare österreichische Kolonisation (beide Aspekte) im Donau-Balkanbereich (Kroatien, Pannonien, …) Und Österreich war Teil des HHRR, also ‚eigentlich‘ deutsch.
    Die polnischen Teilungen würde ich als kolonial bezeichnen, es wurden in den Gebieten die Eliten ausgetauscht, Verwaltung dem Mutterland angepasst, die Sprache eingeführt.
    Der Begriff ‚Ostkolonisation‘ wurde seit dem späten 19. Jahrhundert direkt verwendet, z.B. vom Alldeutschen Verband, als (wichtigeres) Gegenstück zur Überseekolonisation. Vorbild war die Landnahme der USA in Nordamerika. Das ging bis zu den Nazis, es gab von [Platzhalter:Nazigröße] die Parole „Erst Kolonie, dann Siedlungsraum, am Ende Reichsteil.“.

    • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 17:52

      Jepp, sehe ich auch so.

      • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 19:38

        Ist ja schön, dass cimourdain und Du das unter „Ostkolonisation“ verstehen. In den einschlägigen Geschichtsbüchern, in historischen Fachartikeln oder in einer einfachen Internetsuche taucht dieser Begriff in diesem Zusammanhang niemals auf, er ist also dafür weder gängig noch verbreitet.

        Unabhängig davon ist das Wissen um echte oder vorgespielte historische Empfindlichkeiten von Nachbarn (haben Deutsche eigentlich auch das Recht auf welche?) für Diplomatie und Handel sehr wichtig, löst aber eben keineswegs automatisch irgendeine „Aufarbeitung“ aus, die über die verdienstvolle Routinearbeit von Fachhistorikern hinausgeht.

        Ich weiss immer noch nicht, was die „Aufarbeitung“ eigentlich leisten soll (ausser Reparationsforderungen begründen). Ich brauche keine Aufarbeitung, um zu wissen, dass Kolonisation, Imperialismus oder Angriffskrieg – heute – scheisse ist. Und das gilt auch für alle anderen Menschen in Deutschland – wer das nicht wissen will, den erreicht auch keine „Aufarbeitung“.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • Lemmy Caution 7. Oktober 2022, 23:26

          Man könnte sich ein wenig mehr mit der Geschichte Osteuropas beschäftigen.
          Das muss dann auch nicht zu Schuldkomplexen führen.
          Deutsche wurden als bäuerliche Bevölkerung oft in durch (Türken-) Kriege entvölkerte Räume angesiedelt. Die lebten dann auch nicht zwangsläufig als finstere Ausbeuter der übrigen dort lebenden Leute. Siebenbürgen galt etwa für Zeit und Location als sehr liberal.
          In der frühen Neuzeit war das mit der Nationalität sowieso eher unscharf. Wallenstein als einer der mörderischsten Gestalten der deutschen Geschichte wuchs in einer eher tschechischen Umgebung auf. Im 19. Jhdt. blies nationalbewußte Kroaten und Slowaken im ungarischen Teil der Doppelmarchie ein viel stärkerer Gegenwind entgegen als den Tschechen im deutsch-österreichischen. Im Nordosten drängten die Polen darauf, dass ukrainische Kinder in Polnisch unterrichtet werden.
          Viele im deutschen Osten wurden germanisiert und vergassen über die Generationen ihre Wurzeln. Die Eltern meiner Mutter lebten in Schlesien als zufriedene Mittelbauern mit germanisierten polnischen und pruzzischen Nachnamen.
          Es gab ganz bestimmt furchtbare Unterdrückung, aber eben nicht nur. Als wir einmal mit meiner Oma an den vor-Flucht-Ort gefahren sind, tauchte plötzlich eine Frau ihres Alters auf. Die zwei umarmten sich und redeten aufgeregt auf Polnisch. Wir fragten meine Oma, wer das sei. Sie antwortete, dass ist die ?xxx?. Die war im Krieg Zwangsarbeiterin auf unserem Hof. Meine Oma benutzte tatsächlich diesen Begriff, aber halt völlig neutral. Natürlich war der 2. Weltkrieg für viele Polen ganz sicher kein Ponyhof, aber das Zwangsarbeitsregime auf diesem Hof wohl auch nicht wie im KZ. Ihr Schwiegervater soll in den Monaten vor seinem krankheitsbedingten Tod im Krieg monatelang nur noch Polnisch gesprochen haben. Aus Protest gegen die Naziherrschaft im Allgemeinen und dem Krieg im Speziellen. Sie machten sich Sorgen, aber niemanden kümmerte der alte Mann.

          • Stefan Sasse 8. Oktober 2022, 09:40

            Ist ein ganz guter Punkt: die Polen haben ihrerseits ja Belarus und Ukraine kolonisiert. Man denke nur an die Zeit 1918-1920/21. Ist nicht eben so, als hätten die eine weiße Weste.

            • CitizenK 8. Oktober 2022, 10:11

              Das mit dem „Preisschild“ trifft einen Punkt. Aufarbeitung ja (Artikel, Symposien, Workshops), aber kosten darf es nichts. Ohne wären vermutlich auch die Fragen der Aborigines und die der Native Americans nicht darüber hinausgekommen. Oder gibt es Hinweise für moralische Motive?

              • Stefan Sasse 9. Oktober 2022, 13:19

                Weiß nicht. Ich meine, auch ohne Reparationsforderungen wurde ja etwa der amerikanische Staatsterror gegen Bipocs oder Indiginieous People diskutiert. Nur ging das vorrangig auf der Ebene von ausgleichenden Rechten (affirmative action etwa) und moralischer Fragen. Die Reparationsforderung, wie sie etwa prominent Ta-Nahisi Coates erhoben hat, lenkte den Blick wesentlich stärker auf strukturelle, persistente Ungleichheiten.

              • Lemmy Caution 10. Oktober 2022, 08:10

                In Chile existiert eine nicht gerade kurze Geschichte von Versuchen der Wiedergutmachung v.a. gegenüber den Mapuche.
                Unter dem christdemokratischen Frei Montalva und dem Sozialisten S. Allende fand zwischen Mitte der 60er bis zum Putsch 1973 umfangreiche Landreform mit Übergabe von Land statt. Die vorherigen Besitzer erhielten Staatsanleihen, die rasch an Wert verloren. Unter Pinochet wurde das nur sehr teilweise zurückgedreht.
                In der Demokratie kaufte dann die Behörde Conadi Länder von Weißen auf, die sie gratis an Mapuche-Gemeinden verteilten. Allerdings ging das sehr schleppend voran, was v.a. auch an dem hohen Preis lag, den die Vorbesitzer einforderten. Zum Teil kauften auch v.a. Forstkonzerne indigene Länder auf, ohne dass die Verkäufer wirklich Rechte über das Land hatte. Das wurde dann einfach irgendwie akzeptiert. Alles wirklich unübersichtlich.
                Konfliktlinien ergeben sich nicht nur aus ökonomischen Fragen sondern v.a. aus einem insgesamt unterschiedlichen Kultur, die zu verschiedenen Perspektiven auf zentrale Fragen wie Besitz führen. Auf lokaler Ebene gibt es deshalb in Kanada und Neuseeland eigene indigene Gerichte und Gesetzgebung für bestimmte Fragen.

            • Lemmy Caution 10. Oktober 2022, 07:37

              Was bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich „weiße Weste“?
              In Mapudungun, die Sprache der Mapuche, bezeichnet der Begriff Huinca „Weißer“. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Neuer Inka“.
              Etwa 80 Jahre bevor die spanischen Konquistadoren in Chile aufkreuzten, hatten die Inka das Gebiet um Santiago als nördliches Ende des breiten und fruchtbaren Valle Central unterworfen und betrieben es als Kolonie mit Zwangsarbeitsregime.
              Die Spanischen Konquistadoren besiegten von Peru über die nördlichen Wüsten kommend zunächst diese Kolonie. Die Versuche der Ausdehnung von Santiago aus Richtung Süden stiessen auf effektiven Widerstand der Mapuche.
              Als Grenze des langen und brutalen Dauer-Krieges im Valle Central etablierte sich nach vielem hin und her der Fluß Bio Bio (550 km südlich von Santiago). Die Errichtung der Grenze läutete eine eher kooperative Phase im Zusammenleben ein.
              Schon während der heißen Phase des Konfliktes nutzten die Mapuche das neugewonnene Wissen über Pferde und weitere Militärtechnik, um sich vom Süden Chiles über die Anden nach Osten in riesige Gebiete des heutigen Argentiniens auszudehnen. Die Anden sind dort nicht allzu hoch. Sie dominierten die dort lebenden Stämme.

              Dominanz wird sehr unterschiedlich ausgelebt. Die Dominanz der Mapuche war gekennzeichnet durch stark kooperative Aspekte und Respekt für die lokale Kultur.

              Anderes Beispiel: Nach der Eroberung der baltischen Gebiete im Nordischen Krieg beliess das Russische Zarenreich die dortige Kultur und lokale Machtkonfiguration, d.h. deutscher oder polnischer Adel und baltische Bauern, über 150 Jahre weitgehend bestehen. Ab etwa 1870 begann das Zarenreich dann Versuche der Russifizierung der baltischen Bauern, die auf Widerstand stiess.

          • Thorsten Haupts 8. Oktober 2022, 18:00

            Das muss dann auch nicht zu Schuldkomplexen führen.

            Ich habe keinen. Aber genau das ist mein Punkt – die ganzen Forderungen nach „critical whiteness“, De-Kolonisierungs- und Aufarbeitungsdiskussionen sollen diesen Schuldkomplex erzeugen. Als Grundlage für anschliessende Geldüberweisungen. Sie dienen keinem anderen sinnvollen Zweck.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 9. Oktober 2022, 13:21

              Ich finde den Begriff „Schuldkomplex“ unglaublich problematisch. Ich erhebe diese Forderungen ja etwa auch, aber mein Ziel ist sicher kein „Schuldkomplex“ (was auch immer das genau sein soll).

    • CitizenK 6. Oktober 2022, 18:02

      „in Deutschland so völlig verdrängt]“

      Deshalb kann man (als Leser von Schulbüchern) heute nicht mehr nachvollziehen, was Hindenburg als „Sieger von Tannenberg“ damals bedeutete.

      • Stefan Sasse 6. Oktober 2022, 19:36

        Absolut wahr. Aber auf der anderen Seite kannst du dafür neue Dinge nachvollziehen. Irgendwo muss man bei zwei Stunden die Woche halt mal nen Punkt machen 🙂

        • CitizenK 6. Oktober 2022, 20:29

          So war das auch nicht gemeint, ich weiß um die Limits.

          Dass es für die Reputation von Hindenburg Jahrhunderte später noch eine Rolle spielte, sagt etwas über das kollektive historische Gedächtnis. Mit Bedeutung auch für die Kolonialgeschichte.

      • Thorsten Haupts 6. Oktober 2022, 19:47

        Ohne militärische Strategiespiele wüsste auch ich es möglicherweise nicht :-).

  • Jupiter 7. Oktober 2022, 00:01

    Zu 1) Der Artikel ist für mich leider hinter der Paywall verschwunden – Die Zeit stellt populäre Artikel gerne nachträglich dahinter

    Aber ich denke, dass das ein durchaus lösbares Problem ist, vor allem wenn man sich die impliziten Annahmen vergegenwärtigt, von denen man abweichen kann:

    1. Jeder Bürger, ohne Ausnahme, bekommt das Geld sofort überwiesen – wenn man bereit ist, einen bestimmten Prozentsatz das Geld beantragen zu lassen, wenn sie es nicht erhalten haben, lässt sich der Bulk leichter bewältigen
    2. Es braucht ein Zentralregister, eine zentrale Datenbank – der Gedanke herrschte lange vor, hat sich aber häufig als unpraktikabel herausgestellt. Automatische Abfragen und Abgleiche funktionieren meist viel einfacher und effektiver. Ein vielleicht nicht immer passender Vergleich wären aus dem strafrechtlichen Bereich das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum und Interpol – ich schicke über einen Verteiler Abfragen und Benachrichtigungen, da eine gemeinsame Datenbank sich als nicht praktikabel herausgestellt hat. Wenn ich in der Familienkasse bin, bekomme ich das Geld von der Familienkasse, bin ich auch in der Rentenversicherung und die will mir das Geld auch auszahlen, so erfährt diese von der Familienkasse, dass ich das Geld bereits bekommen habe, analog die Bundesagentur für Arbeit, die Finanzämter, etc. Welche Institutionen das im Einzelnen wie gut stemmen können, ist eine ganz andere Frage
    Übrigens gibt es eine theoretisch vollständige Liste aller Einwohner bei den Einwohnermeldeämtern.
    4. Kann meine Bank, das Geld für mich automatisiert beantragen, cimourdain bemerkte bereits, dass die mit der SteuerID verknüpft sein müssen und bei mehreren Konten kann automatisch wie bei 3) festgestellt werden, dass das Geld bereits überwiesen wurde

    • Stefan Sasse 8. Oktober 2022, 09:38

      Echt weird, man sollte annehmen, dass mit der Zeit Artikel hinter einer Paywall vorkommen und dass du den populären Kram am Anfang dahinter willst. Aber die werden schon wissen, was sie tun.

      Danke für den Kontext.

  • CitizenK 10. Oktober 2022, 09:26

    „können Staaten und Gesellschaften natürlich nie etwas aufarbeiten“

    Die Wiedergutmachung für Israel? Die Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter – nach langem Gezerre ein paar Almosen, während die Erben der Profiteure im Luxus lebten? Oder die Beispiele aus Chile von Lemmy?

    Staaten und Gesellschaften können sehr wohl, wenn sie wollen. Die Frage ist WIE (affirmative action als weiteres Beispiel) und WIE WEIT ZURÜCK. Beides zu diskutieren.

    Alles andere ist eine Frage der Machtverhältnisse. Die Forderungen der Ukraine gegen Russland werden sich kaum durchsetzen lassen.

    • Stefan Sasse 10. Oktober 2022, 14:34

      Korrekt. Aber sie werden sie erheben, beibehalten und in genauen Zahlen messen. Aus genau den genannten Gründen.

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