Die New York Times tröstet die Inflation der Agenda2010 und beschwert sich über die Verschwörungen der Klimaschützer*innen – Vermischtes 26.09.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Inflation Hurts Everyone, But So Does Unemployment

Nevertheless, Furman’s advice is for the Fed to simply push through it. “Fighting inflation should be the central bank’s only focus.” Look away as millions of new job entrants and current job seekers get locked out of employment. Do not waver as millions of people who are currently working and supporting their families are thrown into unemployment. Hike and keep hiking until inflation is brought to heel. There is no more urgent economic task. […] There’s a tendency for people to think of inflation like the flu, where the pain is generalized. It hurts everywhere. With today’s inflation, pretty much everyone has to suffer the “pain at the pump” or feel the sting at the grocery store checkout. In contrast, many people think of unemployment as a sort of localized pain. Sure, it hurts the guy who gets laid off or the woman who struggles to find work but never manages to land a job, but as long as I don’t lose my job… (and I promise you that Jason Furman, Larry Summers, and the authors of that Brookings paper face a near zero probability of job loss as a result of a Fed-induced recession.) This way of thinking about the relative pain associated with inflation versus unemployment helps to legitimize throwing 5 or 6 million (or more) people out of work for the sake of sparing hundreds of millions from higher-than-normal inflation. But it’s also wrong, because unemployment isn’t a localized pain. Not only does the pain of joblessness spill over onto broader society, but new research shows that the pain of inflation actually pales in comparison to the pain of unemployment. (Stephanie Kelton, The Lens)

Ich halte Keltons Punkte hier für sehr bedeutsam und in der Debatte für völlig unterbeachtet. Selbstverständlich ist Inflation nicht geil, aber sowohl die Ökonomiezunft als auch die Zentralbanken fallen gerade wie automatisch auf ihr übliches One-Size-Fits-All-Rezept der Leitzinserhöhungen zurück. Natürlich wird eine Rezession die Inflationsraten drücken, aber eine Rezession ist keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Wie Kelton korrekt beschreibt, hat Arbeitslosigkeit Kollateralschäden, die weit über die direkt Betroffenen hinausgehen.

Das heißt umgekehrt nicht, dass die Inflation einfach ignoriert werden sollte. Aber ich bin in zwei Dingen sehr skeptisch. Einerseits, dass die Orthodoxie, dass Inflation um jeden Preis – auch den einer Rezession – gesenkt werden sollte, hier so vollkommen anwendbar ist. Schließlich ist das keine angebots-, sondern eine nachfrageinduzierte Inflation. Sie kommt vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Störungen der Lieferketten durch die Pandemie, nicht durch Gelddrucken. Andererseits, dass die Leitzinserhöhungen überhaupt den erwünschten Effekt haben werden, sowohl insgesamt als auch, vor allem, im richtigen Zeitraum. „Unabhängig“ sind die Zentralbanken ohnehin nicht; aktuell reagieren sie geradezu panisch auf die herrschende Stimmung in Elitenzirkeln.

Ich will deutlich machen, dass ich auch kein besseres Rezept habe. Ich bin kein Experte für diesen Kram. Aber als direkt betroffener Person maße ich mir schon das Recht an, zumindest kritische Fragen zu stellen.

2) Die Kunst des Tröstens

Wie bei so vielen Erziehungsfragen scheint mir auch dieser Paradigmenwechsel der letzten zehn, zwanzig Jahre noch unterschätzt zu sein. Das Verhältnis von Kindern und Eltern hat sich auf vielen Feldern ziemlich massiv verändert, nicht überall zum Guten (dass Kinder heute krass behütet und fast nicht mehr draußen sind (siehe auch Resterampe v) ist so etwas, das mir im Alltag besonders auffällt). Aber gerade bei so Dingen wie Trösten oder der Umgang mit Gewalt (ich hatte darüber geschrieben) haben wir uns massiv verbessert. Und das darf man gerne mal benennen und feiern. Die Zivilisation schreitet voran, und wir werden viele miese Eigenschaften los.

3) Nicht weniger, sondern mehr Klimaschutz sofort

Man kann daher zu Recht sagen, dass Deutschland und die EU nicht nur eine Verantwortung für die Finanzierung von Putins Krieg tragen. Sondern dass sie auch für die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise verantwortlich sind, weil sie die ökologische Transformation verpennt haben. Und es ist genau dieser Fehler, der im öffentlichen Diskurs in Deutschland heute fast komplett fehlt. Die Bundesregierung hat drei Entlastungspakete über 95 Milliarden Euro geschnürt, um zumindest einen Teil der Leiden von Menschen und Unternehmen zu lindern. Ihr blinder Fleck ist jedoch auch weiterhin die ökologische Transformation. Fast nichts dazu ist in den drei Entlastungspaketen enthalten. Im Gegenteil, die Erhöhung des CO₂-Preises wird für ein Jahr ausgesetzt – ein fatales Signal. Und auch sonst fehlen viele überzeugende Schritte der Bundesregierung, wie sie die Fehler der vergangenen 15 Jahre korrigieren will. […] Die Lehre aus dieser Krise kann nicht sein, dass wir jetzt Klimaschutz und ökologische Transformation verschieben müssen. Sondern genau das Gegenteil ist der richtige Schluss: Politik und Wirtschaft müssen noch mehr beschleunigen. Nicht nur um Klima und Umwelt und künftige Generationen zu schützen. Sondern weil es gute Wirtschaftspolitik, kluge Sozialpolitik und solide Finanzpolitik zugleich ist. (Marcel Fratzscher, ZEIT)

Ähnlich wie bei der Inflationsthematik bin ich auch hier hin- und hergerissen. Auf der einen Seite gilt dasselbe wie seit 20 Jahren: wir sollten die Energiewende mit massivstem Einsatz bereits seit gestern betreiben. Auf der anderen Seite haben wir gerade eine ehrlich akute Krise, die uns in Beschlag nimmt. Aber inhaltlich bin ich voll bei Fratzscher. Ich halte die Debatte für völlig schief, weil man sich nur auf die Kosten, nicht aber auf den Nutzen und Gewinn der Transformation des Energiesektors konzentriert. Wir hätten heute unbestreitbar weniger Probleme, hätte man in der Ära Merkel nicht die Erneuerbaren sabotiert.

4) Ein 17 Jahre alter Zombie

Das Innovativste am neuen Bürgergeld ist nicht das neue Etikett (das ist ziemlich unoriginell, weil aus Raider einfach Twix mit 50 Euro mehr Inhalt wurde, wie Markus Feldenkirchen richtigerweise schrieb), nein, das Innovativste ist das andere Menschenbild, das hinter dieser Reform ganz zart durchschimmert – eines, das nicht vom Schlechtesten in jeder Person ausgeht. […] Aus der Erkenntnis, dass es nicht nur falsch, sondern kontraproduktiv ist, Menschen durch Strafe in eine imaginierte Produktivität hineinzusanktionieren, eröffnet sich eine neue Perspektive: Erst wenn Umstände geschaffen werden, in denen Menschen Entscheidungen nicht aus Bedrohungsangst und Panik, sondern mit Besonnenheit treffen können, wenn es um ihre berufliche Entwicklung geht, kann idealerweise eine sinnstiftende und sinnvolle Arbeitsorientierung erfolgen. Auch im Sinne einer liberalen Argumentation sollte jeder die Möglichkeit auf freie Entfaltung haben, auch und gerade, wenn es um Jobperspektiven geht. Der Staat muss hier nicht als autoritärer Vater oder als naive Nanny fungieren, sondern undogmatisch Voraussetzungen schaffen, die Menschen eine existenzielle Autonomie ermöglichen, gerade in Zeiten kollektiver oder persönlicher Krisen. Und das ist in der Tat eine Verschiebung in der staatlichen Wahrnehmung der Bürger:innen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind: Es geht nicht um Fordern und Fördern, sondern um ein Zugeständnis an die Mündigkeit und Eigenverantwortung. (Ja, ich zwinkere hier semantisch tatsächlich in Richtung FDP, die noch so unbedingt an den Sanktionen festhalten möchte.) (Samira el-Ouassil, SpiegelOnline)

Wir hatten die Hartz-Sanktionen und diese Studie über ihre Nutzlosigkeit ja bereits im letzten Vermischten diskutiert, weswegen ich das hier nicht wieder aufwärmen will. Ich stimme aber el-Ouassil zu, dass die liberalen Prinzipien bei Hartz-IV und dem Sanktionsregime tatsächlich wesentlich in den Hintergrund gedrängt werden, weil die von mir beschriebene Lust am Strafen im Vordergrund steht: diese Menschen erhalten Geld von der Gemeinschaft (finanziert aus Steuern) und können dafür keine vernünftige Gegenleistung erbringen, weswegen die von el-Ouassil angesprochene Mündigkeit und Eigenverantwortung gerade eingeschränkt wird. Ich halte das auch für keinen Widerspruch zu liberalen Werten; diese waren im liberalen Verständnis schon immer verdient, ein Privileg, und nicht verschenkt. Der paternalistische, kontrollierende, strafende Nanny-Staat ist geradezu erforderlich, wo Personen nicht im Besitz der liberalen Privilegien sind.

5) A law to defend human attention is an idea whose time has come

It’s not your imagination. Life really is noisier than it’s ever been. […] The US National Park Service estimates that noise pollution in the US increases two- to three-fold every 30 years. Fire engine sirens – a good proxy for the loudness of surrounding soundscapes – are up to six times louder than they were a century ago. The World Health Organisation estimates that roughly 65 per cent of Europeans live with noise levels that are hazardous to health. And it’s not just auditory noise. It’s informational noise, too. The average person in the United States consumes at least five times more information on any given day than she did a generation ago. Former Google chief executive Eric Schmidt speculated in 2010 that every two days, we create as much information as we did from the dawn of civilisation up until 2003. The leading experts in the science of human attention say we simply can’t process anything near the standard modern levels of mental stimulation. (Justin Zorn and Leigh Marz, The Sidney Sunday Herald)

Bin unsicher, ob das Gesetz für Informationsoverload so viel Sinn macht; die Ursachen sind ja noch sehr umstritten. Aber die Problematik wird ja bereits seit vielen Jahren diskutiert. Ich halte diese Debatte auch für relevanter als etwa die Echokammer-Debatte (siehe Resterampe i)). Nicht, dass ich eine Lösung sehen würde – mein Zugang zu dem Thema ist, dass wir uns als Gesellschaft daran gewöhnen und entsprechende soziale Normen entwickeln werden. Wir erleben durch diese neuen Technologien Nachteile, aber auch Vorteile – wie durch alles andere auch.

Bei Krach sieht die Sache ganz anders aus. Hier wäre es, wie auch bei Luftverschmutzung, schon lange an der Zeit für wesentlich durchgreifendere Maßnahmen, bedenkt man, wie unglaublich schwerwiegend die Folgen sind. Besonders Lärm ist völlig unterdiskutiert. Ich wohnte einige Jahre an der Hauptstraße unseres Ortes – der keine 5000 Einwohnende hat – und die Lärmbelastung war gigantisch. Seit wir umgezogen sind, ist das wesentlich besser.

Bedenkt man die Erkenntnisse der Gesundheitsforschung, sollte hier viel mehr getan werden, sowohl was die Richtwerte als auch, vor allem, ihre Einhaltung eingeht. Denn Schutzgesetze gibt es ja bereits seit Langem, die werden nur kaum überprüft. Technisch ist das gar nicht so schwer, manche anderen EU-Länder haben bereits vor Jahren damit begonnen, neben Geschwindigkeits- auch Lärm-„Blitzer“ aufzustellen.

6) War alles anders?

Nicht allen, die dieses Lagerfeuer radikalisierter Skeptizisten schüren helfen, geht es freilich um die Systemfrage. Und doch gewinnt in der Kakofonie der vielen halbwahren, diffamierenden und sich dem analytischen Diskurs entziehenden Kritik die Erzählung vom radikal unehrlichen oder radikal dämlichen deutschen Staat im Ausgang der Pandemie zu viel Boden – mit einer Konsequenz: Das Zutrauen schwindet, dass ein solcher Staat gerechte Kriege führen oder den Klimawandel wirkungsvoll bekämpfen kann. Darin liegt auch der Reiz für wahre Feinde des Systems: Es bieten sich hier mannigfaltige Möglichkeiten für die Destabilisierung von Demokratie und das Vorbereiten weiterer toxischer Diskurse. Es kann ein Narrativ von Obrigkeit und Eliten gestärkt werden, derer man sich aufgrund fehlender Kontrollmechanismen entledigen muss. Damit es dazu kommt, müssen zwei Behauptungen geglaubt werden: dass in der Pandemie die Obrigkeit willkürlich agiert und die Kontrolle versagt hat. Sich dieser Erzählung entgegenzustellen, ist wahnsinnig schwer – und sie hat gewiss das Potenzial, zur ersten mehrheitsfähigen Verschwörungserzählung Deutschlands zu werden. Umso wichtiger ist es nun, das Feld der Historisierung der Pandemie nicht zu räumen. Noch sind die Erinnerungen an Corona, wie es bis hierhin wirklich war, frisch genug, um auf sie zurückzugreifen. Nicht, indem man jeden – aus heutiger Sicht – Quatsch rechtfertigt, die panischen Outdoor-Abstandsgebote des ersten Lockdowns etwa oder die verbreitete demonstrative Ignoranz gegenüber den Hinweisen auf psychische Gesundheit bis weit ins Jahr 2021. Man muss vielmehr daran erinnern, was man wusste und was man noch nicht wissen konnte, als der Quatsch geschah. Und man muss daran erinnern, dass auch überzogene, unpräzise oder bis heute unzureichend ausgewertete Maßnahmen viele Leben gerettet haben. ( und , ZEIT)

Der Essay ist insgesamt sehr lang und zur Gänze lesenswert, ich zitiere hier nur den Schluss. Eine Sache, die mir in der letzten Zeit vermehrt auffällt, ist der große Überlapp zwischen denjenigen, die kategorisch die Pandemieschutzmaßnahmen – von Testungen über Masken zu Impfungen – ablehnten und denen, die nun die westliche Unterstützungspolitik für die Ukraine ablehnen (die meisten Kommentatoren hier im Blog sind da in meiner Bubble die absolute Ausnahme). Anders ausgedrückt: wer bei der Kategorie „Lieblings-Virolog*in“ das Kreuz bei „Streeck“ machte, kreuzt wahrscheinlich bei der Ukrainefrage auch „Varwick“ an.

Ich finde das nicht sonderlich überraschend. Wer der Überzeugung ist, dass der Staat nicht grundsätzlich das Wohl der Bürger*innen im Blick hat, sondern eine sinistre Agenda verfolgt – ob als Instrument fremder Mächte vom Kapitalismus zum internationalen Judentum und wieder zurück oder einfach aus Machtdrang des „deep state“ – wird das nicht thematisch auf ein Feld eingrenzen.

7) Why is motherhood so poorly portrayed in video games?

And games, you may be startled to discover, are not too great at portraying motherhood – though they seem to have fatherhood all figured out. Did you know that once you have a daughter you suddenly become aware that women are people, too? Who could have seen that coming? This modern phenomenon, known as the “dadification of games”, has largely come about through game designers and writers growing up, becoming parents and having all these feelings about protectiveness and caring that they want to express through their chosen medium. See The Last of Us, BioShock Infinite and The Walking Dead among others. Meanwhile, due to the fact that not a lot of senior game designers are women, and because many of the ones that are women are often forced to choose between career and family – because sexism is bullshit – the motherhood stories just don’t get told. […] If everything I learned about motherhood was from games, a large part of it would be “you die roughly five minutes after giving birth, surviving just long enough to leave a memento or a letter that will later serve as the motivation for your child to do some big quest”. You are less a nurturing, sentient human being, more a plot device. The statistical probability of this happening is worrying on a pandemic scale: (Kate Grey, Guardian)

Eltern in der Fiktion sind ein merkwürdiges Feld, aber die Videospiele spiegeln hier nur eine Entwicklung, wie sie aus der Literatur mindestens seit Homer bekannt ist. Mütter sind entweder idealisierte und distanzierte Behälter für irgendwelche Werte, wie Frau Ute aus dem Nibelungenlied, oder – wesentlich häufiger – sterben recht früh in der Geschichte, weil ihre Präsenz als Ballast für die Entwicklung des Protagonisten oder der Protagonistin empfunden werden würde. Man denke nur an Bambi.

Umgekehrt passen Väter einfach wesentlich besser in viele traditionelle Narrative, weil sie ihrer gesellschaftlich zugedachten Rolle nicht so sehr zuwiderlaufen wie Mütter. Oft genug werden Eltern einfach komplett um die Ecke gebracht, damit eine Mentorfigur übernehmen kann, aber gerade in letzter Zeit ist das „Dadsploitation“-Genre sehr beliebt geworden. Es nahm seinen Anfang mit „Taken“ mit Liam Nesson in der Hauptrolle, aber „The Last of Us“ ist sicherlich das Äquivalent im Videospielsektor. Und die „Lone Wolf and Cub“-Stories gibt es ja auch schon seit Ewigkeiten.

Lange Rede, kurzer Sinn: die Reduzierung von Müttern ist kein Merkmal von Videospielerzählungen, sondern von Erzählungen, period. Das deckt sich mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter, die eher unsichtbar sein sollen: ihre Arbeit gehört in den Privatbereich der Familie und des Heims und soll gut, aber unauffällig durchgeführt werden. In dieser Aufopferungsrolle gibt es wenig Raum für interessante Narrative.

8) Lost Hope of Lasting Democratic Majority

Today we wish a belated and maybe not-so-Happy 20th Birthday to “The Emerging Democratic Majority,” the book that famously argued Democrats would gain an enduring advantage in a multiracial, postindustrial America. […] It fueled conservative anxiety about America’s growing racial diversity, even as it encouraged the Republican establishment to reach out to Hispanic voters and pursue immigration reform. The increasingly popular notion that “demographics are destiny” made it easier for the progressive base to argue against moderation and in favor of mobilizing a new coalition of young and nonwhite voters. All of this helped set the stage for the rise of Mr. Trump. […] The authors said the “key” for Democrats would be in “discovering a strategy that retains support among the white working class, but also builds support among college-educated professionals and others.” But the book did not contain a road map to pulling it off. It said, “They can do both.” The optimism was rooted in the assumption that Clinton-Gore had already solved the problem. […] In retrospect, gun control and environmental issues were harbingers of one of the major themes of postindustrial politics: White working-class voters were slowly repelled by the policy demands of the secular, diverse, postindustrial voters who were supposed to power a new Democratic majority. […] Perhaps this is the book’s greatest shortcoming. It assumed that the transition to a new postindustrial, multiracial society would come without anything like the conflict, unrest and reaction that accompanied industrialization. Indeed, the book failed to imagine the basic contours of political conflict in the postindustrial era — let alone why the Democrats would be well positioned to guide the nation through those challenges. Instead, it assumed a peaceful, prosperous and content nation, one where centrist Democrats offering small solutions to small problems might fend off stolid Reagan-era Republicans in perpetuity. It didn’t turn out that way. (Nate Cohn, New York Times)

Es ist eine spannende Rückschau, deren Lektüre ich durchaus zur Gänze empfehle, auch weil Cohns Schlussfolgerungen für mich richtig klingen. Ich muss bei dieser Thematik immer wieder an die lakonische Feststellung eines Freundes von mir, der für YouGov arbeitet, denken: „Some people don’t want to be part of a multicultural coalition.“ Da können Linke noch so sehr für den Mindestlohn und bessere Arbeitsbedingungen sein; wenn das Gesamtpaket nicht stimmt, übernimmt etwas anderes. Ich habe deswegen auch wenig Geduld für die ewige „sie stimmen gegen ihre wirtschaftlichen Interessen“, was dann etwa von den NachDenkSeiten ständig mit Manipulation erklärt wird (weil wer mal so schlau wie diese Linken ist, muss zwangsläufig wie sie denken, oder so). Wir wählen nicht nach unseren wirtschaftlichen Interessen, zumindest nicht nur oder auch ausschlaggebend.

9) Red love, for all

If we begin by abolishing our kitchens, what else might we get a taste for destroying, and for creating? A bit of self-governance here, some collectively organised childcare there: begin with the kitchen, and we might end up with a whole new society. This is the premise of the revolutionary politics of family abolition. […] The family, Lewis and other abolitionists and feminists argue, privatises care. The legal and economic structure of the nuclear household warps love and intimacy into abuse, ownership, scarcity. Children are private property, legally owned and fully economically dependent on their parents. The hard work of care – looking after children, cooking and cleaning – is hidden away and devalued, performed for free by women or for scandalously low pay by domestic workers. Even the happiest families, in the words of the writer Ursula Le Guin, are built upon a “whole substructure of sacrifices, repressions, suppressions, choices made or forgone, chances taken or lost, balancings of greater or lesser evils”. If we abolish the family, we abolish the most fundamental unit of privatisation and scarcity in our society. More care, more love, for all. […] Family abolition asks us to take seriously the idea that children are everyone’s responsibility – not just that of their parents. […] Lewis acknowledges, too, that there is something psychically challenging about family abolition. As with all abolitionist politics, family abolition calls into question some of our most deeply held notions of ourselves: about kinship, belonging, identity; about what we consider natural, about what can be lived differently. (Erin Maglaque, The New Statesman)

Die hier dargestellte Utopie (oder Dystopie, je nach Standpunkt) ist sicher eine Extremversion, aber die Gedanken finde ich grundsätzlich sehr spannend. Die heutige Verabsolutierung der Familie und ihrer absoluten Bestimmungsmacht über die zugewiesenen Bereiche der Erziehung ist eine relativ neue Entwicklung, und ich finde diese ziemlich faszinierend. Inzwischen ist das Eintreten für diese Art von Familienstruktur konservativ, aber das war vor einigen Jahrzehnten noch anders. Die Idee, dass die Gesellschaft als Ganzes eine größere Rolle in der Erziehung der Kinder hat, war etwa zentraler konservativer Glaubensbestandteil. Man wollte die Kinder den Eltern im Gegenteil entziehen, etwa für die Kirchen, entsprechenden Vereine, etc.

Ich habe auch selbst schon öfter dafür argumentiert, wieder stärker eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Kindeserziehung, Pflege etc. zu begreifen. Der alte Spruch „it takes a village to raise a child“ ist leider in Vergessenheit geraten. Die ständige Überforderung, die Eltern heutzutage (völlig zurecht) empfinden, die völlig uneinlösbaren Ansprüche, hängen auch damit zusammen, dass man sie weitgehend damit allein lässt. Das können staatliche Ausgleichszahlungen und Hilfsangebote nur eingeschränkt kompensieren. Es braucht die Gesellschaft als Ganzes.

10) This Threat to Democracy Is Hiding in Plain Sight

But Mr. Trump’s attempts to subvert the election also revealed the system’s vulnerabilities, and his allies are now intently focused on exploiting those pressure points to bend the infrastructure of voting to their advantage. Their drive to take over election machinery county by county, state by state, is a reminder that democracy is fragile. The threats to it are not only violent ruptures like the Jan. 6 attack on the Capitol but also quieter efforts to corrupt it. […] Mr. Trump and his allies have set about removing and replacing these public servants, through elections and appointments, with more like-minded officials. […] Installing election deniers as top election officials is just one element of this plan. Much less visible, but just as important, is the so-called precinct strategy, in which Trump allies are recruiting supporters to flood the system by signing up to work in low-level election positions such as poll workers. […] In some parts of the country, this is already happening. […] The real threat to America’s electoral system is not posed by ineligible voters trying to cast ballots. It is coming from inside the system. (The Editorial Board, New York Magazine)

In diesem Artikel ist nichts Neues für regelmäßige Leser*innen dieses Blogs; ich finde das Bemerkenswerte eher, dass das Editorial Board der NYT es als notwendig empfindet, das aufzuschreiben. Es ist mehrere Jahre überfällig, und es wird sie nicht davon abhalten, weiterhin alles zu bothsiderisieren, aber man wird ja noch hoffen dürfen. Es ist jedenfalls gut zu sehen, dass selbst die ehrwürdige NYT langsam endlich mal anerkennt, dass es in den USA nur noch eine demokratische Partei gibt.

Resterampe

a) Guter Punkt zu Hubertus Heil als effektivem Minister.

b) Sascha Lobo nimmt die SPD-Weigerung, Panzer in die Ukraine zu schicken, auseinander.

c) Alexa darf künftig Fragen mit Werbung beantworten.

d) Wolfenstein 3D ist nun offiziell ab 16 freigegeben. Bis 2019 war das Spiel noch bundesweit beschlagnahmt. Ein schönes Artefakt, das zeigt, wie völlig überzogen der Jugendschutz bei Videospielen noch bis weit in die 2000er Jahre agierte.

e) We really, really don’t need a big recession. Und passend dazu.

f) Interessante Analyse der Anti-Inflationspolitik.

g) Ebenso interessant zur Biologie in der Trans-Frage.

h) Ich verlinke hier noch einmal den Beitrag, warum das „Aber China“-Argument Blödsinn ist.

i) Die so beliebte Theorie der Echokammern, in die wir angeblich aufgetrennt sind, wird in diesem Paper als Mythos entlarvt.

j) Dass religiöse Fanatiker ihre eigene Religion nicht kennen, ist wahrlich kein neues Phänomen. Bei Islamisten ja auch nicht anders.

k) Saying the quiet part out loud.

l) Die CSU in Erlangen lehnt Solaranlagen ab, weil „man die ja sieht“. NIMBY bis der Planet brennt.

m) Die Ungleichheit in USA und UK wird ja gerne angezweifelt, daher hier mal wieder neue Zahlen von der FT.

n) Mal wieder was zum Thema Autosubventionen und Autopolitik.

o) „The most BaWü thing imaginable“ ist in meinen Augen genau das Erfolgsrezept der Grünen hier. Wer wissen will, wie die CDU die Macht im Ländle verlor, muss sich nur das anschauen.

p) Guter Punkt zum Wissenschaftsbetrieb in Deutschland.

q) Für den ökonomischen Analphabeten Lindner fördern hohe Zinsen Investitionen. Glaubt der den Mist eigentlich selbst? Er kann ja gerne zur Inflationsbekämpfung dafür sein, aber dass eine geldpolitisch induzierte Rezession Investitionen fördert ist wirklich Bockmist.

r) Bei der BILD läuft mal wieder offener Rassismus.

s) Anlässlich der getürkten Referenden in der Ostukraine hat Hedwig Richter einen Thread zur Geschichte solcher „performativer Unterwerfungsakte“.

t) Bamm.

u) Diese Geschichte zeigt mal wieder schön, dass ganz viele moral panics überhaupt nur durch Medienberichterstattung entstehen.

v) Wenig überraschend hat die Pandemie den Bewegungsmangel bei Kindern verschärft.

w) Auch so Formulierungen, bei denen sich einem die Zehennägel aufrollen: „Studierende sollen möglichst wenig leiden„, im Hinblick auf das Heizen im Winter. Brrrrr.

x) Schopper bezieht Stellung im Konflikt zwischen GEW, Philologenverband und dem Streit um Gesamtschulen.

y) Sehr interessante Analyse der westlichen Afghanistanbilder.

z) Das sollten sich viele Linke merken.

{ 250 comments… add one }
  • Lemmy Caution 26. September 2022, 07:57

    zu 1) Ich hab den Eindruck, dass Du das mit der angebots- und nachfrageinduzierten Inflation durcheinanderbringst.
    https://welt-der-bwl.de/Angebotsinflation

  • CitizenK 26. September 2022, 09:15

    3) Es Berichte seit Wochen von Landwirten (gesehen aus Bayern und Hessen), dass sie ihre Biogas-Produktion massiv ausweiten könnten, aber nicht dürfen. Das Strom-Einspeisungsgesetz (oder wie das heißt) stehe dagegen. An manchen Tagen müssten sie sogar Gas abfackeln.

    Stimmt das und wenn ja: Warum wurde oder wird das nicht sofort geändert?

    • Stefan Sasse 26. September 2022, 12:13

      Spannende Frage. Klingt für mich realistisch auf jeden Fall. Leider.

    • cimourdain 27. September 2022, 08:20

      Wahrscheinlich geht es um die Grenzen der nach EEG geförderten Stromeinspeisemenge. Da es sich da um Kategoriengrenzen handelt, kann es sich für einen Anbieter lohnen, weniger Strom zum höheren EEG-Garantiepreis zu verkaufen als mehr Strom zum Marktpreis. Dazu gibt es eine Flexibilitätsförderung zur Bereithaltung zusätzlicher Notfallkapazitäten. Auch der kann nur genutzt werden, wenn die Anlage nicht auf 100% gefahren wird. Oder es ist Show. um den ungeliebten ‚Maisdeckel‘ loszuwerden.

  • Detlef Schulze 26. September 2022, 09:20

    p) Zum Wissenschaftsbetrieb in Deutschland.

    Es ist richtig, dass in Deutschland permanente Stellen im Mittelbau abgeschaft wurden und es dafuer mehr Doktoranden und PostDoc-Stellen gibt. Ansonsten bin ich mir nicht sicher ob die Graphik stimmt. Es stimmt zwar, dass in den USA die Forschungsgruppen oft kleiner sind, aber in der Regel haben forschende Professoren an Universitaeten Geld zumindest fuer einen oder zwei Postdocs oder Doktoranden. Das Verhaeltnis von Professor zu Angestellten sollte also 1:2 oder so sein. In der Graphik sind aber 85% Professoren. Wer arbeitet fuer die? Es kann also nur sein, dass hier auch alle Professoren von kleineren Liberal-Arts- und Community-Colleges aufgelistet werden, die eigentlich fast nur Lehre machen (obwohl in der Abb. was von Research and Doctoral universities steht). Diese Professoren entsprechen aber eher den Professoren an Fachhochschulen und den Lehrern in Fachschulen. Diese sind nicht in der Deutschen Statistik aufgelistet.

    Und was Frankreich angeht, dort gibt sehr viele permanente Stellen, vor allen ueber die CNRS. Das Problem ist aber, dass diese Leute sehr wenig Geld fuer die Forschung bekommen (Equipment, Reisen, Doktoranden). Frankreich haelt sich also eine Flotte leistungsfaehiger Sportwagen, gibt aber kein Geld fuer Benzin aus, sinnbildlich gesprochen.

    • Stefan Sasse 26. September 2022, 12:13

      Ja, das hat mich auch gewundert.

      Danke für den Kontext!

      • schejtan 26. September 2022, 13:30

        Ein Unterschied mag sein, dass in Deutschland Doktoranden haeufiger auch einen Arbeitsvertrag mit der Uni haben und dann eben auch als „Temporaer Angestellte“ zaehlen, waehrend zumindest im UK und den USA das eher zum Beispiel ueber Stipendien laeuft und sie dann eben nicht in diese Statistik einfliessen.

        • Detlef Schulze 26. September 2022, 14:53

          @schetjan

          Ja richtig. Ich denke genau das ist der Grund.

  • Stefan Pietsch 26. September 2022, 10:10

    1) Inflation Hurts Everyone, But So Does Unemployment

    Ein weiteres Beispiel für die Unfähigkeit der menschlichen Natur, aus Geschichte zu lernen. Faustformel: Länder mit hohen Inflationsraten sind arm oder verarmen.

    Eine Rezession ist eine kurzzeitige Sache, eine festgefressene Inflation lässt sich dagegen nur in Dekadengrößen bekämpfen. Das sollten gerade wir Deutschen wissen. Anscheinend nicht.

    Stark steigende Preise führen dazu, dass viele Menschen sich schnell weniger leisten können. Ob sie ihre Verluste, und sei es nur zum Teil, durch eigene Preissteigerungen wie Lohnerhöhungen kompensieren können, hängt ausschließlich von ihrer Marktmacht ab. Je niedriger in der Einkommenspyramide positioniert, desto weniger. Das heißt, die unteren 50, ob sogar die unteren 80 Prozent der Gesellschaft tragen die Wohlstandsverluste, die Inflationen verursachen. Damit führen Inflationen zu Rezessionen und oft Depressionen und damit Arbeitslosigkeit. Der Unterschied: das Leid dauert länger.

    Das ist halt so ein Punkt: Die Bequemen meinen, man könne einer unangenehmen Sache dadurch ausweichen, dass man sie streckt. Meist werden jedoch nur die Kosten höher. Eine Rezession gilt in Europa wie Nordamerika als unausweichlich. Es ist nur noch die Frage, wie lange sie andauern wird und wie tief sie werden wird. Die Wahl in Italien und der folgende Absturz des Euro geben einen Fingerzeig.

    Seit spätestens Q3 2021 ziehen die Preise deutlich an, da war der Ukrainekrieg nur ein Hirngespinst im Kopf von Putin. Während die Hoffnung besteht, dass die Lieferketten in 2023 wieder funktionieren, bleibt das Problem der Energiearmut und exorbitant hoher Energiepreise. Doch das ist rein politisch induziert und nicht von Putin, sondern der nationalen deutschen Politik. Mit dem Abschalten der Atommeiler, der Kohlekraftwerke, dem Verbot von Fracking hat die Politik erst für die Knappheit gesorgt, die heute die Preise treibt. Und dass Deutschland die höchsten Preise für Energie aufruft, ist keine Erkenntnis in Folge des Ukraine-Krieges.

    • Stefan Sasse 26. September 2022, 12:14

      Die Great Depression dauerte weit über ein Jahrzehnt. Da erholten sich die Leute und die VoWi wesentlich schneller von der Hyperinflation 1923.

    • Kning4711 27. September 2022, 17:54

      [i] Seit spätestens Q3 2021 ziehen die Preise deutlich an, da war der Ukrainekrieg nur ein Hirngespinst im Kopf von Putin [/i]

      Seit dem Frühjahr 202[b]1[/21] begann das Säbelrasseln an der Ukrainischen Grenze – Russland verlegte Truppen, begann Manöver und die Unruhe wuchs. Im selben Zeitraum stiegen auch schon die Gaspreise. Allein zwischen Juni 2021 und November 2021 vervierfachte sich der Preis. Die zunehmende Kriegsrhetorik und letztlich der Krieg ließen die Preise explodieren. Die indirekten Effekte folgten auf dem Fuße – erst war es nur Gas, dann auch die von Gas mehr oder weniger abhängigen Produkte.
      Wesentlicher Treiber für Inflation ist und bleibt die Energie.

      Ich bin aber bei Ihnen – lieber nehmen wir eine kurzfristige Rezession in Kauf, statt eine lange Phase von Inflation. Leider aber sind die politischen und fiskalischen Verhältnisse alles andere als stabil – eine Rezession führt zu Arbeitslosigkeit und zu erheblichen Verwerfungen in der Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Insofern müssten wir alles tun, damit es nicht dazu kommt.

      Viele Ökonomen raten nun zum Gaspreisdeckel in Verbindung mit der Übergewinnsteuer für die Energiekonzerne. Denn es wäre durchaus besser , die unmittelbaren Schäden zu begrenzen, statt sie im Nachhinein über pauschale Zahlungen zu kompensieren. Das Gleiche gilt für die Idee, einen Deckel für exzessiv steigende Energiepreise einzuführen, wie es mittlerweile auch die Bundesregierung beim Strompreis vorhat. Solche Instrumente ließen sich auch viel eher so gestalten, dass die Entlastung im Moment der Belastung eintritt – und nicht irgendwann.

      Wichtig ist, damit nicht halt zu machen. Was wir dringend benötigen, sind Programme die unsere Industriestandorte auf die sich anbahnende Transformation vorbereiten, so das neue Industrien / Branchen angesiedelt werden und neue / bessere Arbeit entsteht.

      • Stefan Pietsch 27. September 2022, 20:59

        Seit dem Frühjahr 202[b]1[/21] begann das Säbelrasseln an der Ukrainischen Grenze – Russland verlegte Truppen, begann Manöver und die Unruhe wuchs. Im selben Zeitraum stiegen auch schon die Gaspreise.

        Das ist falsch. Wo haben Sie das kopiert?

        Quartal 1 2021: 6,11 Cent pro kWh
        Quartal 2 2021: 6,32 Cent pro kWh
        Quartal 3 2021: 6,77 Cent pro kWh
        Quartal 4 2021: 9,08 Cent pro kWh
        https://gas.preisvergleich.de/info/21/gaspreisentwicklung/

        In den USA war die Entwicklung, unabhängig vom osteuropäischen Gasmarkt dergestalt, dass die Fed Anfang des 4. Quartals eine heftige Kursänderung einleitete. Das passt alles nicht zur Argumentation. Und auch die Ölpreisentwicklung spielt da nicht rein. Zwar gab es in 2021 einen kontinuierlichen Anstieg, doch seit Monaten fällt der Preis. Die Inflationsraten in den USA wie Europa fallen jedoch nicht, im Gegenteil, man rechnet mit extrem hohen Preissteigerungen in 2022 und 2023.

        Viele Ökonomen raten nun zum Gaspreisdeckel in Verbindung mit der Übergewinnsteuer für die Energiekonzerne.

        Wen meinen Sie? Die renommierten Ökonomen außerhalb des DIW, die mir bekannt sind, verteten eine ganz andere Auffassung. Wie ich immer sage:

        Hände weg vom Preis!

        Der Preis signalisiert Knappheiten. Gas ist extrem knapp, beim Strom drohen ebenfalls Engpässe. Durch Absenken der Preise wird die Menge, die an Gas und Strom zur Verfügung steht, nicht größer. Wenn der Preis aber auf ein niedrigeres Niveau abgesenkt wird, nimmt die Nachfrage zu. Wenn bei den heutigen Knappheiten von Gas ein Herunterkühlen der Wohnungen unausweichlich ist, dann würde eine Gaspreisbremse die Nachfrage erzeugen, die wegen der begrenzten Menge nicht bedient werden kann. Das ist Planwirtschaft pur.

        Nein, direkte Zahlungen sind das Mittel der Wahl. Sie allein sorgen dafür, dass Menschen mit geringem Einkommen mit jenen konkurrieren und Mengen kaufen können, die mehr verdienen.

        Wir sind immer wieder bei der Menge: würde der Staat die Menge an Energie nicht so massiv verknappen, wäre das Problem zumindest deutlich kleiner. Nachdem der Staat die Menge reguliert, soll er nun noch den Preis steuern. Da springen Ökonomen aus dem Fenster.

        Nur zum Nachdenken: die EZB hat vor über 10 Jahren einen Preisdeckel für Zinsen eingeführt. Korrigieren Sie mich, aber das hat weder dazu geführt, dass das Verschuldungstempo in den begünstigten Staaten abgenommen hätte noch dass die Probleme kleiner geworden wären. Mehr noch, es hat weitere Länder in die Abhängigkeit der Notenbank geführt.

        So ungefähr wirken Preisdeckel.

        • Thorsten Haupts 29. September 2022, 17:17

          Nachdem der Staat die Menge reguliert, soll er nun noch den Preis steuern.

          Ja. Das hat historisch zwar überhaupt noch niemals funktioniert und ist über einen längeren Zeitraum auch das Rezept für ein automatisches, mit absoluter Sicherheit vorhersagbares, ökonomisches Desaster, aber hey – DIESMAL muss das klappen (das bekannte Habeck-Wunder).

          Gruss,
          Thorsten Haupts

  • Stefan Pietsch 26. September 2022, 15:36

    3) Nicht weniger, sondern mehr Klimaschutz sofort

    Der Koalitionsvertrag hält fest, dass Deutschland auf einen Grundlastträger wie Gas noch lange angewiesen sein wird. Deswegen beabsichtigte die Ampel, die Gaskraftwerke auszubauen.

    Diese Strategie ist zusammengestürzt. Es braucht einen neuen Grundlastträger mit Gewicht. Darauf sind gerade die Grünen besonders still. Deutschland erzeugt ganz bewusst eine nationale Energieknappheit, die es so in den USA nicht gibt. Und wer darauf keine Antwort findet, sollte einfach mal für ein paar Monate still sein.

    Und irgendwie scheint man im linken Spektrum zu glauben, alles wäre eine Frage des Geldes. Dabei sagen Fachleute, der Ausbau der Erneuerbaren im geplanten Umfang scheitert bereits an den Ressourcen. Und dazu: wer den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland kritisiert, muss mal sagen, mit welchem Land er eigentlich vergleicht. Mit Frankreich? Mit Italien? Mit den USA? Mir ist das völlig unklar.

    • Thorsten Haupts 26. September 2022, 17:36

      Dabei sagen Fachleute, der Ausbau der Erneuerbaren im geplanten Umfang scheitert bereits an den Ressourcen.

      Aber sowas von. Und das kommt direkt von der Front – ich bin aktuell Leiter des Projekt Management Office im Planungsabschnitt 1 Suedlink.

    • Erwin Gabriel 26. September 2022, 22:37

      @ Stefan Pietsch 26. September 2022, 15:36

      3) Nicht weniger, sondern mehr Klimaschutz sofort

      Volle Zustimmung.

      Ich stecke bei weitem nicht so tief im Energiethema wie Thorsten, eher im Thema Bau. Die Probleme dürften aber ähnlich gelagert sein: Ich sehe, wie viele kompetente Fachkräfte fehlen, wie knapp Ressourcen sind, wie sich Vorschriften von Kreis zu Kreis, von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, wie ausufernd die Bürokratie geworden ist, wie viele „wichtige“ Leute sich auf dem Weg zu einer sinnvollen Entscheidung bockig machen, damit sie nur ja ihre Duftmarke hinterlassen, wie Politik munter ein ums andere Mal ideologisch bzw. parteipolitisch geprägte Ziele formuliert, die sich bei dem ersten Kontakt mit der Realität in Luft auflösen. Und passt mal alles, ist alles geklärt, dann kommt irgendein Bürgerbegehren …

      So ermüdend …

      • derwaechter 26. September 2022, 23:05

        l) Im Economist lernte ich vor kurzem, dass es neben den nimbys (“Not in my back yard”) noch die notes (“Not over there, either”) and bananas (“Build absolutely nothing anywhere near anything“) gibt 🙂

        • Thorsten Haupts 27. September 2022, 09:53

          Fluch der bösen Tat – alle drei Gruppen waren unter dem Deckmantel der Lüge von „demokratischer Mitbestimmung“ für Jahrzehnte Lieblinge der liberalen „Qualitäts“medien und des ÖRR. Politik wie Medien haben sie grossgemacht, viel Spass dabei, sie wieder kleinzumachen – ich werde mich daran nicht beteiligen.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:04

          lol

      • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:04

        Genau deswegen hab ich ja so große Hoffnung in die Ampel, besonders die FDP, dass die diesen Überregulierungsdschungel bei den Erneuerbaren zurechtstutzen.

        • Thorsten Haupts 28. September 2022, 15:40

          Moment, jemand soll ernsthaft darangehen, Bürgerbeteiligung und Umweltplanungsrecht zurechtzustutzen? In Deutschland? In dieser Koalition mit den GRÜNEN? Bruhahahahaha …

          • Stefan Sasse 28. September 2022, 17:21

            Das wäre in meinen Augen die historische Mission der FDP, und ja, ich denk dass da durchaus was ginge.

            • Thorsten Haupts 28. September 2022, 23:59

              Demokratische Parteien haben keine historischen Missionen (brrrr). Und beim „das da durchaus was ginge“ beurteilen wir die Lage schlicht gegensätzlich – ich glaube das nicht.

  • Stefan Pietsch 26. September 2022, 15:56

    Ein 17 Jahre alter Zombie

    Das ist wie so oft die Vergewaltigung einer Idee, die mit dem anderen nichts zu tun hat. Der Kern des Liberalismus ist die Überzeugung, dass Menschen frei geboren sind. Als der Liberalismus aus der Taufe gehoben wurde, gab es keinen Sozialstaat, alle Menschen verdienten ihr eigenes Geld. Liberale verstehen sich eben in der Abgrenzung zum Staat, nicht als Komplize.

    Der Sozialstaatsgedanke hat mit dem Liberalismus und liberalem Empfinden nichts zu tun. Dass Menschen durch irgendwelche Formen von Transfers „frei“ würden, ist aus liberaler Sicht ein absurder Gedanke. So denken Sozialisten. Aber natürlich haben auch Liberale ein Herz. Wenn jemand tatsächlich nicht in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen, dann – aber nur dann – sind Zahlungen der Allgemeinheit zu rechtfertigen.

    Es zeigt die Abhängigkeit: der Sozialhilfeempfänger ist von der Bemessung und der Großzügigkeit der Gemeinschaft und des Staates abhängig. Darin mag sich Vieles spiegeln, liberales Gedankengut auf keinen Fall. Und ich finde es befremdlich, diesen Gegensatz tatsächlich darstellen zu müssen. Liberale sind keine Sozialisten!

    • Stefan Sasse 26. September 2022, 18:38

      Dein historisches Verständnis ist bestenfalls lückenhaft. Du baust deine Ansichten auf einer völligen Fantasieversion der Vergangenheit.

      • Erwin Gabriel 26. September 2022, 22:44

        @ Stefan Sasse 26. September 2022, 18:38

        Du baust deine Ansichten auf einer völligen Fantasieversion der Vergangenheit.

        Nur mal aus Neugier die Frage nach Deiner Meinung:

        Jemand scheitert im ersten Anlauf daran, sich auf die eigenen Beine zu stellen. Sollte der Staat
        □ diese Person dabei unterstützen und sie dazu befähigen, auf eigenen Beinen zu stehen?
        □ diese Person so versorgen, als würde sie auf eigenen Beinen stehen?

        Ich frage nicht nach irgendwelchen Spezial- und Einzelfällen, sondern nach der grundsätzlichen Ausrichtung, die Du befürworten würdest.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:04

          1) natürlich

          • Erwin Gabriel 28. September 2022, 15:29

            @ Stefan Sasse 27. September 2022, 17:04

            1) natürlich

            Dann bist Du auf der argumentativen Seite von Stefan, Thorsten und mir.

            • Stefan Sasse 28. September 2022, 17:20

              Naja, du machst ja letztlich einen Schwarz-Weiß-Trugschluss auf. Niemand hat was dagegen, Personen zu helfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Die Frage ist ja a) wie man das erreicht und b) was in der Zwischenzeit passiert. Und die Idee, dass eine möglichst mangelhafte Versorgung das auf eigenen Beinen stehen begünstigt, halte ich für Unfug. Da sind wir ganz schnell auseinander.

              • Erwin Gabriel 28. September 2022, 20:01

                @ Stefan Sasse 28. September 2022, 17:20

                Naja, du machst ja letztlich einen Schwarz-Weiß-Trugschluss auf.

                1) das sagt der Richtige .-)
                2) nein

                Niemand hat was dagegen, Personen zu helfen, auf eigenen Beinen zu stehen.

                Ich habe weder von Citizen noch von Dir je gehört, dass das der erste Ansatz ist.

                Die Frage ist ja a) wie man das erreicht und b) was in der Zwischenzeit passiert.

                a) Ja. Dazu habe ich aber bislang nur von Stefan Pietsch Vorschläge gelesen. Du drückst Dich da immer ein bisschen.
                b) Grundsätzlich erstmal: Unterstützung durch den Staat. Dazu gab es weder von Thorsten, Stefan P. oder von mir Einwände.

                Und die Idee, dass eine möglichst mangelhafte Versorgung das auf eigenen Beinen stehen begünstigt, halte ich für Unfug. Da sind wir ganz schnell auseinander.

                Da klingt danach, als hätte das jemand gefordert. Daran kann ich mich aber nicht erinnern; wenn Du das meinst, bringe ein Zitat, oder erkläre, was gemeint war.

                Niemand von uns redet von „arbeitsunfähig“, gegen eine „Überbrücken nach Kündigung“ etc. Wir reden nur über Langzeit-Arbeitslose (nicht „Arbeitsunfähige).

                Du bist hier derjenige, der stets versucht, das auf eine andere Ebene zu ziehen.

                Also nochmal, für Dich zum Nachlesen:
                • Wer arbeitsunfähig ist, ist außen vor.
                • Wer zur Überbrückung zwischen zwei Jobs oder während der Jobsuche nach einer Kündigung vom Staat unterstützt wird, ist außen vor.
                • Wer langzeit-arbeitslos ist und sich nicht bemüht, sich nicht weiterbildet, wer trotz Arbeitsfähigkeit (= physisch und psychisch ok) aus Bequemlichkeit Jobs ablehnt, hat meiner Meinung nach keine Unterstützung verdient.

                Bitte höre damit auf, mir ständig etwas anderes zu unterstellen! Das sind von Deiner Seite nur Strohmann-Diskussionen.

                • CitizenK 28. September 2022, 21:40

                  „weder von Citizen noch von Dir je gehört, dass das der erste Ansatz ist.“

                  Weil das selbstverständlich ist?

                  „Wer aus Bequemlichkeit Jobs ablehnt“.
                  Wenn das eindeutig ist, ja (Florida-Rolf) – dann nur das Minimum, das humanitär nicht unterschritten werden darf. Aber wie Ariane schon sagte: Verhungern geht nicht, und medizinische Grundversorgung muss. Darauf haben auch „Penner“ ein Recht. Wollt ihr das abschaffen?
                  Wenn man sich mit der Geschichte von Obdachlosen beschäftigt, wird die Grenze zwischen „psychisch okay“ und „bequem“ schnell unscharf. Das trifft auch auf nicht wenige lethargische Langzeitarbeitslose zu. Warum kapriziert ihr euch so auf diese Gruppe? Anderswo ist der Schaden für die Gesellschaft weitaus größer – Geldwäsche, Steuerbetrug, Kriminalität.

                  • Stefan Sasse 29. September 2022, 08:16

                    So sehe ich das auch.

                  • Erwin Gabriel 29. September 2022, 12:35

                    @ CitizenK 28. September 2022, 21:40

                    Weil das selbstverständlich ist?

                    Sorry, nein.
                    Wir führen hier seit geraumer Zeit die Diskussion, und immer wieder wird mir und anderen unterstellt, dass ich/wir einfach Leistungen kürzen möchten (z.T. sogar wg. „Lust am Strafen“), obwohl nicht nur ich immer wieder schreiben, dass es nicht um kurzfristige Überbrückung, nicht um Arbeitsunfähigkeit geht, sondern Langzeit-Arbeitslose, die keinen Bock haben.

                    Von „da kann man nichts machen“ über „macht keinen Sinn“ ist alles gebracht worden, aber kein Wort zum Thema.

                    Aber wie Ariane schon sagte: Verhungern geht nicht, und medizinische Grundversorgung muss. Darauf haben auch „Penner“ ein Recht. Wollt ihr das abschaffen?

                    Die Frage ist unverschämt und schon mehrfach mit „nein“ beantwortet worden.

                    Wenn man sich mit der Geschichte von Obdachlosen beschäftigt, wird die Grenze zwischen „psychisch okay“ und „bequem“ schnell unscharf.

                    Dito, unverschämt. Darum ging es nie.

                    Anderswo ist der Schaden für die Gesellschaft weitaus größer – Geldwäsche, Steuerbetrug, Kriminalität.

                    Strohmann. Ich habe schon mehrfach gefordert, dass Wirtschaftskriminalität stärker verfolgt werden sollte (auch, dass man Leute, die den Staat um Geld betrügen, eher über Wohlstandsverlust statt mit Knast bestrafen sollte), weil (Kriminalität!) Knast für Gewalttäter vorbehalten sein sollte; einen Schläger auf Bewährung frei herumlaufen lassen, den Geldbetrüger einsperren halte ich für verkehrt. Ich hoffe, Dir fällt auf, dass Du das alles schon mal von Dir gelesen hast.

                    Wir „kaprizieren“ uns nicht auf diese Gruppe, sondern das war halt das Diskussionsthema – so, wie wir auch über den Flächenverbrauch von Autos oder anderes diskutieren.

                    Wenn Dir zum Thema „Langzeitarbeitslose vs. Fachkräftemangel“ nur Stichworte wie „Geldwäsche“ oder „Steuerbetrug“ einfallen, verbunden mit dem (entgegen allem, was ich je geschrieben habe) unterschwelligen Vorwurf, Obdachlose verhungern lassen zu wollen, dann wundere Dich nicht, wenn ich angefressen bin.

                    In dem Stil macht eine Diskussion keinen Spaß, und mit Dir offenbar auch keinen Sinn. Bin draußen.

                    @ Stefan Sasse

                    Unfassbar. Lest Ihr eigentlich, was Ihr schreibt?

                    dann halt Dich doch einfach raus. Das, was Du hier tust, ist nur die Erklärung, dass Dich das Thema und die anderen Meinungen nicht die Bohne interessieren.

                    • Ariane 29. September 2022, 13:36

                      Aber wie Ariane schon sagte: Verhungern geht nicht, und medizinische Grundversorgung muss. Darauf haben auch „Penner“ ein Recht. Wollt ihr das abschaffen?

                      Die Frage ist unverschämt und schon mehrfach mit „nein“ beantwortet worden.

                      Vielleicht könnten wir alle mal etwas runterkommen? Ich habe die Frage (glaub von Torsten), was mit faulen Langzeitarbeitslosen ist, auch nicht als Unverschämtheit abgetan, sondern schlicht beantwortet.
                      Das Problem haben wir sowieso von beiden Seiten und wird sich auch nicht lösen lassen, weil die Welt nun mal unperfekt ist und die Problematiken viel zu individuell komplex. Das kann man nur wertebasiert lösen, sprich entweder Vertrauensvorschuss und wer faul aber klug ist, rutscht durch. Bissl Schwund ist halt immer, blablubb. Oder man zieht die Kriterien und die Prüfungen strikter und macht es damit für alle schwieriger, auch oder vielleicht gerade für Leute, die schon genug andere Probleme haben und die man gar nicht meint.

                      Die Idee, dass es hier ein richtig und falsch gibt mit einer perfekten Lösung ist eine Illusion, es ist die Frage, welche Konsequenz man lieber in Kauf nimmt und die ist politisch.

                    • Thorsten Haupts 29. September 2022, 16:07

                      … sondern schlicht beantwortet.

                      Absolut korrekt. Habe mir danach die Antwort deshalb geschenkt, weil wir das „agree to disagree“ erreicht hatten – also keinen Dissenz in der Faktenbeschreibung, sondern einen Dissenz über die Bewertung der Fakten sowie die aus dieser Bewertung abzuleitenden Folgen. Und das kann man entweder zu Tode diskutieren oder politisch schlicht entscheiden. Die derzeitige Regierungskoalition hat das entschieden, die Folgen werden wir sehen.

                      Die einzige persönliche Anmerkung die ich habe, bezieht sich auf den Optimismus/das Vorschussvertrauen. Wenn man das hat, sollte sich das politisch wg. Konsistenz durch alle Lebensbereiche ziehen. Und dann sind Steuerhinterziehung, Bilanzbetrug etc. eben auch eher seltene Ausnahmefälle, wegen denen man keine Gesetze oder Kontrollen verschärft („es schwieriger für alle machen“). Wer also das eine (Hartz IV Santrionen) wegen Vertrauensvorschuss nicht will, darf eigentlich auch das andere nicht wollen. Wenn er/sie glaubwürdig bleiben will.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 29. September 2022, 18:23

                      Ja, so sehe ich das auch. Das ist ja auch das, was ich mit Wächter diskutiert habe: die Fakten sind nicht das Problem, sondern ihre Interpretation.

                    • Ariane 30. September 2022, 12:28

                      weil wir das „agree to disagree“ erreicht hatten

                      Das ist ja ok, wie gesagt beide Sichtweisen sind legitim, man sollte sich nur nicht einreden, es gäbe da eine perfekte Lösung.

                      Vertrauensvorschuss:
                      Ich bin nicht generell dagegen, würde aber doch gerne einen Unterschied zwischen Hartz-IV-Bezug und kriminellen Handlungen machen. Das ist vielleicht auch ein Missverständnis, ich bin ja weder gegen eine Bedüftigkeitsprüfung, um Sozialbetrug auszuschließen noch gegen die 30% Sanktionen an sich. Ich will Bürgergeldempfängern nicht einfach nur das Geld überweisen und dann warten, dass die von selbst auf die Beine kommen oder um Hilfe bitten, da soll schon ein dauerhafter Kontakt entstehen. Auch wenns da gar nicht in erster Linie um einen Job geht, sondern um „Lebenshilfe“ an sich oder so. Mir gehts da wirklich um eine andere Kultur und nicht mit dem Gedanken daranzugehen, die sind alle faul und wollen sich was erschleichen (hier würde der Vertrauensvorschuss zb durchaus für alle Hilfestellungen gelten) und nicht zuviel Ressourcen auf der Suche und Strafe bei faulen Eiern zu verschwenden.

                    • Erwin Gabriel 1. Oktober 2022, 14:37

                      @ Ariane 29. September 2022, 13:36

                      Ich habe die Frage (glaub von Torsten), was mit faulen Langzeitarbeitslosen ist, auch nicht als Unverschämtheit abgetan, sondern schlicht beantwortet.

                      Die Frage, ob es faule Langzeitarbeitslose gibt, kann man getrost mit „ja“ beantworten (=weniger als alle, mehr als keiner). Die Frage, wie man mit denen umgeht, ist legitim.

                      Die Frage, ob ich Obdachlose verhungern lassen möchte, ist es nicht; sie ist schlichtweg dümmlich, dreist und unverschämt.

                • Stefan Sasse 29. September 2022, 08:15

                  Ich rede gerade auch nicht von arbeitsunfähig. Dass Arbeitslose auf eigenen Beinen stehen sollen ist völlig unstrittig. Niemand fordert ernsthaft, dass Teile der Bevölkerung für immer in Hartz-IV bleiben sollen. Das wäre mir nicht mal von der LINKEn bekannt. Die Frage ist, wie man dahin kommt.

                  • Stefan Pietsch 29. September 2022, 10:16

                    Falls Du im Programm der Linkspartei eine Passage zur Überwindung der Dauerarbeitslosigkeit findest, lass es mich wissen. Genauso bei der SPD. Das ist da anscheinend so selbstverständlich, dass es selbst in Wahlprogrammen nicht mehr erwähnt werden muss.

                    Deswegen spricht die AfD auch nicht von der Integration von Flüchtlingen. So selbstverständlich, dass es keiner Erwähnung bedarf. Ironie off*

                    • Erwin Gabriel 29. September 2022, 12:45

                      @ Stefan Pietsch 29. September 2022

                      Der Vergleich mit der AfD scheint mir in der Tat die passende Antwort.

                      Nichts ist „selbstverständlich“, nichts wird in Frage gestellt. Bemühungen des Staates, sich Problemen wie „Langzeitarbeitslosigkeit“ oder „Sozialhilfe/Hartz IV in dritter generation“ anders als mit noch mehr Geld zu widmen, gibt es nicht.

                      Und wenn ich hier die Spezialisten höre, verstehe ich auch, warum. Es interessiert einfach niemanden, diese Situation zu ändern (und ja: denen auch ein Stück weit zu helfen), weil man genug und noch mehr Knete raushauen kann.

                    • Stefan Sasse 29. September 2022, 14:07

                      Die AfD spricht sehr explizit davon, Flüchtlinge NICHT zu integrieren, weil sie den Fluchtstatus als explizit temporär und sehr kurzfristig und als absolute Ausnahme sehen will. Die AfD erklärt aber auch, dass das Ziel aller Migrationspolitik die Integration in die deutsche Gesellschaft ist. Das ist völlig selbstverständlich. Die Schlussfolgerungen, die die AfD daraus zieht, teile ich nicht, genauso wenig ihre Definition von „integriert“. Aber das ändert nichts daran, dass alle Parteien dieses Ziel haben.

                    • Stefan Pietsch 29. September 2022, 15:41

                      Aus dem SPD-Wahlprogramm:
                      Wir werden den sozialen Arbeitsmarkt ausbauen und weiterentwickeln. Auch weiterhin werden wir Arbeitgeber mit Lohnkostenzuschüssen unterstützen, die Langzeitarbeitslose sozialversicherungspflichtig einstellen. (..)
                      https://www.spd.de/programm/zukunftsprogramm/uebersicht/iii-eine-gesellschaft-des-respekts/share/76511/#m76511

                      Das Ziel muss sein, die hilfsbedürftige Lebenslage gemeinsam zu bezwingen und allen eine Beschäftigung und, falls erforderlich, eine Qualifizierung und Weiterbildung zu ermöglichen. Wir setzen auf eine umfassende und passgenaue Unterstützung, die die gesamte Bedarfsgemeinschaft in den Blick nimmt

                      Das war’s. Zur sozialen Absicherung finden sich weit mehr Sätze. Und nirgends steht, was passiert, wenn Angebote nicht genutzt werden. Vor allem aber: die Jobs sind ja da. Was will die SPD da noch schaffen? Nur nehmen sie Langzeitarbeitslose nicht an und das ist das Problem.

                      Ihr möchtet nicht darüber reden, dass ein wesentlicher Teil der Hartz-IV-Empfänger seit sehr, sehr langer Zeit arbeitslos ist. Nach einem Jahrzehnt des wirtschaftlichen Booms, von Vollbeschäftigung und Knappheit auf den Arbeitsmärkten ist das ein kritischer Befund.

                      Es lohnte sich darüber zu reden. Statt über Faulheit oder Nicht-Faulheit. Nur Streichelzoo funktioniert anscheinend nicht.

                    • Stefan Sasse 29. September 2022, 18:21

                      Ich bräuchte da jetzt mal ne Entscheidung: sind die für die Jobs nicht qualifiziert, weil zu lange arbeitslos, oder zu faul sie anzunehmen?

                    • Stefan Pietsch 29. September 2022, 20:54

                      Ich kann damit nichts anfangen. Das ist keine Koketterie. Es gibt Jobs, für die man keine sonderliche Qualifikation abseits Willen braucht. Charktereigenschaften wie Fleiß, Ordentlichkeit, Redlichkeit sind unabhängig vom Einkommen, Geschlecht und Herkunft verteilt. Folglich können das kaum Einflüsse sein, den immer noch hohen Anteil Langzeitarbeitsloser in Deutschland zu erklären.

                      Noch weit häufiger als solche Charakterzüge ist Rationalität vorherrschend. Irrationales Verhalten erlebe ich nur punktuell, aus der Situation heraus. Aber Menschen handeln selten dauerhaft gegen ihre Interessen. Gestern habe ich einen Mitarbeiter in der Probezeit entlassen. Kühl kalkulierend hatte ich ihn an Bord gelassen, obwohl die Kündigung seit Wochen feststand, weil wir Engpässe haben. Bei Übergabe der Kündiung wies ich ihn an, bis Ende der Woche da zu sein und seinen Bereich zu übergeben. Als ich heute morgen kam, war er schon weg, hatte seine Sachen abgegeben und war gegangen. Es machte für ihn keinen wirtschaftlichen Sinn mehr, nur noch eine Stunde länger zu bleiben.

                      Warum arbeiten also Menschen nicht, selbst wenn sie nur die Finger ausstrecken müssten und einen (prekären) Job hätten? Als Ökonom sehe ich, unser Steuer- und Sozialsystem sind nicht aufeinander abgestimmt. In einem ziemlich breiten Bereich lohnt sich arbeiten nicht wirklich, schon gar nicht in körperlich harten Bereichen.

                      Fingerzeige gab mir eine Freundin in Berlin. Sie betreibt seit vielen Jahren einen Imbiss, der von der Stadt gepachtet ist. In dieser Branche ist man notwendigerweise auf Geringqualifizierte angewiesen. Bezahlt wird nach Mindestlohn und nach Aktivität, nicht Verfügbarkeit. Naturgemäß arbeiten dort neben Schülern und Studenten solche, die ihre Hartz-IV-Bezüge aufstocken. Die Modelle sind im Grunde immer gleich: Hartz-IV als Grundeinkommen, Minijob und Schwarzarbeit obendrauf. Das ist der Dreisatz.

                      Damit kommen die Leute über die Runden. Denn größere Verdienstaussichten haben sie angesichts ihres niedrigen Qualifikationsprofils ohnehin nicht. Auf die Art optimieren sie ihre Möglichkeiten, denn das Netto ist größer als es bei regulärer Beschäftigung wäre.

                      Es ist rational. Übrigens für beide Seiten. Festanstellungen auf Vollzeitbasis können solche Klein- und Kleinstbetriebe nicht über ihre Preise refinanzieren.

                      In Skandinavien arbeiten die Sozialämter mit viel mehr sozialem Druck. Dort sind die Communities auch kleiner. Andernorts sind die Sozialleistungen für Langzeitarbeitslose deutlich niedriger, was wirtschaftlichen Druck erzeugt. Wie jeweils das Steuer- und Sozialsystem aufeinander abgestimmt ist, weiß ich nicht. Allerdings habe ich schon oft gehört / gelesen, dass Deutschland hier besonders schlecht ist. Wenn das so ist, verwundert nicht, dass wir bei enorm hoher Beschäftigung trotzdem einen hohen Anteil Langzeitarbeitsloser haben.

                    • Stefan Sasse 30. September 2022, 07:07

                      Als ich mich letzthin im Zuge der Maskenthematik für mehr sozialen Druck aussprach, hast du das als krass unliberal zurückgewiesen. Es ist halt immer ok, wenn der soziale Druck für Dinge ist, die man mag, nicht?

                      Aber grundsätzlich: klar gibt es diese Jobs. Meine Frage war ja die, ob gerade massenhaft a) Jobs ohne Qualifikationanforderung offen sind und b) die Mehrheit der Arbeitslosen sehr niedrig bis nicht qualifiziert sind. Ich weiß es schlicht nicht. Die Signale aus der Debatte sind aber widersprüchlich: es wird permanent von einem Fachkräftemangel gesprochen. Unter Druck mögen zwar Diamanten entstehen und durch ständige Reizung Perlen, aber halt keine Fachkräfte.

                    • Stefan Pietsch 30. September 2022, 11:51

                      Danke. Du lieferst wieder ein Beispiel, warum Erwin und Thorsten inzwischen nur noch von Eurem hochstehenden Moralismus ohne Substanz genervt sind. Ihr seid die, die Debatten mit „also sind Arbeitslose faul?“ oder hier „ansonsten bist Du ja für Freiheit“ regelmäßig vergiftet.

                      In Skandinavien arbeiten die Sozialämter mit viel mehr sozialem Druck. Dort sind die Communities auch kleiner. Andernorts sind die Sozialleistungen für Langzeitarbeitslose deutlich niedriger, was wirtschaftlichen Druck erzeugt.

                      Das ist eine beschreibende Aussage. Da steckt keine Wertung, keine Priorisierung drin. Das Einzige, was unausgesprochen da steht, ist, das es eine Form von Druck braucht, um Langzeitarbeitslosigkeit nicht wuchern zu lassen. Dein Umgang damit ist unterirdisch. Ansonsten hatte ich gesagt, dass der Liberalismus vor dem Sozialstaat kam. Für Liberale sind Sozialleistungen nur Durchgangsstadion, nicht Endstadium. Das sehen Sozialisten durchaus anders.

                      CitizenK hat immer triumphierend von Dänemark erzählt, wo die Lohnersatzzahlungen besonders hoch seien. Seit dem ich ihm dargelegt habe, dass im Gegenzug enormer Druck auf Arbeitslose ausgeübt wird, hat er das von seiner Argumentationsliste gestrichen.

                      Es ist eine Lehre der Geschichte wie der Sozialforschung, dass die Mehrheit der Menschen nicht erwerbstätig arbeiten würde, wenn es nicht irgendeiner Form von Druck gäbe. Und wir wissen, je einfacher die Arbeit, desto mehr überwiegt das Erwerbsmotiv.

                      Studien des DIW wie von ILO und anderen zeigen konstant, dass Langzeitarbeitslose deutlich geringer qualifiziert sind als der Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung. Das ist Allgemeinwissen. Genauso wissen wir, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit mit abnehmenden Qualifikationsniveau zunimmt.

                      Der Anteil und die Nachfrage nach niedrig qualifizierter Arbeit ist über die Industrieländer wie in der langen Reihe in Deutschland ziemlich konstant und bewegt sich bei 7-8% der Workforce.

                      In Zeiten von Arbeitskräfteknappheit rutschen die Qualifikationen nach oben. Das bedeutet z.B., dass Du in der Buchhaltung auch solche nimmst, die zuvor in der Qualifikation eine Stufe darunter gearbeitet haben. So schiebt sich das alles nach oben und die Arbeitgeber müssen müssen mit geringeren Anforderungen leben.

                      D.h. aber, bei den einfachsten Tätigkeiten mit der geringsten Bezahlung entstehen die größten Knappheiten. Das merken Lieferservice-Dienste, Gastronomen, Reinigungsfirmen.

                      Entsprechend: der Arbeitsmarkt könnte diese Leute schon aufnehmen, wenn sie denn zur Verfügung ständen. Aber es ist eben nicht wirtschaftlich.

                    • Stefan Sasse 30. September 2022, 12:45

                      Danke. Du lieferst wieder ein Beispiel, warum Erwin und Thorsten inzwischen nur noch von Eurem hochstehenden Moralismus ohne Substanz genervt sind. Ihr seid die, die Debatten mit „also sind Arbeitslose faul?“ oder hier „ansonsten bist Du ja für Freiheit“ regelmäßig vergiftet.

                      Diskutier doch mit deinem Spiegel, echt.

                    • Stefan Pietsch 30. September 2022, 12:52

                      Als ich mich letzthin im Zuge der Maskenthematik für mehr sozialen Druck aussprach, hast du das als krass unliberal zurückgewiesen. Es ist halt immer ok, wenn der soziale Druck für Dinge ist, die man mag, nicht?

                      Was soll er Schei.?!?

                    • Erwin Gabriel 2. Oktober 2022, 10:48

                      @ Stefan Sasse 29. September 2022, 14:07
                      Aber das ändert nichts daran, dass alle Parteien dieses Ziel haben.

                      Ja, nee, is‘ klar.

                      Alle Parteien wollen eine boomende Wirtschaft, die nicht zu Lasten der Umwelt geht, ein Sozialsystem, dass niemanden zurücklässt, möglichst hohe Steuereinnahmen, möglichst niedrige Belastungen für den Bürger, eine tolle Krankenversorgung, Super-Betreuung für die Pflegefälle, Einwanderung von Leistungsträgern, Flüchtlinge, die sich ruckzuck integrieren – und den Weltfrieden.

                      Alle wollen das. Denn alle diese Dinge sind „selbstverständlich“.

                      Und dennoch unterscheiden sich die Wahlprogramme der Parteien deutlich voneinander, und genauso deutlich unterscheidet sich die verschiedenen Policies voneinander.

                      Fällt Dir was auf?

                    • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 11:16

                      Ja, aber das ist doch gerade mein Punkt? Aus der Absichtserklärung folgt nichts Konkretes. Man muss sich anschauen, welche Policies verfolgt werden, um zu diesem Ziel zu gelangen. Die FDP ist ja auch für soziale Gerechtigkeit, sie glaubt nur, das über möglichst wenig staatliche Eingriffe und Förderung der Eigeninitiative erreichen zu können. Aber würde ich behaupten, die FDP würde AKTIV die Ungleichheit befördern und hätte als Ziel arme Menschen wäre das einfach falsch.

  • Thorsten Haupts 26. September 2022, 16:19

    Zu g):

    Falsch gelabelt. Es geht um „Einordnung“ von Biologie (durch Soziologen – ROFLMAO), nicht um die Biologie als Naturwissenschaft. Die ist nämlich – zum Ärger von Genderschwurblern – doch recht eindeutig.

  • derwaechter 26. September 2022, 17:07

    10)
    Das stand schon vor Jahren so oder so ähnlich in der NYT.
    2018
    https://www.nytimes.com/2018/01/10/opinion/trumps-how-democracies-die.html

    2016
    https://www.nytimes.com/2016/12/16/opinion/sunday/is-donald-trump-a-threat-to-democracy.html

    Und dafür musste ich nur kurz nach „threat to democracy“ und Trump schauen. Ich bin mir sicher, dass es da noch deutlich mehr gibt, wenn man länger als eine Minute sucht.

    • Stefan Sasse 26. September 2022, 19:03

      Ja aber das ist doch der Punkt. Die schreiben da das eine besorgte Editorial, und dann bothsidern sie fröhlich weiter.

      • derwaechter 26. September 2022, 20:05

        „. Es ist mehrere Jahre überfällig, “

        „dass selbst die ehrwürdige NYT langsam endlich mal anerkennt“

        Klingt für mich so, als kritisierest du, dass sie das nicht früher gemacht hätten.

        Im Meinungsteil, sind die m.W. schon lange deutlich, während es im Nachrichtenteil schwierig ist ausgewogene Berichterstattung auf z.B. Trump anzuwenden. Das kann dann auch Mal nach Bothsiderism aussehen. Wie in anderen Bereichen auch, ist es schwierig mit denen umzugehen ohne die eigenen Prinzipien zu verletzten. Das hast du ja selbst schon oft thematisiert.

        Aber die Kritik daran ist m.E. völlig überzogen.
        Es dürfte sehr wenig NYT-Leser geben, die aus der Berichterstattung der Zeitung schließen, Trump könne man getrost wählen.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 16:59

          Mir geht es auch weniger um das Wählen als um die Folgerungen daraus. Die Vorstellung, alles sei schon nicht so schlimm. Aber ja, mag sein dass das überzogen ist, das ist drin.

          • derwaechter 27. September 2022, 21:49

            Selbst das halte ich für unwahrscheinlich.
            Um die NYT coverage zu Trump zu verfolgen (ich muss gestehen, dass ich deutlich mehr the Daily höhre, als auf der Homepage zu lesen) und daraus zu schließen, es sei schon nicht so schlimm, müsste man schon verdammt selektiv und voreingenommen zu Werke gehen.

  • Thorsten Haupts 26. September 2022, 17:39

    Zu 8)

    Ich fan die Vorstellung schon immer reichlich strange, dass alle Nichtweissen dauerhaft ausschliesslich Democrats wählen würden (als gäbe es bspw. keine konservativen Immigranten). Eric Kaufman nimmt das in dem (leider zu langen, aber sehr lehrreichen) „Whiteshift“ auch gründlich auseinander – die Vorstellung beruht auf völlig abwegigen Prämissen und ist schlicht Bullshit. Das war eine Wunschvorstellung auf linker und eine Panikvorstellung auf rechter Seite, keine nüchterne Beurteilung.

  • Erwin Gabriel 26. September 2022, 19:01

    @ STEFAN SASSE on 26. SEPTEMBER 2022

    1) Inflation Hurts Everyone, But So Does Unemployment

    Du bzw. Stephanie Kelton habt so unrecht nicht. Natürlich ist die aktuelle Krise durch den russischen Angriffskrieg ausgelöst, und Leitzinserhöhungen machen an dieser Stelle keinen Sinn. Das große Problem ist aber, dass der Teil der Inflation, der vorab durch „Gelddrucken“ entstand und beispielsweise maßgeblich für die Immobilienpreisentwicklung verantwortlich war, NICHT durch höhere Leitzinsen bekämpft wurde.
    Das rächt sich jetzt. Denn legt man beides übereinander und tut nichts, würden wir vermutlich bei einer Inflation von spürbar über 15 Prozent landen. Tut man, was man gerade tut, bleibt die Inflation vielleicht darunter, aber die Arbeitslosigkeit in bestimmten Bereichen steigt. Beides ist schlimm, denn die aktuelle Entwicklung trifft schon den Mittelstand heftig; für kleine Einkommen ist es eine Katastrophe.
    Wie Du das immer wieder schreibst, ist auch Nichtstun eine Entscheidung. Und die durch die Südeuropäischen Länder und durch deutsche Regierung gestützte Entscheidung, die Zinsen trotz inflationärer Entwicklungen so lange unten zu lassen, war (wie einige hier durchaus im Vorfeld bemerkt haben) eine denkbar falsche.

    4)Ein 17 Jahre alter Zombie

    … weil die von mir beschriebene Lust am Strafen im Vordergrund steht: …

    NEIN. Diese Behauptung ist und bleibt dummes Zeug.

    Wenn die Polizei Raser oder das Finanzamt Steuersünder juristisch verfolgt, steht auch nicht „die Lust am Strafen“ im Vordergrund, sondern die Ahndung eines Regelverstoßes. In all diesen Fällen wären alle Sanktionierenden sehr damit zufrieden, nicht sanktionieren zu müssen, weil kein Regelverstoß erfolgte.

    6) War alles anders?

    Wer der Überzeugung ist, dass der Staat nicht grundsätzlich das Wohl der Bürger*innen im Blick hat, …

    Das „Wohl der Bürger:innen im Blick“ kann ich auch nicht erkennen.

    Die einzelnen Regierungsparteien haben durchaus die Zuneigung ihrer Wähler im Sinn, das war es aber schon. „Der Staat“ (bzw. unser Staat, so wie ich ihn seit Merkels Amtsantritt erlebe) versucht, gleichzeitig seine Wirkmacht auf die Bürger auszudehnen und Verantwortung in Richtung EU loszuwerden.

    8) Lost Hope of Lasting Democratic Majority

    Wir wählen nicht nach unseren wirtschaftlichen Interessen, zumindest nicht nur oder auch ausschlaggebend.

    Zustimmung.

    a) Guter Punkt zu Hubertus Heil als effektivem Minister.
    Wenn man diese Politik der bewegten Geldmassen mag, kann man das nachvollziehen. Aber für mich gibt es keinen anderen Politiker von Rang, der mit solcher Vehemenz Sozialneid schürt.

    j) Dass religiöse Fanatiker ihre eigene Religion nicht kennen, ist wahrlich kein neues Phänomen. Bei Islamisten ja auch nicht anders.

    Einer der Gründe, warum ich zwar nicht den Glauben an Gott oder Spiritualität ablehne, aber Religionen verachte.

    r) Bei der BILD läuft mal wieder offener Rassismus.

    Claus Strunk habe ich schon immer für ein Schleimer und A…kriecher gehalten, der selten eines eigenen Gedankens fähig ist.

    • Stefan Sasse 26. September 2022, 19:07

      1) Mag sein, ja. Danke für die Analyse.

      4) Die Verfolgung ist es ja auch nicht, sondern das System selbst.

      6) Das geht mir als pauschale Kritik schon viel zu weit. Ich finde das geradezu grotesk unfair. Die Regierungen haben beileibe nicht nur klientelistisch ihre Wählenden im Blick. Könnten sie das alles wesentlich besser machen? Überhaupt keine Frage. Aber die Vorstellung, die du hier formulierst, ist geradezu dystopisch. Und demokratieschädigend in ihrer Maßlosigkeit. Sorry, dass ich das so hart formuliere, aber ich finde es einfach völlig überzogen.

      a) Klar, das ist fair. Aber ich denke es ist gerechtfertigt zu sagen, dass er ALS SOZIALDEMOKRAT effektiv agiert. Wir müssen ja die Performance eines FDP-Ministers oder CDU-Ministers auch auf deren eigener Basis evaluieren.

      j) Jepp.

      r) Ich kenn ihn glücklicherweise nicht.

      • Erwin Gabriel 26. September 2022, 22:24

        @ Stefan Sasse 26. September 2022, 19:07

        4) Die Verfolgung ist es ja auch nicht, sondern das System selbst.

        Grundsätzlich agiert ein System nicht „lustvoll“ – nie. Und grundsätzlich gehören zu jedem System Regeln, und zu jeder Regel gehören Sanktion bei Nichteinhaltung.

        a) Klar, das ist fair. Aber ich denke es ist gerechtfertigt zu sagen, dass er ALS SOZIALDEMOKRAT effektiv agiert.

        Wenn das Anstacheln von Sozialneid und eine möglichst große Umverteilung nach unten ohne Bedacht möglicher Folgen sozialdemokratisch ist, dann hat sich die Partei, seitdem ich sie das letzte Mal gewählt habe, stark verändert. Das Verhalten hätte ich eher den LINKEN zugeschrieben.

        Wir müssen ja die Performance eines FDP-Ministers oder CDU-Ministers auch auf deren eigener Basis evaluieren.

        Ja, nee, is‘ klar …

        Dann lies Dir nochmal die Kommentare durch, die hier kommen, wenn es um Schuldenbremse, Tempolimit und anderes geht. 🙂

        • CitizenK 27. September 2022, 06:22

          „Anstacheln von Sozialneid“

          Heil? Wie zeigt sich das?

        • Dennis 27. September 2022, 10:38

          Zitat Erwin Gabriel:
          „Wenn das Anstacheln von Sozialneid und eine möglichst große Umverteilung nach unten ohne Bedacht möglicher Folgen sozialdemokratisch ist, dann hat sich die Partei, seitdem ich sie das letzte Mal gewählt habe, stark verändert.“

          In solchen Fällen ist es nicht zuletzt so, dass sich der/die Wähler:in ändert. Merk ich jedenfalls bei mir^ . Allerdings ist das einem eher unangenehm. Man will ja schon immer alles richtig gemacht haben. Als Wechselwähler hab ich schon alle vier (CDU/SPD/FDP/Grüne) angekreuzelt, ja nach Sachlage. Neid vertreten die alle – man muss nur den Neidbegriff ausreichend exzessiv auffassen^.

          Die SPD hat übrigens noch nie offiziell was anderes vertreten als „demokratischen Sozialismus“. Steht so – mindestens sinngemäß oder auch explizit – in ALLEN Parteiprogrammen seit anno dunnemals, einschließlich Godesberg.

          Für Sozialneid ist auch die progressive Einkommensteuer ein typischer Fall. Welchen Grund soll’s denn dafür geben außer Neid? Der Umverteilungseffekt ist jedenfalls objektiv nicht bestreitbar. In UK beispielsweise war das mal William Pitt (der Jüngere), der das eingeführt hat, ist lange her. Die Neider sind überall.

          Am besten, man bezeichnet gleich ALLE Steuern als Neidsteuern, das hat ja was für sich. Am Ende des Tages entsteht dann die Frage, was Kampfbegriffe jenseits des Lustgefühls eigentlich bewirken sollen.

          • Stefan Pietsch 27. September 2022, 10:50

            Steuern folgen Prinzipien. Sollten sie zumindest, sonst kommen wir in Regionen, wo Sie Recht haben. Das oberste Prinzip ist, dem Staat Einnahmen zu verschaffen. Dann gibt es das wirtschaftsliberale Ziel, dass Steuern das Verhalten der Bürger möglichst wenig beeinflussen sollten. Oder das Prinzip der Gleichmäßigkeit und der horizontalen wie vertikalen Steuergerechtigkeit.

            Prinzipien drängen eben solch subjektive Kriterien zurück. Deswegen ist es so wichtig, dass sich der Staat bei der Besteuerung an die festgelegten Prinzipien hält und sie nicht willkürlich nach politischer Opportunität ändert.

            Die progressive Einkommensteuer folgt dem Prinzip, dass der Euro mit steigendem Einkommen weniger Nutzen stiftet. Wenn ein Millionär 100 Euro dazuverdient, hat er davon weniger als wenn dies einem Geringverdiener widerfährt. An dieser grundsätzlichen Einschätzung gibt es keinen gesellschaftlichen Dissens. Doch das Prinzip wird eingehegt durch andere Prinzipien. Neben den erwähnten ist es das Grundrecht auf Eigentum. Wenn der Millionär den wesentlichen Teil, also mehr als die Hälfte seines Zuverdienstes, konfisziert bekommt, ist das Prinzip für viele verletzt.

            Aber das hat alles nichts mit Neid zu tun. Neid ist dann, wenn plötzlich ohne objektivierbaren Grund die Steuerbelastung für eine (kleine) Gruppe gesondert angezogen wird. Denn dann liegt offenbar der Bruch von Prinzipien vor und die Forderungen beruhen auf niederen Instinkten.

            • CitizenK 27. September 2022, 14:35

              „Prinzip, dass der Euro mit steigendem Einkommen weniger Nutzen stiftet“

              Dieses (vernünftige und durch Erfahrung bestätigte) Prinzip würde nicht verletzt durch eine maßvolle Verstärkung der Progression. Auch nicht durch eine (Super-)Reichen-Steuer.

              • Stefan Pietsch 27. September 2022, 16:08

                Heute scheinen Sie mir das Argumentieren besonders leicht machen zu wollen. Sie belegen nämlich gerade die Willkür und den Neidreflex. Sie sagen, ein bisschen mehr kann’s doch ruhig sein, dabei belegt das genau Ihre „moralisch niederträchtige“ Haltung (Erklärung siehe oben).

                Eine Regel wird bereits dann verletzt, wenn ein bisschen vom Kern abgewichen wird. Eine rote Karte im Fußball ist eine rote Karte. Sie nicht zu zeigen, ist nicht Toleranz oder „Fingerspitzengefühl“, sondern benachteiligt eklatant die Mannschaft, die fair spielt.

                In Deutschland haben wir uns auf einen linear-progressiven Steuertarif geeinigt. Dieses Maß an Gerechtigkeit trägt seit Jahrzehnten. Es besagt, dass der Grenznutzen nach unserem gemeinsamen Verständnis linear sinkt, weshalb die Steuersätze steigend (progressiv) gestaffelt sind. Der Grenznutzen von jedem zusätzlichen 100€-Schein nimmt danach um 0,4% ab. Nicht 0,1% und nicht 2%. Da wir annehmen, dass der Nutzen gleichbleibend abnimmt, können wir nicht auf einmal sagen: Ab einem Einkommen von X sind es aber 2%!

                Das, CitizenK, ist die Willkür und Ihr Neidreflex, den Sie gerade wieder vorgeführt haben. Wir können fragen, ob der Grenznutzen wirklich um 0,4% abnimmt und nicht eher um 0,6%. Aber dann lassen wir den Tarif generell schärfer ansteigen. Und wer sagt eigentlich, dass im Eingangsbereich nur mit 14% besteuert werden muss, vielleicht sind ja auch wie zu Kohls Zeiten 22% angemessen?

                • CitizenK 28. September 2022, 06:52

                  Der Neid-Vorwurf ist kein Argument.
                  „…haben wir uns auf einen linear-progressiven Steuertarif geeinigt.“
                  Eben: Geeinigt. Wir können uns auch auf einen anderen einigen. Von kurzfristig war keine Rede.
                  Mit Prinzipien gehen Sie ja recht opportunistisch um: Der Grenznutzen ist nicht objektiv messbar. Oder wollen Sie im Ernst behaupten, 100 Euro mehr im Monat hätten für einen DAX-CEO den gleichen Nutzen wie für mich oder gar für Bürgergeld-Empfänger?

                  • Stefan Pietsch 28. September 2022, 12:16

                    Sie weisen beharrlich den Vorwurf, nur aus Neid heraus zu argumentieren, ebenso zurück wie den Vorwurf, Ihnen sei der Rechtsstaat egal. Nur, genau das bestätigen Sie immer.

                    Sie sagen, es stände der Mehrheit ja frei, den Tarif beliebig zu ändern und auch zu entscheiden, dass man ab einer Einkommensgrenze X viel weniger Nutzen von seinem Einkommen habe als unterhalb dieser Grenze, weshalb die höhere Besteuerung gerechtfertigt sei.

                    In diese Begründung packen Sie beides: den Neid und die Missachtung des Rechts. Warum ab Grenze X, warum nicht ab Y? Willkür, bei der das eigentliche Prinzip durchbrochen wird, nämlich mit einer gleichbleibenden Rate höher zu besteuern.

                    Und Sie wissen nicht, wofür es den Rechtsstaat gibt, obwohl Ihnen die Weltlage täglich Anschauungsunterricht gibt. Der Rechtsstaat schützt nicht den Staat und er schützt auch nicht die Mehrheit, die schon kraft ihrer Übermacht über alles hinwegtrampeln kann. Und so begründeten Sie in der Pandemie ja auch Ihre Forderungen nach Grundrechtseinschränkungen (also den Schutz des Individuums und der Minderheiten): Wenn die Mehrheit will, kann sie. Wir brauchen den Rechtsstaat, um die Prinzipien zu schützen und damit den Einzelnen. Das ist Ihnen nichts wert, denn Sie stellen die Prinzipien ins Belieben einer Mehrheitsentscheidung.

                    So ist es nicht. Das Recht schützt den Einzelnen, vor allem vor der Übergriffigkeit der Mehrheit, wie Sie es immer skizzieren. Wir haben übrigens schon eine Reichensteuer, die so begründet ist, wie Sie es sagen – und die Rechtmäßigkeit überhaupt noch zu entscheiden ist. Aber die Mehrheit will es.

                    Wissen Sie, dass unsere Verfassung so Begriffe wie soziale Gerechtigkeit und linear-progressive Besteuerung gar nicht kennt? Dafür aber Gleichförmigkeit, Gerechtigkeit, Gleichbehandlung usw. Wie kommen wir zu einem Steuertarif, der die starken Schultern stärker belastet als die schwachen? Denn dazu findet sich kein Satz.

                    Ich wette, Sie haben noch nie von „gleichem Nutzenopfer“ gehört. Dieser Ansatz ist die theoretische Grundlage unseres Einkommensteuertarifs. Und theoretische Grundlagen, das vorweg, lieber CitizenK, lassen sich nicht nach Laune verbiegen.

                    Das Grundgesetz verlangt, dass Menschen gleich behandelt werden, egal ob Bettler oder Millionär. Das gilt auch für die Besteuerung. Doch was ist eine gleichmäßige Besteuerung, wenn Einkommen so eklatant auseinanderfallen?

                    In der Theorie gehen wir von gleichen Nutzenopfern aus. D.h., wenn jeder auf den gleichen Nutzen bei seinem Einkommen verzichtet, dann ist die Gleichheit der Besteuerung verfassungsrechtlich gewahrt.

                    Der Gesetzgeber muss also Annahmen über den Nutzen treffen, den ein zusätzlicher 100€-Schein beschert. Die zugrundeliegende Theorie des linear-progressiven Steuertarifs geht davon aus, dass der Nutzen linear mit steigendem Einkommen abnimmt. Deswegen besteuern wir jeden 100€-Schein mit einer gleichbleibenden Rate immer etwas höher.

                    Haben Sie das technisch wie inhaltlich verstanden? Bisher machten Sie nicht den Eindruck.

                    Auf Basis dieser Theorie ist eine linear-progressive Besteuerung verfassungskonform. Daraus könn(t)en Sie aber ableiten, was nicht geht: Der Steuergesetzgeber kann nicht für eine willkürlich gewählte Gruppe den Nutzenentzug beliebig anders festlegen. Das widerspricht der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wie der Willkürfreiheit.

                    Sie sehen nur die Mehrheit (Demokratieprinzip). Sie ignorieren (verachten?) die Prinzipien des Rechts – des Rechts, das eben die Minderheit schützt.

                    Noch dazu:
                    Oder wollen Sie im Ernst behaupten, 100 Euro mehr im Monat hätten für einen DAX-CEO den gleichen Nutzen wie für mich oder gar für Bürgergeld-Empfänger?

                    Sie verstehen offensichtlich nichts. Denn ich schrieb schon zu Beginn:
                    Die progressive Einkommensteuer folgt dem Prinzip, dass der Euro mit steigendem Einkommen weniger Nutzen stiftet. Wenn ein Millionär 100 Euro dazuverdient, hat er davon weniger als wenn dies einem Geringverdiener widerfährt.

                    Was haben Sie daran nicht verstanden?!?

                    • Stefan Pietsch 28. September 2022, 12:22

                      Wir hatten übrigens schon den Fall zu entscheiden, dass der Steuergesetzgeber für eine willkürlich festgelegte Gruppe den Nutzenentzug einfach höher angesetzt hatte. Das war der sogenannte „Waigel-Buckel“ und wurde von Karlsruhe in den Neunzigerjahren als verfassungswidrig verworfen. Können Sie mal nachlesen.

                    • Erwin Gabriel 2. Oktober 2022, 10:51

                      Stefan Pietsch 28. September 2022, 12:16

                      Der Rechtsstaat schützt nicht den Staat und er schützt auch nicht die Mehrheit,

                      Wir brauchen den Rechtsstaat, um die Prinzipien zu schützen und damit den Einzelnen.

                      So richtig. Sagt alles.

                    • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 11:22

                      Gehe ich voll d’accord. Wenn jemand den Rechtsstaat nicht braucht, dann der Staat. Das sind Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, die größe Errungenschaft des Liberalismus und unser größter Schatz.

              • Dennis 27. September 2022, 17:58

                „Prinzip, dass der Euro mit steigendem Einkommen weniger Nutzen stiftet“

                Auch bei so genannten Prinzipien handelt es sich um Wertentscheidungen; „objektiv“ ist in der Politik überhaupt nichts, sonst wäre Politik entbehrlich. Das mit dem abnehmenden Nutzen stimmt sowieso nicht; draufsatteln geht immer. Warum nur einen Porsche? Warum nicht zwei oder drei in verschiedenen Farben? Das ist mir wichtig und ein bedeutender Nutzen. Auch die Zusatznutzensache ist eine reine Wertentscheidung.

                Bei allen Wertentscheidungen gilt: Sie können durch andere Wertentscheidungen ersetzt werden. In diesem Fall beispielsweise durch eine flat tax (gab oder gibt es mancherorts); oder irgendwas mit Stufen, davon nur zwei oder fünf oder sonstewas oder Kombinationen aller Art. Die flat tax haben wir übrigens bei Einkünften aus Kapitalvermögen (mit Günstigerprüfung nebst allerlei Besonderheiten). Oder gar keine direkten Steuern, nur indirekte; dafür gibt es durchaus Argumente: Wenn ich beim Rossmann ’ne Rolle Klopapier kaufe, muss die persönliche Einkommensteuer der Familie Rossmann im Preis anteilig enthalten sein. Der Konsument bezahlt am Ende der Kette sowieso ALLES – mal abgesehen von den unzähligen Umverteilungswegen, für die es allerdings auch Argumente gibt. Um Verteilungsgerechtigkeit geht’s am Ende. Jetzt muss nur noch jemand genau wissen unter welchen Umständen selbige jeweils „richtig“ erfüllt ist und alles wird gut 🙂

                Im Übrigen heißt das politisch Gewünschte jeweils „natürlich“ oder „objektiv“ oder so was, was nach unumstößlich klingt. Bei unerwünschten Sachen empfehlen sich Kampfbegriffe wie „Neid“.

                • Stefan Sasse 27. September 2022, 18:01

                  Exakt.

                  • Erwin Gabriel 28. September 2022, 20:13

                    @ Stefan Sasse 27. September 2022, 18:01

                    Exakt.

                    Natürlich nicht.
                    Probier es doch mal im Selbstversuch

                • Stefan Pietsch 27. September 2022, 20:41

                  Nun, jetzt weiß ich, dass Sie noch nie Porsche gefahren sind. Wie wollen Sie also den Nutzen ermessen?

                  Bei allen Wertentscheidungen gilt: Sie können durch andere Wertentscheidungen ersetzt werden.

                  Ja ich weiß, dass Linke so denken. Deswegen unterstellen Konservative und Liberale ihnen ja, keine echten Werte zu besitzen. Von Erwin, Thorsten oder mir werden Sie so etwas nie lesen. Denn ein Wertefundament ist etwas Festes, das man anders als die Unterhose nicht jeden Morgen wechselt. Deswegen gilt in Demokratien auch eine sehr hohe Hürde, die die Werte einer Gesellschaft tangieren. Verfassungsänderungen benötigen meist sehr hohe Quoren und müssen von mehreren Kammern und Gebietskörperschaften bestätigt werden. In Deutschland kann keine Bundesregierung einfach am Einkommensteuertarif rumhantieren, es ist immer noch die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

                  D.h. es sind breite gesellschaftliche Mehrheiten erforderlich. Da aber die wenigsten ihre fundamentalen Werte und Überzeugungen so wie Linke wechseln, ist das sehr träge. Und so ist es gewollt.

                  Das war aber nicht der Punkt und wie CitizenK legen Sie wert darauf, ihn zu ignorieren: Ein Prinzip nur für eine kleine Gruppe aufzubrechen, hat nichts mit Werten zu tun und ist deswegen in Rechtsstaaten nicht zulässig.

                  Wenn ich beim Rossmann ’ne Rolle Klopapier kaufe, muss die persönliche Einkommensteuer der Familie Rossmann im Preis anteilig enthalten sein.

                  Wo haben Sie denn das gelernt? Schon mal den Begriff „Residualgröße“ gehört?

                  Was machen eigentlich die Klein- und Mittelgewerbetreibenden, die keinen oder einen so geringen Gewinn erwirtschaften, dass keine Einkommensteuer gezahlt werden kann? Subventioniert dann der Steuerzahler die geizigen Konsumenten? So war doch die Argumentation bei den Aufstockern, oder erinnere ich mich da falsch?

                  • CitizenK 27. September 2022, 21:33

                    Wenn das beim Geld so stimmt mit dem abnehmenden Grenznutzen: Warum sind Sie dann so scharf auf immer mehr?

                    • Stefan Pietsch 28. September 2022, 11:23

                      1. Sie hören nicht zu. Ich schrieb davon, dass ich schon zu Beginn meines Studiums das Ziel hatte, deutlich überdurchschnittlich zu verdienen. Ich hatte mir dazu auch eine Hausnummer sowie Position gesetzt. Von „immer mehr“ habe ich dagegen nicht geschrieben.

                      2. Auch ein abnehmender Grenznutzen führt immer noch zu einem Mehr an Nutzen. Der fünfte Trüffel schafft nicht unbedingt das gleiche Gefühl an Befriedigung wie der dritte, aber immer noch.

                      Ich komme im nächsten Kommentar noch darauf zurück, aber schon die dringende Bitte: lesen Sie, was ich schreibe und verfälschen Sie es nicht.

              • Erwin Gabriel 28. September 2022, 19:47

                @ CitizenK 27. September 2022, 14:35

                Dieses (vernünftige und durch Erfahrung bestätigte) Prinzip würde nicht verletzt durch eine maßvolle Verstärkung der Progression.

                Auch nicht durch eine maßvolle Abschwächung der Progression. Auch nicht durch eine Verschiebung der gesamte Steuerkurve in Richtung höhere Einkommen, so dass JEDER mehr hätte, der Steuern zahlt.

                Warum geht es bei Dir denn immer mit den Steuern hoch? Weil der Staat immer mehr Geld „braucht“ (= ausgeben will)? Warum ist das so?

                Ja, man kann über Steuern und deren Auslegung trefflich diskutieren. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

                Das kommt, wenn als Axiom angenommen wird, dass der Staat das Recht hat, über den Inflationsausgleich hinaus Jahr für Jahr seine Ausgaben um 10 Prozent zu steigern, und dass eine sehr schmale Bevölkerungsgruppe dafür verantwortlich ist, diese Ausgaben zurückzuerstatten.

                • CitizenK 28. September 2022, 21:48

                  Einverstanden. Aber dann verstehe ich nicht, warum Du Dich konstant weigerst zu sagen, welche Ausgaben wegfallen sollen.

                  Bei der Forderung nach einem effizienteren Staat bin ich dabei. Bitte um Ideen und Vorschläge.

                  • Stefan Pietsch 28. September 2022, 22:15

                    Hab‘ ich! Hab‘ ich!

                    Von 2011 bis 2021 (Pandemiejahr) stieg das BIP um 34% auf 3,6 Billionen Euro. Die Steuereinnahmen nahmen im gleichen Zeitraum von 573,4 Milliarden Euro auf 833,2 Milliarden Euro zu. Das ist ein Plus von 45%, obwohl die Wirtschaft geschwächt war.

                    Wären die Steuereinnahmen mit der gleichen Wachstumsrate wie die Wirtschaftsleistung gestiegen, heute 66 Milliarden Euro weniger einnehmen. Pro Jahr, Tendenz deutlich steigend.
                    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/75423/umfrage/steuereinnahmen-in-deutschland-seit-1999/

                    Wieso braucht der Staat ein stärkeres Einnahmewachstum als die Basis, die Wirtschaftsleistung, zunimmt? Dafür gibt es keine Begründung. Da haben Sie Ihre Ersparnis.

                    Sagen Sie ja, dann glauben Erwin und ich Ihre Behauptung, Sie seien für den effizienteren Staat. Andernfalls ist sie nicht glaubwürdig. Stefan übrigens ist so ehrlich zu sagen, dass ihm das nichts ausmacht, denn er meint, der Staat könne mit dem Geld besser umgehen. Nun sind Sie dran.

                    • Erwin Gau 30. September 2022, 13:01

                      Hallo Stefan

                      Citizen liest nicht richtig. Er liest selektiv, und das, was er aufnimmt, wird von ihm „interpretiert“.

                      Ich habe schon öfter erklärt, was der Staat meiner Meinung nach zu leisten hat und was nicht. Interessiert ihn nicht, solange ich nicht sage, dass bei Leistung x 30% gekürzt werden soll etc.

                      Da macht Diskutieren keinen Sinn.

                    • Stefan Pietsch 30. September 2022, 13:52

                      Citizen liest nicht richtig.

                      Das weiß ich. Das habe ich die letzten Tage ja zur Genüge erfahren.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:03

          4) Da bin ich bei dir. Klar sind Systeme nicht lustvoll, aber Leute, die sie bestimmen, eventuell. Aber das ist nur Semantik. Wir haben schon im Originalartikel festgestellt, dass wir die „Lust“ unterschiedlich konnotieren.

          a) Naja, da bist du ja auch sehr unfair beziehungsweise parteiisch. Siehe auch dein weiterer Kommentar. Das ist halt deine (valide) Sicht der Dinge.

          • Erwin Gabriel 28. September 2022, 15:42

            @ Stefan Sasse 27. September 2022, 17:03

            4) Wir haben schon im Originalartikel festgestellt, dass wir die „Lust“ unterschiedlich konnotieren.

            Lust ist eine intensiv angenehme Weise des Erlebens, die sich auf unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung zeigen kann, zum Beispiel beim Essen und Trinken, bei sportlichen Aktivitäten oder bei der Arbeit, vor allem aber als Bestandteil des sexuellen Erlebens.
            [Quelle: Wikipedia]

            a) Naja, da bist du ja auch sehr unfair beziehungsweise parteiisch.

            Was ja nicht das Gleiche ist. Wenn ich aufgrund eines überdurchschnittlichen Einkommens von einem Minister moralisch verurteilt und für das (Un)wohl anderer Menschen verantwortlich gemacht werde, nenne ich das „Populismus“ und „Spalten“.

            Ich bin bei weitem nicht gegen jedes seiner Ziele, aber seine Art, Wohlstandsunterschiede grundsätzlich als systembedingt und Armut oder Reichtum als irgendwie grundsätzlich unverdient darzustellen, lehne ich ab.

            • Stefan Sasse 28. September 2022, 17:22

              Ich glaube, du überinterpretierst Heil da auch deutlich.

      • CitizenK 27. September 2022, 08:21

        „ALS SOZIALDEMOKRAT effektiv….“

        Klingt, als wäre das eine ganze andere Kategorie als „richtig“ oder „falsch“. Heil nimmt für sich in Anspruch, für mehr soziale Gerechtigkeit zu handeln. Ist das für Dich inzwischen auch gleichbedeutend mit Sozialneid?

        • Erwin Gabriel 27. September 2022, 16:16

          @ CitizenK 27. September 2022, 08:21

          Heil nimmt für sich in Anspruch, für mehr soziale Gerechtigkeit zu handeln. Ist das für Dich inzwischen auch gleichbedeutend mit Sozialneid?

          Nicht inzwischen – immer gewesen. „Gerechtigkeit“ ist ein subjektives Empfinden, mehr nicht. Wer also mehr „Gerechtigkeit“ fordert, erklärt die aktuelle Situation für ungerecht. Wenn man das um das Wörtchen „sozial“ ergänzt, bedeutet „mehr Gerechtigkeit“ ausschließlich „mehr Geld“. Es bedeutet schlicht, dass man den einen wegnehmen will, um den anderen zu geben.

          Das beide Seiten dazu eine unterschiedliche Sicht entwickeln – den einen wird suggeriert, dass sie Anspruch auf mehr Geld haben und das auch kriegen würden, wenn die bösen Besserverdiener / Reichen sich nicht so sperrig verhalten würden; den anderen unterstellt man, dass sie sich auf Kosten der „Gesellschaft“ ein schönes Leben machen (was die allermeisten, die gut verdienen, besser wissen).

          Und ja, das ist das Schüren von Sozialneid, und Minister Heil ist großartig darin, diese Botschaft zu vermitteln.

          • Thorsten Haupts 27. September 2022, 16:45

            … bedeutet „mehr Gerechtigkeit“ ausschließlich „mehr Geld“. Es bedeutet schlicht, dass man den einen wegnehmen will, um den anderen zu geben.

            Das ist die schlichte Essenz „demokratischen Sozialismus“ :-).

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:07

          Ich red doch nicht von Sozialneid?

    • Ariane 27. September 2022, 01:22

      1)Das große Problem ist aber, dass der Teil der Inflation, der vorab durch „Gelddrucken“ entstand und beispielsweise maßgeblich für die Immobilienpreisentwicklung verantwortlich war, NICHT durch höhere Leitzinsen bekämpft wurde.

      Jep und man muss auch sehen, dass das oft nicht so funktioniert hat, in dem Sinne, dass das günstige Geld freudig genommen wurde, um damit groß zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen und möglichst noch Innovationen voranzutreiben. Also so, wie das ja eigentlich in der Idealwelt gedacht ist.
      Ist schon ein Hinweis, dass das nicht zwingend alles so funktioniert, wie es gedacht ist.

      a) Hubertus Heil

      Ich muss ja sagen, dass Heil tatsächlich so einer ist, warum die SPD meist noch meine Stimme bekommt, auch wenn ich oft an ihr verzweifle. Absolut unsichtbar, macht seine Arbeit, bekommt auch recht viel durch, Gesetze scheinen handwerklich gut gemacht (in dem Sinne, dass man nix von Chaos hört). Dummerweise gewinnt man damit absolut keine Wahlen, aber ich weiß unsichtbares, effizientes vor-sich-hinregieren durchaus zu schätzen. ^^

      • Thorsten Haupts 27. September 2022, 11:05

        … aber ich weiß unsichtbares, effizientes vor-sich-hinregieren durchaus zu schätzen.

        Yup!

      • Erwin Gabriel 28. September 2022, 20:11

        @ Ariane 27. September 2022, 01:22

        Jep und man muss auch sehen, dass das oft nicht so funktioniert hat, in dem Sinne, dass das günstige Geld freudig genommen wurde, um damit groß zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen und möglichst noch Innovationen voranzutreiben.

        Ja. Es war einfach deutlich mehr Geld im Markt, als benötigt wurde. Und das floss hauptsächlich in den Immobilienmarkt.

        Absolut unsichtbar, …

        Komisch, ich stolpere dauernd über den.
        Ich vermute aber, dass Du „frei von Skandalen“ meinst; in dem Fall (wie auch zum Thema Effizienz) kann ich zustimmen.

        Aber gerade durch seine eher skandalfreie Art betreibt er auch das Spalten effizient. Wenn Du einen Krakeler aus der AfD oder von den Linken hast, wird ja gleich abgewunken, hier nicht.

        Ich denke, dass wir in der Betrachtung seiner Person sehr ähnlich liegen, wir nur von entgegengesetzten Seiten gucken.

        • Ariane 29. September 2022, 01:30

          Es war einfach deutlich mehr Geld im Markt, als benötigt wurde. Und das floss hauptsächlich in den Immobilienmarkt.

          Ja auch. Es hat aber IMO auch etwas mit dem Wohlstandsgefälle zu tun, Leute, die Wohnungen zum Weitervermieten kaufen (und wenn man den passenden Job oder Eigenanteil hat, wurden einem die Kredite nachgeworfen), sind nicht zwingend die, die nicht wissen, wie sie ihre Wohnung im Winter heizen sollen. Das Problem kann die EZB aber nicht lösen, wenn sie Geld abzieht, trifft es halt nicht nur Spekulanten. (da sehe ich es wie Lemmy, bisschen pervers, darüber zu jammern^^).
          Sehen wir ja auch an den Entlastungspaketen, entweder verteilt der Staat Geld an alle, also auch die, die es nicht zwingend bräuchten. Oder er muss eine Art von Bedürftigkeitsprüfung machen und das ist alles furchtbar aufwendig und schafft Bürokratie und irgendwer wird immer vergessen.

          Ich vermute aber, dass Du „frei von Skandalen“ meinst; in dem Fall (wie auch zum Thema Effizienz) kann ich zustimmen.

          Dieses Spalten sehe ich nicht, allein schon weil er dafür mehr Schlagzeilen produzieren müsste. Wie gesagt, eigentlich hört man nur von ihm und seinem Ministerium, wenn er wieder etwas erreicht hat. Man hört nichts von Chaos oder Unmut und er erzählt keinen Scheiß in der Öffentlichkeit. Obwohl er ein großes Ministerium hat und nicht Entwicklungsminister ist. (siehe im Vergleich zb Wissing oder Lambrecht, da ist ständig Unruhe drin.)

        • Stefan Sasse 29. September 2022, 08:16

          Von Hubertus Heil höre ich auch praktisch nichts. Aber das ist vermutlich wieder so ein Blasending.

  • Lemmy Caution 26. September 2022, 21:40

    3) die Energiepreise sind viel zu hoch.
    https://www.bricklebrit.com/stromboerse_leipzig.html
    Normal wären hier 50 euro. Habeck versteht das nicht. Diese Preise sind einfach nur noch disruptiv. Marktwirtschaften können mit solchen Preisturbulenzen schlecht leben. Deshalb folgten ja auf diese Ölkrisen 73 und 81 die relativ schweren Rezessionen.
    Wir bewegen uns möglicherweise auf eine ökonomische Umwelt hin, in der Resilienz viel wichtiger wird als Effizienz. Zur Versorgungssicherheit auch von Lieferketten würden wir Teile der Produktion dann wieder de-globalisieren (noch treffender ist de-chinaisieren). Dafür benötigen wir mehr und nicht weniger Energie. Aus demographischen Gründen haben wir weniger Redundanzen für den Produktionsfaktor Arbeit, d.h. weniger Arbeitslosigkeit. Auch das wirkt – neben den Energiemärkten – potentiell preistreibend.
    Hier hat Thomas Strobl auf etwas sehr interessantes hingewiesen: https://twitter.com/ThomasStrobl7/status/1574466444695408686 . Sind nur ca. 40 Minuten in Englisch. Der Rest ist Ungarisch. Wer einmal die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge aus einer sehr anderen Perspektive sehen will. … hat mit Orban absolut null zu tun, falls das jemand denkt.

    • Lemmy Caution 26. September 2022, 22:00

      Die Idee „Die Energiepreise sind durch die Decke. Oh prima, dann können wir die Energiewende jetzt ganz schnell umsetzen.“
      WON’T HAPPEN.
      Erzeugt in mir kalter Haß. Ich habe das gerade mit dem unseeligen und gleichzeitig nach wie vor sehr unterhaltsamen krachend gescheiterten Verfassungsreferendum durch.
      Ich bin ja für Energiewende. Man muss aber die Situation realistisch einschätzen. Gerade progressive Kräfte verlieren da leicht den Überblick. Unser Sozialstaat ist ja auch nicht in ein paar Jahren hochgezogen werden. 2 Schritte vor und schon mal 1 Schritt zurück. Die Energie des Gegenwindes kann sonst gewaltig werden.

      • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:02

        True. (Erwin, wo bist du, wenn man dich mal braucht, hier hasst jemand! :P)
        Aber gleichzeitig muss man halt auch klar benennen was da bisher falsch lief und langfristige Strategien entwickeln.

    • Thorsten Haupts 27. September 2022, 09:57

      … hat mit Orban absolut null zu tun, falls das jemand denkt …

      War mit dem Namen Thomas Strobl auch praktisch ausgeschlossen :-).

      • cimourdain 27. September 2022, 14:29

        Dann raten Sie mal, welcher von beiden Familienangehörige in leitender Funktion von staatsnahen Fernsehsendern postiert und wer von beiden Probleme mit der Justiz wegen unzulässiger Eingriffe in ein Strafverfahren hat ?

        • Thorsten Haupts 27. September 2022, 16:43

          Bevor Sie in die falsche Richtung zielen – Thomas Strobl hat mit der politischen Strobl-Familie nix zu tun und hat u.a. früher mal das Blog weissgarnix betrieben :-).

          • cimourdain 27. September 2022, 21:02

            Danke, diesen Strobl kannte ich noch nicht

    • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:00

      „Verstehen“ ist glaube ich nicht das Problem…

  • Ariane 26. September 2022, 23:19

    1) Die Inflation mit einer schweren Rezession und quasi einer Verelendung der Massen zu bekämpfen scheint mir auch gelinde gesagt, recht extrem. Wie das Haus abfackeln, weil man sich die Heizung nicht leisten kann.

    Gerade weil wir es hier nicht mit einer typischen Lohn-Preis-Spirale zu tun haben, bei der mehr Geld im Umlauf ist, sondern mit externen Schocks, bei denen auch noch schwer einzuschätzen ist, ob und wie dauerhaft sie wirken. Wirtschaftskram ist ja nicht so mein Gebiet, aber die Pragmatikerin in mir sagt, dass es vermutlich vernünftig ist, erstmal dafür zu sorgen, dass die Leute essen und heizen können und sich damit Zeit zu erkaufen, die anderen Probleme zu lösen. Sonst hat man einfach noch ein zusätzliches Problem geschaffen.

    2)
    Das Verhältnis von Kindern und Eltern hat sich auf vielen Feldern ziemlich massiv verändert

    auf jeden Fall! Bin übrigens auch Fan von Inke Hummel und Nora Imlau, die im Artikel erwähnt werden und folge ihnen auf Twitter. Da hat sich enorm viel getan und ich würde diese „revolutionäre Veränderung“ nicht mal auf Eltern, Kinder, Gewalt und Trost begrenzen, sondern ich glaube, dass es zumindest in Teilen einen deutlich anderen Umgang mit „Gefühle zeigen“ gibt. Dass es auch für Erwachsene normal ist, dass sie mal Trost brauchen. Dass es gesund ist, mal zu jammern oder zu weinen. Whatever.

    Vielleicht habe ich da auch eine sehr nette Bubble, ist noch nicht überall so und es gibt auch eine starke Gegenbewegung, aber insgesamt würde ich sagen, ist es deutlich normaler, Gefühle nicht als störend, sondern wichtig zu empfinden und den Umgang damit. (mitsamt komischen Auswirkungen wie diesem Achtsamkeitsscheiß, den ich jetzt nicht unbedingt haben muss^^) Könnte vielleicht auch mit der anderen Herangehensweise bei HartzIV zu tun haben, siehe Punkt 5.

    Kurze Abschweifung: Ich finde es ganz spannend, da ich ja per Twitter auch ne relativ große FDP-Blase gerade bei jungen Leuten hab und da zum Beispiel ganz entgegen dem Klischee auch häufig Thema ist, dass zb psychische Erkrankungen normalisierter werden und etliche sich strikt gegen Bodyshaming aussprechen usw. Es tut sich auf jeden Fall etwas.

    7)
    Lange Rede, kurzer Sinn: die Reduzierung von Müttern ist kein Merkmal von Videospielerzählungen, sondern von Erzählungen, period.

    Jep. Bei Vätern ist es meist andersrum, ich hatte da mal eine interessante Diskussion zu „Der Tag an dem die Erde stillstand“, in dem im Film wohl ein Vaterkonflikt hineingeschrieben wurde, der in der Originalerzählung überhaupt nicht vorkommt.
    Ich persönlich hab ja einen totalen Hass auf diese Vater-Kind-Konflikte, die oft in Actionfilmen sind oder Katastrophenfilmen. So Liam-Neeson-mäßig. Vater kümmert sich einen Scheiß, Tochter wird entführt, Vater ballert alles nieder, rettet sie und zack! Vater des Jahres!

    Und ich mag Actionfilme, aber das ist so unterkomplex, dass das keiner mehr mit mir gucken will, weil es einen feministischen Vortrag nach sich zieht 😀

    • Lemmy Caution 27. September 2022, 07:18

      Ariane: Die Inflation mit einer schweren Rezession zu bekämpfen […]
      Gerade weil wir es hier nicht mit einer typischen Lohn-Preis-Spirale zu tun haben
      LC: Wir stehen da erst am Anfang. Die Lohn-Preis-Spirale ist aber sehr schnell da. Arbeitnehmer werden bei ihrem Lohn Ausgleiche für die Inflation fordern. Ich gedenke das auf jeden Fall im März zu tun. Dann wird mein neuer Vertrag verhandelt.
      Es gibt ja Maßnahmen, um die Verluste für Leute mit geringen Einkommen zu konterkarieren. Für Beihilfen für steigende Energiekosten und diese steuerfreien Bonus-Zahlungen sind Festbeträge vorgesehen. Festbeträge wirken sich auf niedrige Einkommen bezogen auf die Gesamtsumme stärker aus.
      Inflationen haben natürlich einen starken quantitativen Aspekt. In Argentinien liegt die MONATLICHE Inflation aktuell zwischen 4 und 5%. Da brauchts dann vermutlich wirklich schwerere Geschütze, um das irgendwann wieder runter zu bringen.
      Der externe Preisschock auf den Energie-Märkten wird noch eine Weile andauern. Mein Lieblings-Sicherheitsexperte Carlo Masala sagt sehr deutlich, dass er keine Möglichkeit sieht, auf absehbare Zeit mit Russland zum Business as ususal zurückzukehren. Somit wird aber auch die Inflation schwerer zu bekämpfen. Rezessionen als Folge der Beschränkung der Geldmenge zur Inflationsbekämpfung waren oft sehr heftig aber auch kurz. Das Gelddrucken bildet eigentlich nie den Ausgang einer Inflation. Es ist vielmehr die Folge in einem Prozess. Weil der Staat seine Ausgaben nicht mehr mit normalen Steuern bezahlen kann, druckt er halt Geld. Das wirkt letzten Endes auch wie eine Steuer. Die Einnahmen nehmen aber mit steigender Inflation gemeinerweise relativ ab. So entstehen dann Hyperinflationen in Höhe von 50% im Monat, was 1,5 ^ 12 = 13.000% Jahresinflation bedeutet.
      Angesichts von Umfragen für die AfD von 12% im Westen und 27% (!) im Osten existiert politischer Druck, um die Krise sozialverträglich zu bekämpfen.
      Rein bezogen auf die relativen Verluste haben Leute mit Ersparnisanteilen in europäischen Aktien theoretisch noch viel mehr verloren. Bei mir Kursverluste von ca 16% on top of Inflationsverluste. Aber ich halts für pervers darüber rumzujammern.
      Zum chilenischen Nationalfeiertag am 18. September bekam ich via whatsup dieses Jahr ein Bild von Möhren auf eiem Grill geschickt. Preis für Fleisch war zu hoch. Grillen gehört in Chile zum wichtigen Nationalfeiertag wie Kölsch zum Karneval.

      • Stefan Pietsch 27. September 2022, 08:20

        Gerade weil wir es hier nicht mit einer typischen Lohn-Preis-Spirale zu tun haben

        Das ist angelesen. Tatsächlich rotiert die Spirale längst, was die als erstes spüren, die mit Mitarbeitern und Kandidaten verhandeln. Die Lohn- und Gehaltsvorstellungen gehen gerade durch die Decke, bevor es sich beim Statistischen Bundesamt widerspiegelt. Und die Leute haben Panik.

        Wer die als Begründung die gestiegenen Energiekosten anführt, erzählt einen Teil der Wahrheit. Diese ließe sich ja noch staatlicherseits bekämpfen. Das Wesen von Inflation ist, dass die Nachfrage viel größer ist als das Angebot und die Nachfrage durch verfügbares Geld angeheizt wird, dem aber kein Warenangebot gegenübersteht. Dann findet sich lange ein Ausgleichsmechanismus über die Inflation statt, bis die meisten sich die Waren und Dienstleistungen gar nicht mehr leisten können. Das ist die Verarmung durch Inflation und deswegen ist das weit schlimmer als eine Rezession, die ein Jahr oder etwas mehr läuft.

        Wir haben in Deutschland Vollbeschäftigung. Und so wird es, wenn die Politik nicht gravierende Fehler macht, für lange Zeit auch bleiben. Wir haben eine Knappheit bei den Arbeitskräften. Momentan ist die größte Wirtschaftsgefahr nicht, dass durch eine Rezession für ein paar Monate einige dazukommen, sondern dass die Dinge so aus dem Ruder laufen, dass Unternehmen dauerhaft abwandern oder eingehen. Dieser Prozess läuft bereits. Und dann sind in ein, zwei Jahren nicht mehr so viele Arbeitsplätze da.

        Der Staat muss die Stoppschilder für Atom, Kohle und Fracking beseitigen. Dann erhöht sich das Energieangebot. Und die EZB muss mit der Fed die Zinsen erhöhen, denn schon jetzt laufen die Zinssätze deutlich auseinander mit der Folge, dass der Euro massiv gegenüber dem Dollar verliert. Das verteuert gerade Energie erheblich, werden doch Öl und Gas in Dollar abgerechnet.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:07

          Ich hab in meinem Bekanntenkreis niemand, der gerade mehr Gehalt fordert.

          • Stefan Pietsch 27. September 2022, 17:10

            In meinem Konzern gehen die Gehälter gerade etwas durch die Decke. Von Bewerbern werden Hausnummern aufgerufen, da hätte man früher einfach nur abgewunken.

            • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:15

              Scheint branchenspezifisch zu sein.

              • Stefan Pietsch 27. September 2022, 17:23

                Das ist auch das, was mir Personalberater und Arbeitsvermittler sagen. Da ist schon viel Druck drauf. Allerdings wächst seit kurzem auch die Jobangst. Man wird sehen, wie sich das kompensiert.

                • Stefan Sasse 27. September 2022, 18:00

                  Ich denke, dass einige wenige gefragte Spezialist*innen in der Lage sein werden, einen Inflationsausgleich zu verlangen, und die breite Masse eher mit Stagnation oder gar Kürzung rechnen muss.

                  • Stefan Pietsch 27. September 2022, 20:27

                    Die Situation ist bei Buchhaltern und Controllern genauso. Das sind weitgehend keine Spezialisten. Ganze Branchen finden keine Arbeitskräfte mehr, weil sie in der Pandemie in besser bezahlende gegangen sind – sie haben also ihren Lohn in anderen Branchen verbessert. Im letzten Jahrzehnt sind die Lohnstückkosten im weltweiten Vergleich in Deutschland am stärksten gestiegen. Das werden nicht nur gefragte Spezialisten gewesen sein, um einen solchen statistischen Effekt zu erzielen.

                    • Lemmy Caution 27. September 2022, 22:01

                      bin ich klar bei Stefan Pietsch. Schauen wir mal wie die nächsten Tarif-Verhandlungen laufen.

                • Lemmy Caution 27. September 2022, 21:58

                  Problem gerade bei Programmierjobs ist, dass das outsourcing nach Belarus und Rußland weggebrochen ist und das in die Ukraine auch ein bisschen. Das waren keine kleinen Märkte für outsourcing.

          • Ariane 29. September 2022, 01:34

            Ich hab in meinem Bekanntenkreis niemand, der gerade mehr Gehalt fordert.

            naja, Wollen und Können ist halt auch ein extremer Unterschied. Da spielt ja auch der Arbeitskräftemangel mit rein. Generell sind die Bedingungen für höhere Löhne in einigen Fällen wirklich ganz gut.

            • Stefan Sasse 29. September 2022, 08:18

              Bestimmt. Nur halt nicht across the board.

              • Stefan Pietsch 29. September 2022, 10:23

                Gestern einen ersten Overflow über die Budgetrahmendaten für 2023 gemacht. Wir werden wahrscheinlich Gehaltssteigerungen von 7-8 Prozent einstellen, over all, vorbehaltlich der Zustimmung des Konzernvorstandes. Und das in einem Konzern, der nicht einmal tarifgebunden ist.

                In den letzten Wochen habe ich mir so viele Körbe geholt wie in meiner ganzen Teenagerzeit nicht. Es ist wirklich hart.

                Man wird sehen, wie die Rezessionserwartungen den hohen Lohn- und Gehaltsforderungen entgegenwirken. Derzeit erwarte ich da jedoch nicht viel.

                Bisher sind die Zinsen im Euroraum sehr moderat angehoben worden. Dennoch steht Deutschland vor einem tiefen Wirtschaftseinbruch. Soviel dazu, dass die Notenbanken eine Rezession durch hohe Zinsen herbeiführen könnten.

                • Stefan Sasse 29. September 2022, 14:08

                  Ist das nicht sogar das explizite Ziel?

                  Und hey, freut mich für eure Beschäftigten. Bei uns steht da wie gesagt nichts in den Karten. Gehaltssteigerungen von 7-8% sind pure Fantasie.

                  • Stefan Pietsch 29. September 2022, 15:31

                    Die Notenbanken wollen nicht explizit eine Rezession herbeiführen. Wir haben inzwischen in einigen Ländern der Europäischen Union wie den USA die Sondersituation, dass trotz mäßigen Wachstums die Kapazitäten voll ausgelastet sind. Das ist eigentlich ein typisches Merkmal eines heißlaufenden Booms.

                    Dazu kommt, dass die weiteren Wachstumsmöglichkeiten stark begrenzt sind, hängen sie doch an Faktoren, die sehr limitiert sind: Energie und menschliche Ressourcen. Deswegen laufen sowohl die Energiepreise als auch die Löhne hoch, was die Preise treibt und die Notenbanken zu Interventionen zwingt.

                    Deswegen kritisieren die Konservativen und Liberalen hier, dass sich der Staat sogar noch als Preistreiber betätigt: einerseits verknappt er die ohnehin knappen Ressourcen, andererseits ist er zusätzlicher Nachfrager (Bau, Umwelt) und stattet die Bürger mit zusätzlichem Geld aus. Was soll da anderes rauskommen als ein Vollcrash?

                    Beträge zu budgetieren heißt nicht, sie zu gewähren. Aber diesmal in die Jahresgespräche zu gehen mit 3% macht wenig Sinn. Siehe oben, auch wir können es uns nicht erlauben, dass die Leute weglaufen oder wir am Markt nicht konkurrenzfähig sind.

                    Schau‘ mal auf die Tarifforderungen. Fachleute und Experten gehen auch nicht darunter nach Hause. Ein Stück hoffe ich, dass die konjunkturelle Entwicklung dämpfend wirkt, denn so laufen die Dinge aus dem Ruder.

                    • Stefan Sasse 29. September 2022, 18:20

                      Die Notenbanken wollen nicht explizit eine Rezession herbeiführen. Wir haben inzwischen in einigen Ländern der Europäischen Union wie den USA die Sondersituation, dass trotz mäßigen Wachstums die Kapazitäten voll ausgelastet sind. Das ist eigentlich ein typisches Merkmal eines heißlaufenden Booms. Dazu kommt, dass die weiteren Wachstumsmöglichkeiten stark begrenzt sind, hängen sie doch an Faktoren, die sehr limitiert sind: Energie und menschliche Ressourcen. Deswegen laufen sowohl die Energiepreise als auch die Löhne hoch, was die Preise treibt und die Notenbanken zu Interventionen zwingt.

                      Das ist nichts anderes als eine Rezession. Es mag sein, dass diese volkswirtschaftlich gesund und nötig ist, das können wir ja debattieren. Aber das ist genau das, was die Notenbanken hier durchführen wollen.

                      Ich hoffe einfach mal, dass für meinen einen auch noch eine Lohnforderung um die 7% um die Ecke kommt; ich glaub ja nicht dran. Aber ich verstehe deine Argumentation; ich bin jetzt auch nicht heiß auf eine weitere Verschlimmerung der Inflation durch eine Lohn-Preis-Spirale.

                      Übrigens, die DAX-CEOs haben sich eine Lohnerhöhung von 25% gegönnt.

              • Thorsten Haupts 29. September 2022, 13:03

                Doch. Ich bestätige Stefan Ps Erfahrungen in mindestens 6 weiteren Bereichen: Ingenieure (Fachtrichtung egal), Terminplaner, Projektsteuerer, Dokumentenmanager und -controller, (Fach)Einkäufer. Nach dem, was ich von Kollegen verschiedener Unternehmen höre, betrifft das darüber hinaus technische Zeichner, Montage- und Wartungspersonal technischer Einrichtungen etc. Im Bereich Bau und Anlagenbau ALLE existierenden Jobs – und da reden wir alleine bereits über einige Millionen. Nimm die bekannten Medienberichte über Alten- und Krankenpflege, über Kindergärtner und den Hotel- und Gastronomiebereich dazu. Addiere Stefan Ps Controller und Buchhalter. Das ist „across the board“.

                Der einzige Bereich, in dem es noch einen Überschuss an angebotenem Personal geben könnte, ist „Irgendwas mit Medien“ – also der Hilfsarbeiterbereich für Veröffentlichungen aller Art :-).

                Gruss,
                Thorsten Haupts

                • Ariane 29. September 2022, 13:56

                  Ich weiß gar nicht, inwieweit das nun inflationstechnisch eine Rolle spielt, aber so bei dem, was ich in meinem Bekanntenkreis sehe: Da ist der Grund logischerweise eher der Arbeitskräftemangel, wodurch die Bedingungen für Abeitnehmende gerade gut sind. Mehr Kohle oder bessere Arbeitsbedingungen sind ja immer gut, unbefristete Jobs, auch ganz wichtig gerade für meine nicht so Highend-Arbeitenden im Bekanntenkreis. Nur geht die Lohnerhöhung eben nicht in mehr Konsum, sondern in die Gasabrechnung. (deswegen bin ich mit Lohnspirale immer etwas vorsichtig)

                  Dazu kommt, dass wir durch Corona schon Verwerfungen hatten. Siehe diese Hilfsjobs, wo wir jetzt keine Leute mehr haben. Flughafen und Gastronomie zb. Und das könnten auch die sein, die in einer Rezession am schnellsten wieder wegbrechen.

      • Ariane 27. September 2022, 12:09

        Die Lohn-Preis-Spirale ist aber sehr schnell da. Arbeitnehmer werden bei ihrem Lohn Ausgleiche für die Inflation fordern.

        Richtig, was sollen sie sonst auch tun?^^
        Es ist aber halt nicht wie im Lehrbuch, dass zuviel Geld rumfliegt und deswegen ist jetzt Inflation, sondern das Geld ist platt gesagt woanders, also braucht man mehr davon. Um genau dieselben Dinge zu kaufen wie sonst auch, nicht mehr oder andere.

        Mein Lieblings-Sicherheitsexperte Carlo Masala sagt sehr deutlich, dass er keine Möglichkeit sieht, auf absehbare Zeit mit Russland zum Business as ususal zurückzukehren.

        Er ist auch mein Lieblings-Sicherheitsexperte und hat natürlich Recht 🙂

        Aber das muss sich ja nicht zwangsläufig ausschließen, weil natürlich hektische Bemühungen in Gang sind, die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren und andere Quellen aufzutun. Damit kommen wir nicht zu der Situation vor dem Februar zurück, aber der Schock, dass vielleicht gar nicht genug Gas da ist, der wird nicht ewig anhalten.

        • Thorsten Haupts 27. September 2022, 16:48

          … aber der Schock, dass vielleicht gar nicht genug Gas da ist, der wird nicht ewig anhalten.

          Exakt. Das ist ein vorhersagbar zeitlich (sehr) begrenzter Engpass, mehr nicht.

          • Johnson 27. September 2022, 20:00

            @ T Haupts

            I wouldn’t be so sure. Look at the world’s 10 largest natural gas producers (with and without Russia) and compare their production totals to their respective domestic consumption. You’ll notice that at current production/consumption levels there isn’t much export capacity left once you take Russia, the second largest producer overall and the one with the biggest delta between production and consumption, out of the equation. In addition, many of the producers with some significant export capacity (with the exception of the US, Norway, Australia and Canada) are, well, less than savoury from a political/human rights/environmental performance perspective.

            This current natural gas crisis was a long time coming and I don’t think it’ll be resolved in short order. Production/delivery increases for natural gas will take several years, especially regarding LNG. Getting through the coming winter in Europe will be one thing, getting (back) to a stable and economic supply of natural gas globally will be quite another.

            • Lemmy Caution 27. September 2022, 22:10

              Totally agree with Johnson here. Heard there has been little investment in exploration for new fields of oil and gas in the last 10 years. We will probably never return to Russian gas prices because this conflict is more long-term, even if a solution is found in Ukraine. LNG gas will be noticeably more expensive.

              • Stefan Sasse 28. September 2022, 09:04

                Yes, but not AS expensive as it is now. LNG gas isn’t eight times more expensive than Russian gas. I expect that gas prices will remain markedly higher, but not at the insane levels of today.

              • Johnson 28. September 2022, 16:25

                @ L Caution

                Correct, but what was/is even worse is that there has not even been a lot of significant investment in completions either and that’s a much bigger problem (completions is what gets an oil or gas well into actual production after it’s been drilled).

                In general, the entire oil and gas industry has been undercapitalized since the collapse of oil and gas prices in late 2014/early 2105. That’s why many E&P’s are buying back their stock, reducing debt and cleaning up their balance sheets with their recent profits, rather than investing (large scale) into new projects.

            • Thorsten Haupts 28. September 2022, 15:47

              … once you take Russia, the second largest producer overall and the one with the biggest delta between production and consumption, out of the equation.

              Lazy thinking. Russia is not out of the equation (worldwide), it´s only out of the equation for parts of Europe (may be for a long time). Once the supply chains have sorted themselves out following the emerging new patterns of demand and supply, you´ll have exactly the same shortages (or abundancies) as before the Ukraine war. With the associated price effects.

              Regards,
              Thorsten Haupts

              • Johnson 28. September 2022, 16:43

                @ T Haupts

                We’ll see. Without FDI into its oil and gas industry there is a real chance Russia will turn into the next Venezuela in terms of its production/output. Sure, China or someone other than the West might step in eventually but it won’t be the same.

                • Thorsten Haupts 28. September 2022, 23:55

                  I´ll concede the risk related to missing FDI. We´ll see how sharply that will impact Russian gas production.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:11

          Sind wir schon drei, ich mag ihn auch sehr 🙂

    • cimourdain 27. September 2022, 13:27

      7) Es ist eine Weile her, dass ich den Film gesehen habe, aber ich meine, dass der Familienkonflikt in beiden Versionen von ‚The day the earth stood still“ (1951 und 2008) der Familienkonflikt zwischen verwitweter Mutter Helen Benson und ihrem Sohn war.

      • Ariane 29. September 2022, 01:35

        Ah danke, war irgendwie nie so mein Fall oder ich hatte die falschen Freunde und musste mir ständig Liam Neeson ansehen^^

        • cimourdain 29. September 2022, 13:16

          Jetzt hab ichs, „96 Hours- Taken“, das hast du treffend beschrieben…
          Aber es geht auch umgekehrt: in „The Dark Knight rises“ ist es die Tochter (Talia al’Ghul), die für ihren von Liam Neeson gespielten Vater die Hölle lostritt.

          • Ariane 29. September 2022, 13:25

            Oh genau, Taken. Das ziehen die ja sogar dreimal am Stück durch. Stirb langsam 4 ist auch so ein Fall. Und ich mag Actionfilme und sogar Liam Neeson eigentlich ganz gerne!

            Wilde These: Vermutlich sind SuperheldInnen deswegen so beliebt, weil sie immerhin noch andere Gründe haben, um alles niederzuballern 🙂

          • Stefan Sasse 29. September 2022, 14:11

            Ich verdränge diesen Film bewusst 😀

    • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:06

      1) Exakt.

      2) Ist mit Sicherheit insofern eine Bubble, als dass es nicht überall gleich passiert, aber als Trend: Zustimmung.

      7) Erwin! Jemand hasst! 😀 Sonst Zustimmung.

  • CitizenK 27. September 2022, 08:14

    @LC
    Inflation kommt mw von inflare, d. h. Aufblähen (der Geldmenge). Alle Preissteigerungen als Inflation zu bezeichnen, ist daher ungenau. Früher sprach man von „Teuerung“. Für die Betroffenen macht das keinen Unterschied, für die politischen Gegenmaßnahmen aber sehr wohl.

    „Sozialverträglich gestalten“ ist bei der Verteuerung von Energie um das 7-bis 10fache (Beispiel von E. G.) bei Einmalzahlungen von 300 Euro ist da der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Wie das für Handwerk und Industrie gehen solle, weiß der Himmel. Hier braucht es ganz neue Konzepte.
    Der Hinweis auf die AfD irritiert mich. Spielt da nicht deren Russland-Affinität die größere Rolle?

    • Lemmy Caution 27. September 2022, 22:41

      Inflation wird seit Jahrhunderten auch für diese Art der Inflation verwendet. Vor allem haben Inflations-Episoden immer vor allem auch einen Prozess-Charakter. Die Inflation kann durch irgendwas angeschoben werden und dann wird sie durch andere Prozesse fortgetragen und verschärft.
      Peron (Argentinien 50er), Allende (Chile 70er)und Alán García (Peru in den 90ern) setzten neben höheren Sozialausgaben große Lohnsteigerungen für viele Beschäftigte durch. Dies erhöht die Kaufkraft. In so Volkswirtschaften gibts immer ungenutzte Kapazitäten von Maschinen und Prozessen. Die konnten die Unternehmen zu einem höheren Grad ausnutzen. Gleichzeitig setzen sie Preissteigerungen durch (Inflation steigt, sekundärer Prozess). Auf der anderen Seite haben sie aber die höheren Lohnkosten, so dass das Geschäft nicht so rosig läuft. Investitionen bleiben aus. Nun dreht der Haushalt ins Defizit und der Staat beginnt Geld ohne Gegenwert zu schöpfen (Inflation steigt, sekundärer Prozess).
      Wegen der steigenden Kapazitätsauslastung sieht das zunächst realwirtschaftlich für 1 bis 2 Jahre super aus. Nur dann verselbstständigt sich der Prozess. Aus der Erfahrung der Inflation sehen Arbeiter und Unternehmer es als völlig normal an, höhere Löhne und Preise zu fordern. Dann kippt es, v.a. auch weil es in dem Spiel zu wenig Sicherheiten für die Rentabilität von Investitionen gibt, womit man ja das Angebot ausdehnen könnte.

  • Ralf 27. September 2022, 09:11

    zu 5)

    Bei Krach sieht die Sache ganz anders aus. Hier wäre es, wie auch bei Luftverschmutzung, schon lange an der Zeit für wesentlich durchgreifendere Maßnahmen, bedenkt man, wie unglaublich schwerwiegend die Folgen sind. Besonders Lärm ist völlig unterdiskutiert. […] Bedenkt man die Erkenntnisse der Gesundheitsforschung, sollte hier viel mehr getan werden, sowohl was die Richtwerte als auch, vor allem, ihre Einhaltung eingeht.

    Bin direkt an der Autobahn aufgewachsen. Neben unserem Wohnblock führte eine Eisenbahnbrücke über die Autobahn, über die laufend Züge bretterten. Und ja, ich wohnte in der Einflugschneise, in unmittelbarer Nähe zum Flughafen.

    So wie unzählige andere Leute.

    Ist halt einfach so. In einem dicht besiedelten Land mit urbaner Konzentration an Menschen und Aktivitäten ist es halt laut. Die Alternative wäre keine Straßen, keine Züge und keine Flugzeuge zu haben. Dann wäre es deutlich ruhiger, aber die meisten würden wohl ihren Wohlstand und Lebensstandard vermissen.

    Unter anderem dank der Lärmschutzgesetze können wir in Deutschland übrigens keine vernünftigen Hochgeschwindigkeitszüge haben. Statt mit 300 km/h fährt der ICE mit einer Geschwindigkeit, auf der er streckenweise von einem Mofa überholt werden könnte. In der Folge ist die Bahn unattraktiv und die Menschen steigen ins Auto und in Kurzstreckenflieger ein. Den Preis dafür zahlt der Planet mit Klimawandel. Und letzterer hat auch gesundheitliche Konsequenzen. Dagegen darf man die „schwerwiegenden Folgen“ von Lärm – wobei ich mich frage auf welcher Skala hier „schwerwiegend eigentlich gemessen wird – aufrechnen.

    Der Preis von Städten ist eben Lärm. Wem das nicht passt, der kann gerne auf’s Land ziehen. Da ist es ruhig. Dafür hat man andere Probleme.

    Ich wohne übrigens gegenwärtig wieder in einer Einflugschneise, an einer Hauptstraße und hinter unserem Wohnblock brettert die U-Bahn auf einem kurzen Außenabschnitt.

    • CitizenK 27. September 2022, 11:44

      Die Alternative wäre: Leisere Vehikel und Schutzwände. In Holland sind die kein ästhetisches Problem wie bei uns. Das Lärmproblem der Bahn sind die Güterzüge, nicht die ICEs.

    • cimourdain 27. September 2022, 14:42

      “ Statt mit 300 km/h fährt der ICE mit einer Geschwindigkeit, auf der er streckenweise von einem Mofa überholt werden könnte.“ klingt traurig, wenn man sich ansieht, wie andere das gleiche Problem angehen:
      https://www.de.emb-japan.go.jp/NaJ/NaJ1102/filesD/Dshinkansen.pdf

    • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:08

      Die Bahn ist scheiße wegen Lärmschutzgesetzen…? Seriously?

      • Ralf 27. September 2022, 17:59

        Ja, seriously. Wegen der Lärmschutzgesetze kann sie nicht mit klimaschädlichen Alternativen konkurrieren.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 18:02

          Faszinierend.

          • Ralf 27. September 2022, 20:10

            Um Deine Faszination weiter zu steigern, hier noch etwas Datenmaterial:

            https://elib.dlr.de/135692/1/EIK_DLR_Laermminderung_Gz_Geschw_Wetter_210101.pdf

            • Stefan Sasse 27. September 2022, 22:06

              Ok, aber da geht es um Güterverkehr.

              • Ralf 27. September 2022, 23:43

                Deutschland hat vor langer Zeit die fatale Entscheidung getroffen, anders als Frankreich kein eigenes Trassensystem für seine Hochgeschwindigkeitszüge zu bauen. Stattdessen fährt der ICE bei uns auf denselben Gleisen, auf denen auch Regionalzüge und Güterzüge fahren. Sehr erhellend ist dazu der folgende kurze Artikel im Spiegel:

                https://www.spiegel.de/reise/deutschland/ice-versus-tgv-warum-deutsche-schnellzuege-deutlich-langsamer-sind-a-1259209.html

                Wenn Güterzüge also zur Lärmvermeidung ihr Tempo drosseln, hat das erhebliche Effekte auf den Personenverkehr. Ich zitiere dazu aus der oben verlinkten Quelle:

                Andererseits bestätigt die anschließende bahnbetriebliche Untersuchung, dass die dazu nötige Reduktion der Güterzuggeschwindigkeit erhebliche Auswirkungen auf den Bahnbetrieb hat – der untersuchte Primärparameter des Verspätungszuwachses verschlechterte sich in vielen Fällen im Simulationsmodell drastisch. Insbesondere vor dem Hintergrund einer stark frequentierten Mischverkehrsstrecke wird sich die Betriebsqualität und Streckenkapazität bei Reduzierung der Geschwindigkeit von Gü- terzügen deutlich verschlechtern.

                Das bedeutet, dass selbst wenn Güterzüge die einzige relevante Lärmquelle wären, eine Tempodrosselung in diesem Bereich den Personenverkehr in unserem „Hochgeschwindigkeitsnetz“ (ich nenn das mal ironisch so) massiv ausbremsen würde. Allerdings dürfte ein ICE bei sehr hohen Geschwindigkeiten um die 300 km/h ebenfalls eine erhebliche Lärmbelastung darstellen. Die Hochgeschwindigkeitszüge müsste man also ebenfalls ausbremsen, um Lärm zu vermeiden, selbst wenn es überhaupt keine Güterzüge gäbe, was man ja effektiv auch auf fast allen Strecken macht.

                Um Autos und Flugzeuge auf kurzen bis mittleren Strecken so zu ersetzen, dass es attraktiv für die Reisenden ist, brauchen wir aber Züge, die 300 km/h fahren. Die etwa 200 km lange Strecke Köln-Frankfurt, eine der wenigen Trassen, auf denen tatsächlich fast durchgehend mit Höchstgeschwindigkeit gefahren werden kann, schafft der ICE z.B. in einer Stunde, trotz mehreren Zwischenhalten. Bei selbem Tempo würde die Strecke Köln-Wien (900 km), als Beispiel für eine mittlere Entfernung, in viereinhalb Stunden bewältigt sein. Damit würde die Reise mit der Bahn „Haustür zu Haustür“ etwa gleich lange dauern wie der Flug (1,5 Stunden reine Flugzeit + Einchecken + 1 Stunde vorher am Flughafen sein + 30 min Gepäckausgabe + längere Anfahrtzeit an den außerhalb liegenden Flughafens etc.). Und dabei wesentlich bequemer sein.

                Genau das brauchen wir für die Verkehrswende im Interesse des Klimaschutzes. Aber unsere übertriebenen Lärmschutzvorstellungen bremsen Züge nicht nur direkt aus. Sie sind auch indirekt ein Bremsklotz der Entwicklung.

                Infrastruktur wie hunderte Kilometer Schallmauern und nachgerüsteter Schallschutz wie der Einbau von Dreifachverglasungen bei Wohnungen entlang von Bahntrassen frisst enorme Ressourcen auf, die wir nicht haben (wer soll das alles bauen? Wer soll das alles bezahlen?) und verzögert dramatisch den dringend benötigten Ausbau und die Modernisierung des deutschen Schienennetzes. Dabei stellt sich überdies die Frage des Nutzens. Steht ein Wohnblock z.B. am Gleis, profitiert in erster Linie die Parterrewohnung wirksam von einer Schallschutzmauer. Der dritte Stock ist nach wie vor voll exponiert. Und Dreifachverglasung hilft gerade nachts wenig, da die meisten Menschen bei offenem Fenster schlafen. Wir werfen unser Geld also auch noch großteils aus dem Fenster.

                • Stefan Sasse 28. September 2022, 09:05

                  Macht Sinn. Danke für die Infos.

                  Das heißt als Folge: Deregulierung und gut?

                  • Thorsten Haupts 28. September 2022, 15:41

                    Nein. Das ist nur eine von einem Dutzend Baustellen, um signifikante Verbesserungen zu erzielen.

                    • Stefan Sasse 28. September 2022, 17:21

                      Mein Hauptding bei der Bahn ist die schwachsinnige Konstruktion des Konzerns.

                    • Thorsten Haupts 28. September 2022, 20:57

                      Die ist das geringste praktische Problem. Das da lautet “ Mehr Verkehr auf die Schiene WANN und WIE.“

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

  • Stefan Pietsch 27. September 2022, 10:13

    6) War alles anders?

    Wirklich interessant: Du kannst an einer Stelle über die niederen Instinkte der Menschen im Allgemeinen und Unternehmer wie Manager im Besonderen (Lust am Strafen, Egoisten) herziehen und gleichzeitig den beim Staat Beschäftigten nur die besten Motive zubilligen. Das folgt dem Bild, das ja nicht wenige noch immer vom Staat haben: Der Staat, das sind die Guten, mit denen die Bösen (Egoisten, Selbstbereicherer, Rücksichtslose) zumindest eingehegt und die Armen versorgt werden.

    Ich frage mich, wo in der Kindheit solche Bilder im Kopf entstanden sind. Mir jedenfalls hat man nicht solche Geschichten erzählt.

    Die Wahrheit jenseits solcher Gute-Nacht-Geschichten ist: Beim Staat arbeiten wie anderswo auch vor allem Menschen, die ihren eigenen Interessen folgen. Wenn Unternehmen vor allem von solchen gegründet werden, die reich werden wollen, so arbeiten beim Staat viele, die viel Freizeit und Macht über andere haben wollen. Wer nur den Funken eines Zweifels an dieser Behauptung hat, hat noch nie ein Amt besucht, mit Finanzbeamten zu tun gehabt oder eine Polizeikontrolle durchlaufen.

    Während es im normalen Leben ein Gebot der Höflichkeit ist, anderen nett und freundlich zu begegnen, ist es gegenüber Staatsdienern ein Gebot der Klugheit. Nicht freundlich zu Beamten zu sein, wird meist teuer – und das ist nicht nur monetär zu sehen.

    • CitizenK 27. September 2022, 11:20

      Merkwürdig, ich jedenfalls habe auf Ämtern auch durchaus freundliche und verständnisvolle Menschen angetroffen. Sogar beim Finanzamt. Vielleicht spüren die unbewusst, mit welcher Einstellung man ihnen gegenübertritt?

      • Stefan Pietsch 27. September 2022, 12:37

        Ich jedenfalls habe auf Ämtern auch durchaus freundliche und verständnisvolle Menschen angetroffen.

        Tatsächlich?! Ich auch! Aber stellen Sie sich vor: ich habe auch unter Managern und Unternehmern freundliche und verständnisvolle Menschen getroffen!

        Sie schreiben wie so oft knapp am Punkt vorbei. Stefan hat sich vor kurzem über die Lust am Strafen echauffiert. Er macht das überall in der Gesellschaft aus. Er findet auch viele niederträchtige Motive bei Unternehmern und Managern. Und viele Liberale zeigten sich in der Pandemie in seiner Sichtweise als Egoisten, als sie auf ihre Grundrechte beharrten.

        Aber Staatsdienern unterstellt er per se guten Willen. Die haben grundsätzlich keine Lust am Strafen, an Machtausübung, sie leben keine Egoismen.

        Genauso schrieb ich: Während es im normalen Leben ein Gebot der Höflichkeit ist, anderen nett und freundlich zu begegnen, ist es gegenüber Staatsdienern ein Gebot der Klugheit. Nicht freundlich zu Beamten zu sein, wird meist teuer – und das ist nicht nur monetär zu sehen.

        Das bestreiten Sie ja offensichtlich nicht. Nur, das ist doch ein Untertanenverhältnis. Der Untertan muss freundlich zu seinem Lehnsherrn sein, weil der ihm sonst Übles antut. Weil er es kann.

        Sie können unfreundlich zur Telefonistin im Callcenter sein oder gar zu Günter Jauch. Es passiert Ihnen nichts. Aber machen Sie das mal gegenüber einem Finanzbeamten. Sie können sicher sein, Ihre Unterlagen werden genau betrachtet und irgendetwas findet sich immer. Seien Sie mal unfreundlich auf einer Behörde – und Sie können ein ganzes Stück länger warten und eventuell kann Ihr Anliegen nicht bearbeitet werden. Oder gegenüber Polizisten, da wird man auch gerne härter angepackt.

        Und weil das so ist, bin ich besonders freundlich gegenüber Beamten. Denn völlig ohne Klugheit bin ich hoffentlich nicht. Nur, ich praktiziere damit die Untertanenhaltung. Das aber ist doch eigentlich nicht unser Staatsverständnis, oder?

        Sie bestreiten, und das ist der Punkt, gar nicht, dass Beamte Macht ausüben und sie eben auch individuell zum Strafen einsetzen. Die Bestätigung wollten Sie sicher nicht geben, aber Sie haben sie gegeben. That’s it.

        • CitizenK 27. September 2022, 14:23

          Machtverhältnisse und -gefälle gibt es doch nicht nur gegenüber Behörden. Schlimmer als Warten-müssen oder Unterlagen-genau-geprüft sind: Assistent-Professor, Assistenzarzt-Chefarzt und ganz allgemein Arbeitnehmer-Chef, wenn er keine Alternative hat. Sei es aus familiären, gesundheitlichen oder Altersgründen.
          Natürlich hab auch ich mich schon über sture Beamte geärgert und mir gewünscht, „zur Konkurrenz gehen“ zu können. Allerdings auch bei unkulanten Verkäufern, war auch nicht immer möglich.

          Die Sichtweise, die Sie uns andichten (Gute Beamte – böse Manager) haben wir doch gar nicht. Mehrfach habe ich hier die Mäzenaten hier im Raum HD und anderswo erwähnt.

          • Stefan Pietsch 27. September 2022, 16:08

            Der Punkt ist, dass Sie sich dem Machtgefälle unter Bürgern entziehen können. Das ist das Wesen der liberalen Gesellschaft und das, was Hayek in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ par excellence beschrieben hat. Wenn der Arbeitgeber nicht passt, kündigen. Es gibt so viele Unternehmen, niemand ist gezwungen, bei einem bestimmten zu bleiben. Die Marktwirtschaft sorgt dafür, dass die Alternativen reichhaltig sind. Mir fällt auch kein Unternehmen ein, wo ich gezwungen bin, den schlechten Service zu ertragen. Es gibt immer Alternativen.

            Die Sichtweise, die Sie uns andichten (Gute Beamte – böse Manager) haben wir doch gar nicht.

            Doch, genau das hat Stefan beschrieben und nur darum geht es hier in der Debatte. Es ist ja eindeutig, dass Stefan sich regelmäßig den niederen Instinkten der Menschheit widmet. Erstaunlicherweise verortet er sie jedoch hauptsächlich im nicht-staatlichen Bereich. Hier, in diesem Thread dagegen verwahrt er sich dagegen, dass Leute im Staat nur das Schlechte sehen und nicht den guten Patriarchen. So hat er es gesagt.

            Unternehmer sind keine Mäzene. Mäzene sind Mäzene. Unternehmer sind Unternehmer. Ich sage ja auch nicht, manche Polizisten seien gute Fußballer (Stefan Kuntz).

            • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:13

              Klar, ich entzieh mich super leicht dem Machtgefälle zwischen mir und meinem Arbeitgeber. Easy peasy, lemon squeezy.

              • Stefan Pietsch 27. September 2022, 17:44

                Du hast einen Arbeitsvertrag. Den kannst Du wesentlich leichter kündigen als Dein Arbeitgeber. Viele Arbeitnehmer haben eine Machtposition gegenüber ihrem Arbeitgeber. Nicht unbedingt im prekären Bereich, aber sonst oft. Jedenfalls habe ich es oft erlebt, dass Mitarbeiter eine deutliche Gehaltserhöhung erzwungen haben. Umgekehrt habe ich es nie erlebt, dass ein Arbeitgeber die Pistole auf die Brust gesetzt hätte, entweder Gehaltsverzicht oder Du gehst.

                Viele Jobs sind heute einzig von der Leistung bestimmter Personen(gruppen) abhängig. Wenn man die nicht an Bord hat, hat man kein Geschäft. Da kann man noch so tolle Büros haben und Aufträge werben. Wenn man keine Leute hat, sie abzuarbeiten, hat man nichts.

                Du erfährst durch Deinen Blog so oft von Bereichen, wo sich die Welt völlig gedreht hat und die Ressource (qualifizierter) Mitarbeiter das entscheidende Kriterium ist. Doch Du glaubst es nicht und bewertest es aus Deiner monopolistischen Branche.

                • Stefan Sasse 27. September 2022, 18:01

                  Bei uns kann keiner eine Gehaltserhöhung erzwingen. Wir haben das Thema seit Jahren. Unser AG verweist auf den Arbeitsvertrag, den Haustarif und auf das „wenn es dir nicht passt geh“.

                  • Stefan Pietsch 27. September 2022, 20:23

                    Dir missfällt an Deiner Situation, was Du an mir oben kritisierst.

                    Was erwartest Du? Du arbeitest in einem monopolistischen Markt mit speziellen Fähigkeiten, die nur in diesem Markt bei sehr wenigen Arbeitgebern einen Wert besitzt. In monopolistischen Märkten diktiert der Monopolist die Preise und Bedingungen – Du kannst ja nicht weg.

                    Genau deswegen fremdel ich immer mit dem Staat. Ich kann nicht zu einem anderen Finanzamt gehen, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle. Ich gehe zu dem einen Amtsgericht, auch wenn mir der Personalrat seit der Schulzeit kram ist. Wie gesagt, dringende Leseempfehlung: Hayek, der Weg zur Knechtschaft.

                    Die meisten Märkte sind nicht so wie Deiner. Die meisten Arbeitnehmer haben Fähigkeiten, die sich relativ problemlos auf andere Branchen transferieren und nutzen lassen. Ich habe nie zweimal in der gleichen Branche gearbeitet. Vor allem gibt es in der eigenen Branche immer eine Reihe weiterer Unternehmen. Ein Autoverkäufer braucht nur ein paar Meter weiter zu gehen und verkauft eine andere Marke.
                    Das alles gibt es in Deiner Welt nicht, schon klar. Nur, das hast Du Dir ausgesucht. Übertrage aber nicht die Erfahrungen Deiner sehr engen Branche auf die nationale oder gar globale Lage, wo ganz andere Bedingungen herrschen. Das ist, wie wenn Du Nordkorea mit Südkorea vergleichen würdest. 😉

        • Erwin Gabriel 27. September 2022, 16:45

          Stefan Pietsch 27. September 2022, 12:37

          [Ich jedenfalls habe auf Ämtern auch durchaus freundliche und verständnisvolle Menschen angetroffen.]

          Tatsächlich?! Ich auch! Aber stellen Sie sich vor: ich habe auch unter Managern und Unternehmern freundliche und verständnisvolle Menschen getroffen!

          Zustimmung: So isses – häufig eine Frage, was man sich rauspickt. Und wer hier ohne Fehl ist, werfe den ersten Stein.

      • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:09

        lol

    • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:08

      Du kannst das genaue Gegenteil. Wer im Glashaus sitzt…

      • Stefan Pietsch 27. September 2022, 17:11

        ?? Was kann ich im Gegenteil? Den Satz verstehe ich nicht.

        • Stefan Sasse 27. September 2022, 17:15

          Öffentlichen Dienst dissen und das Beste in Managern sehen.

          • Stefan Pietsch 27. September 2022, 17:36

            Ich sehe nicht das Beste in Managern.

            Ich weiß, dass Menschen unterschiedliche Charakteristika und Motive haben. Motive und Werte entscheiden darüber, welchen Job man ergreift, welches Risiko man eingeht. Der Charakter, wie man sich zu anderen verhält.

            Ich wusste von Tag 1 meines Studiums, dass ich mal weit überdurchschnittlich verdienen und eine obere Leitungsposition erreichen will. Im Gegenzug war ich bereit, dafür höhere Risiken einzugehen als andere. So stand für mich nie Arbeitsplatzsicherheit im Vordergrund, sondern Vorankommen. Später kam die Freude am Führen von Menschen hinzu. Es ist also nachvollziehbar, warum ich gelandet bin, wo ich gelandet bin.

            Menschen, die sich den Staat als Arbeitgeber suchen, haben andere Motive und ein Stück andere Charakteristika. Ein risikoorientierter Mensch wie ich kann sich in einem auf totale Absicherung und formalisierten Bereich wie dem Staat nicht wohlfühlen. Umgekehrt kann sich ein auf persönliche und finanzielle Sicherheit bedachter Mensch in meinem Bereich niemals zuhause fühlen.

            Wer geht in den öffentlichen Dienst, um besonders gut zu verdienen? Augen auf bei der Berufswahl. Der Staat ist selten der bessere Zahler, er hat für Arbeitnehmer andere Vorteile. Also gehen Menschen dorthin, denen diese Vorteile wichtig sind.

            Das kritisiere ich alles gar nicht. Man muss es sich nur bewusst machen und offen ansprechen können. Du findest nunmal kaum Unternehmertypen in der öffentlichen Verwaltung, so wenig, wie die Beamtentypen im oberen Management findest. Es bringt ja auch nichts, dem Vogel das Schwimmen beizubringen oder dem Fisch das Fliegen.

            Im Öffentlichen Dienst arbeiten nicht Menschen mit besseren Charaktereigenschaften. Der Staatsdienst bietet die Möglichkeit, Macht über andere, Privatpersonen, auszuüben. Warum wäre es dann verwunderlich, in Behörden solche Charaktere anzutreffen, die gerne andere anweisen? Das ist kein Dissen, sondern die Wahrheit. Du sagst das ja übrigens selbst, allerdings wenn es um rechte Umtriebe bei den Sicherheitsorganen geht. Da ist Dir das Argument nicht zu Schade.

  • cimourdain 27. September 2022, 10:27

    1) Es handelt sich hier um eine angebotsinduzierte Inflation (siehe Lemmys erster Kommentar). Diese kann gleichzeitig mit einer Stagnation oder sogar Rezession kommen (siehe Ölkrise)

    4) und 9) Es klingt platt, hilft aber beim Verständnis: ‚Der Staat‘ geht es nicht um eine Lust am Strafen, sondern um banale Verwaltung. Bürokratische Formulare, Prüfung von Kriterien. ‚Wenn-Dann‘ Logik etc… Mit dieser Sprache und Sichtweise fühlen sich schon genug ‚Normalbürger‘ überfordert (siehe aktuell Grundsteuer), auf Langzeitarbeitslose wirkt sie oft brutal und abweisend. Aber (deswegen Brücke zu 9) wenn schon bei Erwachsenen diese Erziehung-durch Verwaltung hartherzig wirkt, wie verheerend kann das bei Kindern, die (siehe Fundstück 2) mehr Zuwendung brauchen, wirken? Die immer wieder hochkommenden Probleme mit und von Jugendämtern zeigen einen Vorgeschmack.

    5) Kann man gut trennen, wenn man beides als Hygiene betrachtet. Lärmschutz ist öffentliche Hygiene, wie sauberes Wasser, Schutz vor Informationsüberlastung betrifft zwar imho tatsächlich die seelische Gesundheit, ist aber in den Händen des einzelnen, wie etwa auch der Schutz vor Junkfood.

    6) Diese Sichtweise, die nicht nach dem Wahrheitsgehalt fragt, sondern nach deren system(de)stabilisierenden Wirkung, widerspricht nicht nur dem Auftrag einer Zeitung, sondern ist auch in ihrer unhinterfragt affirmativen Haltung verheerender für die Demokratie (als Wert nicht als Fassade) als es irgendeine Systemkritik je sein könnte. Sie verleitet nämlich, die Verschwörungsrealitäten (z.B: https://www.welt.de/politik/deutschland/plus241078911/Corona-Politik-Die-Machtmaschine-des-Bill-Gates.html ) zu verstecken, um „Feinden des Systems“ keine Munition zu liefern.

    7) Die Erwähnung von ‚Lone Wolf and Cub‘ hat mich gefreut. Dort wird doch gezeigt, wie Elternqualifikationen (namentlich der Einsatz eines Kinderwagens!) im Berufsleben (Ronin) nützen.

    a) Auch mal positive Leistung honorieren. Auch das Gesetz für Mindestarbeitsbedingungen von Paketzustellern und der Einsatz für einen einheitlichen Pflegetarifvertrag seien erwähnt.

    b) o.T. : Es wird immer von der ‚Lieferung‘ von Rüstungsgütern gesprochen. Jetzt sollte jeder, der mal an einem BGB vorbeigegangen ist, wissen, dass es sich bei einer Lieferung nur um das Erfüllungsgeschäft handelt. Warum erwähnt absolut niemand, welches Verpflichtungsgeschäft dahinter steckt ? Verkauf, Schenkung, Vermietung oder Leihe ( die letzten beiden sind die Grundlage der US-Lieferungen).

    g) Das übliche Spiel ‚Wir sind neutral und wissenschaftlich, die anderen ideologisch getireben (siehe F6) verdeckt doch, dass die ‚neuen Erkenntnisse‘ die gleichen sind, wie vor 150 Jahren und mehr: Es gibt einen Regelfall (anatomische Zuordenbarkeit) und es gibt Ausnahmen. Das neue ist der zivilisatorische Fortschritt, letztere nicht als Abnormitäten zu sehen, sondern als vollwertige Personen mit eigenen Rechten als Minderheit sowie eigenen Interessen. Auszuhandeln, wie stark die Mehrheit auf letztere eingehen soll, ist nicht Aufgabe der Wissenschaft.

    i) Ironisch, dass dieser Link nicht funktioniert, weil er in die Echokammer deiner Festplatte führt.

    j) Ausgerechnet Erbsünde und göttliche Natur Jesu sind zwei Dogmen, die nicht von den Evangelien hergeleitet werden, sondern nur in Paulusbriefen (Römer, Hebräer) angedeutet und erst von den Kirchenvätern Augustinus bzw. Athanasius ausformuliert wurden. Vielleicht sollte der Theologe aus Fundstück t mal das erläutern statt den Substanzgehalt des Mediums Twitter per One-Liner darzustellen.

    • Ariane 29. September 2022, 01:44

      4/9)
      wenn schon bei Erwachsenen diese Erziehung-durch Verwaltung hartherzig wirkt, wie verheerend kann das bei Kindern, die (siehe Fundstück 2) mehr Zuwendung brauchen, wirken?

      Zustimmung. Obwohl ich schon finde, dass es einen Unterschied macht, wie die Herangehensweise ist, insofern ist der Paradigmenwechsel beim Bürgergeld zu begrüßen und sollte Schule machen.

      Obwohl ich da gar nicht meckern will. Ich telefonier häufiger entweder für mich oder für andere mit „offiziellen Stellen“ und hab gerade mit Behörden eigentlich sehr gute Erfahrungen gemacht. Keine Ahnung, ob die alle ein Freundlichkeitstraining machen oder so entzückt sind, jemand Netten (ich bin sehr nett! Deswegen muss ich das ja immer machen^^) am Rohr zu haben, dass sie total hilfreich sind.

      Und ja die Sprache und Ansprache in den Schreiben sollten weiterhin angegangen werden. Obwohl das mal schlimmer war mit Beamtendeutsch, aber ich frag mich da echt, wie Leute damit zurechtkommen, die vielleicht die deutsche Sprache nicht fließend beherrschen oder generell nicht so behördendeutsch sprechend (also quasi alle^^).
      Ich krieg schon die Krise, wenn ich so einen Antrag sehe und am Ende erstmal gedroht wird, dass man wegen Betrug angezeigt wird, wenn man vielleicht ein Komma falsch setzt Oo

      • Stefan Sasse 29. September 2022, 08:20

        Behördenkommunikation ist völlig unverständlich. Das ist in meinen Augen dieses verdammte rechtliche Absichern gegen alles Mögliche, was den Kram völlig unlesbar macht. Ich versteh das ja schon nicht, als studierter Mensch und Deutschlehrer! Wie sollte das Otto Normalverbraucher oder gar jemand mit frischem Migrationshintergrund verstehen? Das ist eine absolute Frechheit. Wäre auch so was, wo die FDP gerne mal mit dem stählernen Besen ran dürfte.

        • Ariane 29. September 2022, 10:51

          Hör bloß auf, da spielt ja auch die Datensicherheitsdebatte wieder mit rein. Hatte neulich einen ganzen Packen auf dem Tisch, da brauchte es sogar eine Unterschrift, dass man kontaktiert werden darf. Womöglich noch per Telefon!? Dazu drei Seiten Rechtsbelehrung natürlich. Ist ja gut, dass das alles rechtssicher ist und auch drinsteht, dass man Einspruch einlegen darf. Aber zumindest die Anschreiben sollten schon allgemeinverständlich sein.

          Und da entsteht eben auch ein Gefälle, gerade wenn wir jetzt mal beim Klischee-Bürgergeldempfänger bleiben, der eher kein Experte in Behördenkommunikation ist. Der sitzt eingeschüchtert mit dem Kauderwelsch da rum und bekommt vielleicht noch ne Sanktion reingedrückt, weil er nicht verstanden hat, was die eigentlich wollen. Die trauen sich nämlich oft nicht wie ich, da einfach mal fix durchzuklingeln und zu fragen, ob die das nochmal erklären können.

          Kleine Anekdote:
          Hatte mal so einen Krankenkassenwirrwarr um Reha-Stunden, kam in eine Sackgasse als ich mit der kassenärztlichen Vereinigung (ernsthaft, dagegen ist jede Behörde ein serviceorientiertes Paradies!) telefonierte, die meinte, sie wüssten als einzige auf der ganzen Welt die Antwort, dürfen sie aber niemandem verraten! Weder mir noch der Krankenkasse oder dem behandelnden Arzt, der nun diese Reha-Maßnahme weiterführen soll. Vermutlich nicht mal Gott, wenn er fragt. Und ich habe nicht nach Geheiminformationen gefragt, sondern nach der Anzahl der bereits abgerechneten Stunden! Hab das ganze dann so gelöst, dass ich der KV geschrieben habe, dass nach meinen Aufzeichnungen xy Stunden bereits erfolgt sind (und wenn sie mir nicht glauben, sollen sie doch selbst recherchieren).
          Wurde dann genehmigt, ist aber so ein typischer Fall, der sonst einfach monatelang versackt wäre wegen so einem Heiopei.

      • cimourdain 29. September 2022, 12:12

        „Paradigmenwechsel“: Bin ich erstmal skeptisch, auch der Paradigmenwechsel hin zu einem einheitlichen Rechtsanspruch auf staatliche Fürsorge, den Hartz IV darstellte, war in der Idee positiv. Entscheidend ist immer die Praxis.

        Behörden: a) halten ihre Angestellten schon seit Jahren aktiv zur Freundlichkeit an, einfach weil es Dinge einfacher macht (siehe c). Man kann natürlich immer auf einen Sturschädel treffen oder einen, der gerade mies drauf ist… Menschen halt.
        b) „Wie man in den Wald hineinruft,…“ gilt eigentlich überall.
        c) ‚Beamte‘ haben oft eine dreistellige Zahl von Fällen laufen. Sie sind froh um jeden, der ihnen die Arbeit einfacher macht.
        d) Reizen kann man Beamte, gleich welchen Couleurs damit, wenn du ihre Autorität und Zuständigkeit in Frage stellst. [Nicht zu empfehlendes Experiment dazu: Misch dich als Außenstehender in eine laufende Polizeikontrolle ein und du wirst sehen was passiert] Das ist der wahre Kern hinter der ‚Machtmenschen‘-Vermutung von Herrn Pietsch.

        ‚Sprache‘ Wie so oft bei schlechter Kommunikation, kommt einfach etwas anderes beim Empfänger an, als der Sender sagen will: Eingentlich meint das Formular: „Es geht um Geld. Wenn du uns bewusst anlügst, um etwas zu bekommen, worauf du kein Recht hast, ist das Betrug, genauso wie wenn du einer alten Frau mit einer Lüge Geld abnimmst.“ – was gut nachvollziehbar ist. Weil aber die Intention, das ‚bewusst‘ und ‚Zielgerichtet‘ in Behördendeutsch formuliert sind, kommt beim Empfänger nur ‚Falsche Angaben gleich Betrug‘ an, was natürlich viel mehr wie eine Drohung klingt.

        • Ariane 29. September 2022, 13:42

          Ja eben, ich finde auch diesen Unterschied zu „Schriftverkehr vs persönlichem Kontakt“ immer faszinierend. Hab da mit Behörden zb durchaus bei Kontakt eher gute Erfahrungen gemacht, während ich bei Firmen schon eher an meine Grenzen stoße. Andererseits: die schreiben viel netter, hatte neulich eine Rechnung verdüddelt und bekomme mit der Mahnung fast eine Entschuldigung, dass die Geld wollen, obwohl sie ja wissen, wie schwierig das alles ist. Man stelle sich mal so einen Brief vom Finanzamt vor^^

        • Stefan Sasse 29. September 2022, 14:10

          Behörde sind verglichen mit vor 30 Jahren mittlerweile ja ein Ausbund an Freundlichkeit und Service. Low bar, I know, aber da hat sich viel getan.

          a) Ja!
          b) JA!
          c) Absolut. Wie in jeder Organisation.
          d) Ohja!

          Gute Analyse.

        • Stefan Pietsch 29. September 2022, 15:51

          „Wie man in den Wald hineinruft,…“ gilt eigentlich überall.

          Menschen sind meist netter, wenn man ihnen nett begegnet. Das Entscheidende ist, ob mir jemand schaden kann in Abhängigkeit davon, wie „nett“ ich bin. Und es ist ein Zeichen von Macht, wenn ich jenem, der nicht nett zu mir ist, Schaden zufügen kann. Daraus erwächst eine Haltung – gegenüber Staatsdienern, nicht den Mitmenschen generell.

          Nach meinem liberalen Staatsverständnis haben Beamten mir zu dienen. Sie haben nett zu mir zu sein auch dann, wenn ich nicht nett bin. So ist es schließlich auch beim Einkaufen. Und so verhalte ich mich gegenüber Kunden. Servicementalität nennt man das glaube ich. Beamte brauchen das nicht, deswegen tun sie es auch weit weniger selten als in der Privatwirtschaft. Das ist mein Punkt.

          Behörden: a) halten ihre Angestellten schon seit Jahren aktiv zur Freundlichkeit an, einfach weil es Dinge einfacher macht

          Behörden sind vor allem nach innen gerichtet. Der Personalrat ist so stark wie in keinem Unternehmen der Betriebsrat. Sich über unfreundliche oder gar rechtswidrig arbeitende Beamte zu beschweren, ist sinnlos, ja gefährlich. Ich habe es einmal getan, die Erfahrung reicht mir für mein Leben. Natürlich habe die Beamtin nichts falsch gemacht, die Beschwerde sei sachlich nicht gerechtfertigt. Zwar unterlag die Finanzverwaltung später vor dem Finanzgericht Kassel, aber hey, alles richtig gemacht. Keine Entschuldigung. Ich hatte dafür für die nächsten fünf Jahre mit intensiven Prüfungen zu leben.

          Warum ich nett und zuvorkommend zu dem unfähigsten Finanzbeamten bin, selbst wenn die ihre eigenen Gesetze nicht kennen? Eben deshalb.

          • Stefan Sasse 29. September 2022, 18:22

            Ich teile dein liberales Verständnis hier voll. Wie gesagt, es hat sich auch viel getan, wenngleich noch mehr gehen würde. In meinen Augen ist die Service-Orientierung der staatlichen Bürokratien noch sehr unterentwickelt.

            Menschen mit Macht kritisieren ist immer gefährlich, leider. Menschliche Natur, fürchte ich. 🙁

          • cimourdain 1. Oktober 2022, 20:23

            Ihrer „Servicementalität“ möchte ich lieber „Qualitätsmentalität“ entgegensetzen. Wenn Sie andere „Kompetenzdienstleister“ betrachten: Anwalt, Arzt, etc… so wählen Sie diese auch nicht nach dem Kriterium ‚Freundlichkeit‘ aus, sondern nach dem Vertrauen, das Sie diesem entgegenbringen, dass Ihr Auftrag gut erledigt wird. Und dieses Vertrauen (oder der Mangel daran) ist es, was zum zweiten Punkt führt: Dem inneren Zusammenhalt gegen Sie als ‚Auftraggeber‘. Wenn SIe die Statistik ansehen, ist da das Finanzamt noch deutlich positiver als andere Behörden, wo das Machtgefälle zwischen Staat und Bürger noch höher ist: 2/3 der behördlichen Einsprüche sind erfolgreich, Finanzgerichte sind allerdings eher unberechenbar. Beim ALGII werden Widersprüche nicht selten verschleppt, Behördenbescheide sind nicht selten falsch (Klagen sind in mehr als der Hälfte der Fälle erfolgreich). Bei der Polizei ist man nicht nur mit einer Beschwerde endgültig verloren, auch bei Gericht sind die Chancen verschwindend gering.

            • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 11:15

              Dieses Machtgefälle ist ja auch real. Steuerzahler*innen können dem Staat mit sehr viel mehr Selbstbewusstsein entgegentreten als Hartz-IV-Bezieher*innen (und sowieso als die Polizei, die aber je nach Milieu und Vergehen stark unterschiedlich agiert). Das muss eine Behörde zwangsläufig prägen. Ich meine, das Finanzamt korrespondiert in schwierigen Fällen ja eh oft mit Steuerberater*innen, sprich, das läuft auf einem sehr institutionalisierten und professionellen Level. Bei Hartz-IV streitest du direkt mit Leuten, die die Hälfte dessen, was du sagst, nicht verstehen.

              • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 11:47

                Sagt der Erfahrene. Nächste Woche haben sich die Betriebsprüfer angesagt. Natürlich spreche ich mit denen. Und ich bin kein Steuerberater.

                Steuerberater sind für vieles da und haben sich insbesondere auf die Führung der Buchhaltung von Kleinst- und Kleinunternehmen spezialisiert. Den Dialog mit den Finanzämtern statt dem privaten Steuerpflichtigen führen sie weit seltener.

                Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen…

                • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 12:15

                  Ich würde dir aber das Prädikat „professionell“ zugestehen, oder? Schließlich ist es dein Job, dich mit denen zu treffen. Du bist der Experte. Und es geht nicht um dich persönlich, sondern um das Unternehmen, das dir ja nicht gehört. Ein Hartz-IV-Antragsteller ist sicher kein Experte. Das ist der Unterschied, auf den ich raus will.

                  • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 18:09

                    Ich bin kein Steuerexperte. Ich vertrete die Gesellschaft(en). Ich vertrete Buchungen, die ich nicht veranlasst habe, schon weil ich zu der Zeit nicht im Unternehmen war. Ich vertrete also etwas, was ich im Grunde nicht kenne und nicht zu verantworten habe, das ist weniger als beim typischen Hartz-IV-Antragsteller.

                    Nein, ich verstehe nicht, was Du meinst. Das Gesetz ist nicht über die Maßen kompliziert. Die Anträge sind es anscheinend (ich habe noch nie einen gesehen). Das ist aber Verwaltungssache, also das, was Beamte aus Gesetzen machen. Wen soll man dafür verantwortlich machen?

            • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 12:04

              Freundlichkeit ist die wichtigste Voraussetzung für Vertrauensbildung. Welche Frau würde sich vom Arzt unten rumfummeln lassen, der ihr nicht respektvoll und freundlich begegnet? Fragen Sie einfach mal in ihrem Bekanntenkreis. Das gilt auch in anderen Bereichen wie bei Rechtsanwälten.

              Das Problematische ist auch etwas völlig anderes, die Bestechlichkeit der Staatsdiener. Begegnet ihnen ein Bürger sehr freundlich und demütig, lassen sie auch Fünfe grade sein, zeigen ein Übermaß an Verständnis, statt sich auf den Sachverhalt zu konzentrieren. Ich habe davon eben oft profitiert. Nur ist das genau das, wie Staatsdiener nicht handeln sollten. Ihr Maßstab muss das Gesetz sein und nicht, wie freundlich oder unfreundlich ihnen der Bürger begegnet.

              Nur einer meiner vielen Beispiele: Auf einer Autobahnfahrt bei Würzburg (Bayern) überholte ich auf der breit ausgebauten A3 einen langsam Fahrenden verbotenerweise rechts. Die hinter mir fahrende Zivilstreife stoppte mich. Auf die Frage, ob ich den Grund wisse, stellte ich mich erst unwissend. Dann verschärfte der Polizist den Ton und ich wusste, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, demütig zu sein. Ergebnis: Sie verwarnten mich nett („nicht wieder tun“) und ließen mich weiterfahren. Habe ich eigentlich erwähnt, dass die Zivilstreife mit Düsseldorfer Kennzeichen (NRW) fuhr?

              Weil ich nett war, sparten sich die Beamten die Mühe, ihre bayrischen Kollegen hinzuzuziehen und ein Ordnungsverfahren gegen mich einzuleiten. Ganz anders wäre es gewesen, wenn ich patzig gewesen wäre, dann hätte sogar ein Fahrverbot herausspringen können.

              Wollen Sie, dass so Recht exekutiert wird?

              Im Bereich Steuervollzug ist der Staat wie in keinem anderen Rechtsbereich interessiert, nachteilige Rechtssprüche gegen sich zu vermeiden. Denn diese Urteile werden in der Fachpresse entsprechend publiziert und Steuerpflichtige berufen sich darauf. Dazu kommt, dass es in diesem Bereich nur eine zweistufige Gerichtsbarkeit gibt. Auf das Finanzgericht folgt der Bundesfinanzhof (BFH).

              Die Finanzbehörden haben darüber hinaus in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, den persönlichen Kontakt mit dem Bürger deutlich auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Die erwähnten Betriebsprüfer sind nicht einmal mehr persönlich zu erreichen (weil im Home Office), sondern nur noch per E-Mail und melden sich dann selbst.

              • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 12:17

                Du formulierst den Anspruch, dass Menschen nicht Menschen sein sollen. Das kannst du natürlich machen, der Kommunismus hat das auch versucht. Mit bekannten Resultaten. Du widersprichst dir auch selbst: Das Problematische ist auch etwas völlig anderes, die Bestechlichkeit der Staatsdiener. Begegnet ihnen ein Bürger sehr freundlich und demütig, lassen sie auch Fünfe grade sein, zeigen ein Übermaß an Verständnis, statt sich auf den Sachverhalt zu konzentrieren. Der Vorwurf der „Bestechlichkeit“ (ein schwerwiegender Strafbestand!) ist auch völlig überzogen und geradezu absurd hier. Das Gesetz wird ja in deinem Beispiel eingehalten. Das Kernproblem ist, dass jedes Gesetz, jede Regel einen Ermessensspielraum beinhaltet. Zwangsläufig, wir sind alle Menschen. Wie sehr und in welche Richtung dieser Spielraum genutzt wird, kannst du durch menschliches Verhalten beeinflussen. Aber das ändert nichts daran, dass Beamte und Beamtinnen auch mit großer Freundlichkeit sicher nicht die Gesetze brechen werden. Vielleicht solltest du in deiner übermäßigen Antipathie gegen Staatsdiener*innen trotzdem ein wenig auf deine Wortwahl achten.

                • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 18:29

                  Ich verlange und erwarte, dass Staatsdiener ihren Job machen. Und zwar, wie es die Verfassung vorsieht: ohne Ansehen der Person, möglichst gleich. Die Ironie ist hier ja, dass Du allein aus der Wortwahl heraus den gleichen Sachverhalt völlig unterschiedlich beurteilst.

                  Hätte ich geschrieben, Reiche haben hier einen Vorteil, sie werden besser behandelt weil sie es sich leisten können, hättest Du mit einiger Wahrscheinlichkeit zugestimmt. Beleuchten wir das aus einer anderen Perspektive, wird plötzlich aus der ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ein

                  Du formulierst den Anspruch, dass Menschen nicht Menschen sein sollen.

                  Regeln, Vorgaben und Systeme sind dafür da, einen möglichst hohen Grad an Gleichbehandlung herzustellen. Nirgends ist das so wichtig wie beim Vollzug von Gesetzen. Dem Beamten muss es völlig egal sein, ob der Bürger freundlich oder unfreundlich zu ihm ist, er hat die Gesetze zu vollziehen. Es ist auch falsch was Du über Gesetze sagst:

                  Juristen prüfen einen Sachverhalt, ob eine Norm auf sie zutrifft. Wird die Prüfung positiv beschieden, führt das zu einer Rechtsfolge. Löse Dich dabei vom Strafrecht. Wir reden nicht vom Strafrecht. Hat ein Kauf stattgefunden (Einigung)? Wenn ja, folgt daraus die Übergabe einer Sache. Da gibt es kein Vertun. Weder Behörde noch Sicherheitsorgane noch Richter können da sagen: Na ja, der kann nicht den gesamten Preis zahlen oder der hat die Sache noch nicht erstellt, dann gebe ihm doch Zeit oder verringere den Preis. Das ist nicht Recht, das ist Unrecht und Willkür.

                  Unternehmen wissen um die Schwäche von Menschen und engen den Faktor durch Regeln ein. Und der Staat soll seinen Dienern mehr Freiheiten zubilligen? Als Anfang der Nullerjahre immer mehr Kunden verhandeln wollten, führten Einzelhändler Rabattsysteme ein. Diese kanalisierten das Begehren der Kunden auf Preisnachlässe und engten gleichzeitig die Möglichkeiten der Verkäufer ein – zum Nutzen des Unternehmens.

                  Das erwarte ich noch mehr vom Staat. Denn sonst profitieren Leute wie ich, die mit Beamten umgehen können, weil sie geschmeidig genug sind und das Recht kennen. Das ist nicht mein Verständnis von Rechtsstaat.

                  Nach der Straßenverkehrsordnung steht auf die Missachtung des Rechtsüberholverbots ein Bußgeld von 1 Punkt in Flensburg. Das war damals nicht anders. Aufgrund meines einsichtigen, geschmeidigen Verhaltens konnte ich beides vermeiden. Wäre ich von einer installierten Kamera gefilmt worden, hätte ich keine Chance gehabt. Streng genommen haben die Polizisten also das Gesetz gebrochen, denn der Sachverhalt war unstreitig.

                  Und das ist das, was eben schon Hayek in den Fünfzigerjahren beschrieben hat. In der Planwirtschaft (Staatswirtschaft) ist der Bürger gezwungen, sich mit dem Beamten gutzustellen, um Vorteile zu genießen.

                  • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 18:59

                    Bald sprichst du auch von der EUdSSR, oder?

                    Klar soll das ohne Ansehen der Person erfolgen. Nur können Menschen das nicht. Du nicht, der Beamte auf dem Amt nicht, ich nicht. Niemand kann das. Wenn du jemand anmotzt, wird der dann nicht dieselbe Haltung an einen Antrag haben wie wenn du freundlich bist. So was ist klar. Die Grenze ist dort, wo die Beamt*innen tatsächliche Unterwürfigkeit erwarten würden. Aber erneut, das gilt überall. Professionalität gehört dazu. Nicht alle Menschen sind professionell.

                    • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 19:31

                      Wir setzen immer weniger auf Markt und Eigenverantwortung, der Staat hat seinen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen wie das Privatleben der Bürger deutlich ausgeweitet und geht da auch nicht zurück. Der Gipfel sind die Debatten über die Energiepreise, wo der Staat erst die Menge und nun den Preis bestimmen will. Nach Kohl: wir sind mehr auf dem Weg zur EUdSSR als zum totalen Liberalismus.

                      Da es nicht angekommen ist: Der Staat ist verpflichtet, die menschliche Komponente gering zu halten.

                    • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 22:12

                      Es erschreckt mich, wie offen du mittlerweile Schlagworte vom rechten Rand verwendest.

                      Falls es nicht angekommen ist: da haben wir keinerlei Dissens. Die Idee aber, dass sie keine Rolle spielen könnte, ist abenteuerlich.

                    • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 22:56

                      Kohl ist rechter Rand? So weit ist es mit der woken Bewegung also gekommen.

                      Zur Erinnerung: Du hast den Begriff EUdSSR gebracht. Nicht ich. Das gehört nicht zu meinem Wortschatz. Und Deine Methoden verärgern mich zunehmend.

                    • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 06:45

                      Was hat das denn mit Kohl zu tun?

                      Und ich hab dich nicht gezwungen, dich zu randständigen Begriffen zu bekennen.

                    • Stefan Pietsch 4. Oktober 2022, 10:19

                      Ich:
                      Und das ist das, was eben schon Hayek in den Fünfzigerjahren beschrieben hat. In der Planwirtschaft (Staatswirtschaft) ist der Bürger gezwungen, sich mit dem Beamten gutzustellen, um Vorteile zu genießen.

                      Darauf Du:
                      Bald sprichst du auch von der EUdSSR, oder?

                      Und ich:
                      Wir setzen immer weniger auf Markt und Eigenverantwortung, der Staat hat seinen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen wie das Privatleben der Bürger deutlich ausgeweitet und geht da auch nicht zurück. (..)

                      Nach Kohl: wir sind mehr auf dem Weg zur EUdSSR als zum totalen Liberalismus.

                      Helmut Kohl meinte (für diejenigen, die in Geschichte nicht so firm sind):
                      Bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginnt der Sozialismus

                      Halten wir fest: Du führst rechtsextreme Begriffe ein, schiebst sie dann agitatorisch Kommentatoren unter und zeigst Dich dann noch wenig geschichtsfest. Und nebenbei rückst Du angesehene Figuren der Zeitgeschichte wie Helmut Kohl und Friedrich Hayek in den Bereich des Rechtsextremismus. Das ist nur noch widerlich. Du vergiftest Deinen eigenen Blog. Von Deinem Südpol aus ist halt alles Norden. Is‘ klar.

                      Und gleichzeitig reden andere davon, dass sich Menschen, die nicht arbeiten wollen, am Volksvermögen vergehen. So haben Kommunisten und Faschisten auch gesprochen. Zum Handabhacken ist es da nicht mehr weit.

                    • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 12:18

                      Lieber Stefan P, haben Sie bitte etwas Nachsicht mit Stefan S. Er gehört einer Generation an, die damit gross geworden ist, dass öffentlich wirksame diffamierende Kampfbegriffe ausschliesslich von links kamen. Und muss sich noch an den Schock gewöhnen, dass Rechte das Spiel (jetzt erneut nach einer Pause) wirksam selber meistern.

                      Und natürlich ist EUDSSR ein Kampfbegriff – nur sehe ich absolut nicht ein, warum ich diesen oder andere nicht benutzen darf, nur weil er auch von Rechtsradikalen genutzt wird. Ich denke erneut darüber nach, sobald Linke darauf verzichten, linksradikale Kampfbegriffe zu verwenden (also ziemlich sicher nie :-)).

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Pietsch 4. Oktober 2022, 12:25

                      Ich hab‘ ihn ja nicht einmal benutzt, und das ist ja die miese Nummer. Das wirklich Schlimme daran ist, dass Stefan mit seiner Art das Diskussionsklima seines eigenen Blogs vergiftet.

  • cimourdain 28. September 2022, 09:18
  • CitizenK 28. September 2022, 12:01

    Ihre Kritik ist berechtigt. War missverständlich. Hätte das gleich nach dem absenden klarstellen sollen. Sorry.

    • CitizenK 28. September 2022, 17:13

      Es geht weder um Willkür (Waigel wollte Steuerausfälle reduzieren?) noch um eine bestimmte Gruppe (Spitzeneinkommen), sondern um die konsequente Anwendung des Prinzips vom abenehmenden Grenznutzen. Dieser kann in den obersten Regionen durchaus stärker abnehmen und einen anderen Tarifverlauf rechtfertigen.
      Diesen überlässt Karlsruhe der Politik:
      „Wählt der Gesetzgeber einen progressiven Tarifverlauf, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit beim Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt“.

      Zum ewigen Neid-Vorwurf: Ich hätte doch gar nichts davon.

      • Stefan Pietsch 28. September 2022, 18:40

        Das politische Ziel war die Steuerausfälle zu kompensieren. Aber das hat keine (verfassungs-)rechtliche Relevanz.

        In der Sache hat Waigel mitten im Tarif gesagt: So und für eine kleine Gruppe von Einkommensteuerzahlern ist der Grenznutzen jetzt geringer als für die vielen davor (und danach). Das war willkürlich und genau darum geht es. Natürlich kann der Tarifverlauf einen stärkeren Steigungswinkel haben. Das wäre grundgesetzlich nicht zu beanstanden. Aber das bedeutet dann auch: Für jeden, vom 2.000 Euro-Verdiener bis zum Spitzeneinkommen.

        Das ist aber das, was Sie explizit nicht wollen. Sie wollen, das man sagt: Steigungswinkel 0,5% auf 100€, aber wer 54.000 Euro (oder anderer Betrag) verdient, muss einen Steigungswinkel von 1,5% hinnehmen. Das geht nicht, weil es willkürlich ist und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widerspricht. Es ist überhaupt kein Grund vorhanden, warum Menschen jenseits einer bestimmten, politisch definierten Grenze plötzlich, von einem Euro auf den anderen, einen deutlich geringeren Grenznutzen von ihren Zuverdiensten haben als diesseits der Grenze.

        Neid hat nichts damit zu tun, dass man selbst etwas davon hätte. Neid ist, wenn man sich darüber echauffiert, dass wildfremde Menschen Wasserski hinter einer 20 Millionen Euro Yacht fahren können, während andere, ebenfalls wildfremde Menschen betteln müssen. Das somalische Baby mit Mangelernährungserscheinungen hat nichts davon, wenn ein britischer Milliardär nicht Wasserski fährt. Das ist Neid.

  • Masin 29. September 2022, 09:44

    Hi Stefan,

    der Link zum Paper in i) funktioniert nicht. Gibt’s das auch online?

    Besten Gruß
    Masin

    • Stefan Sasse 29. September 2022, 14:05

      Mist, das war online. Ich hab leider meine lokale Kopie gelöscht und mir den Titel nicht gemerkt. Kannst leider nur rumgoogeln in der Hoffnung, es zu finden. Sorry.

  • CitizenK 29. September 2022, 19:40

    Wer ist so sehr „selber schuld“, dass er kein Recht mehr auf Unterstützung durch die Gemeinschaft hat? Wo ist die Grenze zwischen Charakterschwäche und Krankheit?

    Dass ein als Scharfmacher bekannter CDU-Generalsekretär einen bekennenden Arbeitsverweigerer schlicht als „krank“ bezeichnet, hat mich verblüfft. Ich hätte den einen frechen Schmarotzer genannt. Seither denke ich darüber nach. Was sich in meinen Kommentaren spiegelt, auch in rhetorischen Fragen.

    • Ariane 30. September 2022, 12:40

      Beitrag von Citizen:
      Wer ist so sehr „selber schuld“, dass er kein Recht mehr auf Unterstützung durch die Gemeinschaft hat? Wo ist die Grenze zwischen Charakterschwäche und Krankheit?

      Generell mal danke für deine Beiträge, ich halte das für einen ganz wichtigen Gedanken. Was mich an der Diskussion häufig gestört hat: wir gehen oft von so einer Eindeutigkeit aus. Als wenn alle Bürgergeldempfänger entweder unschuldig krank/arbeitsunfähig sind und der Rest sind Faultiere. Lassen wir die rotzfrechen Faultiere mal weg, ich und Citizen wollen ja auch die nicht verhungern lassen^^

      Es gibt da aber einen riesigen Graubereich. Nehmen wir mal sowas wie Alkoholismus oder psychische Krankheiten. Dinge, die einer geregelten Arbeit definitiv im Weg stehen. Und das sind anerkannte Krankheiten, wird aber sicher genauso oft als Charakterschwäche angesehen. Wie gehen wir nun damit um? Sind das die unschuldigen Kranken oder brauchen die nur mal nen Tritt in den Arsch? Das können wir hier philosophisch im luftleeren Raum diskutieren, aber irgendwo in der Politik und v.a. den Ämtern muss diese Frage ja praktisch beantwortet werden. Und außer dass ich keinen verhungern lassen will, finde ich die Antwort gar nicht so leicht.

    • Stefan Pietsch 30. September 2022, 12:50

      Nochmal: Der Antragsteller ist verpflichtet, seine Bedürftigkeit nachzuweisen. Und die Bedürftigkeit richtet sich nicht danach, ob er gerade keinen Job hat. Das haben manche 18jährige auch nicht und bekommen dennoch kein Hartz-IV. Sind sie dauerhaft krank oder sonst gehindert, bekommen sie Sozialhilfe oder Frührente. Aber auch das müssen sie nachweisen.

      Wer im erwerbsfähigen Alter Hartz-IV bezieht, ist grundsätzlich erwerbsfähig. Sonst wäre er anders eingestuft. Also bitte, wovon reden wir? Anscheinend wissen Sie nicht, wovon Sie reden. Wenn jemand erwerbsfähig ist, kann er arbeiten. Und tut er es nicht trotz Möglichkeiten, ist seine Bedürftigkeit zweifelhaft. Eigentlich logisch, oder?

      • Ariane 30. September 2022, 12:59

        Verzeihung, aber das ist falsch. Die Bedürftigkeitsprüfung geht ausschließlich um die finanzielle Seite. Braucht der Antragsteller finanzielle Hilfe zum Lebensunterhalt oder hat er andere Einkommen oder Vermögen. Nichts anderes wird da erstmal abgefragt. Das sind auch verschiedene Stellen, einer ist für die Finanzen zuständig und Fallmanager dann, um zu gucken, wie es mit Jobmöglichkeiten, Erwerbsfähigkeit etc. aussieht.

        Und die Frage der Erwerbstätigkeit kann kompliziert werden. Das macht die Rentenversicherung mit Gutachten und Amtsärzten und da gibts noch unzählige Abstufungen, gibt ja teilerwerbsfähig oder nur bestimmte Tätigkeit oder sogar zeitweise Erwerbsunfähigkeit, die zb nur ein oder zwei Jahre dauert. Sowas läuft ja nicht über die Eigendiagnose ab.

        Und sobald man irgendwie erwerbsfähig sind (meinetwegen auch nur 2 Std im Sitzen) ist man im ganz normalen Bürgergeldbezug (und übrigens immer noch bedürftig, weil man seinen Lebensunterhalt ja gerade nicht anderweitig bestreiten kann). Das heißt ja aber im Umkehrschluss nicht, dass man morgen am Flughafen Gepäck stapeln kann.

        Anscheinend wissen Sie nicht, wovon Sie reden
        Ich weiß nicht, wie ich es netter ausdrücken kann, aber vielleicht könntest du diese Herablassung ein wenig runterdimmen, wenn du selbst nicht ganz faktensicher bist.

        • Stefan Pietsch 30. September 2022, 13:51

          Im zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) ist die Grundsicherung für Arbeitssuchende („Hartz IV“) geregelt. Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die zwischen 15 und 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und sich in Deutschland aufhalten.

          Jemand ist erwerbsfähig, wenn er/sie täglich mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann. Hilfebedürftig ist jemand, wenn er/sie den eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm/ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht mit Einkommen oder vorhandenem Vermögen sichern kann.
          https://www.caritas.de/glossare/sgb-ii-grundsicherung-fuer-arbeitsuchend

          Dagegen Sozialhilfe:
          Im Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) sind die staatlichen Leistungen der Sozialhilfe geregelt, die beim Sozialamt beantragt werden können. Dazu gehören:

          die Hilfen zum Lebensunterhalt (für Personen, die hilfebedürftig sind und keine anderweitigen Leistungen erhalten, zum Beispiel Zeitrentner, in Einrichtungen betreute Menschen, längerfristig Erkrankte usw.),
          die Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe für Menschen ab 65 Jahren) und bei Erwerbsminderung (Sozialhilfe für dauerhaft voll Erwerbsgeminderte zwischen 18 und 65 Jahren),

          https://www.caritas.de/glossare/sgb-xii-sozialhilfe-grundsicherung-im-al

          Anscheinend weiß der Gesetzgeber selbst nicht, was er meint.

          • Ariane 30. September 2022, 14:20

            Ah genau danke, hilfsbedürftig ist dann der Ausdruck. Das bezieht sich rein auf die finanzielle Seite.

            Die Frage der Erwerbsfähigkeit (gerade wenn man jetzt nicht dauerhaft hinüber ist), kann halt sehr kompliziert werden. In der neuen Sozialhilfe gibts dann wirklich nur Geld und fertig, das kann auch übergangsweise geschehen. Und sonst ist man beim Bürgergeld eben bei „Fördern und Fordern“, sprich es werden irgendwelche Angebote gemacht. Bei 3 Stunden (aber vielleicht nur im sitzen) kann das ja auch irgendeine ABM sein, weil da logischerweise schon deutlich weniger Jobs in Frage kommen. Das ist alles sehr zeitaufwenig und komplex, aber grundsätzlich finde ich das durchaus gut. Mal abgesehen davon, dass gesundheitliche Zustände höchst selten dauerhaft konstant bleiben, finde ich Möglichkeiten für jegliche Art von Problemfällen begrüßenswert. Auch wenn da Leute bei sind, die vermutlich nie für den 1. Arbeitsmarkt in Frage kommen.

            Das ist natürlich jetzt alles idealisiert, bei Leuten über 50 mit irgendwelchen Einschränkungen gibt man sich zb oft nicht mehr soviel Mühe und wartet, dass sie ins Rentensystem kommen. Generell spielen da auch Finanzierungen mit rein, weil das eine wohl vom Bund getragen wird und das andere vom Land oder Kreis und dann sind natürlich alle scharf drauf, die nicht dazuhaben, wo man selbst bezahlt. Das sind halt so die Fallstricke der Bürokratie.

            • Stefan Pietsch 30. September 2022, 18:56

              Aus juristische Sicht bedeutet das „und“, das beides zutreffen muss. Es ist also, wie zuvor von mir gesagt: wer erwerbsfähig ist, bekommt Hartz-IV. Sonst nicht. Das ist das Entscheidende.

              • cimourdain 2. Oktober 2022, 00:27

                Das stimmt in der Theorie, in der Praxis ist die Situation leider ein Spiel mit Zuständigkeiten, weil es darum geht wer zahlt: Zuerst beauftragt das Jobcenter einen Arzt, um die Berufsunfähigkeit festzustellen. Wenn dieser sie bescheinigt, dann beauftragt die Gemeinde (die für die Sozialhilfe zuständig ist) die Rentenversicherung, ihrerseits die berufsunfähigkeit zu prüfen. Und bis dies alles erledigt ist verbleibt der Betroffene im Rechtskreis SGBII.

                • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 11:42

                  Das war schon 2004 ein kritischer Faktor, denn die Kommunen wurden damals massiv von Sozialhilfekosten entlastet. Aber heißt das, dass die meisten der derzeit beschäftigungslos gemeldeten 1,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger zu krank zur Arbeit wären?

                  Jedenfalls krankt die Debatte mit Linken wie Stefan, CitizenK, Ariane an der völligen Faktenfreiheit. Permanent wird die Diskussion auf die Vorwürfe gezogen:

                  – Haltet ihr Hartz-IV-Empfänger für faul?
                  – Wollt ihr die Menschen verhungern lassen?
                  – Die meisten sind krank und können gar nicht arbeiten.

                  Diese moralische Aufladung ist einfach nur noch nervig und abstoßend. Das gipfelt dann darin, dass selbst Lehrer (!) nicht mehr unterscheiden können zwischen einer sachlichen Beschreibung und einer Wertung. In den Achtzigerjahren jedenfalls legten weiterführende Schulen jedenfalls noch Wert darauf, den Schülern beizubringen, sachlich-beschreibend zu formulieren. Schule ist nicht nur da inzwischen schlechter geworden, wenn die Woken den Ton angeben.

                  Ich habe hier dauernd den Versuch unternommen, sachlich zu diskutieren. Doch jedes Fakt wird schlicht ignoriert. Ich habe ökonomische Erklärungen angeboten. Sie wurden ignoriert. Das Argument ist immer gleich: Arbeitslose haben keinen Job, weil sie keinen gefunden haben (Tautologie) oder eigentlich nicht arbeitsfähig sind. Lohnt sich Arbeit überhaupt? Was ist das für eine impertinente Frage?!

                  Die Zusammensetzung der Hartz-IV-Bezieher zeigen einige Anomalien zur übrigen Bevölkerung. Unter den Langzeitarbeitslosen sind wesentlich mehr Singles und mehr Haushalte mit 4 und mehr Mitgliedern. Nur bei den Zwei-Personen-Haushalten zeigt sich ein weit halb so hoher Wert wie beim Durchschnitt. Das ist zufällig die Grenze, wo es für Transferempfänger sinnvoller ist, sich auf zwei statt einen Haushalt zu verteilen.

                  Besonders häufig sind Alleinerziehende vertreten, auch unter den Aufstockern. In der Pandemie haben solche Frauen weniger aufgestockt, zum einen weil Mini- und Midijobs weggefallen sind, zum anderen weil die Kinderbetreuung noch schwerer zu organisieren war. Da lässt sich über einiges streiten nur nicht in der Form, wie es die genannten Linken hier getan haben.

                  Eine andere Gruppe sind jene, mit Migrationshintergrund, die sich weiterhin wesentlich schwerer tun, im Arbeitsmarkt anzukommen. Auf der anderen Seite ist eine Gruppe ein ganzes Stück aus dem Problembereich verschwunden: Ältere Erwerbsfähige und damit jene Menschen, die eigentlich am ehesten von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen sind. Hier wirken sowohl gesetzgeberische Maßnahmen als auch demographische Entwicklungen.

                  Es gäbe so viel zu diskutieren. Stattdessen führen Linke alberne, moralisierende, herabsetzende Debatten. Verschenkt.

                  • CitizenK 2. Oktober 2022, 12:37

                    Die Hartz-4-Praxis als „Streichelzoo“ abzutun, ist „faktenbasiert“?
                    Was ist mit den übereinstimmenden Studien zur Unwirksamkeit/Kontraproduktivität von Sanktionen? Diskutiert man sachlich, wenn man die ignoriert?

                    • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 12:48

                      Stefan, Erwin und Thorsten (wenn ich das so richtig im Überblick habe) argumentieren, dass die Studien wertlos sind, weil sie im Endeffekt Betroffene fragen, ob sie die Sanktionen gegen sich gut finden. Das ist durchaus sachliche Diskussion – und zeigt einmal mehr die Nutzlosigkeit von Faktenargumenten an sich auf.

                    • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 18:48

                      Wie so oft: eine Behauptung, die nie getätigt wurde.

                      Natürlich empfinden diejenigen, die von Regeln negativ betroffen sind, diese oft als unangemessen und ungerecht. Das nehme ich wahr. Sie dagegen nehmen nicht wahr, dass 42 Prozent der Empfänger meinen, Hartz-IV würde meist nicht an die Richtigen gezahlt. Und sie ignorieren die Skandale, in denen Clans über Jahre die Unterstützung abgesahnt haben. Da hat der Staat offensichtlich nicht genau hingeschaut. Sie zehren noch heute davon, dass in den Neunzigerjahren Steuerprüfer (angeblich) unter Druck gesetzt worden waren, aber sind blind für die Aktualität.

                      – Steuer- und Sozialsystem sind nicht aufeinander abgestimmt, so dass Arbeit im prekären Bereich meist unwirtschaftlich ist.

                      – Hartz-IV betrifft im wesentlichen wenige Problemgruppen.

                      – Jeder Fünfte Leistungsempfänger hat 10 Jahre und mehr nicht gearbeitet. Hartz-IV-Empfänger verlieren zum Großteil bereits nach wenigen Monaten einen neuen Job.

                      – In jedem anderen OECD-Staat wird sozialer oder monetärer Druck auf Langzeitarbeitslose ausgeübt.

                      Zu all diesen Themenkomplexen habe ich ausführlich argumentiert und Quellen geliefert. Jeder dieser Themenkomplexe wurde von Ihnen, von Stefan, von Ariane vollständig ignoriert. Kein Satz dazu, erst recht nicht der Ansatz einer Debatte. Dagegen findet sich 34 mal das Wort „faul“. Das zeigt sehr klar, wo Ihre argumentativen Prioritäten liegen.

                    • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 18:51

                      Es sind keine Studien, es sind Befragungen. Befragungen haben einen geringeren Wert als Studien. Das sage ich zu jedem Thema, weil es wissenschaftlich so ist. Befragungen geben Auskunft über Befindlichkeiten, sie sind aber kein objektives Bild. Genau dieses Ziel haben Studien, sich der Wirklichkeit zu nähern.

                    • Thorsten Haupts 3. Oktober 2022, 16:38

                      Fehlschluss. Diese Befragungen konstituieren schlicht keine Fakten, sie als Argument zu benutzen macht nur Sinn bei Fragen wie „Was meint Gruppe X zu Y“.

  • CitizenK 30. September 2022, 05:43

    „Das war‘s“. Da war noch Kurt Beck („…rasieren Sie sich…“). Der dafür nicht nur von links heftig kritisiert wurde. Und nicht von mir.

  • CitizenK 30. September 2022, 16:32

    „CitizenK hat immer triumphierend von Dänemark erzählt, wo die Lohnersatzzahlungen besonders hoch seien. Seit dem ich ihm dargelegt habe, dass im Gegenzug enormer Druck auf Arbeitslose ausgeübt wird, hat er das von seiner Argumentationsliste gestrichen.“

    Nein, hat er nicht. Weder noch. Hat er auch vorher gewusst. Die Diskussion ging damals nicht weiter, weil keiner hinreichend Bescheid wusste über das dänische Gewerkschaftssystem, das damit eng verbunden ist. Das dänische Gesellschaftsmodell ist sehr verschieden von unserem.

    DK kennt so gut wie keinen Kündigungsschutz. Das erfordert mehr Flexibilität von den AN. Dafür gibt es 2 Jahre lang 90 % des letzten Einkommens. Damit kann man ohne Demütigung einen passenden Job suchen. Fordern und Fördern sind dort nicht nur Schlagworte.
    Und: Die dänische Arbeitslosen-Versicherung ist freiwillig. Wer sich nicht versichern will, hat Anspruch auf die dortige Form der Sozialhilfe.

    Ein interessantes, aber sehr anderes System. Der Arbeitsmarkt ist viel flexibler, was volkswirtschaftlich Vorteile bringt. Aber kann sich jemand bei uns Mehrheiten für die Abschaffung des Kündigungsschutzes vorstellen?

    • Stefan Pietsch 30. September 2022, 19:09

      Hat er auch vorher gewusst.

      Hat er dann nur unerwähnt gelassen. Nein, Sie haben damals zugestanden, das nicht gewusst zu haben. Die Gewerkschaften haben damals übrigens der Abkehr von kollektiven Tarifverträgen zugestimmt. Hier ist das des Teufels.

      Und noch etwas: er dänische Staat zahlt bis zu 90 Prozent des letzten Gehalts – und das bis zu vier Jahre lang. Die Obergrenze liegt bei rund 370 Euro wöchentlich. Das dänische Fördern und Fordern beinhaltet aber auch, dass Arbeitslose nach einem Jahr zu Arbeiten gezwungen werden können. Auch Angebote an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind zahlreicher als in Deutschland. Kritiker sprechen von Zwangsarbeit.
      https://www.merkur.de/wirtschaft/daenemark-hochlohnland-arbeitslosigkeit-bekaempft-165686.html

      Hier hat doch vor Wochenfrist auch jemand das Wort von der Zwangsarbeit in den Mund genommen. Wer war das noch…?

      Gäbe es in Deutschland ein System wie in Dänemark ohne Kündigungsschutz, hätte heute einer meiner Noch-Mitarbeiter einen Job. Doch da nach sechs Monaten ein umfangreicher Kündigungsschutz greift, war ich gezwungen, die harte Tour zu wählen. Und auf der anderen Seite habe ich vor einem Monat eine Mitarbeiterin nach zwei Jahren entlassen, wir prozessieren jetzt und in ein paar Wochen wird sie wahrscheinlich die übliche Abfindung von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr bekommen. Maximal 1,0. Tolles System!

      Aber kann sich jemand bei uns Mehrheiten für die Abschaffung des Kündigungsschutzes vorstellen?

      Der Punkt ist: die meisten kennen nicht das System. Beispiel die gekündigte Mitarbeiterin. Als die ersten Beendigungsgespräche mit ihr geführt wurden, war sie der festen Überzeugung, nur sich verweigern zu müssen und schon behielte sie ihren Job. Schließlich ist sie in einem gut verdienenden Unternehmen beschäftigt und es besteht Bedarf. Doch so läuft die Sache nicht. Im Kündigungsgespräch habe ich sie dringend aufgefordert, einen Anwalt aufzusuchen, damit das Ganze professionell läuft.

      Wüssten mehr Beschäftigte, dass der Kündigungsschutz sie nicht wirklich schützt, sondern sie in Unsicherheit entlässt und in eine Mühle der Justiz zwingt, wo sie hoffnungslos verloren sind, wären die Mehrheitsverhältnisse möglicherweise anders.

  • Lemmy Caution 30. September 2022, 20:26

    zu 8) Absolute Zustimmung und wichtig.
    Die woken leben natürlich in völlig anderen Zusammenhängen als die alleinerziehende, arbeitende Guatemaltekin oder der Arbeiter in Ohio.
    In Chile gabs jetzt ja dieses groß aufgeblasene Verfassungsreferendum mit übrigens massivem Berater-Einsatz der Heinrich Böll und Friedrich Ebert Stiftungen.
    Aus verschiedenen Gründen war die vom Volk gewählte Versammlung das linkeste, was in Chile seit 1973 gewählt worden ist. Der Text und der ganze Prozess bot dann viel Angriffsfläche. Im Plenum wurden teilweise indigen inspirierte Riten aufgeführt, Wahlveranstaltungen inkludierten „Kunst-Performances“, in denen sich mit der chilenischen Flagge der Hintern abgewischt wurde, im Text gabs ein Kessel Buntes an nicht einklagbaren Rechten wie z.B. das Recht auf ausgewogene Ernährung und die ganze Verfassung war vom Begriff Plurinationalität durchtränkt.
    What could possibly go wrong?
    Das Ergebnis war dann 62% Ablehnung bei einer Rekord-Wahlbeteiligung von 85%. Überraschend war, dass die Verfassung gerade in Sozialen Brennpunkten massivst durchfiehl.
    Die Erwartungen der Wähler waren konkrete Lösungen für ihre gerade nach der langen Pandemie oft sehr drängenden Probleme. Eine Verfassung kann das natürlich nicht liefern, aber das Ganze wurde selbst von mir zunehmend als Gedöns empfunden.
    Nach der Abstimmung entblössten sich dann einige in Interviews, Artikeln und sogar Büchern die Dichtheit der Wolke, in der sie lebten. Die Klügeren schwiegen.

    • Stefan Sasse 1. Oktober 2022, 09:57

      „Die Woken“ gibt es als monolithischen Block nicht.

      • Lemmy Caution 1. Oktober 2022, 13:55

        Ist auch mir klar, der ja überhaupt nicht zur Generation gehört.
        Im Grunde ist das ja ein altes strukturelles Problem von Linken mit Ambitionen zur Modernisierung: Sie kommen bei den sozial Schwachen nicht sonderlich gut an, weil es zwischen beiden eine große kulturelle Kluft gibt.

        • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 11:12

          Grundsätzlich ja. Ich bin ehrlich gesagt unsicher, was da der richtige Ansatz ist. Nur in aller Kürze als Gedanken, unsortiert und unstrukturiert:
          – Die sozial Schwachen wählen überwiegend nicht. Konzentrierst du dich auf sie als Kernklientel, hast du ein Machtproblem.
          – Viele der früheren sozialen Probleme, die die LINKE groß gemacht haben (Hartz-IV) sind weitgehend entschärft. Das Thema mobilisiert nicht mehr und ist schwierig zu vermitteln.
          – Die Gruppe der sozial Schwachen ist durch die lange Wachstaumsphase massiv geschrumpft.
          – Gleichzeitig haben wir eine völlig neue, riesige Gruppe sozial schwacher Personen in Form der Geflüchteten. Die wählen erst recht nicht und dürfen auch gar nicht.
          – Ihre Anwesenheit und Rolle in den Sozialsystemen weckt leicht von rechts abzurufende und schürende Ressentiments, die von links wesentlich schwerer (wenngleich nicht unmöglich) abzurufen und zu schüren sind (Lafontaine und Wagenknecht haben das versucht).
          – Die größten Sozialprobleme sind mit Migrationspolitik verknüpft, was nicht eben das Kerngeschäft der Linken ist. Ihre Vision (open borders) ist unfassbar unpopulär, gerade bei sozial Schwachen.
          – Dafür kann sie damit im Milieu der mondernisierten kulturellen Linken, die auch viel wählt und meinungsstark ist, punkten.
          – Beides beißt sich.

          Gibt es da einen Ausweg? Ich sehe so spontan keinen. Between a rock and a hard place.

          • Lemmy Caution 2. Oktober 2022, 18:03

            Auf Deutschland bezogen hast Du natürlich Recht. Da hat die SPD in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet. Die Linke verfolgt aus meiner Sicht eine ambivalente Politik: Per Mehrheitsbeschluß stellen die sich offiziell hinter die Ukraine und lassen dann gleichzeitig den Vatniks wie Wagenknecht freie Hand, auch um so zusätzliche Wähler zu mobilisieren. Das wird nicht funktionieren.

            Dein Beitrag 8) behandelte aber die USA. Dort und in Chile ist die fehlende Verbindung der Linken zu den Sozial Schwachen offensichtlich.
            Im Verfassungsreferendum in Chile bestand erstmals globale Wahlpflicht. Für nicht-Wahl drohten glaubhafte Strafzahlungen. Das einkommensmässig unterste Fünftel hat erstmals deutlich überwiegend (65%) für die Rechte gestimmt. Die Nicht-Wähler waren vorher in diesem Sektor überrepräsentiert. Seit Jahrzehnten reklamiert die Linke diese als ihre verlorenen Stimmen. Im Verfassungs-Referendum wählten die aber rechts. Es scheint einen Bereich depolitisierter einkommensschwacher Menschen zu geben, die bei Zwang dann doch eher rechts wählen, wobei das natürlich auch auf Besonderheiten dieser Wahl zurückgeführt werden kann.

            • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 18:54

              So offensichtlich ist das gar nicht; sozial Schwache wählen in den USA mit deutlicher Mehrheit die Democrats (so sie wählen gehen).

  • CitizenK 1. Oktober 2022, 15:03

    „dümmlich, dreist und unverschämt“

    Die Frage war (für mich) erkennbar rhetorisch. Es tut mir leid, wenn das nicht rüberkam.

  • CitizenK 2. Oktober 2022, 12:21

    Rechtsstaat und Demokratie bedingen einander. Preußen war ein Rechtsstaat, aber keine Demokratie.

    Die Gesetze (eine Säule des Rechtsstaates) macht die (Parlaments-)Mehrheit. Im Rahmen der Verfassung, gewiss. Die aber wiederum beschlossen wurde von der Mehrheit.

    Der Rechtsstaat ist überragend wichtig, keine Frage. Ich plädiere für einen nicht nur formalen Rechtsstaat:

    „Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“ (Anatole France)

    Mit einem „Hausanwalt“ hat, kommt man eher zu seinem Recht als ohne. Wer sich keinen Anwalt leisten kann, hat schlechtere Karten. Schon eine gute (Aus-) Bildung hilft sehr.

    • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 12:47

      Ich wäre vorsichtig damit, Preußen als Rechtsstaat zu fassen. Es hatte viele rechtsstaatliche Elemente, aber es war auch immer noch ein autoritäter Klassenstaat, der das Recht in vielen Fällen beugte, wenn es seinen Interessen (und denen der Stakeholder, Großindustrieller und Adel, entgegenkam).

      Ansonsten volle Zustimmung.

      • CitizenK 2. Oktober 2022, 17:31

        Preußen – stimmt. Was ist eigentlich dran an der Geschichte vom Alten Fritz und dem Müller?

        • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 18:54

          Wahrscheinlich nichts. Diese Anekdoten sind ein eigenes Genre, das gibt es seit es Herrschende gibt. Aber wenn du mir erzählst, dass Friedrich II., König von Preußen, eine Mühle haben will, und dass er sich da vom Kammergericht aufhälten lässt – dann hätte ich ein günstiges Grundstück in Venedig, das ich dir gerne verkaufen würde.

        • Thorsten Haupts 2. Oktober 2022, 20:22

          Sie stimmt wohl. Schicker PR-Coup des Alten Fritz :-).

          • Stefan Sasse 2. Oktober 2022, 22:14

            Schon 1958 war bekannt, dass das Unsinn ist: https://www.spiegel.de/kultur/vom-alten-fritzen-a-7b10d9cb-0002-0001-0000-000041760919 Ich erinnere mich auch gerade wieder, woher ich die Geschichte kenne: aus einem Buch über populäre Irrtümer. Da haben sie das auch entsprechend erklärt. Effektiv ist die Geschichte ein super Beispiel für Willkürherrschaft, also das genaue Gegenteil, als was sie zitiert wird. Auch bei Fernau ist sie mir (natürlich straight erzählt) über den Weg gelaufen.

            • Dennis 3. Oktober 2022, 12:04

              Welcher Fernau ?

              Im verlinkten Artikel jedenfalls schreibt der Spiegel über das thematisierte Bühnenstück von Peter Hacks:

              „Urheber des »bürgerlichen Lustspiels« ist der 1928 geborene Schriftsteller Peter Hacks, zu dessen dramaturgischer Methode es gehört, in seinen Schauspielen historische Begebenheiten so zu verändern, daß sie mit marxistischen Theorien übereinstimmen.“

              Hmmmmm….nun ja…verboten ist das natürlich nicht…..die Kunst soll ja frei sein; allerdings in der damaligen DDR eher weniger.

              Interessant, dass diese Art von Propaganda damals von der Ostberliner Obrigkeit erwünscht war. Später allerdings wurde die „Preußenpolitik“ umgemodelt. Honeckers Re-Platzierung des ollen Fritze auf die Linden spricht Bände. War meinerseits mal bei einer offiziellen Führung durch Potsdamer Sehenswürdigkeiten dabei, in den 80ern. Die DDR-Erklärfrau hat sich in Sachen vorteilhafter Preußenmythos gradezu überschlagen, natürlich mit dem „Müller“ und allen drum und dran. Natürlich sollte auch die zerstörte legendäre Mühle wieder aufgebaut werden, war auch schon in Arbeit, das geschah dann abschließend allerdings erst beim Kohl nach der Wende^.

              Klar war anno ’58 f. Preußen noch mit Empörungstrara vorgetragene sozialistische Antithese, beim späten Honecker dann aber passend gemacht. So ging das.

              So geht’s eigentlich immer und überall. Von der Geschichtsschreibung zur Geschichtspolitik ist es halt nur ein klitzekleiner Schritt, wenngleich die Historiker das womöglich nicht so gerne hören^. Die Suche nach angeblichen Vorfahren und Vorläufern für das heute Erwünschte ist ein mächtiger Motor, im Bedarfsfall findet sich allerdings immer auch was für die Antithese, insgesamt darf man mit der Manipulation nicht so pingelig sein.

            • Thorsten Haupts 3. Oktober 2022, 20:45

              Danke. Man lernt nie aus :-).

            • CitizenK 3. Oktober 2022, 21:08

              Wenn die Darstellung bei Wikipedia
              stimmt, ist der Fall komplizierter: Der König griff zwar selbstherrlich-absolutistisch in die Justiz ein und ließ Richter verhaften. Diese hatten aber wohl ihrerseits nicht unparteiisch geurteilt. Daher wohl die Legende vom gerechten König, der dem einfachen Bürger zu seinem Recht verhalf.
              https://de.wikipedia.org/wiki/Müller-Arnold-Fall

              • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 06:44

                Solche Legenden gibt es doch über jeden Herrscher, der halbwegs auf seine PR achtete. Manchmal mögen die Ereignisse sogar wahr sein. Aber sie konstituieren weder ein System noch sind sie typisch für die Erfahrung der Menschen.

                • CitizenK 4. Oktober 2022, 07:01

                  Sicher. Ihre Verbreitung und ihr Überdauern zeigen aber auch, wie groß das Bedürfnis der Menschen nach einer gerechten Herrschaft ist.

                • Thorsten Haupts 4. Oktober 2022, 12:11

                  Trotzdem steht doch ausser Zweifel, dass es in der Geschichte bessere und schlechtere Herrscher gegeben hat (wobei natürlich die Sicht der funktionalen Eliten, der formalen Eliten, des einfachen Volkes und verschiedener Ethnien durchaus differieren kann)?

                  • Stefan Sasse 4. Oktober 2022, 14:06

                    Ja klar. Habe ich den Eindruck erweckt, dass daran Zweifel bestehen?

    • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 18:36

      Das ist so nicht richtig. Die Grundlage allen Rechts ist in jedem Rechtsstaat die Verfassung. Diese besteht meist aus einer Reihe von Normen, die selbst mit noch so großer Mehrheit nicht in ihrem Wesensgehalt veränderbar sind.

      Darauf bauen die einfachen Gesetze auf. Sie erzeugen ein komplexes Werk von Regeln, überwölbt von internationalen Verpflichtungen, die praktisch nicht mit einfachen Mehrheiten innerhalb einer Legislaturperiode aufgelöst werden können. Des öfteren geht es gar nicht, weil sie anderen, weiter bestehenden Gesetzen widersprechen. Der Rechtsstaat ist ein eigenes Gebilde, das dem Mehrheitswillen nur bedingt unterliegt. Genau so ist es gewollt, sonst geht es wie in der Türkei. Die Türkei ist immer noch eine Demokratie, aber längst kein Rechtsstaat mehr. Und das war mal anders. Die Mehrheit hat das Recht zerstört.

  • CitizenK 2. Oktober 2022, 20:06

    @ Stefan Pietsch
    Das ist richtig. Die anderen Säulen des Rechtsstaats sind die Garantie der Grundrechte und die Unabhängigkeit der Gerichte.
    Mein Wunsch nach einem substantiellen Rechtsstaat bewegt sich innerhalb dieser Grenzen. Mit Blick auf die Türkei oder Polen oder Ungarn mag dies als Luxusproblem erscheinen. Aber sollen wir deshalb darauf verzichten?

  • CitizenK 2. Oktober 2022, 20:37

    Die Studie/Untersuchung/Befragung wurde vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung durchgeführt, mit wissenschaftlichem Anspruch (Gruppe/Kontrollgruppe). Es ging nicht um Befindlichkeiten, sondern um den Nachweis, ob die Sanktionen ihr Ziel (Arbeitslose in Arbeit zu bringen) erreichen. Dieses Ziel wurde demnach nicht erreicht. Darum ging es, nicht um Befindlichkeiten.
    Nun müsste man das Design der Studie genauer unter die Lupe nehmen. Erst dann könnte man eine begründete Aussage treffen.
    Aber selbst wenn die Sanktionen „nur“ Gefühle wie Einschüchterung, Stigmatisierung und Auswegslosigkeit bewirken – motivierend sind sie nicht.
    In Dänemark (wieder mal) hat eine Umstellung von „Regelorientierung“ auf „Bedarfsorientierung“ (Wünsche und Ideen der „Kunden“ werden in gleichem Maße berücksichtigt) zu besseren Ergebnissen geführt. Für jeden wird ein „Individueller Handlungsplan“ erstellt, in den die Wünsche und Ideen der Arbeitslosen eingehen. Wenn die „soziale Kontrolle“, von der Sie sprachen, so aussieht: d’accord. Wer gar nicht kooperiert, dem werden auch dort die Mittel gekürzt oder gestrichen – in Ordnung.

    Um auch das klarzustellen: Wer bewusst und im Besitz seiner körperlichen und seelischen Kräfte Arbeit verweigert, vergeht sich am Geld der Allgemeinheit, fast vergleichbar mit Diebstahl.

    Aber wie Stefan Sasse schon sagte, sind die schlimmsten Mißstände Geschichte. Ich bin gespannt, wie das mit dem Bürgergeld wird.

  • Stefan Pietsch 2. Oktober 2022, 23:04

    Ich nicht. Das liegt wohl daran, dass ich kein typischer Deutscher bin. Sie schon. Ich glaube nicht, dass die Welt irrt und nur wir Deutschen im Besitz der absoluten Wahrheit sind. Die politischen Felder werden immer weniger, wo wir Deutschen nicht meinen die Welt belehren zu müssen.

    Wer bewusst und im Besitz seiner körperlichen und seelischen Kräfte Arbeit verweigert, vergeht sich am Geld der Allgemeinheit, fast vergleichbar mit Diebstahl.

    Mir dreht sich der Magen um. Wer sagt so etwas? Doch keiner, der Menschen als freie Individuen begreift. Und Stefan meinte ihn mir einen Rechtsextremen zu erblicken. Einfach mal auf solche Statements schauen.

    Jeder Mensch hat die Freiheit, sein Leben frei zu wählen. Wer sich um Arbeit drückt, die für ihn wirtschaftlich keinen Sinn ergibt, ist deswegen weder Dieb noch Abschaum.

  • CitizenK 3. Oktober 2022, 17:27

    @ Thorsten Haupts
    „Diese Befragungen konstituieren keine Fakten“

    Das muss ich zugeben, nachdem ich den Endbericht der Studie gelesen habe. In den Medien war vermittelt worden: Sanktionen bringen die Menschen nicht in Arbeit, sondern verhindern es eher (ineffektiv bis kontraproduktiv). Das gibt die Studie in der Tat nicht her.
    P.S. Sachlich geht. Danke.

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