Liberale Elfen versuchen Kriminelle in Florida mit e-Zigaretten und iPads zu verhaften – Vermischtes 13.09.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Nichtstun First. Bedenken Second

Das Programm, das Wissing vorgelegt hat, reicht für 13,66 Megatonnen Reduktion. Und schon diese zwei Nachkommastellen sind eine Art böser Witz, wenn man sich die Einzelposten ansieht, denn die wirken eher wie ein Wunschzettel. Krassestes Beispiel ist der fromme Wunsch – mehr ist es eben nicht – dass der Fortbestand von Home-Office-Regelungen über die Pandemie hinaus pro Jahr eine halbe Megatonne CO₂ einsparen werde. […] Das ist offensichtlich auch nicht einfach Unfähigkeit oder Faulheit, sondern Strategie: Christian Lindner hat schon ziemlich unverblümt erklärt, dass er sich an die bestehende Regelung für die sogenannten Sektorziele nicht gebunden fühlt . Im Klartext: Das, was die FDP-Ministerien nicht hinkriegen, soll irgendjemand anderes ausgleichen. Im Bereich Verkehr soll sich offenbar einfach gar nichts ändern. Nichtstun First. Bedenken Second. […] Tatsächlich verbirgt sich hinter der Weigerung des FDP-Verkehrsministers und des Finanzministers, irgendeinen relevanten Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten, eine tiefere, selbstzerstörerische Ideologie. Die Lindner-FDP versucht weiterhin so zu tun, als sei die Abwesenheit von Veränderung eine reale Möglichkeit: […] Die FDP versucht derzeit, die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass sich in Deutschland eigentlich nichts ändern muss. Doch Wissings Progrämmchen würde gerade mal für ein Zwanzigstel des eigentlichen Ziels reichen. Wenn es denn funktionieren würde, was, wie gesagt, viel mit Wunschdenken zu tun hat. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Ich teile Christian Stöckers Kritik völlig, aber es wäre vielzu kurz gesprungen, die FDP allein dafür verantwortlich zu machen, diese Fiktion aufrechtzuerhalten. Das ist ja eine Allparteienkoalition, mal mehr, mal weniger (wie wir wissen sind die Grünen am schlimmsten, weil Habeck den Tipp gibt, kürzer zu duschen oder so). Aber die angesichts der Klima-Krise, deren Dringlichkeit der jüngste ICPP-Bericht wieder vor Augen geführt hat (eien Institution, die nicht eben zu Übertreibungen neigt), ist das alles merkwürdig unernst. Der radikalste Vorschlag in diesem Land ist aktuell ja wirklich, kürzer zu duschen, was von vielen ja als völlig unzumutbar betrachtet wird. Das ist völlig unwirklich.

Aber: Wissing und sein Chef verdienen hier durchaus noch einmal eine spezielle Schelte. Denn die kalte Auflösung der Sektorziele, die die beiden hier betreiben, ist sowohl ein Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, den weder die FDP noch ihre Anhänger*innen so auf der Gegenseite akzeptieren würden, als auch in der Sache wahnsinnig problematisch. Ich teile Stöckers Analyse nicht, dass die Lindner-FDP die Abwesenheit von Veränderung als reale Möglichkeit begreift. Es ist eher, dass sie die Abwesenheit politischen Handelns als reale Möglichkeit begreift, weil sie ihre Hoffnung auf Marktprozesse wie die CO2-Bepreisung und solche Maßnahmen legt (zumindest manchmal). Aber das halte ich insgesamt für illusorisch; nicht, weil diese Marktprozesse nicht funktionieren würden, ich bin da ja sehr dafür, sondern weil sie alleine nicht ausreichend sind. Und die Sektorziele sind ein guter Ansatz.

2) On the wisdom of the historians

But I think a big part of the reason people care so much about the goings-on in history academia is that in recent years, history professors have become some of the most important voices that we look to in order to understand our current political and social troubles. Jay Caspian Kang explained it well in a New York Times column today: „Over the past decade or so, history has become the lingua franca of online political conversation. This is a relatively new phenomenon…[T]he shift has something to do with the centrality of Twitter over the past decade (historical documents and photos make for great screenshots) and, more important, the changes in the country itself. Once Donald Trump became president, it was harder to write about “Breaking Bad” and Taylor Swift in such self-serious tones…Twitter has also allowed historians to assume a place in the public discourse that would’ve only been available to a select few before the advent of social media…As a result, history does seem to have an unusual amount of weight in the public discourse. […] Note that I am not arguing that we shouldn’t try to draw lessons from the past! Instead I am arguing that when we do try to draw lessons from the past, we should have some sort of empirical procedure for testing whether and when those lessons are good or bad ones. Otherwise, historians are just free to use their personal judgment — or their personal politics — to pick and choose whichever historical examples they feel like analogizing with the present day. (Noah Smith)

Der Streit zwischen Noah Smith und Bret Devereaux (Transparenz-Vermerk: ich bin mit Devereaux freundschaftlich verbunden) ist ziemlich faszinierned. Smith hat ihn mit obigem Beitrag von Twitter in die Blogosphäre geschoben, wo man bekanntlich wesentlich differenzierter argumentieren kann. Inzwischen gibt es diese großartige Replik von Bret Deveraux. Für diejenigen, die das Ganze komplett verfolgen wollen (es lohnt sich). Ich habe einige wenige Anmerkungen und verweise sonst auf Devereaux.

Das erste wäre, dass dies ein typisches Beispiel vom Schuster, der bei seinen Leisten bleiben sollte, ist. Weitreichende Aussagen über eine Fachkultur, die man nur aus der Außenperspektive kennt, sind immer problematisch, und Smith ist hier definitiv der (wenngleich gut belesene) Amateur. Ich will Smith nicht zu sehr in den Senkel stellen, ich habe ihn früher immer sehr geschätzt. Aber seit er seine Kolumne bei Bloomberg hat, ist die Qualität seiner Beiträge zurückgegangen. Negative Korrelation mit Reichweite und Ruhm, fürchte ich.

Das zweite ist Smiths Wissenslücke über die Stellung von Geschichtswissenschaftler*innen, die einmal mehr seine Außenperspektive verrät. Wenn er sagt, dass sie gerade eine präzedenzlose Stellung bei der Interpretation des Weltgeschehens innehätten, ist das geradezu lächerlich. Einerseits, weil die Historiker*innen zwar in den letzten Jahren gegenüber den Wirtschaftswissenschaften, die vor allem in den 2000er Jahren tonangebend waren, einigen Boden gut gemacht haben, aber noch weit von einer dominierenden Stellung, wie Smith sie hier imaginiert, entfernt sind. Andererseits, weil Historiker*innen im 19. Jahrhundert eine Stellung besaßen, die alles seither Dagewesene in den Schattenstellt. Was von Leuten wie Delbrück oder Mommsen kam, war effektiv das Wort Gottes. Davon sind wir noch weit entfernt.

Das dritte ist, dass Smith einem völligen Missverständnis aufsitzt, was die Grenzen der Geschichtswissenschaft anbelangt: wie auch Devereaux beschreibt, sind Analogien immer „pick and choose„, das liegt in der Natur der Sache. Es gibt keine Möglichkeit, in der Geschichtswissenschaft empirisch etwas zu beweisen. Das mag viele aus anderen Wissenschaftszweigen Kommende frustrieren, aber es gehört eben zum Gewerbe dazu. Ich versuche mich deswegen ja auch (nur leidlich erfolgreich), mich mit historischen Analogien zurückzuhalten.

3) Violent crime is spiking in Trump’s California. These counties blame everyone but themselves

It’s safe to say that none of these counties coddle their criminals — presidential leanings don’t define policy, but they are an indicator of how local politicians and law enforcement think about and handle crime. And yet, not only do these counties share the same problems of dark-blue Los Angeles and San Francisco — poverty, homelessness, drugs — they are doing worse on homicides. That’s true, even given the fact that a few killings in less-populated counties can mean big jumps in year-to-year statistics.  […] At the other end of the spectrum is Contra Costa County, which has been successful at beating state averages on crime and has one of the state’s only (along with L.A.’s George Gascón) openly progressive district attorneys, Diana Becton. […] So the idea that progressive policies lead to more violent crime just doesn’t pan out, any more than the idea that getting tough dissuades criminals.  […] There are two things we should talk about: guns and NIMBYism. First, we are swimming in guns. Drowning in them. Becton told me there are now “more guns in the hands of people than I think in history.” […] Racist before reforms and still, our system has locked up people of color at alarming rates, while criminalizing health issues including addiction and mental illness. So the changes we’ve put in place to create equity, fairness and compassion are vital to reimagining a paradigm that for too long crushed not just people, but communities. Where we’ve failed is in supporting and implementing those reforms. When someone is released from prison, diverted from jail or is the victim of a crime, that can’t be the end of the story. […] Most Californians are liberal at a distance, but bring it too close and it just doesn’t make sense here. There may be no better example than the San Francisco neighbors who last year successfully blocked the conversion of a 131-room boutique hotel into permanent supportive housing for people who were previously homeless. […] So criminal justice reform may be the easiest focus of blame for why some violent crime is up. But it turns out guns really do kill people, regardless of what the right likes to argue. And so does NIMBYism, though it’s an uncomfortable culprit to name. (Anita Chabria, LA Times)

Es ist einmal mehr spannend zu beobachten, wie fehlgeleitet viele Politiken sind, die versuchen, Kriminalität in den Griff zu bekommen (ich hatte darüber ja geschrieben). Der ständige „tough on crime„-Bullshit produziert nichts als menschliches Leid, aber nicht das, was er eigentlich zu produzieren vorgibt: weniger Kriminalität. Es gibt nur wenige so offensichtlich gescheiterte Ansätze, die trotzdem ständig neu reproduziert werden.

Auf der anderen Seite ist auch die Kritik am „wasch mich, aber mach mich nicht nass“-Progressivismus völlig berechtigt. Die Politiken, die tatsächlich Kriminalität vorbeugen könnten, werden oftmals rundheraus abgelehnt. Auch von Progressiven. Niemand will gerne soziale Projekte in direkter Nachbarschaft, obgleich das gar nicht zwingend problematisch sein muss (ich hatte sowohl ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche als auch für geistig Behinderte im Haus nebenan und es war unstressig); ein Geflüchtetenheim will ich trotzdem nicht unbedingt neben mir). So scheitert das Wünschenswerte häufig an solchen Umständen.

4) Soziale Probleme lösen – und Naturschutz ist die Folge

Die neue beschreibt die Krise nicht mehr vor allem als eine Krise der Natur, sondern der Gesellschaft. „Wir haben keine ökologischen Probleme – wir haben soziale Probleme, die die ökologischen Probleme verstärken“, sagt Johan Rockström, der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Daraus folgt: Wenn die Menschheit die größten sozialen Probleme löst, dann ist Naturschutz fast eine automatische Folge. Das ist eine interessante These, die (so hofft der Club of Rome), für Diskussionen sorgen wird. Dafür könnten auch die Schlussfolgerungen oder Empfehlungen sorgen: Denn die Studie beschreibt nicht nur den möglichen Untergang der Menschheit. Sie wagt auch eine Skizze für eine optimistische Zukunft. Im „Giant Leap“-Szenario („gigantischer Sprung“) rafft sich die Menschheit auf – und löst, überraschenderweise, die Probleme. Und das ist in diesen Zeiten der täglich immer düsterer werdenden Gegenwart nun mal wirklich erfrischend. […] Fünf Punkte zählt die Studie auf: Erstens ein Ende der Armut. Zweitens das Ende der Ungerechtigkeit. Es darf nicht länger sein, dass die oberen zehn Prozent der Bevölkerung über 40 Prozent der Ressourcen benutzen. Drittens mehr Bildung für Frauen, was automatisch zu einem Sinken der Geburtenrate führt. Viertens eine gesündere Ernährung für alle Menschen, weniger Fleischkonsum ermöglicht mehr Nahrungsmittel für alle. Und fünftens der schnelle Wandel hin zu sauberen Energieformen. Das alles klingt wenig spektakulär und doch zugleich utopisch – jedenfalls unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen. (Petra Pinzler, ZEIT)

Was mir an der Berichterstattung über diese neue Studie des Club of Rome massiv auffällt ist wie ständig betont wird, dass „die obersten zehn Prozent“ die Kosten tragen und ihren Lebensstil ändern müssen. Das wird ständig im gleichen Duktus wie Plädoyers für eine Vermögens- oder Reichensteuer vorgetragen, ohne den Kategorienfehler zu bemerken: der Club of Rome redet in globalen Maßstäben, und grob über den Daumen gepeilt würde ich sagen, dass alle Deutschen über der Grundsicherung zu den globalen 10% gehören. Ich glaube nicht, dass dieses Land darauf vorbereitet ist, solche Einschnitte hinzunehmen (was gleichzeitig auch eine tolle Analogie dafür ist warum es so schwer ist, die Superreichen angemessen zu beteiligen). Nicht, dass die Logik des Club of Rome fehlerhaft wäre; es ist eher ein Umsetzungsproblem. Wenn ich mal das ganze „ich wäre persönlich massiv betroffen“ ignoriere. Ich will ja auch nicht gerade die Hälfte meines Lebensstandards verlieren…

5) „Profiteure von menschlichem Leid“ (Interview mit Conni Lenert und Nina Kemper)

Was kann man dann den Menschen in der Ukraine konkret raten?

Lenert: Was man tun kann, wenn man angegriffen wird, ist natürlich eine Entscheidung der Einzelnen. Wichtig ist zu unterstreichen: Es geht um die Menschen und nicht um Staaten. Linke sagen gerade oft: „Wir müssen Waffen an die Ukraine liefern“, und dann reden sie plötzlich aus der Perspektive der Bundesrepublik. Gleichzeitig ist das eine schwierige Frage, auf die wir keine zufriedenstellende Antwort haben. Wir verweisen aber darauf, dass wir rausmüssen aus der militärischen Logik insgesamt.

Manchen gibt diese Aufrüstung ein Gefühl von Sicherheit.

Lenert: Als Antifaschistinnen ist es für uns sehr bedrohlich, dass die Bundeswehr, die von einem Rechtsextremismus-Skandal in den nächsten stolpert, so viel Waffen und Ausrüstung bekommt. […]

Kempert: Wir müssen grundsätzlich aus dieser militärischen und kapitalistischen Logik herauskommen. Krieg ist eben eines der profitabelsten Geschäfte auf dieser Welt. […] Krieg und Flucht sind ein tödlicher Kreislauf, der durch mehr Waffen immer weiter befeuert wird. Deswegen ist es für uns keine Möglichkeit, dieses staatliche Verlangen nach mehr Aufrüstung in irgendeiner Form zu unterstützen. Gleichzeitig sind wir mit allen Protestierenden und Kriegsgegnern, sowohl in der Ukraine als auch in Russland solidarisch. […] Man kann Ukraine und Rojava nicht miteinander vergleichen. Das eine ist ein neoliberales Staatsgebilde, das seine Bevölkerung unter Zwang dazu verpflichtet zu kämpfen. Und Rojava ist eine emanzipatorische Bewegung, die sich selbstverwaltet und auf Gleichberechtigung abzielt. (Lea Fauth, taz)

Dieses ganze Interview ist eine beeindruckende intellektuelle Bankrotterklärung und vor allem als solche interessant. Wenn Lenert sagt, es sei „die Entscheidung jedes Einzelnen“ was man tut, wenn russische Panzer heranrollen, ist so lächerlich, da kommt ja nicht einmal der krasseste Libertäre mehr mit, der den Kampf gegen die Klimakrise zur rein individuellen Lifestyle-Entscheidung erklärt. Ob Lenert überhaupt auffällt, was sie da sagt? Gleiches gilt für den Staatshass, den die beiden hier zu Markte tragen und der jeden Neoliberalen dazu bringt „mach mal langsam“ zu sagen. Die beiden vertreten einen ziemlich anderen Linksradikalismus, als man ihn üblicherweise sieht, aber beknackt ist er trotzdem.

6) Schulamt verbietet Lehrkräften Rückgabe von Dienst-iPads (dafür gibt’s jetzt Office 365)

Zu klein, zu schlecht ausgestattet, kaum zu gebrauchen: Über 1.000 Lehrkräfte in Köln hatten ihre Dienst-iPads an die Stadt zurückgeben wollen – daraus wird nun allerdings nichts, wie die „Kölnische Rundschau“ berichtet. Die Aktion darf nicht stattfinden. Das Schulamt habe in einem Infobrief an die Schul- und Ganztagsleitungen kurzfristig die Rückgabe untersagt – und mit dienstrechtlichen Maßnahmen gedroht. […] „Die Möglichkeiten zur Nutzung des von der Stadt zur Verfügung gestellten Videokonferenztools sind eingeschränkt. Unerklärlich ist zudem, dass Geräte ausgewählt wurden, mit denen das vom Land gestellte Lernmanagementsystem Logineo LMS im Editiermodus nur sehr begrenzt bis gar nicht nutzbar ist, weshalb selbst die Medienberatung NRW von einer iPad Nutzung bei Logineo LMS Schulungen abrät. Hinzu kommt, dass alle Arbeit am kleinen 10 Zoll Bildschirm stattfinden muss: seitenlange Gutachten, Zeugnisse, Noten- und Klassenlisten, Lern- und Förderempfehlungen.“ (News4Teachers)

Es macht mich so wütend, solche Nachrichten zu lesen. Das passiert ständig, ob in Behörden oder in Unternehmen. Es war bei uns genau dasselbe. Ich habe mich jahrelang mit Zähnen und Klauen dagegen gewehrt, dass iPads als Standardgeräte eingeführt werden. Diese Entscheidungen, die in irgendwelchen Bürokratien – ob staatliche oder betriebliche ist dafür echt so Hupe – getroffen werden, ohne die Betroffenen einzubinden, führen genau zu solchen Ergebnissen. Man hat einen riesigen Stapel fabrikneuen Elektroschrott, der für die zu bewältigenden Aufgaben völlig ungeeignet ist. Aber Hauptsache, irgendwelche Kästchen konnten auf den richtigen Formularen angekreuzt werden. Ausbaden müssen es dann die Beschäftigten, die mit völlig ungeeignetem Gerät operieren müssen.

7) Coverage of Ron DeSantis shows the media has learned nothing from Trump

DeSantis has learned he can get away with anything, no matter how extreme or how deceitful. Rather than holding him accountable, political reporters praise his strategy. Sure, our major news organizations run the occasional story pointing out who he really is. But what DeSantis is exploiting is the “both-sides” political media’s inability to sustain outrage against one side, no matter how extremist and authoritarian it becomes. […] The outrage ebbs, so by definition it’s not outrageous any more. And then, for political reporters, it’s back to horserace coverage, where every horse has to be given a fair shot — where politics has no right or wrong, just who’s winning and how they’re doing it. […] Can any reporter honestly say that an introductory clause stating that DeSantis “raised his national profile over his handling of the pandemic and is widely considered a potential 2024 presidential candidate” (Wall Street Journal) or “has relished stoking cultural battles, even going to war with Disney, a storied company with deep ties to his state” (New York Times) is an adequate summary of who he is and how he would govern? […] The argument I sometimes hear from establishment media types is that when reporters describe outrageous things a politician has done, that’s enough. They don’t need to suddenly stop using emotionless jargon and both-sides story structures. There’s no need for yelling, readers can contextualize this stuff for themselves, they tell me. But the fact is that reporters are contextualizing these actions, they’re just doing it with euphemisms, or at the strategic level. The stakes are so high that reporters must not understate them. That is not the same as screaming. That is doing their job. (Dan Froomkin, Press Watch)

Ich weiß gar nicht, was man hier noch sagen soll, außer kräftig mit dem Kopf zu nicken, bis man Genickstarre hat. Um mal meine linke Seite zu pflegen, ein Teil des Problems ist in der in der wirtschaftaftlichen Situation begründet. Hier gibt es einen großartigen Thread zu den finanziellen Anreizen von CNN, passend zu Resterampe n), den ich der Lektüre empfehlen will.

Gleichzeitig aber ist mir auch klar, dass es eine schwierige Situation ist. Froomkin schießt in seiner Kritik weit über das Ziel hinaus, denn CNN kann ja andererseits nicht einfach Partei werden, was geschehen würde, wenn der Sender das machen würde, was Froomkin fordert. Die Situation ist deswegen so verfahren, weil die GOP keine demokratische Partei ist; ginge es um Tories vs. Labour, hätten wir dieses Problem überhaupt nicht. Aber wie verhält man sich, wenn von zwei Parteien eine Demokratie und Meinungsfreiheit zerstören will? An dem Problem sind die Medien immer wieder gescheitert, und eine gute Lösung hat noch keiner gefunden. Ich hab auch keine. Aber das macht es nicht weniger ärgerlich, in Echtzeit zu sehen wie Proto-Faschisten normalisiert werden.

8) Einweg E-Zigaretten: Dümmster Trend seit langem – so schädlich sind Wegwerf-Vapes

Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich solche Wegwerf-E-Zigaretten aber als extrem umweltschädliche Produkte. Der einfache Grund: In den für rund 10 Euro erhältlichen E-Zigaretten stecken meistens Lithium-Ionen-Akkus, die dann schließlich gemeinsam mit der E-Zigarette im normalen Hausmüll landen, wo sie eigentlich nicht hingehören. […] In der „Elf Bar 600“ steckt beispielsweise laut Hersteller ein 550-mAh-Akku. Nach etwa 600 Zügen landet damit jedes Mal ein eigentlich wiederverwertbarer Akku im Müll. Zum Vergleich: Im Galaxy S22 steckt ein 3.700-mAh-Akku. Mit dem Wegwerfen von 7 Elf Bars wird damit eine Akkukapazität einfach in den Müll weggeschmissen, die für den jahrelangen Einsatz eines Galaxy S22 ausreichen würde. Ganz zu schweigen von der Verschwendung der wertvollen Seltenen Erden, die für die Herstellung der Akkus benötigt werden. Allein in Deutschland werden jeden Monat eine hohe sechstellige Anzahl solcher Wegwerf-E-Zigaretten verkauft und damit nach dem Verbrauch wieder weggeschmissen. (Panagiotis Kolokytha, PC-WELT)

Wir sind wirklich eine der dümmsten Spezies auf diesem durch die Galaxis kreisenden Erdball. Mitten in einer Gaskrise trocknen wir mit Gas Kaminholz, und in der größten Klima- und Umweltkrise seit wir von den Bäumen heruntergeklettert sind, während ständig die Elektrifizierung der Autos unter anderem mit dem Argument, dass es gar nicht genug Ressourcen für die Batterien gäbe, blockiert wird, produzieren wir Wegwerf-E-Zigaretten. So sehr ich den Kapitalismus als Konsumwünsche-Erfüllungsmaschine liebe, in solchen Momenten werden seine Schattenseiten einfach zu offensichtlich.

9) Schutzlos

Die strukturelle Missachtung, die wie in Münster zu tödlicher Gewalt führt, beginnt viel früher. Sie beginnt in den Blicken, in der Sprache. Sie beginnt im Klassenzimmer, in dem Homosexualität nur im Zusammenhang mit HIV vorkommt. Oder in der Familie, in der davon ausgegangen wird, dass die Kinder heterosexuell sind. Sie beginnt in Medien, in denen über trans Menschen diskutiert wird, als wäre ihre Existenz eine Meinungsfrage, und im Büro, wenn Menschen sich fragen, wie sichtbar sie wirklich sein können. Sie beginnt in der Bar, in der Queers sich lieber nicht küssen. Der junge Mann, der in Münster andere beschützen wollte, hat sich in einem Verein gegen Transfeindlichkeit eingesetzt. Er kannte also die Vorurteile, er wusste um die Gefahr. Er hat sich entschieden, trotzdem sichtbar zu sein. Er hat andere geschützt, damit sie es auch sein können. Es wird Zeit, Menschen wie ihn zu schützen. (Simone Sahles Prado, SZ)

Auf Twitter haben dieser Tage viele Menschen zurecht darauf hingewiesen, dass die ständige transfeindliche Berichterstattung, die das ganze Thema vor allem unter dem Blickwinkel „geben Sexualstraftäter sich als Frauen aus und machen perversen Scheiß in Mädchenumkleiden“ geframet hat, mit Sicherheit eine Mitverantwortung für das Geschehen trägt. Auch J. K. Rowling darf man da gerne wieder erwähnen. Sie hat gerade ein 1200-Seiten-Buch über einen Charakter geschrieben, der von Trans-Aktivist*innen bedroht wird. Die Frau kippt echt völlig ab, und die Kritik an ihr zeigt sich vor diesem Hintergrund als wesentlich berechtigter, als dies oft dargestellt wurde. Die Attacken indes – oder wenigstens die Berichterstattung darüber – häufen sich.

10) When ‚wokeness‘ comes to Middle-earth: Why some say diverse casting ruins the new ‚Lord of the Rings‘ series

Morse is deputy managing editor of RedState, a conservative news site. He says „The Rings of Power“ producers have cast non-White actors in a story based on European culture and who look wildly different from how Tolkien originally described them. He says it’s an attempt to embed „social justice politics“ into Tolkien’s world. „If you focus on introducing modern political sentiments, such as the leftist obsession with identity issues that only go skin deep, then you’re no longer focusing on building a good story,“ says Morse, who wrote an impassioned essay about his misgivings. „You’re effectively making propaganda, or art meant to fit a message, not a message to fit the art.“ […] Middle-earth fans and scholars like Morse have clashed in online forums and dueling op-eds over this question: Does casting non-White actors enhance the new series, or is it a betrayal of Tolkien’s original vision? […] Steve Toussaint, a Black actor who plays a wealthy naval commander in the current „Game of Thrones“ prequel, „House of the Dragon,“ spoke to this debate recently when he revealed he’s been criticized by White fans for being cast in the HBO series. „They are happy with a dragon flying,“ Toussaint said. „They’re happy with white hair and violet-colored eyes. But a rich Black guy? That’s beyond the pale.“ […] But critics of casting non-White actors in „Rings of Power“ say their objections have nothing to do with racism. It’s about being faithful to Tolkien’s vision. (John Blake, CNN)

Dieser Artikel ist ein großartiges Beispiel für die Dummheit von Bothsiderismus auch außerhalb Politik. Es ist offensichtlich, dass Morse „woke“ hier als Synonym für „schwarz“ benutzt. Etwas ist „woke“ und damit abzulehnen aus dem einzigen Grund, dass schwarze Personen zu sehen sind. Das ist nicht nur deswegen so absurd, weil „Mittelerde“ eine Fantasiewelt ist, so dass nicht einmal das sonst so gerne bemühte Strohmann-Argument von der „historischen Genauigkeit“ wirklich zieht, sondern auch, weil etwa die Harfoots bei Tolkien wohl als „braun“ beschrieben werden und das Casting sogar NÄHER an Tolkiens Vision wäre. Nicht, dass das eine relevante Kategorie ist; „Rings of Power“ muss gutes Fernsehen sein, nicht zu erraten versuchen, was Tolkien gefallen hätte, würde er heute noch leben (es ist übrigens kein gutes Fernsehen, nebenbei erwähnt).

Wie immer übrigens, wenn jemand eine Arschloch-Versammlung eröffnet, ist auch Elon Musk nicht weit. Neil Gaiman hat dazu den perfekten Kommentar. Die ganze dumme Episode wirft aber noch ein Schlaglicht auf Amazons Marktmacht einerseits und die Diskurs-Dynamik andererseits: der Unternehmensriese besitzt auch das Filmportal IMDB und hat dort sämtliche Bewertungen unter 5/10 Punkten gelöscht. Das ist quasi der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist, dass ich Amazon dabei auch noch verteidigen muss, weil die Serie wegen der idiotischen Identitätspolitik-Krieger „review bombed“ wurde, also noch vor Erscheinen mit tausenden und abertausenden von 1/10-Punkten-Reviews überzogen wurde.

Das passiert Werken, die vom rechten Mob als „zu woke“ klassifiziert werden, in den letzten Jahren ständig und greift immer mehr auch in die reale Welt über; letzthin hatte es mal eine Bäckerei erwischt (ich glaube in Thüringen, erinnere mich aber nicht mehr genau), in der zum Tragen einer Maske aufgefordert wurde. Mob’s gonna mob, I guess, und Linke machen das bestimmt auch. Hab gerade nur kein Beispiel parat. Es ist aber eines dieser vielen aus dem Internet resultierenden Probleme, die wir irgendwann mal angehen und lösen sollten.

Resterampe

a) Als weiteres Beispiel realer, weil realen Machtverhältnissen entspringender Cancel Culture: in Nebraska hat ein school board eine Schüler*innenzeitung verboten, weil die LGTBQ+-Themen besprochen hat.

b) Aktionen wie diese sind wohl der wichtigste Grund dafür, warum ich mich nicht mit den Grünen identifizieren kann.

c) Der New Statesman zieht über das 9€-Ticket Resümee.

d) Diese Sammlung von Hassmails und -nachrichten an Jürgen Zimmerer zeigt deutlich, welche Schlagseite diese beknackte Winnetou-Debatte hat.

e) Frankreich misst nicht nur Übertretungen der Höchstgeschwindigkeit, sondern auch der Lärmgrenzen. Können wir das bitte auch haben?

f) Eine hervorragende Ausgabe des MDR-Altpapiers, die die Debatten schön zusammenfasst.

g) Klasse Thread von Georg Löfflmann zur Russland-Liebe der Linken.

h) Die von Andrea Geier hier beschriebene Paradoxie habe ich auch schon öfter angemerkt.

i) Ganz spannende Analyse der Prognosekraft von Noten.

j) Ich fürchte, Hedwig Richter hat Recht.

k) David Frum rekontextualisiert Clintons Niederlage 2016 als gute Sache, weil es zu einem overreach der Republicans führte, der ihnen jetzt schadet. Ich bin nicht sicher, inwieweit ich zustimme – und war das schon in meinen eigenen Betrachtungen immer nicht – aber er formuliert es gut aus. Was denkt ihr? Als weiteren Denkansatz vielleicht diese neuen Umfrageergebnisse zur Abtreibungsfrage.

l) Cancel Culture is real, Kapitel 3252385239. Siehe dazu auch hier.

m) Diesen beliebten republikanischen Talking Point von wegen „ich bin Faschist geworden weil die Democrats so fies zu Mitt Romney waren“ kann ich einfach überhaupt nicht nachvollziehen. Es stimmt einfach faktisch nicht, erstens. Und zweitens: warum gibt es dann auf der Gegenseite keine vergleichbare Radikalisierung?

n) Ganz spannende Analyse über die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der New York Times und der Washington Post und warum letztere gerade im Sinkflug ist.

o) René Pfister hat ein Buch über die Gefahr des linken Aktivismus an US-Unis veröffentlicht. Aus progressiven Kreisen regt sich viel Kritik, weil die Rechte wesentlich gefährlicher ist. Ich teile diese Einschätzung, aber ich bin wesentlich weniger negativ gegenüber Pfisters Buch. Zwar ist die Aufmerksamkeit, die auf die linke Cancel Culture gepackt wird, im Vergleich zu der auf der Rechten überzogen. Aber das heißt ja nicht, dass die nicht existierte und keine Bedrohung ist. Und wir haben ja, Stichwort Brockschmidt, auch ein Sachbuch für die andere Seite.

p) Für Fans, Nostalgiker und Nerds ein Blick zurück auf „Fire Walk With Me„.

q) Braess‘ Paradox und dass das immer noch nicht weithin bekannt ist ist einfach faszinierend.

r) Maaßen zeigt gerade wieder schön, wo der Unterschied zwischen Demokraten und wie auch immer man das nennt, was er ist, verläuft.

s) Corona zeigt sich als klarer Bruch in der Lebenserwartung.

t) Wie dumm kann ein Tweet sein? Und Georg Pazderski so: „Hold my beer.“

u) Eine Studie stellt fest, dass Konservative sich gerne als „rural“ (ländlich) identifizieren, was diesen Twitter-User zu der treffenden Bemerkung veranlasst, dass wohl das woke der Konservativen ist.

v) The American economy is a model for the rest of the world.

w) Ein sehr gutes Porträt von Mathias Döpfner in der Washington Post.

{ 105 comments… add one }
  • Thorsten Haupts 13. September 2022, 09:57

    Zu 9): Die Frau kippt echt völlig ab …

    Aha. Was genau hat sie also getan? Ich zitiere mal aus dem verlinkten Artikel:
    „Rowling liked tweets that described trans women as “men in dresses,” mocked an opinion piece that used the term “people who menstruate,” backed activist Maya Forstater after she was fired for her transphobic tweets, and penned a lengthy statement in June 2020 about the reasons she was “worried about the new trans activism.”
    Das reicht heutzutage, um jemandem zu bescheinigen, er „kippe völlig ab“ … Und nur weil Stefan DAS nie erwähnen würde – sie bekommt dieselbe Mischung aus Hass, Gewaltdrohungen, Mord- und Todesphantasien, Veröffnetlichung ihrer Privataddressen etc. ab, die Stefan in anderen Zusammenhängen zu Recht scharf kritisiert. Für das, was im Zitat zusammengefasst steht. Der Unterschied? Sie wird von Wokies bedroht – und die dürfen das.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 13. September 2022, 15:53

      Nein, dürfen sie nicht. Lass solche blöden Unterstellungen.

      • Thorsten Haupts 13. September 2022, 16:43

        DIR habe ich nichts unterstellt. Den Wokies schon – das sind hypokritische Irre!

        • Stefan Sasse 13. September 2022, 16:49

          Ich meine…Radikale gleich welcher Couleur sind radikal. Das ist etwas tautologisch 😀

          • Thorsten Haupts 14. September 2022, 10:13

            Die von Dir so genannten Radikalen sind bei den amerikanischen Demokraten mitten im Mainstream. Nur bei uns – noch – nicht.

            • Stefan Sasse 14. September 2022, 11:34

              In den USA ist das weiter, da stimme ich dir völlig zu.

  • Thorsten Haupts 13. September 2022, 11:10

    Zu 10)
    Wie immer übrigens, wenn jemand eine Arschloch-Versammlung eröffnet, ist auch Elon Musk nicht weit.

    ROFLMAO. Musks Kommentar hat mit dem, was Du bei Morse kritisierst, absolut überhaupt nichts zu tun. Er schreibt: „Almost every male character so far is a coward, a jerk or both. Only Galadriel is brave, smart and nice.“
    Dem kann man sich anschliessen oder es für Blödsinn halten. Nur hat das mit einer identitätspolitischen Debatte 0, zero, nada zu tun. Was stört Dich eigentlich so an dem Mann, dass Du ihn in letzter Zeit bei jeder Gelegenheit
    unpassend in Debatten reinziehst? Ist er Dir zu reich oder zu sichtbar?

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • derwaechter 14. September 2022, 12:15

      Wollte gerade auch fragen, ob die Obsession mit Musk nicht eventuell etwas Überhand nimmt 🙂

  • Ariane 13. September 2022, 11:27

    1/4)

    Erstmal halte ich es für problematisch, wenn die FDP da klar gegen den Koalitionsvertrag verstößt. Andererseits war mit Vergabe des Ministeriums natürlich irgendwie klar, dass es da keine Revolution gibt. Nicht mal ein Evolutiönchen.

    Und dann muss ich mal kurz abledern, wie sehr mir diese Debatte von allen Seiten auf den Keks geht. Die einen sitzen da und warten auf den Deus-Ex-Machina, irgendeine coole Erfindung, die alle Probleme auf mal löst. (ohne dass dafür groß was getan wird, wie Geld ausgeben auch noch).

    Und die andere Seite ist genauso bescheuert und illusorisch. Hey, wenn alle, die gerade nicht am Verhungern sind, freiwillig (!) auf die Hälfte (!) ihres Lebensstandards verzichtet, wird alles gut. Bzw wir sterben dann nur vielleicht. Das ist genau so eine Realitätsflucht wie bei der FDP, nur in pessimistisch. Schließlich stirbt wohl jeder lieber, nachdem er im Luxuswagen mit 200 über die Autobahn gefahren ist, anstatt den Muskelkater vom vielen Zufußgehen mit Eiswasser zu kühlen.

  • Thorsten Haupts 13. September 2022, 11:45

    Zu i)
    Sach ich doch :-).

  • Stefan Pietsch 13. September 2022, 12:40

    1) Nichtstun First. Bedenken Second

    Stöcker ist ja nicht dafür bekannt, viel Sinnvolles zu schreiben oder gar sonderlich etwas von Umweltökonomie zu verstehen.

    Was ist an Sektorenzielen sinnvoll? Sektorenziele sind das Ergebnis von politischen Verhandlungsprozessen. Mit der umweltpolitischen, klimapolitischen Realität hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun, denn für den CO2-Ausstoss ist es völlig irrelevant, ob das klimaschädliche Gas durch Autos, Heizungsanlagen, Kühe oder PCs in die Atmosphäre gelangt. Das Wesen von Ökonomie besteht darin, mit einfachen, zielgerichteten Maßnahmen ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Da fehlt das Wort „viel“, dass so mancher beim Thema Klima inflationär verwendet.

    Der Autoverkehr ist seit zweieinhalb Jahren mit einer CO2-Steuer (die ein Zertifikatehandel sein soll) belastet. Entweder man hegt die Überzeugung, damit ließe sich das wie auch immer definierte Ziel erreichen, oder man muss es abschaffen und ein neues Instrument bringen. Unsinn ist es, mit möglichst vielen Instrumenten auf das Subjekt zuzugehen.

    Die Grünen befürworten, dass mehr Kohlekraftwerke in Polen am Netz bleiben bzw. dass deren Output erhöht wird. Den klimapolitischen Beitrag des Umwelt- bzw. Wirtschaftsministeriums halte ich da für weit überschaubarer. Habecks Tipps sind da nur der Spott obendrauf.

    4) Soziale Probleme lösen – und Naturschutz ist die Folge

    Der Club of Rome sagt vor allem, was Umweltökonomen seit Jahren sagen: der Klimawandel ist nicht das größte Problem der Menschheit. Es gibt dringlichere Aufgaben – was außerhalb den reichen Wohlstandsnationen auch verstanden wird.

    8) Einweg E-Zigaretten: Dümmster Trend seit langem – so schädlich sind Wegwerf-Vapes

    Das ist echtes Problembewusstsein… E-Zigaretten nehmen die notwendigen Kapazitäten für die Batterieautos weg. Da sollte man sich doch mal die Relationen ansehen. Aber je enthusiastischer, desto mehr lassen sich relative Zahlen vernachlässigen. Es gibt nach Berechnungen nicht annähernd genügend Lithium für die Elektrifizierung des heutigen globalen Autoverkehrs. Von Wachstum ist da noch gar nicht die Rede.

    Wie so oft scheint politisch ein Ziel vorgegeben zu werden, das nach den Naturgesetzen der Physik und Chemie nicht annähernd erreichbar ist. Und ob es so klug ist, in Zeiten von Stromknappheit (ich weiß, wir haben ein Gasproblem, kein Stromproblem) den Verkauf von E-Autos massiv zu fördern, sei mal dahingestellt.

    • Erwin Gabriel 14. September 2022, 10:40

      @ Stefan Pietsch 13. September 2022, 12:40

      8) Einweg E-Zigaretten: Dümmster Trend seit langem – so schädlich sind Wegwerf-Vapes

      Das ist echtes Problembewusstsein… E-Zigaretten nehmen die notwendigen Kapazitäten für die Batterieautos weg.

      Ja, tun sie, und nicht nur dort. Wie groß oder klein auch immer, wenn Lithium drinsteckt, ist es Verschwendung. Wenn die Dinger im normalen Abfall landen, statt fachgerecht entsorgt zu werden, ist es eine extreme Schädigung der Umwelt. Ähnliche Ressourcenvergeudung wie die Akku-Roller.

      Da sollte man sich doch mal die Relationen ansehen.

      Da

      • Stefan Sasse 14. September 2022, 11:35

        Fehlt da noch was in dem Kommentar?

        • Erwin Gabriel 15. September 2022, 07:45

          Stefan Sasse 14. September 2022, 11:35

          Fehlt da noch was in dem Kommentar?

          Zwei Buchstaben zu viel …

      • CitizenK 15. September 2022, 09:16

        8) Aus dem Lehrbuch der Marktwirtschaft: Die Aufgabe der Unternehmen ist es, die Konsumwünsche der Verbraucher zu erfüllen. Wenn die halt E-Zigaretten wollen oder Zweieinhalbtonner-E-Autos mit Lithium-Batterien – eigenverantwortlich handelnde Bürger wissen doch besser als Politiker und Beamte, was gut für sie ist.

        • Thorsten Haupts 15. September 2022, 10:49

          Kleine Korrektur zu „Die Aufgabe der Unternehmen ist es, die Konsumwünsche der Verbraucher zu erfüllen.“ Ergänze den Halbsatz „Im vom Staat gesetzten gesetzlichen Rahmen.“ Wenn ein Staat bestimmtes konsumverhalten für soooo gesellschaftsschädlich hält, dass er es unterbinden will, dann muss er halt die entsprechenden Gesetze machen! Ebenso sinnlos wie albern sind Beschwerden über gesetzlich zulässiges Verhalten.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

        • Erwin Gabriel 15. September 2022, 14:41

          @ CitizenK 15. September 2022, 09:16

          … eigenverantwortlich handelnde Bürger wissen doch besser als Politiker und Beamte, was gut für sie ist.

          Ja, aber. Was ich immer wieder mit einem gewissen Bedauern feststelle, ist, dass es offenbar so wenig davon gibt.

          Mir zeigen solche Entwicklungen immer, dass es uns zu gut geht …

          • Stefan Sasse 15. September 2022, 19:00

            „Eigenverantwortlich handelnde Bürger*innen“ wissen nicht per se, was gut für sie ist. Die Existenz der Tabak- und Alkoholindustrie spricht ebenso dagegen wie die ständigen Probleme mit gesunder Ernährung oder zu wenig Sport. Ich weiß oft nicht, was gut für mich ist. Und manchmal wissen Politiker*innen und Beamt*innen das tatsächlich besser, weil sie fachkundige Expertise eingeholt haben! Dieser Satz ist so ein Nick-Satz, aber wenn man genauer drüber nachdenkt ist er in seiner Pauschalität einfach nicht haltbar. Ich kann natürlich sagen: Bürger*innen sollen eigenverantwortlich handeln und deswegen möglichst wenig Vorschriften von Politiker*innen und Beamt*innen bekommen. Das ist eine völlig faire Position. Aber apodiktisch zu sagen, da kommen IMMER bessere Ergebnisse raus ist einfach Quatsch.

            • Stefan Pietsch 15. September 2022, 19:47

              Da hätte ich aber noch eine Frage: wieso wissen Politiker, gerne ohne Ausbildung, besser was gut für mich ist als ich selber?

              Wie das mit der wissenschaftlichen Expertise funktioniert, sehen wir ja. Da besetzen bestimmte Minister ihr Ressort ausschließlich mit Leuten, die ihr Leben in zielgerichteten NGOs verbracht haben – was als Expertise durchgeht – und verkaufen dann solche Sätze wie „Wir haben kein Stromproblem, sondern nur ein Gasproblem“. Dabei wissen längst Hilfsschüler, das Gas massiv zur Verstromung genutzt wird und damit ein Gasproblem zu einem Stromproblem wird.

              In der Pandemie wurde der Expertenrat der Bundesregierung nur mit wohlgefälligen Wissenschaftlern besetzt, obwohl schon Studienanfänger wissen, dass Wissenschaft etwas Lebendes ist. Es ändert sich ständig und endgültige Wahrheiten sind selten.

              Wie das halt so ist, wenn aufgrund wissenschaftlicher Beratung die Menschen geführt werden. Wo meist das Baugefühl der bessere Ratgeber ist.

          • CitizenK 15. September 2022, 20:44

            „dass es uns zu gut geht“.

            Wirklich: Uns fehlen: Ärzte, Handwerker, Trucker, Lehrer, Pfleger, ET-Spezialisten: Und zehntausende Erzieher, ohne die nicht nur die Kinder Schaden nehmen, sondern auch die Eltern und die Wirtschaft.
            Wir werden brauchen: CO2-Abscheider für Kohlekraftwerke und Zementfabriken, Windräder, Solaranlagen, Wärme- und Stromspeicher, Strom-„Autobahnen“ und/oder Steuerungsanlagen für dezentrale Stromversorgung, Bewässerungssysteme für Dürre-Sommer, Kühlungssysteme für heiße Innenstädte, Lösungen für Niedrigwasser beim Transport und der Kühlung von Kraftwerken. Zudem die bereits sattsam bekannten Infrastruktur-Reparaturen. Werden die Bürger es politisch möglich machen, dass Ressourcen, Finanz- und Human!kapital dafür eingesetzt werden? Oder doch lieber E-Zigaretten und Citypanzer nachfragen?

            • Stefan Pietsch 15. September 2022, 21:58

              Chile fehlen: Ärzte, Handwerker, Trucker, Lehrer, Pfleger, ET-Spezialisten: Und zehntausende Erzieher, ohne die nicht nur die Kinder Schaden nehmen, sondern auch die Eltern und die Wirtschaft.

              Spanien fehlen: Ärzte, Handwerker, Trucker, Lehrer, Pfleger, ET-Spezialisten: Und zehntausende Erzieher, ohne die nicht nur die Kinder Schaden nehmen, sondern auch die Eltern und die Wirtschaft.

              Ich wiederhole zum Xten Mal: Haben Sie eine Schnitzwerkstatt? Ihre Bereitschaft, Lösungen nur zu denken, ist nicht gerade imponierend.

              Die Große Koalition hat die Abschneidetechnik verboten. Es ist keine Mehrheit erkennbar, dieses Verbot zu kippen. Neue Wirtschaftsstudien zeigen, dass wir nicht annähernd die Ressourcen zum geplanten Ausbau der Erneuerbaren besitzen. Wo ist die Schnitzwerkstatt, wenn man eine braucht?

              • Erwin Gabriel 15. September 2022, 22:54

                @ Stefan Pietsch

                … Neue Wirtschaftsstudien zeigen, dass wir nicht annähernd die Ressourcen zum geplanten Ausbau der Erneuerbaren besitzen. Wo ist die Schnitzwerkstatt, wenn man eine braucht?

                Leider wahr …

              • CitizenK 16. September 2022, 07:07

                Chile arbeitet intensiv am Ausbau von Windstrom, Spanien an der Solarenergie. Da geht noch mehr, viel mehr.
                Die Schnitzwerkstatt haben wir ja – die Frage ist doch, WAS geschnitzt wird. Wofür Rohstoffe, Arbeitskraft und Erfindergeist eigesetzt werden: Für E-Zigaretten oder für Wärmepumpen, für Luxus (gar schädlichen) oder für (Über-) Lebensnotwendiges.

                • Stefan Pietsch 16. September 2022, 08:14

                  Der Punkt ist, dass fast jedes OECD-Land unter der Enge menschlicher Ressourcen leidet. Sie hantieren aber damit, als bräuchte es nur Geld. Zu oft.

                  Und wer bestimmt, wofür unsere Ressourcen eingesetzt werden? Ein großes Kommitee, dem jedes Jahr 5-Jahres-Pläne vorgelegt werden? Wer bestimmt, ob ich eher an dem Vertrieb von E-Zigaretten werkel oder auf Bau einer Windkraftanlage?

                  Apropos: Es erstaunt mich völlig, dass sich kein Befürworter der Erneuerbaren am unfassbaren Flächenverbrauch von Wind und Solar stört. Und eins, CitizenK, haben wir in Deutschland überhaupt nicht im Überfluss: ungenutzte Fläche. Die ist wirklich knapp und Fläche außerordentlich teuer. Das zeigt sich dann darin, dass niemand solche Anlagen vor der Nase stehen haben möchte. Wenn die in der Wüste oder im Meer gebaut werden, stört es niemanden. Aber wenn sie in dicht besiedelten Gegenden aufgestellt werden, ist der Furor absolut nachvollziehbar.

                  • CitizenK 16. September 2022, 13:34

                    „… nur Geld“ So naiv bin ich nicht.
                    „Wer bestimmt…?“ Offene Frage, auf die wir eine Antwort brauchen.
                    Prioritäten setzen, Ressourcen für die bestmögliche/notwendigste Verwendung einsetzen – Ihre Worte! Material und Ingenieurleistung, die für, say, Massagesitze und Mehrfarbbeleuchtung in der S-Klasse eingesetzt werden, steht nicht für Batterie- und Speichertechnologie zur Verfügung.

                    „Nudging“ wurde von Ihnen als Bevormundung abgelehnt, Recyling als Kleinkram verspottet. Was ist mit Wertstoffen in Millionen ungenutzer Handys? Man könnte auch über eine Korrektur der Flatrate-Mentalität im Internet nachdenken: Ein Cent pro Mail (und pro Beitrag hier). Dann müssten nicht mehr „andere zahlen“ (wieder Ihre Worte).

                    In ruhigen, normalen Zeiten kann man die Wirtschaft allein über Kundenwünsche/Renditen steuern. Die haben wir aber nicht und werden sie lange nicht mehr haben.

                    • Stefan Pietsch 16. September 2022, 16:00

                      Offene Frage, auf die wir eine Antwort brauchen. Prioritäten setzen, Ressourcen für die bestmögliche/notwendigste Verwendung einsetzen

                      Keine Frage. Die Frage ist: wer?

                      Recyling als Kleinkram verspottet.

                      Das Problem mit Recyling ist zum einen, dass es teuer und aufwendig ist. Es ist folglich oft unsinnig, weil Menschen und Technik für wenig Gewinn eingesetzt werden. Zum anderen kann auch Recycling nicht verhindern, dass die Menge an Material und Rohstoff immer kleiner wird. Immer recyclt führt gegen unendlich dazu, dass nichts mehr da ist. Nur tritt dieses Ereignis später ein als ohne Recycling.

                      Man könnte auch über eine Korrektur der Flatrate-Mentalität im Internet nachdenken: Ein Cent pro Mail

                      Tolle Idee. Die Leute nutzen für E-Mails ohnehin Server in Übersee. Die besteuern wir dann. Merke: in der digitalen Welt ist nichts stationär!

                      In ruhigen, normalen Zeiten kann man die Wirtschaft allein über Kundenwünsche/Renditen steuern.

                      Das wäre mir neu, dass wir das die letzten 30 Jahre getan hätten. Im Gegenteil, die Politik versucht seit sehr langer Zeit die Menschen mit Steuervorteilen, Verboten und Subventionen zu steuern. Da ist sie ja auch sehr erfolgreich – deswegen diese unfassbare Verschwendung.

                  • CitizenK 16. September 2022, 13:43

                    Zum Flächenverbrauch: Es gibt Berechnungen, dass allein die Dachflächen ausreichen würden für PV- auf Parkplätzen und -häusern, Fabriken, Wohnkomplexen. Die Windräder müssen ja nicht alle im Inland stehen, wo der Wind ja ohnehin nicht so effektiv weht. Die Wasserstoff-Initiativen für Solar in heißen und Wind in Küstenregionen müssen massiv vorangetrieben werden. Von Cap&Trade haben Sie mich ein ganzes Stück überzeugt – es muss aber ernst genommen werden.

                    • Stefan Sasse 16. September 2022, 15:29

                      Es ist eine merkwürdige Bedenkenträgerei, sie sonst immer gerne kritisiert wird, wo die anzugehenden Reformprojekte genehmer sind.

                    • Stefan Pietsch 16. September 2022, 15:52

                      Ich hatte hier mal Berechnungen angestellt.

                      Auf dem Papier liefert die Sonne die 10.000fache Menge des Weltenergiebedarfs der Menschheit – nur eben nicht in einem so sonnenarmen Land wie Deutschland. 2020 lieferten die installierten Solaranlagen gerade 54 GWh. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein verglichen mit den benötigten 600.000 GWh. Die Leistungsfähigkeit einer Photovoltaik ist von einer Reihe von Faktoren wie Fläche, Region und Neigungswinkel abhängig. Doch im Schnitt kann unter optimalen Bedingungen mit einem Jahresertrag von 4.550 kWh rechnen.

                      Bei 19 Millionen Wohngebäuden in Deutschland liegt das maximale Potential der Photovoltaik bei 86 TWh und damit gerade 8,6% des erwarteten Strombedarfs im Jahr 2050. Doch das ist wie gesagt reine Theorie, denn die Bedingungen sind nicht überall optimal und auch zukünftig wird ein Großteil der Wohnhäuser keine Solaranlage tragen können, weil sie denkmalgeschützt oder schlicht nicht geeignet sind. Bei solchen Zahlen wird den meisten klar, dass die Forderung der Grünen, auf jedes neugebaute Haus ein Solardach zu installieren, ein reines Reichenförderungsprogramm ist.
                      https://www.deliberationdaily.de/2021/08/energiepolitik-in-der-sackgasse/

                      Mathematik eben. Nicht Wunschdenken.

                      Die Windräder müssen ja nicht alle im Inland stehen

                      Wo dann?

                      Die Wasserstoff-Initiativen für Solar in heißen und Wind in Küstenregionen müssen massiv vorangetrieben werden.

                      Wieso? Wenn Befürworter und Kritiker sich in einem einig sind, dann, dass Wasserstoff mehr Energie bei der Erzeugung benötigt als es als Energieträger abgeben kann. Teuer gewonnene Windkraft also in Wasserstoff zu übersetzen ist ziemlich ineffizient. Wir müssen regenerative Energie dort gewinnen, wo sie praktisch unendlich zur Verfügung steht. In Wüsten z.B. Und dort erzeugen wir Wasserstoff. Das in Deutschland zu versuchen ist Verschwendung im Planquadrat.

                      Von Cap&Trade haben Sie mich ein ganzes Stück überzeugt – es muss aber ernst genommen werden.

                      Das ist nicht die Frage. Die Frage ist der Roll-out über alle Bereiche.

                  • Erwin Gabriel 17. September 2022, 17:52

                    @ Stefan Pietsch 16. September 2022, 08:14

                    Apropos: Es erstaunt mich völlig, dass sich kein Befürworter der Erneuerbaren am unfassbaren Flächenverbrauch von Wind und Solar stört. Und eins, CitizenK, haben wir in Deutschland überhaupt nicht im Überfluss: ungenutzte Fläche. Die ist wirklich knapp und Fläche außerordentlich teuer.

                    Soweit richtig. Dennoch ist Solar auf dem Dach ein Weg, ein Teil des Problems zu lösen (wobei ich zustimme, dass dies vermutlich ein Unterstützungs Programm für Besserverdienende wäre).

                    Doch auch hier wird geren übersehen, dass es eben nicht damit getan ist, Photovoltaik-Panel aufs Dach zu packen. Aufwand und Kosten sind enorm:
                    • Photovoltaik erzeugt Gleichstrom, benötigt wird Wechselstrom mit einer ganz bestimmten Spannung und Frequenz. Die Technik für die Umsetzung ist nicht ganz billig und hängt von Materialien ab, die gerade wirklich knapp sind.
                    • Gleichstrom zu speichern ist technisch gesehen sehr einfach. Die Akkus in erforderlicher Größe sind aber sehr teuer.
                    • Brandschutz ist betroffen: Kein Feuerwehrmann wird seinen Wasserstrahl auf eine Photovoltaik-Anlage richten wollen, die vielleicht noch unter Strom steht.
                    • Wie bei den Windanlagen muss das Stromnetz den gelieferten Sonnenstrom auch aufnehmen können. In älteren Wohngebieten muss man also eventuell an die Infrastruktur ran.

                    Ist alles nicht so ganz einfach …

            • Erwin Gabriel 15. September 2022, 23:04

              @ CitizenK 15. September 2022, 20:44

              Wirklich: Uns fehlen: Ärzte, Handwerker, Trucker, Lehrer, Pfleger, ET-Spezialisten: Und zehntausende Erzieher, ohne die nicht nur die Kinder Schaden nehmen, sondern auch die Eltern und die Wirtschaft.

              Ja, und?

              Ich kenne so viele, die nach Work-Life-Balance streben (meist, ohne Abstriche im Gehalt zuzugestehen). Kaum einer kommt auf die Idee, Handwerker zu werden, aber jeder erwartet, dass der Klempner auch am Wochenende kommt, nur weil der Spülkasten klemmt. Wer von den Kunden, die im Supermarkt gefüllte Regale erwarten, will Trucker werden? Wer von den gestressten Müttern und Vätern, die es kaum erwarten köännen, ihre nervigen Blagen morgens im Hort, im Kindergarten oder in der Schule loszuwerden, gibt sich den Job Erzieher oder Lehrer? Wer von den Umwelt-, Klima oder Öko-getriebenen Bürgern lebt wirklich so, wie er/sie/es das von anderen erwartet?

              Antwort auf all diese Fragen? Die wenigsten …

              Uns geht es einfach zu gut – vielleicht nicht jedem/jeder Einzelnen, aber dem Gros unserer Gesellschaft.

              • CitizenK 16. September 2022, 07:03

                Richtig beschrieben. Ich würde das allerdings nicht „gut gehen“ nennen. Möglicherweise führt unser bisher praktiziertes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nicht mehr dazu, dass es uns wirklich gut geht.

                Beispiel: „…. Trucker werden“. Du hast früher mal eindrücklich die Schwierigkeiten eines Spediteurs beschrieben, LKW-Fahrer zu finden. Nach dem Lehrbuch müsste das doch ganz einfach sein: Der Mangel führt zu Preiserhöhungen. Wenn diese hoch genug sind, reagieren die Menschen, machen den LKW-Führerschein, die Fahrschulen bilden mehr aus – Gleichgewicht, Mangel behoben. Ist aber nicht so. Was also stimmt nicht im System?

                • Thorsten Haupts 16. September 2022, 12:51

                  Möglicherweise führt unser bisher praktiziertes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nicht mehr dazu, dass es uns wirklich gut geht.

                  Kann sein. Bisher hat niemand, absolut niemand, eine tehoretisch brauchbare (geschweige denn, praktisch erprobte) Alternative vorgelegt. Mit Phantasien, wie Kommitees oder Parlamente, könnten das besser, beschäftige ich mich angesichts des Gebirgsmassivses von historischer Gegenevidenz gar nicht erst.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                  • CitizenK 16. September 2022, 13:22

                    Parlamente auch nicht? Dein eigener Vorschlag (dann halt Gesetze machen) ist doch genau das?

                    Und was die historische Evidenz anlangt: Hat man in extremen Krisenzeiten die Wirtschaft sich selbst überlassen? Das Gebirge besteht aus flachen Hügeln.

                    • Thorsten Haupts 16. September 2022, 18:57

                      Dein eigener Vorschlag (dann halt Gesetze machen) ist doch genau das?

                      Entscheiden Sie sich bitte mal, was Sie wollen? Gesetzgebung ist systemimmanent, innerhalb des Systems. Und nicht revolutionär. Sie hatten aber unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem grundsätzlich in Frage gestellt?

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                • Erwin Gabriel 17. September 2022, 17:40

                  @ CitizenK 16. September 2022, 07:03

                  Richtig beschrieben. Ich würde das allerdings nicht „gut gehen“ nennen.

                  Das Übermaß an Wohlstand führt dazu, dass wir uns über Ausprägungen und Auswüchse des Wohlstands Gedanken machen und ewige Diskussionen führen. Ein Beispiel war die Diskussion in Berlin über gendergerechte (bzw. über Divers-)Toiletten. Als zu Beginn der Corona-Krise das Klopapier knapp wurde, war das auf einmal nicht mehr wichtig.

                  Aktuell geht es darum, ob wir im Winter frieren werden oder nicht, ob wir uns die Energiepreise leisten können oder nicht. Dahinter stehen jetzt viele andere Diskussionen, die, höflich formuliert, weniger Brissanz für die Existenz haben, deutlich zurück.

                  Möglicherweise führt unser bisher praktiziertes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nicht mehr dazu, dass es uns wirklich gut geht.

                  Von den vielen untauglichen Systemen ist das unsere das am wenigsten untaugliche, das ich kenne.

                  Beispiel: „…. Trucker werden“. Du hast früher mal eindrücklich die Schwierigkeiten eines Spediteurs beschrieben, LKW-Fahrer zu finden. Nach dem Lehrbuch müsste das doch ganz einfach sein: Der Mangel führt zu Preiserhöhungen. Wenn diese hoch genug sind, reagieren die Menschen, machen den LKW-Führerschein, die Fahrschulen bilden mehr aus – Gleichgewicht, Mangel behoben.

                  Zum einen wird das ein Stück weit gemacht; reicht bei weitem nicht. Ähnlich wie in der Bauindustrie: Das man da mit viel und guter Arbeit richtig gutes Geld verdienen kann, hat sich herumgesprochen. Der Ausstoß der Universitäten an bau-relevanten Ingenieuren ist gestiegen, so dass wir nicht nur 1/2, sondern 2/3 des Bedarfs decken können.

                  Diese Personal-Diskussion hatten wir ja auch schon. Wenn 40 % weniger Nachwuchs in den Markt kommt, als sich an erfahrenen Kräften in den Ruhestand zurückzieht, haben wir ein nicht lösbares Problem.

                  Das Problem lässt sich weder durch mehr Geld (was in der Tat häufig Dein erster Lösungsvorschlag ist) noch durch „Einwanderungs“-Politik á la Merkel regeln.

  • Stefan Pietsch 13. September 2022, 12:44

    9) Schutzlos

    Schön am Problem vorbei. Leute wie Alice Schwarzer und Marie-Luise Vollbrecht wurden persönlich für den Tod der Transfrau verantwortlich gemacht – als der Täter noch nicht feststand. Als dieser sich als muslimgläubiger 20jähriger Tschetschene entpuppte, war nichts mehr zu hören. Migranten und Muslime (gerne auch in Kombination) sind nicht transfeindlich und wenn doch, sind sie durch Emma schnell-radikalisiert worden.

    Die woke Community ist nur noch irre.

    • Thorsten Haupts 13. September 2022, 15:56

      Yup! Die völlig überzogene, hysterische Verantwortungszuweisung für Mord und Totschlag an milde verbale Kritiker bestimmter Ausprägungen des Transaktivismus in Verbindung mit dem vollkommenen schwarzen Loch, sobald „Islam“ ins Spiel kommt (wegen Antirassismus und so), ist im Ergebnis einfach Irrsinn im klinischen Sinne.

    • sol1 13. September 2022, 18:32

      „Leute wie Alice Schwarzer und Marie-Luise Vollbrecht wurden persönlich für den Tod der Transfrau verantwortlich gemacht…“

      Von wem?

      Umgekehrt hat die TERF-Brigade die Tötung allen Ernstes zu einem „Femizid“ umgedeutet:

      https://www.belltower.news/kommentar-der-tod-von-malte-c-und-die-vielstimmige-feindliche-instrumentalisierung-138333/

      • Stefan Pietsch 13. September 2022, 22:10

        Z.B. der Grünen-Politiker Benjamin Bauer.
        https://twitter.com/beolba/status/1565665470543499266

        Oder Jasper Steinlein, Journalist für die Tagesschau:
        https://twitter.com/jeSteinlein/status/1565628848150122497

        Oder Eric Schwebke, Mitarbeiter des Bundesfamilienministeriums.

        Zählt das?

        • sol1 13. September 2022, 23:41

          Wo stehen da die Namen Schwarzer und Vollbrecht?

          „…wurden *persönlich* für den Tod der Transfrau verantwortlich gemacht…“

        • Stefan Pietsch 14. September 2022, 00:11

          Der Journalist Christian Knuth schreibt: „Seit Wochen schüren Medien wie Bild und Netzwerke wie das um Marie-Luise Vollbrecht Hass auf trans Menschen. Hass führt zu Gewalt.“
          https://taz.de/Transfeindlichkeit/!5876069/

          TERFs und die EMMA sind Täter:innen.
          Auch wenn sie selbst keine körperliche Gewalt ausüben, sie schaffen ein Klima, in dem #TransfeindlickeitTötet.

          https://twitter.com/_Katja_Diehl_/status/1565652026884857862?cxt=HHwWjIC9haWOqLorAAAA

          Aber wie immer beschönigen Sie alles, was links und gegen vermeintliche Nazis, LGBTQ-Feindlichkeit und sonstige woke Themen ist. Das Thema war und ist, dass diese Ankläger sofort still sind, wenn die Täter Migranten oder Muslime (gerne auch in Kombi) sind. Sie haben auch hier das Thema auf ein anderes Feld geführt.

          Widerlegt haben Sie den Vorwurf kein bisschen. Also darf er als akzeptiert gelten. Linke schweigen dann gegen jeden Missstand, wenn er durch Migranten verursacht wird. Case closed.

          • sol1 14. September 2022, 12:11

            „Seit Wochen schüren Medien wie Bild und Netzwerke wie das um Marie-Luise Vollbrecht Hass auf trans Menschen. Hass führt zu Gewalt.“

            Für Bild fehlen mir da die Belege, für die „Netzwerke wie das um Marie-Luise Vollbrecht“ reicht eine Viertelstunde Recherche auf Twitter. Ebenso gut belegt ist die zentrale Rolle von EMMA bei den TERF-Haßkampagnen.

            „…dass diese Ankläger sofort still sind, wenn die Täter Migranten oder Muslime (gerne auch in Kombi) sind…

            Diese Quatschbehauptung wird buchstäblich durch die Existenz des von mir verlinkten Artikels widerlegt.

            • Thorsten Haupts 14. September 2022, 13:08

              Netzwerke wie das um Marie-Luise Vollbrecht

              Wie erkenne ich auf Twitter ein „Netzwerk“, sofern ich dabei unter „Netzwerk“ mehr verstehe, als die völlig zufällige und unbeeinflussbare Schar von Retweetern, Followern und Likern?

              Gruss,
              Thorsten Haupts

            • Thorsten Haupts 14. September 2022, 18:24

              Diese Quatschbehauptung wird buchstäblich durch die Existenz des von mir verlinkten Artikels widerlegt.

              Das ist glatt gelogen – ich habe den Artikel gerade gelesen. Und natürlich kommt z.B. islamisch motivierter Trans-Hass in dem Artikel … überhaupt nicht vor. 0, zero, nada. Sondern – welche Überraschung – ausschliesslich radikalfeministischer und rechtsextremer.

              Warum versuchen Sie eigentlich, uns so offen zu verarschen?

              Gruss,
              Thorsten Haupts

              • sol1 14. September 2022, 19:02

                „…ich habe den Artikel gerade gelesen.“

                Wohl ziemlich flüchtig:

                /// Die Bild am Sonntag (via queer.de) berichtet, bei der Identifizierung des Tatverdächtigen habe ein wiederhergestelltes Handyfoto eines Zeugen geholfen, das dieser vom Tatverdächtigen gemacht hatte. Dieser nötigte daraufhin den Fotografen, das Bild zu löschen, mit der – vorgeschobenen oder realen – Begründung: „Ich will nicht, dass mein Vater erfährt, dass ich schwul bin.“ Der Vater des Tatverdächtigen lebt noch in Tschetschenien. Hass auf LGBTIQA* ist dort unwidersprochen etabliert. In Haft schweigt der Tatverdächtige bisher zu seinen Motiven. Ermittelt wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge. ///

                Unten habe ich die Recherche des SPIEGELs verlinkt, aus der kein Anhaltspunkt für einen religiösen Hintergrund der Tat hervorgeht.

                • Thorsten Haupts 14. September 2022, 19:46

                  Sie haben Recht, ich habe nicht aufmerksam genug gelesen.

                  Damit wäre dann ja jetzt geklärt, dass weder Vollbrecht noch EMMA mit dem Totschlag irgend etwas zu tun hatten.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

  • sol1 13. September 2022, 13:38
    • Stefan Sasse 13. September 2022, 15:54

      Hab kein Spiegel+ leider.

      • sol1 13. September 2022, 18:23

        Ich habe neulich das Addon Bypass Paywalls Clean entdeckt, das die Spiegel-Paywall per archive.today-Kopie knackt.

        • Thorsten Haupts 13. September 2022, 21:12

          Das funktioniert bei SPIEGEL? Hatte es mal für die NYT ausprobiert, leider ohne Erfolg.

          • sol1 13. September 2022, 23:48

            Das Teil wird offenbar laufend aktualisiert und knackt u.a. The New York Times, Wall Street Journal und The Times.

            • Thorsten Haupts 14. September 2022, 08:11

              Kay, danke.

        • Stefan Sasse 14. September 2022, 11:29

          Den Spiegelartikel zumindest kann ich trotzdem nicht lesen 🙁

          • sol1 14. September 2022, 12:15

            Etwas versteckt unter dem Vorspann ist die Zeile

            „BPC > Full article text: | archive.today | archive.is“

            Dort findet sich der Link:

            https://archive.ph/JpfQ8

  • sol1 13. September 2022, 13:46

    r)

    Nur wenige Stunden zuvor hatte Maaßen das hier getwittert:

    „Der CDU-Bundesvorstand möchte beim Parteitag beschließen lassen, dass Parteimitglieder wie ich rausgeworfen werden können, wenn sie sich in sozialen Netzwerken ggü der Parteiobrigkeit unbotmäßig verhalten. Das ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit von Parteimitgliedern.“

    https://twitter.com/HGMaassen/status/1565623069624135685

    Und jetzt können wir gespannt sein, wer zuerst sanktioniert wird:

    „Die CDU hat soeben einen Antrag angenommen, über den künftig auch parteischädigendes Verhalten via Social Media geahndet werden kann. Die einen sehen es als Lex Maaßen, die anderen eher als Lex Polenz #cdupt22“

    https://twitter.com/FlorianGathmann/status/1568282128659480576

  • Erwin Gabriel 13. September 2022, 15:09

    @ STEFAN SASSE on 13. SEPTEMBER 2022

    Was mir an der Berichterstattung über diese neue Studie des Club of Rome massiv auffällt ist wie ständig betont wird, dass „die obersten zehn Prozent“ die Kosten tragen und ihren Lebensstil ändern müssen. … Ich glaube nicht, dass dieses Land darauf vorbereitet ist, solche Einschnitte hinzunehmen (was gleichzeitig auch eine tolle Analogie dafür ist warum es so schwer ist, die Superreichen angemessen zu beteiligen). … Wenn ich mal das ganze „ich wäre persönlich massiv betroffen“ ignoriere. Ich will ja auch nicht gerade die Hälfte meines Lebensstandards verlieren …

    Wichtige Punkte; ich glaube auch, dass wir die Klimakrise nur in den Griff kriegen, wenn wir unsere Lebensstandards, unseren Ressourcenverbrauch drastisch nach unten schrauben. Ich bin zwar wohlhabend genug, um mir vielleicht ein „klimabewussteres“ Leben als Otto Normalverdiener leisten zu können, aber zu den erforderlichen Einschnitten wohl nicht in der Lage; erst recht nicht, wenn ich sehe, dass ich mich freiwillig zurückschraube, während es andere nicht juckt. Genau das ist der Grund, warum ich seit Jahren schreibe, dass wir das nicht gebacken kriegen.

    Ansonsten gefällt mir, dass Du „Superreiche“ schreibst.

    5) „Profiteure von menschlichem Leid“ (Interview mit Conni Lenert und Nina Kemper)

    Dieses ganze Interview ist eine beeindruckende intellektuelle Bankrotterklärung und vor allem als solche interessant.

    Ja, strange.

    6) Schulamt verbietet Lehrkräften Rückgabe von Dienst-iPads (dafür gibt’s jetzt Office 365)

    Es macht mich so wütend, solche Nachrichten zu lesen. Das passiert ständig, ob in Behörden oder in Unternehmen. … Aber Hauptsache, irgendwelche Kästchen konnten auf den richtigen Formularen angekreuzt werden. Ausbaden müssen es dann die Beschäftigten, die mit völlig ungeeignetem Gerät operieren müssen.

    Volle Zustimmung !!!

    8) Einweg E-Zigaretten: Dümmster Trend seit langem – so schädlich sind Wegwerf-Vapes

    Wir sind wirklich eine der dümmsten Spezies auf diesem durch die Galaxis kreisenden Erdball. … So sehr ich den Kapitalismus als Konsumwünsche-Erfüllungsmaschine liebe, in solchen Momenten werden seine Schattenseiten einfach zu offensichtlich.

    Ja; Zustimmung.

    f) Eine hervorragende Ausgabe des MDR-Altpapiers, die die Debatten schön zusammenfasst.

    Gefällt, gemerkt; danke für den Link!

  • cimourdain 14. September 2022, 09:19

    2) Vielleicht ist es eine veränderte Rolle der ‚Weltperspektive‘, an die sich gerade Historiker noch gewöhnen müssen. Die von dir erwähnten Geschichtsstars des 19. Jh. gingen von den Vorstellungen ihrer Gesellschaft aus und haben diese in die Vergangenheit projiziert. Heute wäre es angesichts einer in vielen anderen Bereichen (Journalismus, WiWi) vorherrschenden ‚Gegenwartschauvinismus‘ dringend nötig, dass jemand aufzeigt, wie grundlegend anders andere Gesellschaften ‚getickt‘ haben.

    4) „grob über den Daumen gepeilt würde ich sagen, dass alle Deutschen über der Grundsicherung zu den globalen 10% gehören“ Habe mir die Zahlen angesehen: Um zu den den obersten 10% zu gehören, genügt ein Jahreseinkommen von 14.500 ID. Da die Kaufkraftparität für Deutschland bei 123 liegt (Wert von 2018, inzwischen wohl deutlich höher), kommen wir auf ein Nettoeinkommen von 18.000 € pro Haushaltsmitglied als Schwelle. was bei einem Single etwas über 12€ Stundenlohn bei Vollzeitarbeit liegt.

    5) Die Grundidee dahinter ist stichhaltig. Die Frage ist doch: Gibt es ein Grundrecht auf Nichtbeteiligung am Krieg? Das Grundgesetz sagt beispielsweise ja (Art 4 Abs 3). Und wenn du dieses bejahst, dann ist aus pazifistischer Sicht (auch wenn dir diese fremd erscheinen mag) jeder russische Deserteur u begrüßen – aber auch jeder ukrainische.

    8) Daran anschließend möchte ich erinnern, dass wir auch eine Spezies sind, die aus dringend benötigten Rohstoffen Munition produziert, die auch nur einmal verwendet wird. Daran störst du dich nicht, die AKtivisten in 5) schon.

    9) Ein Musterbeispiel, wie das Opfer-Täter-Gut-Böse-Spiel zu immer absurderen Reigen führt. Ein Transmensch wird von einem (wohl religiös motivierten) Fanatiker getötet. Und du bringst das damit in Zusammenhang, dass eine Frau, die von einer anderen fanatischen Gruppe Morddrohungen bekommt, diese in einem Buch thematisiert.

    10) Sehen wir mal (Ähnlichkeit mit anderen Debatten sind rein willkürlich)…
    Erstmal muss man konstatieren, dass der Stoff von „Herr der Ringe“ zutiefst rassistisch ist ( #orclivesmatter). Das liegt daran, dass das Werk aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammt und damit völlig veraltet ist. Wer hat schon die Bücher mit dem grünen Einband gelesen? Die meisten kennen bestenfalls die Verfilmungen, die auch schon eine Generation alt sind. Außerdem ist die literarische Qualität fragwürdig, da Tolkien nie Mittelerde besucht hat (Erst 1973 wurde eine Gestalt in einer Tweedjacke an den grauen Anfurten gesichtet).

    c) (Meta) Ich finde es immer wieder interessant, wie von aussen unsere innenpolitischen Themen gesehen und beurteilt werden. Mehr davon würde mich freuen.

    u) Der Gedanke ist interessant, der Stadt-Land-Gegensatz ist imho. deutlich unterschätzt. Und wenn man – wie die Konservativen – davon ausgeht, dass das Land in einer von urbanen Milieus geprägten Politik zu wenig Gehör findet, dann muss es in die Debatte aktiv und laut (und kompromisslos) eingebracht werden.

    • Stefan Sasse 14. September 2022, 11:33

      2) Absolut. Die Geschichtswissenschaft hat, wie alles, was von Menschen gemacht wird, einen Gegenwarts-Bias.

      4) Danke! Ich hatte konservativ schätzen wollen 🙁

      5) Es gibt ein Grundrecht auf Verweigerung des Waffendiensts aus Gewissensgründen, aber das ist nicht dasselbe. Grundsätzlich bin ich aber skeptisch gegenüber einem Pazifismus, der derartig blind gegenüber dem in Frage stehenden Konflikt vorgeht.

      8) Nur dass halt die Munition zur Verteidigung benutzt wird und die eZigaretten…zum Konsum. Das ist ein Kategorienunterschied.

      10) Ich rolle hart mit den Augen.

      c) Wenn ich es finde, verlinke ich es gerne.

      u) Ja.

  • Thorsten Haupts 14. September 2022, 10:39

    10) Sehen wir mal (Ähnlichkeit mit anderen Debatten sind rein willkürlich)…
    Erstmal muss man konstatieren, dass der Stoff von „Herr der Ringe“ zutiefst rassistisch ist ( #orclivesmatter). Das liegt daran, dass das Werk aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammt …

    Die Ursachenanalyse bezweifle ich energisch. Ich lese sporadisch auch bspw. neuere Fantasy oder Science Fiction – und wäre ich Wokie oder psychisch ähnlich gestrickt, könnte ich aus praktisch allem „Rassismus“ konstruieren. Mühelos. Was ohnehin die leichteste aller intellektuellen Masturbationsübungen ist, wenn man nach der heute in Medien allgemeingültigen Definition „Rassismus ist ein Bündel von Vorurteilen der Gruppe X gegen Gruppe Y, aber nur dann, wenn daraus der Gruppe Y reale Nachteile erwachsen können“ geht.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 14. September 2022, 11:34

      Das war ja auch nur eine müde Satire und nicht ernst gemeint.

  • derwaechter 14. September 2022, 11:04

    9)
    Ich muss mich der Kritik vieler Mitkommentatoren hier prinzipiell anschliessen.

    Die Behauptung das sie „mit Sicherheit eine Mitverantwortung für das Geschehen trägt“ halte ich für arg weit hergeholt. Die Idee, dass die JK Rowlings, Alice Schwarzers usw. dieser Welt, religiös motivierte Mörder beeinflussen würden scheint mit ziemlich fern.

    • Stefan Sasse 14. September 2022, 11:35

      Ok, not a hill I want to die on. Aber du wirst wohl nicht widersprechen, dass die ganze seit etwa einem Jahr laufende Debatte die Stimmung wesentlich verschärft hat, oder?

      • sol1 14. September 2022, 12:34

        Interessant, wie jetzt das Framing „religiös motivierte Mörder“ überhand nimmt, obwohl es dafür keinen Anhaltspunkt gibt:

        /// Sie sind Muslime, aber Religion spiele »überhaupt keine Rolle« in der Familie, wie Riuzana A. sagt. ///

        Stattdessen liegt eine Verbindung aus Drogenproblemen und toxischer Männlichkeit nahe:

        /// Dirk Ollech, Sprecher der Staatsanwaltschaft Münster, bestätigt auf Anfrage des SPIEGEL, dass A. »in jüngerer Vergangenheit« strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Es sei »in mehreren Fällen« zu einer Verurteilung wegen Körperverletzung gekommen. Um politisch motivierte Taten habe es sich bisher jedoch nicht gehandelt. »In diesem Fall liegt es aber nahe, dass die Attacke queer-feindlich war. Die Beleidigungen sprechen Bände. Gleichzeitig gibt ein Zeuge an, der Verdächtige habe auf der Veranstaltung selbst behauptet, homosexuell zu sein.« Ob A. bei der Tat alkoholisiert war, sei derzeit Gegenstand der Ermittlungen.

        Der SPIEGEL konnte auch mit vier seiner engsten Freunde sprechen, sie deuten an, dass der frühere Boxer seit geraumer Zeit schwerwiegende Drogenprobleme gehabt haben soll. »Er hatte Angst um seine Zukunft, die Zukunft seiner Familie. Er ist dann an die falschen Leute geraten, hat sehr viele Drogen konsumiert, hielt sich ständig in der Nähe vom Hauptbahnhof auf«, erklärte ein Freund des 20-Jährigen.

        Der Ort, an dem er nun auch verhaftet wurde. ///

        https://www.spiegel.de/panorama/justiz/toedlicher-angriff-in-muenster-mein-sohn-ist-doch-kein-moerder-a-4465a834-7f87-48c0-9dad-12e64cbe0b5d

        • derwaechter 14. September 2022, 12:52

          „Er ist dann an die falschen Leute geraten, hat sehr viele Drogen konsumiert, hielt sich ständig in der Nähe vom Hauptbahnhof auf«

          Kenne den Bahnhof aus meiner Studentenzeit. Schon damals ein Sammelpunkt für transfeindliche Feministen.

          • Thorsten Haupts 14. September 2022, 16:06

            Und EMMA wird dort häufig aufmerksam gelesen und eifrig diskutiert!

        • Erwin Gabriel 15. September 2022, 08:28

          @ sol1 14. September 2022, 12:34

          Interessant, wie jetzt das Framing „religiös motivierte Mörder“ überhand nimmt, obwohl es dafür keinen Anhaltspunkt gibt

          Die Religion an und für sich prägt einen Menschen auch dann sozial und gesellschaftlich ein Stück weit, wenn man nicht regelmäßig in die Kirche rennt oder den Gebetsteppich ausrollt.

          • derwaechter 15. September 2022, 10:50

            Genau

      • derwaechter 14. September 2022, 12:48

        Verschärft sicherlich. Aber wie auch in vielen anderen Diskussionen mit Dir bin ich auch hier Verfechter davon Begriffe, Aussagen und Taten völlig unterschiedlicher Qualität nicht über einen Kamm zu scheren.

      • Thorsten Haupts 14. September 2022, 13:05

        Ja, leider. Aber das könnte auch mit der völlig überzogenen Reaktion der Transaktivisten auf die wenigen Streitpunkte der Debatte zusammenhängen, die auch weniger radikale Unterstützer abstösst:
        1) Die Frage, ob Trans-Frauen auch vor der physischen Transition überall mandatorisch als Frauen zu behandeln sind (Arzt, Sport, Sauna, Umkleide etc).
        2) Die Diskussion über die Fairness oder Unfairness der Teilnahme ehemaliger Männer an Spitzensportveranstaltungen von Frauen.
        3) Die Diskussion über die ethische und medizinische Zulässigkeit der jahrzehntelangen Behandlung von Kindern mit medizinisch niemals geprüften (!) Hormonblockern auf reines Verlangen der Kinder.

        Alle drei Debatten werden von den Transaktivisten als „transphob“ kategorisch abgelehnt und auch liberale Debattenteilnehmer zum Teil persönlich bedroht. Leider übernehmen die Unterstützer diese Position vollständig unkritisch 1:1.

        Und dann bekommt man als Ergebnis etwas, was den menschlichen Normalzustand darstellt – der Feind meines Feindes ist mein Freund. Unschön aber vorhersagbar (und bei den etwas intelligenteren Transaktivisten vermutlich genau das, was die mit den groben Beschimpfungen erreichen möchten).

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • sol1 14. September 2022, 19:19

          „Die Diskussion über die ethische und medizinische Zulässigkeit der jahrzehntelangen Behandlung von Kindern mit medizinisch niemals geprüften (!) Hormonblockern auf reines Verlangen der Kinder.“

          Ich weiß nicht, wo du das aufgeschnappt hast, aber hier sind ein wissenschaftlicher Artikel und ein Bericht, wie eine Behandlung mit Pubertätsblockern tatsächlich abläuft:

          https://link.springer.com/article/10.1007/s41969-020-00090-0

          https://www.jetzt.de/gender/pubertaetsblocker-bei-trans-jugendlichen-wie-sie-sich-auswirken

          • Thorsten Haupts 15. September 2022, 13:04

            Sie könnten sich die Mühe machen, Ihre verlinkten Studien und Artikel selbst aufmerksam zu lesen. Die Studie stammt aus/für Österreich und bleibt unklar, wie dort die Transition real (heute) begleitet wird. Und der Artikel bestätigt mich im wesentlichen.

            Meine beiden Kernbehauptungen waren/sind:
            „… medizinisch niemals geprüften (!) Hormonblockern …“
            Beleg hier: https://www.vdge.org/2020/05/07/hormonersatztherapie-bei-transsexualitaet-ein-leitfaden-fuer-betroffene-und-endokrinologen/
            Zitat: „Das Problem ist dabei, dass es keine einheitlichen, evidenzbasiert medizinisch nachgewiesen Behandlungsrichtlinien dafür gibt. Noch ein Problem ist auch, dass es keine Medikamente für uns Menschen mit Transsexualität gibt. Die Medikamente, die uns verschrieben werden und die für unser körperliches Problem erhältlich sind, sind eigentlich für andere Probleme und Behandlungen entwickelt worden. Sie werden für uns “missbräuchlich” und ohne evidenzbasiert nachweisliche Wirksamkeit, verschrieben.“

            Und meine zweite Kernbehauptung war “ auf reines Verlangen der Kinder“ und wird von Ihrem selbst verlinkten „jetzt“ Artikel vollumfänglich bestätigt, danke dafür.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

        • Stefan Sasse 15. September 2022, 10:00

          Ja, das ist sicher beidseitig nicht besonders glücklich, da stimme ich dir schon zu.

  • cimourdain 16. September 2022, 07:37

    10) Bei dem ganzen identitätspolitischen Spiel vergessen wir zu leicht, dass es sich um eine bewusste Marketingstrategie handelt. Wenn ich mir RoP ansehe, dann gibt es wenig, was es aus der Masse der Streamingserien heraushebt. [persönliche Kurzkritik: Darsteller Durchschnitt, Writing eher schwachbrüstig, Szenerien und Ausstattung erstklassig, aber die ‚richtige‘ Stimmung wird nicht erreicht]. Was macht Amazon also ? Statt mit ‚Die epische Hintergrundgeschichte zu dem Inbegriff der epischen Fantasy‘ zu werben präsentieren sie offensiv ’schwarze Zwerge, nichtbinäre Elfen und starke weibliche Protagonistinnen‘: Natürlich regen sich Leute darüber auf. Und natürlich springen Progressive dann in die Bresche. Aufmerksamkeit gewonnen und sich gegen Kritik immunisiert.

    • Stefan Sasse 16. September 2022, 10:20

      Ich denke, du bist da etwas auf dem falschen Dampfer. Ich finde LOTRTROP auch nicht gut – wir machen einen wöchentlichen Podcast drüber und zerreißen es ziemlich – aber Amazon ging ja nicht an die Sache ran mit dem Anspruch, für eine Milliarde Dollar (!) eine schlechte Serie zu produzieren und sich darauf zu verlassen, dass ein bisschen virtue signalling Richtung Wokistan die Sache schon wuppen wird. Der Fakt ist schlicht: willst du auf dem Massenmarkt erfolgreich sein, kommst du um diversity nicht mehr rum. Die Zeiten, in denen du mit weißen Männern 80% der Blockbuster abdecken konntest, sind vorbei. Und: good riddance. Amazon ist ein Unternehmen. Die haben Marktforschung betrieben und festgestellt, was sie brauchen. Das Problem, das sie jetzt haben, ist, dass ihr Produkt scheiße ist. Nicht wegen diversity (siehe House of the Dragon), sondern weil es schlecht geschrieben und konzipiert ist.

  • Thorsten Haupts 16. September 2022, 13:06

    Zu 6)

    Neugierige Nachfrage (ich weiss es tatsächlich nicht): Habt Ihr als Lehrer eigentlich keine landesweite Interessenvertretung? Wenn nicht – gründet eine und zwar schleunigst!

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 16. September 2022, 15:28

      Es gibt welche, aber die sind nicht so der Hit. Es gibt den Philologenverband, das ist eine super konservative Gewerkschaft für Gymnasiallehrkräfte. Dann gibt es die GEW, die Gewerkschaft für alles, was irgendwie im Bildungsbereich arbeitet (klassisch links). Dann gibt es den Deutschen Lehrerverband, eine Dachgewerkschaft, die selbst auch recht aktiv ist und ebenfalls sehr konservativ ist. Aber in meinen Augen taugen die alle wenig.

    • CitizenK 16. September 2022, 15:41

      Die Berufsschullehrer haben eine: Verband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen in BW (BLV). Der ist ziemlich aktiv.

      • Stefan Sasse 16. September 2022, 19:38

        Ich würde nie behaupten wollen, alle zu kennen 🙂 Aber so eine wirklich effektive Vertretung gibt es nicht in die Richtung, nur Verhinderungs-Vertretungen. Der Philologenverband ist sehr effektiv, nur leider in die falsche Richtung.

  • CitizenK 16. September 2022, 20:11

    @ Thorsten Haupts
    Merkwürdiges Missverständnis. Ich – ein Revolutionär? Da musste ich lachen. Ich stelle unser System nicht in Frage, aber es von dem der USA weiter weg und näher nach Skandinavien schieben, das schon.

    • Stefan Pietsch 16. September 2022, 22:03

      Ich denke Sie haben ein sehr idealisiertes Bild von Skandinavien. Nach meinem Eindruck sehen Sie in Schweden und Dänemark einen deutschen Sozialstaat, nur mit noch mehr Geld und höherer Belastung von Spitzeneinkommen.

      In den nördlichen Ländern haben rechtspopulistische Parteien enorm an Zustimmung gewonnen. Sie zwingen die dort lange bestimmenden sozialdemokratischen Parteien auf einen migrationskritischen Kurs. Der Grund ist nicht überraschend: Länder mit sehr großzügigen sozialen Regelungen können ihr System nur schützen, wenn sie es vor Missbrauch und Ausnutzung durch Trittbrettfahrer schützen. Nur in homogenen Gesellschaften – das ist durchaus auch ethnisch gemeint – lassen sich die Menschen überhaupt dazu bewegen, ihr Einkommen und ihren Wohlstand mit anderen zu teilen, eben weil sie gleich bzw. ähnlich sind. Die Enge sorgt für den notwendigen sozialen Druck, das System nicht auszunutzen – deswegen der Druck auf Erwerbslose, ihren Zustand baldmöglichst zu beenden.

      Damit ist schon alles aufgezählt, was Sie deutlich ablehnen. Sie sind für eine sehr migrationsfreundliche Politik. Sie sind für umfangreiche Sozialleistungen bei wenig Kontrolle. Ihr generelles Problem: Sie kaufen eine Sache nicht mit ihren positiven wie negativen Aspekten, sondern schauen nur auf die Leckerlis.

      • CitizenK 17. September 2022, 07:13

        Da ist schon was dran. Die Gesellschafts- und Sozialpolitik der Nordländer (von NL bis DK und S) war für mich immer eine Orientierung. Das ist ja kein Sozialismus. Das schwedische Volksheim ging ja einher mit erfolgreichen „kapitalistischen“ Unternehmen. Allein im Rhein-Neckar-Raum gibt es einige Unternehmen mit schwedischen Eigentümern.

        Aber ganz so blauäugig bin ich nun doch nicht. Ich sehe durchaus die massiven Probleme dieser ehemals sehr liberalen Länder mit kriminellen Migranten. Schießereien von Drogenbanden in den Niederlanden und in Schweden – die politische Reaktion dort sehen wir gerade.

        Ich hatte auch nie etwas gegen die Abschiebung von wirklich Kriminellen, die aber oft in der Praxis scheitert. Sehr viel habe ich gegen die Praxis (auch im grün-regierten BW), gut integrierte Familien mitten in der Nacht aus den Betten zu holen und binnen Stunden in den Flieger zu verfrachten. Um Abschiebequoten zu erfüllen? Oft rechts(staats-)widrig, wie erfolgreiche Rückholaktionen zeigen.

        • Stefan Pietsch 17. September 2022, 11:24

          … aber sie haben Schlüsse aus Entwicklungen gezogen. Das ist das, was in Deutschland fehlt. Dänemark hat heute die restriktivste Migrationspolitik der EU und das unter sozialdemokratischer Führung. Warum ist das so? Es geht da ja nicht allein um den Aspekt der Kriminalität.

          Ich hatte in den letzten Wochen Gespräche mit Bewerbern, die in den letzten 4-10 Jahren nach Deutschland gekommen sind. Sie gehören mit ihrer Ausbildung zur Upper Class der Zuwanderer und kommen für Jobs im mittleren Qualifikations- und Preissegment (Nebenbuchhalter mit 38.000 – 50.000 Euro) im Wohlstandsbereich des Rhein-Main-Gebietes in Frage. Herkunftsländer: Osteuropa und Iran.

          Die Sprachkenntnisse sind sehr unterschiedlich, von beeindruckend bis desaströs war alles dabei. Das Qualifikationsniveau liegt weit unter dem deutschen. Das waren alles Bewerber mit Hochschulbildung in ihren Ländern, teilweise genau auf Finanzen spezialisiert. Aber ihre theoretischen Kenntnisse wie Erfahrungen liegen in Teilen unter einem deutschen Berufsschüler. Die selben Kandidaten aus Frankreich, Großbritannien, Spanien oder USA ergäben ein völlig anderes Bild. Die kämen entweder von Beginn an oder nach kurzer Einarbeitung für die hochqualifizierten Tätigkeiten in Frage.

          Die Frage ist: wo bringt uns Zuwanderung voran? Andere Länder gehen in der Auswahl ihrer Arbeitsmigranten ganz anders vor. Gleichzeitig habe ich gestern eine deutsch-indische Uniabsolventin eingestellt. Sie war noch nie in Indien, spricht aber Hindi fließend (ich habe es nicht überprüft). Sie war bisher im Unternehmen als Werksstudentin tätig, allerdings in einem ganz anderen Bereich. Ich war von Beginn an begeistert von ihr. Der Unterschied: Sie ist in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert.

          Das ist die Erfahrung von Einwanderungsländern: Die erste Generation ist immer ein Verlustgeschäft, die Gesellschaft zahlt ordentlich drauf für die Integration. Bei der zweiten Generation gestaltet sich das Bild ausgeglichen, die dritte kann dann ein Gewinn werden. Wie gesagt, wenn man es richtig und mit entsprechender Erfahrung macht. Deutschland hat selbst die vierte Generation der türkischen Einwanderer bis heute nicht hinbekommen. Wir können es nicht. Erfolgreiche Beispiele sind reine Zufallsprodukte.

          Die Frage ist: warum kommt es zu solchen Vorgehensweisen? Das ist das Spannende, nicht die Empörung über die Abschiebungspraxis. Die Fakten sind: die Ausreiseverpflichteten entziehen sich der Abschiebung und tauchen unter. Das ist keine vernachlässigbare Tatsache, sondern macht das Gros aus. D.h. wir haben ein veritables Problem. Keine Frage, wir erwischen damit weitgehend die Falschen, die, die sich ordentlich verhalten. Nur, wer das kritisiert, muss Lösungsansätze für das eigentliche Problem haben. Stefan (und Sie) weist immer den Vorwurf zurück, er sei ja gar nicht dafür, alle aufzunehmen. Nur habe ich von ihm nie Ideen gelesen, wie er Zuwanderung steuern will und das Land vor dem Überlaufen schützen will.

          Der Iraner hat mir erzählt, wie unproblematisch es im Grunde ist, nach Deutschland zu kommen und hier sesshaft zu werden. Im Vergleich zu anderen Ländern ein Kinderspiel. Man braucht nur das Kapital für das Flugticket, Geld für Schlepper und 3.000 Euro für einen Pass. Im Grunde eine Sache für besser situierte Flüchtlinge.

          Zurück zu Skandinavien: Wir tun uns leicht, unser Einkommen mit Familienmitgliedern zu teilen. Da kommen auch gerne mal „Abgabenquoten“ von 70% und mehr zustande. Bei den Nachbarn ist es schon ein Stück anders. Für die Grillparty wirft man großzügig zusammen und auch sonst hilft man sich. Aber nicht wie in der Familie. Bei Arbeitskollegen ist es mit dem Abgeben schon nicht mehr so weit her. Selten lädt der Topverdiener ein, meist wird getrennt bezahlt.

          Der Solidaritätsgedanken entspringt der Familie. Das ist kein gesamtgesellschaftliches Konstrukt. Die Nordländer sind eher wie Familien strukturiert, man kennt sich. Aber schon nicht mehr so, dass viele Wohlhabende nicht doch murren. Ich habe einige kennengelernt und mich natürlich über die Steuern in Schweden, Norwegen und Dänemark unterhalten. Migranten sprengen diese ethnische Homogenität und damit das natürliche Gefühl von Solidarität. Überdeutlich ist das in den angelsächsischen Ländern zu beobachten.

          Man muss sich also entscheiden: will man eine familiär organisierte Gesellschaft oder will man eine Einwanderungsgesellschaft? Beides zusammen geht nicht.

          Schweden ist in den Neunzigerjahren in heftige wirtschaftliche Turbulenzen geraten. Man hatte es mit der Steuerlast übertrieben. Daraus hat man gelernt (Lernen: siehe oben). An der Spitze der Steuerlast thronen nicht die skandinavischen Länder, sondern Belgien, Deutschland und Italien. Dazu kommt eine heftige Spreizung der Belastung von Arbeitnehmereinkommen und Kapitaleinkünften. Das würde in Deutschland so nie toleriert.

          Man muss also schon genau hinschauen, was man vergleicht.

          • CitizenK 17. September 2022, 12:17

            „Erfolgreiche Beispiele sind reine Zufallsprodukte.“
            Viele Problemfälle bestreite ich nicht, aber das ist nun wirklich übertrieben. Wir haben in BW türkischstämmig Landtagspräsidentin und einen Landwirtschaftsminister, türkische Anwälte und Ärzte, auch Lehrer. Eine Freundin von uns ist mindesten so „deutsch“ geworden wie ich.

            „Migranten sprengen diese Solidarität“
            Woher kommt dann die überwältigende Hilfsbereitschaft, die es immer noch gibt? Unter den radikalen Migrationsfeinden sind überdurchschnittlich viele Putinfreunde und Aluhüte zu finden. Zufall?

            Dänemark ist ins andere Extrem verfallen. Quoten für Nachbarschaften, auch nachträglich durch „Umsiedlung“ hergestellt, kann ich nicht gutheißen.

            „Wir können es nicht“ liegt auch daran, dass wir es lange nicht wollten: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – Sie erinnern sich? Auch hier: Jahr(zehnte)lange Versäumnisse können nicht von heute auf morgen aufgelöst werden.

            Sie betrachten die gesamte Migrationsfrage nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit für unser Land. Der humanitäre Aspekt spielt keine Rolle? Ich gebe aber zu: Ich sehe nicht, wie wir in den kommenden Jahren steigende Flüchtlingszahlen bei sich verschränkenden Groß-Krisen bewältigen können. Die Kommunen stoßen schon jetzt an ihre Grenzen.

            Dass die Deutschen immer ein Volk von Migranten waren, sollten wir bei alledem nicht aus den Augen verlieren:“Erfolgreiche Beispiele sind reine Zufallsprodukte.“
            Viele Problemfälle bestreite ich nicht, aber das ist nun wirklich übertrieben. Wir haben in BW türkischstämmig Landtagspräsidentin und einen Landwirtschaftsminister, türkische Anwälte und Ärzte, auch Lehrer. Eine Freundin von uns ist mindesten so „deutsch“ geworden wie ich.

            „Migranten sprengen diese Solidarität“
            Woher kommt dann die überwältigende Hilfsbereitschaft, die es immer noch gibt? Unter den radikalen Migrationsfeinden sind überdurchschnittlich viele Putinfreunde und Aluhüte zu finden. Zufall?

            Dänemark ist ins andere Extrem verfallen. Quoten für Nachbarschaften, auch nachträglich durch „Umsiedlung“ hergestellt, kann ich nicht gutheißen.

            „Wir können es nicht“ liegt auch daran, dass wir es lange nicht wollten: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – Sie erinnern sich? Auch hier: Jahr(zehnte)lange Versäumnisse können nicht von heute auf morgen aufgelöst werden.

            Sie betrachten die gesamte Migrationsfrage nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit für unser Land. Der humanitäre Aspekt spielt keine Rolle? Ich gebe aber zu: Ich sehe nicht, wie wir in den kommenden Jahren steigende Flüchtlingszahlen bei sich verschränkenden Groß-Krisen bewältigen können. Die Kommunen stoßen schon jetzt an ihre Grenzen.

            Dass die Deutschen immer ein Volk von Migranten waren, sollten wir bei alledem nicht aus den Augen verlieren:

            „Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor — seit Christi Geburt.
            Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl,
            braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht.
            Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie,
            das war ein ernster Mensch,
            der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet.
            Und dann kam ein griechischer Arzt dazu,
            oder ein keltischer Legionär,
            ein Graubündner Landsknecht,
            ein schwedischer Reiter,
            ein Soldat Napoleons,
            ein desertierter Kosak,
            ein Schwarzwälder Flözer,
            ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland,
            ein Magyar, ein Pandur,
            ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler,
            ein böhmischer Musikant. (…)
            (Carl Zuckmayer – Des Teufels General)

            • Stefan Pietsch 17. September 2022, 13:26

              Woher kommt dann die überwältigende Hilfsbereitschaft, die es immer noch gibt?

              Was meinen Sie? Hilfsbereitschaft ist etwas absolut Kurzfristiges. Jemand in einer Notlage erfährt Hilfe. Das ist Humanität und ist in jeder Gesellschaft weit verbreitet.

              Unter den radikalen Migrationsfeinden sind überdurchschnittlich viele Putinfreunde und Aluhüte zu finden. Zufall?

              An der Stelle vermischen Sie sehr viel und sind damit im Bereich des Populismus.

              Dänemark ist ins andere Extrem verfallen. Quoten für Nachbarschaften, auch nachträglich durch „Umsiedlung“ hergestellt, kann ich nicht gutheißen.

              Darauf kommt es kein bisschen an, nicht einmal in unser kleinen Debatte. Die einzig zu debattierende Frage ist: Warum ist das so? Die Sozialdemokraten wären in Dänemark nicht mehr an der Regierung, wenn sie nicht auf die Einstellungen der Bevölkerung Rücksicht nehmen würden – und zwar gerade bei ihrer eigenen Wählerschaft. Hier dagegen kommt die einstmals stolze Sozialdemokratie auf 14-17 Prozent. Das ist in einem eigentlich sozialdemokratisch gesinnten Land armselig. Offensichtlich erreicht die SPD seit langem nicht mehr die Gefühlslage ihrer eigenen Wähler.

              „Wir können es nicht“ liegt auch daran, dass wir es lange nicht wollten: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – Sie erinnern sich? Auch hier: Jahr(zehnte)lange Versäumnisse können nicht von heute auf morgen aufgelöst werden.

              Bei genauerer Betrachtung ist das eine ignorante Bemerkung. In Deutschland wird seit knapp 25 Jahren von der Politik postuliert, wir wären ein Einwanderungsland. Das ist eine Generation. Wer von diesem Umschwung betroffen war, kann heute 35-40 Jahre alt sein. Das ist schon mittleres Erwerbstätigenalter. Dennoch stellen Studien bei Migrationsfamilien immer noch einen erheblichen Rückstand fest. So musste die OECD vor einigen Jahren immer noch konstatieren, dass die Schüler aus Familien mit Migrationshintergrund fast zur Hälfte sehr schlechte Leistungen erbringen. Studien, die das weiter untersuchen, konzentrieren die Probleme auf eine bestimmte Gruppe von Migranten. Mit anderen Worten: Das Problem ist nicht das Land, das Problem sind bestimmte Zuwanderer.
              https://www.dw.com/de/pisa-studie-sch%C3%BCler-mit-migrationshintergrund-oft-leistungsschw%C3%A4cher/a-43184512

              Sie betrachten die gesamte Migrationsfrage nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit für unser Land.

              Ja. Wie jedes Einwanderungsland. Sie müssen sich schon mal entscheiden: Sehen Sie Deutschland als Einwanderungsland oder als Hort für die Zukurzgekommenen? Beides zusammen geht nicht. Das eben haben die Skandinavier begriffen. Wir sind in Deutschland noch nicht so weit.

              Der humanitäre Aspekt spielt keine Rolle?

              Doch. Nur gibt es dafür Regeln. Und die sehen i.d.R. eine Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat vor, sobald der Kriegsgrund nicht mehr gegeben ist. Auch nach 10 Jahren. So sind die Regeln. Die Ampelregierung vermischt nun alles, so dass fast jeder, der es nach Deutschland kommt, auch bleiben darf und nach wenigen Jahren voll stimmberechtigtes Mitglied dieses Landes wird. Kein anderes Land folgt Deutschland in dieser Politik. Wieder einmal eine Geisterfahrt.

              Das Zufallsprodukt ergibt sich aus den Relationen. Wie viele erfolgreiche Migranten kommen auf 100.000 Migranten? Mehr oder weniger als bei eingewohnten Deutschen? In den USA schaffen es nicht wenige in der zweiten Generation zum Milliardär oder wenigstens zum Millionär und in dritter zum Präsidenten. In Deutschland wollten die Grünen selbst einen vorbildlichen Nachkommen türkischer Einwanderer nicht zum Minister machen. Wie gesagt, ich habe in den Jahren eine Reihe von Kandidaten für mittlere Tätigkeiten aus dem osteuropäischen, asiatischen und EU-Raum gehabt, aber keinen einzigen mit türkischen oder arabischen Wurzeln. Allerdings ein Ex-Kollege, der es auch zum Leiter Finanzen geschafft hat. Das ist eine ziemlich geringe Ausbeute.

              Mein Vater stammt aus Ostpreußen (Königsberg), woher auch der Name stammt. Meine Wurzeln mütterlicherseits reichen ins Elsaß zurück. Meine Frau ist so deutsch wie man nur sein kann. 🙂

              • CitizenK 18. September 2022, 08:48

                „Darauf kommt es kein bisschen an“.

                Irritierend von einem, der sonst großen Wert auf Prinzipien legt.

                Für mich ist das nicht so einfach:
                „Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein.“ (Willy Brandt).
                Was die Dänen jetzt machen, ist bei uns nicht mal AfD-Linie, jedenfalls nicht offiziell.

                P.S. Auch der Finanzminister in BW hat türkische Wurzeln. Die FAZ nennt ihn „wirtschaftsliberal“ 😉

                P.P.S. Nach meiner Erfahrung ist die Arbeitshaltung bei türkisch-stämmigen Schülern nicht anders. Was mich sehr irritiert hat, war ihr Nationalismus. Mich würde interessieren, welche Erfahrungen
                @Stefan Sasse
                da hat.

                • Stefan Sasse 18. September 2022, 10:42

                  Ehrlich gesagt sehr wenige. Ich habe tendenziell wenige Schüler*innen mit türkischen Wurzeln, und von den wenigen würde ich nicht verallgemeinern wollen.

                  • Stefan Pietsch 18. September 2022, 11:54

                    Geh‘ mal in die Grundschulen. Da ist das Bild völlig umgekehrt. Worauf führst Du zurück, dass bei Dir oben so wenig ankommt?

                    • Stefan Sasse 18. September 2022, 20:45

                      Ich bin in einer Privatschule, die in einer Stadt mit extrem hohem Einkommenslevel liegt.

                    • Stefan Pietsch 18. September 2022, 23:12

                      Q.e.d.

                      Es war Beweis zu erbringen, dass die Nachkommen türkischer Einwanderer es meist auch in der dritten und vierten Generation nicht schaffen, mit der übrigen Bevölkerung gleichzuziehen.

                • Stefan Pietsch 18. September 2022, 11:53

                  Sie sind weder Däne noch leben Sie in Dänemark. Von daher können Sie sich entspannt zurücklehnen, beobachten und analysieren, statt Ihre Emotionen zu verpulvern in Sachen, die Sie weder ändern können noch die Sie persönlich berühren.

                  Ich bezweifle stark, dass Willy Brandt mit 14-17 Prozent zufrieden gewesen wäre. Dazu wird der große Sozialdemokrat, kaum das er tot war, verkitscht. So feierte die SPD 1985 auf dem Mannheimer Parteitag Oskar Lafontaine, obwohl die Brandt in seinen letzten Jahren mit dem Saarländer über kreuz war. Die SPD des Lafontaine wollte die Wiedervereinigung nicht, mit dem Fall der Mauer ging für viele Linke ein Traum von einem besseren Deutschland unter.

                  Der Sinn von demokratischen Parteien ist zu regieren und Mehrheiten zu erringen. Sie haben Milieus und Wählergruppen sowie deren Interessen und Anliegen abzubilden, sonst funktioniert Demokratie durch politische Parteien nicht. Und deswegen wandeln sich erfolgreiche Parteien auch. Die SPD des Willy Brandt hatte nichts mehr mit der Gründungspartei zu tun. Und die Partei unter Jochen Vogel hätte auch in 100 Jahren nicht den Erfolg der Schröder-SPD eingefahren.

                  Heute gefallen sich linke Parteien zu oft als reine Lifestyle-Bewegungen. In Italien führt die Ignoranz der PD nächstes Wochenende wahrscheinlich dazu, dass eine Rechtsextremistin Ministerpräsidentin wird. Ihr Spitzenkandidat Letta spricht am liebsten auf den Plätzen der Reichenviertel ohne Publikum und gefällt sich darin, allein die Rechten zu kritisieren. Das ist politische Armut.

                  Auch in der modernen Gesellschaft gibt es Menschen mit niedrigen Einkommen, prekären Lebensbedingungen, einfacher Sprache. Doch die sind der SPD egal. Wer es echt mit der SPD hält (wie Sie), sollte sich beim monatlichen Friseur mal mit den Mitarbeiterinnen unterhalten, wie sie zu so Sachen wie Bürgergeld, Migration, Gendersprache u.ä. stehen. Sie würden sich echt wundern.

                  In meiner Runde mit meinen Mitarbeitern stellte ich vergangene Woche die ergebnisoffene Frage, wie sie zum Gendern stehen. Die Erwiderung war von den Frauen (die meisten mit Einkommen zwischen 30.000 – 38.000 Euro) ein Verriss. Aber die SPD findet es gut.

                  Danyal Bayaz ist in seiner Partei eher ein Außenseiter, wie eigentlich alle, die in der Vergangenheit und heute finanzpolitische Kompetenz verkörpern. Er war nicht im Sondierungsteam der Grünen und gehört wird er sonst auch nicht. Aber das beantwortet die eigentliche Frage nicht, dass selbst bei den Grünen Politiker mit türkischem und arabischen Hintergrund auf der Funktionärsebene unterdurchschnittlich vertreten sind. Selbst in dieser Partei.

                  P.P.S.: Stefan hat mich im Grunde schon bestätigt.

                  • CitizenK 18. September 2022, 16:49

                    Sprachlich marschiert die SPD halt an der Spitze des Fortschritts 😉 Beweis: Ein Plakat:
                    SPD Stadtpolitik OUT OF THE BOX
                    18:30 Come-Together mit anschließender …
                    19:15 Input Speech durch…
                    .
                    #meetup
                    Come in and #meetup

                    Dass die Partei die Verbindung zu ihren ehemaligen Stammwähler verloren hatte, ist inzwischen verstanden. Gerade wird versucht, diesen wieder herzustellen. Migrationspolitik ist da nur ein Baustein.

                    Zu „Prinzipien und Mehrheiten“: Die FDP könnte ihre Beliebtheit bei den Wählern sofort steigern – durch eine Fortführung des 9-Euro-Tickets. Warum tut sie es nicht?

                    • Stefan Pietsch 18. September 2022, 18:12

                      Ich glaube nicht, dass das verstanden ist. Sonst läge die Partei nach einem Zwischenhoch zur Bundestagswahl nicht wieder bei 17 Prozent. Sonst hätte man sich nicht als wichtigste arbeitsrechtliche Maßnahme das Bürgergeld auf die Fahnen geschrieben. Sonst würde man nicht als wichtige gesellschaftsrechtliche Maßnahme für ein Wahlalter ab 16 und die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung kämpfen. Kann man alles machen, nur zeigt es Prioritäten.

                      Klar könnte es die Beliebtheit der FDP steigern. Und gleichzeitig die Umfragewerte weiter senken. Denn Liberale sind für manches – für ein billiges, hoch subventioniertes Bahnticket sind sie nicht.

                      Die SPD würde auch nicht für eine Kopfpauschale gewählt. Wenn aber der Spitzensteuersatz mittlere Einkommen, IG-Metall-Mitglieder trifft, dann weiß man ohne tiefere politische Analyse, dass die SPD an den Interessen ihrer potentiellen Wähler vorbeisteuert.

    • Thorsten Haupts 16. September 2022, 22:31

      Sie hatten geschrieben: Möglicherweise führt unser bisher praktiziertes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nicht mehr dazu, dass es uns wirklich gut geht.

      Das ist in der Konsequenz – gewollt oder ungewollt – revolutionär :-). Darauf bezog ich mich, ich kann nur sehen, was Sie schreiben, nicht, was Sie denken.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Stefan Sasse 16. September 2022, 22:52

        Ich glaube der Kern ist hier ein ähnlicher wie in unserem Dauerstreit um die Bedeutung von „rechts“. „Revolutionär“ ist nicht eben ein neutraler Begriff und für die meisten Menschen negativ konnotiert, entsprechend die Reaktion. Meine Vermutung jedenfalls.

      • CitizenK 17. September 2022, 07:23

        Das war missverständlich ausgedrückt, sorry.

        „Die Art zu wirtschaften“ trifft es vielleicht eher: Zu viel Verschwendung von Ressourcen, zu wenig Umweltschutz, zu wenig Vorbereitung auf die vorhersehbare Zukunft. Zu wenig heißt dabei: gemessen an unseren Möglichkeiten.

  • CitizenK 19. September 2022, 06:23

    War es deshalb falsch, ihre Großeltern einst ins Land zu holen? Kaum, denn sie wurden ja damals gebraucht für die Jobs, die hier keiner mehr machen wollte.

    Wir sollten aber bei der Ursachen-Analyse (Schuldzuweisung?) nicht stehen bleiben. Wenn es stimmt, dass hier die Grundlagen gelegt werden für Schul- und Berufserfolg (ziemlich sicher), dann lohnt die Investition (!) in ihre Förderung.

    • Stefan Pietsch 19. September 2022, 09:45

      Egal welche Meinung ich hierzu vertrete, sie wäre völlig irrelevant. Wen interessiert, was vor über 60 Jahren entschieden wurde?

      Schuldzuweisung ist eine moralische Kategorie, mit der ich mich nicht aufhalte. Zum einen sind Sie mit Ihrer Empörung widerlegt, der Erfolg einzelner türkischstämmiger Migranten ist eher ein Zufallsprodukt. Zum anderen geht es bei Menschen, die hier so aufgewachsen sind wie ihre Eltern nicht um Fragen der Betüttelung. Ein Blick auf Referenzgruppen ist da aussagekräftiger.

      Es zeigt aber auch, dass Deutschland Einwanderung nicht kann. Auch im Jahr 2022 nicht. Alles bestätigt, was ich behauptet habe.

  • CitizenK 19. September 2022, 09:53

    „Alles bestätigt….“

    Recht (gehabt) haben ist wichtiger? Und ich dachte immer, Manager seien da anders drauf: Lösungen finden statt Schuldige.

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