Läuten für Winnetou endgültig die Glocken von Santa Fe? Steht ein Verbot der Klassiker von Karl May an? Mitnichten. Aber die freidrehende Debatte um Cancel Culture und alles was dazugehört folgt altbekannten Empörungsmustern, die nur noch ermüdend sind. Dabei lässt es sich zu diesem Thema tatsächlich diskutieren, so man daran denn Interesse hat und nicht nur Identitätspolitik und Nostalgie bedienen will. Wir unternehmen hier den Versuch. Auf der einen Seite untersuchen wir die Debatte selbst und versuchen nachzuvollziehen, worum es in ihr eigentlich geht – und worum nicht. Auf der anderen Seite unternehmen wir dann aber den deep dive in das oevre von Karl May und stellen ernsthaft die Frage, was er uns heute eigentlich noch zu bieten hat. Dies ist die längste Folge der Bohrleute bislang, aber wir glauben, dass wir aus dem wohl nichtig-möglichsten Anlass einige wirklich gute Dinge herausziehen konnten.
Show Notes:
– Johannes Franzen über verlorene Unschuld
– Samira El Ouassil über Trotzstolz
– Jonas Lübkert über Nostalgie
– Dirk Knipphals über die problematischen Aspekte der zurückgezogenen Kinderbücher
– Tini über die Fiktionalität des Stoffes
– Paul Starzmanns sarkastischer Rassismus-Leitfaden
– Jürgen Zimmerer zur Rassismus-Debatte im Thread, bei Tag24 und der ZEIT
– Marcel Schütz‘ Überlegungen zum Thema
– Gefahr der Cancel-Culture-Hysterie
– Fake-News von Söder und BILD, Fakten zum „Verbot“ von Winnetou in ARD
– Lektüre macht nicht zum Rassisten
– Niemand liest mehr Winnetou
– Beleg für das Armenierzitat
– Podcast „Feel the News“ zum Thema
– Thread von Anatol Stefanowitsch zum Thema Sprache, Rassismus und Winnetou
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Interessant, dass ihr dem Thema so viel Zeit widmet. Ich weiss nicht, ob ich zwei Stunden durchhalten kann.
Schon zu Anfang fällt mir, Mal wieder, auf, wie unterschiedliche Wahrnehmung und v.a. Erfahrungem wir offenbar haben. Ich habe von Karl May ausschließlich die Bücher gelesen, die damals in diesen grünen Einbänden in jedem zweiten Haushalt standen. Hauptsächlich Wilder Westen und Naher Osten. Die anderen Sachen fand ich damals auch schon langweilig. Die bekannten Wildwestbücher hingegen habe ich von vorne bis hinten verschlungen und ich bin ziemlich sicher, dass viele Gleichaltrige das auch gemacht haben. Die Filme hingegen kenne ich gar nicht. Ich wäre also vorsichtig allen anderen per se Unkenntnis zu zu unterstellen.
Völlig unverständlich war mir Arianes Behauptung Astrid Lindgren Bücher und andere Kinderbücher der Zeit, seien so aus der Zeit gefallen, dass sie heute unbrauchbar seien. Sowohl ich als Kind als such meine Kinder lesen bzw bekommen sehr viele der Kinderbücher aus der Zeit vorgelesen und sowohl meine Kinder als auch ich finde die oft besser als moderne Kinderbücher. Letzere sind mir oft zu lieblos und glatt. Gerade bei den allermeisten Büchern von Astrid Lindgren, habe ich noch nie erlebt, dass Kinder diennicht gut fanden.
Karl May hingegen fänden die wohl auch nicht so spannend, ich hab’s gar nicht erst probiert. Da sind wir uns Mal einig 🙂
Außerdem stößt mich leider wieder eure ziemlich arrogante Art ab. Stefan, Ariane und Tine checken alles. Die anderen sind Idioten.
Ich Versuche darüber hinwegzuhören, weil ich es inhaltlich ansonsten durchaus spannend finde. Aber einfach ist das nicht immer.
Außerdem stößt mich leider wieder eure ziemlich arrogante Art ab. Stefan, Ariane und Tine checken alles.
Das tut mir leid, liegt aber vermutlich etwas in der Natur der Sache, weil wir ja schlecht zwei Stunden lang erzählen können, dass wir leider kein Plan von gar nichts haben. Aber es sind alles reine Meinungen, ich hab die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen.
Völlig unverständlich war mir Arianes Behauptung Astrid Lindgren Bücher und andere Kinderbücher der Zeit, seien so aus der Zeit gefallen, dass sie heute unbrauchbar seien
Das kam dann etwas missverständlich rüber, Astrid Lindgren finde ich sogar sehr zeitlos,nicht unbedingt Pippi Langstrumpf, sondern mehr Ronja Räubertochter und Mio mein Mio.
Aber sie brauchen halt regelmäßig neue Überarbeitungen, weil die Sprache der Übersetzung Staub ansetzt, selbst wenn keine N-Wörter vorkämen.
Der Vergleich hinkt aber eh, weil Lindgren schon immer Kinderbücher geschrieben hat und das nicht wie bei Karl May verkindlicht werden musste und in der Branche sollte man vermutlich lieber alles wegwerfen, was aus den 50er/60ern stammte.
Vielleicht schlägt hier allerdings auch meine eigene Nostalgie zu, weil ich großer Fan der roten Zora und des kleinen Lords war (wenn auch ohne Tränen, vielleicht zählt das dann nicht).
Die unterschiedlichen Wahrnehmungen sind in der Tat sehr interessant.
Ich habe einige der Bücher auch gelesen, nur dass die nicht bei uns zuhause herumstanden, sondern dass ich die mir aus der Stadtbücherei ausgeliehen habe. Ich fand die tatsächlich aber auch schon als Kind eher langweilig und umständlich erzählt. Dass ich mehrere davon überhaupt zuendegelesen habe liegt zum einen daran, dass ich viel Zeit hatte und gerne gelesen habe, zum anderen daran, dass ich über lange Jahre aus Prinzip jedes noch so schlechte Buch zuendegelesen habe, weiß der Teufel warum. (Emanzipiert von dieser Haltung habe ich mich erst mit Stuckrad-Barres Soloalbum, das ich nach der Hälfte weggelegt und nie wieder angefasst habe, aber das ist eine andere Geschichte.)
Die Filme und vor allem die Hörspielkassetten mochte ich aber, weil die es ganz gut schafften, die Handlung auf die „spannenden“ Teile zu verdichten. (Ähnlich wie Goldmans The Princess Bride es behauptet zu tun.)
Ich hab schon ewig kein Astrid Lindgren mehr in der Hand gehabt. Bei Pippi Langstrumpf ging es ja um diese sprachliche Änderung der N—–königs. Und die ist mehr als angebracht. Ansonsten: was Ariane sagt.
Was die Art angeht: schade, dass das so rüberkommt. Aber ich meine, was soll ich denn da machen? Ich finde den Diskurs wahnsinnig doof. Wie genau würde ich das sagen, ohne dabei deutlich zu machen, dass ich checke, was ich gerade sage…? Und mal ehrlich, diesen Tonfall kriegst du öfter auch mal hin 😉 Wir haben im Übrigen ja auch versucht, von Anfang an den Kontext unserer eigenen Erfahrungen zu setzen und klarzumachen, dass wir aus unseren drei subjektiven Perspektiven reden.
Ich finde den Diskurs wahnsinnig doof.
Das ist er in Deutschland meistens tatsächlich. Allerdings, gäbe es die Folie „USA“ nicht, würde der Diskurs nicht oder jedenfalls nicht so geführt werden. Und natürlich werden wir die US-Verhältnisse (mit Verspätung) auch in Deutschland bekommen, das war historisch seit dem Ende des zweiten Weltkrieges immer so. Das wird von einigen Protagonisten in der Debatte so antizipiert, z.B. El Ouassils andere Lesart ist intellektuell unterirdisch aka Küchenpsychologie, Wokie-Style.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich weiß nicht, ich finde es ziemlich bequem, das alles auf den bösen Einfluss von über dem Teich zu schieben, als ob wir guten Deutschen von den amerikanischen Einflüssen verdorben würden. Ich finde da Erklärungen wie Aufmerksamkeitsökonomie, Nostalgie, Social Media etc. wesentlich überzeugender. Was stört dich an El Ouassils Deutung konkret?
Seit wann ist die beleglose Unterstellung von Trotzstolz eine „Deutung“? Es ist eine arrogante, bösartige Unterstellung und sagt mehr über die Deuterin, als über die Gedeuteten. Sie ist offensichtlich ein a-soziales A*.
Danke für die Erläuterung zu Lindgren.
Zum Ton, würde ich erstmal sagen, dass mir das bei Ariane am wenigsten auffällt und das euer Gast dort, wie auch schon beim letzten Mal, den Vogel abschießt.
Zu Stefan, natürlich kann man weniger arrogant oder hochnäsig über etwas sprechen von dem man überzeugt ist und bei dem man meint dass die anderen völlig Unrecht haben. Man kann z.b sie nicht als Idioten beschimpfen, mal die Möglichkeit andere Erklärungsansätze diskutieren, als die dass die anderen entweder blöd oder böse sind. Oder per se davon auszugehen, dass sie von der Materie über die sie sprechen überhaupt gar keine Ahnung haben und sie im Zweifel nicht mal gelesen haben.
Tini ist da in dieser Folge wie auch in der letzten schon am krassesten vor allem wenn sie sich an ihrem Lieblingsthema dem Feuilleton abarbeitet.
Alleine auf die Idee zu kommen, man sei einer der ganz wenigen in der Debatte, der Karl May überhaupt gelesen hätte, ist schon beeindruckend.
Wie schon bei der anderen Folge, fiel mir auch hier auf, dass ihr zwar vom Feuilleton o.ä. sprecht, euch aber konkret meist an etwas anderem abarbeitet. Hier z.B. an Aussagen von Söder und Gabriel oder Clickbait von Bild und Welt.
That said, ich habe zur Materie (Ravensburger und so) tatsächlich einiges gelernt. Jetzt bin ich auf den Teil zu Karl May gespannt. Nach mittlerweile rund dreißig Jahren, kann ich mich da nicht mehr an viel erinnern. Und noch Mal lesen werde ich die bestimmt nicht 🙂
Halt, das ist ein Missverständnis, es gibt nicht nochmal ne Sonderfolge zu Karl May. Eher nochmal zu diesem Nostalgietrip, der generell gerade hoch im Kurs steht mit Prequels, Neuinterpretationen und ähnlichem.
Hier z.B. an Aussagen von Söder und Gabriel oder Clickbait von Bild und Welt.
Stimmt, obwohl sich das mittlerweile auch stark vermischt und wir drei auch alle sehr aktive TwitterInnen sind. Die Debatte in den großen Medien hatte ja auch nicht wirklich Substanz, das war ein Kampf gegen nicht stattfindende Zensur und Ergriffenheit.
Was ein bisschen schade ist, weil wir ja rausgefunden haben, dass es da spannende Aspekte gibt und die ganze Nostalgie-Sache schon abbrechen und auf einen neuen Podcast schieben mussten. Aber generell wie man damit umgeht, dass die eigenen Kindheitshelden aus heutiger Sicht rassistisch, antisemitisch, sexistisch, etc. sind – ist ja ein spannendes Thema. Und sollte meiner Meinung nach durchaus mal grundlegender behandelt werden, damit nicht bei jeder Neuübersetzung ein Culture War ausbricht. (und Stefan sagte es ja, das Problem ergibt sich teilweise schon bei Sachen aus den 90ern, das werden wir immer wieder haben)
… dass die eigenen Kindheitshelden aus heutiger Sicht rassistisch, antisemitisch, sexistisch, etc. sind – ist ja ein spannendes Thema.
Wenn Du jetzt noch rausfindest, dass das für die ganze Weltliteratur der vergangenen 2.000 Jahre gilt … wiederholst Du zum etwa millionsten mal eine banale Erkenntnis bereits der achtziger des vergangenen Jahrhunderts? Und selbst da war das sehr wahrscheinlich nicht neu.
Ich bleibe bei sogenannten Neu-Übersetzungen oder -Interpretationen (sprich: Fälschungen) von noch heute gelesenen Klassikern ganz gelassen. Meist züchten solche Zeitgeist-Interpretationen (die auch nichts neues sind) alles an subversivem Witz, an Gemeinheit und Aggression, an Machtphantasien und schwarzem Humor aus den so redigierten Klassiken, danach werden sie von der Zielgreuppe nicht mehr gelesen und/oder die Originale werden zu Bückware und umso beliebter bei Kindern und Jugendlichen. Also, viel Spass dabei. Ist zwar albern, schadet aber auch nicht, solange man die Originale nicht komplett verbrennt und unwiderruflich vernichtet (was ich den modernen Wokies ohne weiteres zutraue, aber heute unmöglich geworden ist).
Gruss,
Thorsten Haupts
Oah, mich bitte nicht als Wokie bezeichnen, das ist mir immer viel zu religiös angehaucht.^^
Und natürlich ist fast alles, was vor einer Generation oder so geschrieben wurde, oft in irgendeiner Art problematisch. Hier muss man nur schon etwas differenzieren.
Natürlich kannst du die Bibel auch im Lateinischen oder Griechischem Original lesen. Aber wer will das schon erstens?
Und im Falle Winnetous (und neben der Bibel hatten wir ja noch andere Beispiele) reden wir ja über Populärliteratur aus dem 19. Jahrhundert, das im Laufe der Zeit immer mehr zu Jugend/Kinderliteratur wurde. Das erfordert so oder so Anpassungen. Wenn es Kinderbücher bleiben (oder werden) sollen, muss das ja angepasst werden. Sonst hat das irgendwann mehr Fußnoten als eine nicht abgekupferte Doktorarbeit.
Oah, mich bitte nicht als Wokie bezeichnen …
Habe ich nicht.
„Halt, das ist ein Missverständnis, es gibt nicht nochmal ne Sonderfolge zu Karl May. Eher nochmal zu diesem Nostalgietrip, der generell gerade hoch im Kurs steht mit Prequels, Neuinterpretationen und ähnlichem“
Ich hatte von dieser Folge nur den ersten teil gehört 🙂
„Die Debatte in den großen Medien hatte ja auch nicht wirklich Substanz, das war ein Kampf gegen nicht stattfindende Zensur und Ergriffenheit.“
Genau das meine ich. Was Du da beschreibst ist ein Zerrbild bzw. von selektiver Twitter-Wahrnehmung geprägt. Ich habe nur mal kurz geschaut und dir ein paar Zitate rauskopiert, die allesamt ziemlich genau das gleiche zur Einordnung der Debatte und zu Karl May allgemeine sagen, wie ihr auch. Alle kommen aus dem Feuilleton/den grossen Medien.
Anstatt sich auf Twitter über Poschardt, Bild und Welt und Söder und Gabriel aufzuregen, würde ich empfehlen, einfach mal die anderen Zeitungen zu lesen, über die ihr so schimpft 🙂
Aus der FAZ (leider hinter Paywall)
„Vielleicht muss man zum Ausklang einer Woche, in dem die Angst jener, die glaubten, man wolle ihnen ihren Karl May wegnehmen, von Tag zu Tag proportional anstieg („Ist Winnetou erledigt?“, heißt nun auch der Titel eines offenen Briefs der Karl-May-Gesellschaft und der Karl-May-Stiftung, die eine Petition starteten), noch einmal darauf hinweisen, dass es in der aktuellen Winnetou-Diskussion nicht um Karl May geht, der literaturhistorisch zweifellos interessant ist. Es geht um einen Film, „Der junge Häuptling Winnetou“, und um zwei Kinderbücher zu diesem Film, darunter ein Erstlesebuch: also eher um Merchandise-Produkte als um bemerkenswerte Kinderbuchliteratur. Beide, der Film wie das Buch, operieren mit einem Haufen folkloristischer Klischees… “
Die Einordnung entspricht ziemlich genaue der von Stefan im Podcast.
Und hier Zitate aus einem anderen FAZ Artikel (komplett hier https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/der-junge-winnetou-sind-film-und-buch-rassistisch-18261735.html):
“ Und andererseits verweist jeder Western auf die Zeit, in der er entstand (…)“
„die auch die deutschen Karl-May-Verfilmungen, in denen noch einmal alles gut war im weißen Westen und die Apachen gewissermaßen Deutsche ehrenhalber wurden“
„Was es am spießigen und provinziellen typisch deutschen Blick zu korrigieren gab, das hat Michael Bully Herbig, mit seinem „Schuh des Manitu“ so restlos dekonstruiert, dass man danach keine fünf Silberdollars mehr auf deutsche Winnetou-Filme hätte wetten wollen. “
„Was der (aktuelle, Anmerkung von mit) Film halt leider nicht verstanden hat, ist, dass es auf Absichten allein nicht ankommt: Die Menschen von Winnetous Stamm sind so gekleidet, wie man sich früher im Fasching als Indianer verkleidet hat. Sie sprechen das metaphernselige Indianerdeutsch, das doch Bully Herbig längst zerstört hat. Und sie benehmen sich genau so, wie man das als Deutscher von edlen Wilden erwartet. Das ist vielleicht kein böser Rassismus. Es ist aber dumm, provinziell, ignorant und arrogant…“
„Den Karl May wird uns trotz dieser Einwände keiner wegnehmen. Der erzählt ja vor allem die Geschichte seiner eigenen Entstehungszeit.“
Das entspricht ja auch mehr oder weniger Eurer Einordnung.
Wie auch dieser frühere Artikel aus der FAZ, der nüchtern berichtet, was passiert ist und interessante Details erwähnt die ihr auch erwähnt habt (es geht um Bücher zum Film, nicht Karl May Originale, in der Jury wurde der Film bereits kontrovers diskutiert usw)
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ravensburger-verlag-nimmt-winnetou-kinderbuecher-vom-markt-18260927.html
Noch ein Beispiel eine Überschrift aus der Zeit (wieder Paywall)
„Zum Verzweifeln
Was als mittlere Aufregung begonnen hat, ist kaum noch auszuhalten: In der Scheindebatte über Winnetou zeigt sich die intellektuelle Faulheit deutscher Diskussionskultur. “
Scheindebatte hat Stefan das glaube ich auch genannt.
Ich habe nie behauptet, dass es solche Artikel nicht auch gibt…? Aber der Vorwurf, unsere Wahrnehmung sei ein Zerrbild, ist Unfug. Der Großteil der Debatte kommt von der anderen Seite. Gerade in den Überschriften, den Politiker*innenreaktionen, etc.
Es ging um das Feuilleton bzw. die etablierten Medien, die ihr mit eben dieser Debatte in einen Topf werft. Genau wie bei dem Podcast übers Feuilleton.
Und „Grossteil der Debatte“ ist ja auch so eine Sache.
Wer sich sagen wir mal über Spiegel, SZ, FAZ, Zeit und Dlf mit Nachrichten und Meinungen versorgt, bekommt ein sehr ausgewogenes Bild dieser Debatte. Mit sehr wenig (oder sogar gar keiner) Zustimmung zu den Schreihälsen die ihr kritisiert.
Wer natürlich, wie ihr es ja selbst beschreibt, bei Twitter und anderswo auf jeden Krawall der üblichen Verdächtigen und jedes Clickbait von BILD und Welt reagiert, kriegt ein ganz anderes Bild der Debatte.
Ich höre jetzt nicht noch mal durch. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ihr dem Feuilleton/den etablierten Medien vorwerft, die Dinge die ihr im Podcast besprecht nicht zu schreiben, z.B., dass es nur um Ravensburger Merch geht, nicht um Karl May an sich geht, dass Winnetou nicht mehr zeitgemäss ist geht usw. usf.
Tini hat doch sogar behauptet, niemand der sich in der Debatte zu Wort meldet hätte May überhaupt gelesen. Ausser ihr und noch zwei anderen.
Ausserdem kann ich ja einfach Ariane noch mal zitieren:
„Die Debatte in den großen Medien hatte ja auch nicht wirklich Substanz, das war ein Kampf gegen nicht stattfindende Zensur und Ergriffenheit.“
Ich hab Karl May nicht gelesen, was ich im Podcast ziemlich klar sage.
Hat doch auch niemand behauptet??
Ich würde mich über inhaltliche Antworten freuen
Du hast Recht, was die Kritik des „in einen Topf werfen“ anbelangt. Aber ausgewogen rein mengenmäßig ist die Debatte sicher nicht. Es wurden allerdings Takes für alle möglichen Positionen veröffentlicht, da hast du natürlich REcht.
Genau, und das die Debatte in in Bild, Welt, und bei den üblichen Verdächtigen in SoMe unterirdische Qualität hat steht doch außer Frage.
Allerdings gilt das für nahezu alle „Debatten“ die dort stattfinden.
Kleiner Kommentar zu Stefans Behauptung vor dreißig Jahren hätten alte weiße Männer mit Zigarre und Dreiteiler nur gelacht und einfach weiter gemacht.
Natürlich eine Stufe heftiger, aber dennoch, es wurde nicht gelacht, sondern das furchtbare Stück zurückgezogen. Schon über 30 Jahre her https://www.spiegel.de/kultur/schlager-und-schlaeger-a-23f54ee6-0002-0001-0000-000013490302
Oh cool, danke für den Link. Echt nichts Neues unter der Sonne, das ist ja quasi Layla 1.0.
Man unterschätzt leicht, wie lange es diese Diskussionen und auch gesellschaftlichen Änderungen eigentlich schon gibt.
Das, was wir jetzt mit z.B. Layla erleben lief ja früher unter dem Stichwort Political Correctness. Und das ging ja schon in den 80gern los.
Gabs auch vorher schon, vermutlich solange der Mensch Sprache nutzt. Mir ist es neulich ganz extrem aufgefallen, weil ich eine Anime-Serie gesehen hab (irgendwas mit einem Vampir) und der die ganze Zeit von Fräulein Detektiv redete und Fräulein ist mittlerweile ja eigentlich aus dem normalen Sprachgebrauch – zurecht – verschwunden und das war etwas irritierend.
Nie in der hitzigen, moralinsauren, Heftigkeit von heute. Auf allen Seiten.
Hmmm … das war so eine Diskussion, die davon profitiert hätte auch eine Gegenseite zu hören. Drei Leute, die alle dieselbe Meinung haben und sich stets zur Richtigkeit ihrer Aussagen beglückwünschen, hat etwas begrenzten Erkenntniswert. Und es ist auch irgendwie ein bisschen unfreiwillig komisch, wenn sich in der ersten Hälfte von allen Seiten echauffiert wird, dass dieses Thema viel zu hoch gehangen wird und so eine „Diskussion um nichts“ in dieser Intensität in keinster Weise gerechtfertigt sei … und dann macht ihr einen zweistündigen Podcast draus …
Und die Gegenperspektive kommt auch nur bestenfalls zur Karikatur verzerrt bei euch vor. Ich kann z.B. kaum einer eurer vielen Aussagen zustimmen, sehe mich aber überhaupt nicht mit dem weinenden Sigmar Gabriel (wusste garnicht, dass der sich geäußert hat) oder dem auf der Parkbank Karl May lesenden Thomas Kemmerich (das Bild ist mir unbekannt) im selben Team. Das sind halt Politiker, die eine Chance sehen bei Wählern wie mir, die wütend über diese ständige woke Cancelei sind, zu punkten. Die machen, wofür sie bezahlt werden und schlachten das Thema weitestmöglich aus. Nichts Neues also. Bitte gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen.
Ironischerweise hat sich der woke Club mit der Aktion auch mal wieder selbst in Fuß geschossen. Denn es hat überhaupt nie jemals ein reales Problem bestanden. Oder glaubt hier einer ernsthaft, diese Winnetou-Neuauflage mit Malbuch und Brettspiel wäre der Mega-Renner geworden? Ohne Intervention hätte ein schlechter Film einen Misserfolg an den Kinokassen bewirkt. Und, seriously, keiner braucht ein Winnetou-Brettspiel. Die ganze Geschichte wäre still und leise gescheitert. In der Marketingabteilung und in der Produktentwicklung hätten einige Leute ihren Job verloren. Und das wär’s gewesen. Stattdessen haben wir jetzt einen Shitstorm. Und Werbung für den Film. Und Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Man kann nur sagen: „Herzlichen Glückwunsch“! Was für ein megamäßiges Eigentor.
Aber auch ansonsten kann ich den Inhalten der Diskussion nicht wirklich folgen. Schon die Kernthese ist falsch. Winnetou ist nicht rassistisch. Rassismus ist die Theorie, dass sich Völker genetisch signifikant voneinander unterscheiden und dass durch diese genetischen Unterschiede soziale und Verhaltenseigenschaften irreversibel biologisch vorgeprägt sind und Ethnien kennzeichnen. Laut Thilo Sarrazin, einem ausgewiesenen Rassisten, sind Araber z.B. genetisch vermurkst, weswegen sie in der Folge wirtschaftlich unerfolgreich seien. Karl May hat meiner Erinnerung nach in keinem seiner Bücher, zumindest nicht in denen, die ich gelesen habe, dieses biologistische Argument gemacht. Im Gegenteil, die Tatsache, dass – wie Du ja selber im Podcast erwähnst – Winnetou im Moment seines Sterbens zum Christum übertritt zeigt, dass May von einem freien Willen ausging und von der Möglichkeit eines jeden Menschen, das Richtige zu erkennen und zu tun – unabhängig von den Genen. Und das Christentum war eben, was May für „richtig“ hielt. (Ich schreibe diese Zeilen übrigens als Atheist. Nur dass hier nicht die falschen Schlussfolgerungen aufkommen …)
Was Karl May in der Tat tut, ist die westliche Kultur, und insbesondere die deutsche Kultur, als überlegen darzustellen. Dafür ist „Rassismus“ aber der falsche Begriff. Hierbei handelt es sich vielmehr um „Deutschtümelei“ oder – allgemeiner – um Nationalpopulismus. Auch das ist wenig überraschend. Die meisten Menschen halten ihre eigene Kultur für überlegen. Dass das dasselbe mathematische Problem verursacht wie die Tatsache, dass sich mehr als 70% der Deutschen für einen überdurchschnittlich guten Autofahrer halten, sei nur am Rande bemerkt. Geh z.B. mal in den USA auf die Straße und frag Passanten, ob sie der Aussage zustimmen, dass der „American Way Of Life“ allen anderen Kulturen überlegen ist. Ich sage Dir voraus, dass Du 80-90%ige Zustimmungsraten bekommen wirst. In Frankreich und Großbritannien würdest Du analog ähnliche Ergebnisse erwarten. Auch in Deutschland war das früher so. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Nationalismus hierzulande einen gehörigen Dämpfer erhalten. Und seit dem 2006er WM-„Wir sind wieder wer“-Sommermärchen kehrt auch in Deutschland wieder dieser Nationalpopulismus zurück. Beobachtbar war die Selbsterhöhung beispielsweise während der Finanzkrise, als der fleißige, sparende Deutsche nicht mit den griechischen Rentnern teilen wollte, die das Geld ohnehin nur verprassen und abfällig über PIIGS-Staaten sprach. All das ist nicht schön. Und auch mich nervt diese Deutschtümelei. Ich vermute auch, dass sie einem erneuten Populärwerden der Karl May-Werke bei der Jugend im Wege steht. Aber in jedem Falle handelt es sich hier nicht um Rassismus. Die Jugend muss nicht vor Karl May geschützt werden.
Und das führt mich zu einem letzten Punkt, der mir im Podcast sehr übel aufgestoßen ist. Da ist wiederholt zur Begründung des Cancelns die Strategie verwendet worden, dass gecancelte Produkt abzuwerten. Die Folge ist, dass die Frage, ob das Canceln gerechtfertigt war, in den Hintergrund gerät, während der Attitüde „den Scheiß wird eh keiner vermissen“ der Weg bereitet wird. Das ist eine ganz, ganz gefährliche Argumentation. In den USA kommt das regelmäßig als Reaktion, wenn mal wieder irgendwo ein Schwarzer erschossen wurde. Da wird dann auf Fox News mit keinem Wort debattiert, ob die Tötung richtig war. Stattdessen wird eine möglichst negative History des Opfers gepusht, und sei es ein Ladendiebstahl von vor 15 Jahren. Die Botschaft: „Um den ist es eh nicht schade“. Die Rechtmäßigkeit der Tötung wird dann weniger relevant. Und auch die Bücher, die gegenwärtig in den rechtsextrem regierten Bundesstaaten verboten werden, werden unter dem Vorwurf, das sei „eh nur Schund“, „eh nur unamerikanisch“ und „das braucht eh keiner“ aussortiert. Demokratie und Rechtstaat sind aus Sicht der Rechtsextremen eben „Schund“ und „Schund“ kann weg. Wir sollten höllisch aufpassen uns dieselben Argumentationsmuster zunutze zu machen. Deshalb ist es irrelevant, ob das Ravensburger Spiel oder das Winnetou-Malbuch billiger Scheiß waren (ganz nebenbei, woher weißt Du das eigentlich? Hast Du das Spiel gespielt?). Es ist auch gleichgültig, ob der Film qualitativ unterirdisch ist. Was er vermutlich tatsächlich ist. In einer rechtstaatlichen, marktwirtschaftlichen Gesellschaft entscheiden Unternehmen bzw. in diesem Fall Filmgesellschaften, welches Produkt sie produzieren wollen. Ein dummes Produkt scheitert dann eben am Markt. Auch ohne Intervention. In keinem Fall rechtfertigt eine niedrige Produktqualität, dass ein Mob ein Unternehmen unter Druck setzt sich selbst zu zensieren.
Ähnliches lässt sich über das Argument sagen, dass die Karl May-Werke ja keine Kinderbücher seien und deshalb das Canceln eines Karl May-Kinderbuchs per se in Ordnung sei. Auch hier ist schon die Grundannahme falsch. Selbstverständlich sind die Karl May-Bücher Kinderbücher … bzw. die bessere Bezeichnung ist „Jugendbücher“. Ein Jugendbuch ist ein Buch, dessen vornehmliche Zielgruppe Jugendliche sind und das in erster Linie von Jugendlichen gelesen wird. Das trifft auf Winnetou und viele andere Karl May-Bücher mindestens seit vielen Jahrzehnten, aber wahrscheinlich bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu. Im Podcast wurden Ernst Bloch und Adolf Hitler als Fans genannt. Die werden die Bücher ja wahrscheinlich nicht in ihren Fünfzigern gelesen haben. Im Übrigen wäre das Canceln von Büchern auch dann nicht in Ordnung, wenn der Autor zur Zeit der Entstehung Jugendliche explizit von der Leserschaft ausgeschlossen hätte. Wer im 19. Jahrhundert möglicherweise die angepeilte Zielgruppe war, ist im 21. Jahrhundert für die Frage, ob das Werk noch Berechtigung hat, völlig gleichgültig.
Und damit sind wir bei der Frage der Berechtigung. Hat Winnetou noch Relevanz in unserer modernen Gesellschaft? Die Antwort ist ja und nein. Relevanz ist noch da. Aber eben eher für die mittlere und ältere Generation, die mit den Werken aufgewachsen ist. Keine Ahnung wie viele der Bücher ich gelesen habe. Auf Wikipedia habe ich mindestens 27 gefunden, die ich definitiv gelesen habe, aber die Liste war nur eine Auswahl und wahrscheinlich nicht vollständig. Menschen wie ich verbinden mit den Geschichten nostalgische Gefühle. Und viele Wochen und Monate begeistertes, gespanntes Lesen. Die Filme kenne ich hingegen nur flüchtig. Die waren auch nie der Driver für Mays Bekanntheitsgrad in Deutschland. Auch so eine Sache, die ihr ziemlich irreführend darstellt. Ich habe übrigens auch noch von niemandem gehört, dass er bei Winnetou geweint hat. Da scheint Ihr in einem merkwürdigen Freundeskreis zu verkehren …
Aber während Winnetou mir etwas bedeutet, ist die Relevanz für Jugendliche sehr gering. Das liegt allerdings nicht an fehlenden Trans-Figuren in der Storyline oder vermissten woken Inhalten. Sondern das liegt erstens am Aufkommen des Fernsehens. Da Karl May hauptsächlich über Bücher transportiert wurde, half es dem Genre nicht, dass Kinder und Jugendliche zunehmend vor dem Fernseher saßen, anstatt wochenlang durch Buchseiten zu schmökern und eine Verbindung zu den packenden Welten aufzubauen. Die globalisierte Welt führte auch zu mehr Auswahl. Heutzutage gibt es für einen 14-jährigen Jungen viel mehr als nur eben Karl May. Das war in den 70er/80er-Jahren noch anders. Drittens ist die Welt schnelllebiger geworden. Trends kommen und gehen. In der Literatur. In der Musik. In der Kunst. Die große Zeit der Western ist vorbei. So wie die große Zeit des Techno oder des Grunge vorbei ist. Nicht weil Western oder Techno nicht in die Zeit passen. Sondern weil sie in der Welt von gestern populär waren und das Publikum immer auf der Suche nach dem „Next Big Thing“ ist. Privatfernsehen und Internet haben diese Entwicklung verstärkt.
Und da schließt sich der Kreis. Winnetou hätte so oder so kein Revival bei der jungen Generation gefeiert. Dass der bescheuerte Film das Genre wieder populär gemacht hätte, ist völlig absurd. Die ganze Aufregung hätte man sich sparen können. Profitiert haben von dem ganzen Lärm ohnehin wieder mal die Falschen. Dazu hast Du zwei Stunden Deines Lebens verschwendet für einen „Podcast über nichts“. Aber ich sollte meinen Mund halten. Deiner Arbeit habe ich gerade drei Word-Seiten „Kommentar über Podcast über nichts“ hinterhergeworfen …
Welcher woke-Club? Das ist doch genau das Thema. Das ist so ein falsches Framing. Bei Ravensburger beschwert hat sich eine Native-Vertretung. Das ist doch nicht „der woke Club“. Wie ich im Podcast sage, wenn ich großzügig bin sind das 500 Leute.
Die Deutschtümelei ist auch nicht der Rassismus. Für den Rassismus zitiere ich im Podcast eine ausführliche Stelle.
ES WIRD NICHTS GECANCELT. Karl Mays Bücher sind gemeinfrei. Du kriegst sie überall. Die Filme laufen im ZDF. Der neue Film läuft im Kino, dank der Kontroverse wohl erfolgreicher als ohne. Wie Tini schon sagte gibt es auf Audible diverse Versionen von May als Hörbuch. Was soll denn das?!
Die Stelle, die Du zitierst, ist nicht aus Winnetou (oder aus einem anderen seiner Abenteuerbücher), sondern aus Mays Journalistentätigkeit beim Besuch des Kaisers irgendwo im Orient, wenn ich mich richtig erinnere.
Und selbstverständlich wird gecancelt. Verlage wissen heute ganz genau, was für einen Shitstorm es verursacht, wenn der woke Mob auf sie losgeht und gegen sie mobilisiert. Da wird dann still und heimlich selbst-zensiert, um den zu erwartenden wirtschaftlichen Schaden abzuwenden.
Total still und heimlich, deswegen hat es ja auch in diesem Fall niemand mitbekommen und…Moment.
Ravensburger hat sicher nicht gehofft, dass dieser Fall weitere Wellen schlägt.
Mit Sicherheit. Aber es gibt auch keine Verschwörung zur Verheimlichung.
Hat auch niemand behauptet, dass es eine Verschwörung gäbe. Ich habe lediglich festgestellt, dass Verlage/Medien sich selbst zensieren, weil sie zurecht Angst vor der Schmutzkampagne des woken Mobs und deren wirtschaftlichen Folgen, die bis zur Bedrohung der Existenz gehen können, haben.
Glaubst Du, ich hätte eine Chance, wenn ich als Soldatenverein gegen ein militärverachtendes Werk intervenieren würde? Eben … Der Erfolg der „Native-Vertretung“ (wer wurde denn da eigentlich von wem gewählt? Oder ist das die Selbstüberhöhung?) zeigt doch nur die aktuellen Machtverhältnisse, Deine kleine Minderheit gewinnt jedes Gefecht vor dem ersten Schuss.
Gruss,
Thorsten Haupts
Da werden richtig Jugenderinnerungen wach. Ich kenn diese Pose noch aus meinen Zwanzigern. „Die Gegenseite ist so mächtig, ein Fingerzeig und wir wenigen Aufrechten, die noch für das Gute kämpfen und Prinzipien haben, werden von den mächtigen Interessen beiseite gewischt!“
Netter Versuch. Halten wir die Fakten fest: Ein paar Krakeeler beschweren sich bei einem alteingesessenen Verlag über irgendwas Problematisches und der zieht prompt die inkriminierten Werke aus dem Verkehr. Das sind die Fakten.
Jepp, weil das Problematische…halt dich fest…problematisch war.
Ach ja? Wurde zur Ermordung, Verstümmelung, Einkerkerung von Gruppen aufgerufen? Nein? Na dann, wenigstens zur aktiven Diskriminierung, Ausgrenzung, Demütigung von Gruppen oder Individuen? Auch nicht? Nicht problematisch!
„Bei Ravensburger beschwert hat sich eine Native-Vertretung.“ Eben nicht. Der Verlag spricht wolkig von vielen negativen Rückmeldungen, die ‚offizielle‘ Native Vertretung hält sich dazu bedeckt und ich habe irgendwo ein Interview mit einer Person mit Native American Hintergrund gesehen, der von ‚wir Native Americans‘ spricht, ohne zu erklären, wer diese ‚wir‘ sind.
Hm, dann bin ich da wohl fehlinformiert.
ES WIRD NICHTS GECANCELT.
Na ja. Außer bei Ravensburger – und bei dir.
Normalerweise bin ich bekennender Podcast-Verweigerer, aber aus Neugier habe ich mir tatsächlich die vollen zwei Stunden angehört (okay, in 1,2-facher Geschwindigkeit). Ich fand die ganze Winnetou-Debatte bizarr und hatte mir ein paar Details zur Entstehung erhofft, weil ich bei einer kurzen Google-Recherche nichts Erhellendes dazu gefunden hatte. Was genau war an den Ravensburger-Büchern eigentlich so schlimm? Von wem wurden sie auf welche Weise kritisiert? Wie viele Leute waren das? Wie viele Bücher waren schon verkauft worden? (Bei Amazon findet man jetzt natürlich nur anti-woke Jubel-Rezensionen.) Aber nach allem, was ich im Podcast gehört und in den Kommentaren gelesen habe, bleibt das wohl weiter im Dunkeln.
Stefan, nach deinem kleinen Twitter-Thread hatte ich mir den Trailer des Young-Winnetou-Films mal angesehen, und ich fand ihn langweilig bis dümmlich. Aber ich gehöre halt auch nicht zur Zielgruppe. Als Kind habe ich die drei Winnetou-Bände und irgendein anderes Karl-May-Buch geschenkt bekommen, vermutlich zur Erstkommunion, mit 9 Jahren. Das wird wohl für die Karl-May-Lektüre ein bis zwei Jahre zu früh gewesen sein, aber Cowboys und Indianer waren damals mein Ding, und nach meiner Erinnerung habe ich tapfer bis zur Mitte von Winnetou II durchgehalten – dann wurde es mir zu langweilig, zu schwülstig. Meine Western-Phase war dann auch irgendwie vorbei, ich hab dann lieber Jugendkrimis gelesen – Die drei ??? und die Perry-Clifton-Romane von Wolfgang Ecke (kennt die heute noch jemand?). Ein Schulfreund von mir schreibt mir übrigens jedes Jahr ganz stolz, dass er wieder Karten für die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg gekauft hat. Ich muss ihn mal bei Gelegenheit fragen, wie viel Lust seine drei Kinder auf diese Ausflüge haben…
Durch den Podcast habe ich ein paar interessante Hintergründe zu Karl May erfahren, aber was mich ganz ehrlich geschockt hat, ist der ausgeprägte Drang zur Publikumsbevormundung – vor allem von dir, aber von Ariane und Tini kam da leider auch kaum Widerspruch. Zwischendurch hast du mal einen Disclaimer eingestreut („Ich verurteile euch nicht, wenn ihr das lest“ o.ä.), aber alles andere klang wie ein flammendes Plädoyer fürs Canceln. Alles, was älter als zwei oder wahlweise dreißig Jahre alt ist, kann man nicht mehr lesen. Das ist hochproblematisch und nicht mehr konsumierbar. Das ist durch, da gibt es überhaupt keine Diskussion. Karl May ist noch interessant für Literaturkritiker und Historiker, aber das gemeine Volk kann/soll/darf das alles nicht mehr lesen. In den Kommentaren fiel ja schon der Begriff Arroganz, und in diesem Zusammenhang finde ich ihn auch nachvollziehbar.
So ausführlich und mit einer solchen Verve hab ich diesen Standpunkt noch nie gehört oder gelesen, weder im privaten Umfeld noch im Internet. Und ich hatte damit auch nicht gerechnet. Ich hab das Gefühl, dass du dich damit im Schützengraben des Kulturkampfs einbuddelst. Auf der anderen Seite stehen Bildzeitung & Co. mit ihren Kampagnen und Fake-News – aber das hat für mich nichts mehr mit Links gegen Rechts zu tun oder mit progressiv vs. konservativ. Das ist (for want of better words) nur noch Wokeness gegen Populismus. Klar, diesen Kampf kriegt man in kleinen Häppchen auch täglich auf Twitter mit, befeuert durch die Algorithmen – die radikalsten Takes bekommen immer die meiste Aufmerksamkeit. Ich steh dann meistens kopfschüttelnd dazwischen und schreibe lieber gar nichts, weil ich keiner der beiden Seiten zu noch mehr Aufmerksamkeit verhelfen will. Andererseits: Wenn das alle so machen, die so denken wie ich, wird dieser Standpunkt überhaupt nicht mehr wahrgenommen.
Die Bevormundung des Publikums ist weder progressiv noch aufklärerisch, und dass sie nichts bringt, sieht man ja in diesem Fall wieder ganz deutlich. Irgendwo in der sächsischen Provinz kauft gerade ein Rentner im Supermarkt die Bildzeitung, am Wochenende wird er seine Enkel in der Kreisstadt ins Kino schleppen, und zu Weihnachten liegen dann Winnetou I, II und III auf dem Gabentisch.
Ja, natürlich ist Karl May aus heutiger Sicht in mancherlei Hinsicht problematisch, aber er steht halt im Kontext seiner Zeit, und wenn Kinder wirklich die Filme sehen oder die Bücher lesen, dann kann man ihnen diesen Kontext auch ERKLÄREN. Sofern sie nicht schon von selbst nachfragen. Und wenn die Bücher wirklich so unlesbar sind, erledigt sich das Problem sowieso von allein – so wie bei mir in den 80ern, in der Mitte von Winnetou II. Im Übrigen konsumieren die Kids in 30 Minuten am Smartphone im Zweifelsfall viel mehr Problematisches als in 3 Wochen Karl-May-Lektüre. Vielleicht sollte man lieber die sozialen Medien canceln – aber das wäre dann wieder eine neue bizarre Diskussion. 😉
Stefans Empfehlung ging ja eher in die Richtung, dass man das Buch vermutlich nicht zu Ende lesen würde. So ein Karl May Band kostet 4 oder 6 Euro als Ebook. Natürlich interessiert mich, was Deutsch im letzten Drittel des 19. Jhdt. über den südamerikanischen Cono Sur gedacht haben. Die Inhaltsangabe überzeugte mich aber, dass er sich nicht tief genug mit der Region beschäftigt hat.
Viele gute Gedanken, von denen einige in verpassten Gelegenheiten hinauslaufen:
Ihr ignoriert, dass es nicht um reale Native Americans geht. Die NAAoG e.V. (native American Association of Germany) steckt nicht hinter dem Aufreger, sie sind komplett von dem Thema überrumpelt worden. Der einzige Hinweis auf ihrer Website ist ein Laufband vom 24.8., dass es viele Interviewanfragen gibt. [Dass ihr euch wenig für diese Menschen interessiert, zeigt, dass ihr das Aufregerthema Gas einbringt – aber nur im Zusammenhang mit Sigmar Gabriels Verbindungen, aber nicht im Zusammenhang mit Schäden auf Stammesland durch Fracking in North Dakota]
Die Idee, dass wir lernen müssen, Aufreger zu ignorieren, ist großes Kino. [ Früher hätten wir alten Männer sowas Toleranz genannt 😉 ]. Leider bezieht ihr das vor allem auf die Verteidigerseite, deren Psychologie ihr angedeutet pathologisiert. Viel interessanter ist, wer die Leute sind, die sich so lautstark über ein Billigmerchandisingprodukt zu einem Billigfilm aufregen, dass sie da einen Rückruf erzwingen. Betroffene sind es jedenfalls (s.o.) nicht.
Die Frage nach geeigneter Kinder- (präziser Jugend-) literatur hat sich lange nicht gestellt. Kulturelle Diffusion findet altersmäßig sowieso nach unten statt. So gesehen ist es ziemlich egal, on ihr (oder irgendjemand) ein Buch/Film/Comic für ‚jugendtauglich‘ haltet. Schlimmstenfalls setzt ihr euch damit in eine Reihe mit ‚Denkt keiner an die Kinder‘ Tugendwächtern.
Die Idee, Autor und Werk zu trennen , verwerft ihr imho zu schnell. Gerade Geschichten überdauern Generationen, indem sie sich vom Stil des Autors lösen und von neuen Generationen auch neu erzählt werden. Ihr habt das am Beispiel jagut durchexerziert, erst die Kolportageromane, dann ‚entschärfte‘ Abenteuergeschichten, dann die ‚Wildwest-Heimatflime‘, bis hin zu der Parodie fast ein Jahrhundert später. Und ihr beschreibt genügend aufregende ‚Neuentdeckungen‘, die man hineinbringen kann, z.B. die Two-Spirit-People.
Noch interessanter in meinen Augen ist der melancholische Blick auf den Konflikt zwischen einer sich als unaufhaltsam gerierenden Moderne und den Menschen, deren Heimat dadurch zerstört wird. Das ist eigentlich auch eine gute Metapher für eine progressive Ideologie, die immer mehr ‚gedanklichen‘ Raum an Geschichten, Sprache etc.. für sich beansprucht, ohne Rücksicht auf die Menschen zu nehmen, die seit dem letzten Jahrhundert darin leben.
Denn, macht euch nichts vor, ihr unterliegt in eurem Fazit einem doppelten Chauvinismus: Da ist zum einen der Filterblasenchauvinismus, indem ihr eure Ästhetik verabsolutiert. Da ist der Konsens Superheldenfilme, auf den ihr kommt, bezeichnend. Diese sind überwiegend derart formelhaft und ohne Reibungspunkte massenproduziert, dass ich Zweifel habe, dass sie in einer Generation Relevanz haben.
Damit bin ich schon beim zweiten ‚Chauvinismus‘, dem der Gegenwart. Wenn schon 10 Jahre alte Werke für euch ‚unbetrachtbar‘ sind, dann fehlt in meinen Augen ein ganzes Stück ‚Weltoffenheit‘ und Toleranz. Ich weiss, dass ich auch Filme, die lange vor meiner Geburt gedreht wurden genießen kann (zum Thema Wilder Westen und Native Americans möchte ich z.B. ‚Little Big Man‘ empfehlen) oder Geschichten, die über 100 Jahre alt sind. Man muss sich nur bewusst sein, dass sie anders funktionieren. Das hat etwas mit Erzählweisen – vor allem Tempo – zu tun. Aber auch mit Inhalten, sie zwingen einen, sich in die Denkweise der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Interessante Aspekte dabei, danke.
So gesehen ist es ziemlich egal, on ihr (oder irgendjemand) ein Buch/Film/Comic für ‚jugendtauglich‘ haltet. Schlimmstenfalls setzt ihr euch damit in eine Reihe mit ‚Denkt keiner an die Kinder‘ Tugendwächtern.
Naja, was wir sagen, ist natürlich eh ziemlich egal und meinerseits war es natürlich auch nicht so gedacht. Ich halte es generell für unmöglich, Winnetou irgendwie neuzuinterpretieren (auch für Erwachsene). Was nicht heißt, dass man die alten Filme/Bücher nicht mehr zeigen oder sehen kann, natürlich. Es hat ja seinen Grund, warum das Grundthema mehr in den Science-Fiction-Bereich abgewandert ist wie bei Avatar, da funktioniert es sehr gut und man schleppt nicht den historischen Ballast mit, eine echte Geschichte erzählen zu müssen (und sich vielleicht noch irgendwie an Winnetou zu orientieren).
Ich persönlich habe auch ein Faible für Neuinterpretationen von alten Sagen, ob nun die griechischen oder Artur oder sonstwas. (wir sprachen ja schon mal über Dan Simmons Ilium), aber das ist halt auch wenig tauglich, um daraus irgendwie eine kindgeeignete Abenteuergeschichte mit nostalgischen Zügen zu machen.
Denn, macht euch nichts vor, ihr unterliegt in eurem Fazit einem doppelten Chauvinismus: Da ist zum einen der Filterblasenchauvinismus, indem ihr eure Ästhetik verabsolutiert. Da ist der Konsens Superheldenfilme, auf den ihr kommt, bezeichnend. Diese sind überwiegend derart formelhaft und ohne Reibungspunkte massenproduziert, dass ich Zweifel habe, dass sie in einer Generation Relevanz haben.
Ja und nein. Es gibt viele absolut grauenhafte Superheldengeschichten, mittlerweile sind sie aber ein ganzes Universum und dadurch etwas vielschichtiger. Hatte heute auch die Diskussion, ob Johnny Depp das Piratengenre und Gladiator das Sandalenfilmgenre neu belebt haben (ich finde nein, weil Einzelerfolge) Die sind wie Wildwest-Stories zu sehr in ihrer Zeit verhaftet, dann muss man tatsächlich weiter weggehen, von Winnetou, eventuell von der Historie an sich oder ungeschminkter die Wahrheit auspacken und dann sind wir ganz von Karl May und Jugend-Abenteuerfilm weg.
Damit bin ich schon beim zweiten ‚Chauvinismus‘, dem der Gegenwart. Wenn schon 10 Jahre alte Werke für euch ‚unbetrachtbar‘ sind, dann fehlt in meinen Augen ein ganzes Stück ‚Weltoffenheit‘ und Toleranz
Das war zumindest von meiner Seite aus anders gemeint. Gibt viel alten Kram, den ich gerne gucke, aber weiß dass aus heutiger Sicht etliches problematisch sind. Die 90er – also meine Jugend – waren da teils echt krass. Vieles hält sich dann auch nicht oder Witze bleiben im Hals stecken.
Mit den Sehgewohnheiten hast du Recht, das ist Geschmacks/Übungssache. Glaub ich mag da eher noch und da hörts bei mir echt auf. Zeugs aus den 30ern (Drei Männer im Schnee!) und hab zb oft Probleme mit Sachen aus den 60ern, 70ern, weil die soooooo langsam sind und dann wird auch noch jede Frau Schätzchen genannt. Neulich nur mal den Anfang von nem Uralt-Bond gesehen und das fand ich tatsächlich unguckbar.
Gilt aber auch umgekehrt, wer nur alten Kram oder keine Ahnung die ZDF Sonntagsfilme guckt, ist mit moderneren Erzählmethoden oft auch überfordert. Hatte das mal mit meinen Eltern – die eigentlich gar nicht so unbedarft sind – aber erst nach 50 Minuten Better Call Saul-Folge merkten, dass das zum größten Teil ein Rückblick war.
„Es hat ja seinen Grund, warum das Grundthema mehr in den Science-Fiction-Bereich abgewandert ist wie bei Avatar, da funktioniert es sehr gut und man schleppt nicht den historischen Ballast mit, eine echte Geschichte erzählen zu müssen“ Das ist ein so interessanter Gedanke, dass ich ihn weiter unten en Detail diskutiere.
„Ich persönlich habe auch ein Faible für Neuinterpretationen von alten Sagen, ob nun die griechischen oder Artur oder sonstwas. […], aber das ist halt auch wenig tauglich, um daraus irgendwie eine kindgeeignete Abenteuergeschichte [mit nostalgischen Zügen] zu machen.“ Disney ist das gelungen: „Hercules“ kommt ohne Mord, Vergewaltigung oder Inzest aus, und er ist imho sogar echt witzig. Apropos: Kennst du die ARTE-Serie ‚50 Shades of Greek“ ? Ich finde sie lustig.
„Hatte heute auch die Diskussion, ob Johnny Depp das Piratengenre und Gladiator das Sandalenfilmgenre neu belebt haben“ Unterschiedlich : Piratenfilme waren nach Errol Flynns Abgang immer vorhanden (Zähl einfach die Verfilmungen von ‚Die Schatzinsel‘), aber kein großer Erfolg. Und ‚Pirates of the Caribbean‘ ist eher ein Fantasyfilm mit Engländern, Schiffen und Pistolen.
Bei Gladiator sieht es anders aus. Dieser hat vielleicht nicht die Sandalenfilme belebt, aber dem ganze Genre der Historienfilme starke Impulse gegeben. Ohne diese gäbe es das ganze ‚Schwerter und Bärte Genre‘ (klasse Ausdruck von Stefan) nicht – was schade wäre.
Disney ist das gelungen: „Hercules“ kommt ohne Mord, Vergewaltigung oder Inzest aus, und er ist imho sogar echt witzig. Apropos: Kennst du die ARTE-Serie ‚50 Shades of Greek“ ? Ich finde sie lustig.
Die Serie kenne ich leider nicht, gleich mal suchen.
Mit Disney hast du einen guten Punkt, würde vielleicht auch diese britische Serie „Merlin“ nennen, wenn es darum geht, das irgendwie harmlos zu erzählen.
Also ja, meine Argumentation steht tatsächlich auf wackligen Füßen. Würde aber dabeibleiben, dass das Wildwest-Thema hier problematisch ist, weil wir da noch mitten im Aushandlungsprozess stehen, man denke nur an die Berichte aus Kanada, die gerade ein Massengrab nach dem Anderen ausheben. Da sind Verharmlosungen und Verfälschungen deutlich problematischer als wenn es um den Trojanischen Krieg geht.
https://www.arte.tv/de/videos/077330-001-A/50-shades-of-greek-staffel-1-1-30/
Danke!
Ich hab den Ausdruck leider nicht erfunden. 🙂
Es hat ja seinen Grund, warum das Grundthema mehr in den Science-Fiction-Bereich abgewandert ist wie bei Avatar, da funktioniert es sehr gut und man schleppt nicht den historischen Ballast mit, eine echte Geschichte erzählen zu müssen
Mich würde interessieren, welche Belege Du für die These aufbringen kannst, dass Geschichtenerzählungen in den Science Fiction-Bereich abwandern, um so den „historischen Ballast zu vermeiden“.
Erstens ist hier meiner Meinung nach bereits die Grundannahme falsch. Science Fiction-Produktionen wie z.B. Battlestar Galactica oder Star Trek sowie Fantasy-Produktionen wie A Song of Ice and Fire bedienen sich sehr intensiv bei Geschehnissen aus der realen Geschichte und präsentieren sie zwar in einem neuen Kontext, aber die echte historische Analogie bleibt meistens klar. Verwandt mit dem Fantasy- und Science-Fiction-Genre ist darüber hinaus das Genre der historischen Romane (etwa Ken Follett’s „Pillars of the Earth“ oder all die Bücher von Rebecca Gable oder Bernard Cornwell). Die sind gegenwärtig auch super erfolgreich und machen aber sogar noch viel explizitere Verbindungen zur „echten Geschichte“ als der typische Western, bei dem in der Regel alle Charaktere frei erfunden sind.
Und da also bereits Deine Grundannahme falsch ist, kann auch Deine Schlussfolgerung nur falsch sein. Der Grund, dass das Science Fiction- und das Fantasy-Genre gegenwärtig so populär sind, hat singulär damit zu tun, dass einzelne Produkte aus diesen Sektoren überraschend erfolgreich waren, insbesondere Avatar und Game of Thrones. Warum gerade Avatar und Game of Thrones? Vermutlich zu 90% reines Glück bzw. reiner Zufall. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Im richtigen Trend zur richtigen Zeit. Dann vielleicht zu 5% hervorragendes Marketing. Und zu 5% eben ein sagenhaft gutes Produkt.
Ich biete Dir eine Analogie aus dem Musikbereich an. Warum sind Nirvana damals plötzlich über Nacht zu Megastars geworden? Vorher existierte Grunge doch überhaupt nicht (bzw. nicht außerhalb von winzigen Fan-Nischen). Noch nichtmal Rockmusik war damals merklich populär. Im Gegenteil. Die Jugend tanzte zu Plastik-Dancefloor in den Clubs. Niemand hätte den Erfolg von Nirvana vorhersagen können. Und ja, ihr Debütalbum ist absolute Spitze. Aber es gibt so viele gute Bands. Warum gerade diese? Hat sicher nichts mit „Ideologie“ der Jugend zu tun. Das Publikum hat sich nicht Nirvana gewählt, weil es zu seiner Ideologie passte. Sondern Nirvana ist mit Riesenglück durchgestartet, ist extrem gut produziert worden, hat das richtige Marketing bekommen, hat ein exzellentes Album abgeliefert und ist – gegen alle Trends – in den Charts nach oben geschossen. Weil es halt einfach gepasst hat. Weil es neu war, aufregend war, cool war.
Dasselbe ist mit Game of Thrones passiert. Es ist ein Top-Produkt. Es hat tolles Marketing bekommen. Es ist super produziert. Es ist neu. Es ist aufregend. Es ist cool. Die An- oder Abwesenheit von historischem Ballast“ hat hier nirgends eine Rolle gespielt.
Und ich sage Dir voraus, die nächste Generation wird mit Game of Thrones trotz fehlendem historischen Ballast genauso wenig anfangen können wie Du mit Winnetou.
Sorry, hier muss ich kurz den popkulturellen Klugscheißerhut aufsetzen.
Warum sind Nirvana damals plötzlich über Nacht zu Megastars geworden? Vorher existierte Grunge doch überhaupt nicht (bzw. nicht außerhalb von winzigen Fan-Nischen). […] Und ja, ihr Debütalbum ist absolute Spitze.
Bleach, das Debütalbum von Nirvana ist alles andere als Spitze, sondern ein extrem sperriges Post-Punk-Album von solcher Verbittertheit, dass man es beim Hören kaum erträgt. Allenfalls musikhistorisch interessant. Du meinst vermutlich Nevermind, bei dem es sich in der Tat um ein Ausnahmealbum handelt.
Grunge war ohnehin nur ein Marketinglabel, das zugegebenermaßen gut funktioniert hat. Meines Wissens wurde das von Nirvana aber schon immer abgelehnt. Die sahen sich als Punk-Band, was sowohl vom Sound als auch von der Attitüde her voll in Ordnung geht.
Den Sound, den man gemeinhin mit dem Label Grunge verbinden, gab es aber auch schon vor Nirvana. Green River und vor allem Mother Love Bone waren da die Vorreiter.
Ansonsten stimme ich der Stoßrichtung deines Kommentars aber zu. Grunge war einfach nur das Pendel, das nach der Übersättigung mit im weiteren Sinne elektronischer Musik wieder zurück in Richtung Rockmusik schwang. Und Nirvana war keine Ausnahmeband. Wären die nicht ganz groß rausgekommen, wäre es irgendwer anders. Die Zeit war einfach reif dafür.
Mein Fehler. “Debutalbum” war falsch. Ich meinte, das erste Nirvana-Album, das eine nennenswerte Zahl an Fans angehört hat … 😉
Mich würde interessieren, welche Belege Du für die These aufbringen kannst, dass Geschichtenerzählungen in den Science Fiction-Bereich abwandern, um so den „historischen Ballast zu vermeiden“.
Sorry, das war schlecht ausgedrückt. Das mit dem fehlenden historischen Ballast ist eher ein Nebenprodukt. Gerade das Kolonisationsthema ist halt mittlerweile eher bei Science-Fiction zu Hause, weil es auf der Erde nichts mehr zu kolonisieren gibt, im Weltraum aber schon^^
Das andere ist vermutlich mehr Zufall, obwohl ich der Meinung bin, dass es einfacher ist, emotional unvoreingenommener zu sein, wenn nicht die eigene Geschichte verhandelt wird (obwohl die Parallelen natürlich da sind).
(etwa Ken Follett’s „Pillars of the Earth“ oder all die Bücher von Rebecca Gable oder Bernard Cornwell). Die sind gegenwärtig auch super erfolgreich und machen aber sogar noch viel explizitere Verbindungen zur „echten Geschichte“
Nun ähm, die haben ja nicht nur Verbindungen, sondern sind echte, historische Romane^^
Hab ich ja auch gar nichts gegen. Obwohl auch hier oft der zeitliche Abstand eine Rolle spricht, so fühle ich mich zb nie angesprochen, wenn es um die Wikinger geht, obwohl ich unter Garantie vor Urzeiten Vorfahren unter ihnen hatte. Ist dann vielleicht ähnlich wie Science-Fiction, wenns um untergegangene Völker geht.
Und gut, dass Dopkeratops eingesprungen ist, muss gestehen, dass ich quasi null Plan von Nirvana hab 😉
Ich meine, schon 2009 ist eigentlich allen aufgefallen dass „Avatar“ nur „Der mit dem Wolf tanzt in Space“ war.
Den Gedanken um die „realen“ Natives führst du nicht zu Ende, wer war das denn deiner Meinung nach?
Auch ist mir unklar, worauf du mit der Trennung von Autor und Werk hinaus willst. Deine Beobachtung ist ja treffend, aber was folgt?
Gleiches gilt für die Melancholie. Ja, sicher, aber…das ist erneut nur für Literatur- und Geschichtswissenschaft relevant. Dass das in Kindergeschichten reinmuss – absolut. Aber ist Karl May dafür die richtige Adresse? Kaum.
Ich behaupte an keiner Stelle, dass Iron Man 3 in 20 Jahren Relevanz hat.
Und erneut, betrachtbar ist das völlig. Nur halt nicht ohne Probleme.
-Wer: Ich schiebe es auf die Twitter-Eigendynamik, die ebenso wie die Bild-Zeitung Aufreger anzieht. Ihr kennt euch damit besser aus, aber ich stelle mir das so vor: Jemand twittert „Ravensburger will jetzt zu diesem ressistischen Film ein Buch herausbringen, andere ziehen nach, einschließlich „Ich bin selber NA, und finde…“. Und bevor das zur Welle wird, zieht der Verlag die Reissleine .
-Trennung Autor und Werk: Das ist der eigentliche Kernpunkt. Egal, wie du zu einzelnen Büchern oder Filmen stehst, die Figuren sind so weit im kulturellen Bewusstsein verankert, dass auch jemand der weder Buch noch Film kennt, ‚weiss‘, worum es gehtund es mit ‚Ikonographie‘ (Silberbüchse) verbinden kann. Ähnlich wie z.B. Sherlock Holmes oder Superman, die wirst du auch nicht mehr los.
Und genau, weil es so fest verankert ist, glaube ich, dass sich irgendwann jemand finden wird, der (oder die) etwas neues daraus macht. Bully Herbigs Film war ein Beispiel (wobei Parodien natürlich ’simpel‘ sind). Auch die Idee eines Kinderfilms mit jugendlichen Darstellern ist ja nicht ohne Potential – wenn die deutsche Filmproduktion und -förderung nicht so massiv Incentives auf Mittelmaß und Lieblosigkeit setzen würden.
Also Schreib den Stoff nicht einfach ab, du weisst nicht, was als nächstes kommt: Vielleicht ein Musical, das aus der Bromance eine volle Romanze macht. Vielleicht ein ultraharter Survivalwestern a la ‚The Revenant‘. VIelleicht ein Sozialdrama über Karl Schland, einem Prenzlauer-Berg Schwaben, der als Vermessungsingenieur in den ‚Wilden Osten‘ nach Magdeburg geschickt wird und dort eine Freundschaft zu dem ‚Indianer‘ einem DDR-Nostalgiker entwickelt. (Damit hättest du sogar eine Nicht-Kinder Variante mit der angesprochenen Melancholie).
– Iron Man 3: Gehe an das andere Ende der Relevanz-Skala: Die wohl relevantesten Superheldenfilme der (weit gefasst) letzten Jahre war wohl die ‚Batman‘ FIlme von Christopher Nolan. Und genau bei diesen fallen mir eine Menge gründe ein, warum sie problematisch sind – und deshalb sind sie interessant.
– Durchaus möglich, klar.
– Ich habe nichts gegen Adaptionen, die das Ding neu kontextualisieren und etwas zu sagen haben. Die Probleme, die bei dieser konkreten Adaption bestehen, haben wir im Podcast diskutiert. Ich habe bisher nichts gehört, das dagegen sprechen würde.
– Ich würde eine Trias aufbauen: X-Men (2000), weil es das Genre überhaupt wieder salonfähig gemacht hat. Batman Begins (2005) wegen des gewaltigen kulturellen Einflusses und weil es dadurch „seriös“ wurde. Und Ironman (2008) wegen des MCU und der offensichtlichen Bedeutung, die dieses hat.
Ganz spannend, hab heute mit einem Bekannten über das Thema diskutiert (Frank übrigens). Und ich finde ja, es gibt einfach Werke, die nicht neuinterpretiert werden können, weil sie ihren Charme eben genau aus den Filmen der Zeit ziehen, weniger aus der Story an sich. Neben Winnetou würde ich da zum Beispiel Sissy nennen. Wurde zig mal neu aufgelegt, aber der Mythos und der Charme speisen sich aus dem 60er-Original. Der kleine Lord und Bud Spencer-Filme würde ich da auch noch reinzählen.
Und Stoffe, die man immer wieder neu interpretieren kann und die funktionieren immer noch. Das fliegende Klassenzimmer und das doppelte Lottchen von Kästner zum Beispiel. (Fliegendes Klassenzimmer btw kommt 2023 neu, vom selben Verleih wie Babywinnetou und vermutlich war es das dann mit meiner Theorie)
https://www.filmstarts.de/kritiken/291145.html
Kästner ist tatsächlich ein spannendes Gegenbeispiel. Da stammt der Charme von den Büchern, die auch sehr gut lesbar sind, auch mit ‚modernem‘ Blick. Die 50er Jahre Verfilmungen (auch der von dir oben erwähnte ‚Drei Männer im Schnee‘ ) waren extrem nah am Original, die Dialoge waren wörtlich übernommen, der Autor trat selbst als Erzähler auf. Und das trotz der massiven(!) gesellschaftlichen Umbrüche in Deutschland zwischen 1930 und 1950.
Das Kleine Gespenst und Die Kleine Hexe würde ich noch erwähnen.
Ariane hat die Überlegung aufgebracht, ob die Topoi der Indianerfilme zu Recht in die Bereiche Science Fiction und Fantasy abgewandert sind, wo sie sozusagen niemandem weh tun. Da bin ich etwas skeptisch, weil ich es für eine verpasste Chance auf eine Einstiegsdroge halte. Gerade Kinder lassen sich leicht für Themen begeistern, dass sie sich dann auch tiefer damit beschäftigen (Ich erwähne mal Dinosaurier). Gilt das auch für Erwachsene? Würde ich mit einem ‚vorsichtigen Ja‘ beantworten mit dem Beispiel Mittelaltermärkte: Für den Großteil reines Entertainment, aber manche befassen sich dadurch ernsthaft z.B. mit altem Handwerk. Und ich halte es für interessanter, wenn sich jemand dann mit der Geschichte der real existierenden Lakota beschäftigt, als wenn er Klingonisch lernt.
Und das Thema ‚Indianer‘ war schon immer hierzulande von großem Interesse. Da gibt es mehrere interessante Punkte abseits der Karl-May-Schiene:
– Die als Antwort auf die westdeutschen Karl-May-Filme gedrehten DEFA-Indianerfilme. Diese sind z.T. deutlich differenzierter und kritischer, z.B. ‚Die Spur des Falken‘
– Indianeresoterik: Schaut mal genau hin, bei wie vielen Leuten, gerade aus alternativen Milieus irgendwo ein Traumfänger hängt. (Anekdotisch: Das beste finde ich, wenn ein solcher im Auto hängt, damit der Fahrer auch gut schläft)
– ‚ökologische‘ Indianer: Die Weissagung der Cree
– Reenactors: Da gibt es die verschiedensten Abstufungen an Ernsthaftigkeit und historischem Interesse
– Ein besonderer Fall ist der Bluessänger Willy Michl (‚Isarflimmern‘), der sich eine Native American Identität als ‚Sound of Thunder‘ bis hin zur Eintragung im Ausweis zugelegt hat.
Hm. Ich würde sagen, das ist ein Fall, bei dem beides richtig sein kann. Im Norden stehen ja auch Wikinger- und Piratentage hoch im Kurs. Oder die Kinderserie Vickie!
Da hab ich auch gar nichts gegen, wie gesagt es hat auch mit dem zeitlichen Abstand zu tun, es ist deutlich einfacher die Wikinger zu verkitschen als Natives, die ja noch real existieren. Da ist die Aufarbeitung ja noch in Gange.
Und hier kommen wir zu dem Science-Fiction-Aspekt, den ich schon mal irgendwo mit Stefan besprochen hatte. Ich glaube, es eignet sich hervorragend um Geschichten zu erzählen, um zb das diffuse Schuldgefühl und Rechtfertigungsversuche zu umgehen. Ich glaube, es ist oft einfacher, weil es in Fantasiewelten unpersönlicher ist und man dadurch einen distanzierteren Blick für die Mechanismen und Aspekte bekommt, ohne gleich mit der eigenen Geschichte konfrontiert zu werden. Zuviel Gefühlschaos führt ja oft auf komische Abwege und es ist gelegentlich gut, das nacheinander abzuhandeln. Insofern denke ich, dass es vorteilhaft sein kann, zb erst Avatar zu gucken und sich dann mit Wildwest-Themen zu befassen.
In einer globalen Wel sich jeder von überall kulturell beeinflussen lassen. Nur sind Amerikanische Natives geographisch schon weit weg und ich hätte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung. Mündet wahrscheinlich in einen pseudo-indogenen Dogmatismus.
Ein Cousin des Ex einer guten chilenischen Freundinn lebt seit Jahren als Ethnologe mit Frau und Kind mit ziemlich urspungs-nahen Mapuche. Hab den nur einmal vor vielen Jahren kurz bei einem Geburtstagsevent erlebt und weiss vom Hören-Sagen, dass der sehr differenzierte Meinungen vertritt.
In Chile gibt es inzwischen an den Universitäten Lehrstühle zu Mapuche Geschichte/Kultur, deren Inhaber Mapuche sind und schon mal im Fernsehen auftreten. Da gilt übrigens das gleiche wie für Ökonomen und Kriegsstrategie-Analysten: Befragst Du 3 Experten, erfährst Du 5 z.T. widersprüchliche Meinungen.
Viele chilenische politische Organisationen von lechts bis rinks haben Mapuche-Aktivisten in ihren Reihen. Die ergeben in der Gesamtschau auch keine klaren Haltungen.
Finds da schon zielführender, wenn die hierzulande auf untergegangene germanische oder wikingische Tranditionen zurückgreifen. Die vielfältige Welt der amerikanischen Natives ist ja durch den Kulturkontakt mit den Weißen auch weitgehend massiv beeinflußt.
Es existieren v.a. im peruanischen Amazonas-Becken noch ein paar Indigene, die sich dem Kulturkontakt mit den Weißen entsagen und darin von Ethnologen unterstützt werden. Politik besteht darin, den Kontakt zu verhindern.
Ich mag die Kultur-Podcasts sehr. Finde Tine auch nicht arrogant. Wenn sie etwas süffisant die Beiträge von Sigmar Gabriel kommentiert, halte ich das für legitim. Der Mann hat halt andere Stärken als geisteswissenschaftliche Diskurse.
Im übrigen halte ich unsere rassistische Wahrnehmung durchaus für ein Thema. Hab etwa den Verdacht, dass unsere Aktivitäten in Afghanistan oder der Sahel-Zone auch deshalb scheitert, weil es an der Einfühlung in deren zugegeben im Umgang schwierigen kulturellen Realitäten mangelt.
Danke, da bin ich bei dir.
„etwas süffisant“? Wenn ich mich recht erinnere, hat sie einmal gesagt, dass man ihn vom Rassismusvorwurf nicht freisprechen sollte, er sei schließlich für SPD-Politik mitverantwortlich und an anderer Stelle, dass sie ihm intellektuell ja völlig überlegen sei.
Dieser Artikel analysiert die Datenlage und zeichnet die Chronologie des Themas nach. Er kommt zum gleichen Ergebnis wie wir:
https://scompler.com/winnetou/
Für mich ist das jetzt durch.
Hey, klasse! Es ist Dir gelungen im weiten Internet einen ideologischen Artikel zu finden, der Deine Meinung wiederholt. Herzstück ist der Beweis, dass ein Shitstorm vor dem 19. August, von dem niemand behauptet, dass er stattgefunden hat – Ravensburger wollte ja durch das Selbstzensieren seines Produkts einen eben solchen vermeiden – nicht stattgefunden hat. Ganz großes Kino! (pun intended)
Ich finde den Artikel nicht uninteressant. Allerdings fehlt noch eine genaue Analyse der Kritik an den Ravensburger-Büchern (vor der Entscheidung, sie zurückzuziehen). Fand die nur auf Instagram statt? Kam sie wenigstens teilweise auch von Leuten, die diese Bücher tatsächlich in den Händen gehalten haben?
In dem Artikel auf schwaebische.de vom 19.8. stehen eigentlich nur Allgemeinplätze:
[i]Positive Kommentare in diesem Sinne zum nun von Ravensburger verlegten Stoff finden sich im sozialen Netzwerk Instagram kaum. Ravensburger hatte dort Werbung für das neue Buch zum Film gemacht und rund 180 Kommentare geerntet. „Was soll dieses Buch? Es reproduziert rassistische Stereotype, die ihren Ursprung im Kolonialismus haben“, schreibt eine Nutzerin. Ein Account mit dem Namen „Vielfältiges.Klassenzimmer“ kommentiert, der Stoff sei „schädlich“ und beinhalte „Romantisierung von Völkermord“.[/i]
Man kann darüber diskutieren, ob 180 Kommentare schon ein Shitstorm sind. Aber wenn 180 Kommentare ausreichen, um die Auslieferung eines Buches zu stoppen, dann finde ich das grundsätzlich bedenklich.
Es sind halt nicht die 180 Leute. Da sieht man ja schon am Ton, was für hysterische Fanatiker das sind. Die Gefahr ist aber, dass das Narrativ von den Medien aufgegriffen wird. Ein paar fett gedruckte “Rassismus bei Ravensburger?”-Schlagzeilen später ist der Ruf und möglicherweise das Geschäft langfristig ruiniert. Selbst wenn die zugehörigen Artikel – die eh kaum einer liest – zum Schluss kommen, dass sich der Verlag nichts hat zu Schulden kommen lassen. Konfrontiert mit dem Szenario zieht man halt lieber still den Schwanz ein und kapituliert vor dem Mob. Ist bei Bürgermeistern, die von Rechtsextremen bedroht werden und schließlich zurücktreten, auch nicht anders. Da sind die Skinheads ja auch nicht in der Mehrheit. Aber sie sind eben radikalisiert und gewaltbereit. Menschlich ist es da verständlich, dass man sich lieber zurückzieht. Aber es ist ein trauriges Kapitel für unsere Gesellschaft.
Na, ein Glück bist du kein hysterischer Fanatiker, sonst hätten wir echt ein Problem.
Mir ist unklar, warum. All diese „oh mein Gott, es ist so bedenklich“-Argumente leiden für mich unter dem zentralen Problem der Absolutheit. Wenn ein Produkt wirklich zutiefst problematisch ist, dann ist es doch gut, wenn entsprechend reagiert wird. Das kann man doch nicht pauschalisieren!
True. Das einzige Problem ist: Das Produkt ist nicht problematisch. Es wird beschmutzt von Leuten, die – wie Du – das Werk garnicht gelesen haben, aber trotzdem genau wissen, dass es rassistisch und antisemitisch ist.
Der Artikel nutzt eine Datenauswertung. Die Interpretation dieser Daten mag ideologisch sein – wie auch deine eigene Haltung zum Thema – aber die Daten an sich sind es nicht.
Äh … Beschäftige Dich mal für 5 Minuten mit dem Thema der angeblichen „Social Bots“. Daten können, wenn sie schlicht gefälscht oder frei erfunden werden, enorm ideologisch sein. Und die angebliche Gefahr der Social Bots schaffte es in ALLE Qualitätsmedien. Selbstverständlich ungeprüft.
Ich lach mich schlapp. Angeblicher Grund für den Rückzug war (O-Ton Ravensburger) dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Hey, mit dem Argument könnte, streiche, müsste man die gesamte Weltliteratur einstampfen, rückstandsfrei.
Bisschen off topic. Hat Ariane wirklich gesagt, dass Pipi Langstrumpf wegen der Figur der braven Annika nicht ganz unproblematisch sei?
Ein Buch, in dem die Hauptfigur und Identifikationsfigur ein wildes Mädchen ist und die braven Annika (und andere liebe Kinder als Kontraste fungieren), von einer Autorin, bei der es es von wilden Mädchen nur so wimmelt.
Soll es in Kinderbücher etwa gar keine braven Mädchen geben?
Oder habe ich das falsch verstanden?
Ähm jein. Ich muss gestehen, ich war immer mehr Ronja Räubertochter-Fan als Pippi und dummerweise in echt dann doch eine brave Annika, das mag meine Reserviertheit erklären. Habs ehrlich gesagt auch nicht mehr so genau im Kopf, ob das nun problematisch war oder nicht.
Also ja, meinetwegen dürfen auch brave Mädchen vorkommen, aber nehmt doch um Gottes willen lieber Ronja. Da sind alle wild 😀
Ronja ist super, da gibt es keine Diskussion! Buch und Film.
Ansonsten mag ich bei Lindgren auch wirklich gerne die Sachen für jüngere Kinder. Ich kenne keinen anderen Autor, der sich so toll in Kinder einfühlen kann und aus der Kinderperspektive und für Kinder schreibt. Das ist Zeitlos.
Lasst mich doch mal den advocatus diaboli mimen:
Ihr diskutiert gerade ein Buch, das Kindern beibringt, dass die Regeln der Gesellschaft nicht eingehalten werden brauchen, wenn frau über hinreichend Geld und/oder Körperkraft verfügt und über ein anderes, das emotionale Erpressung in der Familie zur Durchsetzung der eigenen Vorstellungen propagiert. Sind das keine ‚problematischen‘ Inhalte?
Hehe
Ich halte diesen einseitigen Fokus auf Erziehung und Politik in und Botschaften usw. in Unterhaltungsliteratur (und anderer Kunst) eh für übertrieben. Das sieht man ja auch schön, an deinem Beispiel.
Weil es extrem gut passt, hier ein Ausschnitt aus „Fahrenheit 451“
„Now let’s take up the minorities in our civilization, shall we?
Bigger the population, the more minorities. Don’t step on the toes of the
dog-lovers, the cat-lovers, doctors, lawyers, merchants, chiefs,
Mormons, Baptists, Unitarians, second-generation Chinese, Swedes,
Italians, Germans, Texans, Brooklynites, Irishmen, people from Oregon
or Mexico. The people in this book, this play, this TV serial are not meant to represent any actual painters, cartographers, mechanics anywhere. The bigger your market, Montag, the less you handle controversy, remember that! All the minor minor minorities with their navels to be kept clean. Authors, full of evil thoughts, lock up your typewriters. They did. Magazines became a nice
blend of vanilla tapioca. Books, so the damned snobbish critics said,
were dishwater. No wonder books stopped selling, the critics said. But
the public, knowing what it wanted, spinning happily, let the comicbooks survive. And the three-dimensional sex-magazines, of course.
There you have it, Montag. It didn’t come from the Government down.
There was no dictum, no declaration, no censorship, to start with, no!
Technology, mass exploitation, and minority pressure carried the trick,
thank God. Today, thanks to them, you can stay happy all the time, you
are allowed to read comics, the good old confessions, or trade journals.“
Nachdem ich eben den Podcast mit großem Interesse gehört habe, habe ich noch einen Blickwinkel nachzutragen, der nicht erwähnt wurde.
Nils Bokelberg hat auf Twitter dieses Feedback bekommen:
>Ich nehme auch viele interessante Perspektiven aus dieser Diskussion mit. Zum Beispiel die, dass im Osten Karl May bei einigen doch auch noch in den 80ern sehr beliebt war, weil er ein Fenster in eine Sehnsuchtswelt war – eigentlich so, wie zu der Zeit, als er erstmalig veröffentlicht hat. Finde ich auch sehr interessant.
https://twitter.com/Nilzenburger/status/1562695283435532288
Wie er als Kind in der DDR Karl May rezipiert hat, beschreibt Martin Debes hier:
https://twitter.com/Martin_Debes/status/1564594871343751169
Glaub ich sofort. Das ist übrigens ein Thema, das ich im Zusammenhang mit diesen Stoffen oft beschreibe und das in meinen Augen einen klaren Generationsbruch zwischen meiner (und Arianes) Generation und der Nachfolgegeneration darstellt. Es gab in den letzten 20, 30 Jahren eine wahre Explosion an neuen Stoffen, die diese Sehnsucht erfüllen, die vorher nicht gegeben war. Die Notwendigkeit, die ich in meiner Kindheit noch hatte, ältere Stoffe zu konsumieren, ist nicht mehr gegeben, weil so viele Alternativen jederzeit verfügbar sind. Martin Debes beschreibt diese Dynamik ja sehr schön.
Keine Ahnung, was Du mit der “Explosion an neuen Stoffen” meinst. Science Fiction und Fantasy sind doch nicht neu und haben abseits einiger Mega-Seller wie Avatar und Game of Thrones auch nicht alle anderen Trends/Genres vom Markt gedrängt (oder auch nur signifikant zurückgedrängt).
Ich bin etwa zehn Jahre älter als Du und ich bin bereits aufgewachsen mit Captain Future, Star Trek, Star Wars, Masters of the Universe, Perry Rhodan etc. und die Klassiker von Tolkien haben schon die Generation vor mir begeistert. Wo Du da einen Mangel an “neuen Welten” ausmachst in den 80ern/90ern, der dann erst durch eine “Explosion von neuen Stoffen” eine Generation später beseitigt worden sein soll, ist mir rätselhaft. Selbst Dein geliebtes Superhelden-Genre ist nicht eine Kreation der 2000er. Der letzte Superhelden-Film, den ich gesehen habe, war z.B. Batman Returns in 1992. Und das war die – übrigens bereits damals sehr erfolgreiche und populäre – Sequel zum ersten Batman-Film von 1989.
Geh mal auf Netflix und schau in die Sektionen von Sachen für Kinder. Die Auswahl dort ist um ein Vielfaches höher als alles, was ich mir in meiner Kindheit hätte in den kühnsten Träumen vorstellen können.
Es gab in den letzten 20, 30 Jahren eine wahre Explosion an neuen Stoffen, die diese Sehnsucht erfüllen …
???? Ich lese zwar neben Sachbüchern nur Fantasy, Science Fiction und Krimis – aber in diesen drei Genres wäre mir eine Stoffexplosion in den letzten 30 Jahren nicht entgangen :-). Wo also hat die stattgefunden, bitte?
Gruss,
Thorsten Haupts
Siehe meine andere Antwort.