J. D. Vance verbietet in Jugoslawien Cannabis und trinkt Alkohol im französischen Atomkraftwerk – Vermischtes 24.05.2022

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) Putins Mythen: Was der Jugoslawien-Krieg mit der Ukraine zu tun hat

Putin jedenfalls kam Scholz’ Vorlage gelegen: „Aber wir haben doch bereits Krieg in Europa erlebt. Dieser Krieg wurde von der NATO gegen Jugoslawien entfesselt (…).“ Natürlich erwähnte Putin nicht, warum es für jenes Bombardement Serbiens 1999 keine UN-Resolution gab – sie wäre am russischen und chinesischen Veto gescheitert. Er erwähnte auch nicht, dass es eine andere NATO-Intervention gegeben hat, an der die Russen im Rahmen einer UNPROFOR-Mission indirekt beteiligt waren, nämlich jene von 1995. Sie beendete die Belagerung Sarajevos. Es war die erste NATO-Intervention auf dem Balkan, die demonstrierte, wie schnell Frieden hergestellt werden kann, wenn sich einer hochgerüsteten Armada, die ein Land ohne Armee angreift, das zusätzlich ein Waffenembargo auferlegt bekam(!), eine starke Militärmacht gegenüberstellt. […] Es ist mir unbegreiflich, wie häufig in Deutschland die Schuld am Zerfall Jugoslawiens Genscher, Fischer, der NATO gegeben wird, ohne je nach Russland zu schauen. […] Den Menschen im Osten wird immer wieder das Recht abgesprochen, selbst darüber zu entscheiden, ob sie der EU und der NATO angehören wollen, womit nur die Doktrin Putins wiederholt wird. Die Begründung variiert, mal wird der Westen des Imperialismus beschuldigt, als ob Menschen, die sich nach westlichen Werten sehnen, keinen freien Willen hätten, mal glauben die Deutschen, dass sie den Russen Loyalität schulden. Immer wieder wird gesagt, dass Gorbatschow versprochen habe, es werde keine Osterweiterung der NATO geben. Man muss sich das einmal vor Augen halten: Es war Nazi-Deutschland, das diese Länder zunächst ins Elend gestürzt hat. Bei der Befreiung von den Deutschen wurden die Länder von der Roten Armee überrannt und in Jalta dem Einflussgebiet der UdSSR zugesprochen. Dann fiel die Berliner Mauer – und als Preis für die Wiedervereinigung Deutschlands soll es Garantien gegeben haben, dass jene Länder weiter unter russischem Einfluss verbleiben sollten? Ich bin froh, dass der Bundeskanzler trotz des bedauerlichen Ausblendens der Kriege im ehemaligen Jugoslawien diese Meinung nicht teilt. (Alida Bremer, Freitag)

Die (Allein-)Schuld der NATO am Kosovo-Krieg ist ein sehr beliebter linker Mythos. Ich kann mich noch gut an ein Buch erinnern, das ich in den frühen 2000er-Jahren gelesen habe und das damals eines der ersten Politik-Sachbücher war, die ich in meinem Leben gelesen hatte. Natürlich kam es aus dem Milieu von Jürgen Elsässer; Name und Autor habe ich glücklicherweise verdrängt. Aber neu ist diese Argumentation einer „imperialistischen“ NATO, die böse irgendwo ethnische Säuberungen verhindert, leider ganz und gar nicht, und Bremers Einordnung hier in den Kontext einer russischen Propagandaoffensive passen dazu wie der Deckel auf den Topf.

2) Eine Rolle spielen

Merz hätte lernen können – nicht so sehr bei Baerbock, eher bei Robert Habeck. Habeck unterstellt man immer ein Kalkül, ob er mit Pferden spricht oder in Schwedt in der Rosneft-Raffinerie vor der Belegschaft auf den Tisch springt wie ein Volkstribun oder Arbeiterführer in alten Filmen. Er wirkt dabei jedoch nie völlig unsympathisch, weil zur Pose sofort die reflexive Brechung kommt, weil er zur Schau stellt, was von Politikern immer wieder gefordert wird: intellektuelle Skrupel, das Eingeständnis, sich geirrt zu haben – und trotzdem handlungsfähig zu bleiben. Man kann auch darin mühelos eine Selbstinszenierung erkennen. Und zugleich bemerken, dass Habeck einer dieser Schauspieler ist, die bewusst nie ganz in ihrer Rolle aufgehen. Dennoch entsteht da kein krasser Widerspruch zwischen seinem der Öffentlichkeit zugekehrten Selbst und dem Part, den er politisch spielen muss. Das ist, wenn man so will, eine Art Robert-Redford-Haftigkeit. Der kruden geschichtsklitternden Propaganda auf dem Roten Platz sind diese Inszenierungen ästhetisch wie politisch überlegen, auch weil sie einen wissen lassen, dass sie inszeniert sind. Und weil an den Auftritten von Baerbock oder Habeck nicht entscheidend ist, dass sie eine Rolle spielen, sondern für welche Rolle sie sich entschieden haben. (Peter Körte, FAZ)

Ich halte wenig von Körtes im Artikel ebenfalls geäußerter These, dass die Politik jetzt erst die Macht der Inszenierung entdeckt hätte. Politik hat schon immer inszeniert, nur gibt es eben solche und solche Inszenierungsarten. Auch Merkel hat Politik inszeniert, sie hat sich nur den traditionellen Repräsentationsformen verschlossen und etwas eigenes entwickelt. Aber Politik ist immer Inszenierung; wer das nicht kann, verliert in diesem Spiel.

Es ist auch ein Irrtum zu glauben, dass es objektiv gute Inszenierungen gibt. Habecks und Baerbocks Inszenierung kommen gerade sehr gut an, aber das liegt neben ihren unbestreitbaren Fähigkeiten auf diesem Gebiet vor allem daran, dass sie den Zeitgeist treffen. Der gleiche Stil wäre vor fünf Jahren (Habeck) beziehungsweise vor fünf Monaten (Baerbock) noch in der Luft zerrissen worden. Scholz‘ Stil wäre vor Kurzem noch gelobt worden und passt plötzlich nicht mehr in die Zeit.

Natürlich gibt es manche Politiker*innen, die sich wesentlich besser inszenieren können, keine Frage. Aber man muss vorsichtig sein, da zu viel Erklärungsgehalt reinzulegen. Die große Mehrheit der Leute bekommt sie ohnehin nie oder nur selten live zu Gesicht, und letztlich mag die Inszenierung etwas helfen, aber das, was inszeniert wird, muss den Leuten dann doch trotzdem schmecken. Und das haben die Politiker*innen oft genug gar nicht in der Hand.

3) Die Ordnung im Kopf und die Unordnung der Welt

Zur kulturell-mentalen Erbschaft, aus der wir uns derzeit herausarbeiten, gehört der „deutsche Russlandkomplex“. Er ist die andere Seite der Ukraine-Ignoranz. Alle Blicke, alle Aufmerksamkeit waren – bis vor kurzem jedenfalls – auf Russland fokussiert, von Russland absorbiert. Es ist ein über alle Zäsuren und Brüche hinwegführender, aus der Reichstradition stammender Komplex, der bis heute anhält, und sich in Formulierungen wie „gemeinsame Grenzen zwischen beiden Nachbarn“ immer wieder äußert. […] Vieles kommt hier zusammen, der Lobbyismus deutscher Unternehmer und Netzwerker, aufrichtige Faszination für das große Land und sentimentaler Russenkitsch. Das Bewusstsein der Schuld für die deutschen Verbrechen auf sowjetischem Boden erstreckt sich auf Russland – bis in die jüngste Zeit jedenfalls –, und ein Projekt wie Nord Stream 2 wurde vom Bundespräsidenten vor noch nicht langer Zeit sogar mit einem Verweis auf deutsche Schuld und Wiedergutmachung für deutsche Verbrechen legitimiert. Für die Ukraine und Belarus galt diese Aufmerksamkeit, Verständnisinnigkeit und Empathie nie, obwohl es genug Gründe dafür gegeben hätte: die deutsche Besatzungszeit, Tausende von niedergebrannten Dörfern und Städten, die Millionen von Zwangsarbeitern, die Opfer der Schoah auf ukrainischem und belarussischem Boden. Sogar die Existenz einer ukrainischen Nation wurde von gebildeten Leuten – Helmut Schmidt – in Abrede gestellt. (Karl Schlögel, FR)

Grundsätzlich sehr lesenswerter, langer Artikel über die Geschichte der Ukraine und Belarus und ihr Verhältnis zu Deutschland. Ich muss ehrlich sagen, mir war bis vor Kurzem effektiv auch nicht geläufig, dass „Sowjetunion“ und „Russland“ nicht deckungsgleich sind. Klar wusste man auf einem abstrakten Level, dass es Nachfolgestaaten gibt, aber wie oft ich die Begriffe synonym benutzt habe – und oft genug aus Reflex immer noch benutze! – geht auf keine Kuhhaut. Das ist auch kein rein deutsches Phänomen, aber bei uns ist es besonders ausgeprägt. An der Stelle darf man auch gerne endlich mal Helmut Schmidt vom Podest herunterholen; der Mann ist den Blick des Wehrmachtleutnants in mancher Beziehung echt nie losgeworden.

4) It’s the legislation, stupid!

Moreover, as has happened on a number of issues, Democrats chose to push a maximalist bill that checked all the activist boxes rather than legislation that could have won enough bipartisan support to exceed 50 votes. While the abortion measure was sold as codifying Roe v. Wade as the Supreme Court seems on the verge of overturning it, its provisions went far beyond the policies that precedent permitted. A bill that really did limit itself to codifying Roe could have gotten Sens. Susan Collins (R-Maine) and Lisa Murkowski (R-Alaska), both pro-choice, to vote for it, and ostensibly Sen. Joe Manchin (D-W.V.), too. Yes, that more modest bill still would have failed. But then it would really have been due to the supermajority requirements of the filibuster, and it would have been a bipartisan majority of 52 senators. The Democrats‘ democratic absolutism is largely opportunistic. […] And that brings us back to the filibuster, a subject about which Democrats may reverse themselves yet again after November. The Democrats‘ problem is that they barely won the Senate and are dependent on the votes of their most conservative lawmakers, yet they are trying to legislate as if they enjoyed supermajorities. That’s not on procedures, or even the GOP. (W. James Antle III, The Week)

Man hat irgendwie die Lektion der Obama-Jahre zu gut gelernt. Damals haben sie ihre supermajority nicht genutzt und stattdessen mit sich selbst Kompromisse geschlossen; jetzt tun sie so, als hätten sie sie noch. So oder so kann man sich immer darauf verlassen, dass die Democrats sich selbst im Weg stehen, hab ich das Gefühl. Mir ist einfach unklar, wie BBB immer noch nicht verabschiedet sein kann. Als ob sie nicht in fünf Monaten ihre haardünne Mehrheit über die Ohren gezogen bekommen werden. Selbst die Manchin-Siema-Version ist besser als alles andere, was diese Leute in den nächsten zwei Jahren kriegen können. Unbegreiflich.

5) Elise Stefanik’s Crocodile Tears Over the Buffalo Massacre

Stefanik is an important bellwether showing where the Republican Party is heading. She is, along with Ohio senatorial candidate J.D. Vance, a prime example of opportunistic extremism. […] A religion is strong when it can compel deference and obedience not just from true believers but also from skeptics. Contemporary Trumpism (which now includes strains of white nationalism and QAnon-style conspiracy theories) can be divided into two broad camps: There is the faction of faithful fanatics (such as Marjorie Taylor Greene, Lauren Boebert, Paul Gosar, and Madison Cawthorn) who are sincerely committed to militant bigotry. There is also an emerging body of Republicans who echo all the themes of Trumpism but seem, based on their earlier history of more moderate politics, to be motivated merely by a lust for the main chance and the opportunity to rise to power on a wave of intolerance. Opportunists like Stefanik and Vance are more important than the fanatics because they show that Trumpism is increasingly hegemonic in the GOP—a creed that commands the devotion even of unbelievers. (Jeet Heer, The Nation)

Extreme Bewegungen können immer nur gewinnen, wenn die moderate Mitte der jeweiligen Richtung sie lässt. Kein Hitler ohne Zustimmung von Zentrum, DNP und DNVP. Kein Mussolini ohne Mitarbeit der Volkspartei. Kein Trump ohne Schützenhilfe des Parteiestablishments. Ich habe seinerzeit darüber geschrieben, dass Le Pen 2017 auch deswegen nicht gewonnen hat, weil das konservative Establishment, allen voran Fillion, sich ihr verweigert hat. Auch 2022 liefen die Konservativen nicht geschlossen zu ihr über. Solange das so bleibt, kann sie nicht siegen. Genauso bleibt die AfD irrelevant, solange die CDU nicht mir ihr koaliert.

6) How Hollywood and the Media Fueled the Political Rise of J.D. Vance

Members of New York’s smart set gathered on a warm Thursday evening in the early summer of 2016 at the ornately wallpapered apartment of two Yale Law School professors in the elegant Ansonia building on Manhattan’s Upper West Side to toast a Marine Corps veteran, venture capitalist and first-time author named J.D. Vance. They were celebrating Mr. Vance’s new memoir, “Hillbilly Elegy,” which chronicled his working-class upbringing in southwestern Ohio and an ascent that brought him to Yale, where his mentors included Amy Chua, one of the party’s hosts. Mr. Vance seemed modest, self-effacing and a bit of a fish out of water among guests drawn from the worlds of publishing and journalism, a half-dozen attendees later recalled. “It was almost stupid how disarmed the people were by that,” said one of them, the novelist Joshua Cohen. […] “The reason ‘Hillbilly Elegy’ was such a high-octane book was academics, professors, cultural arbitrators — liberals — embraced it as explaining a forgotten part of America,” said Douglas Brinkley, a professor of history at Rice University who once introduced Mr. Vance at an event. “They wouldn’t have touched Vance with a 10-foot pole if they thought he was part of this Trump, xenophobic, bigot-fueled zeitgeist.” […] “Though ‘Hillbilly Elegy’ was read widely across the political spectrum, my impression was that the book helped liberals to understand the causes of what had happened to them in the election of 2016,” said Adrian Zackheim, the publisher of several Penguin Random House imprints, including Sentinel, which focuses on conservative books. […]  “Where would Vance be if it hadn’t been for mainstream publishing and book promotion, if it hadn’t been for Ron Howard — an important person in show business who identifies as liberal — and Glenn Close and Netflix?” Mr. Rich asked. “Where would Trump be without NBC Universal, Mark Burnett, the whole showbiz world?” (Marc Trazy, New York Times)

Ich habe das von Anfang an prophezeit. Bereits 2016 war völlig absehbar, wohin die Reise von JD Vance gehen würde, und ich habe nie diesen Hype um „Hillbilly Eligy“ mitgemacht. Das Ganze war von Anfang an eine Selbstbeweihräucherung der medialen Elite, eine Fingerübung in diesem furchtbaren Genre, wo die mit dem metaphorischen Tropenhut ausgerüstet die Provinz besucht, um dann im Duktus intellektueller Überlegenheit zu verkünden, dass man bei den Eingeborenen profunde Erkenntnisse gewonnen hat, die die eigenen peers nicht teilen, bis sie nicht dieselbe Expedition in unbekannte mittelwestliche Diner unternehmen. „Der mit dem Wolf tanzt“, Appalachen-Edition, quasi.

Zu dieser Maschinerie gehören immer zwei. Die Expeditionsteilnehmenden auf der einen Seite, und diejenigen, die die Rolle des Pferdeflüsterers und Eingeborenenerklärers spielen andererseits. Das ganze ist eine Aufmerksamkeitsmaschine, und dass Vance eine Agenda hat und sich dafür problemlos mit den Rechten ins Bett legen wird war einfach offensichtlich (ungefähr genauso offensichtlich wie dass Fridays for Future irgendwann bei „Kapitalismuskritik“ landet, bedauerlicherweise). Told you.

7) „Der Kapitalismus kannibalisiert seine eigenen Grundlagen“ (Interview mit Nancy Fraser)

ZEIT ONLINE: In Ihren Benjamin-Lectures planen Sie dies in Bezug auf die Verbindungen von Klasse, Gender und Race zu tun. Sie schlagen vor, feministische und antirassistische Bewegungen auch als Arbeiterbewegungen zu begreifen. Das ist bemerkenswert, weil Antirassismus und Feminismus in gegenwärtigen Debatten oft als das Gegenteil materieller Verteilungskämpfe gesehen werden: als Formen des Aktivismus, die sich auf die Veränderung von Sprache und symbolischer Repräsentation konzentrieren.

Fraser: Dieser Ansatz entstand, nachdem ich W.E.B. Du Bois‘ 1935 publiziertes Meisterwerk Black Reconstruction lehrte. Das Buch ist eine brillante Analyse der US-amerikanischen Sklaverei und des Kampfes um ihre Abschaffung, des Bürgerkriegs sowie der Reconstruction und schließlich der darauffolgenden „Konterrevolution“ der Besitzenden, die die Weiße Vorherrschaft im Süden wiederherstellte. Das Werk kreist dabei stets um die Frage der Arbeit und geht über gängige Definitionen hinaus. Du Bois interpretiert etwa den Abolitionismus, die Bewegung zur Befreiung der Sklaven, als eine Arbeiterbewegung. […]

ZEIT ONLINE: Welche ist das?

Fraser: Neben der enteigneten und ausgebeuteten Arbeit gibt es noch die Sorge- und Reproduktionsarbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird, weshalb die dritte große Arbeiterinnenbewegung der Feminismus ist. Der Kapitalismus beruht auch auf dem, was man Hausarbeit nennen könnte. Wobei diese Tätigkeiten nicht nur im häuslichen Bereich stattfinden, sondern ebenso im öffentlichen und sozialstaatlichen Bereich, in Schulen, Kindertagesstätten oder Altenheimen. Manchmal sogar im privatwirtschaftlichen Rahmen. Doch ganz gleich, wo sie stattfindet: Sie wird in der Regel kaum wertgeschätzt und unterbezahlt, insofern sie überhaupt entlohnt wird. Zusammen mit der enteigneten und ausgebeuteten Arbeit, mit denen sie eng verwoben ist, bildet die Hausarbeit einen weiteren „Grundstein“ kapitalistischer Wirtschaft. Kurzum: Es sind also am Ende nicht nur zwei, sondern drei miteinander verschränkte Dimensionen der Arbeit, auf denen das System beruht und die – wie schon Du Bois sah – nicht einzeln, sondern nur zusammen befreit werden können. (Nils Markwardt, ZEIT)

Ich teile Frasers Kritik, dass der klassische Arbeiterbegriff wesentlich zu sehr auf eine sehr bestimmte Schicht von männlichen, weißen (Fach-)Arbeitern verengt wird, völlig. Ich weiß nicht ob ich bereit bin, ihn gar so weit zu definieren wie sie es tut; nicht, weil ihre Anliegen nicht gerechtfertigt wären, sondern schlicht, weil zu breit gefasste Begriffe irgendwann jede definitorische Kraft verlieren. Wenn ich irgendwann alle unterdrückten Gruppen irgendwie unter „Arbeiter“ fasse, hat der Begriff einfach keine erklärende Kraft mehr. Und gerade bei der Sklaverei bin ich unsicher, inwieweit dieses Zusammenwerfen Sinn macht, weil sich die Arbeiterbewegung ja immer als Lohnarbeiterbewegung definiert hat – und eben gerade nicht als Sklaven. Aber da gibt es sicher Leute, die kompetenter urteilen können als ich.

8) Cannabis erlauben oder Alkohol verbieten?

Cannabis kann also erheblich schaden, daran besteht kein Zweifel. Und doch: Alkohol tut es eben auch. Der Unmut über die Aussagen der Drogenbeauftragten kommt auch daher, dass viele Leute den unterschiedlichen staatlichen Umgang mit beiden Drogen sehen, aber nicht verstehen. Sie haben Fragen, aber auf ihre Fragen bekommen sie keine wirklichen Antworten. […] Es ist deshalb eine Sensation und ein Wagnis, dass die Ampelregierung im Jahr 2021 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat, „die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Dieser Schritt bricht mit einer fast hundert Jahre alten weit verbreiteten Auffassung über den richtigen Umgang mit Cannabis. Eine Substanz, die lange als geradezu böse gegolten hat, soll nun erlaubt werden. Das erregt viele Gemüter. Dabei wäre doch der umgekehrte Schluss naheliegend: Auch wenn das Cannabis-Verbot damals aus den falschen Gründen erlassen wurde, so wissen wir doch heute, wie sehr Cannabis gerade jungen Menschen schaden kann. Es sollte also nicht erlaubt werden, zu kiffen. Vielmehr könnte Alkohol endlich seinen richtigen gesellschaftlichen Platz erhalten, nämlich ebenfalls verboten werden. […] Es gibt niemanden, der das fordert. Noch nicht einmal in der bundesweiten Präventionskampagne „Aktionswoche Alkohol“, die gerade läuft. Denn Prohibition ist kein Mittel gegen eine populäre Droge. Verbote funktionieren nicht – oder nur mit ganz erheblicher, unverhältnismäßiger staatlicher Kontrolle. […] Im kommenden Jahr soll ein Gesetzentwurf ins Parlament kommen. Er wird vielleicht weitreichendere Folgen haben, als es sich manch einer heute vorstellen kann und will. Die Hannoveraner Neurologin und Psychiaterin Kirsten Müller-Vahl jedenfalls kann es. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung schon lange mit Cannabis. Wenn man in einigen Jahren sehe, dass der neue Weg bei Cannabis funktioniere, sagt sie, könne das auch ein Modell für andere legale Drogen sein, etwa für Alkohol. Dann würden Bier oder Schnaps aus dem Supermarkt verschwinden und nur noch in lizenzierten Geschäften erhältlich sein. (Wibke Becker, FAZ)

Ich bin sofort dafür, Alkohol zu verbieten, aber das ist wohl eine Minderheitenmeinung. /Ironie aus. Becker hat allerdings in zwei Dingen völlig Recht: einerseits ist die Ungleichbehandlung der beiden Rauschmittel einzig aus einer langen Traditionslinie zu erklären, die sie im Artikel hervorragend herausarbeitet, und die nichts mit irgendwelchen logischen Argumenten bezüglich Gefährlichkeit oder sonst etwas zu tun hat, und andererseits, dass mittel- bis langfristig der Alkoholkonsum tatsächlich immer weiter randständig werden könnte. Ich prognostiziere – und beobachte – diese Entwicklung bereits seit Langem. Der Alkoholkonsum nimmt beständig, wenngleich sehr langsam, ab. Auffällig ist aber vor allem, dass er aus immer mehr sozialen Settings verbannt wird. Am Arbeitsplatz ist er mittlerweile indiskutabel, das war vor 30 Jahren noch nicht so. In der Öffentlichkeit, abgesehen von Bars und anderen speziell designierten Orten, für die ehrenwerte Gesellschaft ebenfalls. Und so weiter. Der Normenwandel ist langsam, aber sehr deutlich sichtbar. Dasselbe gilt auch für Zigaretten. Eine Entwicklung, die ich nur begrüßen kann.

9) Kein Manhattan im Remstal

Ein luxuriöser Wohnturm sollte das Image der schwäbischen Kleinstadt Fellbach aufpolieren. Doch das Projekt ging schief. […] Der Bau im Osten der baden-württembergischen Stadt Fellbach sollte mal weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus für Aufsehen sorgen. Der frühere Oberbürgermeister Christoph Palm (CDU) wollte mit dem Turm das Image Fellbachs aufpolieren – wenn das überhaupt möglich ist. Die Stadt mit 44.000 Einwohnern liegt zwar im Speckgürtel Stuttgarts und gehört, gemessen an den Wohnkosten, zu den zwanzig teuersten und auch reichsten Städten Deutschlands. Städtebaulich ist Fellbach aber ein Sanierungsfall, eigentlich bleibt nur die Flucht in die Degustationsräume der Prädikatsweingüter der Winzer Rainer Schnaitmann, Matthias Aldinger oder Markus Heid. […] Immerhin versuchten die neuen Investoren, die den Tower für 15 Millionen Euro gekauft hatten, den Konstruktionsfehler des Projekts zu beheben: Sie begannen die großzügigen Luxusappartements in kleinere, preiswertere Mietwohnungen umzuwandeln. Die Wohnungen in den oberen Etagen mit einem Quadratmeterpreis von 7000 Euro hatte schon Warbanoff nicht verkaufen können. In eine Betonwüste zwischen der früheren Bundesstraße, einem McDrive und Möbelmärkten zieht niemand, der sich eine Luxuswohnung leisten kann, und sei der Ausblick auf die Weinberge im Remstal noch so schön. […] Der frühere Oberbürgermeister habe eben eine Schwäche für Großprojekte gehabt. „Man muss es nicht wollen, aber derzeit wird man den Verdacht nicht los, dass der Bau auch scheitern könnte.“ Es wäre vernünftiger gewesen, die Stadt hätte an der Stelle selbst Wohnungen gebaut und Gewerbe angesiedelt, sagt Raß. Aber als die Baugenehmigung erteilt wurde, ging es um etwas anderes in Fellbach: den Traum von Manhattan im Remstal. (Rüdiger Soldt, FAZ)

Als gebürtiger Fellbacher interessiert mich das Desaster um den ehemaligen GEWA-Tower natürlich besonders. Das Ding sieht man bereits aus den Nachbarstädten, und es ist seit Jahren eine Bauruine. Ich erinnere mich noch, dass ich beim Bau damals gecheckt habe, was die Wohnungen kosten sollten, das war absurd (aus heutiger Perspektive natürlich ein Schnäppchen, wo wir bei Absurditäten sind). Kein Wunder, dass das nicht verkauft wurde; und das, wo es direkt neben dem McDonalds, einem MediaMarkt, Toom, Rewe und Poco sowie eingebettet von Sozialwohnungen direkt an der B14 liegt. Ein Mysterium.

Es ist aber auch der gleiche Vorgang wie bei Stuttgart21. Irgendwelche CDU-Lokalgrößen – Ministerpräsidenten hier, Bürgermeister da – wollen sich mit irgendwelchen steingewordenen Phallussymbolen verewigen. Da werden alle Regeln gebeugt und riesige Summen rausgeschmissen, nur um ein Projekt auf die Beine zu stellen, mit dem man endlich, endlich als modernes Zentrum anerkannt werden kann. Und dann geht alles nach hinten los. Da würde man sich mal die schwäbische Hausfrau wünschen, die den Buben auf die Finger klopft. Wo ist sie, wenn man sie mal braucht?

10) Abenteuer Atomenergie

„Wir werden das große Abenteuer der nuklearen Energie in Frankreich fortschreiben“, hatte Macron gesagt. Angesichts der hohen Kosten und des Restrisikos scheint sein Vorhaben tatsächlich abenteuerlich: Mehrere Dutzend Milliarden Euro werden in das teuerste Bauprojekt seiner Amtszeit fließen und die Energiepolitik des Nachbarlandes auf Jahrzehnte tragen; die Reaktoren sollen teilweise bis zum Ende des Jahrhunderts laufen. […] Dabei hat das französische Netz gerade akute Probleme: Viele Anlagen stehen wegen gravierendem Rostbefall still, sie müssen für viele Milliarden Euro auf den letzten Sicherheitsstandard gehoben werden. Aktuell läuft laut EDF nur jedes zweite Atomkraftwerk – in einem Wintermonat würde dies für weitreichende Stromausfälle sorgen. Auch der jüngste Neubau von EDF ist ein finanzielles und organisatorisches Desaster: Der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) im französischen Flamanville sollte ursprünglich für drei Milliarden Euro errichtet werden, stattdessen liegen die Kosten inzwischen bei rund 20 Milliarden Euro. Er sollte ab 2012 Strom liefern – nun wird er aufgrund großer Sicherheitsbedenken frühestens 2023 ans Netz gehen. „Wir haben daraus gelernt und werden nun schneller sein“, versprach Macron. […] „Alle französischen Präsidenten haben auf Atomkraft gesetzt, um eine patriotische Stärke zu beweisen“, sagt die Forscherin. Topçu hat die Strategien der nuklearen Industrie erforscht. In Frankreichs Geschichte sei die Elite stets einhellig atomfreundlich gewesen – sie besuchte mehrheitlich die großen Wirtschafts- und Verwaltungsuniversitäten des Landes, wie die ENA, in der die Vorzüge der Atomkraft ein „ständig wiederholtes Mantra“ seien. Weil Macron offenkundig in der Klimapolitik versagt habe, klammere er sich nun an die neuen AKW wie an eine Rettungsboje. „Keine Energieform ist so an autoritäre und einsame Entscheidungen geknüpft wie die nukleare – deshalb passt sie zum zentralistisch regierten Frankreich mit einem allein entscheidenden Präsidenten.“ (Annika Joeres, ZEIT)

Ich bin echt gespannt, wer am Ende bescheuerter dastehen wird – die Franzosen mit ihrer Vernarrtheit in Atomkraft bei schlechtem Ausbau und keinerlei Idee, wohin mit dem ganzen Mist, oder wir mit unserer Komplettabschaltung bei gleichzeitiger Verweigerung des Ausbaus anderer Energiequellen. Mir scheinen beide Pläne ziemlich bescheuert. Am Festhalten der Nukleartechnik äußert sich immer mehr Kritik, während gleichzeitig aus anderen Ecken sich immer mehr die Rettung aus der Klimakrise davon versprochen wird; ich hab einfach keine Ahnung. Mir fehlt dafür schlicht das technische Wissen. Aber ich bin ziemlich, ziemlich skeptisch. Vielleicht zu unrecht, vielleicht nicht. Wir werden in 20 oder 30 Jahren mehr wissen.

Resterampe

a) Echt nur pervers.

b) Wen die Posse um den Vorsitz des PEN interessiert, findet hier einen schönen Verriss.

c) Die EZB redet von einem „natürlichen Gleichgewichtszins„. Damit meint sie das 2%-Ziel. Und das ist völlig arbiträr. Es zeigt aber das ganze Problem der Wirtschaftswissenschaften der letzten 30 Jahre, völlig arbiträre Festlegungen (60% Schuldenquote und 3% Neuverschuldung in Maastricht, 90% Schuldenquote als Obergrenze bei Staaten, etc.) als Naturgesetze zu nehmen.

d) Die großen Entlastungen wegen der steigenden Energiepreise zeigen einmal mehr die politische Unmöglichkeit der CO2-Steuer als alleiniges Werkzeug. Es funktioniert 1A, der Markt regelt über Angebot und Nachfrage – aber das Ergebnis dieser Regelung ist für die Bevölkerung inakzeptabel und politisch toxisch.

e) CEO-Bezüge sind in den letzten 10 Jahren inflationsbereinigt 78% gestiegen. Bestimmt total verdient.

f) Hervorragender Blick von außen auf Habermas, den Ukrainekrieg und die deutsche Mentalität.

g) Die Sicht der Wählenden auf die Grünen ist schon etwas schizophren.

h) Der Steuer- und Regulierungsstaat von seiner schlimmsten Seite.

i) Bürgerliche Radikalisierung am Beispiel.

j) Analog dazu, dass Kritiker*innen der Geflüchtetenpolitik gerne so tun, als wäre von Anfang an eine überragende Mehrheit der Menschen dagegen gewesen (was nicht stimmt), wird gerne so getan, als hätte dieselbe von Anfang an gegen die Coronapolitik existiert. Eine neue Studie zeigt, dass dies nicht so ist und die Regierenden das ursprüngliche Vertrauen der Bevölkerung erst nach und nach verloren.

k) Interessantes Interview zum Kriegsverlauf in der Ukraine.

l) Tellkamp ist echt indiskutabel.

m) Zur Diskussion über die Performance des Verkehrsministeriums aus dem letzten Vermischten.

n) Der Herausgeber der ZEIT, Joffe, hat befreundeten Millionären den Tipp gegeben, dass eine investigative Recherche seines Hauses kommt und warum ist der immer noch im Amt?

o) Zur Zufriedenheit mit Minister*innen hat Jonas Schaible einige gute Gedanken.

p) Mal wieder was zur Nähe zwischen Polizei und Querdenker-Milieu.

q) Ökonomen fordern die Rente mit 70 wegen der Inflation und es ist einfach so ermüdend. Die fordern Rente mit 70 egal für was, wie eine hängengebliebene Schallplatte.

r) Marcel Fratzscher hat was Interessantes zum Thema Staatsfinanzen und Kreditraten.

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  • Detlef Schulze 24. Mai 2022, 09:43

    aus 1: Den Menschen im Osten wird immer wieder das Recht abgesprochen, selbst darüber zu entscheiden, ob sie der EU und der NATO angehören wollen, womit nur die Doktrin Putins wiederholt wird.

    Zurecht wird ihnen das Recht hierauf abgesprochen. Dies ist eine Entscheidung der EU und NATO und nicht der Staaten, die diesen Bündnissen beitreten wollen. Die Menschen auf der Krim hatten ja auch kein Recht sich einfach Russland anzuschliessen und Kuba hatte ja auch nicht das Recht sowjetische Atomraketen zu stationieren, obwohl sie das wollten.

    zu 7: Ich teile Frasers Kritik, dass der klassische Arbeiterbegriff wesentlich zu sehr auf eine sehr bestimmte Schicht von männlichen, weißen (Fach-)Arbeitern verengt wird, völlig.

    Zumindest in der sozialistischen Lesart waren die Arbeiter nie nur weisse Maenner und schon gar keine Facharbeiter. Ganz im Gegenteil „Arbeiter“ war Synonym fuer „arbeitendes Proletariat“. Es hieß „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ und der Slogan war vor allem in Asien auch sehr erfolgreich.

    • Stefan Sasse 24. Mai 2022, 12:36

      1) Vorsicht: „angehören wollen“. DAS dürfen sie selbst entscheiden. Ob sie DÜRFEN liegt bei NATO und EU.

      7) So oder so, Sklav*innen gehörten nie dazu.

      • Erwin Gabriel 24. Mai 2022, 13:13

        @ Stefan Sasse 24. Mai 2022, 12:36

        7) So oder so, Sklav*innen gehörten nie dazu.
        ^^
        Ich bin da bei Detlef. Ich dachte, dass Leibeigene in Russland abgeschafft wurden.

        Und um mich ebenfalls auf das Feld des irrationalen zu begeben: Dass Eskimos oder australische Ureinwohner ausdrücklich eingeschlossen wurden, habe ich auch nicht mitbekommen

      • Detlef Schulze 24. Mai 2022, 14:06

        1) Semantisch richtig, spielt aber keine Rolle. Niemand behauptet ja, dass diese Länder nicht „wollen“ dürfen. Russland hatte auch nie ein Problem damit, dass irgendwer in die NATO wollte, sondern dass die NATO die Länder reingelassen hat. Und diese Entscheidung liegt in der Verantwortung der NATO. Man hört dieses Argument in letzter Zeit recht häufig, also dass Abmachungen der NATO mit der Sowjetunion über mögliche NATO-Beitritte der Ostblock-Staaten ja gar nicht gemacht hätten werden dürfen, da solche Abmachungen die Souveränität dieser Staaten verletzen würde. Das ist aber natürlich Quatsch; jeder Verein kann seine Mitglieder selbst wählen. Wenn München und Barcelona sich einig werden, dass Lewandowski nicht zu Barcelona wechselt, wäre das völlig legitim (rein hypothetisch).

        • Stefan Sasse 24. Mai 2022, 19:43

          Ich stimme zu, das Argument mit dem Grundrecht taugt nicht.

        • Lemmy Caution 24. Mai 2022, 20:14

          Wenn Georgien in die NATO will und die NATO das auch will, hat Russland kein besonderes Recht das irgendwie zu verhindern.
          Die UdSSR verhielt sich gegenüber Kuba bis in die späten 60er als Bremser, weil sie deren Versuche des Revolutions-Exports nicht unterstützten. Bis Mitte der 80er wurde Kuba dann auch zu einer Art Schaufenster Moskaus für die damals so genannte Dritten Welt und für Lateinamerika. War für die Sowjetunion richtig teuer. In Kuba trauern noch viele diesen ruhigen und abgesicherten Zeiten nach. Kuba war nach dem Castro-Putsch 1959 nie ein Pufferstaat. Wenn selbst Schweden und Finland ihre Neutralität aufgeben, damit Russland unter keinen Umständen auf die Idee kommt, sie mit Pufferstaaten zu verwechseln, in denen man ein weiteres großrussisches Abenteuer starten könnte…

        • Stefan Pietsch 24. Mai 2022, 21:32

          Ein sehr bekanntes Argumentationsmuster – nur eins, das vor allem auf ein autokratisches System passt, nicht auf eine rechtsstaatliche Gesellschaft. Und deswegen bin ich immer arg verwundert, dass so argumentiert wird.

          Ja, ich als Bürger, als Individuum, bin frei zu wählen und zu entscheiden, ob ich Mitglied vom Kaninchenzüchterverein oder im Fitnessstudio um die Ecke sein möchte. Der Kaninchenzüchterverein hat genauso wie das Fitnessstudio die Möglichkeit, meinen Antrag abzulehnen. So weit, so Ihr Argument. Das ist aber viel zu kurz gedacht und argumentiert.

          Das Fitnessstudio darf meinen Antrag nur aus rationalen, objektivierbaren Gründen ablehnen. Es darf mich nicht diskriminieren, also willkürlich vorgehen. Es darf gemäß einer Satzung, von Kritierien vorgehen. Nur eben nicht willkürlich. Das gilt nicht nur in Deutschland, das gilt in allen Rechtsstaaten. Und das grundsätzlich.

          Warum wird das von den Verteidigern Russlands vergessen? Oder wissen sie es nicht? Wo leben sie dann?

          Die NATO kann wie die EU Mitgliedsanträge ablehnen. Aber das vollzieht sich nach Regeln. Regeln, die für alle gleich sind. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Die Mitglieder verpflichten sich, sich gegenseitig zu schützen, nicht, gemeinsam ein Land anzugreifen. Gegen eine Mitgliedschaft Polens ist damit nichts einzuwenden. Gegen eine Mitgliedschaft Russlands sehr viel, denn es hat sich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs jahrhundertelang imperialistisch gezeigt.

          Zusammengefasst: Die NATO hatte keine echten rechtsstaatlichen Gründe, eine Mitgliedschaft der ehemaligen Mitglieder des Warschauer Paktes abzulehnen. Sie wären rein politisch und damit ein Stück willkürlich gewesen. Für eine Ablehnung hätte es handfester Gründe bedurft – und solche hätten nur einen Namen gehabt: die Befindlichkeiten Russlands.

          • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 07:43

            Sorry, aber da bist du schief gewickelt. Die NATO ist kein eingetragener Verein. Sie kann aufnehmen und nicht aufnehmen, wen auch immer sie will. Diese Analogie geht völlig in die Irre.

          • Detlef Schulze 25. Mai 2022, 08:12

            @Pietsch

            An ihrem Argument ist was dran. Allerdings bewegt sich die NATO ja selber in keinem rechtlichem Rahmen, sondern ist ein strategisches Bündnis, dass Länder aufnimmt wenn es ihren Zielen (Verteidigung ihrer Mitglieder) hilft. Ich glaube nicht, dass Nigeria Chancen auf eine Aufnahme hätte, weil Nigeria nichts beitragen kann.
            Und ja die Befindlichkeiten Russlands wären in der Tat ein guter Grund für eine Ablehnung gewesen. Das war mein Punkt.

            Übrigens,
            Gegen eine Mitgliedschaft Polens ist damit nichts einzuwenden. Gegen eine Mitgliedschaft Russlands sehr viel, denn es hat sich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs jahrhundertelang imperialistisch gezeigt.

            Was die Länder in den letzten Jahrhunderten getrieben haben sollte wenig ausschlagebend sein. Schliesslich sind eigentlich alle großen Imperialmächte der letzten Jahrhunderte NATO-Mitglieder.

            • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 09:11

              Die NATO hat sich einen (völkerrechtlich bindenden) Vertrag gegeben. Die Teilhaberschaft an dem Bündnis musste von allen Mitgliedsstaaten von den Parlamenten ratifiziert werden. Das ist aber so etwas von rechtsstaatlich begründet.

              Wie sehr, zeigt sich an der aktuellen Debatte über die Aufnahme von Finnland und Schweden. Die Türkei verweigert ihre Zustimmung nicht mit dem Argument, dass ihr die Skandinavier nicht passen oder dass Erdogan die Aufnahme für strategisch nicht sinnvoll hielte – was schließlich ein schwerwiegendes Argument wäre, schließlich sind beide Anrainer des potentiellen Gegners Russland. Die Begründung nach Ankara-Lesart lautet, beide Länder würden den Terrorismus fördern, was dann wiederum mit einer Mitgliedschaft in der NATO unvereinbar wäre.

              Ich kenne den NATO-Vertrag nicht so im Detail, dass sich sagen könnte, was eigentlich gegen die Mitgliedschaft von Uruguay oder Südkorea spräche. Diese Länder haben ja auch nie einen Antrag auf Aufnahme gestellt. Ich gehe davon aus, dass das schon regional abgegrenzt ist.

              Eine Mitgliedschaft Russlands wurde ja vor 25 Jahren mal diskutiert. Prinzipiell ginge das schon. Folglich sprach wenig gegen Polen.

              Auf die Befindlichkeiten eines Landes Rücksicht nehmen und damit die vitalen Interessen anderer zurückzustoßen, entspricht längst nicht mehr unserem Verständnis internationaler Beziehungen. Und das ist wohl das Schwerwiegendste.

              Die NATO-Mitglieder sind seit Ende des 2. Weltkrieges keine Imperialmächte mehr, wenn sie sich auch erst danach Stück für Stück aus ihren Kolonien zurückgezogen haben.

              • Olaf Kröger 25. Mai 2022, 11:45

                Nordatlantikvertrag, Artikel 10:
                „Die Parteien können durch EINSTIMMIGEN Beschluß jeden anderen EUROPÄISCHEN Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen, zum Beitritt einladen.“
                (Großschreibung der beiden Kriterien von mir)

                • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 13:04

                  Ah, danke! Wie angenommen, oft liegen die vertraglichen Umstände auf der Hand.

              • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:41

                Uruguay liegt beim besten Willen nicht am Nordatlantik 😀

                • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 18:41

                  Eigentlich ging es um Nigeria. Als ich das letzte Mal im Altlas nachgesehen habe, habe ich es nicht gefunden. Gehen Länder eigentlich auch verloren? 🙂

                • Detlef Schulze 25. Mai 2022, 20:27

                  FYI. Ich habe nachgezaehlt. Nur 12 der 30 Nato Länder haben eine Atlantikküste. Die Nordsee habe ich dazugezaehlt.

                  Vielleicht sollte man die Nato umbenennen in: TO

                • Lemmy Caution 25. Mai 2022, 21:32

                  Immerhin kann man sagen, dass es an der Nordküste der Rio de La Plata Bucht liegt.
                  Im Fußball ist das 3,5 Millionen Volk vermutlich besser als militärisch. Deren letzter Krieg war mit Pferden und Vorderladern. Inzwischen ist es zumindest das politisch seriöseste Land Lateinamerikas.

          • Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 09:35

            Die NATO hatte keine echten rechtsstaatlichen Gründe ..

            Die braucht sie gottseidank auch nicht. Rechtsstaatlichkeit ist eine national begrenzte Angelegenheit, völkerrechtlich relevant wird sie nur über entsprechend unterzeichnete Abkommen und Verträge für die Vertragsparteien (und für niemanden sonst).

            Gegen eine semi-automatische Aufnahmepflicht würde ich mich mit Händen und Füssen wehren. Denn Verteidigungsbündnis bedeutet den Einsatz auch meines Lebens als Zivilist im Falle eines Bündnisfalles. Ein entsprechend konstruiertes Bündnis würde ich sofort verlassen wollen!

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 13:09

              Steht dem von mir Gemeinten nicht entgegen.

              Auch Vereine haben keine semi-automatische Aufnahmeverpflichtung. Aber schiefe Nase geht dann halt doch nicht. Nachvollziehbar, nicht willkürlich – das sollte möglich sein. Außerdem drehen Sie die Debatte um: Es geht darum, dass die NATO doch einfach allen Rechtsstaaten, die zufällig eine Vergangenheit im Warschauer Pakt hatten, einfach pauschal vom Verteidigungsbündnis hätten auf Ewigkeit ausschließen können.

              So ungefähr funktioniert internationale Zusammenarbeit nicht.

            • Erwin Gabriel 25. Mai 2022, 14:16

              @ Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 09:35

              Gegen eine semi-automatische Aufnahmepflicht würde ich mich mit Händen und Füssen wehren. Denn Verteidigungsbündnis bedeutet den Einsatz auch meines Lebens als Zivilist im Falle eines Bündnisfalles. Ein entsprechend konstruiertes Bündnis würde ich sofort verlassen wollen!

              Immer wieder überraschende, andere Blickwinkel. Über diesen Aspekt hatte ich noch nicht nachgedacht; danke dafür.

              Zustimmung

            • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:42

              Sehe ich genauso.

  • sol1 24. Mai 2022, 11:23

    5) „Extreme Bewegungen können immer nur gewinnen, wenn die moderate Mitte der jeweiligen Richtung sie lässt.“

    Dazu ein langer Essay von Claus Leggewie:

    https://www.deutschlandfunk.de/verrat-der-konservativen-demokratien-in-gefahr-100.html

    • Stefan Sasse 24. Mai 2022, 12:36

      Danke!

    • CitizenK 26. Mai 2022, 17:32

      Kluger, kenntnisreicher Beitrag. danke. Stimmt leider nicht optimistisch.

  • derwaechter 24. Mai 2022, 13:00

    4) Ist es nicht einfach das Phänomen, auch aus Wahlkämpfen bekannt, eher die „reine Lehre“ zu vertreten und (mehr oder weniger krachend) zu scheitern, als moderate Linien zu wählen, die wenigstens Aussicht auf Erfolg haben.

    Die (linken) Demokraten bzw. ihre Wählerschaft scheinen einfach nicht im Stande, das aus ihrer Sicht kleinere Übel zu wählen und stehen dann am Ende mit dem grösseren Übel da.
    Das gilt sowohl legislativ als auch bei Wahlen (Man denke nur Clinton vs Trump).

    • Erwin Gabriel 24. Mai 2022, 13:16

      @ derwaechter 24. Mai 2022, 13:00
      4) Die (linken) Demokraten bzw. ihre Wählerschaft scheinen einfach nicht im Stande, das aus ihrer Sicht kleinere Übel zu wählen und stehen dann am Ende mit dem grösseren Übel da.
      Das gilt sowohl legislativ als auch bei Wahlen (Man denke nur Clinton vs Trump).

      Hmm, interessanter Aspekt.

    • Stefan Sasse 24. Mai 2022, 14:45

      Total bescheuert, ja.

  • Erwin Gabriel 24. Mai 2022, 13:08

    @ STEFAN SASSE on 24. MAI 2022

    1) Putins Mythen: Was der Jugoslawien-Krieg mit der Ukraine zu tun hat
    Es ist mir unbegreiflich, wie häufig in Deutschland die Schuld am Zerfall Jugoslawiens Genscher, Fischer, der NATO gegeben wird, ohne je nach Russland zu schauen.
    Hat überhaupt nichts mit der NATO zu tun. Jugoslawien ist durch Milosevic und seine serbischen Nationalisten zerbrochen worden. Alle anderen bewegten sich auf den Scherben.

    Den Menschen im Osten wird immer wieder das Recht abgesprochen, selbst darüber zu entscheiden, ob sie der EU und der NATO angehören wollen, womit nur die Doktrin Putins wiederholt wird.
    Ich finde das ein sehr schwieriges Thema. Grundsätzlich stimme ich zu, dass jedes Land für sich entscheiden darf und muss, wie es sich orientieren will. Ich sehe aber auch, dass die dominierende Kraft der NATO, die USA, deren Ausweitung nicht nur betreiben, um Länder zu „befreien“ (bzw. ist das seitens der USA stets ein Synonym für etwas anderes gewesen), sondern immer wieder auch, um gegen Russland gerichtete Macht auszuüben. Und ich sehe, dass Russlands (von mir aus oben genannten Gründen grundsätzlich akzeptierte) Sicherheitsbedürfnisse nicht mit dem Wollen und Bedürfnissen der ehemaligen Sowjet-Staaten unter einen Hut zu kriegen sind.
    Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Nationen ist Russland der natürliche Verlierer in dieser Situation, denn sie haben nur wenig Zuckerbrot, aber sehr viel Peitsche zu bieten. Und nichts rechtfertigt diesen Krieg.

    2) Eine Rolle spielen
    Merz hätte lernen können – nicht so sehr bei Baerbock, eher bei Robert Habeck.
    Ein naiver Kommentar. Robert Habeck ist, wie er ist, Friedrich März auch. Beide auf ihre jeweilige Art authentisch, beide haben ihre Anhänger.

    … aber das liegt … vor allem daran, dass sie den Zeitgeist treffen.
    Genau das.

    3) Die Ordnung im Kopf und die Unordnung der Welt
    An der Stelle darf man auch gerne endlich mal Helmut Schmidt vom Podest herunterholen; der Mann ist den Blick des Wehrmachtleutnants in mancher Beziehung echt nie losgeworden.
    Mit dem „ewigen Wehrmachtsleutnant magst Du sogar recht haben. Aber dennoch – was für ein anmaßendes Urteil. Als Helmut Schmidt so alt war wie Du jetzt, hatte er den zweiten Weltkrieg an der Ostfront überlebt, war Zeuge der fast totalen Vernichtung seiner Heimat geworden, und saß bereits eine Legislaturperiode im Bundestag. Als Schmidt abtrat, war der Kalte Krieg noch voll im Gange („Able Archer“ war erst 1983, ein Jahr nach Schmidts Abwahl), und als 1989 endlich die Mauer bzw. der Ostblock fiel, war Helmut Schmidt über 70 Jahre alt.
    Und, was hat Dein Leben so geprägt? Friede, Freude und Eierkuchen? Dein größtes Problem: Ein paar randalierende Schüler:innen, oder stressige Kinder am Wochenende, wenn es regnet? Und wirst Du es schaffen, je den Lehrer in Dir loszuwerden?

    9) Kein Manhattan im Remstal
    Es ist aber auch der gleiche Vorgang wie bei Stuttgart21. Irgendwelche CDU-Lokalgrößen – Ministerpräsidenten hier, Bürgermeister da – wollen sich mit irgendwelchen steingewordenen Phallussymbolen verewigen.
    Wieder einmal nutzt Du ein bestimmtes Verhalten, dass man auch bequem für sich allein kritisieren kann, um politischen Gegnern einen mitzugeben.
    Stuttgart 21 ist ein Projekt, dessen erste Grundlagen im Bau der Schnellfahrstrecke Mannheim – Stuttgart liegen (erste Planungen 1970). Mit vielen anderen Aspekten hat sich dieses Projekt in vielfältigster Weise weiterentwickelt, wobei man stets versuchte, noch ein Gemüse mehr in den Topf zu packen. Irgendwann war auch die europäische Magistrale (Paris – Bratislava; Teilstrecke des alten Orient Express, der 1914 seinen Dienst einstellte) im Gespräch. Es ist also ein europäisches Bahnprojekt weitgehend unter Führung der Deutschen Bahn, mit Beteiligung von Bund, Land und Stadt. Für die Umsetzung des Projekts entschied man sich für die Variante, die einerseits Stuttgart direkt anfährt (statt etwa direkt zum Flughafen, aber an Stuttgart City vorbei), andererseits riesige Arreale in der Stadt zur Bebauung freigibt; Du kennst die Lage im Kessel und weißt, wie beengt das zugeht.
    Die dazugehörige Volksabstimmung wurde 2011 von der SPD und den Grünen initiiert und brachte 58,9 Prozent Zustimmung.
    Natürlich gab es Planungsfehler, wurde zwischendurch alles gestoppt, zerrten unterschiedlichste (auch lokale) Interessen an dem Projekt, herrschte Inkompetenz und Verschwendung; alles Dinge, die man gut und ausführlich kritisieren kann. Aber das sind keine CDU-typischen Fehler, wie der Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg zeigt.
    Dennoch nutzt Du ein bestimmtes Verhalten, dass man auch wertneutral bzw. unpolitisch kritisieren kann, um politischen Gegnern einen mitzugeben.

    10) Abenteuer Atomenergie
    Mir scheinen beide Pläne ziemlich bescheuert. Am Festhalten der Nukleartechnik äußert sich immer mehr Kritik, während gleichzeitig aus anderen Ecken sich immer mehr die Rettung aus der Klimakrise davon versprochen wird; ich hab einfach keine Ahnung.
    Ich denke, dass viel davon abhängt, WIE man das macht. Ob Atomkraft ODER erneuerbare Energien ist aus meiner Wahrnehmung bei einer Weltbevölkerung von knapp 8 Milliarden Menschen (um 2050, in etwa 30 Jahren, werden es mehr als 10 Milliarden Menschen sein) nicht die Frage. Man darf sich, denke ich, hier nicht allzu wählerisch verhalten. Man muss nehmen, was vor Ort am besten geht, und muss den Energiebedarf so erzeugen, dass man möglichst die Umwelt schont. Nur eine Quelle wird da nicht reichen.

    c) Die EZB redet von einem „natürlichen Gleichgewichtszins„. Damit meint sie das 2%-Ziel. Und das ist völlig arbiträr. Es zeigt aber das ganze Problem der Wirtschaftswissenschaften der letzten 30 Jahre, völlig arbiträre Festlegungen (60% Schuldenquote und 3% Neuverschuldung in Maastricht, 90% Schuldenquote als Obergrenze bei Staaten, etc.) als Naturgesetze zu nehmen.
    Natürlich sind alle diese Werte „willkürlich“ festgelegt. Du kannst diese Werte beliebig verändern; je nachdem, wie Du das tust, hast Du andere Profiteure. Eine niedrige „Schuldenobergrenze bei Staaten“ beispielsweise geht in Richtung „Schutz zukünftiger Generationen“ zu Lasten der gerade Lebenden. Hebst Du das komplett auf, wird durch Politiker-Geschenke für eine gewisse Zeit ein Leben in Saus und Braus möglich, für das eventuell spätere Generationen die Rübe hinhalten müssen.
    In einem Verbund wie der EU kommt hinzu, dass man durch solche Vorgaben zu verhindern versucht, dass einige Staaten auf Kosten von anderen leben.
    Aber „arbiträr“ ist grundsätzlich richtig, wenn auch aus meiner Sicht die falsche Betrachtungsweise. Denn solche Betrachtungen dienen in der Regel nur dazu, die eigenen Interessen durchzusetzen, und lenken von einer rein fachlichen Betrachtung über die Sinnhaftigkeit ab.

    e) CEO-Bezüge sind in den letzten 10 Jahren inflationsbereinigt 78% gestiegen. Bestimmt total verdient.
    Aus dem ersten Kommentar auf diesen Tweat: „A very quick search said about 6 percent per year, and a quick calculation shows this to be about 80%. So CEO pay is roughly the same as that.“
    Eine weiterer Kommentar lautet: „At the end of 2012 the Dow was at 13,000 and change. It’s now north of 32,000. With the shift towards stock-based compensation it’s no wonder their take/home has thusly grown.“
    Dir sollte doch klar sein, dass CEO-Gehälter in sehr weiten Bereichen aus Prämien, Unternehmensanteilen und anderen erfolgsorientierten Elementen sind. Steigen die Aktienkurse, verdienen diese Leute deutlich mehr; sinken sie, geht auch die Vergütung deutlich herunter.
    Süffisante Neid-Kommentare wie „Bestimmt total verdient“ sind genauso dämlich (müsste eigentlich „herrlich“ heißen, weil Du ja keine Dame, sondern ein fast schon mittelalter weißer Mann bist) wie irgendwelche rein kapitalistische Betrachtungen wie die Streichung des Mindestlohns nach dem Motto „wer nicht mehr raushandelt, hat nicht mehr verdient“.

    f) Hervorragender Blick von außen auf Habermas, den Ukrainekrieg und die deutsche Mentalität.
    Zustimmung, hoch interessant. Für mich bleibt trotzdem, dass die Appeasement-Politik Russland gegenüber (die ich selbst auch lange Jahre gutgeheißen habe) in den letzten 15 Jahren nichts gebracht hat; im Gegenteil – Putin fühlte sich dadurch stets ermuntert, einen Schritt weiterzugehen. Deswegen halte ich für richtig, dem erpresserischen Krieg nicht nachzugeben und die Ukraine ohne ständige Ausflüchte so weit und so gut zu unterstützen, wie es eben geht.

    i) Bürgerliche Radikalisierung am Beispiel.
    Wieder eine dieser unnötigen Verallgemeinerungen und Verunglimpfungen.

    j) Analog dazu, dass Kritiker*innen der Geflüchtetenpolitik gerne so tun, als wäre von Anfang an eine überragende Mehrheit der Menschen dagegen gewesen (was nicht stimmt), …
    Von „überragend“ hat niemand gesprochen, und natürlich war unsere Bevölkerung bereit, die grob 100.000 Budapester Flüchtlinge aufzunehmen (da war ja sogar ich dafür). Aber wenn der Staat nicht mal diese 100.000 angemessen unterbringen und versorgen kann (ohne üppige private Hilfe hätte es Tote gegeben) und dann aus den angekündigten 100.000 Flüchtlingen binnen Jahresfrist 2.000.000 werden, ohne dass der Staat willens oder in der Lage ist, regulierend einzugreifen, verliert sich natürlich das Vertrauen.
    Als jemand, der immer wieder mit dem Unvermögen und Versagen der öffentlichen Hand konfrontiert ist (vergammelnde Infrastruktur, oder auch viele Bauprojekte, wo Politiker mit aufs Foto wollen), geschieht das vielleicht deutlich schneller als bei anderen, und braucht vielleicht deutlich länger, um sich zu erholen.
    Davon ab: Die Methode, etwas Übertriebenes zu postulieren, um es dann zu widerlegen, ist mal wieder unseriös.

    r) Marcel Fratzscher hat was Interessantes zum Thema Staatsfinanzen und Kreditraten.
    Grundsätzlich möchte ich dem Zustimmen: Zinslast in Relation zum BIP bzw. Steuereinnahmen entscheidet. Sind die Zinsen derart niedrig, kann man einen „gerade noch gesunden Zustand“ trotz extremer Schuldenlast erreichen. Aber irgendwann ist auch hier der Spielraum für neue Schulden ausgeschöpft.
    Und die Gefahr liegt darin, dass Zinsen steigen. Man kann sie niedrig lassen, aber das enteignet nach und nach all die, die nur Sparen oder von der Rente leben.

    • Stefan Sasse 24. Mai 2022, 19:43

      1) Ich weiß nicht ob du mich missverstehst; ich wundere mich nur, dass diese Idee von der NATO-Schuld sich so hält, obwohl Milosevic‘ Schuld offensichtlich ist.

      Sicherheitsinteressen Russlands…ja, klar, haben sie, aber die stehen auf der Leiter halt unter dem Selbstbestimmungsrecht anderer Nationen.

      2) Sind wir uns ja einig. 🙂

      3) Und deswegen darf ich nicht urteilen? Damit stellst du ihn auf ein Podest. Ich darf ihn nicht kritisieren, weil ich nicht im Krieg war? Das kann kein Maßstab sein.

      9) In BaWü hatte die SPD halt echt wenig Gelegenheit zum Regieren 😀 In NRW findest du den Scheiß mit Sicherheit massenhaft in roter Färbung, aber BaWü ist halt ein super schwarzes Bundesland; entsprechend machen es hier CDU-Leute. Ansonsten hast du was den Kontext angeht völlig Recht; allein, das macht das Projekt kaum besser. – Aber das gilt auch für BER, oder den Transrapid, oder oder oder. Das ist farbunabhängig. Ich schreibe über S21, weil ich hier lebe und direkt davon betroffen bin.

      10) Ja, deswegen sag ich ja: mir scheint, FR und D machen es beide beknackt.

      c) Völlig! Ich möchte nur, dass uns klar ist, dass ALLE diese Werte Festlegungen sind, und dass IMMER Intereessen dahinterstehen. Ich bin völlig zufrieden, wenn wir das akzeptieren.

      e) Man könnte darüber streiten, wie sinnvoll diese Bezugssysteme sind. Du akzeptierst doch umgekehrt die Beamtenentlohnung und -pension auch nicht damit, dass „das halt gesetzlich so geregelt ist“. Warum darf ständig über faule, überbezahlte Beamte geschimpft werden, aber nicht CEOs?

      f) Ja, ich bin da auch sehr sehr skeptisch.

      i) Jupp.

      j) Grundsätzlich ist deine Kritik richtig, hier aber nicht zutreffend, weil hier schön öfter eben genau das sinuiert wurde: dass von Anfang an eine Mehrheit dagegen bestanden hätte. Und das stimmt einfach nicht.

      r) Korrekt. Hier gilt im Endeffekt dasselbe wie c)

      • Erwin Gabriel 24. Mai 2022, 22:13

        @ Stefan Sasse 24. Mai 2022, 19:43

        1) Ich weiß nicht ob du mich missverstehst; ich wundere mich nur, dass diese Idee von der NATO-Schuld sich so hält, obwohl Milosevic‘ Schuld offensichtlich ist.

        Nein, sehe ich genauso

        Sicherheitsinteressen Russlands…ja, klar, haben sie, aber die stehen auf der Leiter halt unter dem Selbstbestimmungsrecht anderer Nationen.

        Dass die USA nicht nur Blümchen durch die Welt tragen, macht es eben schwer. Ich hätte auch kein Problem damit, dass Russland Verbündete um sich scharrt; aber die holen sich „Verbündete“ mit Gewalt, und das geht gar nicht.

        3) Und deswegen darf ich nicht urteilen? Damit stellst du ihn auf ein Podest. Ich darf ihn nicht kritisieren, weil ich nicht im Krieg war? Das kann kein Maßstab sein.

        Du legst den Maßstab an, nicht ich. Ich habe kein Problem damit, dass Du eine Meinung über ihn hast. Aber ich denke nicht, dass Dir ein derartig arrogantes Urteil erlauben solltest, wo Dir doch alles an Erfahrung und eigenem Erleben fehlt (mir übrigens auch), ihn gerecht zu beurteilen.

        9)Ich schreibe über S21, weil ich hier lebe und direkt davon betroffen bin.

        Ja, keine Sache; hätte man eleganter lösen können, aber auch deutlich schlechter. S21 ist in erster Linie ein Stadtentwicklungsprojekt; die Bahn ist zwar Auslöser, aber ein paar neue Schienen legen … Nebensache.
        Was ich für falsch halte: Du schreibst dieses Projekt, dessen erste Anfänge über fünf Jahrzehnte zurückliegen, der Eitelkeit einiger CDU-Granden zu. Selbst wenn einige CDU-Größen dabei waren, deren Eitelkeit nichts zu wünschen übriglässt, ist die Situation mit vier großen Entscheidern (Bund, Land, Stadt, Bahn), mit unterschiedlichen Zuständigkeiten zu unterschiedlichen Zeiten, mit sich im Laufe der Jahrzehnte ständig verändernden Anforderungen keinesfalls vergleichbar mit BER, wo man klar auf Wowereit zeigen kann als denjenigen, dessen Entscheidungen das Projekt in die Tonne traten.

        10) Ja, deswegen sag ich ja: mir scheint, FR und D machen es beide beknackt.
        Weiß nicht so richtig; beides unterliegt sicherlich der Schwäche der „Monokultur“.

        c) Völlig! Ich möchte nur, dass uns klar ist, dass ALLE diese Werte Festlegungen sind, und dass IMMER Intereessen dahinterstehen. Ich bin völlig zufrieden, wenn wir das akzeptieren.

        Hab nie etwas anderes behauptet. Wie auch immer, manche Maßnahmen sichern die Zukunft, manche die Gegenwart ab. Mich als alter Sack interessiert eigentlich nur, warum (von der Argumentation her) Du viel mehr für meine Rente, für meine Versorgung streitest als für Deine (und umgekehrt; aber ich habe Töchter und bin somit entschuldigt).

        e) Du akzeptierst doch umgekehrt die Beamtenentlohnung und -pension auch nicht damit, dass „das halt gesetzlich so geregelt ist“.

        Mit der Beamtenentlohnung habe ich keine Probleme, mit den Pensionen schon. Das aber, weil ich die Arbeitsleistung eines Beamten mit einem Angestellten recht gut vergleichen kann. Und während Otto Normalangestellter 18,6 Prozent ihres Bruttogehalts abdrückt, um (wenn es soweit ist) nicht einmal die Hälfte seines letzten Nettogehalts ausbezahlt zu bekommen, von dem dann auch noch Renten- und Pflegeversicherung abgehen, bekommt ein Beamter der gleichen Gewichtsklasse so ziemlich das Doppelte, ohne allerdings vorher Rentenversicherung bezahlt zu haben.

        CEOs und Geschäftsführer sind an Ergebnisse gekoppelt, was Beamte und normale Arbeitnehmer nicht sind. Und wo beide Gruppen Gewerkschaften haben, die sich mit Nachdruck für sie einsetzen, ist ein Geschäftsführer auf sich allein gestellt. Da ist halt kein Vergleich zu normalen Arbeitnehmern oder Beamten möglich.

        Warum darf ständig über faule, überbezahlte Beamte geschimpft werden, …

        Weil die faul sind … ?

        … aber nicht CEOs?

        Weil die nicht faul sind … ? 🙂

        Schimpfen darfst Du natürlich gerne, aber Du solltest Dir klar machen, dass das nur Herumgemaule ist; Du stellst das immer faktisch dar.

        j) Grundsätzlich ist deine Kritik richtig, hier aber nicht zutreffend, weil hier schön öfter eben genau das sinuiert wurde: dass von Anfang an eine Mehrheit dagegen bestanden hätte. Und das stimmt einfach nicht.

        Noch einmal: Das Ganze ging mit 100.00 Budapester Flüchtlingen los, die weitgehend mit offenen Armen empfangen wurde; sind wir uns da einig? Der Umschwung kam, als der Mehrheit klar wurde, dass es um Millionen Menschen ging, und der Staat weder die Türen schließen noch überprüfen wollte, wer kam. Merkel wollte mehr und mehr Flüchtlinge und fing Streit mit den Transitländern an, als diese die Grenze schließen wollten.
        Davon ab: Du hast geschrieben, es sei fälschlicherweise behauptet worden, dass die überragende Mehrheit dagegen war (ich hatte das Wort extra gefettet, um meinen Bezug zu klären), und das ist schlichtweg falsch. Budapest ist ein Thema, die zwei Millionen Follower sind ein anderes. Für die damalige Regierung, für mich, für die Stimmung in der Bevölkerung. Hier argumentierst Du unseriös.

        r) Korrekt. Hier gilt im Endeffekt dasselbe wie c )
        Grundsätzlich ja. Aber Du tust so, als sei die Festlegung, weil sie Deiner Meinung nach willkürlich ist, beliebig. Aber auch solche „beliebigen“ Entscheidungen können weitreichende Folgen haben; letztes größeres Beispiel war Griechenland, dass sich (ganz grob) so verhielt, wie Du für Deutschland immer wieder propagierst. Diese Denke, dass schon alles gut gehen wird, dass unsere Wirtschaft immer stabil ist, die Geldströme immer fließen werden, um all das zu finanzieren, ist hochriskant und wird gerade einer harten Belastung unterzogen.

        • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 07:51

          1) Sind wir d’accord.

          3) Und was macht dein Urteil über mich weniger arrogant? Und was genau müsste ich jetzt anders machen? Ich verstehe es einfach nicht. Was ist der Unterschied zwischen „eine Meinung zu ihm haben“ (was ich darf) und „ein Urteil fällen“ (was ich nicht darf)?

          9) Da kenn ich mich ehrlich gesagt zu wenig mit der Genese von S21 aus; ich hab mal was zu den Leuten in den 1990er Jahren gelesen, die damals die (heute noch aktuelle) Form des Projekts beschlossen, und da war schon viel Märklin-Romantik dabei.

          10) Das sicherlich.

          c) Spielt sicherlich ein gewisser Idealismus mit rein. Aber schlicht auch, dass noch keinen Gegenentwurf gelesen hätte, der mich überzeugt.

          e) Zum Glück ist die Kritik an Beamt*innen stets faktisch und nie Herumgemaule 😀

          j) Ich sehe was du meinst. Letztlich streiten wir uns nur über Details. Ich würde Köln als den relevanteren Umschwung desehen denn die schieren Zahlen, aber das ist ja letztlich egal.

          r) Verstehe.

          • Erwin Gabriel 25. Mai 2022, 14:02

            @ Stefan Sasse 25. Mai 2022, 07:51

            3) Und was macht dein Urteil über mich weniger arrogant?

            Ich fälle kein Urteil über Dich, ich vertrete eine Ansicht. Und darüber, ob Du oder ich beurteilen können, aus welchen Erfahrungen, Situationen und Motiven heraus Helmut Schmidt einst seine Entscheidungen fällte, sollte wohl Einigkeit herrschen: Können wir nicht, da sind wir viel zu weit weg.
            Meine Erfahrungen zielen dahin, dass die meisten Entscheidungen nicht aufgrund langfristig gedachter Linien gefällt werden, sondern aufgrund tagespolitischer Situationen. Und die gehen eben im Laufe der Jahre a weng verloren (wir streiten ja heute bereits, was 2015 war). Man kann durchaus beurteilen, ob eine Entscheidung langfristig funktioniert hat, viel mehr aber auch nicht.

            Was ist der Unterschied zwischen „eine Meinung zu ihm haben“ (was ich darf) und „ein Urteil fällen“ (was ich nicht darf)?

            Was ist der Unterschied zwischen „ich finde Dich doof“ zu „Du bist doof“?

            9) Da kenn ich mich ehrlich gesagt zu wenig mit der Genese von S21 aus; ich hab mal was zu den Leuten in den 1990er Jahren gelesen, die damals die (heute noch aktuelle) Form des Projekts beschlossen, und da war schon viel Märklin-Romantik dabei.

            Wie gesagt, wäre es nur um die Bahn-Anbindung gegangen, hätte eine Streckenführung am Flughafen vorbei sicherlich gereicht (selbst wenn ich bezweifle, dass die Entscheidung, den direkten Anschluss an den Fernverkehr aufzugeben, damals mehrheitsfähig gewesen wäre).
            Aber S21 ist in erster Linie ein Stadtentwicklungsprojekt, dass riesige Arreale in der Innenstadt für die Bebauung freigibt, und nebenbei die gesamte Schienen-Infrastruktur im Stuttgarter Kessel und im Neckartal auf einen ziemlich modernen Stand bringt. Dagegen ist nichts einzuwenden.
            Das Fehler gemacht wurden, kann man bemängeln; sie sind nicht so grundlegend wie beim Flughafen BER, und es sind eben extrem viele Personen beteiligt.

            Dicker Schwachpunkt waren die unzureichenden Boden-Gutachten; aber hätte man hier gleich richtig nachgeschaut, hätte man das Projekt vermutlich unterlassen, und dann hätten die Stuttgarter mit den Jahren noch mehr Grund zum Meckern gehabt.

            c) Spielt sicherlich ein gewisser Idealismus mit rein. Aber schlicht auch, dass ich noch keinen Gegenentwurf gelesen hätte, der mich überzeugt.

            e) Zum Glück ist die Kritik an Beamt*innen stets faktisch und nie Herumgemaule 🙂

            Hm, nur eingeschränkt. In der Regel eigene Erfahrung, aber eben nur anekdotisch. Meine Erfahrungen mit Beamt:innen sind zum Beispiel etwa zur Hälfte ganz ordentlich (soll hießen, auf dem Niveau, dass ich von Leuten in hierarchisch niedrigen Positionen mit 9-to-5-Einstellung erwarten kann. Vom Rest sind einige sehr gut, der Großteil ist eher durch die Erfahrung geprägt, am längeren Hebel zu sitzen und im Job ungefährdet zu sein. Findet man in Unternehmen auch, aber deutlich weniger, da man auf respektvollen Kundenumgang stärker achtet.

            Meine persönlichen Erfahrungen mit (Arbeiten mit / unter) CEOs bzw. Vorständen beschränken sich auf nur eine knappe Handvoll. Zwei gerieten in Streit und zerlegten ihr Unternehmen; in einem anderen Konzern gab es einen ahnungslosen Versager-Vorstand und einen extrem leistungsfähigen CEO; der erste ein Depp, der zweite menschlich ein extremes A…….h. Aber seine Aufgabe, den Konzern sicher durch turbulente Zeiten zu bringen und Erträge einzufahren, hat er prima bewältigt. Da er nicht fürs Nettsein bezahlt wurde, hat er sein Geld wohl verdient 🙂

            j)Ich sehe was du meinst. Letztlich streiten wir uns nur über Details.

            vermutlich

            Ich würde Köln als den relevanteren Umschwung sehen denn die schieren Zahlen, aber das ist ja letztlich egal.

            Die reinen Zahlen mögen in „meinen“ Kreisen früher oder stärker eine Rolle gespielt haben; ich werde gelegentlich zum Wirtschaftsrat der CDU eingeladen, und da wurde vor Köln schon heftig diskutiert.
            Aber mit Köln liegst Du vermutlich trotzdem richtig, denn nach Köln schalteten die Medien auf „anti“, so dass danach die Kurve steil hoch ging.

            • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:53

              3) Jetzt bin ich noch verwirrter. Aber lassen wir das am besten, ich glaube, wir haben in Wirklichkeit keinen riesigen Dissens. Ich finde Schmidt ja nicht total schrecklich oder so, nur merkt man die dunklen Seiten in so Momenten halt.

              9) Danke für den Kontext.

              c) Wolltest du dazu was schreiben?

              e) Ich hab in meinem Leben echt schon viele richtig miese Führungskräfte erlebt, deswegen bin ich da etwas gebranntes Kind, fürchte ich. Bei uns im Betrieb sind alle Beamt*innen unter 40, das prägt vermutlich die Arbeitshaltung auch massiv mit.

              j) Jepp.

              • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 19:17

                e) Ich hab in meinem Leben echt schon viele richtig miese Führungskräfte erlebt

                Ich habe in meinem Leben schon echt viele richtig miese Mitarbeiter erlebt. Von vielen konnte das Unternehmen sich nicht trennen oder die Trennung war sehr kostspielig. Trotzdem bin ich kein gebranntes Kind. Warum nicht?

                Weil es um Menschen geht, Stefan. Und Menschen sind sehr unterschiedlich. Allein in Deutschland gibt es 4,5 – 5 Millionen Führungskräfte bei 34 Millionen abhängig Beschäftigten. Wie viele Menschen sind zur Führung von anderen geeignet und noch so, dass sie als richtig klasse durchgehen? Was meinst Du? Sagen wir 10%? Leider verzichten heute selbst viele von jenen, die eigentlich andere Menschen leiten könnten, darauf es zu tun. Ihnen ist die Mühsal zu groß. Die gehen dann ab. An ihre Stelle treten nicht so gute, nicht so geeignete.

                Dann kommen Leute wie Du und mosern. Dabei ist das Problem ein ganz anderes: zu viele Führungsaufgaben und zu wenig Geeignete, die den Job machen wollen, sich mit ihren Mitmenschen rumzuquälen.

                Du arbeitest in einem Bereich, wo Führungskräfte besonders schlecht bezahlt werden und die Pfeifen auf ihren Stellen bleiben bis sie pensioniert werden. Was erwartest Du? Gute Leute wollen gut bezahlt werden. Und gute Führungskräfte können es sich aussuchen, denn sie sind heiß begehrt. Sie machen Teams und Organisationen besser. Der Unterschied zu meiner Welt: bei mir kann eine schlechte Führungskraft zwar auch viel Schaden anrichten. Er wird aber nach spätestens 1-2 Jahren entfernt und hat es danach sehr schwer.

                In Deiner Welt gibt es zwei Ursachen für schlechte Führungskräfte: Der Beamtenstatus nebst Sozialgehabe und die Bezahlung. Wenn Du unzufrieden bist: da sind die Hebel.

                • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 19:43

                  Trotzdem bin ich kein gebranntes Kind.

                  Sagt der Mann, der permanent darüber klagt und fordert, dass Gesetze es ihm einfacher machen und der ganze Berufsgruppen in Bausch und Bogen verdammt.

                  • Stefan Pietsch 26. Mai 2022, 07:49

                    Du hast ganz oben als Standard zu den Vermischten stehen, die Kommentatoren mögen sich zu den Verlinkungen äußern. Ich sehe das bei meinem Post genauso und meine, Du bist völlig am Kern vorbeigeschossen.

                    Menschen werden selten by accident etwas. Ich bin über die Schiene Wirtschaftsprüfung und Controlling nicht deswegen Finanzchef geworden, weil ich unbedingt viel Buchen wollte. Und ich habe nicht ein Start-up mit aufgebaut, weil mir in der Zeit nichts Besseres eingefallen ist.

                    Ich kenne auch niemanden, der rein per Zufall Beamter wird. Das haben die Menschen angesteuert, aus sehr persönlichen Motiven. Es zeigt den Charakter eines Menschen, womit nicht gut oder schlecht gemeint ist. Aber es zeigt Werte und Wertigkeiten, Prioritäten, Neigungen. So wie bei Menschen, die Unternehmen aufbauen.

                    Warum sollte ich enttäuscht sein, wenn ich einen Beamten treffe? Bei einem Chaoten erwarte ich ja auch nicht, dass der im Berufsleben sich ausgerechnet für den Job des Buchhalters entscheidet. Und wenn doch, würde ich ihm dringend davon abraten.

                    Nur wie gesagt, hat das alles nichts mit meinem eigentlichen Post zu tun.

                    Und ja, Regeln sollen es den Menschen möglichst einfach machen. Die beste Regel ist die, welche man kaum merkt. Du scheinst es genau umgekehrt zu sehen.

              • Erwin Gabriel 26. Mai 2022, 14:25

                @ Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:53
                3) Ich finde Schmidt ja nicht total schrecklich oder so, nur merkt man die dunklen Seiten in so Momenten halt.

                Oh, darauf können wir uns einigen. Kein Mensch ist nur Licht oder nur Schatten, auch Helmut Schmidt nicht.

                c) Wolltest du dazu was schreiben?
                All das ist je stets nur Kompromiss, und mit Veränderung der Parameter bekommst Du Vorteile und Nachteile gleichermaßen. Ist beispielsweise eine Frage des Standpunktes, wie weit der Staat etwa für die Versorgung seiner Bewohner zuständig ist. Ist eine Frage des Standpunktes, wie viel Inflation oder wie niedrige Altersversorgungen man man akzeptiert, um die Zinsen niedrig zu halten.

                Aber da halte ich die ganze EZB-Bagage inzwischen (entschuldige den Ausdruck) für verblödet. Genauso gut kann ich beim Fußballer nur elf Stürmer auf den Platz stellen in der Hoffnung, dass die mehr Totre schießen als man selbst ohne Torwart reinkriegt.

                e) Ich hab in meinem Leben echt schon viele richtig miese Führungskräfte erlebt, …

                So alt bist Du doch noch gar nicht; Wenn ich meine Lehrzeit (ab 1976) mitzähle, komme ich auf zehn Jobs (4 Jahre Bundeswehr nicht mitgerechnet), und das ist schon richtig viel. Da war ein sexistischer Soziopath dabei (der erste, dem ich fast die Fresse poliert hätte, und alle anderen hätten ihn festgehalten), zwei wirklich gute Chefs, und eine Menge ordentlicher bis nicht so ordentlicher Führungskräfte im mittleren Management.

                Wenn Du echt viele, miese Führungskräfte schreibst, komme ich auf den Gedanken, dass es noch keiner war, sondern nur ein Haufen überforderter Ahnungsloser ohne Führungsausbildung.

                Bei uns im Betrieb sind alle Beamt*innen unter 40, das prägt vermutlich die Arbeitshaltung auch massiv mit.

                🙂 🙂 🙂 Vermutlich …
                Diese Altersgruppe sollte man auch nicht ohne Aufsicht lassen 😉

                • Stefan Sasse 26. Mai 2022, 18:26

                  3) Ich mach vielleicht eine Ausnahme für Hitler, Stalin, Mao und Pol Pot 😀

                  c) Wie gesagt, ich halte die EZB vor allem für überbewertet. Ein bisschen wie die Lösung der Ukrainekrise im Landwirtschaftsministerium zu erwarten.

                  e) Ich hab halt in sehr vielen Jobs gearbeitet zur Finanzierung von Leben und Studium. Keine reichen Eltern und so.

                  • Erwin Gabriel 26. Mai 2022, 19:18

                    @ Stefan Sasse 26. Mai 2022, 18:26

                    c) Wie gesagt, ich halte die EZB vor allem für überbewertet. Ein bisschen wie die Lösung der Ukrainekrise im Landwirtschaftsministerium zu erwarten.

                    Wenn Du von der Lösung ausgehst, stimme ich Dir zu. Wenn Du vom Problem ausgehst, dann nicht.

                    Selbst wenn die aktuellen Probleme durch eine Überlappung mehrerer Situationen entstanden sind (von Chinas Corona-Politik über die Haverie im Suez-Kanal bis hin zu Ukraine-Krieg), ist die EZB klarein Teil des Problems, aber kein Teil der Lösung.

                    e) Ich hab halt in sehr vielen Jobs gearbeitet zur Finanzierung von Leben und Studium. Keine reichen Eltern und so.

                    Ah, das gilt nicht. Ich habe mal Zeitungen ausgetragen; gilt auch nicht.

                    • Stefan Sasse 26. Mai 2022, 21:46

                      c) Ein Teil sicherlich, ja.

                      e) Naja, ich mein schon auch in Unternehmen und nicht nur Zeitung austragen. Also die gleichen Jobs wie andere Vollzeit hatten, nur halt zeitlich auf einige Wochen beschränkt.

        • schejtan 25. Mai 2022, 11:49

          e) CEOs und Geschäftsführer sind an Ergebnisse gekoppelt, was Beamte und normale Arbeitnehmer nicht sind

          Das wird zwar immer gern gesagt, praktisch gesehen ist es ja aber so, dass CEOs allein schon aufgrund der in der Regel befristeten Vertraege im Misserfolgsfall nicht einfach entlassen werden koennen, sondern nur beurlaubt werden und weiter ihr Gehalt beziehen oder halt ziemlich grosse Abfindungen kriegen. Was auf CEOs grosser Konzerne bezogen (und um die geht es letztendlich ja und nicht um den Geschaeftsfuehrer der Eckkneipe) bedeutet dass sie nach Vertragsabschluss unabhaengig von ihrer Leistung ein Millioneneinkommen sicher haben. Das „Risiko“ haett ich auch gerne.

          • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 13:39

            Das ist aber eine schöne Neidstory.

            Es gab mal eine Studie, da wurden Arbeitnehmer in Deutschland und der Schweiz befragt, ob sie gegen eine fest vereinbarte Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichten würden. Die Eidgenossen sahen darin nicht das geringste Problem, bei den Deutschen hieß es dagegen: Never ever.

            Der Kündigungsschutz hat für deutsche Arbeitnehmer einen außerordentlich hohen Stellenwert. Das kann ich aus der Praxis bestätigen. CEOs müssen auf diese Vergünstigung verzichten.

            Nun reklamieren sie, die würden dafür ja auch fürstlich entlohnt. Ihr Argument hätte etwas, wenn wir von einem XY Arbeitnehmer im Alter von 55 Jahren ausgehen, der per reinem Zufall von einem 08/15-Job in die Beletage gespült wurde und nach ein paar Monaten des Versagens gehen müsste. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

            Die meisten Vorstände, auch CEOs, verdienen unter 1 Million Euro pro Jahr. Kleine Faustformel: Der Geschäftsführer (Vorstand) eines in Deutschland ansässigen Unternehmens mit einem Umsatz von 50 Mio. – 1 Milliarde Euro bekommt je nach Branche 150.000 – 500.000 Euro Jahresgehalt.

            Wer es an die Spitze gebracht hat, hat darauf seine gesamte Karriere hingearbeitet. Er bekommt nicht über Nacht ein sehr hohes Salär. Die Auszahlung eines Teil des Vertrages ist da ganz nett, aber nicht kriegsentscheidend. Das ist es eher bei Arbeitnehmern, die nach 40 Berufsjahren eine Abfindung in Höhe von 2 Jahresgehältern bekommen. Das ist übrigens ein Punkt, den die Neidischen übersehen: im Gegensatz zu Vorständen vollzieht sich praktisch jede Kündigung eines Arbeitnehmers in Deutschland unter Zahlung einer Abfindung.

            Der Fall, dass ein CEO, frisch eingestellt, gleich wieder gehen muss und seinen 5-Jahresvertrag ausbezahlt bekommt, ist eine Neidgeschichte. Typischerweise kommt es im 2. – 4. Jahr zur Trennung. Nur ist der Ruf dann oft verbrannt und der ehemalige Exekutive hat Probleme im Anschluss.

            Die wenigsten wollten mit CEOs tauschen, wenn sie mal ein paar Monate einen solchen begleitet haben. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig.

            Übrigens sollte das für Sie ein Plädoyer für Familienunternehmen und PE-geführte Konzerne sein: die sind nämlich bei Gehältern wie Abfindungen besonders knauserig.

            • schejtan 25. Mai 2022, 15:11

              Mein Jobtitel faengt ja auch mit C an und hoert mit O auf und ich nehme auch an Board Meetings teil, die Situation in SMEs ist mir daher persoenlich bekannt. Deshalb meine Einschraenkung auf CEOs grosser Konzerne. Das sind ja letztendlich auch die CEOs die die oeffentliche Wahrnehmung praegen. Und so sehr Sie, Thorsten, und Erwin immer wieder sagen, dass die CEO Entlohnung nur die Unternehmenseigentuemer zu interessieren hat (was ich grundsaetzlich auch nicht grossartig ander sehe), hat das mit der Realitaet nicht viel zu tun. Letztendlich koennen solche Gehaelter nur gezahlt werden, wenn sie gesellschaftlich akzeptiert werden. Und dafuer sind die schon recht regelmaessigen Geschichten von Vorstaenden (oder auch zum Beispiel Fussballtrainern und -spielern; siehe zum Beispiel Schalke 2020/2021 oder HSV im allgemeinen), die bei Misserfolg trotzdem ihre Millionen einstreichen, waehrend sie anderseits das Leistungsprinzip predigen und eventuell „normale“ Mitarbeiter betriebsbedingt entlassen werden, nicht unbedingt hilfreich. Ist es nicht verstaendlich, dass sich sowas nicht mit dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen vereinbaren laesst?

              • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 19:02

                Es ist echt interessant, obwohl wir fast vollständig übereinstimmen, können wir uns über alles streiten.

                Ich reagiere reflexartig, wenn ich höre, man müsse auf das allgemeine Empfinden Rücksicht nehmen. Ich bin in Zeiten aufgewachsen, wo genau das abgelehnt und als Befreiung gefeiert wurde. Ich selbst habe für mich, meistenteils privat, die Haltung mich kein bisschen um das zu kümmern, was andere von mir denken könnten. Ich mache, was ich für richtig halte, denn es ist mein Leben. Und ich habe nur dieses eine.

                Dennoch weiß ich, dass wir in vielem auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen sind. Soweit ist das also nicht her mit der Befreiung. 🙂

                Ich weiß allerdings auch, dass es gerade in Deutschland nirgends so viel Neid gibt wie bei den Managervergütungen. Meistenteils haben die Leute – und auch die im Umfeld Beschäftigten – absurde Vorstellungen, was man selbst bekommt. Vor Jahren haben mein Kollege und ich in Exekutive-Funktion die deutsche Gesellschaft einer Publikumsgesellschaft vor dem Exitus gerettet. Wir hatten nur den Neid unserer Mitarbeiter, die meinten, wir verdienten uns eine goldene Nase, während unsere Gehälter gerade 10% – 15% über dem der bestbezahlten Tarifangestellten lagen. Während die Weihnachtsgeld kassierten, bekamen wir keinen Bonus, weil leider die überehrgeizigen Ziele nicht erreicht. Da könnten Sie den ganzen Tag kotzen über so eine Haltung der eigenen Leute. Und den Neid.

                Die Trainer des HSV und von Schalke bekommen keine Millionengehälter. Und auch keine Millionenabfindungen. Die liegen bei 200.000 – 400.000 Euro. Der Trainer des 1. FC Köln bekommt derzeit 900.000 Euro. Dafür hat er eine Mannschaft, die zu nicht mehr als Fast-2.Liga taugte, ins internationale Geschäft geführt. Er sorgte für gravierende Wertsteigerung des Kaders und deutliche Zusatzeinnahmen des Vereins. In Summe lässt sich der von Steffen Baumgart in einer Saison geschaffene Mehrwert mit 20 Millionen Euro Plus bewerten.

                Dafür verlangt Baumgart bei einer Vertragsverlängerung eine Steigerung seines Salärs auf 1,7 Millionen Euro. Schon heute hat er das locker eingespielt.

          • Erwin Gabriel 25. Mai 2022, 14:14

            @ schejtan 25. Mai 2022, 11:49

            Das wird zwar immer gern gesagt, praktisch gesehen ist es ja aber so, dass CEOs allein schon aufgrund der in der Regel befristeten Vertraege im Misserfolgsfall nicht einfach entlassen werden koennen, sondern nur beurlaubt werden und weiter ihr Gehalt beziehen oder halt ziemlich grosse Abfindungen kriegen. Was auf CEOs grosser Konzerne bezogen (und um die geht es letztendlich ja und nicht um den Geschaeftsfuehrer der Eckkneipe) bedeutet dass sie nach Vertragsabschluss unabhaengig von ihrer Leistung ein Millioneneinkommen sicher haben. Das „Risiko“ haett ich auch gerne.

            Wenn Du dieses „Risiko“ auch gerne hättest, werde doch CEO. Gute Vorstände werden überall benötigt.

            Das meine ich nicht mal gehässig, aber mach Dir doch mal Gedanken, warum Du kein CEO bist. Fehlen Dir Studium und Berufserfahrung? Fehlen Dir Beziehungen (auch die muss man sich erarbeiten)? Fehlt Dir die Bereitschaft, für zwei, drei Jahrzehnte alles dem Job unterzuordnen?

            Ist wie mit Rockstars oder Fußballern. Die an der Spitze verdienen einen Haufen Geld. Aber es gibt Millionen, die sich auf den Weg machen, und es trotz enormer Plackerei nicht schaffen. Wer – ob als Vorstand, Politiker, Sportler oder Musiker – ganz oben ist, hat in der Regel einen Preis bezahlt, den zumindest ich nicht bezahlen möchte. Das gebe ich zu bedenken.

            • schejtan 25. Mai 2022, 15:26

              Ich habe im Allgemeinen nichts dagegen, dass Menschen gut entlohnt werden. Ich find halt nur die Erzaehlung, dass eine Managerlaufbahn mit Ziel CEO doch so risikoreich und voller Entbehrungen im Vergleich zu anderen Karriereplaenen ist ein wenig albern. Und wie du ja richtig schreibst, es gibt es Felder mit grossen Einkommensspreizungen; nur ist der Unterschied zwischen denen an der absoluten Spitze und denen die sagen wir mal in der Mitte haengen bleiben, nicht unbedingt dass die ersteren sich halt noch mehr anstrengen oder noch talentierter sind, sondern dass ist dann auch einfach mal Glueck. Meinetwegen sollen die Menschen dass viele Geld dann auch verdienen, aber man sollte dann auch ehrlich genug sein und zugeben, dass es eben nicht nur an den einzigartigen Faehigkeiten dieser Menschen und einzigartigen Entbehrungen liegt. Zumal du mit letztem den Menschen, die entbehrungsreiche Jobs haben und deutlich weniger verdienen (Standardbeispiel Pflege) gegen den Kopf stoesst.

              Und ich bin natuerlich kein CEO weil ich als Physiker zu logisch denke, um wirtschaftliche Zusammenhaenge verstehen zu koennen 😉

              • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 19:06

                Der Punkt ist: es gibt nur sehr wenig geeignete Führungskräfte für diese Positionen. Die werden händeringend gesucht. Ich kenne Fälle, da blieben Vorstandspositionen mehr als ein Jahr unbesetzt, weil einfach kein Kandidat angeworben werden konnte.

                Und Sie wissen, wie das mit Knappheit und Preisen ist.

                • schejtan 26. Mai 2022, 14:40

                  Ja, mir ist das Argument mit der Knappheit wohl bekannt. Nur waere es glaubwuerdiger, wenn es nicht nur Grossverdiener angewandt wuerde, sondern auch auf Leute im Niedrig- bis Durchschnittslohnbereich. Da wird dann haeufig jedoch einfach nur beklagt, dass die Menschen nicht bereit sind, zu den angebotenen Loehnen zu arbeiten, anstatt bessere Konditionen zu bieten.

                  Und es ist ja auch nicht so, dass Knappheit der einzige Faktor ist. Spitzensportler sind allen Sportarten rar, trotzdem verdient der Fussballer in Deutschland deutlich mehr als der Handballer und der Basketballer in der NBA deutlich mehr als der Basketballer in der deutschen Liga. Ganz einfach weil die jeweiligen Vereine einfach mehr Geld zur Verfuegung haben.

                  Wie gesagt, ich hab grundsaetzlich nichts dagegen, dass Menschen hohe Gehaelter beziehen. Aber man soll doch bitte nicht so tun, als ob es dafuer rein objektive, allgemeingueltige Regeln gaebe und sie so jedlicher Kritik entziehen. Letztendlich kommt es doch darauf an, wieviel der Arbeitgeber zahlen kann, wieviel bereit er bereit ist zu zahlen, und ob der Arbeitnehmer bereist, zu dem Gehalt zu arbeiten. Und das ist dann auch staerker subjektiv oder um eine Bruecke zu Stefans letzter Buchbesprechung zu schlagen durch Narrative gepragt als zugegeben wird.

                  P.S.: Ihren Hinweis auf Unternehmen, bei denen Vorstandsposten laengere Zeit unbesetzt bleiben ohne dass sie untergehen, nehme ich mal als Belegen, dass die Posten nicht so wichtig sind wie getan wird 😉

                  • Stefan Pietsch 26. Mai 2022, 20:51

                    Ehrlich gesagt mich interessiert nur ein Gehalt und das ist meins. Es wundert mich, wie sehr manche sich den Kopf über die Einkommen völlig fremder Menschen zerbrechen.

                    Die Gehälter von Pflegern und Erzieherinnen sind im letzten Jahrzehnt wesentlich schneller gestiegen als die durchschnittliche Lohnentwicklung. Wo ist das Problem? Obwohl mich das schon mehr interessiert, werden diese Einkommen doch hauptsächlich aus Steuern und Sozialbeiträgen bezahlt. Und das ist im weiteren Sinne mein Geld. Können Sie mir an der Stelle erklären, warum die meisten da so großzügig tun, aber dort, wo sie selbst nicht bezahlen müssen, meinen sich über hohe Gehälter eschauffieren zu müssen?

                    Guter Punkt mit den Spitzensportlern: Da Sportvereine nicht gewinnorientiert arbeiten, bleibt das gesamte Geld im Kreislauf und wird immer neu verteilt. Wenn Topspieler, ach nein, eigentlich alle im Zirkus, hohe bis absurd erscheinende Gehälter bekommen, dann liegt das einzig daran, dass die Zuschauer diese pushen. Sie bezahlen die Gehälter mit ihren Pay-TV-Gebühren, Käufen von Trikots und Tickets. Ein Salary-Cap ist da aussichtslos, wo soll das Geld eigentlich hin? In anderen Sportarten wird nur aus einem Grund weit weniger verdient: weil es nicht genügend Zuschauer gibt, die bereit sind zu zahlen.

                    Die Posten werden ja kommissarisch weiter ausgeübt. Sollten Sie eigentlich wissen, wenn Sie im Titel ein C und ein O führen. Nur leidet sehr wohl die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Eine gute Spitze ist durch nichts zu ersetzen. Oder stellen Sie sich mal einen Proficlub ohne Cheftrainer und Manager vor.

                  • Erwin Gabriel 27. Mai 2022, 15:52

                    @ schejtan 26. Mai 2022, 14:40

                    Ja, mir ist das Argument mit der Knappheit wohl bekannt. Nur waere es glaubwuerdiger, wenn es nicht nur Grossverdiener angewandt wuerde, sondern auch auf Leute im Niedrig- bis Durchschnittslohnbereich.

                    Du zeichnest ziemlich schwarz-weiß. Du kannst solche Schemata nur bei spezialisierten Jobs durchführen. Wenn ich 10 LKW-Fahrer:innen habe und brauche 12, kann man die nicht einfach für entsprechend mehr Geld einstellen, da man dann die anderen nachziehen müsste und dann die Dienstleistung so teuer wird, dass man nicht mehr konkurrenzfähig ist. Desgleichen etwa in den Pflegeberufen, wo die Krankenkassen nicht nach Bedarf, sondern nach festen Tarifen zahlen.

                    Und es ist ja auch nicht so, dass Knappheit der einzige Faktor ist. Spitzensportler sind allen Sportarten rar, trotzdem verdient der Fussballer in Deutschland deutlich mehr als der Handballer und der Basketballer in der NBA deutlich mehr als der Basketballer in der deutschen Liga. Ganz einfach weil die jeweiligen Vereine einfach mehr Geld zur Verfuegung haben.

                    Ja. Das wirken des Marktes …

                    Wie gesagt, ich hab grundsaetzlich nichts dagegen, dass Menschen hohe Gehaelter beziehen. Aber man soll doch bitte nicht so tun, als ob es dafuer rein objektive, allgemeingueltige Regeln gaebe und sie so jedlicher Kritik entziehen.

                    Zum einen: Wer tut das?
                    Stefan P. nicht, ich nicht; wir beide wissen, dass es schlechte CEOs / Vorstände / Geschäftsführer gibt, und wir wissen auch, welch große Auswirkungen gute bzw. schlechte Chefs haben können. Es gibt halt nur abweichende Anforderungen und Regeln für diese Positionen, so dass Vergleiche mit üblichen Angestellten sinnlos sind. Bill Gates, Steve Jobs, Elon Musk, Jeff Bezos, aus Deutschland etwa Dietmar Hopp und Hasso Plattner, Wolfgang Reitzle oder sogar Matthias Döpfner sind Führungskräfte, die einen gewaltigen Unterschied machen zwischen Erfolg oder Misserfolg. Das Wirken eines Jeff Bezos macht einen erheblich größeren Unterschied als das Wirken von 10.000 Packer:innen; die Vergütung orientiert sich auch an solchen Dingen.
                    Zum zweiten: Deine Kritik gilt genauso für Mitarbeiter:innen, oder Beamt:innen etc.; auch dort gibt es keine Vergütung nach Leistung, sondern in der Regel nach Gruppe; auch dort gibt es versager, Arschlöcher, Leistungsträger etc. Das kann man genauso gut oder schlecht verargumentieren wie die höhere Gehaltsklasse der CEOs.

                    Letztendlich kommt es doch darauf an, wieviel der Arbeitgeber zahlen kann, wieviel bereit er bereit ist zu zahlen, und ob der Arbeitnehmer bereist, zu dem Gehalt zu arbeiten. Und das ist dann auch staerker subjektiv oder um eine Bruecke zu Stefans letzter Buchbesprechung zu schlagen durch Narrative gepragt als zugegeben wird.

                    Oh, es geht Dir nur um Semantik; dann hatte ich Dich falsch verstanden. Da kann ich zustimmen (wenn man das Wort „zugeben“ durch „annehmen“ ersetzt).

                    Ich hatte Dich so interpretiert, als ginge es um soziale Gerechtigkeit (deren Bewertung rein subjektiv ist und die daher keinen Sinn macht.).

                    P.S.: Ihren Hinweis auf Unternehmen, bei denen Vorstandsposten laengere Zeit unbesetzt bleiben ohne dass sie untergehen, nehme ich mal als Belegen, dass die Posten nicht so wichtig sind wie getan wird

                    Ay, hier vermisse ich ein wenig den Wissenschaftler …

                    Ob ein Krankenhaus einen Chirurgen, eine Universität einen Dozenten oder ein Fussballverein einen Stürmer nicht besetzen kann, geht das Leben natürlich auch weiter.

                    • schejtan 28. Mai 2022, 10:05

                      Ach man, ich hab ja gedacht, der Zwinkersmiley haette deutlich gemacht, dass das nicht ganz ernst gemeint war.

                      Aber zurueck zum Thema: Ich kenn eure Argumentation und kann sich auch durchaus nachvollziehen. Vor allem bin ich ja der Meinung, dass vom Hartz4-Bezieher bis zum Unternehmenseigner jeder sein Geld ausgeben kann, wie er will. Es stoert mich aber halt schon (und hier ist dann vielleicht der Wissenschaftler), dass es haeufig, manchmal eben auch nur ueber Semantik, als Naturgesetz dargestellt wird und Diskussionen ueber Gehaelter daher gar nicht zulaessig. Und natuerlich gibt es da halt auch ne gewissen Reibung mit dem linken Teil meiner politischen Praegung, der halt zum Beispiel (vielleicht auch nur potentielle) gesellschaftliche Auswirkungen nicht ignorieren kann.

              • Erwin Gabriel 26. Mai 2022, 15:00

                @ schejtan 25. Mai 2022, 15:26

                Ich find halt nur die Erzaehlung, dass eine Managerlaufbahn mit Ziel CEO doch … voller Entbehrungen im Vergleich zu anderen Karriereplaenen ist ein wenig albern.

                Ayayay, Albern ist schon ein hartes Wort für mich dafür, dass Du eine andere Meinung hast oder andere Erfahrungen.

                … nur ist der Unterschied zwischen denen an der absoluten Spitze und denen die sagen wir mal in der Mitte haengen bleiben, nicht unbedingt dass die ersteren sich halt noch mehr anstrengen oder noch talentierter sind, sondern dass ist dann auch einfach mal Glueck.

                Da gibt es in der Tat viele Gründe: Aussehen, Ausstrahlung, Aussprache/Dialekt, Ausdauer, Ehrgeiz, (meist) Erfolg im Vorjob; Einsatzfreude, Fleiß, Formulierungskünste/Rhetorik, Gesundheit, Intelligenz, Talent, Zielstrebigkeit, Durchsetzungsvermögen, die richtige Ausbildung zur richtigen Zeit, die richtige Uni fürs Fach, Connections, soziale Kompetenz, kommunikative Fähigkeiten, die richtigen Prioritäten, die richtigen Smalltalk-Themen; manchmal reicht es für den ersten Schritt, EIN bestimmtes Detail parat zu haben oder für den geforderten Fachbereich besser zu wissen als der Befrager (Die Karriere von Matthias Döpfner, aktuell CEO der Axel Springer SE, soll angeblich begonnen haben, als er bei seinem ersten Besuch bei Friede Springer als frischgebackener WELT-Chefredakteur sich an den Flügel setzte und Chopin spielte).

                Natürlich gehört auch eine gehörige Portion Glück dazu (ohne geht es nicht); aber wie der ehemalige Kicker und aktuell Co-Trainer der Deutschen U21-Nationalmanschaft einst sagte: „Immer Glück ist Können“.

                Wie auch immer – meine Meinung, ob ein hohes CEO-Gehalt gerechtfertigt ist oder nicht, zählt nur dann, wenn ich es selbst ausbezahle.

                aber man sollte dann auch ehrlich genug sein und zugeben, dass es eben nicht nur an den einzigartigen Faehigkeiten dieser Menschen und einzigartigen Entbehrungen liegt.

                Ich denke nicht, dass ich das je getan habe. Aber nur mit Charisma und nur Glück kommst Du halt nicht weit.

                Zumal du mit letztem den Menschen, die entbehrungsreiche Jobs haben und deutlich weniger verdienen (Standardbeispiel Pflege) gegen den Kopf stoesst.

                Ich finde es immer sehr schwierig, etwas zu beurteilen, dass man nicht versteht. Man mag vieles für „ungerecht“ halten, aber das ist nur eine individuelle, subjektive Wahrnehmung. Nur zum Provozieren: Wenn ein Großer Teil der Pflegekräfte Migrant:innen sind, ist das ein Zeichen dafür, dass in deren Ländern schlechter bezahlt wird.

                Und ich bin natuerlich kein CEO, weil ich als Physiker zu logisch denke, um wirtschaftliche Zusammenhaenge verstehen zu koennen.

                Auch nicht schlecht; vermutlich weisst Du dann Vieles, was ein CEO nicht weiß. Über Physik 🙂

  • Thorsten Haupts 24. Mai 2022, 15:43

    Zu 4):
    Das kommt halt raus, wenn man ideologischer „Reinheit“ den Vorzug vor mach- und durchsetzbaren Verbesserungen gibt, die a weng unrein sind. Kennzeichen von Sektierern :-).

    Zu 8):
    Der Normenwandel ist langsam, ..
    Stimmt absolut. Soviele Leute, die in aller Öffentlichkeit schon morgens an Bierflaschen nuckeln, hätte ich vor 30 Jahren niemals zu sehen geglaubt. Was an dieser Neudefinition von „Prolo“ begrüssenswert ist, erschliesst sich mir nicht?

    Zu e)
    Wen, ausser den Eigentümern der Unternehmen dieser CEOs, hat das zu interessieren?

    Zu j):
    … überragende Mehrheit der Menschen dagegen gewesen (was nicht stimmt) …

    Die Wertung in Klammern ist ihrerseits glatt gelogen – es gab und gibt immer eine sehr deutliche Mehrheit gegen Massenmigration. Und ob die von links bewusst gefahrene Strategie, alle Migranten ausnahmslos und immer als „Flüchtlinge“ zu qualifizieren, wirklich geholfen hat, bezweifle ich stark. Ganz so blöde sind die meisten Menschen denn doch nicht.

    Zu n)
    Der alte Gegensatz zwischen „seiner Rolle verpflichtet“ und „seinen Freunden verpflichtet“. Jeder Konservative versteht instinktiv und vorbewusst, warum die Entscheidung für das letztere die richtige ist.

    Zu p)
    Kleine Überschriftenkorrektur: Mal wieder was zur Nähe zwischen EINEM Polizisten und dem Querdenker-Milieu in Zwickau. Oh, das klingt jetzt aber kaum noch nachrichtenwürdig, nicht wahr?
    Apropos, gab´s eigentlich irgendwann mal ernsthafte journalistische Bemühungen in Deutschland, z.B. die Sympathisantenszene der RAF (auf 10.000 Leute geschätzt, viele davon etabliert und in Behörden/Schulen/Universitäten) auszuleuchten? Natürlich nicht, die war ja links. Und mit Mördern zu sympathisieren, ist in der Linken eine lässliche Sünde, aber zu bisher friedlichen rechten Spinnern muss natürlich Distanz gewahrt werden. Bah …

    Zu r)
    Ist das derselbe Fratzscher, der neulich seine glorreiche Expertise zur völlig vorübergehenden und absolut harmlosen Inflation zu Markte getragen hat? Na dann.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Stefan Sasse 24. Mai 2022, 19:45

      8) Wir sehen andere Öffentlichkeiten, glaube ich.

      e) Mich.

      j) Es ist halt „glatt gelogen“, dass Flüchtlinge und Massenmigration dasselbe sind.

      n) Häh?

      r) Weiß ich nicht, bin kein Fratzscherologe.

      • Erwin Gabriel 24. Mai 2022, 22:24

        @ Stefan Sasse 24. Mai 2022, 19:45

        j) Es ist halt „glatt gelogen“, dass Flüchtlinge und Massenmigration dasselbe sind.

        Ja. Während man Flüchtlingen befristeten Unterschlupf gewährt (was OK ist), sollte man sich Immigranten genau anschauen. Man hat beides nicht getrennt, Migranten Flüchtlinge genannt und sie auch so versorgt.
        Meiner Meinung nach ein Riesenfehler.

        • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 07:43

          Bei uns ist es aber inzwischen das selbe, das sagen ja die Parteien auch ganz offen. Flüchtlingen erhalten die großzügige Möglichkeit, dauerhaft in Deutschland zu bleiben und hier die Staatsbürgerschaft zu erwerben. Das ist so gewollt und wird in der Masse der Fälle längst genutzt.

          Wenn Stefan also meint, man solle Flüchtlinge und Migration auseinanderhalten, dann betreibt er Augenwischerei, schließlich befürwortet er selbst das Ineinanderübergehen.

        • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 07:57

          Umgekehrt ist aber auch unzulässig, massenhaft Geflüchtete einfach pauschal unter „Migration“ zu fassen. Das Problem ist halt die Trennschärfe: das lässt sich ja oft gar nicht sauber trennen.

          • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 09:13

            Wieso setzt Du Dich dann so vehement dafür ein, Flüchtlingen ein dauerhaftes Bleiberecht und Integration (Stichwort: Spurwechsel) zu schaffen?

            • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:41

              Tue ich nicht. Ich setze mich dafür ein, nicht Leute nach Afghanistan abzuschieben, und ich würde behaupten, die Ereignisse haben mir da ziemlich Recht gegeben.

              • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 18:39

                „Echte“ Flüchtlinge kommen immer aus Ländern, wo die Verhältnisse schlimm sind. Migranten wollen einwandern, weil sie im Einwanderungsland bessere Verhältnisse vorzufinden meinen als in ihrem Heimatland. Siehst Du wirklich nicht die Schnittmengen?

                „Echte“ Flüchtlinge wollen und müssen zurückgeführt werden, wenn der Kriegszustand in ihrer Heimat endet. Das ist typischerweise nach einigen Jahren der Fall. „Einige Jahre“ ist jedoch der Terminus, bei dem viele, und nicht nur in Deutschland, sagen, da muss man den Flüchtlingen doch eine Bleibeperspektive im Fluchtland eröffnen. Das ist nach allem, was ich von Dir weiß, exakt Deine Position.

                An dieser Stelle wird der Kreis von Migranten und Flüchtlingen aber praktisch identisch. Da das inzwischen ein weit verbreitetes Verständnis ist, ist nicht verständlich, warum Du so viel Wert auf die begriffliche Trennung legst. Der Migrantenbegriff ist heute weiter als der von Flüchtlingen, aber er deckt weitgehend diese ab.

                • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 19:42

                  Und die Verhältnisse in Afghanistan, Syrien und Somalia sind nicht schlimm, oder wie?

                  • Stefan Pietsch 26. Mai 2022, 07:54

                    Hast Du gelesen, was ich geschrieben habe?

                    „Echte“ Flüchtlinge kommen immer aus Ländern, wo die Verhältnisse schlimm sind.

                    Die zentrale Frage ist, wie Du mit Flüchlingen vorgehen willst. Willst Du sie frühzeitig so integrieren, dass sich eine Rückkehr in die Heimat praktisch erledigt? Das ist doch Deine Position.

                    Und wenn das Deine Position ist, dann machst Du keinen echten Unterschied zwischen Flüchtlingen und Migranten. Du scheinst ja auch keinen bezeichnen zu können, schließlich schreibst Du die ganze Zeit nur dagegen an, man dürfe es nicht gleichsetzen, während Du für Gleichbehandlung argumentierst.

                    • Stefan Sasse 26. Mai 2022, 13:58

                      Die wenigsten dieser Konflikte sind so gelagert, dass eine schnelle Rückkehr möglich ist. Sinnvoll – volkswirtschaftlich wie politisch – ist daher, den Menschen die Möglichkeit der Integration zu geben. Aber natürlich existiert ein Dilemma: Die Möglichkeiten für Geflüchtete sind sehr ähnlich zu den Möglichkeiten für Migrant*innen. Sprachkurse, Arbeitserlaubnis etc. erfüllen dieselbe Funktion, ob für Migrierte oder Geflüchtete. Nur, was ist die Alternative? Die Leute jahrelang in einem Lager ohne Kontakt zur Außenwelt leben lassen? Das ist weder eines demokratisch-rechtsstaatlichen Landes würdig noch sinnvolle Politik.

                    • Stefan Pietsch 26. Mai 2022, 20:38

                      Mein Problem ist, dass Du mit einer gewissen Empörung eine Debatte über die Definition und Abgrenzung von Flüchtlingen und Migranten eröffnet hast, Deinen Punkt aber zu keinem Zeitpunkt konkretisiert hast.

                      Tatsächlich versteckst Du Deine Intensionen. Das verunmöglicht es, konkret zu debattieren. Es ist legitim, Flüchtlinge und Migration auf eine Stufe zu stellen, genauso wie auf eine scharfe Trennung zu beharren. Wenn Flüchtlinge wie normale Migranten behandelt werden sollen, haben wir eine andere Lage. Denn dann muss ein Staat genauer hinschauen, wem unter dem Status des Flüchtlings tatsächlich Zuflucht gewährt wird, wenn dies ohnehin nur ein Zwischenschritt zur Migration sein soll.

                      Für das Gros der im letzten Jahrzehnt nach Deutschland zugewanderten Flüchtlinge gilt weder Artikel 16a Grundgesetz noch die Genfer Flüchtlingskonvention. Dennoch sind die meisten hier geblieben. Das ist ein grundsätzliches Problem, wenn es ohne gesellschaftliche Debatte und Konsens erfolgt. Beides fehlt und ist nicht die beste Basis für ein gutes Zusammenleben. Ein Beispiel: Linke Milieus führen seit mehr als einem Jahrzehnt eine eifrige Debatte, was alles toxisch sei (meist in Verbindung mit „männlich“), wie wichtig die Beteiligung von Männern an der Erziehungs- wie Hausarbeit sei, wo die eigene Überzeugung notfalls auch mit der Knute des Gesetzes durchzusetzen sei. Aber wesentliche Bereiche der Gesellschaft bleiben bei dieser innerdeutschen Debatte ausgeblendet. Dort, wo toxische Männlichkeit nach allen Studien (und strafrechtlichen Ermittlungen) sich konzentriert, dort wo altertümliche Familienbilder am häufigsten gelebt und am vehementesten – auch mit Gewalt – verteidigt wird.

                      Ergebnis, wenn wir unehrlich sind.

                      Und ja, wir können Flüchtlinge zurückführen, wenn der heiße Krieg in ihrem Land endet. So wurde in den Neunzigerjahren verfahren, so wird es meistenteils auf dem Erdball gehandhabt. Alles andere würde die Ungleichheit auf der Welt nur vergrößern. Und das sollte kein geringes Argument sein.

                  • Erwin Gabriel 27. Mai 2022, 16:37

                    @ Stefan Sasse 25. Mai 2022, 19:42

                    Und die Verhältnisse in Afghanistan, Syrien und Somalia sind nicht schlimm, oder wie?

                    Doch, sind sie; ich möchte da nicht leben wollen. Aber Du drehst Dich mit Deiner Argumentation im Kreis. Wenn man den Flüchtlingen aus diesen Ländern aufgrund der genannten Umstände hier einen Aufenthalt genehmigen muss, müsste das genauso für alle anderen Einwohner dieser Staaten gelten.

                    Zur Info:
                    Afghanistan: 39 Mio. Einwohner
                    Somalia: 16 Mio. Einwohner
                    Syrien: 18 Mio. Einwohner

                    Dazu kommen noch andere Länder, denen es mindestens genauso schlecht geht:
                    Burundi: 12 Mio. Einwohner
                    Jemen: 30 Mio. Einwohner
                    Kongo: 90 Mio. Einwohner
                    Libyen: 7 Mio. Einwohner
                    Madagaskar: 28 Mio. Einwohner
                    Malawi: 20 Mio. Einwohner
                    Mozambik: 32 Mio. Einwohner
                    Niger: 24 Mio. Einwohner
                    Sierra Leone: 8 Mio. Einwohner
                    Sudan: 44 Mio. Einwohner
                    Zentralafrikaniche Republik: 5 Mio. Einwohner

                    (Aufzählung unvollständig)

                    In dieser Liste fehlen alle anderen, die aufgrund ihrer politischen Standpunkte, aufgrund ihrer Religion, aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Hautfarbe, aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.

                    Nach Deinen hier geäußerten Meinungen und hier genannten Kriterien müssten wir jede Person aus diesen Ländern oder Gruppen aufnehmen, die uns darum bittet, und über unser Sozialsystem versorgen. Du weißt, dass wir die nicht alle aufnehmen können, aber Deine Einstellung erlaubt es Dir nicht, irgend jemandem aus diesen Ländern bzw. Gruppen eine ablehnende Antwort zu geben.

                    Ich verstehe den Zwiespalt, aber Deine Antwort ist aus meiner Sicht durchaus unbefriedigend. Wenn wir weder in der Lage noch bereit sind, all diese Menschen aufzunehmen, müssen wir Kriterien entwickeln, nach denen wir Entscheidungen treffen.

                    Mit dem gleichen Zwiespalt, der Dich umtreibt, wird die Festlegung solcher Kriterien allerdings verweigert.

                    Selbst wenn weder alle hierher wollen noch können, sind es (wie Du nicht müde wirst zu betonen) doch ganz schön viele, die das wollen (und die gewaltsam abgewiesen werden), und noch mehr, die wollen würden, wenn sie denn nur eine bessere Chance erkennen könnten.

                    Und wie nennt man das, wenn ein Staat wie Deutschland oder ein Staatenbund wie die EU Sachverhalte erkennen, die ein Handeln umgehend erforderlich machen, die sich aber weigern zu handeln?

                    • Thorsten Haupts 27. Mai 2022, 20:25

                      Genau deshalb, weil Linke auf die Frage „Wen wollen und können wir aufnehmen“ unter dem Strich keine andere Antwort haben als „Alle“ haben sie den Kampf um Massenmigration/ Massenflüchtlingsaufnahme de facto verloren. Ich bin deshalb gar nicht undankbar, dass alle Diskussionen mit Linken in dieser Frage genauso enden.

                      Für „alle“ haben sie keine Mehrheit und werden auch nie eine bekommen. Offensives Werben für Massenmigration ist ein sicherer Wahlverlierer in allen westeuropäischen Staaten (in den osteuropäischen sowieso).

                      Übrigens endet die Antwort ALLER Linken (im weitesten Sinne) bei „alle“. Denn auch diejenigen, deren erste Antwort „nicht alle“ lautet, haben spätestens auf die Anschlussfrage „Welche gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung treffen wir und wie setzen wir diese durch?“ wieder nur Antworten, die auf „alle“ hinauslaufen.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 28. Mai 2022, 09:51

                      Mein Argument ist: wir können in diese Staaten nicht abschieben. Das verbieten die Menschenrechte, die Flüchtlingskonvention, etc. Das heißt nicht, dass wir die alle aufnehmen müssen oder dass die ein Grundrecht haben, spezifisch nach Deutschland zu kommen. Es heißt, dass diejenigen, die hier sind, nicht einfach in ein Kriegsgebiet verbracht werden dürfen. Du vermischst das Abschieben immer unzulässig mit dem Reinlassen und tust dann so, als wäre ich für eine Maximalposition, die ich gar nicht halte.

                      Unbefriedigend ist allerdings, fürchte ich, jede Antwort in diesem Dilemma.

          • Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 09:41

            Das Problem ist halt die Trennschärfe: das lässt sich ja oft gar nicht sauber trennen.

            Ist nicht der Kern des Problems. Hat man Leute erst einmal innerhalb der Europäischen Union, ist das eigentliche Problem, dass echte und zeitnahe Massenabschiebungen für Nicht-Flüchtlinge praktisch undurchführbar werden, die Leute bleiben also realistischerweise unabhängig von ihrem Status (!) trotzdem dauerhaft hier.

            Und das genau ist de facto eben Masseneinwanderung über Flüchtlings- bzw. Asylverfahren.

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Erwin Gabriel 25. Mai 2022, 14:04

              @ Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 09:41

              Hat man Leute erst einmal innerhalb der Europäischen Union, ist das eigentliche Problem, dass echte und zeitnahe Massenabschiebungen für Nicht-Flüchtlinge praktisch undurchführbar werden, die Leute bleiben also realistischerweise unabhängig von ihrem Status (!) trotzdem dauerhaft hier.

              Genau das!

              Es gibt klare Regeln und Verfahren nur in der Theorie, nicht in der Praxis

            • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:45

              Rechtsstaat gilt halt für alle.

              • Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 20:43

                Mit welcher exakten Begründung man die unbestreitbaren Fakten billigend zur Kenntnis nimmt, interessiert mich dann nur am Rande. Bin da liberal. Flüchtlingsrecht + Asylrecht = Massenzuwanderung, case closed.

                Und bevor Klugscheisser um die Eclke kommen „aber die aktuellen Zahlen“. Ne, echt? Die ergeben sich aus einem massenhaften, dauerhaften, Verstoss der EU-Staaten gegen ihr geltendes Recht, was genau betrachtet ebenso richtig Sch* ist. Nur, weil sie zu feige sind, es den bekannten und ebenso dauerhaften Umständen anzupassen.

                Gruss,
                Thorsten Haupts

              • Erwin Gabriel 26. Mai 2022, 15:05

                @ Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:45

                Rechtsstaat gilt halt für alle.

                Unser Rechtsstaat gilt für die, die hier sind, sollte aber nicht für alle auf der Welt gelten, die mal einen Fuß in unser Land setzen. Wird aber weitgehend so behandelt. Wenn Du den Unterschied nicht verstehen willst, macht aber eine Diskussion keinen Sinn.

                • Stefan Sasse 26. Mai 2022, 18:28

                  Wir diskutieren gerade über diejenigen, die hier sind, nichts weiter. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, nach Deutschland zu kommen. Die EU hätte sich vor über zehn Jahren einen Verteilungsmechanismus geben müssen, dann hätten wir das ganze Thema nicht. Aber das ist ein völlig anderes Thema.

                  • Erwin Gabriel 27. Mai 2022, 16:40

                    @ Stefan Sasse 26. Mai 2022, 18:28

                    Wir diskutieren gerade über diejenigen, die hier sind, nichts weiter. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, nach Deutschland zu kommen.

                    Und dennoch beharrst Du darauf, dass wir keinen abweisen dürfen, der an unserer Grenze steht und hier um Asyl bittet.

                    • Stefan Sasse 28. Mai 2022, 09:51

                      Nein, tue ich nicht. Dafür gibt es ja Prüfverfahren. Dass Asyl- und Geflüchtetenrecht heillos miteinander vermixt wurden steht außer Frage.

      • Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 09:38

        Zu n):
        Gegen die Information eines Freundes (sic!) über für ihn drohende negative Berichterstattung kann man nur mit der Rollenfunktion (hier als ZEIT Herausgeber) argumentieren, weil diese Rollenfunktion im Verständnis vieler Leute die Freundschaftspflicht überschreibt. Und diese Überschreibung ist dezidiert nicht konservativ. Klar genug?

        • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:45

          Jetzt hab ich’s verstanden. Ich stimme allerdings nicht zu. Ich VERSTEHE seine Entscheidung zwar, aber sie bleibt falsch. Dass aus konservativer Sicht das nicht so ist bestätigt einige meiner Vorurteile 😀

          • Thorsten Haupts 25. Mai 2022, 18:07

            Gut.

          • sol1 25. Mai 2022, 22:28

            Relevant:

            /// Im Februar 1993, beim traditionellen Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau, begrüßte Streibl sein Auditorium in der Nibelungenhalle mit den Worten „Saludos Amigos!“. Er stellte in seiner Rede die rhetorische Frage „Freunde zu haben, ist das eine Schande bei uns in der CSU?“ Seine Anspielung auf die Verquickung von Politik und Wirtschaft löste großen Beifall und vereinzelte Pfiffe aus. ///

            https://de.wikipedia.org/wiki/Amigo-Aff%C3%A4re

        • CitizenK 26. Mai 2022, 18:27

          Mir ist das nicht klar, hätte es entgegengesetzt erwartet.

          Wäre dann auch Kohl mit seinem Ehrenwort aus konservativer Sicht rehabilitiert? Oder gilt das nur bei Gesetzes-Verstößen?

      • cimourdain 25. Mai 2022, 14:01

        8) Genau das ist der Schlüssel, ihr sehr beide gleiche Dinge, aber nehmt nur die eine Hälfte wahr:
        Es gibt (gefühlt) in der Großstadt immer mehr Leute, die öffentliche Plätze als ‚erweitertes Wohnzimmer‘ nutzen – Alkoholkonsum inklusive. Das ist nicht nur das von Thorsten Haupts erwähnte Prolomilieu, sondern auch (seit 2020) Picknicks im Park mit Weinflasche.
        Andererseits gibt es tatsächlich öffentliche Räume, wo Alkohol verbannt ist. Und zwar im sehr konkreten Sinn, dass ein Sicherheitsdienst kommen kann. Das ist der öffentliche Verkehr, einschließlich der Stationen und das sind manche Einkaufsstraßen.

        • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:51

          Schwer zu sagen, solange wir nur anekdotische Evidenz haben. Bräuchte es eine Studie.

        • Derwaechter 26. Mai 2022, 09:31

          Im öffentlichen Verkehr ist Alkohol verboten? Das wusste ich gar nicht. Das war doch früher nicht so. Verkaufte die Bahn nicht sogar Bier und Wein an Bord. Sowohl im Bistro als auch mit diesen mobilen Verkäufern die durch die Gänge gehen?

          • Ariane 26. Mai 2022, 12:54

            Ich meine, das ist regional unterschiedlich. Also in Bremen ist es verboten, in Hamburg auch. Im Fernverkehr des ICE-Bistros vermutlich nicht, da sind besoffene Fahrgäste aber vermutlich auch nicht so das Problem.

            • Stefan Sasse 26. Mai 2022, 13:58

              Im Bistro wäre es ja auch nochmal ein Unterschied.

            • derwaechter 26. Mai 2022, 17:38

              Die Zeiten ändern sich. Ich habe früher auf dem Weg heim gerne Mal ein Fischbrötchen und ein Bier im RE dabeigehabt 🙂

              Aber prinzipiell finde ich das OK. Ist ja in den meisten anderen Ländern auch so.

              • Ariane 26. Mai 2022, 23:05

                Schätze, hier in der Provinz würde das auch keinen interessieren. Und glücklicherweise wird ja noch kein Fischbrötchen-Verbot diskutiert 🙂

          • Stefan Sasse 26. Mai 2022, 13:58

            Zumindest in Bussen und S-Bahnen auf jeden Fall.

  • Stefan Pietsch 24. Mai 2022, 21:45

    h) Der Steuer- und Regulierungsstaat von seiner schlimmsten Seite.

    Das Beste zum Schluss: klein und versteckt. Nein, das ist nicht der Irrwitz des Steuerstaates, sondern die Tollwut von Bürgern, die alles reguliert haben möchten. So, der Verkauf von selbstgebackenem Kuchen soll nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Darf ich fragen, weshalb?

    Ein Unternehmen bekommt aufgrund der hervorragenden Geschäftsbeziehungen ein paar Extra-Teile von seinem Lieferanten, gratis. Diese geschenkten Vorprodukte verarbeitet das Unternehmen, logischerweise mit Herstellungskosten von 0€ und erzielt damit einen Zusatzgewinn. Der Verkaufspreis von 100 plus Umsatzsteuer bleibt gleich. Der Fiskus bekommt auch nicht mehr Umsatzsteuer, denn der Unternehmer kann für die geschenkten Teile keine Vorsteuer ziehen.

    Zurück zum Kuchenfall: Auch hier fällt trotz der Schenkung nur einmalig Umsatzsteuer an. Die backenden Eltern müssen keine zahlen, nur die Eltern, die den Kuchen kaufen (und hoffentlich essen). Preisfrage: Warum soll der Fiskus sich daran beteiligen, den Kuchen günstiger anzubieten? Keine Ahnung.

    Wie sollte eine solche Norm aussehen, die den geschenkten Kuchen von der Umsatzsteuer ausnimmt, die Schenkung an Unternehmen aber nicht?

    „Umsatzsteuer ist auf den Verkaufspreis fällig. Es sei denn, das Vorprodukt wurde geschenkt, der Schenkende hat keine guten Absichten, das Endprodukt kommt einem wohltätigen Zweck zugute. Als wohltätige Zwecke gelten beispielsweise, wenn Kunden ihren Kuchen nicht beim Bäcker, sondern auf Schulfesten kaufen und dort konsumieren. Nehmen sie ihn jedoch mit zwecks Weiterverkauf, so ist in solchen Fällen Umsatzsteuer zu erheben.

    …“

    Wie gesagt, die Aufregung zeigt, warum unsere Steuergesetze so kompliziert sind. Weil jeder die Gesetze auf seinen Fall angepasst sehen will.

    • cimourdain 25. Mai 2022, 16:36

      In einem Punkt irren Sie sich: „Auch hier fällt trotz der Schenkung nur einmalig Umsatzsteuer an. Die backenden Eltern müssen keine zahlen, nur die Eltern, die den Kuchen kaufen (und hoffentlich essen).“
      Die backenden Eltern (oder ehrlicher: Mütter) sind nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Privatpersonen. Deswegen haben sie mit dem Erwerb der Rohstoffe bereits Umsatzsteuer bezahlt. Klüger wäre es unter diesem Aspekt, wenn die Schule (wenn umsatzsteuerpflichtig, dann auch zum Vorsteuerabzug berechtigt) die Rohstoffe kauft und den backenden Müttern zur Verfügung stellt. Noch klüger wäre es allerdings (unter Steuer- und Ernährungsgesichtspunkten), wenn die hilfsbereiten Eltern ihren Material- und Zeitaufwand kalkulieren und der Schule (oder noch besser einem gemeinnützigen Förderverein) als Geldmittel zur Verfügung stellen.

      • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:55

        Ich hab den Kuchen für unseren Kuchenverkauf selbst gebacken, mein Herr. Nicht meine Frau.

      • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 18:48

        Das ist nicht ganz korrekt. 😉 Die Lebensmittel unterliegen weitgehend dem ermäßigten Steuersatz, das Endprodukt Kuchen jedoch, so er vor Ort vertilgt wird, dem vollen. Es wurde also ziemlich wenig Umsatzsteuer gezahlt.

        Anyway, es ging ja um etwas anderes. Es sind genau solche wie im Link geäußerten Wünsche und Forderungen, die unser Steuersystem so kompliziert machen. Die Leute wollen es gar nicht einfach, sie wollen es speziell für sich. Das Umsatzsteuergesetz gilt als das komplizierteste deutsche Steuergesetz. Es war übrigens der maßgebliche Grund, warum ich vorüber 25 Jahren kapitulierte und von der Idee, das Steuerberaterexamen zu machen, Abstand nahm. Allein das Gesetz beschäftigt sich über mehrere Paragrafen in Aufsatzlänge mit der Frage, wann ein Verkaufsvorgang eigentlich zu einem steuerpflichtigen Vorgang wird. Man muss das lieben, um seine Lebenszeit damit verbringen zu wollen.

        Also, beim nächsten Mal einfach sagen: Steuerregeln sollen für alle nach Möglichkeit jederzeit gelten. Dann klappt’s auch mit der Vereinfachung.

        • cimourdain 26. Mai 2022, 12:29

          Inzwischen ist die Abgabe von Nahrungsmitteln auch in einem gastronomischen Kontext mit dem ermäßigten Steuersatz versehen. Sehen Sie auf Ihre nächste Restaurantrechnung.

  • Ariane 24. Mai 2022, 22:45

    3)
    An der Stelle darf man auch gerne endlich mal Helmut Schmidt vom Podest herunterholen; der Mann ist den Blick des Wehrmachtleutnants in mancher Beziehung echt nie losgeworden.

    Ja bitte! Hatten wir im Podcast ja auch angesprochen, dass Osteuropa außerhalb Russlands kaum vorkommt. Ist mir noch bei anderer Gelegenheit aufgefallen, weil ich etliche Bekannte/Kollegen habe, die aus Osteuropa kommen. Die laufen ja allesamt unter der Bezeichnung „Russlanddeutsche“, auch wenn sie eigentlich aus Kasachstan oder einem anderen Ex-Sowjetstaat kommen. Was in so einer Situation natürlich für noch mehr Probleme sorgt, wenn die wegen einem Osteuropa-Akzent von wildfremden Leuten angesprochen werden und sich für Putin rechtfertigen müssen. (betraf in einem Fall allerdings einen Kollegen – tatsächlich aus Russland – der mir einen Tag vorher erzählt hatte, dass Putin nur Amerika-Stellungen in der Ukraine angreift^^). Aber ist natürlich alles bescheuert.

    7) Puh, ich finde den klassischen Arbeiterbegriff unbedingt viel zu eng gefasst, aber am Ende landet man dann halt doch irgendwie bei „alles hängt mit allem zusammen“ Und natürlich gehören Unterdrückung und wirtschaftliche Macht dann zusammen – ob man nun von Arbeiter*innen redet oder nicht. Finds auch nicht so gut, alles strikt zu trennen, aber nun alles zu Problemen der Arbeiterschaft zu erklären ist mir dann auch einfach zu sozialistisch. Und die Repräsentation geht mir da zu sehr unter.

    8) Ach, da bin ich liberal. Cannabis erlauben. Gerne mit weitreichenden Präventionsmaßnahmen und Mäßigung/Eindämmung bei Alkohol, Cannabis, Tabak (und Medikamente würde ich hier btw auch nennen!).

    Aber ja, ist schön dass „Nicht-Trinken“ definitiv normaler geworden ist, ist mir neulich auch aufgefallen (ja, könnte auch am Alter liegen^^), dass es auch nicht mehr soviele Events gibt, die man als Nichtalkoholtrinkerin irgendwie auslassen „muss“)

    9)
    Kein Wunder, dass das nicht verkauft wurde; und das, wo es direkt neben dem McDonalds, einem MediaMarkt, Toom, Rewe und Poco sowie eingebettet von Sozialwohnungen direkt an der B14 liegt. Ein Mysterium.

    Hihi. Zwar sind wir hier von luxuriösen Wohntürmen noch weit entfernt, aber auch hier im Norden (da wo es für Euch Südler eh nur Schnäppchen gibt^^) ist der Markt so durcheinander, dass ich mittlerweile so radikalisiert bin, dass ich finde, es dürfte nur noch gebaut werden, wenn da fünf Jahre lang selbst gewohnt wird. Hier wird gerade für exklusive Eigentumswohnungen geworben an der absolut meistbefahrensten Kreuzung im ganzen Ort (also der einzige Stauplatz hier, dafür aber richtig!). Ernsthaft, da müsste man den Leuten eigentlich Geld für geben, wenn da freiwillig wer wohnen will. Oder auch schön: diese Reihenhäuser, die wie Bunker aussehen, kaum Fenster, dunkle Ziegel, dunkles Dach. Klar, geht schon irgendwie alles weg, aber wer will denn in einem Häuschen wohnen, das aussieht wie ein Knast?

    Während ich neulich einen Freund in Hamburg in einem ehemaligen Problemviertel besucht habe und vollkommen fasziniert von dieser Idylle mit Innenhof und Sportplatz und Park und Spielplatz war. Verkehrte Welt.

    n) Wann tut endlich mal jemand etwas gegen diese ganzen linksgrünversifften Medienmenschen-Aktivisten!!^^
    Obwohl die Formulierung „dein letzter Brief war nicht so liebevoll wie gewohnt“ wirklich absolut charmant war. Kein Wunder, dass die junge Generation die Chatsprache erfunden hat 😀

    • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 07:59

      7) Ja genau. Ich tu mich da echt ein bisschen schwer.

      9) Wohnraum ist halt so knapp, da geht alles weg.

      b) 😀

  • Stefan Pietsch 25. Mai 2022, 07:52

    2) Eine Rolle spielen

    Von der Markenwerbung wissen wir: Das Image muss zum Produkt passen. Ein Unternehmen lässt sich nur gemäß seinen vorherrschenden Eigenschaften in der Öffentlichkeit präsentieren. Würde Merz ab morgen auf Sonnyboy machen, wäre das megaunglaubwürdig. Die Kampagne ginge ins Leere und würde sich ins Negative wenden.

    3) Die Ordnung im Kopf und die Unordnung der Welt

    In der Zeit des Kalten Krieges konnten die Ostblockstaaten kaum eine eigenständige Position vertreten. Das war ein Block.

    Ich habe Schmidts Positionen in der Außen- und Sicherheitspolitik nach 2000 nicht geteilt. Aber ich habe sie über die Maßen respektiert und was er sagte, war vernünftig. Seine Position war aus seiner Vita verständlich und absolut nachvollziehbar – wie die von den meisten. Man muss nur lernen, in den Schuhen des anderen mal zu laufen.

  • cimourdain 25. Mai 2022, 10:39

    1) Die Autorin argumentiert viel aus dem kroatischen Unabhängigkeitskrieg heraus. Da zeigt sich eine interessante Parallele zur Ukraine: Auch damals gab es in einer Grenzregion eine dem ‚alten‘ Hegemon verhaftete Volksgruppe (die Kraijner Serben), gegen die der neue Nationalstaat mit Gewalt vorgegangen ist (Franjo Tudjman stand deswegen nach dem Krieg vor einer Anklage in den Haag). Damit wurde der Angriff des Hegemons begründet.

    ‚3) ‚Strategische‘ Kulturwahrnehmung: Im kalten, als es um die Wahrnehmung eines Bedrohungsblocks ging, war alles bis Ostberlin ‚die Russen‘. Und mit jeder Osterweiterung wurde die Eigenständigkeit dieses Gebietes betont. Test: Fällt dir (ohne Wiki) eine bekannte historische Person aus Belarus ein? Hierzu noch ein konkretes interessantes Beispiel: in Fundstück b) wird Paul Celan erwähnt. Der Stammt aus der Bukowina, damals Rumänien. Das Gebiet wurde 1940 der ukrainischen SSR zugeschlagen und ist auch heute Teil der Ukraine. Ist er jetzt rumänischer, sowjetrussischer, ukrainischer oder deutscher Dichter?

    7) a) Im Punkt Feminismus gebe ich dir recht, da schießt Faeser mit der Verbindung mit weiblicher Familienarbeit über das Ziel hinaus.
    7 b) Die Grauzone zwischen klassischer Chattel-Sklavenhaltung und Arbeit war groß und hat wenig mit Rasismus zu tun: Corvee, Indentur, Truck-System, Zucht- und Arbeitshäuser (Prison Work ist auch heute noch ein Thema). Und natürlich gibt es moderne Sklaverei, die von innen heraus nur durch Unionizing (=Arbeiterbewegung) bekämpft werden kann.
    7 c) In Russland wurde die Feudalsklaverei rechtlich schon im 19. Jahrhundert abgeschafft, faktisch aber erst nach der Revolution. In den zentralasiatischen Sowjetrepubliken auch erst dann rechtlich. Dafür hat der Realkommunismus das schlimmste vorstellbare System der Zwangsarbeit eingeführt.
    7d) Das wichtigste Scharnier zwischen Arbeiterbewegung und allgemeinen Menschenrechten ist die ILO, die in zahlreichen Konventionen gegen erzwungene Arbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung etc… klar Stellung bezieht. Seit 2006 gibt es auch einen eng mit ihr verzahnten internationalen Gewerkschaftsbund.

    h) Es kommt darauf an, wer den Kuchen verkauft. Wenn es nicht die Schule selbst macht, sondern z.B. ein Förderverein, muss dieser erst einmal mehr als 22.000 € durch Verkäufe (nicht Spenden) einnehmen, um über die Kleinunternehmergrenze zu kommen. Das ist eine Menge Kuchen.

    k) leicht o.t. : Ist diese Seite inhaltlich seriös? Mir erscheint sie angenehm propagandaarm:
    https://www.understandingwar.org/

    n) Da musst du die Holtzbrinck-Verlagsgruppe fragen. Anders als der ÖR mit seinen Nepotismus-Kandidaten ist die ZEIT eine rein privatwirtschaftliche Sache.

    • sol1 25. Mai 2022, 13:11

      k) Dahinter steht diese Denkfabrik:

      https://en.wikipedia.org/wiki/Institute_for_the_Study_of_War

      Die Berichte sind tatsächlich lesenswert und werden von zahllosen internationalen Medien rezipiert.

      • cimourdain 26. Mai 2022, 12:31

        Glorreiche Zeitenwende – Wenn Neocon-Falken unvoreingenommener wirken als das Gros der deutschen Presse.

    • Stefan Sasse 25. Mai 2022, 17:49

      1) „Begründet“ ist hier glaube ich echt die relevante Vokabel.

      3) Good point.

      7a) Wie gesagt, wichtiges Thema, aber ich finde es halt beim Kontext „Arbeiter*innen“ falsch aufgehoben.
      7b) Die amerikanische bzw. neuzeitlich-europäischee Sklavenhaltung war in ihrem Rassismusbezug generell ziemlich einzigartig, aber für sie war er entscheidend.
      7c) Korrekt.
      7d) Ja!

      h) Wir hatten dieses WE einen von den Eltern spontan organisierten. Eingenommen wurden 340€. Wer genau soll dafür Umsatzsteuer machen…?

      k) keine Ahnung.

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