Wie Rechtsradikale Wahlen (nicht) gewinnen

Nachdem die sechste europäische Wahl in Folge die Rechtspopulisten unter ihren Umfragewerten laden sah, wäre vielleicht die Zeit sich die Frage zu stellen, was es für eine Wiederholung des Trump-Schocks hierzulande eigentlich braucht, beziehungsweise welch magische Zutat unseren rechtsradikalen Eigengewächsen fehlt. Mangelnde Sachkenntnis? Vorhanden. Kein Sinn für Logik? Da. Schrille Persona? Meistens da. Schamlose Bestätigung rassistischer Vorurteile? Und wie. Eindreschen auf die „abgehobenen Eliten“? Man liest fast nichts anderes. Dazu haben wir sogar eine Euro- und Flüchtlingskrise. Was also fehlt den Rechten hier, das sie in den USA hatten? Die Antwort darauf ist erstaunlich einfach. Sieht man sich die links stehende Graphik der Financial Times an, fällt auf, dass der mit Abstand größte Zuwachs der Le-Pen-Wähler vom konservativen Kandidaten Fillon kommt – rund die Hälfte seiner Anhänger folgten seiner entschlossenen Führung, Macron zu wählen, nicht. Wie auch bei Mélenchon wanderte aber der Großteil dieser Hälfte ins Lager der Nichtwähler. Le Pens relativer Gewinn zu ihrem Ergebnis im ersten Wahlgang ist also mehr auf Enthaltungen zurückzuführen als auf zusätzliche Stimmen.

Worauf will ich hinaus? Rechtsradikale kommen in allen Ländern nur dann an die Macht, wenn sich die Konservativen als Steigbügelhalter andienen und die Linken zerstritten sind. Das war in Frankreich nicht der Fall. Fillon tat das moralisch richtige und gab gleich am ersten Tag nach der erstem Wahlgang eine klare Empfehlung für Macron ab, ebenso Hamon (dessen Stimmen aber eher irrelevant waren). Nur Mélenchon hielt sich lange zurück.

Hätte Fillon in der Hoffnung auf Kabinettsposten Le Pen unterstützt, wäre es für Macron deutlich enger geworden – vielleicht sogar eng genug, dass die Zersplitterung der Mélenchon-Stimmen gereicht hätte. Das war aber nicht der Fall. Im Gegensatz zu den Republicans in den USA, die in völliger moralischer Verkommenheit alle Prinzipien über den Haufen warfen um einen grotesk ungeeigneten, mental instabilen Kandidaten an die Macht zu bringen nur um Steuersenkungen durchzudrücken, haben die europäischen Konservativen sich der Zusammenarbeit beharrlich verweigert. Entsprechend haben die Radikalen selbst dann keine Chance, wenn sie die stärkste Partei stellen.

In Europa ist der Medienmarkt auch noch nicht so zerklüftet wie in den USA. Ohne ein riesiges, millionenschweres Mediennetzwerk, das nackte Parteilichkeit in widerlichsten Beiträgen betreibt und den Radikalismus damit normalisiert, tun sich die Rechten deutlich schwerer.

Von daher – ein Lob an die Konservativen in Frankreich und Europa.

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  • Floor Acita 8. Mai 2017, 13:56

    Dieser Aussage/Analyse kann ich zu 100% zustimmen. Die Frankreich Wahl ist wie gesagt ja auch transparenter, da alle Wähler zur 1. Runde aufgerufen sind, was Überraschungen eher unwahrscheinlicher macht.

    Die extreme Positionierung der US-Republikaner ist im Übrigen auch eine der Gründe, wenn nicht Hauptgrund für die extreme Polarisierung der Gesellschaft und innerhalb des linken Spektrums imho.

    Das Problem des links-/rechts-Spektrums zeigt sich hier allerdings auch im Fall des Melenchon. Falls das in meinen letzten Beiträgen fehlinterpretiert werden kann. Ich bin und war kein großer Freund des Melenchon (trotz meiner starken Affinität zu Bernie Sanders und der amerikanischen Linken) aus vor allem 2 Gründen: Er ist EU-Gegner, ich Befürworter. Zum anderen ist das Unterlassen eines Aufrufs für Macron in der Situation wie sie nun mal war und bei der Auswahl der Kandidaten natürlich verantwortungslos. Man kann sich eben drüber streiten ob „I will do anything I can to make sure she gets elected“ wirklich schwächer oder nicht eher stärker ist als das Wort „endorse“ (das dann ja trotzdem noch kam), über einen ausdrücklichen Nicht-Aufruf aber eher nicht.

    Mir war und ist eben nur wichtig, dass in beiden Fällen wesentlich mehr konservative Wähler die Wahl ausgesessen oder gar FÜR den Extremisten gewählt haben als linke Protestwähler, weshalb diese auch die Hauptverantwortung tragen/getragen hätten…

    • Stefan Sasse 9. Mai 2017, 19:00

      In einer Atmosphäre, in der jeder sich fragt, ob Melechon eine Wahlempfehlung ausspricht oder nicht wird jede andere noch so clever gewählte Formulierung als nicht unbedingte Wahlempfehlung verstanden.

      • Floor Acita 10. Mai 2017, 08:46

        Mein Satz war auf jeden Fall etwas „bodged“ und bei all den Konjunktiven bin ich mir immer unsicher ob noch das richtige ankommt. Also ist das hier entweder eine Antwort oder Klarstellung 🙂

        Melenchon ist 100% für sein Verhalten zu kritisieren, ohne wenn und aber. Bernie hat zunächst eine andere Formulierung gewählt, die aber m.E. eher stärker war. Deine Argumentation falls sie denn darauf bezogen war würde dann nur für Leute gelten die sowieso schon Clinton unterstützt haben – nur für die klingt seine Formulierung halbherzig.

        Für jeden potentiellen Wähler und um die geht es ja letztendlich ist „everything I can“ definitiv stärker zumal ja seine Handlungen (rallys etc.) das unterstützt haben. Das Wort „endorse“ haben dagegen sehr viele Leute benutzt die wesentlich weniger für sie getan haben, halbherzig gab es zuhauf – etliche (ausrangierte) Republikaner haben das Wort „endorse“ benutzt, haben die auch dafür gearbeitet?

        Und zurück zu den Konuktiven – für Macron wäre es denke ich vielleicht kein guter Rat gewesen die Hilfe von Melenchon-Wählern abzuweisen, deren Expertise wie man in kritischen Departements gewinnt zu negieren und Hinweise als „immer noch nicht aufgeben wollen“ fehlzuinterpretieren und abzulehnen?!

        • Stefan Sasse 10. Mai 2017, 16:12

          Das ist wie diese Unrechtsstaat-Geschichte mit der LINKEn. Wenn alle erwarten dass du sagst „die DDR war ein Unrechtsstaat“ ist jede andere Variante, egal wie clever und komplex die Sätze aufgebaut sind, eine Verneinung.

          • Floor Acita 11. Mai 2017, 05:18

            Nö. Wie gesagt in Bernies Fall gilt das vielleicht für 1-5% der Bevölkerung im tatsächlichen Washington Bubble [/campaign trail journalists „inside the plane“] – Menschen ausserhalb dieser Blase ersetzen normalerweise nicht ihr rationales Denken und das alltägliche Verständnis der englischen Sprache, ihrer Wörter und Formulierungen durch verselbständigte, algorithmische Denkabfolgen die alles ausserhalb dieser Programmierung in Star Trek TOS Manier mit „does not compute“ beantworten…

            • Stefan Sasse 11. Mai 2017, 10:12

              Bernie ist auch nicht mein Problem. Und das Resultat sind die Überschriften. Die gleichen Leute außerhalb der „DC Bubble“ haben sich ja auch nicht die Mühe gemacht, jenseits der Überschriften ein Urteil zur HRC Mail-Geschichte zu fällen, warum sollten sie es hier plötzlich tun?

              • Floor Acita 12. Mai 2017, 07:45

                I hear you, but still disagree…

                Wir sind hier wieder einmal bei meinem Liebliongsthema angelangt und ich weiss nicht ob ich mal versuchen sollte das etwas grundsätzlicher darzulegen, ich denk drüber nach.

                Das „Problem“ ist, dass sich die Dynamiken hier verschieben. Noch vor 10-20 Jahren hätte ich Dir voll zugestimmt. Aber heute funktionieren Medien unabhängig von Qualität und Inhalt ebenfalls dezentral. „Die“ Überschriften gibt es so überhaupt nicht mehr. So glaube ich tatsächlich, dass die negative Wirkung im Falle des endorsements weitestgehend ausgeblieben ist, trotz der Tatsache dass es vom Kern der Clinton Anhänger genau so empfunden wurde wie von Dir beschrieben.

                Im Fall von Clinton selbst und der E-Mail-Geschichte gebe ich Dir auch teilweise recht. Aber auch hier haben sich verschiedene Teile des Elektorats sehr unterschiedlich verhalten – weit polarisierter als das in zurückliegenden Jahren der Fall gewesen ist/wäre. Und die negative Wirkung war auch nur so stark weil sie in ein sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, entwickelndes Narrativ eingebunden war und dieses befeuert hat – isoliert betrachtet hätte es noch vor 8, 12, 16 Jahren allein ausgereicht einen Kandidaten zu stürzen, im Jahr 2016 war es monatelang Thema ohne eine direkte Sogwirkung zu erzeugen, in den Primaries hatte es im Prinzip überhaupt keine Wirkung. Selbst wenn ich die „Affäre“/“Comeys Brief“ letztendlich als letzten Sargnagel sehen würde, die Tatsache dass das Ergebnis so war wie es war, der popular vote so war wie er war, zeigt dass es trotz alledem weit entfernt war vom „seal of death“ das z.B. Dean’s scream oder auch Dukakis auf dem Panzer ausgelöst haben…

                • Stefan Sasse 12. Mai 2017, 10:34

                  Beides Ereignisse übrigens deren Bedeutung für den Wahlkampf von Forschern als vernachlässigbar eingestuft wird. Das ist Wahlkampffolklore.

  • Stefan Pietsch 8. Mai 2017, 14:29

    Ups, ich finde, Dir sind hier in Deinem Furor gegen Trump ziemlich gravierende analytische Fehler unterlaufen.

    (1) Die französische Gesellschaft ist traditionell klar segmentiert in ein rechtes und linkes Lager. Ein Teil jeweils davon neigt dem politischen Extremismus zu. Auf der Linken waren dies vor zwei Wochen 18 Prozent, auf der Rechten 23 Prozent. Nicht sehr überraschend ist das rechtsextreme Lager häufig etwas größer als das Linke. Da Ansichten und politische Forderungen jedoch stets große Schnittmengen aufweisen, ist das sekundär. Doch darum geht es nicht. Ein Teil der Les Républicains (früher: UMP) neigt zu nationalistischen Ansichten. Darin unterscheiden sich die französischen Konservativen nicht sonderlich von ihren Glaubensbrüdern in Westeuropa wie Nordamerika. Ein weiterer Teil ist konservativ-wirtschaftsliberal und ein weiterer Teil zentristisch gestimmt.

    Fillon entstammt dem konservativ-wirtschaftsliberalen Bereich und ist in der konservativen Partei eher im rechten Teil verortet. Dort konnte er auch nationalistisch gestimmte Wähler ansprechen. Nun hast Du etwas Entscheidendes unterschlagen: mit dem Aufkommen der Vorwürfe über die familiäre Selbstbereicherung gingen Fillon zahlreiche zentristische und wirtschaftsliberale Wähler von der Fahne und wechselten ins Macron-Lager – vor dem ersten Wahlgang. Zurück blieben überproportional viele, die nationalistische Einstellungen pflegen. Klar war für diese die erste Option Le Pen und nicht der äußerst europafreundliche und auch im Habitus liberale Macron. Alles andere wäre verwunderlich gewesen. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass besonders Konservative vom Rechtsextremismus angezogen würden, ist ziemlicher Unsinn.

    (2) Das Establishment der GOP hat sich von Anfang bis zum Schluss gegen Donald Trump gestemmt. Hätte man ihn jedoch auf dem Nominierungsparteitag noch verhindern wollen, wäre das gegen alle dort geltenden demokratischen Spielregeln gewesen – sehr wahrscheinlich ein viel zu hoher Preis zur Verhinderung eines Dilettanten. Zahlreiche Funktionäre der Partei haben danach zur Wahl von Hillary Clinton aufgerufen – ein in der Geschichte der Partei beispielsloser Vorgang.

    Der Wertekanon der Republikaner besteht bei weitem nicht allein aus Steuersenkungen, sondern familiären Werten, einer grundsätzlichen Abneigung gegen Big Gouvernement und einer tiefen Religiosität. Trump sprach von diesen vier nur zwei glaubwürdig an. Trump tritt alle Werte mit Füßen, woran Konservative glauben. Und so übersiehst Du völlig, dass die GOP zwar im Kongress wie den Bundesstaaten und dem Supreme Court das öffentliche Leben dominiert, Trump aber bei der Wahl weit von der Stimmenmehrheit entfernt blieb.

    Wenn ein so schwacher Kandidat trotzdem obsiegt, dann liegt die Ursache daran nicht im eigenen politischen Lager, sondern im Gegenkandidaten.

    (3) Der Stimmenzuwachs für Rechtspopulisten kommt regelmäßig aus dem Lager wenig gebundener Wähler mit ordentlich Wut im Bauch. In den letzten 12 Jahren konnte die LINKE von diesem Pool überproportional profitieren. Aber Rechtsextreme sind bei solchen Gruppierungen immer etwas erfolgreicher, weil sie statt überbordenden Idealismus die gewünschte negative Message mit verbreiten. Die Linkspopulisten in Europa haben sich dieser Negativstrategie längst angeschlossen, sie haben keine optimistische Aussage mehr im Programm.

    • Kirkd 9. Mai 2017, 08:26

      Es ist richtig, dass Rehctsextreme Parteien massiv auf die Mobilisierung unzufriedener, parteilich weniger gebundener Bevölkerungsgruppen setzen. Die Frage war hier aber, wie daraus eine Mehrheit wird. Und da gebe ich Stefan schon recht, man braucht für eine rechtskonservative/nationalistische Mehrheit einen Steigbügelhalter oder ein konservatives Vehikel. Das bedeutet nicht, dass diese Konservativen plötzlich alle rechtsextrem werden, aber sie halten den rechtsextremen Weg jedenfalls für das kleinere Übel, meist wohl für die bessere Alternative.

      • Stefan Sasse 9. Mai 2017, 19:06

        Das ist mein Punkt, ja. Aber genau das war in Frankreich NICHT der Fall. Und Macron war jetzt nicht ein so viel geilerer Kandidat als Clinton. Nur hat in Frankreich der Anstand gewonnen, und damit Macron. In den USA haben die Republicans jegliche Moral über Bord geworfen. Das ist der entscheidende Unterschied.

        • Stefan Pietsch 9. Mai 2017, 21:06

          Hier idealisierst Du wieder Deine Zuneigung zu Hillary Clinton. Die demokratische Kandidatin war jahrzehntelanges Establishment der Politik, polarisierend, stur, von „ihren“ Wahrheiten überzeugt, beratungsresistent. Macron steht für eine neue Frische, gegen die Alt-Parteien und Mehrheiten mit einer Botschaft gegen alle Politgewissheiten.

        • Erwin Gabriel 9. Mai 2017, 21:15

          „In den USA haben die Republicans jegliche Moral über Bord geworfen.“

          Lieber Herr Sasse,
          das ist viel zu verallgemeindern und viel zu arrogant.

          http://bazonline.ch/ausland/amerika/der-totalschaden/story/20276758

    • Stefan Sasse 9. Mai 2017, 19:05

      1) Da versuchst du dir aber im Endeffekt mit einem „Falschen Schotten“ was schönzureden. Du würdest mir auch nicht durchgehen lassen, wenn SPD-Wähler zu den Kommunisten abspringen und ich daraufhin einfach erkläre, dass die echte Sozen ja den den FDP-Kandidaten unterstützt haben. Die von dir beschriebene Dynamik ist zweifellos vorhanden, und ich habe ja auch klar gemacht, dass die Konservativen eben zu beglückwünschen sind, dass sie standhaft geblieben sind. Aber trotzdem ist ziemlich offensichtlich der Rechtsextremismus für Konservative anziehender als für Liberale oder Linke – dass du die vorher als „nationalistische Konservative“ betitelst ändert daran ja nichts.

      2) Gegen Trump haben sich nur solche Funktionäre ausgesprochen, die entweder schon nicht mehr aktiv waren (wie die Bushs oder Romney) oder keine Spitzenämter innehatten. Die gesamte republikanische Führungsschicht hat sich hinter ihn gestellt oder sich wohlwollend neutral verhalten. Und die Weigerung der Republicans, auf persönliche Eitelkeit zu verzichten und einen Gegenkandidaten zum Zug kommen zu lassen (looking at you, John Kasich) hat massiv zum Sieg Trumps in den Primaries beigetragen.

      3) Stimme ich völlig zu.

      • Stefan Pietsch 9. Mai 2017, 21:10

        Der mitgliederstärkste Flügel der SPD ist die parlamentarische Linke. Diese lehnt Koalitionen mit den bürgerlichen Parteien klar ab und ist in der Programmatik praktisch nicht von der LINKEN zu unterscheiden. Die Parallelität wäre, dass vor einem ersten Wahlgang schon der Seeheimer Kreis und Netzwerk mehrheitlich zu einem bürgerlichen Kandidaten geflüchtet wären und Du feststellen würdest, dass die Parlamentarische Linke Sahra Wagenknecht unterstützen würde.

        • Stefan Sasse 10. Mai 2017, 16:18

          Ich verstehe nicht worauf du rauswillst.

          • Stefan Pietsch 10. Mai 2017, 19:28

            Dass Du das, was die bei den französischen Konservativen analysierst, spiegelbildlich auf der Linken findest. Das ist weder besonders noch spektakulär.

            • Stefan Sasse 11. Mai 2017, 10:13

              Sicher, aber es stimmt. Und die Linken haben halt nicht einen Stalinisten aufgestellt, sondern die Rechten einen Nazi. Sonst würde ich dasselbe Argument hier spiegelbildlich gegen links führen.

  • Jan Trammer 8. Mai 2017, 16:56

    Sie hätten sich ja auch die Mühe machen können, und sich mal die reinen Wählerzahlen anschauen/durchrechnen können. All die großen „Verlierer“ haben nach den Wahlen mehr Stimmen als zuvor.

    Ein Wilders hat die meisten Stimmenzuwächse und 5 Plätze mehr im Parlament, derweil treiben die Sozis quasi tot auf die Nordsee raus und auch der konservative Rutters stand schlechter da. Die FPÖ steht besser da als je zuvor und der grüne Onkel erzählt derweil was von Kopftüchern für alle Frauen (ist der mit Stegner, dem besten Wahlhelfer der AfD, verwand?)

    Le Pen hat gestern fast 40% der Stimmen bekommen, weil sie Le Pen wollten, die Stimmen für die Macron setzten sich aus allen Restparteien zusammen um Le Pen zu verhindern (liest man zumindest in Zeitungen Frankreichs). Spätestens ab Juni ist er ein zahnloser Tiger, gegen den der Wackelpudding wie ein Macher wirken wird. Keine Mehrheiten im Parlament und verhasst bei Links und bei Rechts.

    Als Funfakt könnte man nun noch einbringen, das die AfD gestern trotz weggefallener Petry und andauernder Stigmatisierung den meisten Wählerzuwachs hatte, auch wenn die 5,8% arg mau wirken mögen.

    Sorry, aber Sie lügen sich hier was vor.
    Vor allem wenn man nach GB schaut und sieht, wie da gerade das Brüssler Kaspertheater mit seinem infantilen Gehabe, massenhaft Leute von den EU-Freunden zu den EU-Gegnern treibt (siehe Kommunalwahl in Großbritannien May ü500+ Laber -320).

    Die Krise beginnt gerade erst,Sie freuen sich viel zu früh. Frankreich hat gestern 5 Jahre weiteren Stillstand gewählt.

    • Stefan Sasse 9. Mai 2017, 19:10

      Le Pen hat 34,2%, das sind nicht „fast 40%“. Und ich höre gerade dauernd, dass die rechtspopulistischen Parteien bei den nächsten Wahlen automatisch noch stärker werden, weil sie dieses Mal verhindert wurden. Nach der Logik wären die Piraten in dieser Bundestagswahl bereits bei 30%+. Deren Ergebnis war 2013 auch besser als 2009, aber etwas über 2% sind halt nicht so geil, wenn du ein Jahr davor noch bei 12% warst in den Umfragen. Es gibt keinen Automatismus, dass die Rechtspopulisten stärker werden. Sie könnten genausogut wieder schwächer werden. Weder für das eine für das andere gibt es gerade klage Signale.

      Und Großbritannien ist zu den Konservativen geschwungen, nicht zu UKIP. Die sind implodiert.

  • Floor Acita 10. Mai 2017, 09:05

    Eine Sache noch zu Macron und warum sein Sieg unabhängig von links/rechts/zentrum Diskussionen wichtig ist. Er hat 2 Sätze formuliert die sich etliche Politiker in etlichen mitte/links Parteien in etlichen Ländern dick, dick, dick hinter die Ohren schreiben und vor allem zu Herzen nehmen sollten – kannst das übrigens auch gerne als Antwort auf die Annahme ein „health care etc. cuts will hurt poor people and minorities“ würde als „good“ abprellen (#AtlanticBridgePodcast)

    „Macron described the error of politicians attempting to copy the far-right’s platform in order to undercut its popularity“
    http://www.huffingtonpost.com/entry/france-presidential-election-macron_us_58cae4d0e4b00705db4d7aad

    “When some people decide to go in the Front National’s direction on the political spectrum, that’s a big mistake. That’s a big mistake because they always prefer the original to the copy” (Zitat aus selber Quelle)

    Es hat nichts mit „Reinheit“ oder „Ideologie“ zu tun, man muss seine Überzeugungen offen und unmissverständlich formulieren und vertreten, das ist/war der Schlüssel. Unabhängig davon ob z.B. Schulz letztendlich eine realistische Chance hat zu gewinnen, aber die Befürchtungen doch einiger Kommentatoren (auf Twitter) seine Position zu Euro-Bonds oder auch Flüchtlingen würde ihm schaden haben sich jedenfalls im „Schulz-Effekt“ in ihr Gegenteil verkehrt…

  • Ralf 10. Mai 2017, 23:47

    Hmmm … also ich kann dieses Mélenchon-Bashing in manchen Kommentaren hier beim besten Willen nicht nachvollziehen. Emmanuel Macron hat die Stimmen der Linken zu keinem Zeitpunkt benoetigt. Er lag in allen Umfragen meilenweit vor Le Pen – sein groesster Vorsprung in den Umfragen seit dem 23. April war 28%, sein geringster (!) Vorsprung war 18%. In den Tagen unmittelbar vor der Wahl lag sein Vorsprung zwischen 23% und 26%:

    https://en.wikipedia.org/wiki/Opinion_polling_for_the_French_presidential_election,_2017

    Das steht im voelligen Kontrast zu der Praesendentschaftswahl in den USA, wo Hillary am Ende in den Umfragen nur einen hauchduennen Vorsprung von 2-3% hatte oder zur Brexit-Wahl, wo am Ende beide Lager praktisch fast gleichauf lagen.

    Macrons Wahl zum Praesidenten war nie auch nur eine Minute in Gefahr. Die Medien haben die Lage lediglich – und wenig ueberraschend aus Eigeninteresse – voellig verzerrt dargestellt. Eine Wahl, die im Vorfeld „bereits entschieden“ ist, ist natuerlich langweilig und generiert weder Einschaltquoten noch Zeitungsverkaeufe. Also wurden Le Pens Chancen dramatisch aufgebauscht. Es wurde der Eindruck erweckt hier „geht’s um alles“. Mit der Realitaet hatte das ueberhaupt nicht mehr zu tun.

    Im uebrigen haben Mélenchons Anhaenger die Wahl von Macron ironischerweise sogar staerker unterstuetzt als Fillons Konservative. Laut der oben geposteten Grafik stimmte lediglich eine Minderheit (geringfuegig weniger als 50%) von Fillons Unterstuetzern fuer Macron. Und ein signifikanter Teil der korrespondierenden Mehrheit blieb am Wahltag nicht nur zu Hause, sondern lief sogar aktiv zu den Rechtsextremen ueber. Bei Mélenchon hingegen votierte eine Mehrheit (geringfuegig mehr als 50%) der Unterstuetzer im zweiten Wahlgang fuer Macron. Die verbleibende Minderheit ging zum uebergrossen Teil nicht waehlen, waehrend der direkte Support fuer Le Pen aus diesem Segment vernachlaessigbar gering war.

    Wer hat also hier dem Front National geholfen? Die Linken oder die Konservativen?

    Und noch eine Frage stellt sich gerade fuer die, die fordern die Linke haette Macron staerker unterstuetzen sollen . Was bedeutet es eigentlich fuer das Mandat eines Praesidenten, wenn er seine Wahl nur durch die Stimmen derer gewinnt, die seine Agenda diametral ablehnen, aber denen keine Alternative bleibt, weil ansonsten ein Rechtsextremist siegen wuerde? Wuerde man von Macron jetzt eigentlich nicht erwarten muessen, dass er sich vor die Mikrofone stellt und als erstes einmal feststellt, dass er kein Mandat fuer seine pro-europaeische Politik und fuer seine neoliberalen Reformen hat? Politisch wohl verstaendlich passiert aber das exakte Gegenteil. Macron zeigt auf seinen ueberragenden Wahlsieg und leitet daraus ein Mandat fuer seine Agenda ab. Haette die Linke noch staerker fuer ihn gestimmt, waere sein Mandat noch „eisenhaerter“ geworden. Wozu also fuer einen Kandidaten stimmen, dessen Politik man ablehnt, der ohnehin schon meilenweit und uneinholbar mit 25% vor seinem Gegenueber liegt und wo man mit seiner Stimme faktisch nicht mehr das Wahlergebnis beeinflusst, sondern nur noch den politischen Gegner staerkt?

    Und genau da kommen wieder die Medien ins Spiel. Die sind naemlich hier wie dort den Interessen der Reichen und der Reichsten hoerig. Um es mit einem Zitat von Peter Scholl-Latour zu sagen:

    Paul Sethe, der ja ein ungemein konservativer Leitartikler war, und für die Welt und für die FAZ schrieb, hat mal vor vielen Jahren geschrieben: „Die Freiheit der Presse im Westen ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu publizieren“, inzwischen sind es keine 200 mehr, inzwischen sind es nur noch 4 oder 5 Leute.„.

    Und Reichen haben selbstverstaendlich ein erhebliches Eigeninteresse an neoliberalen Reformen, auch dann wenn diese Reformen im Land ueberwiegend abgelehnt werden. Die „Angstkampagne“, dass Le Pen gewinnen koennte, ist folglich moeglicherweise nicht nur ein reines Quotengenerierungsinstrument, sondern dahinter koennte auch der Vesuch einer indirekten Manipulation der Wahl stehen mit dem politischen Ziel kuenstlich ein staerkeres Mandat fuer einen ideologisch bevorzugten Kandidaten zu konstruieren.

    • Floor Acita 11. Mai 2017, 05:40

      Ich stimme Ihrer konkreten Analyse größtenteils zu. Das tatsächliche Problem aller Wähler die weder Macron noch LePen haben wollen ist allerdings, dass sie keinen Kandidaten in die Stichwahl gebracht haben. Und das ist oft das Problem in der Dynamik die Sie hier beschreiben. Da im ersten Wahlgang jeder wählen kann und die Stichwahl existiert ist dieser erste Wahlgang vielleicht eine der fairsten Wahlen in der westlichen Welt. Und so sind im diesjährigen Klima ja auch 2 Kandidaten in der Stichwahl gelandet die trotz allem beide ausserhalb des bisherigen Parteienspektrums stehen, was einerseits für die Parlamentswahlen und vor allem das regieren selbst noch interessant werden könnte. Die Stichwahl war für Melenchon erreichbar, er hat allerdings zu spät angezogen – Hamon war in der Position in der die Linke normalerweise gegenüber der Mitte/links Position ist – ein stärkeres Herausstellen der Tatsache, dass sein verbleiben im Rennen trotz hoffnungsloser 6% eine Gefahr darstellt und ein Verzicht zugunsten Melenchon LePen in der Stichwahl hätte verhindern können wäre evt hilfreich gewesen. Doch was immer bis zu diesem Zeitpunkt richtig oder falsch war/lief, die ernüchternde Tatsache war am Ende, dass Melenchon nicht in die Stichwahl kam.

      In der Stichwahl selbst gab es lediglich 2 Kandidaten Macron und LePen. Und hier haben wir das gleiche Problem wie immer und auch wie in den USA. Ja die Umfragen sahen einen klaren Wahlsieg voraus und Nate Silver hat in diesem Zusammenhang ja gerade einmal wieder, ich glaube nun zum 3. mal vor dem Einfluss des „conventional wisdom“ gewarnt. Aber Hillary’s Vorsprung auf Trump hat dennoch um bis zu 10% geschwankt zwischen DNC und Wahltag. 2 Kandidaten bedeutet A oder B und zu diesem Zeitpunkt sehe ich die Verpflichtung sich für einen der beiden auszusprechen – auch egal ob es um Extremisten geht oder nicht, egal wie bitter die Pille sein mag. Ob es eine Wahl zwischen 2 Übeln ist oder nicht, und ich habe wiederum kein Problem wenn sich Leute dementsprechend äussern, aber ein geringeres Übel ist halt immer noch geringer…

      • Stefan Pietsch 11. Mai 2017, 07:57

        Da im ersten Wahlgang jeder wählen kann und die Stichwahl existiert ist dieser erste Wahlgang vielleicht eine der fairsten Wahlen in der westlichen Welt.

        Was hat das mit mehr oder weniger Fairness zu tun? Das gilt für die meisten Wahlen, Voraussetzung ist, das jemand überhaupt sich zur Wahl meldet.

        Die Stichwahl war für Melenchon erreichbar, er hat allerdings zu spät angezogen

        Nur um den Preis eines Duells mit Le Pen. Die Vorsitzende des Front National war seit Jahren (!) für die Stichwahl gebucht, ihre Stimmanteile sehr stabil. Schon 2012 war sie ein wahrscheinlich erscheinende Kandidatin. Die desaströse Präsidentschaft Hollandes und die Zuspitzung der europäischen Krisen haben Le Pen unausweichlich gemacht. Es war immer nur die Frage, wer es neben ihr schaffen würde.

        Ein Duell Mélenchon gegen Le Pen wäre nun wirklich der Alptraum aller Europäer und bürgerlichen Wähler (also immer noch der Mehrheit) gewesen.

        • Floor Acita 11. Mai 2017, 08:52

          „fair“ ist ein schwammiges Wort und gibt geshalb vielleicht wirklich nicht ganz wieder auf was ich hinaus wollte. In etlichen westlichen Ländern habe ich entweder das Problem, dass es sich letztendlich um eine Parteieinwahl handelt, also andere Dynamiken sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Parteien eine entscheidende Rolle spielen. Eine Kandidatur einer neuen Partei in Deutschland beispielsweise ist weit aufwendiger als ein einzelner Kandidat. Einer (Kampf-)Kandidatur in einer der etablierten Parteien stehen instrumentelle Hürden innerhalb der Partei gegenüber, wie wir ja zuletzt selbst in den USA gesehen haben wo die inner-parteiische Demokratie, mit Vorwahlen (letztendlich Urwahlen) statt Listen-/Kandidatenaufstellung auf Parteitagen noch am weitesten entwickelt ist.

          Es ist für jemanden wie Melenchon aber gerade auch Macron selbst also wesentlich einfacher/realistischer die Präsidentschaft tatsächlich zu erringen…

          Die Stichwahl macht es noch einfacher, da sie ein de-facto „ranked-choice voting“ bedeutet – siegt mein bevorzugter Kandidat nicht, habe ich tatsächlich eine Wahl zur Korrektur – meine Stimme ist nicht prinzipiell „verloren“.

          Sowohl „jungle primary“ als auch „ranked-choice voting“ sind seit Jahren geforderte Konzepte der amerikanischen Linken zum Wahlsystem, oder wie deren Vertreter es nennen würden „Demokratisierung von Wahlen“.

        • Stefan Sasse 11. Mai 2017, 10:15

          Le Pen war genauso „für die Stichwahl gebucht“ wie Hillary Clinton für das Weiße Haus. Nur mal so.

      • Ralf 11. Mai 2017, 21:12

        @ Floor Acita

        Ja die Umfragen sahen einen klaren Wahlsieg voraus und Nate Silver hat in diesem Zusammenhang ja gerade einmal wieder, ich glaube nun zum 3. mal vor dem Einfluss des „conventional wisdom“ gewarnt. Aber Hillary’s Vorsprung auf Trump hat dennoch um bis zu 10% geschwankt zwischen DNC und Wahltag.

        Der Vergleich zwischen den franzoesischen und den amerikanischen Wahlen passt leider hinten und vorne nicht. Ja, die Stimmendifferenz zwischen Clinton und Trump schwankte langfristig ueber mehrere Monate hinweg zwischen etwa plus 8% (etwa auf dem Hoehepunkt des Access Hollywood-Tape-Skandals) und minus 1% (unmittelbar nach dem republikanischen Parteitag). Aber dass die Stimmendifferenz (im Durchschnitt der Umfragen wohlgemerkt) ueberhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt bei minus 1% lag, war ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine Wahl von Donald Trump nicht unmoeglich war. Dazu kam, dass die Extremwerte der Stimmendifferenz nur selten gemessen wurden. Meist und insbesondere unmittelbar vor der Wahl lag die Differenz zwischen Clinton und Trump nur noch bei plus 2-4%. Der durchschnittliche Umfragefehler liegt bei +/- 3%. Im Einzelfall kann der Fehler deutlich hoeher sein als der Durchschnittsfehler (+/- 6% waeren z.B. durchaus moeglich, wenn auch unwahrscheinlich). Dazu kommt, dass Einzelereignisse, die spaet waehrend des Wahlkampfes auftreten (z.B. ein neuer Skandal, eine neue Enthuellung) den betroffenen Kandidaten in der Regel maximal 1-2% kosten kann. Wegen des Comey-Letters unmittelbar vor dem Wahlgang duerfte Clinton z.B. etwa 1% der Stimmen verloren haben. Nimmt man all diese Zahlen in Augenschein, kann man nicht umhin zu bemerken, dass eine Wahl Trumps immer ein realistisches Szenario war. Und dazu kommt ein weiterer Punkt. Der amerikanische Praesidentschaftsbewerber muss garnicht die Mehrheit der Stimmen im Land gewinnen. Stattdessen muss er eine Mehrheit im Electoral College holen. Clintons Vorsprung im Popular Vote basierte aber stark auf einer sehr unguenstigen Verteilung ihrer Anhaenger auf die verschiedenen Bundesstaaten. So hatte sie z.B. deutliche Zugewinne an Stimmen in Texas; Stimmen die trotzdem bei weitem nicht ausreichten den Staat zu gewinnen. Und sie hatte deutliche Zugewinne in Kalifornien, die sie nicht brauchte, weil sie den Staat eh bereits gewonnen hatte. Trumps Waehler hingegen waren deutlich effizienter auf die entscheidenden Swing-States verteilt. All das konnte man offensichtlich im Vorfeld der Wahl wissen und FiveThirtyEight berechnete die Wahrscheinlichkeit eines Trump Wahlsiegs am Vorabend der Wahl auch mit etwa 33%. Das entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass Sie einen Wuerfel rollen und der Wuerfel auf entweder der 1 oder der 2 liegen bleibt. Waeren Sie extrem erstaunt, wenn Sie einen Wuerfel rollen und der Wuerfel zeigt anschliessend eine 1 oder eine 2? Nein? Dann sollten Sie auch nicht erstaunt sein ueber das Wahlergebnis in den USA.

        Wenn der Wahlausgang so ungewiss ist und einer von zwei zur Verfuegung stehenden Kandidaten ein Extremist ist, lohnt es sich in der Tat auch dann waehlen zu gehen, wenn man den Alternativ-Kandidaten nicht mag. Haette Macron mit nur 3% vorne gelegen, bin ich sicher, dass auch Mélenchon eine Wahlempfehlung ausgesprochen haette.

        Aber von solchen Zahlen waren wir meilenweit entfernt. Wie oben bereits erwaehnt lag Macron unmittelbar vor der Wahl mit 23-26% in Fuehrung. Es gab nicht den leisesten Hauch eines Zweifels, dass er der naechste Praesident werden wuerde. Dem uneinholbaren Gewinner dann noch weitere Stimmen hinterherzuwerfen und dem politischen Gegner damit ein umso groesseres (scheinbares) Mandat zu verschaffen, ist politisch nicht besonders klug.

        • Floor Acita 12. Mai 2017, 07:53

          Wie gesagt stimme ich der Tatsache zu das die Wahl in Amerika wesentlich enger war. Ich glaube nur an eine prinzipielle Verantwortung bei einer AB Wahl – wie gesagt einer von beiden wird es mit meiner Unterstützung oder nicht, ich habe aber immer noch eine Wahl. Vor allem aber glaube ich nicht (mehr) daran, dass es tatsächlich einen Unterschied macht mit wie vielen Stimmen ein Kandidat letztendlich gewinnt – der Sieger wird immer behaupten ein Mandat für alles zu haben, die Opposition wird ihm das streitig machen. Die tatsächliche Frage ist die der Institutionen untereinander. Melenchon-Anhänger, by all means, sollten versuchen ein mindestens ebenso starkes showing bei den Parmlamentswahlen zu erreichen. Wie gesagt 1) volle Konzentration auf die 1. Runde des Präsidentschaftswahlkamps, auf Sieg spielen, aber wenn ich ausgeschieden bin ist das Kapitel eben abgeschlossen. 2) weitere Wahlen, vor allem Parlamentswahlen zu gewinnen/möglichst stark abzuschneiden. 3) In der Auseinandersetzung zwischen Parlament und Exekutive möglichst viel meiner Agenda durchzusetzen, leverage zu ermitteln und auszuspielen, neuralgische Punkte, Momente in denen sich der Präsident beweisen muss, ein Ergebnis vorlegen will/muss auszunutzen – und dann auf den nächsten Zyklus vorbereiten…

    • Stefan Pietsch 11. Mai 2017, 07:47

      Mélenchon hatte 2002 kein Problem, zur Wahl des Konservativen und schon damals unter Korruptionsverdacht stehenden Jacques Chirac aufzurufen. Gegenkandidat war auch damals ein FN-Bewerber, Jean-Marie Le Pen. Fragwürdiger Charakter geht für Linke offensichtlich.

      Würde man von Macron jetzt eigentlich nicht erwarten müssen, dass er sich vor die Mikrofone stellt und als erstes einmal feststellt, dass er kein Mandat für seine pro-europäische Politik und für seine neoliberalen Reformen hat?

      Für was hat er denn Ihrer Ansicht nach ein Mandat? Für irgendetwas muss er ja legitimiert sein, schließlich wurde er zum Staatspräsidenten gewählt.

      • Stefan Sasse 11. Mai 2017, 10:14

        Wie jeder Politiker hat Macron ein Mandat für alles, was sein Amt ihm erlaubt und wofür er eine Mehrheit findet.

        Und wie ich bereits in einem eigenen Artikel beschrieben habe: 2002 haben sie das richtige getan. 2017 nicht. Punkt aus ende.

        • Ralf 11. Mai 2017, 21:13

          Und wie ich bereits in einem eigenen Artikel beschrieben habe: 2002 haben sie das richtige getan. 2017 nicht. Punkt aus ende.

          Naja, argumentativ ist das etwas duenn.

          • Stefan Sasse 12. Mai 2017, 10:34

            Wieso?

            • Ralf 12. Mai 2017, 21:38

              Weil die Argumentationskraft von „Punkt aus ende.“ begrenzt ist. Insbesondere dann, wenn man gerade mit Gegenargumenten konfrontiert wurde.

              • Stefan Sasse 13. Mai 2017, 19:35

                Ich hab nen kompletten Artikel zu dem Thema geschrieben, ich will das nicht in den Comments noch mal paraphrasieren. Daher meine Knappheit.

      • Ralf 11. Mai 2017, 21:24

        @ In Dubio

        Für was hat er denn Ihrer Ansicht nach ein Mandat? Für irgendetwas muss er ja legitimiert sein, schließlich wurde er zum Staatspräsidenten gewählt.

        Macron hat keine Mehrheit der Buerger hinter sich, was seine Agenda angeht. Seine Unterstuetzerschaft liegt wohl irgendwo zwischen 20 und 25%, wie der erste Durchgang der Praesidentschaftswahl nahelegt. Bald wird es Kongresswahlen geben. Dort wird sich zeigen, ob seine Partei diesen Wert wesentlich uebertreffen kann. Meines Wissens nach rechnet niemand ernsthaft damit, dass Macron mehr als 40%, oder gar 50%, holen wird.

        Staatschefs, die die Mehrheit der Buerger gegen sich haben, sind von vorneherein in einer schwachen Position. Sie koennen sich nicht auf ein starkes Mandat berufen. Im Falle Macrons kann man den Praesidenten wohl am ehesten als Notloesung, bestenfalls als das kleinere von zwei Uebeln betrachten. So wird er jedenfalls von einer Mehrheit der Franzosen gesehen.

        Wozu ist ein solcher Praesident dann legitimiert? Nun, in erster Linie ist so ein Praesident Sachverwalter. Mit kleinen Trippelschritten kann er versuchen den Buergern doch noch Appetit auf seine Agenda zu machen und hoffen, dass er bei der naechsten Wahl dann ein wirkliches starkes Mandat bekommt. Aber ohne eine Mehrheit hinter sich hat er sicher keine Legitimation radikale Veraenderungen im Land durchzufuehren, die extreme Umbrueche in der Gesellschaft zur Folge haetten. So zumindest meine Meinung.

        • Stefan Sasse 12. Mai 2017, 10:36

          Macron ist Präsident Frankreichs. Wie viele Wähler seine Agenda „wirklich“ unterstützen ist Kaffeesatzleserei und belanglos. Er hat qua Wahl sein Mandat, umzusetzen zu was er sich in der Lage sieht. Dazu braucht er eh Mehrheiten im Parlament. Hat er die, hat er Legitimation. Die Zivilgesellschaft kann dagegen protestieren, was er und andere Vetospieler dann entweder als Anlass zur Kursänderung nehmen können oder auch nicht. Gewählt wird wieder in 5 Jahren.

          • Ralf 12. Mai 2017, 22:01

            Zugegebenermassen ist der Begriff des „Mandats der Waehler“ schwammig. Definitiv schwammiger als die Frage nach dem Wahlsieger, denn letzterer kann immer glasklar ermittelt werden. Ob ein Mandat der Waehler vorliegt, ist wesentlich schwieriger zu messen und laesst meist Spielraum zur Interpretation.

            Dennoch ist die Frage nach dem Mandat nicht „belanglos„. Ein Mandat der Waehler bedeutet, dass die Mehrheit der Waehler den entsprechenden Politiker ins Amt gehoben hat, weil sie ihn in seiner Agenda unterstuetzt. Ein Praesident (oder Kanzler), der sich der breiten Unterstuetzung des Volkes sicher sein kann, hat ein starkes Mandat. Die Oeffentlichkeit erwartet normalerweise nach einer gewonnenen Wahl, dass dem Gewaehlten die Gelegenheit gegeben wird seine Versprechen umzusetzen und sie erwartet deshalb zu einem gewissen Teil Kooperation auch von der Opposition. Schliesslich ist in der Wahl ja gerade ueber die Agenda der kommenden Regierung abgestimmt worden. Dieser Druck der Oeffentlichkeit fuert meist zu einer erhoehten Bereitschaft in der Opposition zumindest zeitlich begrenzt zu kooperieren, da ein Sinken in der Gunst der Buerger ansonsten wahrscheinlich ist. Julia Azari schrieb darueber z.B. vor einigen Monaten einen Artikel (bezogen auf die USA) auf FiveThirtyEight. Auch die Medien stehen im Falle eines starken Mandats zumindest zunaechst auf der Seite des Gewinners. Und es ist mit deutlich weniger Widerstand aus der Bevoelkerung und auf der Strasse zu rechnen. Gerade in Frankreich mit seiner Demonstrationskultur ist das bedeutend.

            Macron fehlt aber ein Mandat des Waehlers. Das ist keine „Kaffeesatzleserei„, sondern das zeigt ein einfacher Blick auf das Ergebnis der ersten Wahlrunde der Praesidentschaftswahl. Dabei holte der „Wahlsieger“ gerade mal 24%. Fast der gesamte Rest der Parteien steht seiner Agenda feindlich gegenueber. Darueber hinaus duerfte auch keine der „aelteren“ Parteien des Establishments ein Interesse daran haben, dass sich Macrons Konkurrenzgruppierung dauerhaft im Parlament etabliert. Sollten die kommenden Kongresswahlen aehnliche Ergebnisse bringen, bedeutet das, dass der Praesident seine Agenda gegen den Widerstand von 75% der Abgeordneten und 75% der Buerger durchpeitschen muesste. Man muss nicht Mathematik studiert haben, um sich an zwei Fingern abzuzaehlen, welche Erfolgswahrscheinlichkeit ein solches Unterfangen hat.

            Und deshalb ist es eben wichtig nicht nur einen Wahlsieg in der Tasche, sondern darueber hinaus auch noch ein starkes Mandat der Waehler zu haben. Aber fuer ein Mandat der Waehler muss man fuer seine inhaltliche politische Agenda gewaehlt worden sein und nicht lediglich deshalb, weil man als das kleinere Uebel wahrgenommen wurde.

            • Stefan Pietsch 13. Mai 2017, 09:34

              Sie argumentieren erstaunlich unlogisch im Sinne von inkonsequent und nicht nachvollziehbar.

              Nehmen wir Ihre Hauptthese: Macron habe kein Mandat, sondern sei eigentlich nur als Verwalter bestimmt, da sich nur 24% der zur Wahl Aufgerufenen mit ihm anfreunden konnten. Sie sagen auch, ich zitiere: Ein Mandat der Wähler bedeutet, dass die Mehrheit der Wähler den entsprechenden Politiker ins Amt gehoben hat, weil sie ihn in seiner Agenda unterstützt. Ein Präsident (oder Kanzler), der sich der breiten Unterstützung des Volkes sicher sein kann, hat ein starkes Mandat.

              Nun sind absolute Mehrheiten in einer Mehrparteiendemokratie mit Verhältniswahlrecht äußerst selten und selbst in Ländern mit Mehrheitswahlrecht wie den USA und Großbritannien erreichen die Sieger selten die 50%-Marke. Die absolute Mehrheit können Sie also kaum meinen, eher die relative Mehrheit als starkes Mandat. Zumindest damit würde Ihre Argumentation bei Macron noch passen. Leider sonst überhaupt nicht.

              Sie haben in der Vergangenheit argumentiert, dass es eigentlich ein Mandat für eine rot-rot-grüne Bundesregierung gäbe, schließlich habe diese eine Mehrheit im Bundestag. Es sei eben Pech mit den Regeln und habe nichts mit der Legitimität einer solch linken Regierung zu tun, dass das gesamte Elektorat eigentlich mit deutlicher Mehrheit Mitte-Rechts-Parteien gewählt habe, die seien nun mal nicht mehrheitlich im Parlament. Auch spiele es keine Rolle, dass Merkels Union knapp 42% der Stimmen errungen habe und damit knapp an der absoluten Mehrheit der Sitze vorbeischrammte. Und es spiele keine Rolle, dass 2 der 3 linken Parteien zum Teil deutliche Verluste erlitten hätten und sich die SPD nur auf historisch niedrigem Niveau leicht verbessern konnte.

              Nach Ihren eigenen Kriterien hat Rot-Rot-Grün kein Mandat zum Regieren, dennoch haben Sie in der Vergangenheit anders argumentiert. Das wirkt arg willkürlich.

              Weiter: Der konservative Kandidat Fillon lag in seiner wirtschaftlichen Programmatik nahe an Macron, weshalb es vielen Liberal-Konservativen leicht fiel, das Lager zu wechseln als der Katholik in öffentlichen Misskredit geriet. Mit dem wesentlichen Teil dieser Stimmen kann man mit Fug und Recht annehmen, dass mindestens 40% der Franzosen hinter dem Programm Macrons stehen. Das ist eine deutliche relative Mehrheit.

              Es sei denn Sie behaupten, Le Pen und Mélenchon hätten auf dem zentralen Feld von Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschafts- wie Finanzpolitik sehr ähnliche Vorstellungen (was man so sehen kann). Aber in diese argumentative Falle würde ich an Ihrer Stelle nicht tappen, denn dann zerlege ich Sie – garantiert. 😉 Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie Ihre Argumentation in Bezug auf Macron verteidigen und damit wesentliche bisherige Thesen aufgeben oder zugestehen, dass Links- und Rechtspopulisten in wesentlichen Politikfeldern übereinstimmen (Stichwort „Querfront“). Ansonsten werden wir die Umfragen und die landesweiten Wahlen im Sommer abwarten müssen, wie sehr die Franzosen hinter Arbeitsmarkt- und Sozialreformen von Macron stehen.

              Etwas Wesentliches übersehen nämlich auch Sie: Macron führte anders als die meisten Kandidaten einen Wahlkampf ohne eingespielten professionellen Apparat, das ist in einer hochentwickelten Parteien- und Mediendemokratie ein gravierender Nachteil. Dass der 39jährige dennoch aus dem Stand so erfolgreich war, spricht mehr für die Stahlkraft seiner Persönlichkeit wie Ideen als gegen sie.

  • Ralf 13. Mai 2017, 21:42

    Sie haben in der Vergangenheit argumentiert, dass es eigentlich ein Mandat für eine rot-rot-grüne Bundesregierung gäbe, schließlich habe diese eine Mehrheit im Bundestag.

    Wenn ich das so geschrieben habe, dann mea culpa. Eine Rot-Rot-Gruene Bundesregierung haette in allererster Linie eine Mehrheit, mit Sicherheit nicht ein starkes Mandat. Nun hatte ich schon oben geschrieben, dass der Begriff des Mandats schwammig und vage ist und dass der Begriff Interpretationsspielraum laesst. Zu einem gewissen Teil laesst sich argumentieren, dass man ein begrenztes Mandat moeglicherweise bereits dadurch erhaelt, dass man eine Mehrheit zum Regieren zusammenbekommt. Wenn der Wahlsieg aber der einzige Faktor ist, mit dem das Mandat begruendet wird, handelt es sich um ein sehr schwaches Mandat und dieses Mandat faellt meist kurze Zeit spaeter auseinander, wenn es nicht durch weitere Saeulen gestuetzt wird.

    Als Beispiel nenne ich Ihnen die Wahl von Donald Trump in den USA. Trump wurde Praesident ohne eine Mehrheit der Waehler zu gewinnen. Und seine Favorability-Ratings vor der Wahl waren katastrophal, was zeigt, dass er die Buerger nicht hinter sich hatte. Ist er trotzdem der klare Wahlsieger? Na klar. Er hat die Wahl fair und den entsprechenden Regeln folgend gewonnen. Hat er ein Mandat des Waehlers? Wenn ja, dann nur ein sehr schwaches, qua Wahlsieg alleine. Trotzdem, auch das schwache Mandat war anfangs noch in seiner politischen Wirkung erkennbar. Viele rechneten mit einer Bewegung der Regierung Trump hin zur Mitte und zu einer Erholung und Verbesserung der Favorability-Ratings, wenn der Business-Mogul erstmal offiziell zum Praesidenten ernannt wird und sein Regierungsteam vorstellt. Die amerkanischen Medien waren relativ neutral ihm gegenueber, eher abwartend. Die Demokraten diskutierten sogar oeffentlich ueber eine partielle Kooperation, z.B. auf dem Gebiet der Infrastrukturpolitik. Alles stand im Zeichen der gewoehnlichen Annahme, dass der Waehler von den Parteien nach einer entschiedenen Wahl Zusammenarbeit erwartet und erwartet, dass dem neuen Praesidenten Gelegenheit gegeben wird, seine Agenda umzusetzen. Das schwache Mandat Donald Trumps fiel allerdings schon Tage nach der Inauguration wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Massenproteste, wie der Women’s March, der zu den groessten Demonstrationen gehoert, die je in den USA stattgefunden haben, zeigten schnell, dass die Strasse nicht hinter dem Praesidenten stand. Und dies war ja weiss Gott nicht die einzige Massendemonstration gegen Trump (man denke an die Proteste an den Flughaefen nach dem Travel-Ban oder den March for Science etc.). Auch die Favorability-Ratings erholten sich nicht, sondern sanken von anfangs in den mittleren bis hohen Vierzigern auf die niedrigen Vierziger, wenn nicht sogar darunter. Der Massenturnout der lautstarken demokratischen Basis bei republikanischen Town Hall-Meetings tat sein uebriges. Schnell wurde klar, die Mehrheit der amerikanischen Buerger steht nicht auf der Seite Trumps. Die uebergrosse Mehrheit der demokratischen Waehler will von ihren Vertretern im Kongress nicht Kooperation sondern Totalopposition. Die Medien wurden fuer den Praesidenten immer mehr zur Nemesis. Die Institutionen, wie etwa Gerichte, die vielen Leaks oder auch – aktuell – das FBI stellten sich Trump in den Weg. Selbst unter den republikanischen Politikern beginnen Absetzbewegungen (siehe etwa das Budget, dem sie zugestimmt haben und das den Vorstellungen des Praesidenten diametral widerspricht oder die Schwierigkeiten beim Obamacare-Repeal). So sieht ein Staatschef aus, der zwar immer noch eine Mehrheit hat, weil er ja gewaehlt worden ist, der aber kein Mandat hat bzw. dessen ohnehin schwaches Mandat voellig in sich kollabiert ist.

    Nun zu Rot-Rot-Gruen. Neuartige Koalitionen haben fast nie ein starkes Mandat. Die meisten Buerger wuenschen sich Stabilitaet, Kontinuitaet, nicht viel Veraenderung. Neue Koalitionen sind suspekt und werden meist von den Waehlern zunaechst einmal abgelehnt. Die erste Rot-Gruene Koalition war z.B. sicher nicht die Erfuellung des Waehlerwillens und ich spekuliere mal das selbe galt wohl auch fuer die Schwarz-Gruene Koalition in Hessen, wenngleich ich hierzu zugegebenermassen keine konkreten Umfragewerte habe. Ist es grundsaetzlich ein Problem kein Mandat oder nur ein schwaches Mandat zu haben? Nein. Zumindest grundsaetzlich ist das kein Problem.

    Ein starkes Mandat braucht man fuer radikale Veraenderungen, die die Lebenswirklichkeit der Buerger dramatisch veraendern: Die Wiedervereinigung z.B. brauchte ein starkes Mandat. Die Agenda 2010/Hartz IV-Reformen haetten aus meiner Sicht eines starken Mandates bedurft. Eine weitere europaeische Integration zu einem echten EU-Staat mit EU-Regierung und handlungsfaehigem EU-Parlament wuerde ein starkes Mandat benoetigen. Dies einfach nur um mal einige Beispiele zu nennen.

    Geht es einfach nur darum den Staat fuer vier Jahre weiter zu fuehren, ohne radikale Agenda, ohne brutale Veraenderungen, dann geht es auch ohne besonders starkes Mandat des Waehlers. Ein zumindest schwaches Mandat hat man ja bereits wie oben beschrieben dadurch, dass man die Wahl gewonnen hat. Und das Mandat kann sich auch waehrend der Legislaturperiode zum Positiven hin entwickeln, wenn Umfragen zeigen, dass die Buerger zunehmend an Bord kommen und der Rueckhalt der Regierung staerker wird.

    Eine hypothetische Rot-Rot-Gruene Bundesregierung wuerde folglich sehr wahrscheinlich erst einmal versuchen Vertrauen zu gewinnen und auszubauen. Wirkliche radikale Vorhaben (etwa die Idee der LINKEN aus der NATO auszutreten) haetten politisch ohnehin keine Chance. Ich nehme an, eine solche Regierung – im Bewusstsein, dass sie nicht die Traum/Wunsch-Koalition des Waehlers ist – wuerde mit grosser Vorsicht zunaechst einfach Sachverwalter sein und mit kleinen, relativ unumstrittenen Schritten Modifikationen am System bewirken. Es ist z.B. extrem unwahrscheinlich, dass Rot-Rot-Gruen Hartz IV ersatzlos abschaffen wuerde. Stattdessen wuerden wohl die Hartz IV-Saetze etwas steigen, um den Betroffenen Erleichterung zu verschaffen. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wuerde wohl erhoeht, um zu verhindern oder zumindest zu verzoegern, dass noch mehr Menschen auf das unterste Niveau hinabfallen etc.. Fuer Rot-Rot-Gruen ginge es in erster Linie darum sich zu bewaehren und dann bei der naechsten Wahl eine stabile Mehrheit – und diesmal mit starkem Mandat – zu bekommen. Und mit einem solchen starken Mandat gaebe es dann vermutlich umfangreichere politische Veraenderungen.

    Weiter: Der konservative Kandidat Fillon lag in seiner wirtschaftlichen Programmatik nahe an Macron, weshalb es vielen Liberal-Konservativen leicht fiel, das Lager zu wechseln als der Katholik in öffentlichen Misskredit geriet. Mit dem wesentlichen Teil dieser Stimmen kann man mit Fug und Recht annehmen, dass mindestens 40% der Franzosen hinter dem Programm Macrons stehen. Das ist eine deutliche relative Mehrheit.

    Naja, da widersprechen Sie sich jetzt aber ziemlich deutlich. Weiter oben hatten Sie geschrieben:

    […] mit dem Aufkommen der Vorwürfe über die familiäre Selbstbereicherung gingen Fillon zahlreiche zentristische und wirtschaftsliberale Wähler von der Fahne und wechselten ins Macron-Lager – vor dem ersten Wahlgang. Zurück blieben überproportional viele, die nationalistische Einstellungen pflegen. Klar war für diese die erste Option Le Pen und nicht der äußerst europafreundliche und auch im Habitus liberale Macron.

    In Macrons 24% des ersten Wahldurchgangs sind die „zentristischen und wirtschaftsliberalen Waehler“, die normalerweise eigentlich die Konservativen unterstuetzen wuerden also bereits eingepreist. So zumindest Ihre publizierte Meinung. Es ist nicht fair diese Waehler jetzt „doppelt zu zaehlen“, einmal als Macron-Unterstuetzer und einmal als Konservative. Und wie Stefan Sasses Grafik oben zeigt, stimmten etwas weniger als die Haelfte der Fillon-Waehler des ersten Wahldurchgangs in der Stichwahl fuer Macron. Man darf annehmen – auch wenn wir hier ueber die exakte Zahl streiten moegen – dass ein signifikanter Teil (ich schaetze mal die Haelfte) dieser etwa 10% der Waehlerschaft Macron seine Stimme nicht wegen seiner Agenda gab, sondern um Le Pen zu verhindern. Aber selbst wenn man (inkorrekterweise) die gesamten 10% zu Macrons 24% aus dem ersten Wahldurchgang hinzu addieren wuerde, kaeme man nicht auf 40% Unterstuetzung, sondern gerade mal auf 34%.

    Dass Macron programmatisch nicht auf die 20% Mélenchon- und 6% Hamon-Unterstuetzer (beide linken Politiker traten mit fast deckungsgleichen Programmen an) des ersten Wahlgangs bauen kann, duerfte politisch ebenfalls klar sein. Was aus dieser Gruppe an Stimmen fuer den kommenden Praesidenten kam, waren offensichtlich weit ueberwiegend anti-Le Pen- und nicht pro-Macron-Votes. Und dass Macron auch die 21% der FN-Unterstuetzer des ersten Wahlgangs gegen sich hatte, ist ohnehin klar. Dazu kommen die 5% von Nicolas Dupont-Aignans DLF, die betont euroskeptisch ist und nach der Vorwahl ein direktes Buendnis mit dem Front National einging. Addieren wir diese Zahlen auf und nehmen noch etwa 5% der Fillon-Anhaenger dazu (, von denen ich wie oben diskutiert spekuliere, dass ein gewisser Teil in der Stichwahl ebenfalls in erster Linie gegen Le Pen und nicht fuer Macrons Agenda gestimmt haben wird), dann kommen die Gegner des zukuenftigen Praesidenten auf 57%. Macron hingegen hat die Unterstuetzung von etwa 29% (seine eigenen 24% im ersten Durchgang plus die anderen 5% der Fillon-Waehler, die seine Agenda moeglicherweise wirklich moegen). Mit Blick auf diese Zahlen kann von einem starken Mandat keine Rede sein.

    Wenn die Wahlen zur Nationalversammlung im Juni keinen entscheidenden Shift hin zu Macron erbringen, wird Macrons schwaches gegenwaertiges Mandat sehr wahrscheinlich ebenso kollabieren wie das von Donald Trump zuvor.

    • Stefan Pietsch 14. Mai 2017, 08:09

      Dass R2G eine Mehrheit im Bundestag hat, ist eine mathematische Gewissheit. Die Kanzlermehrheit liegt derzeit bei 316 Sitzen, die linken Parteien liegen gerade 4 Sitze darüber. Nach Ansicht von Parteistrategen benötigte es für eine stabile Mehrheit von Rot-Rot-Grün jedoch 10 Sitze, um das Experiment zu wagen.

      Sie erklären nicht, worin der Sinn einer solchen Koalition liegen sollte. Dass die LINKE endlich rehabilitiert ist? Die Parteispitzen erklären seit Jahren, dass ihre 3 Kernanliegen praktisch nicht verhandelbar seien. Nun behaupten Sie das glatte Gegenteil. Eine solche Koalition bringt ja eben nicht mit, was Sie für essentiell ansehen: Beständigkeit. Man will die Republik verändern, sonst bräuchte man ja nicht regieren.

      Sie haben ja recht, dass neue Regierungskonstellationen erst erprobt werden müssen. Nur sind Ihre Vergleiche dafür daneben. Rot-Grün wurde in den 1980er und 1990er Jahren so oft geprobt, dass die Bürger längst eine solche Bundesregierung erwartet hatten. Die Ergebnisse der Grünen waren in den Ländern von 1992-1998 teils zweistellig. Die Partei war längst im Kern der Republik, im Westen und hier in den wirtschaftlichen Herzkammern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und NRW fest verankert. Sie wurde von Großteilen des Bürgertums gewählt.

      Das alles trifft auf die Partei die LINKE nicht zu, sie gilt gerade im Westen weiterhin als Paria der Politik. Die Partei unter diesen Bedingungen zum Teil einer Bundesregierung zu machen und ihr wesentlichen Gestaltungseinfluss zuzugestehen, hieße, den Schwanz (Osten) mit dem Hund (Westen) wedeln zu lassen.

      Im Westen wird der Großteil des Steuer- und Abgabenaufkommens erwirtschaftet und das auch noch überproportional. R2G hat sich bisher als reine Verteilungskoalition präsentiert für gute Zeiten. Das trifft nicht die Mentalität und Stimmungslage der überwiegenden Mehrheit. Diese befürwortet als Verwendungszweck der derzeitigen Haushaltsüberschüsse in deutlicher relativer Mehrheit einen Abbau der Staatsschulden, dann Steuersenkungen, dann Investitionen. Gerade die beiden roten Parteien sehen das eher oppositionell.

      Das Thema Sicherheit hat angesichts der regelmäßigen Terroranschläge und der zugenommenen gefühlten Kriminalität an Gewicht genommen. Doch seit den Zeiten Otto Schilys hat keine der drei potentiellen Koalitionskandidaten einen Innen- und Sicherheitspolitiker von Gewicht vorzuzeigen. Das Thema ist dort keins.

      Gerade droht Rot-Grün in NRW unterzugehen und das, weil zentrale Versprechen nicht eingelöst werden konnten. So begründete man 2010 den Unwillen zur Stabilisierung der Staatsfinanzen mit der Zukunftsgerichtetheit der eigenen Politik. Kein Kind solle zurückbleiben. Heute ist NRW Spitzenreiter bei der Kinderarmut, echte Verbesserungen sind nach 7 Jahren Regierungszeit nicht eingetreten. Erfahrungsgemäß können linke Parteien immer nur relativ kurz regieren, dann werden sie gesprengt. Entweder von innen heraus oder vom Wähler. Kommt dann eine katastrophale Regierungsbilanz wie im bevölkerungsreichsten Bundesland hinzu, ist der Ruf auf absehbare Zeit ruiniert.

      Macron hat zwei bis 3 Kernthesen, die unterschiedliche Widerstände und Begeisterungen auslösen. Sie subsummieren Euroskeptiker zusammen mit Gegnern wirtschaftlicher Reformen. Das gilt besonders für die konservative Partei nicht. Immerhin hat die Hälfte der immer noch verbliebenen Fillon-Wähler im zweiten Wahlgang Macron gewählt. Sie behaupten flux, dies sei nur mit der Faust in der Tasche passiert. Und Sie stellen die These auf, dass die zu Le Pen abgewanderten Republicans dies taten, weil Macron ein liberaleres Arbeitsrecht ankündigte und nicht, weil ihnen der proeuropäische Sound missfiel.

      Die sozialistische PS erreichte bei der letzten Parlamentswahl knapp 30% der Stimmen. Von diesen blieben jetzt noch 5% bei dem eigenen Kandidaten hängen. Sie meinen nun, das wären verhinderte Mélenchon-Wähler. Doch traditionellerweise halten bürgerlich gesinnte Wähler länger die Treue als Extreme, Wütende, im Widerstand Befindliche. Einfach anzunehmen, diese 5% seien gegen Macron ist mindestens Kaffeesatzleserei. Wir wissen es nicht und spätestens in diesem Fall verbieten sich Annahmen.

      Wir werden also noch etwas abwarten müssen, bevor wir Gewissheiten bekommen, auf denen sich debattieren lässt. Übrigens: das Beispiel Trump finde ich häufig nicht gelungen. Seine Wahl war in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit. Gerade die letzten nationalen Wahlen in den Niederlanden und Frankreich sowie die regionalen Abstimmungen in Deutschland bestätigen das.

  • Ralf 15. Mai 2017, 02:10

    Sie erklären nicht, worin der Sinn einer solchen Koalition liegen sollte. Dass die LINKE endlich rehabilitiert ist?

    Nein. Der Sinn einer solchen Koalition laege in einer sozialeren Politik, die in anderen Konstellationen unmachbar waere, weil die beteiligten Partner in diesen anderen Konstellationen entweder eine solche Politik nicht mittragen wuerden oder weil es sonst zahlenmaessig einfach nicht zur Mehrheit reichen wuerde. Ist es nicht oft so, dass man Parteien nach gewissen strategischen Inhalten waehlt? Wer in erster Linie ein „weiter so“ will, waehlt CDU. Wer in erster Linie Steuersenkungen will, waehlt FDP. Wer in erster Linie Umweltschutz will, waehlt die Gruenen. Wer in erster Linie eine sozialere Gesellschaft will, waehlt die LINKE.

    Nur bei der SPD faellt mir beim besten Willen kein Wahlgrund ein. Vielleicht taumelt die Partei deshalb seit Schroeder am Abgrund …

    Man will die Republik verändern, sonst bräuchte man ja nicht regieren.

    Natuerlich traeumt jede Partei davon die „Republik zu veraendern“. Aber dafuer muss man keine Revolution anzetteln und es braucht auch keine radikalen Brueche. Eine Gesellschaft kann sich auch langsam, stetig in eine neue Richtung bewegen. Und in der Politik sorgen gewisse Realitaeten (z.B. dass Geld nicht auf Baeumen waechst) und die in Koalitionen notwendigen Kompromisserfordernisse ohnehin fuer eher langsame Entwicklungen.

    Das alles trifft auf die Partei die LINKE nicht zu, sie gilt gerade im Westen weiterhin als Paria der Politik.

    Die Partei ist Paria nur deshalb, weil sie von den Medien, hinter denen maechtige Interessen stehen, dazu gemacht wurde. Wenn man sich mal das Programm anschaut, steht die Partei ueberwiegend fuer ganz normale sozialdemokratische Politik. Glauben Sie wirklich Willy Brandt wuerde heutzutage noch in die SPD eintreten?

    Im uebrigen gilt vieles von dem, was Sie ueber die LINKE im Westen sagen umgekehrt auch fuer die Gruenen im Osten. Die Gruenen haben halt im Osten nie wirklich einen Fuss auf den Boden gekriegt. Sie regieren gegenwaertig nur in Thueringen und Sachsen-Anhalt mit, wobei die Beteiligung in Sachsen-Anhalt nun wirklich eine Notloesung ist. In Mecklenburg-Vorpommern sind sie garnicht vertreten. In Sachsen haben sie bei der letzten Landtagswahl gerade mal 5,7% geholt. In Brandenburg 6,2%.

    Die LINKE hingegen ist im Osten inkl. Berlin in allen Landtagen stark vertreten, fuehrt in Thueringen sogar die Regierung, und sitzt im Westen im Hamburger, im Bremer und im hessischen Landtag und zweistellig im saarlaendischen Landtag. In NRW haette die Partei mit 4.8-4.9% beinahe den Einzug geschafft. Ausser in Thueringen ist sie uebrigens noch an zwei weiteren Landesregierungen vertreten. So voellig unvergleichbar mit den Gruenen ist die LINKE also nicht.

    Und ich nehme mal an, Sie haetten nichts gegen eine Regierungsbeteiligung der FDP einzuwenden. Die FDP ist gegenwaertig im Bundestag garnicht vertreten, fuehrt im Gegensatz zu den Gruenen und der LINKEN in keinem Bundesland eine Landesregierung und hat auch in der Vergangenheit nie eine gefuehrt und ist gerade mal an einer einzigen Landesregierung ueberhaupt beteiligt – mit 6,2% in Rheinland-Pfalz.

    R2G hat sich bisher als reine Verteilungskoalition präsentiert für gute Zeiten. Das trifft nicht die Mentalität und Stimmungslage der überwiegenden Mehrheit. Diese befürwortet als Verwendungszweck der derzeitigen Haushaltsüberschüsse in deutlicher relativer Mehrheit einen Abbau der Staatsschulden, dann Steuersenkungen, dann Investitionen. Gerade die beiden roten Parteien sehen das eher oppositionell.

    Die Landesregierungen, an denen die LINKE beteiligt war, waren keine „Verteilungskoalitionen“. Es ist normal, dass man in der Opposition idealistisch ist und vieles fordert und anschliessend wenn man gewaehlt ist, den harten Realitaeten gegenuebersteht. Dieses Phaenomen kann man ausnahmslos bei allen Parteien beobachten. Bisher macht auch niemand Wahlkampf fuer Rot-Rot-Gruen. Es ist also kein Wunder, dass man die Herzen der Waehler nicht erreicht hat. Rot-Rot-Gruen ist auch extrem unrealistisch, denn weder scheint die SPD Appetit darauf zu haben, noch ist es realistisch, dass sich eine solche Koalition gegen das Trommelfeuer der Medien zusammenfinden koennte. Am Ende wird sich die SPD wieder entscheiden Juniorpartner von Frau Merkel zu bleiben oder einfach gar keine Regierungsperspektive haben. Vielleicht klappt es mit dem „Schulz-Effekt“ diesmal sogar mit einem Ergebnis unterhalb der 20%.

    Gerade droht Rot-Grün in NRW unterzugehen und das, weil zentrale Versprechen nicht eingelöst werden konnten.

    Ich will Ihnen nicht voellig widersprechen, weise aber dennoch darauf hin, dass bundespolitische Aspekte – gerade so kurz vor einer Bundestagswahl – immer auch eine gehobene Rolle spielen. Und Martin Schulz – ein langweiliger Technokrat ohne Programm, bestenfalls mit zwei, drei Ueberschriften gewaffnet – geht bereits seit Wochen baden, waehrend die CDU die Fluechtlingskrise ueberwunden hat, Momentum aufnimmt und Landtagswahlen gewinnt. Das sollte man als Faktor in NRW zumindest nicht ganz unter den Tisch fallen lassen.

    Das gilt besonders für die konservative Partei nicht. Immerhin hat die Hälfte der immer noch verbliebenen Fillon-Wähler im zweiten Wahlgang Macron gewählt. Sie behaupten flux, dies sei nur mit der Faust in der Tasche passiert.

    Nein, das behaupte ich so nicht. Ich habe gesagt, dass ein Teil dieser Waehler eher „anti-Le Pen“ als „pro-Macron“ gewaehlt hat und ich habe diesen Teil auf etwa die Haelfte geschaetzt.

    Die sozialistische PS erreichte bei der letzten Parlamentswahl knapp 30% der Stimmen. Von diesen blieben jetzt noch 5% bei dem eigenen Kandidaten hängen. Sie meinen nun, das wären verhinderte Mélenchon-Wähler. Doch traditionellerweise halten bürgerlich gesinnte Wähler länger die Treue als Extreme, Wütende, im Widerstand Befindliche. Einfach anzunehmen, diese 5% seien gegen Macron ist mindestens Kaffeesatzleserei.

    Benoît Hamon trat mit einem sehr linken Programm an, das im wesentlichen deckungsgleich mit dem von Jean-Luc Mélenchon war. Es ist keine Kaffeesatzleserei anzunehmen, dass deren Klientel den neoliberalen Thesen Macrons nicht besonders freundlich gegenueber stehen duerfte. Jene ehemaligen PS-Waehler, die ihr Kreuz diesmal offensichtlich nicht bei ihrer Partei gemacht haben, duerften zu signifikanten Teilen bereits beim ersten Wahlgang zu Macron uebergelaufen sein und deshalb in dessen Ergebnis eingepreist sein.

    • Stefan Pietsch 15. Mai 2017, 12:12

      Der Sinn einer solchen Koalition läge in einer sozialeren Politik

      Was bezeichnen Sie als „sozialere“ Politik? Eine Politik, die Ihnen zusagt. Das ist legitim, dafür einzutreten. Fragwürdig ist, anderen bestimmte Ziele einfach abzusprechen und dies dann auch noch an Parteibindungen festzumachen.

      Ich wiederhole mich: zwei Drittel aller Grün-Wähler votieren für die Partei, weil sie „irgendwie für Umwelt“ sind. Keine andere Partei erreicht nur annähernd so hohe Werte bei ihren Kernanliegen. So stimmten z.B. bei der Bundestagswahl 2009 gerade rund 30% ihrer Anhänger für die FDP, weil diese Steuersenkungen durchsetzen wollte. Die SPD wird sehr wohl als Partei „der sozialen Gerechtigkeit“ wahrgenommen. Und die LINKE hat nur bei Arbeitslosen eine Mehrheit, in keiner anderen gesellschaftlichen Gruppierung. Wollen Sie ernsthaft erzählen, nur Menschen ohne Job wüssten, was sozial sei? Weder Junge noch Alte, weder Menschen mit mittlerem noch hohem Einkommen hätten ausreichend Ahnung, was eine soziale Gesellschaft ausmacht? Das ist doch eher das Merkmal einer interessengeleiteten Lobbypartei statt einer breiten Bewegung.
      Sie übersteigern regelmäßig Ihre eigene persönliche Position zum Zentrum. Das hat etwas Anmaßendes. Weiteres Beispiel:
      Glauben Sie wirklich Willy Brandt würde heutzutage noch in die SPD eintreten?

      Welcher Willy Brandt? Vergessen haben die Linken, dass Ihr Idol in der Endphase seines Lebens mit seinem Lieblingsenkel und selbst erklärten Bewahrer des Erbes gebrochen hatte. Grund war die kritische um nicht ablehnende Haltung von Oskar Lafontaine zur deutschen Wiedervereinigung. Der Saarländer inszenierte sich damals als Bewahrer westlicher Interessen, wir und die anderen. Mit dieser Polit-Strategie wurde er zum Liebling seiner Landsleute im Saarland, blieb aber stets mäßig populär im Rest der Republik. Willy Brandt strebte stets nach Regierungsverantwortung, während sich Lafontaine oft als Oppositionspolitiker gefiel. Es wird behauptet, wegen der „Kriegspolitik“ der Sozialdemokraten könne Brandt heute nicht mehr in der SPD sein.

      Ich finde es anmaßend, Idole für die eigenen Interessen einzuspannen und zu missbrauchen, die sich nicht wehren können. Ich würde sicher nie schreiben, „ob Ludwig Erhard heute noch in der CDU wäre?“. Mit seiner Ablehnung von militärischen Auslandseinsetzen hatte der erste SPD-Kanzler kein Alleinstellungsmerkmal in seiner Politikergeneration. Diese war von der Katastrophe des 2. Weltkrieges gezeichnet. Auch sein langjähriger Gegenspieler und Gegenpol in der SPD, sein Nachfolger im Amt des Kanzlers, lehnte bis zu seinem Tod 2015 Auslandsengagements der Bundeswehr ab. Ich war immer ein großer Bewunderer und Verehrer Helmut Schmidts. Seine Position war nachvollziehbar, gut begründet und aus seiner Vita erklärt, dennoch habe ich das oft anders gesehen. Es hat etwas mit Respekt zu tun, solches anzuerkennen. Wäre Brandt nicht 1913, sondern 1983 geboren stände er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für andere Werte und Überzeugungen.

      Im Übrigen gilt vieles von dem, was Sie über die LINKE im Westen sagen umgekehrt auch für die Grünen im Osten.

      Und über die FDP. Mentalitätsmäßig sind Sie mehr als einen Ozean von Deutschland entfernt. Auch hier wiederhole ich mich: die Liberalen wie die Grünen sind individualistische Parteien, während bei der Union, der SPD und der LINKEN die Gemeinschaft den Politikansatz ausmacht. Die Menschen im Osten sind durch 40 Jahre Staatssozialismus auf Gemeinschaft geimpft, der Protestantismus legte dazu schon früher die Basis. Individualistische Lebenswege wie Unternehmertum werden dort skeptischer bis ablehnender betrachtet als in den westlichen Bundesländern. Mit einer guten Freundin, sozialisiert in der DDR, war ich auf dem Weihnachtsmarkt in Wiesbaden, dem Ideal der westlichen Bürgergesellschaft. Als wesentlicher Unterschied fiel ihr auf, dass die Menschen eher in kleinen Gruppen ständen, das Ego betonend, während auf einem Weihnachtsmarkt im Osten z.B. Berlin die Leute weit eher gemeinschaftliche Kontakte suchen würden ohne so sehr den eigenen Status zu betonen.

      Die LINKE ist nicht eine Partei, sie besteht auch über ein Jahrzehnt nach der Vereinigung von WASG und PDS aus zwei Teilen, die wenig gemeinsam haben. Das sage nicht ich, das sagen Parteifunktionäre. Keine andere Partei stellt an die Spitze so konträre Personen, die für gegenteilige Richtungen stehen. Die Wähler wissen das, sie wissen, dass wenn sie in Hessen die LINKE wählen, nicht den angenommenen Sozialdemokraten Dietmar Bartsch, sondern die Hardcore-Linke und Extremistin Janine Wissler bekommen.

      Im Westen ist die Partei daher an keiner Regierung beteiligt, im Saarland ist sie Lafontaine-Fanclub. Allein das Landesidol sichert der Partei zweistellige Werte. Und damit kommen wir zu dem zentralen Punkt, den Sie und andere dezidiert Linke übersehen oder missachten, obwohl es doch so offensichtlich ist. Bürger wählen als erstes Personen und dann Inhalte. Dazu gehört Vertrauen und gerade die LINKE schafft es nicht, für breite Schichten vertrauenswürdige Persönlichkeiten zu entwickeln. Im Saarland verlor die SPD mit einer schwachen Kandidatin, weil sie zu deutlich mit der LINKEn flirtete. Die Hälfte der Wahlverluste der Partei ist dezidiert auf diesen Grund zurückzuführen. Dagegen genoss die Amtsinhaberin Kramp-Karrenbauer hohe Glaubwürdigkeitswerte. Das selbe Spiel in Schleswig-Holstein: die eigentlichen Wahlgewinner FDP und Grüne können auf sehr populäre und glaubwürdige Landespolitiker zurückgreifen, die SPD hat einen Ralf Stegner.

      Und nun NRW: das Gesicht der LINKEN blieb unkenntlich, während der FDP-Spitzenkandidat noch vor der Ministerpräsidentin der populärste Landespolitiker ist. Die FDP wird, so wie es derzeit aussieht, überzeugend die Rückkehr in den Bundestag schaffen. Nach dem Desaster von 2013 hat die Partei kaum die Programmatik, sehr aber Sound und Personen verändert. Das scheint den Unterschied zwischen 3% und 7% auszumachen. Die LINKE setzt vorgeblich nicht auf Personen, sondern auf „Inhalte“. Dennoch ist Sahra Wagenknecht am häufigsten in den politischen Talksendungen vertreten. Auch die Parteistrategen wissen, dass nur durch Personen Politik transportiert wird. Allerdings ist Wagenknecht weder Menschenfängerin vom Typ Schulz, Schröder, Lindner, Kubicki oder Macron noch Vertrauen verbreitende Politikerin nach dem Typ Kretschmann, Merkel oder May.

      Deswegen ist das, was Sie zur Medienfeindlichkeit schreiben, schlicht Unsinn. Erstens bilden sich die Wähler mehrheitlich nicht aufgrund von publizierten Meinungen ihre eigene. Zweitens werden die LINKEN gerade von den Öffentlich-Rechtlichen weitgehend höflich behandelt. Satiresendungen wie die heute-Show oder die Anstalt stellen sich gar klar auf die Seite der Partei, durch den Kakao werden Konservative, Liberale und vor allem die AfD gezogen.

      Die Landesregierungen, an denen die LINKE beteiligt war, waren keine „Verteilungskoalitionen“.

      Nicht? In Berlin war sie in den Nullerjahren keine, das ist richtig. Die Konsequenz war, dass sie bei der folgenden Wahl genau die Hälfte ihrer Anhänger verlor. Wie oft wird eine Partei das machen? Die Konsequenz hat der Landesverband letztes Jahr gezogen, die im Senat regierende Koalition ist eine Wohlfühlveranstaltung. In NRW stützte sie 2010 die Minderheitsregierung von Hannelore Kraft, wo das Elend seinen Ausgang nahm. Selbstredend wurden die mit einer Ausweitung der Staatsschulden bezahlten sozialen Ziele dramatisch verfehlt. Wiedermal hat sich „vorausschauende Politik“ als bloße Floskel entpuppt.

      Zu Macron / PS: Der neue Präsident holte Stimmen aus beiden Lagern, sagen wir der Einfachheit halber jeweils 10%, ein sehr kleiner Teil der Franzosen ist liberal gesinnt und wählte früher Bayrou. Über den Daumen sind damit die Einstellungen von 20% der ehemaligen PS-Wähler noch erklärungsbedürftig. So die Hälfte ist ins Mélenchon-Lager gewechselt, bleiben somit noch 10%, von denen 5% ihr Kreuz wieder beim PS-Kandidaten gemacht haben. Über die Einstellungen dieser jeweils 5% können wir kaum Mutmaßungen anstellen, ein Teil wird beispielsweise FN gewählt haben. Aber stehen sie deswegen Macrons Zielen „feindlich“ gegenüber? Wir haben im Teil vorher bereits spekuliert, hier weitere Spekulation draufzupacken, macht das Ganze unseriös. Wir müssen abwarten.

      • Rauschi 16. Mai 2017, 11:15

        Deswegen ist das, was Sie zur Medienfeindlichkeit schreiben, schlicht Unsinn. Erstens bilden sich die Wähler mehrheitlich nicht aufgrund von publizierten Meinungen ihre eigene. Zweitens werden die LINKEN gerade von den Öffentlich-Rechtlichen weitgehend höflich behandelt. Satiresendungen wie die heute-Show oder die Anstalt stellen sich gar klar auf die Seite der Partei, durch den Kakao werden Konservative, Liberale und vor allem die AfD gezogen.
        Sie schaffen es aber auch immer wieder standhaft die Realität zu leugnen, das hat was. Niemand ist eine Insel, natürlich bildet sich niemand seine Meinung ganz autonom, die meisten haben Kontakt mit anderen Menschen und tauschen sich untereinander aus. Die Tagesschau ist immer noch die meist gesehen Nachrichtensendung. Selbstredenden bilden auch die eigenen Erfahrungen einen Teil der Meinung, aber vollkommen unabhängig von externen Einflüssen ist die Meinung nicht.
        Die Medienpräsenz der LINKEN ist im Vergleich zu allen anderen sehr niedrig, ungefähr die Hälfte der Zeit, die Grüne oder FDP bekommen. War auch bei der NRW Wahl wieder so: Die beiden Parteien, die nicht im Landtag und nicht im Bundestag vertreten sind, bekamen 28% der Aufmerksamkeit und die Linke gerade mal 6%.
        Quelle : https://www.lexisnexis.de/blog/medienbeobachtung/landtagswahlen-2017
        Das die öffetnlich-rechtlichen sehr staatsnah sind, ist keine Verschwörungstheorie, sondern belegt
        [Der Rundfunk in Deutschland ist vom Ziel der Staatsferne weiter entfernt denn je. Staatsnahe Rundfunkräte sind eher die Regel als die Ausnahme.“ Zu diesem Ergebnis kommt der Medienwissenschaftler Boris Eichler in einer Studie für die Friedrich-Naumann-Stiftung. „Die unabhängigen Vertreter der sogenannten ‚gesellschaftlich relevanten‘ Gruppen werden oft von Institutionen geschickt, die von staatlicher Finanzierung abhängig sind]
        Quelle : https://www.welt.de/politik/deutschland/article119708432/Staatsnahe-Rundfunkraete-sind-eher-die-Regel.html
        Das die Satire sich den anderen widmet, liegt vielleicht eher daran, das daher die meisten guten Vorlagen für einen Lacher kommen, da spart man sich den Gag-Schreiber.

        Gruss Rauschi

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