Über das vergangene Wochenende hat ein Videoausschnitt von der Bundespressekonferenz für Heiterkeit gesorgt, in dem das Bundesverkehrsministerium nicht in der Lage war, ein einziges Argument gegen die Einführung eines Tempolimits zu nennen:
Video: Warum das Bundesverkehrsministerium gegen ein #Tempolimit ist, will das FDP-Haus nicht verraten. Argumente hat man keine mehr. Skurril: Das Bundesumweltministerium hält direkt danach mit Pro-Argumenten dagegen: CO2-Einsparung, Erhöhung der Verkehrssicherheit & Öleinsparung pic.twitter.com/mGgt8qxsGo
— Tilo Jung (@TiloJung) April 1, 2022
Dieses Unvermögen lässt sich aber recht leicht erklären, wenn man im Deutschunterricht richtig aufgepasst hat. Konkret geht es um die Erörterung, aus deren Fundus ich ja schon einmal nützliche Erklärungen für Diskursmechaniken gezogen habe. Da liegt es doch nahe, sich die Lehrerkappe noch einmal aufzuziehen und näher zu betrachten, was eigentlich ein Argument genau ausmacht.
In seiner Grundstruktur, die in der täglichen Praxis natürlich nur selten eingehalten wird, enthält ein Argument drei Bestandteile: eine Behauptung, eine Begründung und einen Beleg. Wir nennen das aus nachvollziehbaren Gründen die 3B. Ein primitives Beispiel dafür: Wenn du aus großer Höhe fällst, stirbst du (Behauptung), weil dein Körper die Energien, die beim Aufprall auf den Boden freiwerden, nicht aushalten kann (Begründung); wir sehen das etwa an den Selbstmörder*innen, die von Wolkenkratzern springen und die das nie überleben (Beleg). Je offensichtlicher etwas ist, desto eher können wir auf Begründung und Beleg verzichten (weil die Zuhörenden aus der Behauptung den Rest erschließen); manchmal nennen wir auch nur einen Beleg und verlassen uns darauf, dass sich unsere Zuhörenden die zugehörige Behauptung und Begründung schon erschließen können.
So weit, so banal. Spannender sind die verschiedenen Arten von Argumenten. Argumente müssen von den Zuhörenden anerkannt werden, damit sie in der Debatte wirken können. Anerkennung heißt hier nicht Zustimmung; es heißt nur, dass es als legitimes Argument anerkannt wird. Dazu kommt: Nicht jedes Argument ist gleich; wir räumen manchen Arten wesentlich höhere Bedeutung ein als anderen. Sehen wir uns die Familie kurz an:
Da wäre das Berufen auf Erfahrung. „Mein Erlebnis – oder das einer bekannten Person – ist X, daher Y.“ Dieses Argument gehört zu den schwächsten, und wenn es in der Diskussion auftaucht, ist die Stimmung meist bereits erhitzt – ein todsicheres Zeichen dafür, dass wir den Rahmen rationalen Debattierens verlassen haben und auf einen ausgewachsenen Streit zuschlittern. „Ich fahre ständig bei Tempo 200 auf der Autobahn und es ist noch nie etwas passiert!“ würde in diese Kategorie fallen. Es ist eine ebenso wahre wie irrelevante Aussage, weil bei rund 40 Millionen Autofahrenden ein Einzelerlebnis niemals Grundlage einer allgemeinen Regel sein kann. Deswegen werden diese Argumente zwar üblicherweise anerkannt, aber ihnen wird wenig Bedeutung beigemessen.
Sehr beliebt ist auch der Hinweis auf Folgen. „Wenn wir X machen, dann passiert Y.“ Zentrale Eigenschaft dieses Arguments ist, dass es nicht überprüfbar ist. „Wenn wir ein Tempolimit einführen, wird die Zahl der Verkehrstoten sinken“ ist zwar eine plausible, aber keine erwiesene Annahme. Dieses Argument wird von den Zuhörenden üblicherweise anerkannt, wenn die Plausibilität gegeben ist („Das Tempolimit wird dafür sorgen, dass keine Unfälle mehr passieren“ wäre unplausibel). Fast immer wird auf einen Hinweis auf Folgen ein gegenteiliger Hinweis auf Folgen entgegnet. Das Argument wird auch gerne mit dem Autoritätsargument kombiniert („Laut X passiert Y, wenn wir Z machen“), dazu mehr weiter unten.
Völlig missverstanden ist das Faktenargument. Es beruft sich auf (zumindest theoretisch) objektiv nachweisbare Fakten. Ein Beispiel hierfür wäre: „Ein Auffahrunfall bei Tempo 100 ist wesentlich gefährlicher als einer bei Tempo 30.“ Objektiv völlig richtig, werden Faktenargumente gerne wie Totschlagargumente in Debatten eingebracht. Ich sage deswegen missverstanden, weil es in die Köpfe der Leute nicht hinein will, wie irrelevant Faktenargumente für Debatten sind. Denn relevant ist nicht das Fakt, sondern seine Interpretation. Klar ist der Unfall bei Tempo 100 gefährlicher als bei Tempo 30, aber aus diesem Fakt leitet sich nichts objektiv ab, weder eine Positionierung für noch gegen das Tempolimit. Diese folgt erst aus anderen Argumenten. Dieses Missverständnis sorgt dafür, dass eine Seite (oder, oft genug, beide) dem jeweiligen Gegner wutentbrannt vorwirft, die Fakten zu ignorieren. Das ist aber selten der Fall. Meistens werden bestimmte Fakten nur für irrelevant erklärt oder es werden andere Schlussfolgerungen gezogen.
Völlig verstanden dagegen wird das Autoritätsargument. „X sagt Y, daher ist es wahr.“ Auf den ersten Blick könnte man das mit dem Berufen auf Erfahrung verwechseln, aber das wäre ein Autoritäts-Trugschluss. Denn akzeptiert wird das Autoritätsargument erst, wenn die dahinterstehende Autorität als solche akzeptiert ist. Wir setzen uns kritisch mit dem Meinungsstreit von Streeck und Drosten auseinander, weil wir beide als Autoritäten akzeptieren; die Meinung von Tante Erna dagegen ist irrelevant. Autoritäten müssen dabei nicht Personen sein. Das Berufen auf (heilige) Texte (von der Bibel bis zum Kapital) ist ebenso beliebt wie das Berufen auf Studien und Statistiken. Sie alle sind Autoritätsargumente. Wir billigen ihnen vergleichsweise große Überzeugungskraft zu, weil sie im Gegensatz zu Faktenargumenten oder Hinweisen auf Folgen bereits mit einer klaren Argumentationskette verbunden sind. Fakten werden durch Autoritäten eingeordnet, Hinweise auf Folgen zu wahrscheinlichen und festen Mustern veredelt. Dementsprechend schwer ist der Widerspruch; wer keine eigenen Meriten auf dem jeweiligen Fachgebiet hat, braucht eine Gegenautorität. Glücklicherweise gibt es eine solche in pluralistischen Gesellschaften mit Meinungsfreiheit eigentlich immer; der erwähnte Streit Streeck vs. Drosten ist nur eines von unendlich vielen Beispielen.
All diese Argumente aber sind nicht sonderlich überzeugend. Ich kann sie im Gespräch im Dutzend billiger verwenden, sie berühren nie den Kern der Sache und werden in den seltensten Fällen mein Gegenüber überzeugen (wir werden so oder so in den seltensten Fällen unser Gegenüber überzeugen, aber das ist eine ganz andere Geschichte).
Die unbestrittene Königin der Argumente ist und bleibt deswegen das Wertargument oder normative Argument. Hierbei beruft man sich auf einen Wert oder eine Norm. Diese muss von den Zuhörenden als relevant eingestuft werden (ein christliches Menschenbild spielt etwa bei der Abtreibungsdebatte klar eine Rolle, beim Tempolimit eher weniger), um als gültig akzeptiert zu werden. Nichts ist uns so wichtig wie Werte. Sie sind das Fundament unserer Identität. Damit sind sie auch das Fundament unserer Argumentation. Wir sortieren unsere Fakten nach unseren Werten aus, bewerten Autoritäten nach ihrer Nähe zu unseren Normen, bewerten Erfahrungen anderer Menschen und ihre Hinweise auf Folgen danach, wie nahe sie an unseren Werten sind. Dieser Mechanismus ist unterbewusst und lässt sich nur sehr schwer unterdrücken; abschalten lässt er sich gar nicht.
In bundesdeutschen Debatten ist vor allem die Wertelinie von Freiheit vs. Sicherheit die wichtigste; auf ihr laufen mit Abstand die meisten Konflikte ab, so auch der vom Tempolimit. Aber von der Terrorismusgesetzgebung zur Zuckersteuer, von der Maskenpflicht zur Sozialgesetzgebung lassen sich die meisten Themen auf dieser Achse einordnen. Es ist die Sprache des Liberalismus, der das Wertefundament unserer liberalen Gesellschaft ist. Dieses Wertefundament, auch wenn es in Teilen harsch kritisiert wird, ist von allen relevanten Gruppen in Deutschland als Grundlage anerkannt.
Und das führt uns zum Tempolimit. Was wir in dem Ausschnitt aus der Pressekonferenz sehen konnten, ist ein Mangel an Faktenargumenten. Es gibt auch fast keine Fakten, die gegen ein Tempolimit sprechen. Das beste ist ein sehr moderater Zeitgewinn bei Nachtfahrten über die Autobahn, aber abseits davon gibt es nur sehr wenig. Die Befürworter eines Tempolimits haben dagegen extrem viel Faktenargumente auf ihrer Seite, von der Abnutzung der Fahrzeuge zur Sicherheit zum Umweltschutz zur Lärmbelastung. Nur, das ist völlig irrelevant, denn das sagt nichts über die Güte oder Relevanz dieser Argumente aus.
Vor dem 24. Februar 2022 waren die Retorten auf all diese Fakten ziemlich deutlich. Der Effekt auf den Benzinverbrauch ist ebenso überschaubar wie der auf die Emissionen. Krach machen Autobahnen auch bei 130, und einen Unfall überlebe ich zwar bei Tempo 200 mit Sicherheit nicht, aber bei Tempo 130 sind meine Chancen auch verschwindend gering. Und so weiter. Keines dieser Myriade von Faktenargumenten kann überzeugen. Dasselbe gilt für Hinweise auf Folgen, die ja meist mit den Fakten vermischt werden.
Das Problem der Schnellfahrfans ist nur der 24. Februar 2022, weil das radikale geänderte politische Klima gerade die beiden üblichen Argumentationsarten gegen das Tempolimit politisch etwas unopportun gemacht hat. Da wäre einerseits das Berufen auf die persönliche Erfahrung, womit besonders Ulf Poschardt in den letzten Monaten gerne reüssiert hat: „Mir macht es sehr viel Spaß, schnell zu fahren.“ Ein offensichtlich wahres Argument, dem sich nur schwer entgegnen lässt, dass dem nicht so sei.
Aber wesentlich relevanter ist das damit verbundene Wertargument, das mal mehr, mal weniger offen ausgesprochen wurde. Paraphrasiert: „In einer liberalen Gesellschaft ist es die Sache jeder einzelnen Person, eigenverantwortlich die Geschwindigkeit zu wählen, in der sie ihr Fahrzeug über die Autobahn bewegt. Diese Freiheit steht höher als die bescheidenen Gewinne an Sicherheit und Sauberkeit.“ Man hat diese Argumentation jahrelang beständig bemüht (im Übrigen auch erfolglos gegen die Einführung des Sicherheitsgurts oder das Rauchen in öffentlichen Verkehrsmitteln). Warum also jetzt die Sprachlosigkeit des FDP-geführten Verkehrsministeriums?
Der größte Vorwurf, der gegenüber dieser Argumentationslinie stets gebracht wurde, ist der des Egoismus. Er kann nur mit viel Freundlichkeit als Argument bezeichnet werden und ist eigentlich ein ad-hominem-Trugschluss, was sicherlich zu erklären hilft, warum die Befürworter*innen eines Tempolimits stets so erfolglos in seiner Durchsetzung waren. Nur hat die „Zeitenwende“ des russischen Angriffs auf die Ukraine die eingefahrenen Argumentationsmuster zumindest vorübergehend durcheinandergebracht. „Ich will aber gerne schnell fahren“ ist eine Sache, die man in früheren Zeiten problemlos mit dem Liberalismus begründen konnte; in einer Zeit, da der Verbrauch fossiler Energieträger im Geruch einer Kollaboration mit dem Feind im Kreml steht, ist diese Argumentationslinie dagegen wesentlich problematischer.
Kurzum: die alten Wertargumente sind politisch plötzlich eine Belastung, wurden von Gewinnern zu Verlieren. Daher die merkwürdige Situation, dass in einer Pressekonferenz ein Ministeriumssprecher sich mit „Weil der Koalitionsausschuss das so entschieden hat“ herauszureden versucht, während sein Kollege vom Umweltministerium das zwar bestätigt, aber gleich alle Faktenargumente und Hinweise auf Folgen auflistet, die für ein Tempolimit sprechen. Konkret beruft sich die FDP auf die Autorität des Koalitionsvertrags, und es muss nicht extra erwähnt werden, dass es sich dabei um eine sehr dünne Autorität handelt.
Lange Rede, kurzer Sinn: wer in meinem Deutsch-Unterricht gut aufgepasst hat weiß, warum die Pressekonferenz so verlaufen ist, wie sie verlaufen ist. Völlig ungeachtet der eigenen Haltung zur Frage eines Tempolimits.
Natürlich gibt es Argumente gegen das Tempolimit. Die gelten nur heute mehrheitlich als Bäh. Aber das ist nicht der Punkt. Am Tempolimit zeigt sich die gesamte verknöcherte deutsche Debatte. Wir haben die Struktur der freiheitlichen Gesellschaft einfach umgedreht. Nicht das Verbot ist begründungspflichtig, sondern die Verteidigung der Freiheit.
Die Argumente für ein Tempolimit sind so schwach, dass sich daraus kaum ein Verbot formen lässt:
1. Tempolimit sorgt für weniger Verkehrstote.
Kein Bereich des Straßenverkehrs ist so sicher wie die Autobahn. Und die Zahl der Verkehrstoten nimmt ständig ab.
2. Tempolimit sorgt für weniger CO2.
Die Reduzierung von CO2 durch ein allgemeines Tempolimit von 130 km/h bewegt sich im Promillebereich.
Dann kommt es schon an ein Ende. Und dann kommt noch: aber alle anderen Länder haben ein Tempolimit. Fakt ist: Tempolimits wurden in den meisten Ländern eingeführt, als es keinen Sicherheitsgurt und keine Airbags gab und viele Menschen im Straßenverkehr starben. Fakt ist auch: nirgends wird so klar gegen Verkehrsregeln der Geschwindigkeitsbeschränkungen verstoßen wie dort wo es Tempolimits gibt. Im Gegensatz zu den Deutschen haben die meisten aber keinen Kontrollfetisch.
Damit sind wir bei einem weiteren Punkt: Den Befürwortern eines allgemeinen Tempolimits ist inzwischen kein Argument zu doof. In der Pandemie sollte zur Sicherheit langsamer gefahren werden und nun machen wir bei Putin mächtig Eindruck, wenn wir langsamer fahren. Einerseits sich um hohe Preise und den Nachschub an Rohöl sorgen, andererseits auch den weit regulierten Straßenverkehr durch Fahrverbote und Tempolimits regulieren zu wollen, beweist wieder den deutschen Verbotsfetischismus. Diejenigen, die nicht einmal die Maske vom eigenen Gesicht bekommen, schauen natürlich mit Schaum vor dem Mund auf jene, die sich Freiheit nehmen, selbst zu bestimmen, was richtig und falsch, was angemessen und unangemessen ist.
Ok, wenn du sagst dass es ganz viele gibt, musst du sie auch nennen.
Dass die Fakten- und Folgen-Argumente für ein Tempolimit schwach bis nutzlos sind schreibe ich doch explizit im Artikel?
Du bleibst auch die Antwort schuldig, warum das FDP-Ministerium nicht in der Lage ist, ein einziges Argument zu benennen, wenn es so viele tolle gibt, während das Umweltministerium eine Litanei runterkriegt. Erneut, ich positioniere mich da gar nicht inhaltlich, es ist eine Diskurs-Mechanik. Ich könnte den gleichen Artikel umgekehrt darüber schreiben, warum die Grünen plötzlich auffällig leiser mit Anti-AKW-Argumenten wurden…
Du verstehst die Position der Freiheit nicht: Ich brauche kein Argument gegen ein Tempolimit. Jedes Verbot und damit jede Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte bedarf einer sorgsamen und guten Begründung. Nicht einer, wonach das Verbot doch gut für dies und das sei. Sondern das das Verbot zur Erreichung eines unabdingbaren Zwecks notwendig, angemessen, verhältnismäßig und geeignet ist.
Die Begründung „das haben andere auch“, erfüllt diese Bedingungen nicht. Eine CO2-Reduzierung im Promillebereich ist vielleicht noch geeignet, verhältnismäßig und angemessen ganz sicher nicht.
Deswegen können sich die Gegner eines allgemeinen Tempolimits bequem zurücklehnen.
Wer der Ansicht ist, ein Tempolimit sei aus Gründen des Klimaschutzes sinnvoll, muss sich fragen lassen, warum er dann nicht einfach den Benzinpreis erhöht. Der Benzinverbrauch steigt überproportional mit der gefahrenen Geschwindigkeit. Die Nachfrage nach Benzin ist zwar verhältnismäßig unelastisch (kleine Preissteigerungen führen nicht zur Senkung der Nachfrage), aber sie reagiert irgendwann doch. Gleichzeitig bleiben die Bürger frei zu bestimmen, ob sie sich den höheren Verbrauch noch leisten wollen.
Sicherheit: Menschen, die in Kolonnen mit gleichbleibender Geschwindigkeit fahren, werden unaufmerksamer. Freiheit: Menschen bestimmen ja auch, ob sie auf der Landstraße 70, 80 oder 100 fahren wollen. Allein im innerstädtischen Verkehr gibt es eine große Gleichförmigkeit aufgrund der sehr niedrigen Geschwindigkeit von 50 km/h. Zum Vergleich: junge Menschen erreichen im Spurt schon ein Tempo von 35 km/h. Zeitersparnis: auf einer mittleren Langstrecke von 400 km können deutliche Zeitgewinne erzielt werden, wenn die Verkehrslage dies zulässt.
„Ich brauche kein Argument gegen ein Tempolimit.“
Du vielleicht.
Der Videoschnipsel zeigt jedoch, daß das Bundesverkehrsministerium sehr wohl welche hätte gebrauchen können.
Mein ganzer Punkt ist: das Verkehrsministerium hätte bisher Stefans Argument benutzt. Das können sie gerade aber nicht.
Und das ist der Unterschied zwischen Argumenten, die an die eigene Blase gerichtet sind, und solchen, die auf die Allgemeinheit zielen. Bei jenen ist die Wertebasis gesetzt, bei diesen muß sie erst ermittelt werden.
Robert Habeck kann auf den Vorschlag, die AKWs einfach weiterlaufen zu lassen, ja auch nicht auf das grüne Parteiprogramm und den Koalitionsvertrag verweisen, sondern muß bei Markus Lanz ausführlich begründen, welche Schwierigkeiten das bereitet.
Klar, je bekannter und anerkannter eine Norm ist, desto weniger muss ich sie begründen. Haushaltspolitik à la „Schwäbische Hausfrau“ ist so etabliert, dass sie als selbstverständlich gilt. Alternative Normen müssen erst mühsam argumentiert werden. Das ist aber natürlich ein politisch farbenblinder Mechanismus.
Und wieder einmal: Deine Freiheit endet an meiner Stoßstange. Mein Leben an deiner Selbstüberschätzung.
Jeder Mensch macht Fehler, auch wenn er frei und ohne Zwang entscheidet. Gesellschaftliche Regeln haben nicht nur die Aufgabe uns vor unseren Mitmenschen, sondern auch vor uns selbst zu schützen. Man darf nicht alles was man will, weil man nicht alles kann, was man will.
Ich habe als Dienstwagenfahrer genug Gummi auf deutschen Autobahnen gelassen, um sagen zu können, das der Verzicht auf ein Tempolimit nichts mit Freiheit, sondern mit Wahnsinn zu tun hat. Ich möchte nach einem harten Tag einfach in Ruhe nach Hause fahren und dort meine Kinder in den Arm nehmen. In Holland, Österreich oder Italien ist das kein Problem, in Deutschland purer Stress.
Mein Standpunkt ist liberal, deiner naiv und arrogant.
Es ist nicht selbstverständlich liberal, für ein Verbot zu sein und es ist nicht automatisch naiv und arrogant, auf ein Freiheitsrecht zu beharren. So die Vorzeichen zu verdrehen, ist begründungspflichtig.
Die Freiheits- und Schutzrechte sind nicht so konzipiert, dass sie automatisch und zwingend mit den Rechten der anderen kollidieren. So betrachtet ist der Spruch vom Ende der Freiheit einer, der seinen Ursprung nicht im Grundgesetz hat. Im Gegenteil: die Freiheits- und Schutzrechte geraten oft mit den Interessen des Staates und einer sich als Solidargemeinschaft in Konflikt, dort müssen sie aber um so heftiger verteidigt werden.
Was uns zur Stoßstange führt. Mein Interesse, Ihre Stoßstange zu berühren, ist überschaubar. Aber kein Tempolimit der Welt kann verhindern, dass dies im Straßenverkehr passiert. Und das ist nicht in erster Linie eine Frage der Geschwindigkeit, sondern des Ortes, wo wir fahren.
Ich hatte in meinem Fahrerleben vier Totalschäden, der letzte vor 20 Jahren. Der erste, weil ich meinem Hintermann nicht schnell genug zur Seite fuhr. Anschließend bremste er mir aus, aus Rache. Kein Tempolimit hätte an dem rowdyhaften Verhalten etwas geändert. Der zweite passierte, als ich bei regennasser Fahrt an den linken Rand geriet. Der Dritte war der Unachtsamkeit und dem damals noch Fehlen eines ESP geschuldet. Und der Letzte passierte, weil ein anderer direkt nach der Autobahnauffahrt gleich den vorausfahrenden LKW mit 80 km/h überholen wollte. Der Aufprall erfolgte dann mit 20 km/h Unterschied. Kein Tempolimit hätte diese Unfälle verhindert, wohl aber ESP.
Die Verfechter eines strengen Tempolimits wollen die Deutschen zum Kolonnefahren verdonnern, schön alle in einer Reihe. Laut Verkehrskunde ist das Auffahren auf die Autobahn nur mit einer Mindestgeschwindigkeit von 80 km/h erlaubt, die gleiche Geschwindigkeit, die LKWs haben sollen (aber meist nicht haben). Bis 100 km/h ist der Tempounterschied gerade an der Untergrenze dessen, mit dem man „zügig“ ein anderes Fahrzeug überholen sollte. Wer sich also streng an die Normen hält, wird bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h nicht einmal die meisten LKWs überholen dürfen, die oft mit 90 km/h unterwegs sind.
Leider kenne ich das deutsche Blockwartgehabe zur Genüge: Maske auf!, damit wurde ja auch noch das schlimmste Drangsalieren der Mitmenschen gerechtfertigt mit dem Schutz der anderen. Ich prophezeihe: Ein Tempolimit von 100 km/h würde in Windeseile zu der Forderung führen, alle 500 m eine Blitzeranlage aufzustellen, um ja die Autofahrer genauestens zu überwachen. Da sind andere Länder anders. In Dänemark, in Coronazeiten bekannt für seinen lockeren Umgang mit den Gesundheitsgefahren, gilt ein Tempolimit von 130 km/h. Doch das ist den meisten Autobahnbenutzern egal, wenn es geht, wird deutlich schneller gefahren und kein Blitzer stört. Eigenverantwortung. Auch in den USA gelten strenge Limits, doch wer sich auf den Highways bewegt, wird feststellen, dass die Kolonnen sich meist mit 10 – 15 Meilen über Limit bewegen. Wer nach den Regeln fährt, wird zum Verkehrshindernis. Hier wären die Ordnungsfreunde vor.
Ich kann Ihnen wenig abnehmen, dass Sie Dienstwagennutzer sind. Außer es ist ein Opel Astra. Und wer die ganze Woche hart auswärts gearbeitet hat, will am Freitag Abend nur eins: heimkommen, und zwar schnell.
Ich bin in meinem Leben sehr viel gefahren, zu Hochzeiten 60.000 – 70.000 km im Jahr, oft lange Strecken. Zürch – Rhein-Main, Berlin – Rhein-Main, so in etwa. Ob ich die 500 km Strecke dabei mit 160 km/h (Durchschnitt: 130 km/h) oder 100 km/h (Durchschnitt 93 km/h) überwinde, macht da einen erheblichen Unterschied an Lebenszeit, den die Tempolimitfetischisten natürlich nicht ausgleichen.
Noch zur deutschen Blockwartmentalität, eine unserer abstoßendsten Eigenschaften: Auf der Strecke Berlin nach Westen bin ich einmal auf der A9 nördlich von Leipzig geblitzt worden. Es war Freitag Abend zwischen 20 und 21 Uhr, die sechsstrahlige Autobahn war weitgehend leer, trotzdem galt auf einem kurzen Teilstück 120 km/h und ich hatte halt 150 auf dem Tacho. Sinnhaft? Nein. Oder doch, aus der deutschen Blockwartmentalität heraus: Regeln müssen immer eingehalten werden.
@StefanS: jetzt habe ich wohl erfolgreich seine normative Argumentation angegriffen. Kriege ich dafür eine 1?
@StefanP: Und wieder eine ganze Reihe nutzloser Fakten- und Erfahrungsargumente. Könnte ich jetzt komplett gegenhalten. Spar ich mir aber, da es ja bekanntlich eh nichts bringt. Kommen wir zurück zur normativen Ebene: John Stuart Mill wird auf der Wikipedia mit diesem einen Satz zitiert: „dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.“
Der ist also schon mal auf meiner Seite. Des Weiteren handeln alle Ihre Erfahrungsberichte davon, dass andere Fehler machen. Sie nicht. Das als moralischen Maßstab zu nehmen ist genau so naiv, wie jemand unbekannten seinen beruflichen Background abzusprechen und ihm Nazi-Mentalität vorzuwerfen, arrogant ist. Vielen Dank für Ihr Eingeständnis. ThreadOff
Nein, die Erfahrungsberichte handeln davon, dass technische Entwicklungen und nicht ein Tempolimit (schwere) Unfälle und Schädigungen verhindern.
Mills ist kein Gründungsvater unserer Verfassung. Niemand darf mich daran hindern, zu heiraten. Niemand darf mich daran hindern, in meiner Freizeit meinen Gebetsteppich auszurollen. Und niemand kann mich daran hindern, mit einem anderen einen Vertrag abzuschließen. Das ist nur gehindert, wenn damit die Absicht damit verbunden ist, andere zu schädigen. Allein die Möglichkeit, das andere geschädigt werden könnten, reicht nicht. Dieser Ansicht scheinen Sie aber zu sein.
„Nein, die Erfahrungsberichte handeln davon, dass technische Entwicklungen und nicht ein Tempolimit (schwere) Unfälle und Schädigungen verhindern.“
Die Erfahrungsberichte handeln davon – wie du deine Erfahrungen interpretiert hast.
Ich habe selber vor Jahrzehnten meine eigenen Erfahrungen mit Mercedes-Transportern, deren Verbrauch über 100 km/h steil anstieg, gesammelt und kann sagen: Mit 100 km/h kommt man auch am Ziel an – entspannter, als wenn man sich die ganze Zeit fragt, wie viel Zeit man rausholen könnte.
Das ist ja schön für Sie. Nur muss ich diese Einschätzung nicht teilen. Ich fahre durchaus entspannt bei 130 km/h oder auch 160 km/h, wenn die Autobahn leer ist.
Noch nicht, aber du bist auf einem guten Wege.
Ein wunderbar origineller Gedankengang. Kommen Sie, lasen Sie uns den konsequent weiterdenken:
Mit einem Schal kann ich andere erwürgen, also verbiete ich Schals. Mit einem Hammer kann ich andere erschlagen, also verbiete ich Hämmer. Mit einem Chef-Küchenmesser kann ich anderen den Kopf abtrennen, also verbiete ich Chef-Küchenmesser.
Jo, bin überzeugt – Mill hat das bestimmt genau so gemeint!
Gruss,
Thorsten Haupts
Enthält ihre Aussage jetzt irgendein Argument? Meine Aussagen ins Lächerliche zu überspitzen widerlegt was?
Ihr „Argument“?
ach Quark.
Mit einem Messer kann ich Gemüse schneiden – wo überraschender weise keiner etwas gegen hat, man kann Köpfe abschneiden – wo derjenige etwas gegen hat, um dessen Kopf es geht (egal ob Fisch oder Mensch) – und man kann damit Flugzeuge entführen und diese dann in Hochhäuser steuern. Natürlich könnte man deswegen Messer verbieten oder die Menschen bei der Messerverwendung unter staatliche Aufsicht stellen.
Oder aber man verbietet das morden generell und sorgt für Schutz an den Stellen, die extreme Folgen hätten (Flugzeugentführung).
Es kommt halt auf das Verhalten des Menschen an, nicht auf den Gegenstand.
Und genauer: nicht auf die ABSICHT des Menschen, sondern auf die AUSWIRKUNGEN. Piloten müssen sich nicht nur vor Messern, Kugelschreibern und Feuerzeugen schützen, sondern müssen aus gegebenen Anlass mit noch einem gravierenden Eingriff in ihre Menschenrechte leben: Sie dürfen keinen Selbstmord begehen.
Haben Sie da auch laut aufgeschrien, oder ist das für sie in Ordnung?
Naturgemäß ist diese Logik NICHT auf alle Dinge zu übertragen. Waffen sind nicht per se unschuldig und Autos sind sogar so gefährlich, dass man dafür sogar Schulungen und staatliche Abschlüsse benötigt, um sie führen zu dürfen. Was für ein Frevel an der schönen Freiheit!
Im Übrigen: Die Regelungen zu Mord, Waffenbesitz und Führerscheinen haben sich seit den 80ern kaum geändert. Was sich geändert hat ist der Diskurs, indem mittlerweile mehr auf die AUSWIRKUNGEN des menschlichen Verhaltens geachtet wird – Stichwort: Emmissionen. Motorräder, Raser, Maskenverweigerer, Impfgegner, Fernkurztouristen sind halt alles Menschen die egoistisch sind, weil sie sich weigern, die für sie nicht unmittelbaren Konsequenzen ihres Verhaltens auf andere in Betracht zu ziehen.
… halt alles Menschen die egoistisch sind …
Du lieber Gott. In einer liberalen Gesellschaft ist alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist. Wäre die Gesellschaft davon überzeugt, dass Sie Recht haben (alles schädliche Egoisten ausser Papi), gäbe es Mehrheiten dafür, dieses Tun gesetzlich zu unterbinden. Gibt es aber nicht.
Mir ist völlig wurscht, ob sich ein „Dikurs verschoben hat“ (was auch nur meint, eine relevante Menge von Meinern in ÖRR und Presse hat sich einer bestimmten Meinung angeschlossen). Wenn wir tatsächlich anfangen, wegen aller meist sehr indirekten und häufig praktisch irrelevanten Folgen unseres Handelns das Handeln einzustellen, können wir genausogut Selbstmord begehen – ich weise jedem lebenden Menschen in Westeuropa problemlos nach, dass er TÄGLICH mehrfach etwas tut, was eventuell irgendwo anders negative Konsequenzen haben könnte.
Man hat in allen westlichen Gesellschaften aus guten Gründen beschlossen, die persönliche Verantwortung gesetzlich auf direkte und offenkundig schädliche Folgen eigenen Handelns zu begrenzen. Bisher waren Versuche von links oder rechts, das auszuweiten, aus verdammt guten Gründen ziemlich erfolglos. Und nur, um das klarzustellen – alle Menschen sind Egoisten, der Egoismus prägt sich lediglich unterschiedlich aus.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ einfachnurRoland 2. April 2022, 22:56
Mein Standpunkt ist liberal, deiner naiv und arrogant.
Vom Wahrheitsgehalt her nur eine Meinung, vom Ton her unnötig.
Inhaltlich schließe ich mich Deinen Ausführungen zum Tempolimit an. Hätte ich kein Problem damit, auch weil ich immer wieder sehe, wie riskant einige bei hohem Tempo unterwegs sind. Ich regele das für mich, indem ich schon seit geraumer Zeit bei Langstrecken mit Höchsttempi zwischen 120 und 140 km/h unterwegs bin.
Das ist wie bei den Masken: ist toll, wenn wir eigenverantwortlich welche tragen, aber wir sind abhängig davon, dass andere sich auch dran halten. Das muss einfach geregelt sein.
Du merkst aber schon, dass Dein Wohlfühltempo über dem politisch beabsichtigten Tempolimit liegt?
Nein, genau drin? Die immer genannte Zahl ist 130. Da ist er mit 120-140 doch genau drin?
Dominant ist derzeit die Forderung nach 100 km/h. Der Hintergedanke: Wenn schon, denn schon.
Davon höre ich zum ersten Mal.
@ Stefan Pietsch 3. April 2022, 14:23
Du merkst aber schon, dass Dein Wohlfühltempo über dem politisch beabsichtigten Tempolimit liegt?
Gelegentlich, ein wenig; aber mit 130 km/h käme ich auch gut klar (von flächendeckend 100 km/h habe ich aber auch noch nicht gehört).
Das Thema gehört für mich so ein bisschen in die Ecke ‚Rauchverbot im Restaurant‘. Ein wenig mehr Gesundheit, ein wenig mehr Lebensqualität, und keine grundsätzliche Behinderung.
Ich käme mit 130 auch klar und dänischer Einstellung. Mein Problem ist weniger das Tempolimit als der deutsche Kontrollzwang. Den habe ich zur Genüge während der Pandemie erlebt, ich habe keinen Bedarf an mehr.
„Kontrollzwang“, my ass…
Verstehst Du nicht. Musst Du selbst erleben, den Unterschied.
„Mein Standpunkt ist liberal, deiner naiv und arrogant.
Vom Wahrheitsgehalt her nur eine Meinung, vom Ton her unnötig.„
Stimmt, so im Nachhinein ist meine Aussage deutlich weniger provokant und deutlich mehr beleidigend, als ich wollte.
Meine Entschuldigung an StefanP!
Ich habe das nicht so schlimm genommen, ehrlich. Alles in Ordnung, dennoch nette Geste, danke!
@ einfachnurRoland 3. April 2022, 14:54
… so im Nachhinein ist meine Aussage deutlich weniger provokant und deutlich mehr beleidigend, als ich wollte.
Kenn‘ ich, das Gefühl …
Willkommen im Club 🙂
Passiert, ist ja auch kein Problem. Entschuldigen, basta. Weiter gehts. 🙂
Selbstverständlich verstehe ich die Position. Die steht exakt so im Artikel. Du musst schon lesen, was ich schreibe, und nicht meine Artikel als Stichwortgeber für deine Pamphlete nutzen.
@ Stefan Pietsch
Nicht das Verbot ist begründungspflichtig, sondern die Verteidigung der Freiheit.
Die Existenz der Autobahnen hat nichts mit Freiheit zu tun, denn eine Autobahn gehört nicht zum Kernbereich staatlicher Pflichtaufgaben. Der Staat zwingt mich, den ökologischen Irrsinn „Autobahn“ mitzufinanzieren, ob ich nun will oder nicht.
Freiheit in diesem Bereich würde bedeuten, dass private Betreiber natürlich gern ein Autobahn-Angebot machen dürfen und dass man dort meinetwegen auch beliebig schnell fahren darf. Aber dass jeder Steuerbürger diesen Quatsch mitfinanzieren muss, ist nun wirklich nicht Ausdruck von Freiheit.
Deutsche Autobahnen sind eine typische Ausgeburt der Staatswirtschaft, und die Verwendung des Wortes „Freiheit“ kommt mir hier wie eine Verhöhnung vor.
Die Bereitstellung von Infrastrukur gehört zu den Kernpflichten jedes modernen Staates. Sie sind die Voraussetzung für Mobilität und damit die Adern der Gesellschaft. Moderne Gesellschaften ohne Straßen sind nicht vorstellbar. Das sehen nur Libertäre eventuell anders. Ich bin kein Libertärer.
Wenn die Pflicht zur Bereitstellung von Infrastruktur wegfällt, gibt es auch keine belastbare Begründung für eine Sonderkonsumsteuer auf Benzin. Denn dann ist das Auto ein Konsumgut wie ein Messer, ein E-Fahrrad oder auch ein Luftgewehr, ein Fernseher.
Ich sprach von Autobahnen, nicht von Infrastruktur allgemein.
Das ist hier kein qualitativer Unterschied. Wir können über die Finanzierung diskutieren, aber nicht über die Notwendigkeit.
Ich hätte wie gesagt überhaupt nichts dagegen, wenn eine hinreichend große Bevölkerungsgruppe Autobahnen „notwendig“ findet und private Betreiber entsprechende kostenpflichtige Leistungen bereitstellen. Dann hätten wir wohl eine Situation wie in Frankreich: sehr viel weniger Autobahnkilometer pro Kopf der Bevölkerung. Ökologisch noch immer schädlich, aber meinetwegen.
Ich habe allerdings ein sehr großes Problem damit, wenn ich vom Staat gezwungen werde, mich an diesem Frevel zu beteiligen, und das dann auch noch unter dem Bann einer angeblichen „Freiheit“ verkauft wird.
Ohne Stellung zu der konkreten Forderung der Autobahnprivatisierung beziehen zu wollen finde ich deine Beiträge deswegen wertvoll, weil sie die Relativität dieser „Freiheits“-Rhetorik gut dekonstruieren.
Ich hätte damit auch kein Problem. Wer sich die Situation in Frankreich, Spanien und Portugal ansieht, wird feststellen: damit werden die Autobahnen leerer. Und damit kann auch schneller gefahren werden. 😉
Nur wie gesagt, dann fällt auch die Begründung für die Sondersteuer Mineralöl und ggf. Kfz. Es wäre allerdings ein schlechtes Geschäft für den Staat, auf diese Sonderbesteuerungen zu verzichten und den Unterhalt der Infrastruktur privatwirtschaftlich zu organisieren.
Das wiederum ist in Deutschland nicht im Ansatz mehrheitsfähig. Also diskutieren wir im luftleeren Raum.
Also diskutieren wir im luftleeren Raum.
Das ist leider bei Freiheitsdiskussionen oft der Fall. Viele Menschen lieben es, anderen etwas vorzuschreiben. Und die meisten davon halten das sogar noch für moralisch. 🙂
Nicht das Verbot ist begründungspflichtig, sondern die Verteidigung der Freiheit.
Ja. Eine enorme Veränderung gegenüber den achtzigern, in denen ich erwachsen wurde. Damals wären alle liberalen und linken Publikationen auf die Barrikaden gegangen, wenn irgendjemand verlangt hätte, die default-Position (Freiheit von staatlichen Vorschriften) argumentativ zu begründen. Begründungspflichtig waren Einschränkungen – und genau so sollte es in einer Gesellschaft sein, die sich „frei“ nennt.
Unter jungen Menschen ist Umfragen folgend allerdings die Position „Jede Verhinderung von Vorschriften muss begründet werden“ schon mehrheitsfähig, was heisst, wir sind vermutlich schon auf dem Rückweg zur autoritären Gesellschaft. Also von mir aus :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Stefan Sasse
Sehr schön aufgebaut. Habe vor Kurzem eine Hausarbeit über „Argumentieren im Unterricht“ korrekturgelesen. Einige Fachbuchautoren könnten sich hiervon eine Scheibe abschneiden.
Ein Gegen-Argument hast Du allerdings vergessen: „Wir wollen es nicht“, oder einfach: „Weil…“
P.S. Noch ein paar nutzlose Sachargumente:
Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen würde 2,4 Mio Tonnen Sprit sparen. Die Fahrer kleinerer Autos reagieren auf die gestiegenen Spritpreise und fahren langsamer, die von großen dagegen nicht. Mehr hier:
https://www.zeit.de/mobilitaet/2022-03/tempolimit-autobahn-energie-debatte
Jepp. Und wie du schon sagst: so richtig wie nutzlos.
In der Hoffnung, das ein für allemal klarzustellen:
Die Idioten, die gerade ein Tempolimit in Reaktion auf Bucha fordern, sind das Allerletzte. Gleiches Niveau wie das Gesocks, das vorher den Genderstern wegen Mariupol verbieten wollte. Ekligster politischer Aktivismus ohne jeden Anstand.
Durchsage Ende.
Übrigens ist mir heute auch das Gegenteil untergekommen – jemand, der wegen Butscha fordert, die Diskussion über ein Tempolimit einzustellen:
https://www.reddit.com/r/de/comments/tujxbz/gr%C3%BCnencochefin_ricarda_lang_fordert_befristetes/i37cstc/?utm_source=reddit&utm_medium=web2x&context=3
Darauf beziehe ich mich doch? Absurder Scheiß.
Eine Überlegung zum Thema: Bei der 3B Argumentstruktur gibt es noch einen vierten Teil, der in der Regel dem Empfänger überlassen wird. Das Argument in einen Kontext zu setzen, seine inhaltliche Stärke einzuschätzen. (Man könnte es mit ‚Bewertung‘ als viertes B sehen).
Beispiel: Für das Argument ‚Der Ressourcenverbrauch ist mit Tempolimit niedriger‘ (Behauptung) liefert die Physik eine klare Begründung und CitizenK einen Beleg mit einem Teilkontext (würde 2,4 Mio Tonnen Sprit sparen). Aber ist das viel oder wenig? Da ist der Kontext nötig, nämlich dass das knapp 5% des gesamten Kraftstoffverbrauchs (ca 50 Mio Tonnen) sind.
Oder nimm das Freiheitsargument (egal ob in der allgemeinen ‚gefühlten‘ oder in Stefan Pietschs absoluter Version). Es ignoriert, dass ausgerechnet die Autobahn sowieso schon der durchreglementierteste öffentliche Raum ist, den man sich vorstellen kann. Man darf dort eigentlich nur Auto fahren und auch das nur innerhalb sehr enger Grenzen.
Aber in der Politik zählt diese ‚erwägende‘ Denkweise nichts. Was zählt ist, eine Erzählung (bringe zwei Dinge zusammen und verbinde sie mit einem begründenden ‚weil‘). Deine Beispiele für politischen Ationismus, die du mit ‚Idioten‘, ‚Gesocks‘ etc… verurteilt hast, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich kann man sich bei fast allem, das ‚wegen dem Krieg‘ beschlossen und verkündet wird, fragen, ob es den Kriterein sauberer abwägender Entscheidung standhalten würde. Ähnliches bei vielen anderen policies, die uns anlassbezogen als richtig und wichtig verkauft (oder gar nicht erst politisch diskutiert) werden, aber in ihrer Wirkung ganz anders aussehen.
Korrekt! Guter Aspekt. Darauf wollte ich ja auch hinaus, wenn ich etwa Faktenargumente als recht irrelevant bezeichne: die werden von den Empfängern des Arguments nämlich nicht als wichtig eingestuft, und zwar irrelevant, wie man zum Thema steht.
Was du als „Erzählung“ fasst spielt eine große Rolle, übersieht aber IMHO, dass da meist Wertargumente damit verknüpft sind – und die sind das entscheidende. Siehe auch Stefan Pietsch hier: die Sachargumente pro oder contra Autobahn spielen keine große Rolle; es geht um die Werte – der Staat muss sie bereitstellen und das eigene Freiheitsverständnis schützen. Darum geht es um Kern. Auf der Gegenseite haben wir Tim, der seine eigenen Werte dagegen setzt. Das sind Argumente, die berühren und mobilisieren. Nicht der Kraftstoffverbrauch von 2,4% p.a.
Genau das ist doch mein Problem, dass es massig Methodiken zur privaten Entscheidungsfindung gibt: Pro-Contra-Liste; Erkläre gedanklich deine Entscheidung einem Dritten; Präferenzmatrix; ‚Bepreisung‘ von Argumenten; Trennen von wirklichen und vorgeschobenen Gründen. Zugegebenermassen ist vieles ‚Ratgeberniveau‘, aber generell vermisse ich die Methodik, erst zu sammeln, dann zu bewerten und dann zu entscheiden, im politischen Denken. Diese hilft nämlich auch gegen die Kultur des ‚Nur -Bestätigungen -hören -wollens‘, die Diskussionen so kompromisslos und damit sinnlos macht.
Wer entscheidet denn nach Pro-Contra-Liste? Deine Vorschläge sind alle hübsch rational, aber im Alltag werden sie kaum benutzt. Ratgeber, wie du schon sagst. Ich beschäftige mich mit der Realität 😉
… aber generell vermisse ich die Methodik, erst zu sammeln, dann zu bewerten und dann zu entscheiden, im politischen Denken.
Willkommen beim real existierenden Menschen :-).
Spannende Erläuterung, gerade losgelöst von Tempolimits
Danke!
Sehr gerne. Die waren auch nur der Aufhänger.
Stichwort „Es gibt gute Argumente“. Heute hat der FDP-Verkehrsminister verkündet, ein Tempolimit gehe nicht, weil „so viele Schilder haben wir nicht“. Der liefert sich gerade auch ein Wettrennen mit Karl Lauterbach um die inkohärentesten Aussagen, oder?
ROFL. Ein Ergebnis der zunehmenden öffentlichen Feigheit – mit einem Minimum an Mut hätte er einfach gesagt „Wollen wir nicht!“ und fertig.
Gruss,
Thorsten Haupts
Echt unglaublich.