(Un-) Solide Finanzpolitik | Eine Einleitung

Spätestens mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts erlebt die demokratische Haushaltspolitik eine Neujustierung. Zuvor hatten Fiskalpolitiker geherrscht, die ausgeglichene öffentlicher Haushalte zum Ziel hatten. Die Vereinigten Staaten erwirtschafteten unter Bill Clinton sagenhafte Überschüsse, auch der britische Premier Tony Blair glaubte an die Segnungen staatlicher Ausgabenzurückhaltung. Die EU hatte sich zu einer gemeinsamen Währung entschlossen, deren Namen zwar noch nicht erfunden, die Prinzipien dafür jedoch scheinbar unverrückbar festgelegt waren. Nur Länder mit maßvoller Staatsverschuldung und solider, sprich weitgehend ausgeglichener Haushaltspolitik könnten Mitglied werden. Alle legten sich ins Zeug ihre Budgets auf Maastricht Kompatibilität zu trimmen. Das Bild änderte sich sehr bald, als die New Economy 2001 kollabierte und einige Jahre später eine globale Finanzkrise entstand. Die Gründe für die Ausweitung der eigenen Haushaltsmittel durch Schulden waren so vielfältig wie die Phantasie der Politik, also nahezu unendlich. Was ist nach Jahren des Quantitive Easing in der europäischen Finanzpolitik das (Zwischen-) Fazit?

Über Schulden zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben wird in der Politik seit jeher heftig und mit viel Herzblut gestritten. Historisch betrachtet landeten fast alle Fälle exzessiver Staatsverschuldung irgendwann im Bankrott. Nur in wenigen Fällen gelang die spätere Entschuldung über die Weginflationierung, wie dies die USA in den Fünfziger- und Sechzigerjahren mit ihren Kriegsdarlehen exerzierten. Die Geldentwertung hatte den realen Wert der Bonds zusammenschnurren lassen. Liberale und konservative Politiker sehen darin eine Form modernen Betrugs an Sparern.

Der Streit um das Für und Wider der Kreditaufnahme durch die Finanzminister ist von zahlreichen Mythen umweht. Je nach politischer Positionierung unterlegen die Kontrahenten ihre (Pseudo-) Argumente mit Weisheiten aus dem Kasten „Das ist ja logisch“. Die Bereitschaft, sich mit distanziertem Blick dem Thema Staatsverschuldung zu nähern, ist praktisch nicht vorhanden. Der politisch interessierte Teil der Gesellschaft nimmt das schon persönlich. Es geht ja um nicht weniger als Prinzipien.

Dieser Artikel geht anders vor. Am Anfang ist ein weißes Stück Papier. Natürlich nur im übertragenen Sinne, der Autor sitzt vor seinem Notebook, ausgestattet mit den Programmen Word, Excel und Access (und noch ein paar anderen). Wir benötigen das Datenbankprogramm Access, um eine Fülle von Daten zu laden, auszuwerten und anschließend graphisch aufzubereiten.

Wie überall im Leben hat der Staat Aufgaben. Diese ergeben sich aus einer Mischung von klassisch liberalen Ansichten, traditionellen Übernahmen und Erweiterungen durch demokratische Entscheidungen. Innere und äußere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Infrastruktur, Vorsorge für die soziale Sicherheit und neuerdings auch Klimaschutz gehören dazu. Die Bereitschaft der Bevölkerungen, diese Aufgaben durch ihre Steuerzahlungen zu finanzieren, sind jedoch begrenzt. In Demokratien tut sich damit ein Graben auf zwischen den Wünschen der Gesellschaft und den Finanzierungsmöglichkeiten. Gerade in den westlichen kontinentaleuropäischen Ländern sind die Ansprüche praktisch unbegrenzt, die Möglichkeiten der Bezahlung jedoch endlich.

An dieser Stelle kommt die Verschuldung ins Spiel. Die Kreditaufnahme durch den Staat ist in vielen Gesellschaften nicht gut beleumundet, gebranntes Kind scheut das Feuer. Es bedarf also moralischer Gründe und der Dringlichkeit, um Mehrheiten für die Aufnahme von Fremdmitteln durch den Staat zu gewinnen. Die Modern Monetary Theory diskutiert die Probleme gleich weg. Sie ist an dieser Stelle für die Erörterung uninteressant.

Bevor Corona kam und Putin später sein persönliches „Risiko“-Spiel startete, erlebten die entwickelten Länder eine Dekade dauerhafter Prosperität. In dieser Zeit wurden die Auswirkungen der Krisen aus dem vorherigen Jahrzehnt in Europa mit Schulden und einer lockeren Geldpolitik bekämpft. Deutschland und die Nordländer der Union verschrieben sich einer ausgeglichenen Haushaltspolitik, verfassungsrechtlich kodifiziert oder nicht. Die südeuropäischen Länder ignorierten die Regeln des Maastricht-Vertrages, erbaten Haftung durch die europäischen Partner und versuchten die sozialen Verwerfungen zu kompensieren.

Damit sind schon zwei Begriffe eingeführt, die wir für die weitere Analyse nutzen werden: Die Europäische Union sortiert sich heute entlang geographischer wie ideologischer Linien. Diese zeigen sich klar bei den Haushaltsberatungen, aber auch bei der Wahl der EU-Kommissionsspitze. Da sind auf der einen Seite die sogenannten „Nordländer“, deren Anführer Deutschland ist Mit dem Austritt der Briten hat das Lager einen veritablen Verlust erlitten und ihre Sperrminorität (35% der Bevölkerung) verloren. Seit dem dominieren in den Brüsseler Gremien die Südländer, deren Vormacht Frankreich bildet. Mit der Osterweiterung hat sich eine dritte Gruppe herausgebildet, die sich in den Einstellungen zur Union deutlich unterscheiden und, wie die Neuwahl der Kommission im Jahr 2019 zeigte, über eine Sperrminorität verfügt.

Die baltischen Staaten sind den Nordländern zuzuschlagen. Nicht nur sind sie anders als Polen und Ungarn im Premiumclub der Eurozone vertreten, sie vertreten die gleichen fiskalischen und finanzpolitischen Ansichten wie Deutschland, die Niederlande und die Skandinavier. Somit kategorisieren wir die 27 Staaten der EU und ihre nicht stimmberechtigten assoziierten Mitglieder wie folgt:


Referenzjahr 2019

Die EU hat 448 Millionen Einwohner und erwirtschaftet ein BIP von 14,0 Billionen Euro (Eurozone: 12,0 Billionen Euro). Dem Lager der Nordländer gehören zwar die meisten EU-Mitgliedsstaaten an und sie sind die wirtschaftlich potenteste Gruppe, allerdings verfügt nur Deutschland über eine relevante Bevölkerungsgröße. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 41.801 Euro sind die Deutschen vergleichsweise arm und werden nur von den Balten unterboten. Dagegen sind im Süden nicht nur Frankreich (68 Mio.), sondern auch Italien (60 Mio.) und Spanien (47 Mio.) bevölkerungsmäßig stark vertreten.

Die Dekade von 2010 bis 2019 bietet Anschauungsmaterial, wie zielgerichtet öffentliche Schulden nun wirken können. Ob sie es tun, ist eben die entscheidende Frage. In diesem experimentellen Artikel wollen wir anhand der Europäischen Union untersuchen, zu welchen Effekten Schulden führen. Experimentell bedeutet, wie in der universitären Ausbildung weiß auch der Autor am Anfang nicht, wohin der Artikel führt und welche Ergebnisse er hervorbringt. Wir sammeln Erkenntnisse und werten die Daten aus. Unvoreingenommen soll geprüft werden, ob Thesen nicht nur Mythen sind, sondern durch die Wirklichkeit bestätigt werden können. Wer also einfach nur nach Bestätigung sucht, wird daran keinen Spaß finden. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Vorgehen Überraschungen hervorbringt.

Für die Auswertungen stehen die Daten der europäischen Statistikbehörde EUROSTAT zur Verfügung, die in die Access-Datenbank geladen und dort sortiert werden.

Die Thesen:

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{ 15 comments… add one }
  • Lemmy Caution 27. März 2022, 09:49

    Ohne wirklich, wirklich jetzt klugscheissen zu wollen, aber warum designst Du diese Access Datenbank nicht so, dass da die Daten für BIP, Staatseinnahmen/ausgaben, „Geo-Kategroisierung“ und Bevölkerung nicht pro Land eingibst und später dann darüber operierst?

    CREATE TABLE land
    (id Int,
    name varchar(25),
    bip decimal(12,1),
    bevoelkerung int decimal(8,1),
    einnahmen (12,1),
    ausgaben (12,1),
    geo_kat varchar(10)
    );

    # insert statements für die Daten von jedem einzelnen Land.

    SELECT sum(l.bip) as bip_agg, sum(l.bevoelkerung) as bev_agg, sum(l.einnahmen) as ein_agg, sum (l.ausgaben) as aus_agg
    FROM laender l
    GROUP BY l.geo_kat;

    # disclaimer: mein sql ist sehr posgresql/oracle beeinflusst. Könnte aber auch mit access klappen.

    • Lemmy Caution 27. März 2022, 09:52

      Korrektur für DDL (das create): land statt laender

      Korrektur für das select statement:

      SELECT l.geo_kat as geo, sum(l.bip) as bip_agg, sum(l.bevoelkerung) as bev_agg, sum(l.einnahmen) as ein_agg, sum (l.ausgaben) as aus_agg
      FROM land l
      GROUP BY l.geo_kat;

    • Stefan Pietsch 27. März 2022, 10:05

      Da tust Du wirklich klugscheißen. 😉 Der erste Kommentar, und er geht gleich um den Aufbau der Datenbank.

      Was Du siehst, sind die Tabellen. Die beziehen ihre Daten von den Tabellen von Eurostat, was schon einiges an Aufwand war. Ich müsste diese erst zerlegen, wo sich der Sinn für die beabsichtigten Vergleiche nicht erschließt, schließlich lassen sich so die Daten pro Land leichter im Vergleich darstellen. Würde ich die Daten nach Ländern storen, müsste ich viel mehr Tabellen miteinander verknüpfen.

      • Lemmy Caution 27. März 2022, 11:29

        Das verstehe ich nicht.
        Hast Du die Links für die Daten auf Eurostat, die Du verwendest?
        Finde Tabellen zu Ausgaben oder Einnahmen zu BIP wie hier -> https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tec00021/default/table?lang=de

        Da ich die nächsten Tage ein wenig Zeit habe, mach ich vielleicht konkurrenzmodell.
        Mein technischer Ansatz wäre: die Daten als csv runterladen und die dann mit Python, bash oder Java in SQL-Inserts transformieren. Java ist dafür bullshit, aber wäre für mich die schnellste Lösung.

      • Erwin Gabriel 27. März 2022, 13:41

        Hallo Stefan

        Vorab: Ich liebe das, wenn Du die geschichtlichen Komponenten mit einbringst. Danke dafür.

        Der politisch interessierte Teil der Gesellschaft nimmt das schon persönlich. Es geht ja um nicht weniger als Prinzipien.

        Schuldig im Sinne der Anklage 🙂

        Auf die einzelnen Thesen kann ich nicht zugreifen, aber ich vermute, das sind weitere folgende Teile?

        Vorab erst mal Danke. Bin wirklich neugierig!

        • Stefan Pietsch 27. März 2022, 16:55

          Freut mich, Erwin! Ja, es ist eine meiner Standardstrukturen, den Faden aus der Historie zu spinnen.

          Die einzelnen Teile werden verlinkt, wenn sie freigeschaltet sind – also Stück für Stück ab Anfang der Woche. 🙂

          Ich bin ja jetzt rum. Es sind ein paar überraschende und interessante Erkenntnisse drin, die so nirgends in den Medien stehen.

  • Marc 28. März 2022, 11:54

    Ich kann keinen Sinn in der Wahl von Access erkennen. Das ist eine Datenbank. Der einzige Sinn bestünde in einer Normalisierung der Datenbasis, so wie ihn Lemmy Caution vorgeschlagen hat:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Normalisierung_(Datenbank)

    Wenn man die Daten nur in Tabellen importiert, warum nicht bei einem Excel-Dokument mit mehreren Datenblättern bleiben? Excel hat im Vergleich zu Access umfangreichere statistische Funktionen.

    Im übrigen werden Daten meist im CSV Format bereit gestellt, weil das das gängige Importformat echter Statistik Programme ist, wie SAS und SPSS. Ein Import in solche Programme wäre weitaus zielführender als eine Access Datenbank.

    • Stefan Pietsch 28. März 2022, 18:40

      Ja, das sagen Excel-affine Controller auch immer. Das Problem mit Excel ist: wenn Sie Datensätze aus verschiedenen Datenquellen importieren, können Sie sich nicht mehr einfach analysieren. In einer Datenbank schon, einfach eine Abfrage erstellt. In Excel arbeiten Sie mit Behelfs-Datenbank-Tools und verknüpfen mit SVerweisen und WennSummen. Das ist ganz nett, aber enorm fehleranfällig. Und ich weiß, wovon ich spreche, das ist seit Jahrzehnten mein Job. Datenbanksysteme sind zum storen und analysieren von Daten, Tabellenkalkulationsprogramme zum Berechnen.

      Nehmen Sie die Tabellen, die ich verlinkt habe, und Sie erkennen (hoffentlich) das Problem. In Excel sieht das optisch schön aus, aber zum Analysieren großerer und sehr großer Datenmengen (und die habe ich) ist es einfach Mist.

  • Mikefromffm 28. März 2022, 12:17

    Meine Fresse: „Historisch betrachtet landeten fast alle Fälle exzessiver Staatsverschuldung irgendwann im Bankrott“? Gibt es da Beispiele aus der Realität? In dem Artikel stimmt so ziemlich gar nichts. Phrasen, Klischees und falsche Vorstellungen über Staatsfinanzierung. Arbeite dich doch besser wieder am Gendern ab. Da hast du zwar auch keine Ahnung, aber setzt den Lesern nicht gefährliche Spinnereien ins Hirn.

    • Stefan Sasse 28. März 2022, 17:02

      Deine unfreundlichen Kommentare sind jetzt auch nicht eben einer sachlichen Diskussion angetan. Bitte mäßige den Ton.

      • Mikefromffm 29. März 2022, 10:44

        Ich bin einfach nur fassungslos, solch geballten Unsinn hier lesen zu müssen! Der Artikel trieft vor Ideologie, banalste logische Zusammenhänge werden gar nicht erst verstanden! Hier kann man Dunning-Kruger am Werken sehen …

        • Stefan Pietsch 29. März 2022, 12:06

          Der „geballte Unsinn“ zieht sich aus den seriös von beamteten Statistikern geprüften Zahlen, öffentlich zugänglichen Quellen von Eurostat und einfachen, üblichen statistischen Relationen. Er besteht ausschließlich aus leicht nachprüfbaren Fakten. Das ist für Sie Ideologie und Unsinn. Anders gewendet: mit Fakten haben Sie es nicht, Artikel haben Ihre Weltsicht zu bestätigten, sonst taugen sie nichts. Wir haben uns da nichts zu sagen. Denn Ihre einzigen Einwände könnten sein, andere Relationen oder andere Zeithorizonte zu bilden.

          Solche Artikel nehmen wegen ihres enormen Aufwandes ein Vielfaches normaler Meinungsartikel in Anspruch. Das mache ich nicht für Idioten, die lassen sich viel einfacher bedienen. Also kann ich Ihnen nur raten, um die nächsten Veröffentlichungen einen großen Bogen zu machen.

  • Marc 28. März 2022, 12:28

    Die Unterscheidung zwischen Nord- und Südländer ist politisch und somit rein normativ. Das sollte in einer statistischen Auswertung immer vermieden werden. Besser ist es, die Kategorisierung über eine Cluster-Analyse abzusichern. Ich denke schon, dass die Unterscheidung zu Tage tritt. Aber vielleicht tauchen noch andere Kategorien auf oder das ein oder andere Land muss umgruppiert werden.

    In diesem Schritt kann man sehr schön die Varianzabschätzung per Levene-Test integrieren. Das hat den Vorteil, dass man die Datenqualität besser einschätzen kann. Qualitative Unterschiede, die zweifellos bei Ländervergleichen auftreten, lassen sich so besser einordnen. Zudem überprüft man, ob wirklich alle statistischen Methoden angewendet werden dürfen. Denn nahezu alle statistische Verfahren setzen homogene Daten voraus.

    • Stefan Pietsch 28. März 2022, 18:47

      Die Staaten agieren so abgestimmt und das seit Jahren. Sie verfolgen in den Grundzügen ähnliche Policies. Sie treten so auf. Das ist im Artikel begründet und auch, warum so geclustert wird. Davon abgesehen gilt die Einteilung nur der besseren Darstellung. Natürlich habe ich mir bei jedem Thesenpunkt angesehen, ob das generell für die darin erfassten Staaten gilt. Ich bin kein Amateur. Nur sehen Sie nix, wenn ich Ihnen jeweils 27 Staaten anpinsele. Ich habe die Datenbank an Lemmy gegeben. Und auch Sie können anhand der Links nachvollziehen, ob meine Feststellungen tatsächlich wahr sind.

      Worüber man streiten kann: Gehört Belgien zu den Nordländern (wegen Benelux) oder (wegen Schulden und Steuerpolitik) eher zu den Südländern. Und die Trennlinie mit dem Baltikum: Vom Wohlstandsniveau wären sie eher den Ostländern zuzuschlagen, sie verzerren leicht das Einkommensniveau. Aber wir reden hier von Lappalien: Im Baltikum leben gerademal 5 Millionen EU-Bürger.

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