Siegerjustiz in der Vergangenheitspolitik?

Auf den NachDenkSeiten hat Lutz Hausstein einen Artikel über den Umgang mit der DDR-Vergangenheit geschrieben. Er nimmt darin Bezug auf meinen Artikel zu der Frage, wie wir mit Statuen, Straßen und anderem Heldengedenken umgehen. Er stellt dabei die Frage, wer eigentlich „wir“ im wiedervereinigten Deutschland sind:

Wenn heute in der Öffentlichkeit über die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 gesprochen wird, verklärt sich der allgemeine Blick und mit einem seligen Lächeln fällt der Satz: „Wir sind Weltmeister geworden. Mit der Achse Maier, Beckenbauer, Overath und Gerd Müller.“ Alternativ vielleicht auch: „Deutschland wurde Fußball-Weltmeister 1974.“ Kaum jemand würde dies heute in Abrede stellen. Doch war dies wirklich so? Sind wir Weltmeister geworden? Oder sind wir nicht in der Zwischenrunde gegen Brasilien, die Niederlande und Argentinien ausgeschieden? Das vereinnahmende „Wir“ – und erst recht natürlich das völlig falsche und dennoch damals durchgängig und selbst heute noch häufig gebrauchte „Deutschland“ – negiert die Existenz des anderen Teils des damals zweigeteilten Deutschlands. Diese Ignoranz ist umso bemerkenswerter, da die DDR-Mannschaft ja sogar unmittelbarer Teilnehmer dieser WM-Endrunde war – und hier sogar gegen das auch so benannte „Deutschland“ in der Vorrunde spielte – und somit jeder vor Augen haben müsste, dass weder „wir“ noch „Deutschland“ Weltmeister geworden sein konnten.

Das ist natürlich eine gute Frage. Aber Haussteins Gedankenführung zu diesem Thema führt in die Irre.

Hausstein hat insofern Recht, dass alle diejenigen, die vor 1989 sozialisiert wurden (also die Geburtenjahrgänge vor 1980, effektiv, und damit rund die Hälfte der Ostdeutschen), eine DDR-Nationalmannschaft kannten, die dann gegen die der BRD antrat. Diese ist im offiziellen „uns“ nicht enthalten. Das hat seine Gründe, auf die ich gleich eingehen will; zuerst aber soll dem anderen wichtigen Punkt Haussteins Raum gegeben werden:

Doch nicht nur in diesem Punkt wird den Menschen im Land vermittelt, dass es nur eine einzige Vergangenheit – nämlich die Westdeutschlands, sprich der BRD – gibt. Der deutsche Raumfahrer Ulrich Walter wies bei Markus Lanz einmal darauf hin, dass er auf die Frage, wer der erste Deutsche im Weltraum war, entweder betretenes Schweigen ernte oder ein eher fragendes „Ulf Merbold“ als Antwort erhält. Dass jedoch der DDR-Bürger Sigmund Jähn der erste Deutsche war, der 1978 ins All geflogen ist, ist im westdeutschen Geschichtsbewusstsein bei nur Wenigen verankert. Dazu trug auch der unwürdige Umgang der Bundesregierung mit der Persönlichkeit Sigmund Jähn zeitlebens wie auch ein weiteres Mal zu seinem Tod maßgeblich bei. Dem war schon eine gepflegte Ignoranz anlässlich des 80. Geburtstages von Jähn wie auch des 40. Jahrestages seines Weltraumfluges vorausgegangen. Sigmund Jähn als einer der DDR-Bürger mit den größten wissenschaftlichen Verdiensten fand nach der Wiedervereinigung in der Öffentlichkeit einfach nicht mehr statt. Derlei Beispiele ließen sich noch viele finden. Den meisten, in West wie in Ost, ist der großartige Zoologe, Tierverhaltensforscher und Zoodirektor Bernhard Grzimek wenigstens dem Namen nach ein Begriff. Für viele ist Grzimek auch heute noch, über 30 Jahre nach seinem Tod, ein Idol. Doch wer kennt im Westen schon den Namen Heinrich Dathe, der sich als Zoologe und Direktor des Tierparks Berlin ein weltweites Renommee erwarb?

Natürlich hat er Recht damit, dass die Erinnerung an die meisten DDR-Größen, von Sigmund Jähn über Heinrich Dathe nicht hochgehalten wird. Aber der Grund dafür ist nicht ein unhaltbarer Zustand von Siegerjustiz. Der Grund liegt in der Wiedervereinigung und, vor allem, der Natur der Wiedervereinigung.

Die DDR hat sich 1990 effektiv aufgelöst, als sie nach dem Artikel 23 dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitrat. Die Wiedervereinigung war keine Neugründung eines Staates; sie war ein Beitritt zu einem bestehenden Staat. Dieses Detail ignoriert Hausstein in seiner Argumentation, aber es macht den zentralen Unterschied. Denn seine Kritik würde deutlich mehr Sinn ergeben, wenn BRD und DDR beide 1990 aufgelöst und durch Artikel 146 eine staatliche Neugründung unternommen worden wäre. Darauf wurde aus sehr vielen guten Gründen verzichtet, aber es bedeutet eben auch, dass es eine ungebrochene Kontinuität vom 23.05.1949 über den 03.10.1990 hinaus gibt – und durch das Konstrukt der Rechtsnachfolge sogar eine Kontinuität bis zurück zum 18.01.1871. All das hat die DDR nicht. Sie existierte von 1949 bis 1990. Sie ist ein Sonderfall der deutschen Geschichte, der korrigiert wurde – was das Wort der WIEDERVereinigung ja schon sagt; es wird etwas wiederhergestellt, das vorher geteilt war, nicht aus zwei Teilen etwas Neues geschaffen. Die Wiedervereinigung ist ein restaurativer, kein konstruktiver Akt.

Es führt an dieser Stelle zu weit zu fragen, ob sie das notwendigerweise sein musste (ich denke: ja), aber es lässt sich kaum bestreiten, dass es der Fall war. Die Kritik an der „Siegerjustiz“ deutet ja auch stark darauf hin, dass genau diese Erkenntnis auch bei Hausstein und seinen Gleichgesinnten vorhanden ist. Sie bewerten den Vorgang nur anders als die wiedervereinigte Mehrheit.

Dafür kann natürlich Sigmund Jähn nichts, dessen Ruhm unverdient darunter leidet, dass er unter dem Banner von Hammer, Zirkel und Ährenkranz ins All flog und nicht unter der schwarz-rot-goldenen Trikolore. Das ist unfair, sicherlich. Aber gleichzeitig ist es auch folgerichtig. „Wir“ sind die Weltmeister von 1974, aber „wir“ sind nicht Sigmund Jähn. „Wir“ sind im Übrigen auch nicht Christa Wolf oder Wolf Biermann. Das Interesse an den DDR-Dissidenten verschwand weitgehend zusammen mit dem Staat. Der Spiegel druckte auch keine Forderungen ostdeutscher Linker zur Reform des Kommunismus mehr ab, wie er das noch etwa 1978 mit dem „Manifest des Bunds Demokratischer Kommunisten Deutschlands“ getan hatte. Auch diese Seite der DDR glitt weitgehend geräuschlos ins Vergessen ab.

Am auffälligsten aber ist eine andere Leerstelle in Haussteins Artikel, die das argumentative Boot endgültig zum Sinken bringt. „Wir“ sind nicht Siegmund Jähn, „wir“ sind Fußballweltmeister 1974. Das ist schon richtig. „Wir“ sind aber auch das Land, das die historische Verantwortung für den Holocaust übernommen hat, und „wir“ sind, ganz entschieden, nicht das Land der Stasi, der Selbstschussanlagen, Minen und Mauerschützen.

Denn wenn ein Teil des DDR-Erbes in das kollektive „wir“ übernommen werden sollte, dann müsste das für die DDR-Vergangenheit auch gelten. Warum aber sollte ich als Südwestdeutscher die Untaten dieses Regimes in meine Identität aufnehmen? Die DDR hat immer aggressiv behauptet, eine Neugründung zu sein, die mit den alten deutschen Staaten nichts zu tun hat und kategorisch abgelehnt, Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu übernehmen. Dieses Neue, das die DDR war, ging dann 1990 glanzlos unter. Good riddance.

Aber es fällt damit eben dezidiert nicht unter das kollektive „wir“. Das kann es nicht. Stattdessen müssen diejenigen, die die DDR noch aktiv erlebt haben, einen Weg finden, diese Erinnerung in das bundesdeutsche „wir“ zu integrieren. Sie ähneln darin Migrant*innen, wenn der Vergleich gestattet ist. Aber sicherlich müssen „wir“ das nicht übernehmen. Die Leistungen einzelner sind da der Kollateralschaden. Sigmund Jähns Meilenstein gerät genauso unter die Räder wie wir heutzutage nicht wirklich stolz auf die Leistungen von Menschen sein können, die im Nationalsozialismus Großtaten vollbracht haben. Man kann sich nicht einen Teil herauspicken und den anderen Teil ignorieren. Und zur Identität der DDR gehört nun einmal beides, Spreewaldgurken und Eiserner Vorhang.

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  • Kirkd 24. Juni 2021, 08:55

    Ich kann auch damit leben, wenn wir in Zukunft sagen, dass wir der einzige Weltmeister sind, der im gleichen Turnier ausgeschieden ist.

    • cimourdain 25. Juni 2021, 19:14

      Großbritannien tritt auch regelmäßig mit mehreren Mannschaften an und hat einmal damit Erfolg gehabt.

  • R.A. 24. Juni 2021, 10:06

    Gut dargestellt.

    Haussteins Sichtweise ist m. E. auch völlig unrepräsentativ für die ehemaligen DDR-Bürger. Für die war nämlich die (west-)deutsche Fußballmannschaft schon vor 1990 „ihre“ Mannschaft und entsprechend haben sie auch die Weltmeisterschaft 1974 bejubelt (die meisten aber wohl vorsichtig eher intern).

    Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß sie natürlich auch ihrer DDR-Mannschaft die Daumen gedrückt haben.
    Ähnlich sieht man das doch regelmäßig z. B. bei der Champions League: Erst einmal hält jeder deutsche Fußball-Fan zu seinem Lieblingsverein. Wenn die dann ausgeschieden sind, übertragen sie ihre Unterstützung auf die deutsche Mannschaft, die es weitergeschafft hat. Selbst bekennende Dortmund- oder Frankfurt-Fans sind dann im Zweifelsfall im Finale für die Bayern, wenn die gegen einen ausländischen Verein spielen.

    Umgekehrt: Die DDR als staatliches Gebilde wurde im Westen nie wirklich akzeptiert. Aber daß DDR-Bürger auch Deutsche sind war bei den meisten Bundesbürgern klar.
    Insofern fehlt zwar bei vielen die Kenntnis z. B. über Jähn, aber er ist unbestritten der erste Deutsche im All und gehört zur gemeinsamen deutschen Geschichte.

    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:03

      Korrekt. Ich habe da je in einem der letzten Vermischten was dazugehabt, das ist diese Dritter-Weg-Nostalgie…

  • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 10:50

    „Wir“ sind aber auch das Land, das die historische Verantwortung für den Holocaust übernommen hat, und „wir“ sind, ganz entschieden, nicht das Land der Stasi, der Selbstschussanlagen, Minen und Mauerschützen.

    Denn wenn ein Teil des DDR-Erbes in das kollektive „wir“ übernommen werden sollte, dann müsste das für die DDR-Vergangenheit auch gelten. (..) Die DDR hat immer aggressiv behauptet, eine Neugründung zu sein, die mit den alten deutschen Staaten nichts zu tun hat und kategorisch abgelehnt, Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu übernehmen.

    Das ist der zentrale Punkt. Nebenbei hat die Bundesrepublik nicht nur für die Verbrechen der Nazis bezahlt, sondern auch für jene der Staatssozialisten. Die Wiedervereinigung hat 1,2 Billionen Euro gekostet, die im wesentlichen vom westlichen Teil des Landes aufgebracht worden waren.

    • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 12:26

      Die wesentlich kleiner sowjetische Besatzungszone (DDR) hat 5 mal soviel Reparationen bezahlt wie die Westzone (BRD). Und die DDR hat sich vor allem deshalb besser vom NS-Staat distanzieren können, weil die ganz Führung durch Kommunisten und Sozialisten ersetzt wurde, die während der NS-Zeit im KZ oder im Exil waren. Ich lass mich gerne belehren, aber ich glaube, dass es in der DDR deutlich weniger Altnazis in hohen Führungspositionen gab, als in der BRD. Die Entnazifizierung war deutlich effektiver.

      Und dass die BRD für die Kosten der Widervereinigung aufkommen musste ist überhaupt kein Argument dafür oder dagegen, dass die Ossis in dem „wir“ überhaupt nicht vorkommen. Wer soll denn sonst für die Kosten aufkommen? Die DDR gab es ja nicht mehr. Vielleicht wollen Sie sagen, dass hauptsächlich die Wessis dafür aufgekommen sind und nicht so sehr die Ossis. Das stimmt aber auch nicht ganz, weil die Ossis ja auch den Solidarzuschlag gezahlt haben.

      • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 13:49

        „Die wesentlich kleiner sowjetische Besatzungszone (DDR) hat 5 mal soviel Reparationen bezahlt wie die Westzone (BRD). “

        Ich korigiere mich. Die SBZ/DDR hat 50 mal soviel Reparationen bezahlt, wie die Westzone/BRD. !!! Auf die Bevölkerung verteilt hat ein Ossi 130 mal soviel bezahlt, wie ein Wessi.

        • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:18

          Macht das Argument immer noch nicht besser. Die UdSSR hat ihre Zone ausgeplündert, die Westalliierten nicht.

          • Dennis 24. Juni 2021, 17:39

            Ganz so einfach was das nicht, IMHO. In Potsdam wurde EINVERNEHMLICH nach einigem Hin und Her eine Reparationenregelung beschlossen – wesentlich zu Gunsten der UdSSR, die auch aus den Westzonen bedient werden sollte. Dafür gab es gute Gründe unter Bezugnahme auf die tatsächlichen Kriegslasten, was man einem Historiker eigentlich nicht erklären muss.

            Das Einvernehmen war natürlich extrem schwierig und fragil und „anglo-amerikanisch“ mit Bindestrich ist eher irreführend, denn die Interessen waren in diesem Bindestrichgebilde alles andere als einheitlich. Schließlich mussten auch die Briten Kriegsschulden an die Amerikaner blechen. Außenminister Bevin (GB) sprach mal davon (1946), sich in dieser Sache nicht mit den USA gegen die UdSSR „zusammenrotten“ zu wollen.

            Die ganze Causa war also sehr fluid und verwickelt, wird durch Frankreich noch komplexer und kam natürlich bald darauf in das Fahrwasser des kalten Krieges; von selbigem im Grunde weggespült.

            Bezüglich GB kann man/frau z.B. hier was nachlesen:

            https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1998_1_3_farquharson.pdf

            • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:45

              Ja, aber letztlich war das mit dem Scheitern des Alliierten Kontrollrats 1948 bereits alles Makulatur, und de facto bereits seit 1947. Da gab es 1945-1948 diverse Modifikationen und schließlich die allseitige Feststellung, dass sich jeder bei Reparationen aus seiner Zone bedient – alles vor 1949. Ich müsste die konkreten Daten recherchieren, aber die Regelungen aus Potsdam sind irrelevant für die Diskussion.

              • Dennis 24. Juni 2021, 19:39

                Sag ich ja, kam ins Fahrwasser des kalten Krieges. Gleichwohl ist das Bild, dass die Westalliierten lieb und nett waren und nichts haben wollten, kein richtiges. Das „Zurückstellen“ dieser WWII-Sachen bis zum Sankt-Nimmerleinstag nebst langes Abstottern der Altschulden bei der Londoner Konferenz 1953 war vermutlich uneigennützige Hilfe und purer Altruismus^. Der Sankt-Nimmerleinstag kam dann 1989/90 und das Ding wurde mit Zustimmung der UdSSR (die gab’s da noch) sang- und klanglos fallen gelassen – von den Beteiligten, also nicht unbedingt allen WWII-Betroffenen.

      • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 14:20

        Ich weiß, das mit den Reparationszahlungen der DDR ist ein beliebtes Narrativ. Aber es ist so nicht richtig.

        Reparationen beruhen auf völkerrechtlich bindenden Verträgen wie z.B. der Versailler Vertrag. Die unterlegene Kriegspartei muss für die Schäden, die sie angerichtet hat, Kompensationen leisten. Das war in der Geschichte meist die Bedingung, um die Souveränität über das eigene Staatsgebiet zurückzuerhalten.

        Bei dem, was manche Historiker als „Reparationen der DDR“ subsummieren, handelte es sich dagegen weitgehend um Raub. Nach dem Postdamer Abkommen vom August 1945 vereinbarten die Siegermächte, dass jede Besatzungsmacht ihre Reparationsansprüche durch Demontagen und Sachlieferungen aus ihrer eigenen Besatzungszone befriedigen sollte. Das war jedoch kein völkerrechtlicher Vertrag, denn mit dem unterlegenen Dritten Reich noch mit seinem Rechtsnachfolger (den es damals noch nicht gab) wurde hierüber verhandelt.

        Auch wurden die Reparationsschäden nicht festgelegt. Die wesentlichen, durch die Sowjetunion durchgeführten Demontagen, erfolgten zwischen 1945 und 1949, also vor der Staatsgründung der DDR. Bis dahin bestand völkerrechtlich das Deutsche Reich fort. Es wurden auch nicht die Kriegsparteien nach einem Schlüssel befriedigt, sondern die Russen nahmen, was nicht niet und nagelfest war.

        Gehörten Schienenstränge den Bürgern der sowjetischen Besatzungszone oder der Reichsbahn? Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn wurde die Deutsche Bundesbahn. Große und mittlere Konzerne wie AEG, Siemens, Daimler Benz oder Stiebel Eltron verloren ersatzlos ihre Vermögenswerte in den östlichen Besatzungsgebieten. Diese werden in die Reparationen einberechnet, aber kompensiert werden mussten sie im Westen.

        Nach 1945 mussten rund 12 Millionen Vertriebene aufgenommen werden, im wesentlichen in der neu gegründeten Bundesrepublik, allein hieraus wurden 115 Milliarden DM geleistet. Zum Vergleich: die gesamten Reparationsleistungen der DDR werden auf knapp 100 Milliarden Euro zu Preisen von 1953 geschätzt.

        Zugegeben, so etwas lässt sich schwer aufrechnen. Aber es ist nicht so, dass die Deutschen in der neuen Bundesrepublik nicht heftig geblutet hätten, nur eben anders.

        Ich lass mich gerne belehren, aber ich glaube, dass es in der DDR deutlich weniger Altnazis in hohen Führungspositionen gab, als in der BRD.

        Das ist wohl wahr. Der Unterschied: Die DDR ersetzte nationalsozialistische Schergen durch sozialistische Schergen. Leute wie Ulbricht, Honecker und Mielke waren ja keine Menschenfreunde, sondern hatten kein Problem, Menschen wegsperren und foltern zu lassen. Der 12 Jahre währende Terror der Nazis wurde durch 40jährigen Terror der Staatssozialisten abgelöst. Dagegen machten im Westen nur noch Schreibtischtäter des NS-Regimes unter strenger rechtsstaatlicher Aufsicht Karriere.

        Sie sind sicher mit mir der Ansicht: das war eindeutig die bessere Lösung.

        • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:19

          Zustimmung, bis auf den Schluss: Es ist nicht mal wahr. Die DDR lackierte viele vorherige NS-Schergen rot.

          • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 16:59

            „Zustimmung, bis auf den Schluss: Es ist nicht mal wahr. Die DDR lackierte viele vorherige NS-Schergen rot.“

            Klar gab es auch Nazis in der SED oder den Blockparteien. Aber die DDR-Führung hat nicht umsonst einen völlig unerfahrenen 28 jährigen Reporter damit beauftragt einen Auslandsgeheimdienst aufzubauen. Der war nicht Nazi-Verdächtigt. Die BRD hatte da viel weniger Hemmungen beim Aufbau des Bundesnachrichtendienstes.

            • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:11

              Ich will keinesfalls die Nazileitlinien der bürgerlichen Parteien schönreden. Aber die DDR nutzte wo sie konnte auch Altnazis.

          • cimourdain 25. Juni 2021, 19:10

            Richtig, man sollte aber differenzieren: Das Sammelbecken für die NSDAP-Mitglieder in der DDR war weniger die SED, sondern die Blockpartei NDPD, die nach 1990 in der OST-FDP aufging.

            • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 19:35

              Das ist doch nur der Anstrich. Die Blockflöten waren im System integriert, egal welcher Partei sie nominell angehörten. Niemand kam ohne Zustimmung des Politbüros in die Volkskammer.

        • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 16:46

          @Pietsch

          „Nach 1945 mussten rund 12 Millionen Vertriebene aufgenommen werden, im wesentlichen in der neu gegründeten Bundesrepublik, allein hieraus wurden 115 Milliarden DM geleistet. “

          Von den 12 Millionen Vertriebenen wurden 1/3 in die Ost-Zone verteilt.

          „Das ist wohl wahr. Der Unterschied: Die DDR ersetzte nationalsozialistische Schergen durch sozialistische Schergen. “

          Die Personen, mit denen Nazi-Schergen ersetz wurden waren zu dem Zeitpunkt keine Schergen, naja vielleicht Mielke. Piek und Grotewohl waren absolut harmlos. Ulbricht und Honecker waren Kommunistenführen und in den 20er und 30er Jahren an Tumulten beteiligt. Aber absolut nicht vergleichbar mit der NS-Führung.

          • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 17:03

            Wie kommen Sie darauf, dass ein Drittel in die Ost-Zone „verteilt“ wurde? Und hat die DDR auch einen Lastenausgleich eingerichtet? Darum ging es nämlich. Die Vertriebenen wurden für ihre verlorenen Besitztümer entschädigt. In Devisen.

            Hitler war in seinen Zwanzigern auch ein relativ harmloser Geselle, sogar Kunstmaler.

            • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:12

              lol

            • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 17:15

              „Wie kommen Sie darauf, dass ein Drittel in die Ost-Zone „verteilt“ wurde?“

              Hab ich ergoogelt (https://de.wikipedia.org/wiki/Heimatvertriebener_(Bundesvertriebenengesetz)#Fl%C3%BCchtlinge_und_Vertriebene_im_Westen). Sowas weiss ich natuerlich nicht.

              „Hitler war in seinen Zwanzigern auch ein relativ harmloser Geselle, sogar Kunstmaler.“

              Wahrscheinlich. Ich meinte aber die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Da hatte Hitler schon einen gescheiterten Putsch hinter sich und seine Vernichtungspläne für jedermann veröffentlicht. Aber das wissen Sie natuerlich. Ich wollte es nur nochmal betonen.

              • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 17:24

                Oh, das wusste ich nicht. Und das überrascht mich sehr. Punkt für Sie. Bleibt die Frage nach den Kosten und der Umverteilung.

                Hitler fing erst in seinen Dreißigern an, ein schlimmer Bursche zu werden. Davor war er nur einer mit spinnerten Ideen. Also ungefähr in einer ähnlichen Lebensphase wie bei Honecker.

                • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:31

                  So genau wissen wir das schlicht nicht; Hitler ist zwar sehr gut erforscht, aber die Quellenlage für sein frühes Leben ist sehr dürftig. Wirklich Gewissheit haben wir erst ab 1919.

                  • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 17:42

                    Im Geschichtsunterricht hatte ich gelernt, er wäre im Ersten Weltkrieg Melder gewesen und ein eigenbrödlerischer Zeitgenosse. Wie Du sagst, viel weiß man nicht.

                    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:46

                      Korrekt. Seine Kameraden haben sich stets sehr vorsichtig geäußert (wenig überraschend, wenn man seine Nachkriegskarriere bedenkt). Und Selbstzeugnisse sind, sagen wir, mit Vorsicht zu genießen. Wir sind relativ sicher, dass die relevante Sozialisierung Karl Lueger in Wien war, aber sonst?

                • bevanite 24. Juni 2021, 20:03

                  „Hitler fing erst in seinen Dreißigern an, ein schlimmer Bursche zu werden. Davor war er nur einer mit spinnerten Ideen.“

                  Ach ja? Was ist mit dem SA-Terror, den es auch schon in den Zwanzigern gab? Was ist mit dem Hitler-Putsch und dem Aufbau der NSDAP? In „Mein Kampf“ war zudem sein komplettes Programm bereits dargelegt und für jedermann lesbar. In einigen deutschen Staaten hatte er deshalb sogar Redeverbot.

                  Sie scheinen ein klein wenig Geschichte-Nachhilfe nötig zu haben…

                  • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 20:49

                    Nein, das brauchen Sie. Hitler ist 1889 geboren. Er war 1922 / 1923 also bereits deutlich in seinen Dreißigern. Was schrieb ich?

                    Hitler fing erst in seinen Dreißigern an, ein schlimmer Bursche zu werden.

                    Was nochmal haben Sie daran auszusetzen? Das Alter eines Menschen sollten Sie doch berechnen können.

                  • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 07:50

                    Es geht ums Alter! Nicht um das Jahrzehnt.

      • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 14:38

        Der Solidaritätszuschlag macht nur einen geringeren Teil der von mir genannten Gesamtkosten aus. Tatsächlich wurde ein Großteil der Transfers im Bundeshaushalt getätigt. Die Sozialversicherungen sind da noch nicht berücksichtigt. Hier wurde fleißig in der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Krankenversicherung in die Neuen Bundesländer umverteilt.

        Der Soli war auch schon früher eine Reichensteuer – und von Spitzenverdienern gab und gibt es im Osten ja nicht so viele.

        Wer soll denn sonst für die Kosten aufkommen?

        Wenn Sie schon so fragen: vielleicht die Menschen in den Neuen Bundesländern selbst? Nur mal so: es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass man neue Straßen, Brücken und Haussanierungen von anderen vor die Tür gestellt bekommt.

        Das mag alles keine ökonomisch vernünftige Lösung sein. Aber Sie haben gefragt.

      • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:17

        Dann lass dich belehren: das ist ein Mythos.

        Ok. Die DDR ist toll, weil sie Reparationen für den NS bezahlte, aber die BRD ist nicht toll, weil sie die Kosten der DDR-Diktatur hatte? Warum genau?

        • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 15:27

          @Stefan Sasse

          „Ok. Die DDR ist toll, weil sie Reparationen für den NS bezahlte, aber die BRD ist nicht toll, weil sie die Kosten der DDR-Diktatur hatte? Warum genau?“

          Bitte werden Sie nicht albern. Es ging mir nicht darum, wer hier toll oder toller ist. Es ging darum, ob die DDR also direkter Nachfahre des NS-Deutschlands angesehen werden kann, oder nicht. Mein Punkt war, dass die Sowjetunion das zumindest so gesehen hat.

          • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:08

            Die SU hat anerkannt, dass die DDR sich dezidiert NICHT als Nachfolger sah. Das hielt sie nur nicht vom Plündern ab.

            • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 21:00

              @Sasse
              „Die SU hat anerkannt, dass die DDR sich dezidiert NICHT als Nachfolger sah. Das hielt sie nur nicht vom Plündern ab.“

              Die DDR hat sich anfänglich sehr wohl als Nachfolger Deutschlands angesehen. In Wilhelm Pieks Antrittsrede gar als einzig ligitimer Nachfolger: „Mit Hilfe des Besatzungsstatus soll die Besetzung Westdeutschlands verewigt, ein Teil unseres Vaterlandes zu einer Kolonie des amerikanischen Imperialismus herabgewürdigt […] werden. “

              Diese Einstellung hat sich offensichtlich erst später geändert, als die Reparationen nach Einschätzung der SU abgegolten waren.

              • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 07:52

                Die DDR beanspruchte anfangs wie die BRD, für alle Deutschen zu sprechen. Aber sie sah sich NICHT als Rechtsnachfolgerin des Reichs.

      • Erwin Gabriel 24. Juni 2021, 16:53

        @ Detlef Schulze 24. Juni 2021, 12:26

        Wer soll denn sonst für die Kosten aufkommen? Die DDR gab es ja nicht mehr.

        Was ist denn das für ein verqueres Argument? Weil der eine kein Geld hat, muss der andere aufkommen?

        Das stimmt aber auch nicht ganz, weil die Ossis ja auch den Solidarzuschlag gezahlt haben.

        Mal die Kosten mit den Einnahmen verglichen? Wie hoch war der Anteil der ostdeutschen Soli-Zahlungen an der infrastrukturellen Erneuerung der ehemaligen DDR? Wie hoch die Beiträge zu den Rentenkassen und Krankenversicherungen etc.?

        Kopfschüttelnde Grüße
        E.G.

        • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 22:13

          @EG
          „Was ist denn das für ein verqueres Argument? Weil der eine kein Geld hat, muss der andere aufkommen?“

          Mein Punkt war eigentlich, dass es nach der Eingliederung die DDR ja gar nicht mehr gab, sie also unmöglich für irgendwas aufkommen konnte. Ich finde auch die Sichtweise falsch, dass die BRD für DDR-Unrecht aufkommen musste (wie Herr Pietsch das suggerierte). Das DDR-Unrecht hat ja zu keiner nennenswerten direkten finanziellen Belastung geführt. Es gab keinen Krieg, keine Zerstörung, keine Reparationszahlungen und keine Vertreibung. Es gab lediglich eine schwächere Wirtschaftslage.

          Außerdem finde ich Ihre Sichtweise irreführend, dass es den EINEN gab, der kein Geld hat und den ANDEREN, der aufkommen musste. Wofür eigentlich?
          Man kann die Lage auch so sehen, dass ein ganzer Staat in die BRD eingegliedert wurde, und die BRD dann in die neuen Länder(eie)n investiert hat um z.B. die Infrastruktur auszubauen und die Wirtschaftsleistung zu verbessern. Man stelle sich einmal vor, die Spanier hätten sich beschwert, dass sie in die Infrastruktur in den neuen Kolonien investieren mussten.

          „Mal die Kosten mit den Einnahmen verglichen? Wie hoch war der Anteil der ostdeutschen Soli-Zahlungen an der infrastrukturellen Erneuerung der ehemaligen DDR? “

          Wahrscheinlich gering. Aber das Geld ist ja oftmals gar nicht direkt bei den Ossis angekommen, sondern ist an westdeutsche Unternehmen geflossen, die im besten Fall ein Industrieunternehmen mit einem Bruchteil der Belegschaft weitergeführt (VW, Eisenach) oder die A4 auf 3 Spuren ausgebaut hat, im schlimmsten Fall aber Subventionsbetrug begangen haben. Investitionen in die ostdeutsche Infrastruktur waren defacto Staatshilfen für die westdeutsche Industrie. Es ging ja die ganze DDR-Wirtschaft (BIP: 400 Mrd Mark pro Jahr) in den Staatsbesitz der BRD über, die dann an westdeutsche Unternehmen verschenkt wurden mit Subventionen obendrauf. Nicht all Betriebe ware marode. Ich kann nicht beurteilen, ob man es besser hätte machen können. Aber zu sagen, dass hier 2000 Mrd Euro von den Wessis an die Ossis gezahlt wurden, ist einfach falsch.

          „Wie hoch die Beiträge zu den Rentenkassen und Krankenversicherungen etc.?“

          Diese Beiträge machen wahrscheinlich einen Grossteil der 2000 Mrd. Euro aus. Aber klar, wenn die ganzen Betriebe im Osten geschlossen werden, die Jugend in den Westen auswandert, bleiben natürlich nur die Rentner zurück.

          • Erwin Gabriel 25. Juni 2021, 11:53

            @ Detlef Schulze 24. Juni 2021, 22:13

            Verstehen Sie mich da bitte nicht falsch: Hauptgrund für meine Antwort war das leicht pampige „Wer denn sonst“…

            Man kann in diesen Angelegenheiten verschiedene Standpunkte einnehmen, und mein Eindruck ist, dass die im Osten (vermutlich auch die im Westen, aber das fällt mir als Wessi nicht so auf) sich immer die Rosinen rauspicken: Geht es ums Geld, ist mal selbstverständlich eingemeindetes Mitglied und möchte die gleichen Ansprüche erfüllt sehen, wie sie der Staat auch gegenüber den (alten) BRD-Bürgern walten lässt. Dass die Wessis die Kassen füllten, aus denen die Ossis versorgt wurden, wurde gerne ignoriert. Aber viele betonen noch heute, dass sie über den Tisch gezogen wurden.

            Man wollte die Kaufkraft der Westmark haben, war aber nicht in der Lage, seine Produkte unter den Bedingungen dieser harten Währung herzustellen.

            Man möchte, dass der Westen den guten Teil der Ostgeschichte in allen Ehren hält, aber der doch auch sehr böse Teil soll bitteschön ignoriert werden – ist doch Schnee von gestern.

            Ich bin kein großer Freund davon, allen Bürgern anzuhängen, was die regierung falsch macht (ich trenne auch zwischen der israelischen Regierung und den israelischen Bürgern, um mal ein anderes Beispiel zu nennen).

            Aber man sollte doch auch für sich selbst in der Lage sein zu erkennen, dass (übertrieben formuliert) nicht jeder Bürger der ehemaligen DDR automatisch Millinär wird; auch in der alten BRD gab es viele, die nicht den besten Lebensstandard hatten.

            Dass junge Leute dem Geld hinterherziehen, ist nachvollziehbar, aber auch im ehemaligen Westen haben wir gegenden, etwa in Niedersachsen oder im Bayerischern Wald, wo Infrastruktur und Industrieansiedlungen praktisch nicht vorhanden sind.

            Letzendlich stört mich diese Attitüde „ich fühle mich schlecht und Du hast Schuld“ – bitte betrachten Sie meine Antwort aus diesem Blickwinkel.

            Ich habe Freudentränen geheult, als damals die Mauer fiel, und ich denke, dass es die DDR VIEL schlimmer hätte treffen können, wäre es anders gelaufen.

            • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 12:28

              Ja, da bin ich bei dir. Es ist doch wohl unbestritten dass es Ostdeutschland WESENTLICH besser geht als vor der Wende?

            • Detlef Schulze 25. Juni 2021, 14:12

              Ich kann natürlich verstehen, wenn Sie etwas zerknirscht sind, dass Ihre Steuerabgaben in den Osten geflossen sind, die Ossis sich aber völlig undankbar zeigen (flapsig ausgedrückt). Und in der Tat, man hätte die Bevölkerung im Westen vielleicht auch mal fragen sollen, ob (und vor allem wie) sie die Wiedervereinigung will.

              Das Jammern der Ossis über den Tisch gezogen worden zu sein, richtet sich weniger gegen die West-Bevölkerung, sondern eher gegen die Kohl-Regierung, und nicht zu Unrecht. Entschieden wurde das ganze Prozedere ja von der letzten DDR-Volkskammer, die im März 1990 gewählt wurde. Der Wahlkampf hierfür dauerte nur 7 Wochen, was lächerlich wenig ist, wenn man bedenkt, dass dieses Parlament die DDR abwickeln sollte. Viel Zeit zum Nachdenken und Abwägen blieb da nicht. Man Vergleiche das mit dem Brexit-Wahlkampf, der 5 Monate dauerte. Der Wahlkampf wurde mit großer Unterstützung aus dem Westen geführt und Kohl hat dabei das Blaue vom Himmel versprochen. Ich glaube nicht, dass zur Sprache kam, dass durch die Abschaffung der Ost-Mark der gesamte Absatzmarkt für Ostprodukte in Osteuropa wegfällt, weil diese Länder eben nur Ost-Mark als Devisen hatten.

              Richtig, „die“ Ossis waren naiv (die 48% CDU, DSU und DA- Wähler) und haben sich verschaukeln lassen. Sie haben aber dafür auch durch sozialen Abstieg und Arbeitslosigkeit reichlich Lehrgeld bezahlt. Man kann den (nicht-politischen) Errungenschaften aus der DDR auch gerne etwas mehr Anerkennung schenken, selbst wenn das jetzige Deutschland staatsrechtlich kein Nachfolger der DDR ist.

              Natürlich war es gut, dass die Mauer fiel und dass es die Wiedervereinigung gab. Das bestreitet ja niemand. Aber es ist wahrscheinlich, dass alles besser verlaufen wäre, also ohne den Zusammenbruch der Ostdeutschen Wirtschaft, wenn man sich etwas mehr Zeit gelassen hätte. Ob das politisch möglich war ist zwar fraglich, aber ich denke dass den Ossis die D-Mark gar nicht so wichtig war. Wichtiger war erstmal der Zugang zu den Westprodukten. Und den hat es ja 1990 bereits gegeben.

              • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 14:45

                Ach, komm. Der Brexit-Wahlkampf war voller Blödsinn über 5 Monate; die entscheidenden Fragen wurden auch da nicht angesprochen. Die Idee, dass die Volkskammerwahlen anders ausgefallen wären, wenn sie im August stattgefunden hätten, ist hanebüchen. Mal abgesehen davon, dass die Zeit halt wirklich drängte.

                Und ja, die Ostdeutschen wurden über den Tisch gezogen – von der DDR. Die war es schließlich, die systematisch über Jahrzehnte den Zustand der Wirtschaft schönlog. Darauf fielen sie sogar im Westen rein. Der Kater kam erst, als die Treuhand in der Bestandsaufnahme feststellte, wie wertlos die Substanz der ostdeutschen Volkswirtschaft wirklich wahr.

                • Detlef Schulze 25. Juni 2021, 21:24

                  „Und ja, die Ostdeutschen wurden über den Tisch gezogen – von der DDR. Die war es schließlich, die systematisch über Jahrzehnte den Zustand der Wirtschaft schönlog. “

                  Gut. Ich bin bereit zu glauben, dass Kohl die blühenden Landschaften versprochen hat, weil er an falsche Zahlen glaubte. Ich kann mir aber nur schwer vorstellen, dass der Glaube der DDR-Bevölkerung an die Wirtschaftskraft von abstrakten Zahlen wesentlich beeinflusst wurde. Es war ja jedem klar, dass man auf den Trabi 10 Jahre warten musste, und die ganzen Produkte aus der Westwerbung im Osten nicht zu kaufen waren. Schlecht gefühlte Regale sagten mehr als abstrakte Zahlen.

                  • Stefan Sasse 26. Juni 2021, 10:41

                    Dass die Planwirtschaft nicht das Gelbe vom Ei war, war allen klar. Dass sie dermaßen schlecht lief wie sie tat und von massiven Subventionen abhing, nicht. In West wie Ost ging man davon aus, dass die marktwirtschaftlichen Expert*innen aus dem Westen die Betriebe sanieren würden. Dagegen blieb in über 90% der Fälle dann aber nur die Abwicklung.

              • Erwin Gabriel 26. Juni 2021, 14:22

                @ Detlef Schulze 25. Juni 2021, 14:12

                Ich kann natürlich verstehen, wenn Sie etwas zerknirscht sind, dass Ihre Steuerabgaben in den Osten geflossen sind, die Ossis sich aber völlig undankbar zeigen (flapsig ausgedrückt).

                🙂
                Das ist nicht der Punkt. Kein Problem mit den finanziellen Leistungen, kein Problem mit nicht vorhandener Dankbarkeit. Mein Problem ist das Rosinenpicken, und das Fehlersuchen NUR bei anderen.

                Der zustand der neuen Bundesländer heute ist deutlich besser als vor der Grenzöffnung. Vielleicht muss man deswegen nicht in Dankbarkeit erstarren, aber zur Kenntnis nehmen sollte man das schon.

                Und dass der Zustand von der Wirtschaft über die Politik bis zum Umweltschutz vor der Grenzöffnung so war, wie es eben war, lag nicht an Westdeutschland.

                Der Wahlkampf wurde mit großer Unterstützung aus dem Westen geführt und Kohl hat dabei das Blaue vom Himmel versprochen.

                Ich bin wirklich kein Freund von Helmut Kohl, und habe ihn nie gewählt (nicht mal nach der Einheit). Und von dem, was damals versprochen wurde, wurde deutlich mehr eingehalten als sonst bei Wahlkampfversprechen üblich. Es hat deutlich länger gedauert, und hat deutlich mehr Geld gekostet als von allen erwartet, aber das hat niemanden abgehalten.

                Ich glaube nicht, dass zur Sprache kam, dass durch die Abschaffung der Ost-Mark der gesamte Absatzmarkt für Ostprodukte in Osteuropa wegfällt, weil diese Länder eben nur Ost-Mark als Devisen hatten.

                Wen hat das damals interessiert? Die ostdeutsche Bevölkerung sicherlich nicht. Die wählten wollten und wählten den westlichen Lebensstandard. Eine Partei oder ein Kandidat, die angetreten wären mit „lasst uns bei der Westmark bleiben, weil sonst unsere Märkte zusammenbrechen“, wäre verhöhnt worden.

                Aber es ist wahrscheinlich, dass alles besser verlaufen wäre, also ohne den Zusammenbruch der Ostdeutschen Wirtschaft, wenn man sich etwas mehr Zeit gelassen hätte. Ob das politisch möglich war ist zwar fraglich, aber ich denke dass den Ossis die D-Mark gar nicht so wichtig war. Wichtiger war erstmal der Zugang zu den Westprodukten. Und den hat es ja 1990 bereits gegeben.

                Das gibt meine Erinnerung nicht her. Wäre die Ostmark geblieben, hätte es eine extreme Wanderbewegung in den Westen gegeben. Und mit der Ostmark gab es keinen Zugang zu Westprodukten, nur zu den Schaufenstern. Der (in Ostmark) drei-bis siebenfache Preis für Waren bei gleichzeitig niedrigerem Lohnniveau hätte alles unmöglich gemacht.

                Ansonsten finde ich es schofelig, mit 30 Jahren Abstand zu schauen, was man mit heutigem Wissen hätte besser machen können. So funktioniert das Leben nicht.

                Und, wie gesagt, höre ich immer nur die Frage, was der Westen hätte besser machen können. Ich habe noch von keinem ehemaligen DDR-Bürger die Fragen gehört, was sie falsch gemacht haben, was sie selbst hätten besser machen können.

                • Stefan Sasse 27. Juni 2021, 10:25

                  Anmerkung: Wahlversprechen werden generell deutlich stärker eingehalten als das immer behauptet wird. Weit mehr als die Hälfte werden umgesetzt.

    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:03

      Korrekt.

  • derwaechter 24. Juni 2021, 11:13

    „wie wir heutzutage nicht wirklich stolz auf die Leistungen von Menschen sein können, die im Nationalsozialismus Großtaten vollbracht haben“

    Wir sind Wernher von Braun hört man wirklich eher selten 🙂

    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:04

      Eben.

    • cimourdain 25. Juni 2021, 19:49

      Weil der ja auch in den USA Großtaten vollbracht hat :
      https://www.youtube.com/watch?v=TjDEsGZLbio

    • Detlef Schulze 25. Juni 2021, 21:12

      Naja, auf Otto Hahn, Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg ist man aber schon ein bischen stolz. Zu Recht. Man sollte aber trotzdem nicht vergessen, dass besonders die beiden letzteren die maßgeblich am deutschen Atombombenprojekt beteiligt waren.

  • derwaechter 24. Juni 2021, 11:18

    Nicht zu vergessen, dass die DDR nur halb so groß war wie die BRD und nur ungefähr ein Viertel so viele Einwohner hatte.

    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:05

      Hab ich da nicht irgendwo einen Halbsatz im Artikel zu? Aber grundsätzlich richtiger Hinweis. Das hat aber natürlich mit dem Unterschlagen von Helden wenig zu tun; Österreich etwa feiert trotz vergleichbarer Größe ja auch seine Heroen.

      • derwaechter 24. Juni 2021, 15:34

        Hab ich vielleicht überlesen, sorry.

        „Das hat aber natürlich mit dem Unterschlagen von Helden wenig zu tun; Österreich etwa feiert trotz vergleichbarer Größe ja auch seine Heroen.“

        Es ging mir um die relative Grösse der beiden Länder. Das bei einem Zusammenschluss der deutlich größere und auch mächtigere Part dominiert ist nicht verwunderlich.

        • Erwin Gabriel 24. Juni 2021, 16:56

          @ derwaechter 24. Juni 2021, 15:34

          Es ging mir um die relative Größe der beiden Länder. Das bei einem Zusammenschluss der deutlich größere und auch mächtigere Part dominiert, ist nicht verwunderlich.

          Ja, durchaus richtig. Wie wäre man mit uns umgesprungen, wenn wir „zu denen“ gemusst hätten? Da wäre die Schadenfreude vermutlich größer als die Hilfsbereitschaft gewesen.

          Whatever …

        • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:09

          Kein Widerspruch! Ich denke nur, dass würde heute Österreich mit der BRD vereinigt werden, die österreichische Erinnerung wesentlich wacher bliebe als die der DDR. War ja schon 1938-1945 so.

          • derwaechter 24. Juni 2021, 17:22

            Echt? Meinst du die Menschen in Hamburg oder Köln hätten an das 4:1 von Österreich gegen Ungarn 1930 als „unseren“ Sieg gegen Ungarn zurückgedacht?

            • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:30

              Nein. Aber natürlich denken dieselben Menschen auch bei Deutschlandspielen dieser Ära nicht wirklich an „wir“. Oder täusche ich mich? Unsicher.
              Aber: Mozart und Sigmund Freud wären davon sicher nicht betroffen.

              • Dennis 24. Juni 2021, 20:50

                Wie dann der Adolf eingekastelt wird, muss noch geklärt werden. Am besten, die Ösis nehmen den Adolf und wir den Mozart. Das Fürstbistum Salzburg hatte mit Österreich nichts zu schaffen sondern gehörte zum Bayerischen Reichskreis.

  • Detlef Schulze 24. Juni 2021, 12:07

    Ob Sie im Sinne des Staatsrechts richtig liegen, kann ich nicht beurteilen, bezweifle es aber. Zumindest im praktischen Sinne ist die DDR genauso wie die BRD aus Nazi-Deutschland entstanden und musste die Schuld über Reparation abbezahlen. Der Grossteil der Reparationen wurden von der DDR erbracht, bzw., aus der sowjetischen Besatzungszone bis zur Gründung der DDR. Ich zitiere aus Wikipedia: „Als die Reparationen 1953 für beendet erklärt wurden, hatte die SBZ/DDR die höchsten im 20. Jahrhundert bekanntgewordenen Reparationsleistungen erbracht.“ Ausserdem, die BRD wurde zuerst aus dem besetzen Deutschland herausgegründet, erst 3 Monate später die DDR. Beide Staaten bekamen neue Verfassungen. Wieso sollte die BRD der legitime Nachfolger Deutschlands sein, aber nicht die DDR?

    Die Anwendung von Artikel 23 (der westdeutschen !! Verfassung) bei der Wiedervereinigung, war die Grundlage für die Wiedervereinigung durch Eingliederung der DDR. Diese Eingliederung fühlte sich für die Bevölkerung der DDR (kurz Ossis) wie eine Übernahme, bzw. das was danach geschah wie Siegerjustiz. Es ist völlig egal, wie das Staatsrecht hier aussieht. Hier wurden zwei Gesellschaften zusammengeführt. Dass die Lebenswirklichkeit der Ossis, deren Geschichte und Errungenschaften, völlig ignoriert wurde und noch wird, war eine Demütigung. Diese führte besonders in den 20 Jahren nach der Wiedervereinigung zu Selbstwertproblemen und Frust bei so manchen Ossis und ist vielleicht auch ein Grund, warum in dieser Zeit Parteien wie die DVU und NPD regen Zulauf hatten.

    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:11

      Oh boy, strap in.
      1) Im Sinne des Staatsrechts liege ich 100% richtig, und zwar laut der DDR selbst. Die hat nämlich jede Verantwortung kategorisch mit genau den von mir genannten Argumenten abgelehnt. Das beantwortet auch deine Frage am Ende des ersten Absatz‘.
      2) Dass die Sowjets die SBZ und später die DDR ausgeplündert haben steht dazu ja nicht im Widerspruch.
      3) Für die Bevölkerung der DDR fühlte sich diese Wiedervereinigung im Gegenteil wie ein Gottesgeschenk an. Der Kater kam erst ab 1992, als die Illusionen platzten.
      4) Aus diesen geplatzten Illusionen kommen auch die Gefühle von Demütigung. Die Ossis wollten um 1991/92 von der DDR auch nichts mehr wissen. Und zu Recht.
      5) Das ist mit Sicherheit ein Grund, da hast du Recht.

      • Erwin Gabriel 24. Juni 2021, 17:01

        @ Stefan Sasse 24. Juni 2021, 15:11

        4) Aus diesen geplatzten Illusionen kommen auch die Gefühle von Demütigung. Die Ossis wollten um 1991/92 von der DDR auch nichts mehr wissen. Und zu Recht.

        Es war in den 50er und 60er Jahren niemand da, der sagte, er sei Nazi gewesen; alle waren im Widerstand, und keiner hatte was gewusst (warum auch immer man in den Widerstand geht, wenn man keine Ahnung hat, worum es geht).

        Das war in den 90er Jahren in der ehemaligen DDR ähnlich: Alle waren gegen das Regime, keiner war bei der Stasi gewesen etc. (so ein Riesenglück für mich, dass ich mich keiner dieser Herausforderungen habe stellen müssen). Natürlich war man froh, das man das hinter sich lassen konnte.

  • Lemmy Caution 24. Juni 2021, 14:11

    So ein Blödsinn.
    Ich betrachte mich seit meinem 7. Lebensjahr schon irgendwie als Fußball-Fan. Besitze ein Gladbach Trikot, eine Gladbach Tasse und besuche pro Saison im Schnitt ca 5 Spiele im Borussia Park oder Auswärts.
    Selbstverständlich bin ich auch Anhänger der deutschen Nationalmannschaft und seit der u20 wm 2007 auch der chilenischen.
    Trotzdem verwende ich weder für Borussia Mönchengladbach noch für die beiden Nationalmannschaften die „wir“-Form.
    Außerdem: Wenn Fußball, dann vernünftig:
    Wer sich die Spiele 1974 noch einmal anschaut, wird schnell klar, dass Berti Vogts und Rainer Bonhof die entscheidenden Spieler waren. Vielleicht noch Hacky Wimmer bei seinen viel zu wenigen Einsätzen. Maier vielleicht in der 2. Halbzeit gegen Holland und Müller punktuell. Beckenbauer und Overrath (?!!??) ganz sicher nicht.
    Der Ort an dem ich aufgewachsen bin liegt sehr nahe am Müngerdorfer Stadion. Trotzdem konnte ich mit dem dort seine Heimspiele austragenden Verein nie richtig warm werden. Und das ist sehr höflich ausgedrückt.
    Bestimmte bekannte Persönlichkeiten der DDR wie Sigmund Jähn oder Täve Schur sind mir durchaus ein Begriff. Das allerdings eher, weil ich mich für DDR Geschichte interessiere. Außerdem gehört für mich das *gesamte* Gebiet der ehemaligen DDR neben Tschechien, den Vogesen, den Ardennen und den Alpen zu den Regionen, für die ich für Radtouren längere Bahnfahrten in Kauf nehme.
    Zwangsvereinigung zur SED, die vielen politischen Gefangenen, die Mauer, die zunehmende Abhängigkeit von Krediten und die wg Hallstein Doktrin auch verständliche Fokussierung auf Anerkennung als zentrales außenpolitisches Streben machen eine Identifikation mit der DDR als Staat nicht wirklich leicht.

    • Stefan Pietsch 24. Juni 2021, 14:29

      Trotzdem konnte ich mit dem dort seine Heimspiele austragenden Verein nie richtig warm werden.

      Distanzierter geht’s wohl nicht, oder?! 😉 Dieser überragende Verein, der als erstes die Deutsche Fußballmeisterschaft der Bundesliga gewonnen hat, heißt 1. FC Köln, für Eingeweihte auch einfach der Effzeh! Ohne die Spieler dieses tollen Clubs wäre Deutschland 1990 gar nicht Weltmeister geworden, ja, wir hätten die WM vor dem Fernseher zugebracht.

      Hacki Wimmer! Geht’s noch? Und dieser Vogts hat überhaupt erst dafür gesorgt, dass Deutschland das Finale 1974 mit einem Rückstand begann. Foulte einfach mal Johann Cruyff wie der Blinde, der den Strafraum nicht sieht. Später führte er in Deutschland noch den Rumpelfußball ein.

      Dagegen diese Perlen Kölscher Fußballkunst: Overath, der Dirigent des Weltmeisters, musste den formschwachen Günter Netzer ersetzen. Später Flohe, Littbarski, Deutschlands bester Torhüter ever Toni Schumacher…

      Ich schweife ab.

      • Erwin Gabriel 24. Juni 2021, 17:03

        🙂

      • Lemmy Caution 25. Juni 2021, 07:40

        Diskussionen mit Anhängern des Geißbockkults über Fußball führen in den letzten Jahren zu zunehmend neidbestimmten Debatten. Nicht von meiner Seite.
        Dies muss aber noch für die Nachgeborenen richtiggestellt werden: Hacky Wimmer kann durchaus als N’Golo Kanté der 70er Jahre angesehen werden.

        • Stefan Pietsch 25. Juni 2021, 09:50

          Das ist doch eher eine Überhöhung von Hacki Wimmer.

          Anders als die Menschen aus der Region bin ich nicht lokalcolerit verfärbt. Ich mag auch die Düsseldorfer Fortuna, Alemannia Aachen und Borussia Mönchengladbach. Nur für Bayer habe ich nichts übrig. Und es ist war: während in Köln noch das letzte Vereinsmitglied beim Millionentransfer mitreden will, gibt es in Gladbach kurze, schnelle Entscheidungswege. Ein Grund, warum mir – Achtung – RB Leipzig sehr gefällt.

  • Erwin Gabriel 24. Juni 2021, 16:46

    Mit der Einschränkung, dass ich Wessi bin, und deshalb unter keinerlei persönlichen Befindlichkeiten leide, schließe ich mich an. Wenn die Geschichte zusammengeführt werden soll, dann nicht nur die positiven Seiten.

    • Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:10

      Ich habe die Gnade der späten Geburt und deswegen auch keine Befindlichkeiten. ^^

      • Erwin Gabriel 27. Juni 2021, 13:57

        @ Stefan Sasse 24. Juni 2021, 17:10

        Ich habe die Gnade der späten Geburt und deswegen auch keine Befindlichkeiten. ^^

        Du warst nicht angesprochen, ich bezog mich nur auf mich. Ich rede mit, obwohl ich nicht dabei war. Diesen Kontext wollte ich mitliefern, damit meine Kommentare besser einordnen kann.

        • Stefan Sasse 27. Juni 2021, 14:41

          Ich weiß, war nicht als Kritik gemeint, eher als Ergänzung.

  • Dennis 24. Juni 2021, 19:00

    Sehr interessante Überlegungen; danke und Glückwunsch, dass DD draußen im Lande allmählich berühmt wird.

    Hausstein, der seine Botschaft wesentlich aus der Alltagskultur entwickelt, was grundsätzlich Charme hat und nicht falsch ist, hat insofern Recht, als manche Nickeligkeiten wie die krampfhafte Umbenenneritis besser unterlassen worden wären. Andererseits sind die Löcher im Käse an dieser Stelle größer als der Käse. Einfach mal nach Rosa-Luxemburg-Straße oder -Platz und zusätzlich eine beliebige ostdeutsche Stadt googeln – man wird in der Regel fündig (in Frankfurt am Main allerdings auch^), bei Thomas Müntzer häufig desgleichen. Zuständig für solche Sachen waren (und sind) kleine Bürgermeister, Gemeinderäte und so und nicht der Kohl in seiner Eigenschaft als „Sieger“ höchstpersönlich.

    Das wäre IMHO ein Einwand gegen Hausstein auch bezüglich anderer Argumente: Er vermutet einen westlichen Masterplan von oben wo es keinen gibt.

    Und das WIR, das bei Hausstein und deiner Antwort ein zentraler Begriff ist, ist eh eine heikle Angelegenheit. In aller Regel eher angeschminkt und nachgeplappert bzw. ideologisch hochgekünstelt und nicht echt. Das WIR, das nicht erlebt wird oder wurde, sondern stattdessen angelernt, ist ein fragiles Kunst-Ding, i.d.R. überspannt.

    „Deutsches“ Im Geschichtsunterricht (die großen Sachen, vorzugsweise „Politik“) oder von den Eltern/Großeltern (eher Alltagskultur) gehört, reicht nicht zur Identitätsbildung.

    Politisch war „wir“ für mich die Bundesrepublik, alles davor ist historisch, also „die“. Die DDR wurde im Übrigen spätestens ab Ende 60er kulturell eindeutig zum Ausland und war ganz weit weg. Frankreich z.B. sah ich schon ziemlich nah am wir, die DDR war da eher so was Komisches wie Neuguinea. Allerdings: Von der DDR in Richtung Westen wurde ganz anders geguckt bzw. konnotiert.  

    Also: Wenn sich heutzutage Jungspunde „drüben“ (hier mal definiert als: jünger als immerhin ca. 45) auf DDR-Identität berufen, glaub ich das nicht.

    Aber auch bei den heute älteren Herrschaften ist das kritisch. Das Westfernsehen und der West-Konsum-Kram waren auch drüben dominant, Kulenkampff der Samstag-Abend-Star der 60er. Das Politbüro sah sich ab den 70ern genötigt, mit Shows wie „Ein Kessel Buntes“ dem Publikum etwas „wie im Westen“ anzubieten. Dazu musste sogar Schalck-Golodkowski aus seiner wertvollen Devisen-Schatulle was rausrücken, damit teure West-Sternchen eingekauft werden konnten; warum wohl? Hier ein Beispiel für das DDR-Wir:

    https://www.youtube.com/watch?v=akbMZiV6itU

    Denn folgende kulturelle Leitlinie ließ sich nicht halten und wurde abgeräumt. Die gestellte Frage „ist es denn wirklich so…?“ musste später von den Genossen nolens volens mit JA beantwortet werden:

    https://www.youtube.com/watch?v=Q55mQpAGNMc

    Ich würde also gar nicht mal so auf die staatsrechtlichen Geschichten abstellen. Die West-Populär-Kultur war bei denen da unten auch in der DDR i.d.R. die interessantere, eigentlich primär die Orientierung. Die in den 60ern Älteren wiederum wurden mit mit dem populären „Montagsfilm“ bei Laune gehalten. Das waren i.d.R. alte UFA-Produktionen mit Zara Leander etc.pp. Auch diese Interessenlage zeitgenössisch eigentlich „wie im Westen“ ^.

    Haussteins DDR-Wir ist im Wesentlichen eine retrospektive Imaginierung.

    • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 07:45

      Sehe ich auch so. Ich würde auch ergänzen, dass Rosa-Luxemburg-Straßen für die meisten Bürger*innen der ehemaligen DDR kein sonderlich positiver Bezugspunkt sein dürften; da geht es eher darum, dass man das Alteingesessene verliert als die sozialistische Ikone.

  • sol1 24. Juni 2021, 20:23

    „Die DDR hat sich 1990 effektiv aufgelöst, als sie nach dem Artikel 23 dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitrat. Die Wiedervereinigung war keine Neugründung eines Staates; sie war ein Beitritt zu einem bestehenden Staat.“

    Es gibt ja auch dafür eine Präzedenz – das Saarland, das 1957 der Bundesrepublik beitrat und dessen Fußballnationalmannschaft 1954 in der WM-Qualifikation gegen den späteren Weltmeister Deutschland ausschied (was vermutlich noch nie einen Saarländer daran gehindert hat, sich als Teil der Nation zu fühlen, die damals den Titel errungen hat):

    https://de.wikipedia.org/wiki/Saarl%C3%A4ndische_Fu%C3%9Fballnationalmannschaft

    Die These der „Namensstürmerei“ scheint mir auch übertrieben zu sein, wenn ich sehe, daß das angeblich getilgte Andenken an Thomas Müntzer immer noch in 327 Straßen und Plätze fortbesteht:

    https://www.zeit.de/interactive/strassennamen/#/?suche=Thomas%20M%C3%BCntzer

  • cimourdain 24. Juni 2021, 23:12

    Ich persönlich sehe in Haussteins Argumentation etwas, das hier im Forum schon so viel ‚Wahrheitsfindung‘ erschwert hat: Eine subjektiv motivierte Identitätsdebatte.
    Das beginnt bei seiner maßlosen Wortwahl. „Siegerjustiz“ ist inhaltlich Blödsinn, klingt aber schon nach eingeschlagenen Pfosten.
    Und du musst bedenken, dass innerhalb von nur zwei Generationen DDR sich eine ethnische Identität herausgebildet hat, mit eigener Sprache, eigenen Erzählungstopoi, eigener Kulturwahrnehmung. Und aus Sicht dieser Ethnie ist das, was du historisch korrekt beschreibst – die Wiedervereinigung als Übernahme – ein Kolonialisierungsprozess.
    Und jetzt fordert Hausstein für seine Ethnie das ein, was andere Minderheiten auch einfordern: In ihrer Besonderheit wahrgenommen werden. So wie weibliche Pioniere in Männerdomänen besonders gewürdigt werden, möchte er ’seine‘ identitätsbezogenen Vorbildfiguren herausgestellt sehen. Willst du ihm das verweigern, wenn du doch andere Minderheiten mit typographischer Symbolik würdigst. 😛
    Auf der anderen Seite machst du es dir in meinen Augen etwas zu leicht, wenn du als Westdeutscher die DDR als Teil ‚deiner‘ historischen Identität zurückweist. Zu unserem (deinem und meinem, andere mögen analoge Beispiel finden) historischen Rucksack gehören nun mal auch Friedrich II, König von Preussen oder die Hanse, obwohl wir Süddeutsche sind. Und in diesem Rucksack haben auch die Puhdys oder ‚Nackt unter Wölfen‘ Platz. Und auch wenn du konkrete Verantwortung zurückweist: Es schadet gewiss nicht, den Ünerwachungsstaat DDR als Mahnung zu sehen und in die Liste ‚Nie wieder in Deutschland oder von Deutschland aus‘ aufzunehmen.

    • Stefan Sasse 25. Juni 2021, 07:59

      Jein. Wir sind auch nicht Friedrich II. Der Mann war Preuße.

      • cimourdain 25. Juni 2021, 19:40

        Formuliere es doch knackiger : „Das Preussentum gehört nicht zu Deutschland.“ In Bayern ist dieser Satz bereits der halbe Einbürgerungstest 😉 .

        Aber im Ernst: Was mir etwas seltsam vorkommt, ist dass sich da unter umgekehrten Vorzeichen die Tonalität der unsäglichen Leitkulturdebatten widerspiegelt: Wir(!) bestimmen, was zu unserer(!) Kultur gehört und eure(!) gehört nicht dazu.

  • Ariane 25. Juni 2021, 10:39

    Danke für den Artikel. Ganz spannende Überlegungen, die ich im Wesentlichen ähnlich sehe. Fand auch Wächters Vergleich mit Wernher von Braun sehr passend.

    Ich denke auch, dass es eine Frage der Kontinuität ist, an die sich die DDR eben auch angeschlossen hat. Nicht nur als trockenes Staatsgebilde, sondern eben auch was Identität und Erinnerungskultur angeht. (und das verschwörungsangehauchte „Siegerjustiz“ finde ich eigentlich etwas albern).

    Ähnlich ist es ja auch mit Gebieten, deren Nationalität häufiger gewechselt hat, die Ostgebiete oder das Saarland, der nördliche Teil Schleswig-Holsteins auch. Die treten ja auch in die Erinnerungskultur der jeweiligen Nation ein. (auch wenn die DDR irgendwie singulär ist, weil nicht mehr vorhanden).

    Ganz spannend finde ich die Frage, ob das jetzt nur ein temporäres Phänomen einer Generation ist, weil ja gerade so ab unserem Alter (Mitte 30) nur noch die gesamtdeutsche Kultur existiert plus vielleicht nostalgischer Erzählungen der Älteren, aber man schafft ja keine oder wenig neue gemeinsame, explizit ostdeutsche, Erinnerungen.

  • cimourdain 25. Juni 2021, 19:30

    Noch eine Fußball-Kuriosität:
    Deutschland (in Sassescher Erbfolge) hat es zwei mal geschafft, eine andere Mannschaft nach der Qualifikation politisch zu assimilieren:
    1990 die DDR (erst nach dem Turnier)
    1938 Österreich (das sich für die Endrunde qualifiziert hatte, aber durch den Anschluss wurde eine einzige gesamtdeutsche Mannschaft zusammengeschustert, die gegen die Schweiz ausschied. [@Kirkd: 1938 hatten sich auch zwei niederländische Mannschaften für die Endrunde qualifiziert]

  • Lutz Hausstein 26. Juni 2021, 18:01

    Schön, dass Du eine Replik auf meinen Artikel geschrieben hast, an der ich mich auch reiben kann. Denn Fakt ist, dieses Thema ist mir ein Herzensthema. Von daher gehört es mMn auch noch weiterhin auf die Tagesordnung, die Vermittlung von neuerer Geschichte grundsätzlich zu überprüfen und zu verbessern, da sie, wie ich auch in meinem Artikel darlegte, eine deutliche Schlagseite hat.

    Für die Kommentatoren und Kommentatorinnen zur Information: Stefan und ich, wir kennen uns seit ca. 12, 13 Jahren und hatten zu dieser Zeit ein paar Berührungspunkte in unserer Autorenschaft.

    Ich werde mich in meiner Antwort größtenteils an Stefans Artikel halten. Die Kommentare nehmen nur ansatzweise Bezug auf den Inhalt meines Artikels (was nicht verwundert, da sie ja Kommentare zu Stefans Artikel sind) und entfernen sich mit zunehmender Kommentartiefe auch immer weiter von meinen Inhalten, bis sie an mehreren Stellen überhaupt nichts mehr mit meinem Artikel zu tun haben. Über Vereinigungskosten und Schulden, Reparationen und all dem anderen, was da geäußert wurde, könnte man eine ganze Menge schreiben, aber das würde zu weit vom Thema wegführen. Und es würde meine verfügbare Zeit sprengen.

    Ein Widerspruch gleich vorweg. Der Begriff „Siegerjustiz“ wird in meinem Artikel kein einziges Mal verwendet, weshalb es dann auch müßig ist, mir die Verwendung dieses Begriffs „um die Ohren zu hauen“. Vom sachlichen Inhalt her trage ich aber diese Bewertung. Das nur nebenbei zur Einordnung.

    Mir ging und geht es in meinem Artikel darum, die Bereitschaft westdeutsch Sozialisierter zu fördern, mal einen Perspektivwechsel durchzuführen, um das Unbehagen von ostdeutsch Sozialisierten verstehen zu lernen, wenn über ihre Vergangenheit berichtet (oder in vielen Teilen nicht berichtet) wird. Die Episode mit der Fußball-WM war da vielmehr als Eisbrecher gedacht, da das ein Thema ist, zu dem viele einen gewissen Zugang haben.

    Trotzdem ist mir aufgefallen, dass weder Stefan noch die meisten Kommentatoren verinnerlicht haben, worauf es mir dabei ankommt. Es ging mir ja nicht darum, dass Westdeutsche die Geschichte der DDR zwischen 1949 und 1990 als ihre eigene begreifen sollten. Das wäre ja absurd. Genauso wenig aber auch, dass Ostdeutsche die Geschichte der BRD zwischen 1949 und 1990 als ihre eigene verstehen können. Eben dies passiert aber permanent zumindest unterschwellig (!) an den unterschiedlichsten Stellen.

    Dabei geht es ja keineswegs nur um Geschichtsschreibung. Ich hatte in einem früheren Artikel, der auch in meinem aktuellen Artikel verlinkt ist, über das allgemein gebrauchte Verständnis geschrieben, dass die USA als „unser“ Freund schon seit ewigen Zeiten anzusehen sei. Angela Merkel sprach da von „unverbrüchlicher Freundschaft“. Neben der Begrifflichkeit, die Merkel sich da von der Nomenklatura der DDR „ausgeborgt“ hat, als nämlich damals das Verhältnis der DDR zur Sowjetunion als unverbrüchliche Freundschaft deklariert wurde, ist das auch inhaltlich Unfug. Bis 1989/90 galt die USA noch als DER Klassenfeind schlechthin und nun soll plötzlich zwischen den USA und dem gesamten Deutschland, also auch dem östlichen Deutschland, schon immer Freundschaft geherrscht haben, die durch nichts zu erschüttern ist? Wie viel kognitive Dissonanz darf es denn bitte sein?

    Dass mit dem Beitritt der DDR zur alten BRD, was es aus völkerrechtlicher Sicht ja war, damit auch die Geschichte der DDR und seiner Bürger untergehen soll, ist ja genau der Punkt, den ich kritisiere. Auch wenn der Staat, dessen Bewohner ich war, 1990 dem Staat beigetreten ist, der 1974 Weltmeister geworden ist, sind immer noch nicht „wir“ 1974 Weltmeister geworden. Für Christa Wolf würde ich dieses vereinnahmende „wir“ in gewisser Weise für mich eingeschränkt gelten lassen (obwohl ich mit diesem vereinnahmenden „wir“ generell stark fremdle, was spätestens seit „Wir sind Papst“ klar sein sollte), was mir bei einem Heinrich Böll jedoch überhaupt nicht in den Sinn käme. Und für die westdeutsche Seite würde Gleiches natürlich spiegelverkehrt gelten.

    Das müssen wir verstehen lernen und verinnerlichen. Die Zeit der staatlichen Trennung auch wirklich als eine getrennte, eigenständige Zeit zu begreifen und alles, was damit einher geht, zu respektieren. Dazu gehört allerdings auch die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich darauf einzulassen und dies zuzulassen. Und das Gefühl habe ich bei Deinen Einlassungen leider nicht. Ich bin nicht bereit, mich damit abspeisen zu lassen, indem man mir sagt: „Ihr seid damals beigetreten und damit ist eure Geschichte erloschen. Pech gehabt.“ Entschuldige, wenn ich es so deutlich sage, aber so etwas vertieft die Spaltung sogar noch. Man kann nicht regelmäßig über „die Ossis“ schimpfen, sie an dieser Stelle dann aber so brüskieren und sich dann wundern.

    Da führt auch die Ausführung über die Übernahme der „historischen Verantwortung für den Holocaust“ nicht weiter. Zuerst müsste eindeutig geklärt werden, was Du mit dieser Formulierung denn genau meinst. Denn Fakt ist, dass sich in der DDR geradezu vorbildhaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt wurde. Es gab unzählige Bücher, Filme, Gemälde und sonstige künstlerische Produkte, die gerade die Erinnerung an die vielfältigen Verbrechen des Faschismus in der Öffentlichkeit wachgehalten haben. Gleichfalls gehörte es zur Bildungspolitik, dass jede Schulklasse wenigstens einmal im Laufe ihrer Schulzeit einmal einen „Wandertag“ zu einem Konzentrationslager machte, um die Schrecken hautnah vor Ort zu sehen. Bei mir war es z.B. nach Buchenwald. Ich habe ganz sicher sehr vieles in Bezug auf die DDR zu kritisieren. Mangelnder Antifaschismus gehört aber definitiv nicht dazu.

    Dass Du nun aber gerade den Teil meines Artikels in Deiner Replik unberücksichtigt lässt, der auf Deinen Artikel zur „Bilderstürmerei“ Bezug nimmt, verwundert doch. Denn gerade an diesen Beispielen lässt sich doch wunderschön nachvollziehen, wie mit all diesen Umbenennungen eben genau diese Mechanismen in Gang gesetzt wurden, die Du in Deinem hervorragenden Artikel so gut und anschaulich beschrieben hast. Wie mit der Umbenennung von Straßen, Gebäuden etc. der Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus manifest in die Öffentlichkeit getragen werden sollte. Also genau das, was Du in Deinem Artkel dargelegt hast. Daran ändert sich auch nichts, wenn es diesbezüglich keinen vollständigen Namens-Kahlschlag gegeben hat, den ich ja auch nicht behauptet hatte. Wie massiv die Umbenennungsorgie in den 90er Jahren jedoch war, kann man gern mal bei Zeitgenossen vor Ort erfragen.

    Deswegen kann ich immer wieder nur appellieren, wie ich es in meinem Artikel im letzten Absatz getan habe. Mit Respekt der Geschichte des anderen Teils in der Getrenntstaatlichkeit gegenübertreten, sich dafür interessieren und sie auf diese Weise nicht dem Vergessen anheimfallen lassen.

    • Stefan Sasse 27. Juni 2021, 10:31

      Danke für deinen Kommentar! Einige Anmerkungen:

      1) Die Freundschaft mit den USA ist ja auf Ebene von Staaten. Da die DDR in die BRD aufging, erstreckt sich damit auch die amerikanische Freundschaft auf die fünf neuen Bundesländer, ebenso wie die heutige Rivalität zu Russland (und die damalige zur UdSSR).

      2) Sorry, aber „geradezu vorbildhaft“ war die DDR-Auseinandersetzung mit dem Holocaust sicherlich nicht. Ja, da wurden KZs besucht. Aber in denen wurde die Rolle kommunistischer Insassen herausgestrichen. Dass der Holocaust ein spezifisch an den Juden verübtes Verbrechen war wurde in der DDR stets heruntergespielt; stattdessen wurde alles unter denselben „Opfer des Faschismus“-Teppich gekehrt und dann so getan, als habe man damit komplett abgeschlossen. Viel von den heutigen Rechtsextremismusproblemen stammt daher.

      3) Die Bilderstürmerei habe ich nicht mehr thematisiert weil ich nichts auszusetzen hatte^^ Ich sah wenig Sinn darin, diese Teile deines Artikels zu paraphrasieren.

      • Detlef Schulze 28. Juni 2021, 22:09

        Die Foristen sind zwar schon weitergezogen, ich möchte aber trotzdem noch 2 Anmerkungen loswerten.

        zu 1) Herr Hausstein spricht von den Ossis als ethnische Gruppe, die jetzt in der BRD lebt. Sie Herr Sasse reden immer nur von Staaten und scheinen die Existenz der Ossis als Ethnie zu negieren. Die Freundschaft der DDR und der SU war ja nicht nur auf staatlicher Ebene, sondern bestand auch unter den Menschen. Austausch-Studenten aus der DDR sind in die SU gegangen und umgekehrt zum Beispiel. Jemand, der die USA besucht hat kann einem blinden Anti-Amerikanismus (die Amis sind blöd und ungebildet) in der Regel nicht viel abgewinnen. Ähnlich ist es auch mit viele Ossis, die als Studenten in der UDSSR waren. Das ist ja auch der Grund, warum es im Osten so viele „Putin-Versteher“ gibt.

        zu 2) Sicherlich hätte man die Rolle der Judenvernichtung in der DDR-Geschichtsschreibung stärker betonen können. Aber die KZ-Besuche gingen nicht nach Polen, wo die Vernichtungslager waren, sondern allein aus Zeit- und Kostengründen nach Buchenwald oder Sachsenhausen, wo hauptsächlich politsche Gefangene einsassen. Dass der Umgang der DDR mit ihrer NS-Vergangenheit ein maßgeblicher Grund für den Rechtsradikalismus im Osten ist/war bezweifle ich stark. Aber darüber kann man ein andermal diskutieren.

        • Stefan Sasse 28. Juni 2021, 22:34

          1) Meinem Wissensstand nach war die Zahl dieser Leute extrem überschaubar, aber ich mag mich irren.

          2) Die Westdeutschen konnten Auschwitz meist auch nicht besuchen und haben das besser hinbekommen, das ist keine Entschuldigung. Das war eine bewusste politische Entscheidung.

          Im Übrigen halte ich das Wort „Ethnie“ für die Ostdeutschen für völlig fehlgeleitet. Die sind nicht mal eine eigene Kultur (und die Westdeutschen logischerweise auch nicht).

  • Thomas Spindler 5. Juli 2021, 20:36

    Hm, meiner Meinung nach sind sowohl DDR als auch alte BRD Geschichte. Rechtlich gibt es sicherlich viel Kontinuität trotzdem sehe ich die neue BRD ab 1990 als neuen Staat an.
    Zum Vergleich (nicht perfekt, aber ähnlich) das Deutsche Reich von 1871 war eine Erweiterung des Norddeutschen Bundes um Bayern, Baden, Hessen und Württemberg. Der Reichstag wurde erweitert. Es gab ein paar Verfassungsanpassungen. Trotzdem betrachtet niemand das Deutsche Reich als weiterbestehenden Norddeutschen Bund. Bayern und Baden gingen unter und wurden historische deutsche Staaten. Vergessen wir deshalb ihre Geschichte und ist sie nicht auch die unsere?

    • Stefan Sasse 6. Juli 2021, 07:47

      Mit der Kaiserproklamation Januar 1871 hast du halt schon eine symbolische Staatsneugründung. Das Ding wurde umbenannt („Deutsches Reich“ statt „Norddeutscher Bund“), und Wilhelm wurde Kaiser anstatt primus inter pares in einem Bund. 1990 dagegen erfolgte einfach nur ein Beitritt. Das Ding hieß weiter Bundesrepublik Deutschland, nichts wurde geändert, nichts umbenannt.

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