Sebastian Kurz cancelt mit progressiven MinisterInnen und einem silbernen Löffel das Abitur in London – Vermischtes 10.12.2020


Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Sebastian Kurz und das Balkan-Virus

Von all diesen Fehleinschätzungen bzw. der Verantwortung, auf die falschen ExpertInnen gehört zu haben entledigt sich Kurz, wenn er die „Schuld“ jemand Anderem umhängt. Und diese Anderen sind mit groben Pinselstrichen „die Ausländer“. In diesem Fall vor allem jene vom Balkan und aus der Türkei. In dieser Zuschreibung werden alle Menschen, die Familie in diesen Ländern haben, zu AusländerInnen gemacht – ganz gleich, ob sie in Österreich geboren wurden oder nicht. Der Verweis auf die „Herkunftsländer“ unterstreicht das. Es suggeriert, die Loyalitäten lägen bei diesen „Herkunftsländern“ und „die“ hätten „uns“ das Virus wieder „eingeschleppt“, weil „die“ ja unbedingt in diese Länder fahren mussten. Kurz tut so, als sei das etwas Anstößiges, dabei geht es hier um Familienbesuche, wie sie zigtausende andere Menschen zu diesem Zeitpunkt gemacht haben. Aber, wenn die Oma in Sarajevo statt irgendwo in Österreich wohnt, dann wird auf diese Menschen Schuld geladen. Das ist insofern dreist, als das Österreich ja eine der internationalen Drehscheiben der Virusverteilung war (Ischgl) und über den ganzen Sommer immer wieder Hotspots auftauchten (St. Wolfgang). Kurz ist wie der frisch ertappte Dieb, der „Haltet den Dieb!“ schreit. (Natascha Strobl, Moment.at)

Kurz ist ein Demagoge, der sehr gut darin ist, sich in einem bürgerlichen Gewand zu tarnen. Der Mann ist großartig darin, eine tendenziöse Behauptung aufzustellen und danach zu erklären, er habe das nie gesagt. Und meist kommt er damit auch durch, wobei ihm eine freundlich gewogene Boulevardpresse in Österreich hilft (Stichwort Kronenzeitung). Mich erinnert die Corona-Kommunikationsstrategie ein bisschen an China: Wuhan und Ischgl waren beide die jeweiligen Ground Zeros der ersten Welle, und in beiden Fällen wurde das geleugnet und dann die Schuld auf AusländerInnen geschoben, die das Virus angeblich eingeschleppt hätten. Im Falle Chinas waren es amerikanische AgentInnen, im österreichischen Fall MigrantInnen vom Balkan. Eklig ist das in beiden Fällen.

2) Demokratisierung durch „Cancel Culture“

Politische Korrektheit“ und “Cancel Culture” sind also Ausdruck des konservativen Beklagens eines gesellschaftlichen Machtverlustes. Nun kann es so aussehen, als laufe diese Interpretation auf die Affirmation reiner Machtpolitik ohne universalistische Geltungsgründe hinaus. Um diesen Einwand zu entkräften, ist es nötig, genauer zu erläutern, was es heißt, dass die emanzipativen Normänderungen auf die Erweiterung des demokratischen Projekts abzielen. Hierbei helfen radikaldemokratische Theorien, die zeigen, dass demokratische Deliberation nicht gleichberechtigt abläuft, sondern von Hegemonien durchzogen, die viele Menschen ausschließen. Das demokratische Projekt ist unvollendet und für seine stückweise Weiterentwicklung und Verbesserung auf die Neuverhandlung und Kritik seiner aktuellen Ausschlüsse angewiesen. Dafür ist Kritik nötig, beispielsweise an Sexismus, Rassismus und Transphobie. „Politische Korrektheit“, „Identitätspolitik“ und „Cancel Culture“, also die konservativen Ausdrücke für diese radikale Kritik, sind deshalb nicht die Einschränkung der demokratischen Pluralität und Inklusivität, sondern ihre weitere Verwirklichung. Nur über die partikular formulierten Kritiken am Universalismus kann dieser stückweise realisiert werden. […] Normverschiebungen auf der nicht-staatlichen Ebene und die Demokratisierung von Neutralitätsvorstellung auf der parastaatlichen Ebene sind also keine Einschränkungen der Kunst- und Meinungsfreiheit, sondern Änderungen des Feldes des Sagbaren, die längerfristig mit darüber entscheiden, welche Positionen und Künste Gehör finden, und welche nicht. Davon sind tatsächliche und unmittelbare Einschränkungen der Kunst- und Meinungsfreiheit durch Recht und Politik zu unterscheiden. […] Emanzipative Gesellschaftskritik stellt keine Gefahr für die Kunst- und Meinungsfreiheit dar. „Politische Korrektheit“, „Identitätspolitik“ und „Cancel Culture“ tragen tatsächlich zur inklusiveren Verwirklichung der Demokratie bei. Doch in der aktuellen Debatte stehen sich die Forderung nach Meinungs- und Kunstfreiheit einerseits und Projekte der emanzipativen Gesellschaftskritik andererseits gegenüber. Weil die Forderung von Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit dabei zur zentralen Strategie des konservativen Projekts geworden ist, ist es wichtig, ihren machtpolitischen Ge- bzw. Missbrauch klar von ihrer grundrechtlichen Dimension zu trennen. (Karsten Schubert, Verfassungsblog)

Ich teile die dargelegte Argumentation Schuberts, möchte aber hinzufügen, wie schwierig das alles voneinander zu trennen ist. Das macht aber die Trennung auf der einen und die Unternehmung auf der anderen nicht minder notwendig. Ich habe in meinen bisherigen Äußerungen zugegeben wenig Gewicht auf die unbestreitbaren Gefahren gelegt, die unter der „politischen Korrektheit“, „Identitätspolitik“, „Cancel Culture“ oder wie auch immer man es aktuell nennen will, schlummern. Diese Befürchtungen sind ja nicht grundlos.

Sie machen aber die ganze Unternehmung weder überflüssig noch illegitim. Denn was die GegnerInnen konstant nicht anzuerkennen bereit sind ist, dass auch der Status Quo Einschränkungen mit sich bringt, seine eigene Form von „political correctness„, „Identitätspolitik“ und „Cancel Culture“ aufweist. Jahrzehntelang wurde etwa die Identität der hetero-normativen Mehrheitsgesellschaft politisch gefördert, wurden abweichende Identitäten wie LGTBQ+-Menschen systematisch „gecancelt“ (von der Strafbarkeit homosexueller Handlungen zu „don’t ask, don’t tell„).

Letztlich ist die Frage immer, wie das ja auch Schubert formuliert, wo die Grenzen des Sagbaren verlaufen. Diese Grenzen existieren aber immer. Das anzuerkennen und dann gesellschaftlich auszudiskutieren ist der notwendige Schritt.

3) Prüfungen abschaffen!

Prüfungen sind mit die stärksten „Influencer“ im Bereich Unterricht, Ausbildung oder Studium. Wenn Lehrende gefragt werden, weshalb sich der digitale Wandel nicht in ihren Lernsettings abbilde, sie ihren Unterricht nicht öffnen, agile Didaktik verwenden oder Projekt­arbeit anbieten, werden als Grund häufig „Prüfungen“ genannt. Schließlich mündet alles bei ihnen. Sie bestimmen die Abschluss­noten – und über Erfolg oder Miss­erfolg im weiteren Leben. Prüfungsformate beeinflussen somit massiv, wie und worauf­hin gelernt wird. Stünde am Ende keine Prüfung, könnten Lernende und ihre individuellen Lernprozesse in den Mittel­punkt rücken – und nicht die jeweiligen Prüfungs­formate. Wie individuelles Lernen mit standardisierten Prüfungs­formate zusammen­passen soll, bleibt ohnehin ein Rätsel. Und wie sieht es mit der notwendigen Fehler­kultur aus, die im Rahmen der digitalen Transformation genannt wird? Zum Lernen gehören auch Fehler dazu sowie die Fähigkeit, sie zu erkennen, zu verstehen und zu verbessern. Bei Prüfungen hingegen werden Fehler bestraft und sind „schlecht“. Weshalb also nicht auf Prüfungen komplett verzichten und im letzten Schuljahr alle Leistungen wie in den Jahren zuvor erfassen? Abgesehen von den frei werdenden Ressourcen, die an anderer Stelle eingesetzt werden könnten, würde dadurch auch manches Leid erspart bleiben – bei den Geprüften, bei Eltern oder Prüfenden. Geht es denn in der Schule nicht darum, junge Menschen zu befähigen, ein mündiges und erfülltes Leben führen zu können? Was tragen Prüfungen dazu bei, oder was verhindern sie vielleicht? Diese Fragen verdienen eine Prüfung. (Dejan Mihaljovic)

Ich halte genauso viel von den aktuellen Prüfungen wie von Hausaufgaben, nämlich fast nichts. In den meisten Fällen sind sie überflüssig, allzu häufig sogar schädlich. Die Schule wie auch die Universität sind in einem völlig ungesunden Ausmaß auf Prüfungen geeicht. Ich erlebe das tagtäglich in der Schule: Die SchülerInnen zu irgendetwas zu motivieren, das nicht klausurrelevant ist, ist unglaublich schwierig, weil ihnen jahrelang eingeimpft wurde, nur Noten (die durch Prüfungen entstehen) als legitim anzuerkennen.

Umgekehrt bin ich gezwungen, ein ständiges „teaching to the test“ zu betreiben. Anstatt Interessen zu fördern, eigenständiges Denken zu trainieren oder aktuelle Themen zu besprechen muss ich konstant Prüfungsformate eintrainieren, die so unglaublich künstlich sind, dass sie im Leben der SchülerInnen nie wieder eine Rolle spielen werden. Das ist ungeheuer frustrierend. Und es gäbe Alternativen! Aber ich darf sie nicht nutzen, weil die Prüfungsordnung das vorschreibt. Zum Heulen.

4) Der Brit-Populist

Ihre Herablassung gegenüber Rechts­staatlichkeit und Judikative zeigt die Regierung auch in ihrer Rhetorik zur Asyl- und Migrations­politik. Auf dem Tory-Parteitag im Herbst verkündete die Innen­ministerin Priti Patel, dem «Missbrauch» des Einwanderungs­systems durch «linke Rechts­anwälte und andere Gutmenschen» einen Riegel vorschieben zu wollen. Johnson schloss sich ihrer Einschätzung wie auch ihrer Wortwahl ausdrücklich an. […] Johnsons politische Heimat, die Konservative Partei, hat sich in den letzten Jahren zu einer Gruppierung entwickelt, in der von der harten Brexit-Linie abweichende Stimmen nicht länger geduldet werden. Der bewahrende Grund­gedanke eines klassischen Konservatismus ist für die heutigen Tories kaum mehr von Bedeutung. […] Die Johnson-Regierung hat das Grund­prinzip, dass vom Volk gewählte Ministerinnen und nicht die Beamtenschaft die Verantwortung für politische Fehlentscheidungen zu tragen haben, de facto ausser Kraft gesetzt. […] Angesichts dieser doppelten Krise ist – ganz unabhängig von Johnsons psychologischem Profil oder seiner Popularität als Person – nicht zu erwarten, dass sich der Brexit als Wende­punkt erweisen wird. Der Schaden, welchen der Populismus der politischen Kultur und den rechts­staatlichen Institutionen zugefügt hat, bleibt bestehen. Der Populismus selbst auch. (Helene von Bismarck, Republic.ch)

Das lange Essay von von Bismarck ist in seiner Gänze lesenswert, ich habe hier nur einige Ausschnitte zitiert. In meinem Artikel zum Putschversuch der GOP in den USA habe ich die Auswirkungen beschrieben, die die Verabschiedung vom Rechtsstaat einer Hälfte eines Zwei-Parteien-Systems hat. Großbritannien ist noch lange nicht dort, aber die Tories entwickeln sich mehr und mehr in die Richtung der GOP. Das ist extrem gefährlich. Einige weitere Punkte in diese Richtung werden in Fundstück 5 gemacht, weswegen ich den Faden dort noch einmal aufgreifen will.

5) How the Conservatives are morphing from a party of power to a party of protest

Labour has never quite escaped the politics of protest. In part, this is a product of its history. The Labour Party was formed to represent the interests of trade unions and their members. It exists to represent one section of society, not to govern all of society. There is also a question of temperament. As a party of the Left, it has tended to attract dreamers and idealists who value ideological purity and the clean conscience available to those who do not have to take responsibility. It has always been a party for the placard-holders. The Conservative Party, in contrast, exists for the purpose of being in power. One way or another, it has been in office for 67 of the last 100 years and, as such, can claim to be the natural party of government. It is a party capable of obtaining and retaining power but also a party changed by the experience of power. […] The Conservative Party has become less disciplined and more comfortable with the politics of protest. In some respects, Boris Johnson is a natural leader for such a party – a columnist and controversialist; an insurgent rather than an administrator – but it would be wrong to ascribe the change in the party to him. He is a symptom not the cause, reflecting changing attitudes amongst MPs, party members and many of its supporters. It may still have an appetite to be in office, but the Conservative Party no longer has the temperament of a natural party of government. (David Gauke, Conservative Home)
Was Gauke hier für Labour sagt, gilt für die meisten, wenn nicht alle, linken Parteien. Die „Politik des Protests“ ist in ihrer DNA, so wie für konservative Parteien das Regieren in ihrer DNA ist. Diese Erkenntnis ist kaum neu, sie ist vielfach von verschiedenen AutorInnen aufgeschrieben worden, ich werfe einfach mal Sebastian Haffner in den Raum. Diese häufige Links-Rechts-Dichotomie erfasst aber nicht das Auftauchen der Rechtspopulisten in den letzten anderthalb Jahrzehnten. Eine „Politik des Protests“ kann man denen glaube ich mit Fug und Recht auch unterstellen, aber sie ist gepaart mit dem Willen zum Regieren, den normalerweise vor allem die konservativen Parteien aufweisen. Vielleicht liegt darin das Geheimnis ihrer Stärke, sieht man doch auf der Linken das Erringen und vor allem Halten von Macht allzu häufig als etwas Schmutziges.

6) Gefährliche Freiräume

In einer Mail Mitte Oktober schreibt die Schule: „Die Spielräume werden noch einmal deutlich enger“, man sei darum bemüht „das noch Erlaubte genau zu ergreifen“. Das lange Tragen von Masken habe „bedenkliche Seiten“, man müsse versuchen, nicht „geistig zu verhärten“ und sich „nicht eng zu machen“. Husch sagt: „Nie hat sich die Schule zur Maskenpflicht bekannt, sie schürt Ängste und will Vorschriften umgehen.“[…] Für den Religionswissenschaftler und Experten für Verschwörungsmythen Michael Blume ist das keine Überraschung. „Anthroposophen sind eher obrigkeitskritisch, viele sind skeptisch gegenüber der Schulmedizin“, sagt er. Dazu kämen strukturelle Probleme der Waldorfpädagogik, etwa das Prinzip kollektiver Führung, das gefährliche Freiräume schaffen könne. […] Vor der Waldorfschule Ulm hielten Eltern Ende Oktober eine Mahnwache gegen die Maskenpflicht ab. Der Ulmer Waldorflehrer Wilfried Kessler sprach im Mai auf einer Demo von „Zensur, Hetz- und Diffamierungskampagnen der Regierung und der Hofmedien“, er forderte, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, und verbreitete Verschwörungsmythen. Ähnlich argumentierte Christoph Hueck auf Querdenker-Demos. Hueck bildet Waldorflehrer aus und sagt etwa: „Wenn wir ein gutes Immunsystem haben, dann kann uns das Virus überhaupt nichts ausmachen.“ Bei Schlagworten wie „Bill Gates“, „Freiheit“ und „Diktatur“ brandet Applaus auf, wie Videos zeigen. […] Unter einem durchaus differenzierten Beitrag von BdFWS-Sprecher Kullak-Ublick – in dem er den Medien allerdings ein „meist unterirdisches journalistisches Niveau“ attestiert – fordern viele Kommentatoren, dass sich der Verband von den Coronamaßnahmen distanziere. Kullak-Ublick kommentiert: „Ich kenne etliche Beispiele dafür, wie Menschen aus dem unmittelbaren Waldorfumfeld sich mit rechtsradikalen, knallhart verschwörungsmythischen und teilweise extrem aggressiven Äußerungen in die Debatte eingeschaltet haben.“ (Paul Wrusch, taz)

Ich sage es einmal so: Meine ohnehin nicht sonderlich ausgeprägte Zuneigung zu den Waldorfschulen erhält durch diesen Artikel keinen Bonus. Es ist immer wieder spannend, wie bestimmte Milieus sich an Themen hängen können. Genauso wie die MaskenverweigerInnen problemlos Anschluss ans rechtsextreme Lager finden, wäre es mehr als überraschend gewesen, wäre nicht die Fraktion der EsoterikerInnen ebenfalls auf den Zug aufgesprungen. Dieses Milieu lässt sich politisch schwer packen, aber wenn man ihre bisherige politische Vertretung vor allem auf einem Flügel der Grünen vermutet, liegt man nicht allzu falsch. Was übrigens auch der Hauptgrund ist warum ich bis heute ein Problem damit habe, mich mit der Partei zu identifizieren. Ich finde die Impf-Narrheiten und Globuli-Verschwörungen absolut zum Kotzen.

7) Tweet

Es ist die Attitüde der Möchtegern-Reagans. „Nicht ich habe die CDU verlassen, die CDU hat mich verlassen!“ Dramatischer Einspieler, Vorhang fällt. Genauso wie bei Reagan steckt dahinter nichts als die große Geste der kleinen Tat. Man hat, aus welchen Gründen auch immer, die eigene politische Einstellung geändert. Er ging dabei in eine Richtung, die als nicht sonderlich fein gilt. Um den Gestank zu übertünchen, wirft man den Mantel freigeistiger Querdenkerei drüber. Das funktioniert rechts wie links hervorragend, wo man sich dann als armes Opfer stilisieren kann, das ja gar keine politische Heimat mehr habe, was aber natürlich nicht an einem selbst liegt, sondern an den anderen. Und dann als Rechtfertigung herhält, die eigene Radikalisierung zu institutionalisieren.

8) Too Few of the President’s Men

A president can only accomplish his policy objectives if administration personnel are both capable and ideologically aligned, willing and able to engage the machinery of government and to bend it toward implementation of the president’s priorities. This was especially so for President Trump, whose policy priorities either upended his own party’s orthodoxy—from economics and trade to foreign policy—or forcefully engaged on social and cultural issues where Republicans had long emphasized rhetoric over policy substance. Nor is a strong inner circle sufficient. A single cabinet official cannot redirect an executive agency by sheer force of will, gravitas, or even expertise. She requires assistance from philosophically committed, expert staff at the subcabinet level and below—something that was missing in the Trump administration’s agencies, whose heads found themselves frequently undermined by their own political appointees. The Trump administration suffered from an abundance of heavyweights, “experts,” and vipers, but a notable lack of loyalty to the president’s agenda. The result was an unwillingness to subordinate D.C. political machinations to a focus on accomplishing the president’s agenda, and long periods of infighting, drift, and internal gridlock that hamstrung the Trump policy agenda in key areas. (Rachel Bovard, The American Conservative) 

Diese Analyse aus Sicht eines Trump-Unterstützenden betrachtet ausführlich die Personalpolitik des scheidenden Präsidenten und ist Teil einer ganzen Serie mit dem Titel „What happened“ (eine Ironie im Titel, die ich sehr schätze). Regelmäßige LeserInnen dieses Blogs sollte nicht überraschen, dass ich mit der These voll übereinstimme. Personell is policy. Ein guter Teil meiner Skepsis bezüglich der Chancen einer Sanders-Präsidentschaft speiste sich daraus, und wir haben im Falle Trumps gesehen – und der American-Conservative-Artikel legt das auch gut dar – wie eine eigentlich vielversprechende Präsidentschaft durch mangelhafte Personalentscheidungen zerstört werden kann.

Um ein mit näheres Beispiel zu wählen: Einer der großen Kritikpunkte vieler Progressiver und Linker an Obama ist seine Personalauswahl. Larry Summers, Timothy Geithner, Rahm Emanuel, Robert Gates und Hillary Clinton waren alles nicht eben progressive Leitsterne, und sie haben eine fundamental zentristische Politik gefahren. Obama ging davon aus, dass das die damals einzig mögliche war, und ich bin geneigt, ihm Recht zu geben. Aber Personal war auch in diesem Fall policy. Deswegen lohnt es sich, ein Auge darauf zu haben, welche Personalpolitik Biden fährt, und zwar nicht nur in den Top-Posten, sondern auch auf den tiefer liegenden Ebenen. Da Mitch McConnell vieles ist, aber kein Idiot, wird er hier so viel sabotieren und blockieren wie er kann.

9) Populist Uprisings and the Inversion of Inflation

When reading about the 1890s, the terms “bimetallism” and “free silver” often get thrown around. These were terms widely used and understood that argued for a shift in American monetary policy. From 1873 on, the United States had a hard gold standard for the dollar, removing the silver dollar from circulation. The effect of this decision was massive deflationary pressure designed to protect the value of the currency. […] By removing inflationary silver, the gold standard led to the inverse. Prices fell, meaning that farmers couldn’t grow and sell enough to repay their debts. This was a good move for the value of the currency, but disastrous for rural Americans, who dubbed the betrayal of “King Silver” as the “crime of ‘73.” Many populists and rural Americans believed that the gold standard that came in was a monetary system designed to help the powerful: those with Gilded Age assets who wanted to protect the value thereof. State banks could print their own money without oversight from the Federal government, leading many populists to believe that this was a corrupt system designed to favor wealthy elites with no democratic legitimacy.  […] In September of 2008, Hank Paulson dropped to one knee and begged Nancy Pelosi to approve a $700 billion stimulus package to provide immediate liquidity to the American economy. She agreed. It’s hard to see what other option she had. But in that singular moment, the seeds of modern economic populism were sown. If the removal of silver was the crime of ‘73, for many rural and working Americans, this could be considered the crime of ‘08. […] Whether the populists have, or had, a point, is to be determined by the reader. Perhaps the reader will conclude that the populists don’t know anything about economics. But one thing is undeniable: no matter how much American life may transform; some dynamics will never change. (Dylan Stevenson, The American Conservative) 

Ich finde diese Perspektive absolut faszinierend, wenngleich ich mangels Fachkenntnissen sowohl für die Bi-Metall-Debatte in den USA (die ich nur in den hier skizzierten Grundzügen kenne) als auch der generellen wirtschaftspolitischen Hintergründe nicht allzu viel dazu beitragen kann. Ich würde das daher gerne als Denkanstoß für die Kommentare verstanden wissen. Wer zu den hier vorgestellten Ideen etwas beitragen kann, sehr gerne. Ich halte es für eine interessante Analyse.

10) How Dare Joe Biden Choose Partisan Democrats for His Cabinet!

{ 71 comments… add one }
  • derwaechter 10. Dezember 2020, 09:15

    Grillenzirpen?
    https://joebiden.com/justice/

    Die Vorschläge sind da und sie sind sogar konkret. Nur halt nicht so radikal und v.a. simplistisch (man könnte auch sagen dumm) wie defund the police.
    Das muss einer der bescheuertesten politischen Slogans aller Zeiten sein.

    • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 10:46

      Ja, sehe ich ähnlich.

      • derwaechter 10. Dezember 2020, 13:40

        Du schriebst nur das Gegenteil 🙂

        • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 14:14

          Dass „Defund the Police“ ein toller Slogan sei ist mir jetzt nicht untergekommen. Oder täusch ich mich da so sehr?

          • derwaechter 10. Dezember 2020, 14:23

            Sorry, da schrieben wie aneinander vorbei.

            Ich dachte an „Die Vorschläge sind da und sie sind sogar konkret. Nur halt nicht so radikal und v.a. simplistisch (man könnte auch sagen dumm) wie defund the police.“

            als Antwort auf Dein „Nur, welche Alternative schlagen die KritikerInnen vor? An der Stelle hört man nur Grillenzirpen“

            • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 14:46

              Ah, ok. Ja, mea culpa. Da stehe ich korrigiert da.

            • TBeermann 10. Dezember 2020, 15:05

              Eigentlich ist das, was hinter „Defund the police“ steht ziemlich durchdacht. Es wurde halt nur immer (mit Absicht) auf die extremste Art ausgelegt. Dass der Slogan diese Lücke gelassen hat, ist natürlich ungeschickte Kommunikation.

              • derwaechter 10. Dezember 2020, 15:18

                „Eigentlich ist das, was hinter „Defund the police“ steht ziemlich durchdacht. Es wurde halt nur immer (mit Absicht) auf die extremste Art ausgelegt. Dass der Slogan diese Lücke gelassen hat, ist natürlich ungeschickte Kommunikation.“

                Ungeschickt? Ich würde sagen dämlich.

                Der Slogan lässt auch keine Lücke sondern ist total eindeutig: „entzieht der Polizei ihre Finanzierung!“, da gibt es keinen Interpretationsspielraum.

                • TBeermann 10. Dezember 2020, 15:58

                  Doch, weil der Slogan eben nicht ist „abolish the police“. DAS fordert tatsächlich nur eine winzige Minderheit.

                  „Defund the police“ hieß nie mehr, als die Polizei auf ihre eigentlichen Aufgaben zu beschränken, die Militarisierung der Polizei zu stoppen (kommt in Deutschland jetzt auch gerade) und Teile der Aufgaben an andere Stellen zu geben, wo die Kompetenzen dafür tatsächlich vorhanden sind.

                  Das Problem ist, wenn du zu der Erklärung ansetzt, schaltet jeder nach dem zweiten Satz um (wenn irgendwelche Medien überhaupt so lange aufnehmen). Daher die Verkürzung.

                  Da haben sich bei den Zentristen viele Pseudo-Liberale entlarvt, die so getan haben, als hätten sie es missverstanden und die FOX-Interpretation weiter getragen haben.

                  • derwaechter 10. Dezember 2020, 16:14

                    Der Slogan heisst genau das, was ich gesagt habe.
                    Dass die meisten Aktivisten was anderes meinen, will ich gar nicht bestreiten.

                    Deshalb ist der Slogan ja auch so bescheuert.

                  • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 18:20

                    Mal ganz ehrlich, als ich den Slogan zum ersten Mal gelesen habe dachte ich „Wer fordert denn so einen beknackten Scheiß?“ Dass ich die „richtige“ Lesart beigebracht bekommen habe liegt daran, dass ich in der richtigen Twitterbubble bin. Das sind 90% der AmerikanerInnen nicht.

                    • derwaechter 10. Dezember 2020, 19:35

                      Exactly!

                • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 18:17

                  Eben.

              • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 18:17

                Sorry, wenn dein Slogan „defund the police“ ist, darf man als Beobachter ohne viel böse Absicht annehmen, dass du die Polizei defunden willst.

  • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 11:02

    1) Sebastian Kurz und das Balkan-Virus

    Kurz ein Demagoge? Wie so oft in letzter Zeit hast Du einen Hang Dich zu versteigen. Beim Thema Migration bist Du empfindlich bist zur Verweigerung von Fakten. So waren Reiserückkehrer vom Balkan am häufigsten in diesem Sommer infiziert, allen voran solche, die den Kosovo besucht hatten, nicht gerade das traditionelle Urlaubsland der Deutschen. Doch aus dem traditionellen Urlaubsland, Spanien, kamen kaum Infizierte zurück. Es liegt nahe, dass die Wahrscheinlichkeit der Infektion mit dem – in diesem Fall kulturell bedingten – Verhalten von Migranten zusammenhängt.
    https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/corona-reiserueckkehrer-aus-dem-kosovo-am-haeufigsten-infiziert-16951061.html

    Aber wahrscheinlich bin ich jetzt in Deinen Augen auch ein Demagoge.

    2) Demokratisierung durch „Cancel Culture“

    Jahrzehntelang wurde etwa die Identität der hetero-normativen Mehrheitsgesellschaft politisch gefördert, wurden abweichende Identitäten wie LGTBQ+-Menschen systematisch „gecancelt“ (von der Strafbarkeit homosexueller Handlungen zu „don’t ask, don’t tell„).

    Natürlich darf bei einem solchen Thema Dein Hinweis auf die vermeintliche Benachteiligung der LGTBQ-Community nicht fehlen. Nun haben aber Politiker wie Wowereit, Westerwelle, Ole von Beust oder zuvor schon Matthias Wissmann geschafft. Über die Homosexualität von Annette Schavan hat man immer hinweggesehen, nicht jedoch über Zitierfehler in ihrer Doktorarbeit. Jahrzehnte zurückliegende Vergehen waren dann Anlass, sie politisch zu canceln.

    Sorry, eine Lisa Eckardt spricht sicher mehr Menschen mit ihrer Bühnenshow an als des LGTBQ-Mitglieder in Deutschland gibt. Wenn sich die „Neutralitätsvorstellungen von der Mehrheit zu den Minderheiten verschiebt, ist etwas wirklich im Argen.

    3) Prüfungen abschaffen!

    Ist das Sympathie für „in den Tag hineinleben“ herauszulesen? Noten und Prüfungen bereiten Menschen auf das vor, worum es im Leben tatsächlich geht: Prioritäten zu setzen. Wer etwas erreichen will, wer vorankommen und Ziele verwirklichen will, kommt nicht umhin, sich zu fokussieren und am Ende des Tages Ergebnisse zu bringen. Eine solche Laissez faire-Einstellung, wie Du sie durchscheinen lässt, macht Menschen zu Versagern.

    Es geht immer darum, Ziele zu erreichen, Vorgaben zu erfüllen. Deadlines bestimmen unser Leben. Wäre es nicht so, hätten wir vielleicht 2035 einen Impfstoff gegen Covid-19 und nicht schon Monate nach Ausbruch der Pandemie. Es gibt immer im Leben Dinge, die dringlich sind und solche Nice-to-have. Deine Schüler haben das in Mehrheit anscheinend verstanden, für die nicht so wichtigen Dinge muss man sich halt Zeit nehmen und Zeit haben. Sonst steht im Zeugnis: er hatte sich bemüht.

    Wer im Fußball 10 mal den Ball hochhalten kann und andere 20 mal tunnelt, kann dennoch als Verlierer vom Platz gehen, wenn er die Tore nicht macht. Dann ist alles andere brotlose Kunst. Der Staat ist übrigens derjenige, der am meisten auf die Einhaltung des Ergebnisprinzips achtet, anders könnte ein moderner Rechtsstaat auch nicht funktionieren. Wer in Anträge reinschreibt, was ihm in den Sinn kommt und nicht, was gefragt ist, wer Fristen reißt, kann nicht mit Rücksichtnahme rechnen. Und so haben etwas unorganisierte Länder wie Italien oder Griechenland schon oft Kriterien für europäische Investitionen verdaddelt, was Du wahrscheinlich für eine Nachlässigkeit hältst.

    Nein, wer studiert, ist erwachsen. Wann sonst soll jemand lernen, im Leben Prioritäten zu setzen, wenn nicht als Teenager und junger Erwachsener? Ich hatte die Lebensläufe von einigen auf den Tisch, die das noch mit 30 nicht gelernt hatten. Sagen wir so: Einkommensmillionäre sind sie nicht geworden.

    • TBeermann 10. Dezember 2020, 11:42

      1. Der Text aus der FAZ sagt halt nicht wirklich das aus, was du da rein interpretieren willst und entspricht sicher nicht dem, was Kurz von sich gibt.

      Dass anteilig mehr Menschen, die in Balkanländer gereist sind, sich dort infiziert haben, bedeutet eben nicht, dass diese Personen einen hohen Anteil an den Infektionen in Deutschland oder Österreich haben, nicht zuletzt, weil wir dafür erstmal schauen müssten, welchen Anteil Sommerurlauber überhaupt an dem Infektionsgeschehen haben.

      Dass du die Ursachen natürlich ausschließlich im kulturell bedingten Verhalten von Migranten siehst und nicht in den Lebensumständen (mehr Personen in einem Haushalt) oder dem politischen Management der Pandemie in den jeweiligen Ländern suchst, ist wenig überraschend. Aber du wirst sicher wieder die empörte Unschuld spielen, wenn du mal wieder wieder als Rassist bezeichnet wirst.

      Dass die Kurz-Regierung durch ihr Verhalten im Winter und Frühjahr der entscheidende Akteur bei der Verbreitung des Virus in Europa war, wird von den „Konservativen“ Fans auch schon offensiv übersehen.

      • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 12:07

        Dass anteilig mehr Menschen, die in Balkanländer gereist sind, sich dort infiziert haben, bedeutet eben nicht, dass diese Personen einen hohen Anteil an den Infektionen in Deutschland oder Österreich haben

        Das habe ich auch nicht behauptet. Die Gesundheitsämter wissen bekanntlich ja gar nichts, vor allem nicht, wo sich Menschen infizieren. Aber es war die Politik, die Reiserückkehrer als Superspreader ausgemacht haben – ohne belastbare Belege. Weshalb man wiederum Reiserückkehrer besonders untersuchen und auch ohne Verdacht in Quarantäne stecken müsste. Haben Sie gegen eine solche Sichtweise aufbegehrt? Wenn nicht, müssen Sie sich fragen lassen, wie Ihr Schweigen damit passen könnte, die Belastungen für alle möglichst gering zu halten und sich verantwortungsvoll in Alltag und Urlaub zu verhalten.

        Dass du die Ursachen natürlich ausschließlich im kulturell bedingten Verhalten von Migranten siehst und nicht in den Lebensumständen (mehr Personen in einem Haushalt)

        Das ist wohl kaum der Punkt, wenn man in den Urlaub reist.

        Aber du wirst sicher wieder die empörte Unschuld spielen, wenn du mal wieder wieder als Rassist bezeichnet wirst.

        Danke fürs Gespräch.

        • TBeermann 10. Dezember 2020, 12:22

          Das ist wohl kaum der Punkt, wenn man in den Urlaub reist.

          Doch, weil „Urlaub“ in diesen Fällen oft heißt, die Familie zu besuchen und in deren Häusern/Wohnungen zu sein.

          • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 12:29

            Bei „Bio-Deutschen“ heißt es das mitnichten. Und bei gebürtigen Amerikanern, Franzosen oder Skandinaviern oder Asiaten auch nicht. Wieder, es ist kulturell determiniert. Migranten aus der Türkei, vom Balkan und dem arabischen Raum haben noch enge familiäre Bindungen in die ehemalige Heimat. Es soll ja sogar syrische Asylbewerber geben, die zum „Urlaub“ wieder in das Land reisen, wo sie angabengemäß verfolgt und mit dem Tod bedroht werden.

            Tatsächlich haben auch in Norditalien und Spanien kulturelle Verhaltensweisen die Ausbreitung des Virus begünstigt. Das ist kein Rassismus, das ist faktenbasiert.

            • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 12:47

              Ist die Blödheit der Deutschen in der Pandemie dann auch kulturell determiniert? Dass so viele keine Masken tragen wollen, dass Glühweinstände jede Vernunft überwinden und so weiter?

              • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 12:52

                Statistik? Daten? Irgendetwas? Ich meine, außer dem infantilen Gerede eine zunehmend alternden Regierungschefin.

                • Marc 10. Dezember 2020, 13:25
                  • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 13:42

                    Äh, ja, ist nur kein Beitrag zu den aufgeworfenen Punkten. Auch dort steht, das überproportional viele Infektionen auf dem Balkan und in der Türkei stattgefunden haben. Außer unseren Anrainern, natürlich. Rumänien und das Kosovo liegen weit vorne, ganz unüblich zum Anteil in der Bevölkerung.

                    • Marc 10. Dezember 2020, 14:11

                      Wenn man Statistiken lesen könnte, würde man erkennen, dass Stefan Sasse Recht hat und der Ausbruch überwiegend aus eigenen Fehlern (Hotspots in Gesundheitseinrichtungen, Fleischbetriebe, etc) besteht und ihre kulturellen Einflüsse keine entscheidende Rolle spielen.

                    • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 14:51

                      Woraus lesen Sie das?

                      Wir hatten diskutiert, aus welchen Regionen Urlaubsrückkehrer besonders häufig infiziert kommen und ob das mit bestimmten Gepflogenheiten zu tun haben könnte.

                    • Marc 10. Dezember 2020, 15:51

                      Wenn das aktuelle Problem allein die Reiserückkehrer wären, hätten wir einen 2. Welle gehabt, die sich nach dem sanften Lockdown totgelaufen hätte. Wenn sie Statistik lesen könnten, dann würden sie sehen, dass dies nicht der Fall ist. Also haben wir als gesamte Gesellschaft das Virus nicht im Griff. Achtung, jetzt kommt noch Logik dazu: Wenn wir das Virus jetzt nicht im Griff haben, dann gibt es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir es auch nicht während der Reisezeit im Griff hatten. Da wir die Mehrheit stellen, kann der Anteil des Versagens der Randgruppen nicht groß sein.

                    • Stefan Pietsch 10. Dezember 2020, 15:57

                      Das war nicht die Frage. Strohmann.

              • derwaechter 10. Dezember 2020, 13:53

                „Ist die Blödheit der Deutschen in der Pandemie dann auch kulturell determiniert? Dass so viele keine Masken tragen wollen, dass Glühweinstände jede Vernunft überwinden und so weiter?“

                Ja, zum Teil auf jeden Fall. Das heißt ja nicht, dass das für alle Deutschen gilt, oder dass es das bei Nichtdeutschen nicht auch gibt.

                Die Liebe zu Glühweinständen ist eindeutig kulturell. Gibt es das woanders überhaupt?

                Die Reiseproblematik ist z.T. kulturell (große Familien, enger Kontakt etc.) aber auch einfach praktisch. Ich als deutscher Auswanderer war auch im Sommer in meinem Heimatland (Deutschland) und hatte dort sicherlich deutlich mehr Nahkontakte als ein Norweger der in Deutschland Urlaub macht. Alleine schon, weil wir bei unseren Familien gewohnt haben.

                • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 14:10

                  Ich wollte das auch nicht als Widerspruch verstanden wissen sondern als Hinweis, dass es nicht „wir rationalen, gesetzestreuen Deutschen gegen die irrationalen, krankheitsverbreitenden Ausländer“ ist. Dass es unterschiedliche kulturelle Traditionen gibt wird ja wohl niemand bestreiten. Griechische oder türkische Hochzeiten sind ja inzwischen ein eigenes Filmgenre!

                  • derwaechter 10. Dezember 2020, 14:29

                    Diese Angst, so gelesen zu werden, verhindert m.E. oft dass benennen von echten Problemen.

                    Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie genau die Lage in Deutschland ist. Aber hier bei uns sind die Infektionsraten bei Ausländern/Ausländischer Herkunft deutlich höher. Bei genauerer Betrachtung sind bestimmte Herkunftsländer/Kulturen besonders betroffen und werden jetzt wohl gezielt angesprochen.

                    Aber es ist natürlich ein schmaler Grat zwischen objektiv Problemfelder identifizieren und angehen und den Rechtspopulisten Munition zu liefern.

                    • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 14:46

                      Ja 🙁 Ist ein dauernder Lernprozess. Danke für eure Hilfe dabei. 🙂

  • TBeermann 10. Dezember 2020, 11:13

    7. Politisch heimatlos

    Ich finde den Eindruck eigentlich grundsätzlich durchaus nachvollziehbar (wenn vielleicht auch nicht in dem konkreten Fall und mit der Theatralik). Mir geht es eigentlich nicht viel anders.

    Ich hab mal einen älteren Text von mir wieder hervorgekramt: http://www.deliberationdaily.de/2020/12/politisch-heimatlos/

  • Dennis 10. Dezember 2020, 12:29

    1)
    Okay, kleine Ergänzung, falls das jemand nicht weiß^.

    Es handelt sich um eine Koalitionsregierung; also bitte beim Bashing die GRÜNEN nicht vergessen.

    2)
    Klar, bei Identity-Cancel-Correctness und so handelt es sich um Kampfbegriffe, die – wie das kämpferisch so üblich ist – nur verwendet werden, wenn’s passt. Für das eigene Canceln giltet was anderes und Identity sind nur die anderen. Der übliche Politquatsch also.

    3)
    Gehört womöglich zu den Sachen, wo von „Fortschritt“ nicht gesprochen werden kann. Zu meiner Zeit (is schon ein paar Tage her) war das alles lockerer. Sich mittelprächtig irgendwie durchzuschlagen hat gereicht^. Klausuren hießen noch Klassenarbeiten und die Wahnidee des angeblich möglichen Objektivierens mit Pünktchen bis drei Stellen hinterm Komma gab’s auch noch nicht, jedenfalls bedeutend weniger ausgeprägt.

    4)
    Was sowohl im Artikel als auch in deinem Kommentar schamhaft verschwiegen wird: Die eigentliche Anti-Europa-Partei war überwiegend Labour, insoweit wie „richtig“ links. Johnson hat bei der letzten Wahl massenhaft traditionell knall-rote Wahlkreise in den Midlands und in Yorkshire (seinerzeit die Hochburg von Mr. Scargill* und zutiefst Thatcher-feindlich) abgesahnt.

    *
    https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Scargill

    In Greater London (mit über 8 Mio. Einwohnern übrigens deutlich größer als Schottland), also da wo Labour in Richtung zart-rosa weichgespült ist und wo die „modernen“ globalistischen Jungs und Mädels residieren, gab es interessanterweise null komma null Änderung. Die Sitzverteilung ist exakt dieselbe wie bei der Wahl davor. In beiden Wahlen eine satte Mehrheit für Labour, also für remain-Labour in diesem Fall (49 : 21).

    5)
    Man könnte auch sagen: Die linken Parteien haben das Programm-, Reform- und Debattengen. Die rechten das Disziplingen; Debatten sind unerwünscht und werden eher als störend empfunden. Das macht die Linken generell anfälliger und außerdem nur für schönes Wetter geeignet. Querfrontmäßig kommt natürlich so einiges durcheinander^.

    Zitat aus dem verlinkten Artikel:
    „Harold Wilson sought to make the Labour Party the natural party of Government, but failed.“

    Das allerdings ist grober Unfug, IMHO. Wilson war außerordentlich erfolgreich, hat seinen schwierigen Laden zusammen gehalten. Er hat auch drei Wahlen gewonnen; seine letzte war zwar nicht „successive“, was aber doppelt schwierig war. Abgetreten ist er auf halber Strecke politisch unangefochten aus (echten, nicht vorgeschobenen) gesundheitlichen Gründen.

    Ich tippe mal, dass die Tories den Boris noch vor der nächsten Wahl (is noch lange hin) entsorgen, so wie weiland Thatcher rausgeschmissen wurde, falls die Umfragen in den Keller gehen sollten, was momentan aber nicht der Fall ist. Da sind die gnadenlos.

    6)
    Querfront halt. Der Begriff is nu mal berechtigt; die Grünen wollen offiziell mit dem Q-Wort nichts zu tun haben, ob sich indes die Wähler daran halten, ist eine andere Frage. Wähler (okay, und Wählerinnen) sind häufig lümmelhaft^.

    7)
    Prototypisch kann man da Lafontaine, Gauland und -weiler nennen. Ob sich der große Staatsmann und Weltökonom Merz dazu gesellen wird, werden wir noch sehen. Womöglich sehen wir den alsbald auch in solchen Runden, die der saublöden Welt da draußen erklären, was Sache ist:

    https://www.br.de/nachrichten/kultur/buch-talk-so-einig-sind-sich-sarrazin-gauweiler-und-lafontaine,SBupXuO

    11)
    „so wie jetzt, nur nicht ganz so scheiße“

    Mit anderen Methoden haben die aber noch NIE Wahlen gewonnen 🙁
    Im Grunde war das der – okay, unausgesprochene – Leitbegriff von Godesberg bis hin zum – mit einer etwas anderen Wortwahl – ausgesprochenen Slogan von Schröder.

    • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 12:46

      1) Wenn ich die Rhetorik Kurz‘ kritisiere, muss ich dafür ja nicht seinen Koalitionspartner angreifen. Das macht wenig Sinn.

      2) Genau.

      3) Ja, auch an den Unis hat das ja deutlich zugenommen. Keine positive Entwicklung.

      4) Ich verstehe nicht was du mir sagen willst…

      5) Nobody likes a loser. Ansonsten stimme ich dir zu.

      6) ^^

      7) Es ist so furchtbar.

      11) Na, das ist nicht korrekt, sorry. Sowohl der Regierungswechsel von 1969 als auch 1998 war mit einer deutlichen change-Botschaft versehen.

  • cimourdain 10. Dezember 2020, 15:35

    1) Und für Deutschland ist Österreich (Stichwort Ischgl) der ‚Balkan‘. Wieder einmal möchte ich auf die vielen ‚nationalen‘ Namen der Syphilis hinweisen: „So ist die Syphilis in verschiedenen europäischen Sprachen unter anderem als neapolitanische, italienische, französische, spanische, kastilische, englische, schottische oder polnische Krankheit benannt worden, je nachdem, aus welchem Land die Erkrankung in den jeweiligen Sprachkreis vermeintlich eingeschleppt worden ist“

    2) Viele Ungereimtheiten im verlinkten Artikel:
    a) Er bezieht sich deutlich in Beispielen auf den Kulturbetrieb – ein Bereich der so divers ist wie kein anderes gesellschaftliches Teilsystem. Warum immer die offene Tür einrennen?
    b) Die Autorin erweist sich bei den Beispielen der ersten beiden Absätze nicht gerade als ehrlicher Makler. sondern als im eigenen Framing befangen. Der ‚Rassismus‘ bei Kay Nay ist ziemlich genau das wofür Charlie Hebdo gefeiert wird (https://tapferimnirgendwo.com/2020/11/26/kay-ray-macht-witze-ueber-den-islam-und-wird-gefeuert/ ) Und das Gomringer-Gedicht an der Wand ist deshalb ‚sexistisch‘, weil es Frauen mit Straßen und Blumen in eine Aufzählung gesetzt hat.
    c) Auch wenn der Grundgedanke , staatliche und private (cc) Zensur zu trennen, richtig ist, verkennt der Artikel, wie groß das Graufeld aus öffentlich rechtlichen Kultureinrichtungen, solchen die öffentlich finanziert oder gefördert werden, ist.
    d) Du schreibst, früher hätten vor allem Konservative ‚gecancelt‘. Dabei unterschlägst du die andere Seite, dass früher Progressive dafür gekämpft haben, dass JEDER Gehör findet, egal wie benachteiligt (Art Brut) oder wie krass die Darstellungsformen (österreichische Aktionskunst). Sollte das nur ‚taktische Toleranz‘ gewesen sein?

    6) etwas dazu passend hier eine Studie, die zeigt, was für ein Abwerbeprogramm von links nach rechts die Querdenken-Debatte darstellt: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-12/querdenken-bewegung-bundestagswahl-gruene-linke-afd-studie

    • derwaechter 10. Dezember 2020, 16:11

      2)
      Ich finde die Verniedlichung ehrlich gesagt atemberaubend.

      Mit den gleichen Argumenten könnte man auch behaupten die Bücherverbrennungen seien nicht ein Zeichen für „den Zerfall der Demokratie, sondern sind ein Schritt in Richtung ihrer vollständigeren Realisierung.“, weil sie ja nichtstaatlich waren.

      „Was Cancel Culture genannt wird ist deshalb tatsächlich Teil des gesellschaftlichen Fortschritts. Denn der Abbau von Privilegien ist ein zentrales Mittel in der Weiterentwicklung der demokratischen Normen. “

      Schreibt er unter anderem über den „Boykott transfeindlicher Autor_innen.“, nämlich die Tatsache, das ein Buchladen sich weigert Werke von JK Rowling anzubieten.

      Ist es wirklich so absurd, eine Gefahr der Meinungs- und Kunstfreiheit zu sehen, wenn Autoren aufgrund ihrer Meinungen von Buchläden boykottiert werden? Harry Potter ist doch nicht Mein Kampf.

      Außerdem ist es ist ziemlich schräg zu gendern wenn es um eine bestimmte Autorin geht, und der Vorwurf der Transfeindlichkeit ist zumindest nicht unumstritten. Da hätte ich bei einem juristischen Blog schon mehr Vorsicht erwartet.

      • TBeermann 10. Dezember 2020, 16:51

        Ist es wirklich so absurd, eine Gefahr der Meinungs- und Kunstfreiheit zu sehen, wenn Autoren aufgrund ihrer Meinungen von Buchläden boykottiert werden? Harry Potter ist doch nicht Mein Kampf.

        Ich finde es ziemlich absurd. Warum sollte sich ein Ladenbesitzer nicht aussuchen können, welche Waren er führt? Es ist ja nicht so, dass man sonst Probleme hätte, an Rowlings Bücher zu kommen. (Und Rowling sucht die Konfrontation ja auch immer wieder.)

        • derwaechter 10. Dezember 2020, 17:16

          Wenn das nur wenige Läden sind, klar. Aber dieser Freiheitsbegriff ist etwas naiv. Dass ist so wie der Bäcker in Amerika der keine Hochzeitstorte für Schwule machen will. Klar kann der sich seine Kunden frei aussuchen. Aber das ist deshalb noch lange nicht unproblematisch.

          Ich glaube auch nicht, dass die Forderung der Aktivisten heisst: boykottiert sie! Aber nur ein bisschen!!

          • derwaechter 10. Dezember 2020, 17:22

            (Und Rowling sucht die Konfrontation ja auch immer wieder.)

            Man könnte auch sagen, sie vertritt ihre Ansichten.

            • TBeermann 10. Dezember 2020, 17:57

              Dann muss sie aber eben auch damit leben, dass andere ihre Meinung zu diesen Ansichten kundtun und daraus Konsequenzen ziehen.

              Ich bin nicht betroffen und kann an dem Thema nicht wirklich viel finden (wobei ich es schon ein Bisschen doof finde, eine noch marginalisierte Gruppe gegen eine marginalisierte ausspielen zu wollen), aber sie macht das Fass halt auch immer wieder neu auf.

            • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 18:21

              Dann muss sie halt auch mit dem Echo leben.

              • derwaechter 10. Dezember 2020, 19:44

                Mit Widerspruch ja, mit Boykott nein. Das ist ein ziemlich hartes Mittel. Auch wenn sie natürlich so reich ist, dass es ihr egal sein kann. Aber es kann ja nicht sein, dass nur Reiche sich unpopuläre Meinungen leisten können.

                Ich sage ja auch nicht, der TBeerman schreibt dass Christen keine Politik machen dürfen, kauft bei dem keine Fotos mehr.
                Auch wenn natürlich jeder frei entscheiden darf, wo er Fotografieren lässt.

                • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 22:59

                  Ich hab auch keinem Boykott das Wort geredet.

                  • derwaechter 10. Dezember 2020, 23:17

                    Ok.
                    Es ging aber in meinem Kommentar und den Antworten darauf um den Boykott ihrer Bücher.

                    Und der von Dir verlinkte Autor verteidigt u.a. diesen Boykott als „tatsächlich Teil des gesellschaftlichen Fortschritts. Denn der Abbau von Privilegien ist ein zentrales Mittel in der Weiterentwicklung der demokratischen Normen. “

                    • Stefan Sasse 11. Dezember 2020, 06:30

                      Das ist mir beim Lesen irgendwie raus. Ja, ich finde, bei Boykotten wird es richtig schwierig.

                    • TBeermann 11. Dezember 2020, 08:57

                      Unser Geldbeutel ist aber halt auch eine der wenigen Möglichkeiten, tatsächlich Einfluss zu nehmen.

                    • derwaechter 11. Dezember 2020, 10:19

                      Wenn Shell eine Bohrinsel versenken will von mir aus. Aber doch nicht in solchen Fällen.

          • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 18:20

            Ja, das Problem sehe ich durchaus.

    • Stefan Sasse 10. Dezember 2020, 18:19

      2) Es ist ein Autor.
      c) Wo liegt da das Problem?
      d) Dafür kenne ich mich bei diesen Forderungen zu wenig aus.

      6) danke!

      • derwaechter 10. Dezember 2020, 23:19

        c) dass das dann staatliche Zensur quasi durch die Hintertür sei.

      • cimourdain 11. Dezember 2020, 08:32

        2) Richtig, danke. Würdest du mir glauben, dass ich eigentlich AutorIn schreiben wollte?
        c) As waechter said + Kulturfunktionäre kommen aus einer sehr homogenen gesellschaftlichen Gruppe, dem gehobenen Bürgertum. Da kann wenig Diversität entstehen, insbesondere schlägt die sozialökonomische Diskriminierung da voll zu.
        d) Das ist doch der Punkt. Es gibt keine Forderungen, kein Programm im politischen Sinne. Es gehört zum politischen Charakter. Konservative stellen aufgrund ihrer Gewohnheiten Normen auf und verbrämen sie moralisch (z.B. Hays-Code). Progressive unterlaufen, übertreten oder brechen sie, um ‚die Spießer aufzurütteln‘ (was ihnen so lange gelingt bis sie selber zum Establishment gehören). Schönes Beispiel ist die ewige Werktreue vs. Regietheater Debatte, ob Wotan lieber mit Hörnerhelm oder Feinrippunterhose auf der Bühne singt.
        e) Schreib bitte nie „Dann muss sie halt auch mit dem Echo leben.“ Mit diesem Argument lassen sich genauso auch eklige Hasskommentare und Drohungen rechtfertigen.

        • derwaechter 11. Dezember 2020, 08:40

          e) wieso „auch“. Das Echo von Rowling enthält eine Menge davon.
          Das ist ja auch ein Teil des Problems. Plötzlich werden viele Regeln, wie man Frauen in Debatten doch eigentlich nicht begegnen sollte, über Bord geworfen, wenn die Frau es wagt „falsche“ Ansichten zu vertreten.

          Und da reden wir noch nicht mal von den woken Bücherverbrennungen auf TikTok.

          • Dennis 11. Dezember 2020, 11:22

            Als alter Rentner weiß ich jetzt zwar nicht ganz genau wie „woke Bücherverbrennungen auf TikTok“ so ablaufen, aber man kennt ja das Wartburgfest und bezüglich dessen könnte man das tatsächlich behaupten, was weiter oben angeführt wurde:

            Zitat derwaechter:
            „Mit den gleichen Argumenten könnte man auch behaupten die Bücherverbrennungen seien nicht ein Zeichen für „den Zerfall der Demokratie, sondern sind ein Schritt in Richtung ihrer vollständigeren Realisierung.“

            Im Übrigen dürfte das Ritual so alt sein wie die Menschheit. „Politisch“ gab es das von allen nur denkbaren Seiten. Die Beispiele sind Legion.

            Zitat Apostelgeschichte:
            „Und viele von denen, die zum Glauben gekommen waren, kamen und legten ein Bekenntnis ab und erzählten von ihren Machenschaften.   Eine ganze Reihe von denen, die Zauberei getrieben hatten, trugen die [Zauber]bücher zusammen und verbrannten sie vor aller Augen. Und man schätzte ihren Wert und kam auf 50000 Silbermünzen.  So wuchs und erstarkte des Herrn Wort mit Macht.“

            In etwas neuerer Zeit pflegte der Literaturkritiker
            Denis Scheck …

            https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/index.html

            ……bei seinen Buchbesprechungen vermeintlich schlechte Bücher symbolisch in einen Mülleimer zu befördern. Von diesen Behältern wiederum weiß man ja, dass der Inhalt später in der Müllverbrennungsanlage landet^.

            Alle halb so wild. Als verwandtes Thema könnte man auch noch flag burning ansprechen. Kann gem. Strafgesetzbuch u.U. als „Verunglimpfung“ strafbar sein. Unter „liberal“ würd ich diese Vorschrift nicht unbedingt abbuchen, aber tatsächliche Liberale sucht man ja weitgehend vergeblich, heutzutage.

            • cimourdain 11. Dezember 2020, 23:36

              Die Bücherverbrennung von Ephesos (Apg 19,18-20) ist ein originelles Fundstück (insbesondere durch die Assoziation Zauberbücher zu Harry Potter). Interessant ist, dass noch in den 60ern deutsche evangelikale Christen unter Berufung auf diese Stelle die Werke anstößiger Autorn wie Grass oder Camus öffentlich verbrannt haben.

              • derwaechter 11. Dezember 2020, 23:52

                Ach, das ist gar kein neues Phänomen.

                Dann ist ja alles gut.

        • Stefan Sasse 11. Dezember 2020, 09:46

          2) Selbstverständlich, warum nicht?
          c) Guter Punkt, ja.
          d) Völlig richtig; mir geht es eben immer darum, dass auch die Gewohnheiten und Normen eben eine Form von political correctness und cancel culture sind.
          e) Ja, mir geht es natürlich um Widerspruch, nicht um straffälliges Verhalten. Sorry, aber dafür war ich noch nie und das würde ich auch nie gutheißen. Aber da haben wir dann eben so Idioten wie Nuhr, die diese Grenze bewusst und ekelhaft verzerren.

          • derwaechter 11. Dezember 2020, 10:27

            e) Ich würde die Grenze von dem was ich für ungefährlich halte, weit vor der Strafbarkeit ziehen.
            Bücher verbrennen zum Beispiel.

            • Stefan Sasse 11. Dezember 2020, 10:44

              Das läuft für mich unter Hass. Ich glaube wir meinen da das Gleiche.

  • Ariane 11. Dezember 2020, 08:22

    zu 1)
    Habs selbst noch nicht in Gänze gesehen, bin aber gestern durch Twitter auf diese Ischgl-Reportage aufmerksam geworden:
    https://tvthek.orf.at/profile/Am-Schauplatz/1239/Am-Schauplatz-Das-grosse-Schweigen-Wie-Ischgl-versucht-Image-und-Wintersaison-zu-retten/14074588/Am-Schauplatz-Das-grosse-Schweigen-Wie-Ischgl-versucht-Image-und-Wintersaison-zu-retten/14812154

    Kurz ist da wirklich ein interessanter Fall, weil er das rechtspopulistische in so einem netten Boulevardimage verbreitet. Sozusagen das Gegenteil vom Trumpismus.

    2) Ich sehe das auch als normalen, gesellschaftlichen Aushandlungsprozess. Problematischer sehe ich da eher dieses Springen in die Extreme, weil das den gesamten Prozess diskreditiert, wenn zb ein Nuhr sofort ein Pogrom ausruft, weil er kritisiert wird. Während auf der Seite übrigens lautes Schweigen herrscht, wenn Natascha Strobl und ihr Kind mit Todesdrohungen überhäuft werden.

    Ich denke, man muss auch sehen, dass BuchhändlerInnen oder eben auch die KäuferInnen natürlich eine eigene Entscheidungsfreiheit haben und es keinen Zwang gibt, Handke und Rowling prominent im Regal zu haben. Etwas, was von der eigenen Entscheidung dann aber weggeht, wie Boykottaufrufe finde ich dagegen auch over the top.

    • derwaechter 11. Dezember 2020, 08:45

      2) mir ist dieses Mannschaftsdenken nicht ganz klar.
      Was hat den JKR damit zu tun, dass Natascha Strobl bedroht wird? Ich kenne den Fall leider nicht, bin aber ziemlich sicher, dass sie da nichts mit zu tun hat.
      JKR ist soweit ich weiss auch gar nicht im Team Rechtspopulisten und Frauenhasser. Ganz im Gegenteil.

      • Ariane 11. Dezember 2020, 09:26

        Ah sorry, ich meinte jetzt mehr Nuhr und Eckhart. Eben, um zu zeigen, dass hier ein sehr schiefes Mannschaftsdenken vorherrscht.

        Die Rowlingsache verstehe ich ehrlich gesagt nicht so ganz, ich schätze das hat viel damit zu tun, dass sie durch Harry Potter halt so einen Heldenstatus errungen hat. Unsere Kindheitshelden werden halt besonders emotional verteidigt. Ich teile ihre Meinung nicht, aber insgesamt sehe ich zb Preise für Handke viel kritischer als die Rowlingsache.

        • derwaechter 11. Dezember 2020, 10:23

          Verstehe

          „Unsere Kindheitshelden werden halt besonders emotional verteidigt.“
          In diesem Fall eher besonders emotional angegriffen

    • Stefan Sasse 11. Dezember 2020, 09:45

      Die Grenze ist halt echt fließend. Das Thema mit den Hochzeitstorten für Homosexuelle wurde ja schon gebracht.

  • Paddepat 11. Dezember 2020, 23:40

    3) Hey, in meinem Land (NDS) wurde nun eine Verordnung über PCs in Klausuren erlassen: man darf sie nutzen, wenn sie nur Zugriff auf bestimmte Inhalte erlauben (mittels Kontroll-Software). Als da wären Taschenrechner, die Bibel, das Grundgesetz und Wörterbücher. Nicht etwa Textverarbeitungsprogramme. Der PC darf nämlich nur Materialien zur Verfügung stellen, aber man darf nicht damit auch Arbeiten schreiben!

    Kein Wunder, dass Distanzlernen so schwierig ist. Alles dreht sich um Prüfungen, und die dürfen nicht mal digital erfolgen.

    Dass Herr Pietsch keine Ahnung hat von alternativen Formaten und Unterrichtsformen ist geschenkt, aber dass dieses Zeug immer aus den MK kommt… gruselig und damit fördert man nur eine Spaltung zwischen denen, die es unter der Hand trotzdem anders handhaben und jenen, die wie in den 70ern arbeiten.

    4/5: so eine Bewegung wie die der Tories ist ungleich gefährlicher und ggf auch wirkungsvoller bei einem Wahlsystem wie in GB (und vielerorts den USA), wo der Sieger alle Sitze kriegt. Dadurch haben die mit ihren Wahlkreisen ja garantierte Plätze, Labour und LibDem und Green nehmen sich gegenseitig Stimmen und dann kann man mit „Fake News“-Geschrei schon auf rettende 35% kommen.

    • Stefan Sasse 12. Dezember 2020, 10:02

      Ja, das macht mich irre. Man könnte das ja auch zum Anlass nehmen, endlich mal über andere Prüfungsformate nachzudenken…

    • Ariane 12. Dezember 2020, 10:33

      Würde jetzt gerne wissen, für welche Prüfungen man denn die Bibel UND das GG braucht?^^

      Ich meine in Niedersachsen (wenn sie es morgen nicht noch ändern) ist jetzt auch die Präsenzpflicht ab Montag aufgehoben, außer für Prüfungen.

      Ehrlicherweise muss ich aber auch sagen, dass ich mich als Schülerin auch nur für bestimmte Sachen motivieren konnte, weil das eben in Prüfungen vorkam. Hier spielt meiner Meinung nach eben auch die Stofffülle eine Rolle.

      • Paddepat 12. Dezember 2020, 11:44

        Da hast du schon eines der Probleme. Auch die Bildungsministys sprechen gerne von „Stoff“, obwohl wir eigentlich seit langem Kompetenzen vermitteln. Theoretisch. In Wahrheit sollen Schulen zwar Kompetenzen vermitteln, aber bitte auch den lieben Stoff den man gewohnt ist. Und zwar Fächerübergreifend, aber ohne die Fachinhalte zu ändern.

        Darum ist offiziell alles modern (siehe auch oben: digitale Geräte dürfen in Prüfungen verwendet werden), tatsächlich aber noch sehr veraltet.

        Könnte ich im Deutschunterricht zB das Bewusstsein für Epochen so vermitteln, dass sich die Schülys literarische Erzeugnisse aus der Zeit, die sie gerade in Geschichte machen, ansehen und prüfen, ob sich da Bezugspunkte finden – und das würde dann mit zB britischer Literatur derselben Zeit verglichen und vielleicht sogar damit, wie damals der Stand der Biologie war und wie wissenschaftliche Erkenntnis das verändert hat… jeweils womöglich mit konkreten Inhalten, die Schülys selbst aussuchen (mit Unterstützung), das könnte schon interessant sein, glaube ich. Und am Ende steht dann ein Vortrag, ein Wiki, ein Video oder Elbe Lernplattform, die man selbst gestaltet hat und die als Klausur zählen…

        Hach!

    • Dennis 12. Dezember 2020, 11:02

      Zitat Paddepat:
      „Dadurch haben die mit ihren Wahlkreisen ja garantierte Plätze, Labour und LibDem und Green nehmen sich gegenseitig Stimmen und dann kann man mit „Fake News“-Geschrei schon auf rettende 35% kommen.“

      Ja gut, so ist es, es gibt aber auch noch einen zweiten Teil der Wahrheit^, der hiermit gelüftet wird^^ :

      Die genannten Parteien könnten das durch Absprachen verhindern; verbietet niemand, wollen die aber nicht 🙁

      Labour hätte in seinen „guten“ Zeiten (die gab es ja mal) das Wahlrecht ändern können. Für so was reicht in UK die einfache Mehrheit. Das wurde Labour-intern immer abgelehnt 🙁

      Die eher links-liberalen Libs hätten beim Cameron, der die ja gebraucht hat, auf eine entsprechende Wahlrechtsänderung bestehen können; sie zogen es vor, einzuknicken 🙁

      „Klassische“ Wahlkreise mit Erbhof-Charakter gab’s auch bei Labour. z.B. Bolsover mit dem berühmten Beast of Bolsover (Mr. Skinner, MP 1970-2019)

      https://www.newsandstar.co.uk/news/national/18099702.pictures-dennis-skinner-beast-bolsover-finally-tamed/

      und seinem Labour-Vorgänger (1950-1970). Boris hat es sich – hier und anderenorts ähnlich – angelegen sein lassen, diese schlappen 70 Jahre zu beenden – erfolgreich. So was ist also nicht generell verboten 🙁

      Die politische Linke kann sich also alternativ zwei Fragen
      stellen:

      Warum sind die anderen so böse ?

      oder

      Warum sind wir eigentlich so bescheuert ?

      • Paddepat 12. Dezember 2020, 11:35

        Wenn du das in „Warum sind die anderen so skrupellos?“ änderst, unterschreibe ich beides 🙂

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.