Der folgende Text stammt aus März 2016 und wurde ursprünglich beim (nicht mehr existenten) Spiegelfechter veröffentlicht. Der Grund, warum ich ihn hier heute nochmals veröffentliche, ist ein Beitrag im heutigen Artikel „Vermischtes“ von Stefan Sasse, bei dem ich grundsätzlich (wenn auch nicht bezogen auf den konkreten Fall) zu einer anderen Einschätzung komme. Ich meinen Augen kann man sich durchaus berechtigt in Deutschland politisch heimatlos fühlen.
Das gilt übrigens lange nicht nur für die linke Seite des politischen Spektrums. Es gibt auch auf der rechten Seite Inhalte, die von keiner satisfaktionsfähigen Partei mehr vertreten werden. Vermutlich gehen auch die Meinungen auseinander, wo es richtig ist, dass bestimmte Inhalte nicht von akzeptierten Parteien vertreten werden oder ob man bestimmte Inhalte einfach nie ohne den entsprechenden unappetitlichen Beifang bekommen wird.
(Aus Gründen der Transparenz: Ich war nach meinem Austritt bei den Grünen ungefähr ein Jahr Mitglied der Kleinstpartei PdH (Partei der Humanisten), weil ich die Idee eines wissenschaftsgestützen Ansatzes mit humanistischem Menschenbild attraktiv fand. Leider wurde die Partei in dieser Zeit als Nachhall des Abstiegs der Piraten und Gamergate von Mitgliedern überschwemmt, die liberal und libertär verwechseln, sich zwar als Atheisten geben, aber den Kapitalismus vergöttern usw. Das ging so weit, dass der Begriff „sozial“ aus allen Texten getilgt werden sollte und Organisationen wie Attac auf die Unvereinbarkeitsliste gesetzt wurden, während Teilorganisationen der AfD ausdrücklich ausgenommen waren. Daher bin ich, wie viele linksliberale Mitflieder, dort ausgetreten, da eine atheistische FDP in meinen Augen so überflüssig ist, wie das Original.)
Ich bin heimatlos. Nicht etwa körperlich oder wirtschaftlich. Ich habe ein Dach über dem Kopf, genug Essen im Kühlschrank und selbst der Tank des Autos ist immerhin halbvoll. Was das angeht, könnte es mir schlechter gehen. Nein, es ist meine politische Heimat, die fehlt bzw. die mir in den letzten Jahren immer mehr verloren gegangen ist, bis ich den letzten Rest vor einigen Wochen aufgegeben habe.
Ich habe früh begonnen, mich für Politik und ihre Auswirkung auf die Gesellschaft zu interessieren. Es fing mit geschichtlichen Themen in der Grundschule an, später kam die Sozialkunde, die irgendwann einfach „Politik“ hieß. Aber wir wollen nicht vorgreifen.
Das erste politische Bild, an das ich mich erinnern kann, war ein Staatsbegräbnis, das im Fernsehen übertragen wurde. Ich nehme an, dass es sich um den Staatsakt für Eugen Gerstenmaier handelte, der als einziger in dieser Zeit lag.
Das erste politische Ereignis, das einen spürbaren Einfluss auf mein Umfeld hatte, war der Fall der Mauer. Meine Familie hatte Freunde in der ehemaligen DDR und ich besuchte in den Jahren vor der Wende mehrfach Ostdeutschland. Meine Erinnerungen zeigen ein irgendwie seltsam graues und staubiges Land mit Kopfsteinpflasterstraßen, in dem sich eine Familie unglaublich auf unser Kommen und den bis unter das Dach mit Obst und Nutellagläsern gefüllten Kombi freuten. (Nur die Rolling Stones-Kassetten wurden meinem Vater regelmäßig an der Grenze abgenommen.)
Ich weiß noch, wie aufgewühlt meine ganze Familie war, als der eiserne Vorhang fiel und einige Stunden später der Besuch aus dem Osten vor der Tür stand. Das war vermutlichdas erste Mal, dass ich bewusst merkte, wie eine politische Entscheidung das Leben von Menschen beeinflussen konnte.
Wir waren im Großen und Ganzen ein relativ traditioneller sozialdemokratischer Haushalt. Aufstieg durch Bildung und nicht zuletzt Weiterbildung. Mach etwas aus dir, dann wird auch etwas aus dir. Man kann schlechtere Werte auf den Lebensweg mitgegeben bekommen.
Ich selbst sympathisierte bald mit den Grünen. Schon in der Grundschule organisierte ich eine Schülerdemo und eine Unterschriftensammlung für die Erhaltung eines Wäldchens auf dem Schulgelände und eine von mir angestoßene Aktion, bei der meine Klasse einheimische Fische und Flusskrebse in einem Bach im Ort aussetzte, schaffte es sogar in die Lokalzeitung. Mein politischer Weg schien früh vorgezeichnet.
Eingetreten in die Partei bin ich dann kurz nach der Jahrtausendwende. Renate Künast war die erste Verbraucherschutzministerin und die bisher Einzige, die diesen Titel tatsächlich verdiente (nicht umsonst hieß das Amt vorher Bundeslandwirtschaftsministerium) und Jürgen Trittin verhandelte den Atomausstieg. So chaotisch die Anfänge der rot-grünen Regierung auch waren, die Grünen schienen seit rund zwei Jahrzehnten Ziele verwirklichen zu können.
Der erste Dämpfer ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Wie so oft bei dieser Koalition waren viele Bausteine der Agenda 2010 möglicherweise gut gemeint, aber handwerklich schlecht umgesetzt. Es half auch nicht, dass man sich vom Motto „Fördern und Fordern“ fast alle Fördermaßnahmen im Bundesrat von Union und FDP abkaufen ließ.
Schon damals verließen viele ihre Parteien, wenn auch eher Mitglieder der SPD, die Wirtschafts- und Finanzressort hielt und als die treibende Kraft hinter den Reformen galt. Die Grünen hatten andere Themen und wohl auch eine andere Klientel, die sich von diesen Fragen wenigstens damals noch nicht betroffen fühlte. Im Nachhinein hätte die Basis schon damals mehr Widerstand leisten müssen.
Es folgten schwierige Jahre. Nach der Abwahl von Rot-Grün waren die Grünen eine orientierungslose Partei, der es lange schwer fiel, überhaupt Konzepte zu entwickeln, wie man das Land weiter gestalten wollte. Stattdessen stürzten sich prominente Parteivertreter hektisch und über alle Maßen empört auf jeden vermeintlichen Skandal, warfen mit Rücktrittsforderungen um sich und vermutlich haben sich viele Mitglieder zusammen mit mir mehr als einmal gedacht: „Hätte Claudia Roth zu diesem Thema nicht auch einfach mal nichts sagen können?“
Und doch, der Effekt grüner Politik auf die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland in dieser Zeit lässt sich nicht leugnen. Das wachsende Umweltbewusstsein, die deutliche Mehrheit gegen die Kernenergie und die Wehrpflicht oder auch die Zustimmungsraten für die gleichgeschlechtliche Ehe sind nur einige Beispiele, wie sich grüne Themen durchgesetzt haben. Und so blieb bei mir, wie wohl auch vielen Anderen, das Gefühl, doch zumindest etwas erreicht zu haben, auch wenn die Partei selbst wie ein steuerloses Schiff dahin zu treiben schien.
Echte Alternativen boten sich ohnehin nicht an. Die SPD hat sich bis heute nie von der Agenda-Generation erholt und kaum jemand in der Partei wagte laut zuzugeben, dass Hartz-4 und Co zu den großen Irrtümern der Parteigeschichte gehörten. Sigmar Gabriel schrieb zwar gelegentlich schöne Gastbeiträge zu aktuellen Vorgängen, in denen er viel Richtiges sagte, nur um dann bei dem Umsetzung eine 180-Grad-Drehung zu vollziehen und gelegentlich noch die Union rechts zu überholen.
Die Linke war zwar programmatisch streckenweise die eigentlich sozialdemokratische Partei in Deutschland, aber ständige interne Grabenkämpfe, ideologische Standpunkte und Vokabular von vor 50 Jahren und älter und oft unbedachte oder schlicht dumme Aussagen und ein untrügliches Gespür für Fettnäpfchen bei vielen bekannten Vertretern machen diese Partei für mich bis heute unwählbar. Es ist schön, dass es wenigstens sie als Stachel im Fleisch der Alternativlos-Fraktion noch gibt, aber an der Macht wollte ich sie nicht sehen.
In den zwischendurch kurz als Wunderpartei gehypten Piraten vermochte ich nie mehr zu erkennen, als ein paar Typen, die für ihre aus dem Internet heruntergeladene Musik nicht zahlen wollten. Ja, hier und da kamen auch aus dieser Ecke sinnvolle Beiträge zu relevanten Themen, aber warum man eine Zeit lang im linken Spektrum vollkommenes Unverständnis erntete, wenn man nicht gleich die Augenklappe überstreifen und an Bord kommen wollte, hat sich mir nie erschlossen.
Zu Beginn dieses Jahrzehnts keimte noch mal Hoffnung auf. In Baden-Württemberg hatten die Grünen die Kritik am Milliardengrab Stuttgart 21(oder auch) über Jahre mitgetragen und (auch wenn das in den bundesweiten Medien oft zu kurz kam). Das zahlte sich aus, als mit Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident gewählt wurde. Dann kam das Programm zur Bundestagswahl 2013, das – bestätigt vom Bundesrechnungshof – das wohl am seriösesten gegenfinanzierte Steuerkonzept seit Jahrzehnten enthielt. Linke Politik schien bei den Grünen eine Renaissance zu erleben.
Leider war die Euphorie nur von kurzer Dauer. Kretschmann erwies sich bald als grünlackierter Konservativer, der sich – etwa in Asylfragen – auf einen Kuhhandel nach dem anderen einließ und grüne Position im Dutzend preisgab. Auf Bundesebene gelang es den Springer Medien, den „Veggy-Day“, einen Nebensatz, der sich seit Jahren in einer Reihe von Wahlprogrammen gefunden hatte, zum Skandal hoch zu jazzen. Die geplante Steuerreform geriet dabei in den Hintergrund und wurde, wenn sie überhaupt noch vorkam, als „melken der Mittelschicht“ dargestellt, obwohl der übergroße Teil der Bevölkerung von den geplanten Veränderungen profitiert hätte.
Man hätte unterschiedlich auf diese Vorgänge reagieren können. Man hätte auch einem grünen Ministerpräsidenten gegenüber energisch auftreten können und die Beschlüsse der bundesweiten Basis vertreten. Man hätte noch bestimmter die eigenen Inhalten kommunizieren und erklären können, neue Kanäle suchen, wenn die Medien überwiegend einseitige bis falsche Darstellungen weiter vertreten. Doch man tat es nicht.
Man entschied sich, im Sinne des Machterhalts in Baden-Württemberg, Kretschmann nicht zu beschädigen, ganz egal, wie sehr er grüne Kernpunkte mit Füßen trat. Man entschied sich, zukünftig auf eine progressive Wirtschafts- und Steuerpolitik zu verzichten, um den Wählern wie ein scheues Reh nicht zu verschrecken und ihm bloß keine komplexen Herausforderungen mehr zuzumuten.
Der entscheidende letzte Tropfen für mich war das Abstimmungsverhalten der grünen Bundestagsfraktion zum Thema Sterbehilfe im vergangenen Herbst. Der Ärger über das Kirchentagsklientel in Partei und Vorstand, das zunehmend konservative statt linke Positionen vertrat, wuchs immer mehr. Meine Position ist – überspitzt formuliert – dass jemand, der seinen moralischen Leitfaden aus einem 2000 Jahre alten orientalischen Märchenbuch zieht, die heutige oder gar zukünftige Gesellschaft nicht gestalten sollte. Und nachdem genau diese Parteiprominenz an der Seite der Union einer Verschärfung der ohnehin strengen Regelungen zur Sterbehilfe zustimmte, war für mich der Punkt erreicht, an dem die Grünen nicht mehr meine Partei waren. Nachdem ich die Grünen schon oft nur noch als kleineres Übel und weniger aus Überzeugung gewählt habe (seit ich wahlberechtigt bin, habe ich keine Wahl verpasst), trat ich zum Jahreswechsel aus.
Nun stehe ich, als politisch interessierter Mensch, der gestalten und sich einbringen möchte, vor einem Dilemma. Ich wünsche mir eine Partei, die meine Vorstellungen von Politik wenigsten mit einer großen Schnittmenge vertritt und zwar nicht nur in der Theorie und auf dem Papier, sondern auch in der Praxis und im tatsächlichen Handeln.
Ich wünsche mir eine Partei, die das Primat, die Gestaltungshoheit, der Politik wieder ernst nimmt und der Meinung ist, dass die Wirtschaft den Interessen der Gesellschaft zu dienen hat und nicht die Gesellschaft sich nach den Bedürfnissen der Wirtschaft richten sollte.
Ich wünsche mir eine Partei, in der die Endlichkeit des Wachstums anerkannt wird, gerade wenn wir auf eine Art und Weise wirtschaften wollen, die unser Ökosystem vertragen kann. Ich wünsche mir eine Partei, die den Menschen komplexe Erklärungen zumutet und ihnen ehrlich sagt, dass Einschränkungen nötig sind, dass wir die Arbeit und die Früchte daraus gerechter verteilen müssen und das nicht nur (aber sicher auch) in Deutschland, sondern global.
Ich wünsche mir eine Partei, die bürgerliche Freiheiten schützt und die Datengier von Behörden und Firmen im Zaum halten will, die nicht in jedem Bürger einen potenziellen Kriminellen sieht, den man so gut wie möglich beobachten und an der kurzen Leine halten muss. Ja, das Leben birgt Risiken. Freiheit birgt Risiken.
Ich wünsche mir eine Partei, die weltanschauliche Pluralität so lebt, dass tatsächlich keine Religion bevorzugt wird. Soll privat doch jeder glauben und praktizieren, was ihm gefällt und was unseren Gesetzen nicht zuwiderläuft, aber der Staat hat weltanschaulich neutral zu handeln und das bedeutet auch, keine Zuwendungen für niemanden.
Und ich wünsche mir eine Partei, die erkennt, dass man all dies, insbesondere gegen eine global agierende Wirtschaft, kaum in den engen Grenzen des Nationalstaats durchsetzen kann.
Diese Partei sehe ich nirgendwo. Teile davon finden sich sicher in einigen Programmen hier und da wieder, aber wenig davon wird in Handlungen übersetzt. Dabei glaube ich nicht, dass ich mit diesen Vorstellungen allein bin. Ich habe in vielen Gesprächen und Diskussionen ähnliche Positionen getroffen und habe dabei immer wieder vom Gefühl der politischen Heimatlosigkeit gehört, das auch ich empfinde.
Und zu denen, die solche oder ähnliche konkrete Positionen beziehen, kommen viele, die zumindest das Gefühl haben, von der aktuellen Politik nicht mehr gemeint zu sein. Manch einer davon landet auf der Suche nach einfachen Rezepten und Sündenböcken am rechten oder linken Rand.
Potenzial für eine sachliche, programmorientierte, progressive Partei wäre vorhanden. Wir müssten uns nur zusammentun – oder wie Rio Reiser es einmal bei Ton Steine Scherben sang: „Alles, was uns fehlt, ist die Solidarität.“
Ich höre dich. Ich habe viele Jahre ganz ähnlich empfunden, mein Blogarchiv ist beredter Ausdruck davon. An und für sich empfinde ich immer noch so. Aber: Ich halte die Idee politischer Heimatlosigkeit trotzdem für fehlgeleitet. Denn es ist richtig, dass keine Partei deine Wünsche und Vorstellungen abdeckt. Das ist für mich genauso richtig. Und ich bin ziemlich sicher, dass es für Stefan Pietsch, für Erwin Gabriel, für CitizenK und viele andere genauso gilt. Keine Partei wird je 100% deiner Vorstellungen bedienen. Das willst du natürlich auch nicht, das ist mir klar, dafür bist du politisch zu reif. Aber ich halte es für problematisch, wenn man zu großen Überlapp mit den eigenen Vorstellungen erwartet. Letztlich wählen wir immer das kleinere Übel.
100 % sicher nicht, dafür müsste man selbst (und allein) das Programm schreiben.
Aber man muss für sich eben auch rote Linien ziehen. Es ist das eine, das kleinste Übel zu wählen, um größeren Schaden zu verhindern. Aber das ist ja noch keine politische Heimat, geschweige denn eine Partei, bei der man sich einbringen möchte
Auf der anderen Seite finde ich das Argument, dass man sich in einer Partei engagieren und sie zu ändern versuchen muss, durchaus auch überzeugend. Demokratie ist halt kein Buffet oder Selbstbedienungsladen. Rote Linien, klar. Ich ziehe davon ja auch genug selbst. Aber ich finde etwa einen Merz, der versucht, die CDU in seinem Sinne zu ändern, wesentlich sympathischer als einen Boll, der sich dann als Heimatloser inszeniert und am Ende vielleicht bei den Rechtsradikalen landet.
In gewissen Maßen, wobei man auch von niemandem verlangen kann, sein Leben damit zu verbringen, gegen Windmühlen zu kämpfen. Dafür ist es zu kurz.
Ansonsten bin ich da gespalten. Ich hab die Rechtsextremisten lieber deutlich separiert, von den Menschen, mit denen man Politik gestalten kann.
Wenn es keine politische Heimatlosigkeit gibt, was ist dann Deine politische Heimat? Kannst Du Dich mit einer anderen Partei als den Grünen „identifizieren“ und was ist der Unterschied zwischen sich nicht mit einer Partei identifizieren zu können und politischer Heimatlosigkeit?
Leute reden immer von 100%. Für mich sind das alles Strohmänner, denn manche Begriffe höre ich immer nur von Kritikern, aber ich habe wortwörtlich noch keinen Linken getroffen der die Worte „politische Reinheit“, „reine Lehre“, „100% Übereinstimmung“ oder „Lackmustest“ verwendet oder gar in dem Sinn benutzt hätte die Kritiker hier unterstellen. Wer da Zitate hat, gerne her damit.
Meine 2 grössten Probleme sind, dass ich bisher noch keine Partei gesehen habe die einerseits die ökonomischen Interessen der blue collar vertritt denen ich immerhin 15 Jahre meines Lebens Teil war und nach wie vor gut zusammenarbeite ohne andererseits rassistische und sexistische Untertöne einfliessen zu lassen. Und dass „Partei-Establishments“ nie mal einfach tabula rasa machen und Konflikte offen und ehrlich ausfechten können, sondern ständig „hinter dem Rücken“ agieren und, zumindest in Amerika, doch zum Teil sehr brutal, zerstörerisch gegen politische Gegner agieren.
Obama beschreibt in seinem neuesten Buch die Rolle von AIPAC und anderer israelischer Lobby Gruppen und wirft Ihnen vor Leute mit Antisemitismus-Vorwürfen zu überziehen, falls sie die israelische Regierung kritisieren, dass Netanjahu persönlich gar solche Instrumente genutzt habe um Einfluss auf ihn zu nehmen. Das ist einerseits schon abstossend genug, schlimmer wird das Ganze dann aber wenn man die Reaktion darauf mit der auf Ilhan Ohmar’s fast identische Aussage vergleicht. Und zwar vom eigenen demokratischen Parteiapparat. Im „besten“ Fall also aus Anti-Islamismus, wahrscheinlicher aber und noch abstossender als politisches Mittel gegen unliebsame ideologische Gegner (obwohl man doch angeblich gar keine Ideologie hat). Neera Tanden ist ja auch nicht wegen Meinungsverschiedenheiten unbeliebt, sondern von sehr aggresivem Vorgehen, inklusive nachweislich falscher Tatsachenbehauptungen die zu Mord-Drohungen führten, was man sie sonst rechten Internet Gurus vorwirft. Und das wahrscheinlich nur, weil es die entsprechenden Personen gewagt haben ein spotlight auf die Details der Partei-Finanzen zu werfen und Hürden gegenüber finanziellen Abhängigkeiten ziehen wollten. Parteien reden auch ab und an über Lobbyismus, nie und nimmer aber darüber wo das Geld landet, consultants die sich selbst als die entsprechende Partei begreifen, Namen wie mothership strategies oder perkin coie sind selten Teil der öffentlichen Debatte – wie gesagt, ich kenne Kandidaten die gemassregelt wurden, weil sie Flyer beim falschen copy shop haben machen lassen (zum die Parteikasse schonenden günstigeren Preis wohlgemerkt). Neera Tanden hat auch gewalttätig auf den Journalisten Faiz Shakir reagiert, wünschte sich eine nächtliche Begegnung mit Larry Lessig, Harvard Professor dessen „Verbrechen“ es ist Zahlen zum Zusammenhang Parteifinanzierung und Umsetzung politischer Forderungen zu korrelieren. Sie spielt auch eine Role in der Diskussion um den Verlauf der primaries und angeblicher Koordinierung. So kann man gerne den Inhalt und Zeitpunkt ihrer tweets mit Aussagen von Buttigieg, Klobuchar und ja, auch Warren vergleichen und bekommt leicht den Eindruck, dass ihre tweets eine Art Ausrichtunt der „talking points of the week“ waren, inklusive Angriffe auf Bernie und seine Anhänger of course… Ironischerweise insbesondere auf nicht-weisse, weibliche surrogates…
Das sind alles intrinsische, systemische Probleme von politischen Parteien und das Hauptproblem damit, nochmal, ist dass es nicht offen und ehrlich verteidigt wird, keine Auseinandersetzung darüber stattfindet. Das stösst mich mein ganzes bewusst politisches Leben extrem ab. Das hat nichts mit Reinheit zu tun, inhaltliche Kompromisse kann man immer finden, sondern mit einem Mangel an Charakter. Wenn sich Menschen im persönlichen Umfeld, an jedem anderen Arbeitsplatz, in Vereinen etc so verhalten würden, wir würden sie zu Recht sozial isolieren…
„Meine Position ist – überspitzt formuliert – dass jemand, der seinen moralischen Leitfaden aus einem 2000 Jahre alten orientalischen Märchenbuch zieht, die heutige oder gar zukünftige Gesellschaft nicht gestalten sollte“
„Ich wünsche mir eine Partei, die weltanschauliche Pluralität so lebt, dass tatsächlich keine Religion bevorzugt wird. Soll privat doch jeder glauben und praktizieren, was ihm gefällt und was unseren Gesetzen nicht zuwiderläuft,“
Das ist aber schon ein Widerspruch. Gerade bei Themen wie Sterbehilfe kann man den privaten Glauben und die Politik, die man vertritt nicht ohne weiteres trennen.
Die Erwartungen, die Du an Deine Wunschpartei stellst, findet sich doch weiterhin am ehesten bei den Grünen und zwar kombiniert mit der reellen Chance auf Einfluss. Eine Partei der reinen Lehre, wird m.E. immer eine Partei der Fundamentalopposition sei und deren Sinn erschließt sich mir nicht.
Wer ernsthaft an der Politik teilhaben will (über Wahlen hinaus) kommt m.E. an Parteien nicht vorbei. Wenn man sich dann von Themen wie bei dir Sterbehilfe oder einem christlichen Flügel, oder bei Stefan m.E. noch absurder, wegen ein paar Homöopathieanhängern und Waldorfschülern, davon abhalten lässt, kann ich das nicht verstehen.
„Meine Position ist – überspitzt formuliert – dass jemand, der seinen moralischen Leitfaden aus einem 2000 Jahre alten orientalischen Märchenbuch zieht, die heutige oder gar zukünftige Gesellschaft nicht gestalten sollte“
„Ich wünsche mir eine Partei, die weltanschauliche Pluralität so lebt, dass tatsächlich keine Religion bevorzugt wird. Soll privat doch jeder glauben und praktizieren, was ihm gefällt und was unseren Gesetzen nicht zuwiderläuft,“
Das ist aber schon ein Widerspruch. Gerade bei Themen wie Sterbehilfe kann man den privaten Glauben und die Politik, die man vertritt nicht ohne weiteres trennen.
Man kann (und muss in meinen Augen) die persönliche Entscheidung und die Entscheidungsfreiheit für andere trennen. Ich kann die Entscheidung über mein (Ab-)Leben nach meiner persönlichen Philosophie treffen, aber ich kann nicht allen Anderen vorschreiben, die gleiche Option zu wählen.
Die Erwartungen, die Du an Deine Wunschpartei stellst, findet sich doch weiterhin am ehesten bei den Grünen und zwar kombiniert mit der reellen Chance auf Einfluss. Eine Partei der reinen Lehre, wird m.E. immer eine Partei der Fundamentalopposition sei und deren Sinn erschließt sich mir nicht.
Wer ernsthaft an der Politik teilhaben will (über Wahlen hinaus) kommt m.E. an Parteien nicht vorbei. Wenn man sich dann von Themen wie bei dir Sterbehilfe oder einem christlichen Flügel, oder bei Stefan m.E. noch absurder, wegen ein paar Homöopathieanhängern und Waldorfschülern, davon abhalten lässt, kann ich das nicht verstehen.
Die Grünen sind mir im Moment von allen Parteien (mit einer reellen Chance) im Moment am wenigsten fern, das ist sicher richtig. Was mich da 2021 eher in Zweifeln bringt, ist die Gefahr mit meiner Stimme Schwarz-Grün unter Merz oder Laschet zu unterstützen.
Die Abstimmung zur Sterbehilfe war im November 2015 der letzte Tropfen für mich. Davor kam die Entwicklung bei den Grünen, bloß niemandem mehr irgendetwas zumuten zu wollen und damit den Gestaltungsanspruch weitgehend aufzugeben. Und daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Grünen sind am wenigsten weit weg von dem, was nötig wäre, aber trotzdem noch nicht mal in der Nähe.
Was Themen wie Waldorfschule oder Homöopathie angeht…ich verstehe auch nicht so ganz, warum da gerade auf den Grünen rumgehackt wird. Ich wüßte gerade keine Partei, die sich da wissenschaftlicher positioniert. Aber grundsätzlich muss man diesen Hokus-Pokus eben schon ablehnen, wenn man bei anderen Themen Rationalität und Wissenschaftlichkeit einfordern will. Und gerade jetzt sehen wir halt auch, dass der Esoterik-Schwurbel auch ein Einfallstor zu Impfgegnertum oder Querdenkerei ist.
Dann unterstütze ich halt Schwarz-Grün. Lieber das als LINKE wählen und dann Schwarz-Gelb kriegen, ehrlich gesagt. Been there, done that.
„Man kann (und muss in meinen Augen) die persönliche Entscheidung und die Entscheidungsfreiheit für andere trennen. Ich kann die Entscheidung über mein (Ab-)Leben nach meiner persönlichen Philosophie treffen, aber ich kann nicht allen Anderen vorschreiben, die gleiche Option zu wählen. “
Guter Punkt!
„Was Themen wie Waldorfschule oder Homöopathie angeht…ich verstehe auch nicht so ganz, warum da gerade auf den Grünen rumgehackt wird. Ich wüßte gerade keine Partei, die sich da wissenschaftlicher positioniert. Aber grundsätzlich muss man diesen Hokus-Pokus eben schon ablehnen, wenn man bei anderen Themen Rationalität und Wissenschaftlichkeit einfordern will. “
Viele hacken halt gerne auf den Grünen rum.
Ich finde, man kann halt trotzdem mit solchen Leuten in einer Partei sein, insbesondere dann wenn man bei vielen anderen Themen zusammenarbeitet.
Wovon abhalten lässt? Parteimitglied werden?
Ja. Oder aktiver zu unterstützen. Du hast doch schon mehrmals gesagt, dass das der Hauptgrund sei der dich davon abhält. Oder habe ich das falsch im Kopf?
Es ist der Hauptgrund, dass ich mich nicht als Grüner identifizieren mag. Die Kritik ist absolut fair; ich engagiere mich in keiner Partei und habe es auch ehrlich gesagt in Zukunft nicht vor. Aber ich meckere auch nicht dass ich nicht à la Carte Wahlprogramm bekomme^^
Der Gedanke, mich in einer Partei zu engagieren, ist für mich persönlich völlig abwegig.
Wikipedia: Marx hält in der elften Feuerbachthese „den Philosophen“ vor, die Welt nur verschieden interpretiert zu haben, während es darauf ankomme, sie zu verändern.[14] Er betont, dass es nicht darum gehe, „nur ein richtiges Bewußtsein über ein bestehendes Faktum“ hervorzubringen, sondern „dies Bestehende umzustürzen“.
Meine Perspektive auf Politik ähnelt derjenigen, die Marx Feuerbach vorwirft. Für produktiv halte ich meine Grundeinstellung nicht. Beruflich hab ich in den IT-Projekten gelernt, wie wichtig machen ist. Das war ein Prozess und zwar ein längerer.
Aber Du kannst natürlich auch nicht von einer Partei erwarten, dass sie genau deiner Perspektive entspricht.
Ist der Wunsch nach einer politischen „Heimat“ nicht hoffnungslos nostalgisch? Nach Rückkehr in den Schoß der politischen Großfamilie, wie das gewerkschaftlich-sozialdemokratische Milieu noch in den 50ern – zusammen feiern, verreisen, die Kinder bei den Falken, nie im Leben eine andere Partei wählen. Völlige Identifikation mit der eigenen Partei.
Das ist Geschichte, und der Preis für die so gewonnene Identität war politische Unbeweglichkeit. Den Begriff des „kleinsten Übels“ würde ich ersetzen durch so etwas wie den „größten gemeinsamen Nenner“. Das schafft auch eine gewisse Verbundenheit, aber natürlich kein Heimatgefühl. Das muss man anderswo suchen.
Guter Punkt, bin bei dir.
Ja, das glaube ich auch. Ebenso wie bei Gewerkschaften oder auch bei Kirchen, da hat sich die Zeit schon sehr gewandelt.
So weit würde ich den Begriff auch nicht notwendigerweise fassen, auch wenn ich Grundsätzlich finde, das politische Arbeit eine gute Gelegenheit sein kann, Gleichgesinnte kennenzulernen.
Es geht eher darum, dass man eine Partei hat (nicht mal zwingend, in der man Mitglied ist, wobei ich mich tatsächlich gerne engagieren würde), von der man sich vertreten fühlt. Und da wird es halt sehr schnell sehr dünn, wenn man mehr möchte als „den Status Quo im Großen und Ganzen erhalten“.
Was ihr (indirekt) ansprecht halte ich auch für ein große Problem: Die Menschen sehen ihre gemeinsamen Interessen nicht und das macht es nahezu unmöglich, sie zu vertreten. Wenn nur Einzelpersonen oder Kleinstgrüppchen für sich (und nur sich) kämpfen, wird man in den meisten Fällen wenig bewegen.
„Die Menschen“ ist zu allgemein. Es gibt ja durchaus Gruppierungen, die ihre gemeinsamen Interessen sehr genau sehen und wirkungsvoll vertreten. Nur läuft das heute hauptsächlich über Lobby, Geld und Medien.
Deshalb stelle ich mich (auch hier) immer wieder gegen die Geringschätzung der Parteien und Politiker, die wenigstens ansatzweise für die arbeiten, die das nicht haben.
Leider arbeiten viele der Parteien und Politiker aber sehr viel mehr und besser für diese Lobbygruppen, als für den Rest.
*5 € ins Phrasenschwein*
Ich kann dich einerseits verstehen, andererseits bin ich da eher bei Stefan.
Ich persönlich hab zwar eine Präferenz für die SPD, aber auch kein Problem damit, die in Grund und Boden zu verdammen, wenn sie wieder Blödsinn machen und hab auch nicht so den Wunsch in mir, mich wirklich komplett mit einer Partei zu identifizieren.
Deswegen sind mir Einzelentscheidungen auch nicht ganz so wichtig, sondern mehr die Grundausrichtung der Partei und ob ich ihr zutraue, da irgendwas Positives in der Zukunft beizutragen. So gesehen ist mir Politik an sich wichtiger als Parteien, ich hab auch kein Problem, die CDU oder die FDP mal zu loben, wenn sie was Gutes machen.
Sehr guter Punkt.
Geht mir auch so. Ich freu mich, wenn eine/r von einer anderen Partei was sagt oder tut, was ich für richtig halte – anders als „meine“ Partei. (Beispiele aus dem Gedächtnis: Norbert Blüm im Zelt im Flüchtlingslager oder die FDP mit dem familien-unabhängigen BaföG). . Nur so können Verkrustungen aufgebrochen werden.
Das hält mich nicht davon ab, die örtliche SPD zu unterstützen – wegen des größten gemeinsamen Nenners.
Das familienunabhängige Bafög der FDP war leider so ähnlich wie das Grundeinkommen der FDP ein Vorschlag zur Umverteilung von unten nach oben.
Aber grundsätzlich: Klar muss ich bei den demokratischen Parteien nicht auf Fundamentalopposition gehen. Gelegentlich (wenn auch selten) kommt auch bei Union oder FDP mal etwas Brauchbares und das kann man anerkennen.
BaföG: Sehe ich nicht so. Schlimmer als das real existierende Bürokratiemonster wäre es in der Gesamtschau nicht. Anderes Thema.
Der Entwurf hätte das Kindergeld für Studierende gestrichen und durch (etwas höheres) Bildungsgeld ersetzt. Das wäre zu Lasten der ärmeren Familien gegangen, die heute Bafög und Kindergeld erhalten. Gleichzeitig hätte die Masse der Studenten (die überwiegend immer noch aus der oberen Mittelschicht oder darüber kommen) zusätzlich Geld erhalten, die zum einen heute (mit gutem Grund) gar kein Bafög bekommen und es auch nicht brauchen.
Dass das System dringend reformiert werden müsste, ist sicher richtig. Im Moment hat ein Scheidungskind oft keine Chance auf Bafög, weil Alimente als persönliches Einkommen gelten, aber Kinder von Selbstständigen, die sich geschickt genug arm rechnen, erhalten den Höchstsatz.
Hatte ich nicht so im Blick. Danke.
Ja, richtig; im Übrigen muss man sehen: Es ist ja alles dynamisch, die Parteien bleiben auf der Zeitachse nicht die selben und die Wählerin (generisch^) ja auch nicht.
„Meine“ erste Bundestagswahl war die „Willy-Wahl“ anno 1972. Da gab es
z. B. eine FDP, die mit der heutigen Partei gleichen Namens null komma null nichts zu tun hat. Natürlich hab ich die sozial-liberale Koalition gewählt und fand den FDP-Teil (Karl Hermann Flach, Dahrendorf und so) eigentlich interessanter als „Willy“. Praktisch alle damals Großkopferten sind tot, die „issues“ im Wesentlichen auch. Wechselwähler ist also IMHO das Richtige. Und „Heimat“ ist ein schwieriges Thema, gilt vielfach als typisch deutschtümelig; die Kombination „politische Heimat“ find ich extrem schwierig, eigentlich sollte man IMHO darauf verzichten, dann bewahrt man sich auch vor Heimatlosigkeit.
Tja, was ist schon die perfekte Partei. Ich bin ehemaliges CDU Mitglied – ich habe über Merkel dann an der Partei die Lust verloren. Nein, nicht wegen der Flüchtlingspolitik, sondern weil es der PArtei letztlich an einer echten Vision mangelte, wie das Land ausschauen könnte. Merkels auf Sicht fahren und die katastrophale schwarz-gelbe Koalition von 2009 ließen mich dann die Partei verlassen. Zugegeben war ich auch in einer Lebensphase, in der ich mich zeitlich nicht mehr so auf die PArteiarbeit konzentrieren konnte, wie es nötig gewesen wäre.
Seit dem bin ich auch ein Wechselwähler und habe in den letzten Jahren je nach Ebene, bei CDU, SPD, Grünen und ja auch der FDP mein Kreuz gesetzt. Bundespolitisch käme mir wahrscheinlich ein schwarz-grünes Bündnis in meinen Überzeugungen am nächsten. Jetzt aber habe ich VOLT für mich entdeckt und bin sehr gespannt, wie die sich entwickeln werden. In meiner Heimatstadt, haben Sie es aus dem Stand direkt bei der Kommunalwahl in die Regierungskoalition geschafft – ich bin gespannt wohin es gehen wird.
Die perfekte Partei gibt es nicht, es ist immer das geringste Übel.
Von CDU zu VOLT ist auch ein spannender Weg. 🙂