Die neue Mitte

Ich habe in letzter Zeit sowohl auf Twittter als auch hier in den Kommentaren ziemlich weit reichend den Begriff der „Mitte“ benutzt, ohne darauf zu achten, den vorher vernünftig zu definieren. Dieses Versäumnis will ich hier nachholen, denn zumindest mein Begriff von „Mitte“ hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt, und ich habe zumindest den Eindruck, dass dieser Wandel bei vielen anderen auch stattgefunden hat.

In meinen früheren Blogger-Zeiten hätte ich den Begriff der „Mitte“ nur mit der Beißzange angefasst. Er war immer ein extrem wirksamer Werbebegriff von CDU und FDP (vor allem aber der CDU), die sich als „Mitte“ definierten, womit in Deutschland allerlei Positives verbunden war. Mitte war rational, pragmatisch, vernünftig, konservativ. Hier regierten ökonomischer Sachverstand, Recht und Ordnung und traditionelle Werte. Unter Rot-Grün wurde versucht, den Mitte-Begriff zu kooptieren, sehr innovativ unter dem Schlagwort „Neue Mitte“: Die Schröder-SPD verstand darunter ihre Koalition zur Erneuerung Deutschlands, die – ebenfalls mit Vernunft und ökonomischem Sachverstand – Deutschland fit für’s 21. Jahrhundert machen würde.

Diese Maßnahme war tatsächlich erfolgreich, vielleicht sogar erfolgreicher, als es sich die Parteistrategen ausgemalt hatten: Es entstand eine „Einheits-Mitte“ aus CDU und FDP auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite, die grundsätzlich die gleichen Ziele verfolgten, sich allerdings in Ausprägung und Gestaltung uneins waren. Grundsätzliche Streitereien allerdings gab es nicht, was einer der großen Faktoren für den Erfolg der LINKEn war, die sich ab 2005 als Alternative für Deutschland (gegen Merkels unglückliche „alternativlose“ Politikkonzeption) etablieren konnte.

Doch seit 2015/2016 hat die „Mitte“ eine andere Bedeutung angenommen. Der Aufstieg der Rechtspopulisten in der ganzen Welt, besonders prägnant aber in den USA, Ungarn, Polen, Österreich und neuerdings auch Brasilien, hat dafür gesorgt dass die Demokratie, wie wir sie kennen, grundsätzlich in Gefahr geraten ist. Damit meine ich ein politisches System, das einige Grundprämissen hat, die von den Akteuren der Mitte geteilt werden. In Deutschland sind das spezifisch die folgenden:

  • Ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft in ihrer Post-Agenda2010-Ausprägung. Hier haben wir quasi einen Konsens, die im Zuge der Reformen stark geminderten Sozialleistungen auf ihrem aktuellen Level zu erhalten und die Liberalisierung und Deregulierung, die damit einherging, ebenfalls ungefähr auf ihrem aktuellen Stand festzuschreiben. Veränderungen werden nur marginal vorgenommen, durch kleine Stellschrauben (Bezugsdauer ALGI, Mindestlohn, Begrenzung Zeitarbeit, solcherlei Maßnahmen). Das ist die berühmte „Sacharbeit“, die sich für die SPD so wunderbar an der Wahlurne auszahlt.
  • Ein Bekenntnis zur NATO und EU in ihren Post-1995-Ausprägungen. Für die NATO bedeutet dies ein Einschließen der Osterweiterung und das Ehren der entsprechenden Beistandsverpflichtungen sowie die Umstellung auf Interventionsarmeen und entsprechende Einsätze. Für die EU bedeutet das den Bestand des Euro, des Maastricht-Vertrags und des Schengener Abkommens einzuhalten.
  • Ein Bekenntnis zum bürgerlichen Rechtsstaat in seiner derzeitigen Form. Das bedeutet grundsätzliches Anerkennen gleicher Rechte für alle Einwohner (auch Flüchtlinge etc.), der aktuellen Präzedenzfälle (etwa den starken Schutz des Eigentums, der viele linke Politikwünsche unmöglich macht) und das Aufrechterhalten der bürgerlichen Freiheitsrechte auch gegen einen starken Staat (was besonders die Rechte nicht mag, etwa wenn es um bürgerliche Rechte von Straftätern geht).

Wenn man diese Bekenntnisse als „Mitte“ definiert, ist klar, dass die vier etablierten Parteien – Rot-Grün und Schwarz-Gelb – zwar unterschiedliche Grade auf der „Mitte-Achse“ darstellen, aber grundsätzlich alle zur „Mitte“ gehörig sind. Kurz: Es geht um ein Bekenntnis und aktive Unterstützung einer liberalen Ordnung, gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Während Rot-Grün tendenziell den gesellschaftlichen Teil betont und eher für Einschränkungen bei der wirtschaftlichen Liberalisierung ist, ist dies bei Schwarz-Gelb genau umgekehrt, aber jeweils in einem Rahmen, der eine Zusammenarbeit grundsätzlich ermöglicht.

Dies ist bei LINKEn und AfD anders. Beide gehören nicht zur „Mitte“ und wollen dies auch gar nicht, genausowenig, wie ich mich vor 2015 als „Mitte“ definieren hätte wollen. Bei der LINKEn liegt der Grund vor allem in der Ablehnung der ersten beiden Punkte: Weder will die Partei den Agenda-2010-Status in seiner vorliegenden Form akzeptieren, noch bekennt sie sich zu NATO und EU in ihrer derzeitigen Form. Sie bietet stattdessen Alternativen auf allen drei Feldern an, über deren Qualität an dieser Stelle nicht gesprochen werden soll – unstritt dürfte sein, dass die LINKE diese Alternativen bietet. Sie stellt damit, wengleich im Rahmen des Grundgesetzes, durchaus die Systemfrage auf eine Art, die in der „Mitte“ nicht vorhanden ist.

Gleiches gilt für die AfD. Diese hat mit dem ersten Punkt kein Problem und würde bedenkenlos jegliche Wirtschaftspolitik der CDU und FDP mittragen können, hat aber ein entschiedenes Problem bei den Punkten 2 und 3. Während die Ablehnung der NATO in ihrer derzeitigen Form auch betrieben wird, darf man das getrost als einen der weniger wichtigen Punkte ablegen, der kein grundlegendes Hindernis für eine Zusammenarbeit wäre. Anders sieht es schon bei der EU aus, wo der AfD deutliche Kurskorrekturen vorschweben – in Linie mit der „illiberalen Demokratie“ Orbans auf Ebene der EU. Diese „illiberale Demokratie“ verhindert auch ein Akzeptieren des dritten Punkts; für die AfD gibt es klare Hierarchieabstufungen bei den bürgerlichen Freiheitsrechten, die mit der aktuellen Mitte nicht vereinbar sind. Auch hier gilt: die AfD stellt im Rahmen des Grundgesetzes die Systemfrage und bietet eine Alternative zur Mitte.

Nimmt man diese Definition als Maßstab, dannwird deutlich, wie sich die Mitte gleichzeitig vergrößert und verkleinert hat.

Vergrößert, weil sie die vier etablierten Parteien beinhaltet (und in anderen Ländern ihre Äquivalente). Anstatt dass es sich um einen parteiischen Kampfbegriff der demokratischen Rechten handelt, beinhaltet er stattdessen die Verteidiger der liberalen Demokratie, mithin alle vier genannten Parteien in Deutschland. Diese Unterscheidung hätte für einen Beobachter aus dem Jahr 2002 keinen Sinn gemacht.

Verkleinert, weil die von mir genutzte Qualifizierung „demokratisch“ im obigen Absatz bereits darauf hindeutet, dass wir es inzwischen zunehmend mit undemokratischen Kräften zu tun haben. Die LINKE etwa hat ihr Verhältnis zu ihrem eigenen radikalen Rand immer noch nicht zufriedenstellend geklärt, und bei der AfD ist weiterhin völlig unklar, inwieweit die Partei überhaupt als demokratisch begriffen werden kann. Diese Unschärfe geht mit dem Stellen der Systemfrage allerdings beinahe zwangsläufig einher.

Eingedenk dessen, dass die aktuellen Umfrageergebnisse für die „klassische Mitte“ aus CDU und FDP auf absehbare Sicht ebenfalls keine Mehrheit mehr erwarten lassen, macht der Begriff auch keinen wirklich Sinn mehr. Ich werde ihn daher künftig in der oben beschriebenen Variante verwenden, die für mich deutlich mehr analytische Aussagekraft hat. Sie ist auch der Grund, warum ich mich inzwischen selbst als „Mitte“ sehe, wo ich vorher noch deutlich mehr im Links-Rechts-Schema eingeordnet habe. Aber das verliert mehr und mehr an sinnvoller Aussagekraft.

Für mich hat das auch einige befremdliche Effekte. Ich war ja nie ein großer Parteigänger Angela Merkels, um es milde auszudrücken. Ich habe sie und ihre Politik stets bekämpft, und ich blogge nun schon fast so lange, wie sie Kanzlerin ist. Aber seit sich das politische Gefüge seit 2015 ruckartig nach rechts verschoben hat und die neue Mitte-Definition notwendig machte, sehe ich mich immer wieder der unangenehmen Wahrheit ausgesetzt, dass Merkel deutlich unter „das geringere Übel“ läuft. Angesichts der chronischen Schwäche beider Lager ist eine grundsätzliche Alternative nur unter Einbindung einer der die Systemfrage stellenden Parteien zu erwarten, was seine ganz eigenen Unwägbarkeiten mit sich bringt.

Die Dauerregierung der Mitte, selbst in wechselnden Koalitionen von Rot-Schwarz zu Schwarz-Grün zu Jamaika, mag sich manchmal anfühlen wie ein Schrecken ohne Ende. Aber das sprichwörtliche Ende mit Schrecken könnte bei weitem dramatischer sein, und es würde die Mitte pulverisieren. Man muss nur nach Brasilien, in die USA, nach Ungarn oder Polen sehen um zu erkennen was es heißt, wenn der Machtstreit nicht mehr innerhalb der Mitte, sondern zwischen der Mitte und dem Rand ausgetragen wird.

Ohne eine breite Mitte rutscht das ganze Land in die Radikalität. Und dann bekommen wir die Herrschaft von Populisten, die das Land – und alles drumherum – zugrunde richten. Das ist die größte Herausforderung unserer Tage, und sie transzendiert in meinen Augen im Moment auch die Frage konkreter Politik und Personalien. Umso bedenklicher ist es, wenn Akteure wegen Streitereien um kleine policy-Differenzen oder wegen verletzter persönlicher Eitelkeiten den Bestand des gesamten liberalen Systems gefährden.

Es sei denn natürlich, man lehnte das gesamte liberale System ab. Dafür stehen Alternativen mittlerweile ja zur Verfügung. Nur muss man sich immer klar machen, was diese beinhalten.

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  • Erwin Gabriel 30. Oktober 2018, 18:14

    Hallo Stefan,

    es ist für mich immer wieder interessant und erstaunlich, wie anders Du auf die Welt schaust als ich. Die politische „Mitte“ verorte ich irgendwo zwischen Helmut Kohl und Gerhard Schröder, also weiter „rechts“ als Du. Und ich bin der Meinung, dass sich das Gros der Bürger immer noch dort aufhält. Leider gibt es aktuell keine Partei auf dieser Position, also sammelt man sich links und rechts davon.

    Auch tue ich mich mit der Einordnung von Frau Merkel als Demokratin schwer. Zumindest deckt es sich nicht mit meinem Demokratieverständnis, dass Wähler nur entscheiden dürfen, WER anschließend nicht das tut, was den Wählern versprochen wurde, und was die Wähler eigentlich wollen.

    Aber seit sich das politische Gefüge seit 2015 ruckartig nach rechts verschoben hat und die neue Mitte-Definition notwendig machte, sehe ich mich immer wieder der unangenehmen Wahrheit ausgesetzt, dass Merkel deutlich unter „das geringere Übel“ läuft.

    Da habe ich drei Einwände.

    Es gibt den originären Rechtsruck nicht, sondern „nur“ eine Gegenbewegung zur vorigen Linksbewegung bzw. zur Änderung der Einwanderungspolitik. Diese Gegenbewegung wird stärker, solange nicht die bisherige Politik als falsch eingestanden und ein vernünftiges Einwanderungsgesetz veranlasst wird. Nur zu tun, als sei nichts passiert, weil gerade wenig los ist, wird nicht reichen.

    Zum zweiten ist die AfD nur mit der Kategorie „rechts“ nicht zu erfassen; dazu wandern zu viele Linke und Sozialdemokraten in diese Ecke ab.

    Auch ist Angela Merkel aus meiner Wahrnehmung heraus nicht das kleinere Übel – sie ist das Übel. Ihr Verhalten, ihr Handeln und ihr Unterlassen ist der Grund für die Krise, in der wir und befinden; ist der Grund für das Erstarken der Populisten von rechts (AfD) und von links (Grüne / auch die SPD leidet inzwischen regelmäßig unter populistischer Schnappatmung), ist der Grund für die aktuelle Politik- (und vielleicht auch Demokratie-?)verdrossenheit, ist der Grund für die Spaltung in unserer Gesellschaft, in Europa, und Auslöser für die blödsinnige Brexit-Wahl.

    Solange sie diese ihre Politik weiter fortführt, werden Parteien wie AfD und Grüne weiter erstarken, und wenn sie noch zwei Jahre weitermacht, könnte sogar der nächste Kanzler Meuten heißen.

    • Stefan Sasse 30. Oktober 2018, 21:04

      Dass links und rechts problematische Begriffe sind, habe ich ja schon beschrieben: http://www.deliberationdaily.de/2017/05/die-nutzlosigkeit-von-rechts-und-links-als-definition/

      Merkel ist demokratisch, da sehe ich kein Problem. Sie hat weniger krasse Schwenks gemacht als Schröder mit der Agenda2010. Wir wählen Repräsentanten.

      • Erwin Gabriel 31. Oktober 2018, 10:49

        @ Stefan Sasse 30. Oktober 2018, 21:04

        Merkel ist demokratisch, da sehe ich kein Problem. Sie hat weniger krasse Schwenks gemacht als Schröder mit der Agenda2010.

        Autsch.

        Flüchtlingskrise ist ein deutlich größerer Schwenk als Agenda 2010, und im Gegensatz zu dieser nicht umkehrbar.

        Wir wählen Repräsentanten.

        Als ob ich das nicht wüsste. Frag Dich lieber mal, warum wir das tun, anstatt reflexhaft solche Plattitüde rauszuhauen.?

        Wenn ich grün wähle, will ich u.a. Umweltpolitik sehen. Wenn die Grünen an die Regierung kommen und die Atomkraft wieder einführen, wäre ich sauer. Wenn ich FDP wähle, will ich Bürokratieabbau und eine wirtschaftsfreundliche Politik. Käme die FDP an die Regierung und würde die Unternehmenssteuern erhöhen, wäre ich sauer. Wenn ich AfD wähle, will ich Einwanderung stoppen. Käme die AfD an die Regierung und würde die Grenzen wieder öffnen, wäre ich sauer.

        Ich weiß ja nicht, wie Du das hältst. Ich jedenfalls gehe nicht wählen, um eine Frau Merkel, einen Herrn Schulz, einen Herrn Lindner oder einen Herrn Hofreiter auf der Regierungsbank zu sehen, sondern weil ich mir eine bestimmte Politik wünsche. Und ich wähle die Partei und die Kandidaten, die mir versprechen, sich zumindest grob in die gewünschte Richtung zu bewegen. Merkel ist IN JEDEM RELEVANTEN PUNKT in eine Richtung gelaufen, die entgegengesetzt zu ihren Wahlversprechen war. Das halte ich, zurückhaltend formuliert, für äußerst unseriös.

        • Ariane 31. Oktober 2018, 13:43

          Flüchtlingskrise ist ein deutlich größerer Schwenk als Agenda 2010, und im Gegensatz zu dieser nicht umkehrbar.

          Hm, ich bin mir nicht sicher, ob da nicht vielleicht die Definitionen verrutscht sind. Ich halte das nicht für vergleichbar.
          Merkels Reaktion auf die Flüchtlingskrise war eine Entscheidung in – wie der Name schon sagt – einer akuten Krise, die ohne Vorbereitung, politische Werbung und (so meine ich) sogar ohne Gesetzesänderungen vonstatten ging. Wenn wir über Schwenks reden, müssten wir schon eher Atomenergie, Wehrpflicht, Mindestlohn etc. reden. Ok, die politische Werbung dafür fiel aus oder wurde von anderen erledigt, aber immerhin brauchte es dafür Gesetze.^^
          Zudem hat faktisch die Flüchtlingskrise keine bis wenig langfristige Auswirkungen auf das Land (außer dass Merkel sich damit eine Zielscheibe aufgeklebt hat), während Mindestlohn, Verzicht auf Atomenergie und Wehrpflicht sehr langfristige und dauerhafte Veränderungen sind (ebenso wie die Agenda2010). Deine Kritik würde übrigens auf die letztgenannten Punkte zutreffen, aber die Flüchtlinge gehören eigentlich in eine andere Kategorie.

          • Stefan Pietsch 31. Oktober 2018, 14:10

            Merkels Reaktion auf die Flüchtlingskrise war eine Entscheidung in – wie der Name schon sagt – einer akuten Krise

            Das ist die Legende. Tatsächlich hielt Merkel die Grenzen über Monate offen, ohne dass nennenswerte Kontrollen stattfanden. Nur deswegen konnten in einem Jahr fast 1 Million Menschen zuwandern. Eine Krise diesbezüglich wäre ein Tag, bestenfalls eine Woche gewesen. 8-11 Monate zu sagen „wir konnten nichts machen“, ist da keine Krise, sondern Tatenlosigkeit.

            Ich weiß, Deinereiner verbrämt das gerne. Und wie wir sehen, hat die Kanzlerin ohne Beschluss des Bundestages einen unumkehrbaren Fakt geschaffen, der das Land für Jahrzehnte prägen wird. Wie gesagt, ich ziehe da die Methode Schröder vor.

            Die Agenda 2010 kann geändert und zurückgenommen werden – mit den gleichen Mehrheiten. Und: zahlreiche Maßnahmen wurden ja verändert, teilweise in ihrem Wesensgehalt entkernt. Das Einzige, was wirklich nicht mehr geschaffen wurde, war die Wiederherstellung der Arbeitslosenhilfe. Aber sonst?

            Wenn Du uns sagst, Du bist dafür, bei Änderung der Mehrheitsverhältnisse sämtliche Migranten von 2015 / 2016 aus dem Land schmeißen zu dürfen – und zwar exakt so, wie sie migriert sind – bin ich bei Dir. Aber das will außer ein paar Hardcore-AfDler niemand. Also ist eine Behauptung nicht nur falsch, sie ist absolut irreführend und verniedlichend.

            • Ariane 31. Oktober 2018, 14:28

              Das ist die Legende. Tatsächlich hielt Merkel die Grenzen über Monate offen, ohne dass nennenswerte Kontrollen stattfanden. Nur deswegen konnten in einem Jahr fast 1 Million Menschen zuwandern. Eine Krise diesbezüglich wäre ein Tag, bestenfalls eine Woche gewesen. 8-11 Monate zu sagen „wir konnten nichts machen“, ist da keine Krise, sondern Tatenlosigkeit.

              Naja, es gibt keine Regel, wie lange eine Krise dauert. Das besagt ja eher, dass ein unvorhergesehenes Ereignis auftritt. Die Bankenkrise hat auch nicht einen Tag oder eine Woche gedauert, war aber auch eine akute Krise.
              Zum Anderen ist eine inner-EU-Grenze per Definition offen und ohne nennenswerte Kontrollen, niemand hat da bestehende Schlagbäume zur Seite geräumt. Die Reaktion betraf nicht die Grenze, sondern das Dublin-Abkommen.

              Und wie wir sehen, hat die Kanzlerin ohne Beschluss des Bundestages einen unumkehrbaren Fakt geschaffen, der das Land für Jahrzehnte prägen wird.
              Nein, genau das bezweifle ich. Wenn sich jemand Daten von 2014 und heute anguckt, würde er nicht darauf schließen, dass dazwischen eine weltverändernde Krise aufgetreten ist, die Deutschland in Chaos und Verderben gestürzt hat. Und zum anderen war es auch keine langfristige Richtungsentscheidung, sondern ein singuläres Ereignis. Wie du vielleicht bemerkt hast, befinden sich die Flüchtlingszahlen auf einem geringen Niveau und Dublin ist wieder in Kraft.

              • Erwin Gabriel 1. November 2018, 13:50

                Ariane 31. Oktober 2018, 14:28

                Naja, es gibt keine Regel, wie lange eine Krise dauert.

                Stimmt, tut aber in diesem Fall nichts zur Sache

                Das besagt ja eher, dass ein unvorhergesehenes Ereignis auftritt.

                „Unvorhergesehen“ meinst Du jetzt nicht ernst, oder?

                Die Krisensituation hat sich über Jahre entwickelt. Da gab es einen Krieg, da gab es Flüchtlinge, war über Jahre im Fernsehen zu verfolgen – auch für die Kanzlerin und die zuständigen Minister. Gewusst haben die schon vorher – die haben halt nur nichts getan.

                Zum anderen ist eine Inner-EU-Grenze per Definition offen und ohne nennenswerte Kontrollen, niemand hat da bestehende Schlagbäume zur Seite geräumt.

                Doch, natürlich – an der Grenze zu Griechenland, dass auch recht lange und ziemlich vergeblich um Unterstützung und Hilfe bat. Und wenn die weitgehend illegal Zugereisten in Griechenland illegal sind, sind sie es hier auch. Die werden nicht dadurch legal, dass sie nach Jugoslawien oder Rumänien weiterziehen.

                Wenn sich jemand Daten von 2014 und heute anguckt, würde er nicht darauf schließen, dass dazwischen eine weltverändernde Krise aufgetreten ist, die Deutschland in Chaos und Verderben gestürzt hat.

                Nein. Wir haben in kürzester Zeit die Bevölkerung von Hamburg dazubekommen, ohne ihr die dazu erforderliche Infrastruktur (Wohnraum, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, etc.) zur Verfügung zu stellen; die Bevölkerung einer Stadt wie Hamburg, weitgehend ohne Sprachkenntnisse, weitgehend ohne Kenntnisse über unser Rechtssystem oder unsere Gesellschaft, weitgehend abhängig von Sozialhilfe.

                Dann: Bei der Bundestagswahl 2013 hatten CDU/CSU insgesamt 41,5 % der Stimmen, die SPD lag bei 25,7 %. Die AfD landete unter der 5-%-Hürde. Inzwischen haben Union und SPD ihre Stimmen fast halbiert, die AfD prügelt sich mit den Grünen um Platz zwei, beide nähern sich den 20 %. Unsere Gesellschaft ist ziemlich gespalten, Aggression und Populismus bestimmen die Tagespolitik.

                Auch die Kriminalstatistik zeigt deutliche Einflüsse: 2013 lag der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen bei 22,6 %; insgesamt wurden – Verstösse gegen AufenthG, AsylVfG und FreizügigkeitsG/EU nicht berücksichtigt – 2.007.328 Straftaten erfasst.

                2017 lag der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen bei 30,4 % (auch hier: 1.974.805 erfasste Straftaten insgesamt, auch hier ohne Verstösse gegen AufenthG, AsylVfG und FreizügigkeitsG/EU).

                https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2017/pks2017_node.html;jsessionid=520E877A5458864C12B19035DEE5DEBA.liveaber eine 2292

                Das entspricht einer Steigerung der ausländischen Tatverdächtigen zugeordneten Straftaten um ein etwa Drittel (von 453.656 auf 604.290). Es ist vielleicht etwas weit hergeholt, den kompletten Zuwachs an Ausländerkriminalität auf die neu angekommenen zu schieben, aber eine derartige Veränderung ist schon erheblich.

                Nicht falsch verstehen: Die Zahlen zeigen auch, dass sich der überaus größte Teil der Neuankömmlinge korrekt verhält. Aber klar wird auch: Eine unkontrollierte Zuwanderung hat ihre Tücken.

                In jedem Falle haben sich die Zahlen verändert; in jedem signifikanten Punkt zum Schlechteren.

                Weitere unangenehme Nebenwirkungen: Auch Europa ist weitgehend gespalten, meiner Wahrnehmung nach in drei Gruppen. Gruppe 1 ist Deutschland. Die Gruppen 2 und 3 haben gemein, dass sie unsere Politik ablehnen. Gruppe 2 ist aber bereit, das zu dulden, solange wir genug bezahlen. Gruppe 3 duldet unser Verhalten nicht, und würde uns am liebsten an die Kehle gehen.

                Und zum anderen war es auch keine langfristige Richtungsentscheidung, sondern ein singuläres Ereignis.

                Keineswegs. Die aktuellen Zuwanderungszahlen liegen bei etwa 200.000 im Jahr (2017: 198 Tausend; 1 Halbjahr 2018: 82 Tausend), was sicherlich deutlich weniger ist als die etwas über eine Million Menschen, die im Jahr nach der Grenzöffnung zu uns kamen.

                Wiederum ist dabei der Nachzug nicht mitgerechnet, so dass wir alles in allem jetzt auf ein Viertel bis ein Fünftel des Zuzugs haben wie 2015. Es geht als nur etwas langsamer (also jährlich die Bevölkerung von Städten wie Kiel oder Aachen statt Hamburg, aber eben auch ohne dazugehörige Infrastruktur).

                http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Flyer/flyer-schluesselzahlen-asyl-halbjahr-2018.pdf;jsessionid=35EC227A3CED0AFBE474DFBB1AE7FEBE.1_cid359?__blob=publicationFile

                Die wahren Folgen dieser Einwanderung werden sich aber erst in einigen Jahren bemerkbar machen. Jetzt stehen die Neuen sozusagen noch im Flur herum und überlegen, wo sie ihre Jacken hinhängen können.

                Wie du vielleicht bemerkt hast, befinden sich die Flüchtlingszahlen auf einem geringen Niveau und Dublin ist wieder in Kraft.

                Wenn Du 200.000 Zuwanderer pro Jahr, mit entsprechendem Familiennachzug und Nachwuchs, für gering hältst, bin ich schwer beeindruckt (leider nicht positiv).

                Außerdem hat der „reduzierte“ Zuzug (im Vergleich zu 2010 ist es immer noch eine enorme Steigerung) nur einen einzigen Grund, und der liegt nicht in Deutschland: Andere Länder halten die Grenzen dicht. Allein die Türkei erhält mehrere Milliarden Euro (wer weiß, wie viele es wirklich sind und was sonst noch dazukommt), um zu verhindern, dass die Flüchtlinge sich auf den Weg machen.

                Angesichts der katastrophalen Situation in Afrika, angesichts der leicht reizbaren Persönlichkeit Erdogans ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich dieser Zustand dauerhaft aufrechterhalten lässt. Und wenn sich die Leute auf den Weg machen und vor unseren Türen stehen, wird Frau Merkel genauso ratlos sein wie seit 2015.

            • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:37

              Stell dir mal vor, der Lindner hätte das damals schon entschieden kritisiert! https://pbs.twimg.com/media/Dqvp6exW4AARF0E.jpg:large

              • Erwin Gabriel 1. November 2018, 13:57

                Charmanter Beitrag 🙂

                Christian Lindner ist wahrscheinlich wie alle davon ausgegangen, dass Frau Merkel die Tür wieder zumacht, nachdem sie dem Schwung aus Budapest aufgenommen hatte.

                • Stefan Sasse 4. November 2018, 18:17

                  Muss er vergessen haben zu formulieren, als es mit „Moralisieren“ noch Punkte zu machen galt.

          • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:37

            Gute Punkte.

          • Erwin Gabriel 31. Oktober 2018, 15:58

            @ Ariane 31. Oktober 2018, 13:43

            Merkels Reaktion auf die Flüchtlingskrise war eine Entscheidung in – wie der Name schon sagt – einer akuten Krise, die ohne Vorbereitung, politische Werbung und (so meine ich) sogar ohne Gesetzesänderungen vonstattenging.

            Das ist so nicht ganz richtig. Bereits 2010 gab es einen Erlass, der in Griechenland angelandeten Flüchtlingen, die nach Deutschland weiterzogen, trotz Dublin den Aufenthalt ermöglichte. Die Begründung lautete, dass das durch die Finanzkrise erschütterte Griechenland sei zu schwach, um die Flüchtlinge angemessen zu versorgen.

            Ab 2011 sammelten sich die vor IS und Gegenmaßnahmen flüchtenden Syrer und Iraker in Auffanglagern nahe der türkischen Grenze, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk versorgt wurden. 2013 war der Flüchtlingsstrom so angeschwollen, dass das UN-Hilfwerk regelrecht nach Geld schrie, um die vielen Flüchtlinge zu versorgen.

            2014 waren Bitten und Forderungen des UN-Flüchtlingshilfswerks mindestens 1 x im Monat in Funk, Fernsehen und Presse nachzuschauen, nachzulesen, nachzuhören. Merkel hat meines Wissens etwas über 30 Mio. Euro losgemacht (die Quelle finde ich aber nicht mehr), obwohl die UN ständig darauf hinwies, dass weit über eine Milliarde Euro erforderlich seien, verbunden mit Warnungen, was passiere, wenn das Geld nicht zusammenkäme.

            Als in den Lagern das Hungern begann, liefen die Leute los. Sie brauchten Monate, um sich zu Fuß durch die Türkei und den Balkan vorzuarbeiten. Dann waren sie „plötzlich“ da.

            Und das ganze Drama hätte sich für einen Bruchteil der aktuellen Kosten (aktuell etwas über 20 Mrd. Euro pro Jahr, zuzüglich Erdogan) und Probleme (Wohnungsnot, Tafelstreß, Schulprobleme etc.) vermeiden lassen, wenn man das UN-Hilfswerk rechtzeitig und umfassend unterstützt hätte.

            Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr mich diese bräsige Ignoranz aufregt, mit der Frau Merkel erst alles verpennte, dann alles schleifen ließ, dann nichts in den Griff kriegte, und als nichts mehr ging, sagte „Jetzt sind sie nun mal da“.

            Ich mache mein Kreuzchen woanders, weil ich es selbst nicht übers herz bringe, aber ich verstehe jeden, der AfD wählt, solange Merkel an der Regierung ist.

            @ Stefan Sasse:
            Du sagst immer , dass die Stimmabgabe Konsequenzen hat, und (sinngemäß) dass, wer Mist wählt, irgendwann auch Mist kriegt. Das geht in beide Richtungen. Auch eine derartig ignorante und arrogante Scheißpolitik, inkl. Abqualifizieren und Ausgrenzen von Andersdenkenden zieht Konsequenzen nach sich.

            • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 18:54

              Klar, und wer sagt, „dann wähl ich Neonazis“, dem spreche ich jede demokratische Reife ab.

              • Erwin Gabriel 31. Oktober 2018, 22:46

                @ Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 18:54

                Klar, und wer sagt, „dann wähl ich Neonazis“, dem spreche ich jede demokratische Reife ab.

                Jetzt bist Du wieder beim Moralisieren gelandet. Offenbar sind von Wahl zu Wahl mehr Leute der Meinung, dass es Not tut, ihr Kreuzchen bei der AfD zu machen. Mit derartigen vollkommen argumentfreien, populistischer Sprüchen überzeugst Du keinen.

                Lassen wir mal außen vor, dass die Herleitung AfD = Neonazi etwas gewagt ist. Wenn man eine bestimmte legitime Politik möchte, und die AfD die einzige Partei ist, die diese Politik vertritt, wen soll man sonst wählen?

                Und wie stehst Du zur demokratischen Reife von Wählern, die immer wieder eine Politikerin wählen, die jedes Wahlversprechen konterkariert, die nichts voranbringt, die sich immer wieder weigert, ihre Politik zu erklären, die Andersdenkende und Kritiker als „Neonazis“ abstempelt, die nicht Kanzlerin für alle Deutschen sein will?

                Wach auf …

                • Maniac 1. November 2018, 07:58

                  „Wach auf …“

                  Klingt für mich nach dem kleinen Bruder von „Deutschland erwache“.

                  Wenn sie nicht so tragisch wäre, wäre Eure Obession mit Flüchtlingen und Merkel komisch. Vielleicht ist das derzeit so eine Art realpolitisches Fargo?

                  Gruß, M.

                  • Erwin Gabriel 1. November 2018, 23:50

                    @ Maniac 1. November 2018, 07:58

                    „Wach auf …“

                    Klingt für mich nach dem kleinen Bruder von „Deutschland erwache“.

                    Dein Kommentar klingt für mich auch irgendwie komisch, wenn es nicht so tragisch wäre.

                    Was mich an Merkel stört, ist die Erkenntnis, dass wir dringend Einwanderung brauchen, aber so wie sie es macht, will es nachher keiner haben. Sie macht das Thema einfach kaputt. Das ist so etwas von bitter.

                    es grüßt
                    E.G.

                • Stefan Sasse 4. November 2018, 18:15

                  Wie ich dazu stehen? Du sollst das kritisieren, scheiße finden, bessere Politik verlangen und gegebenenfalls die demokratische Opposition wählen. Zu sagen „ich find’s doof dass die FDP ihre Steuersenkungsversprechen nicht umsetzt deswegen wähle ich NPD“ wird von mir als demokratisch unreif kritisiert. Du kannst natürlich das konservative Allzweck-Label „Moralisieren“ drüberkleben, aber so what?

                  • Erwin Gabriel 4. November 2018, 22:26

                    Stefan Sasse 4. November 2018, 18:15
                    Zu sagen „ich find’s doof dass die FDP ihre Steuersenkungsversprechen nicht umsetzt deswegen wähle ich NPD“ wird von mir als demokratisch unreif kritisiert.

                    Darum geht es nicht, und Du weißt das. Und daher kann ich solche Kommentare nicht ernst nehmen. Mal wieder schade.

                    Du kannst natürlich das konservative Allzweck-Label „Moralisieren“ drüberkleben, aber so what?

                    Das mache ich nur, wenn Du es auch tust.

                    • Stefan Sasse 5. November 2018, 15:24

                      Mir geht’s aber darum.

                    • Erwin Gabriel 7. November 2018, 20:28

                      @ Stefan Sasse 5. November 2018, 15:24

                      Mir geht’s aber darum.

                      Genausogut kann es Dir darum gehen, dass Du alle Leute für doof hältst, die AfD wählen, nur weil es regnet. Ist Dein gutes Recht, selbst wenn es mit der Realität nichts zu tun hat.

                      Das ändert nichts an der Tatsache, dass Dein Beispiel nichts mit der realen Situation zu tun hat.

            • Ariane 1. November 2018, 08:30

              @Erwin Gabriel

              Und das ganze Drama hätte sich für einen Bruchteil der aktuellen Kosten (aktuell etwas über 20 Mrd. Euro pro Jahr, zuzüglich Erdogan) und Probleme (Wohnungsnot, Tafelstreß, Schulprobleme etc.) vermeiden lassen, wenn man das UN-Hilfswerk rechtzeitig und umfassend unterstützt hätte.

              Natürlich. Meiner Meinung nach ist das aber irrelevant.
              Das ganze Finanzkrisendrama hat sich auch schon vorher abgezeichnet und hätte im Vorfeld vermieden werden können. Ändert aber nichts daran, dass man sich plötzlich einer akuten Krise gegenüber sah, Krisen fallen äußerst selten einfach so vom Himmel.

              Das nur nebenbei. Ist jetzt vielleicht etwas theoretisch, aber deswegen finde ich das so schwer vergleichbar. Es war ein singuläres Ereignis, das insgesamt keine bis kaum faktische oder gesetzestechnische Auswirkungen hat. Insofern ist also gar nichts da zum Umkehren. Kein Gesetz, das man wieder abschaffen kann, keine Richtungsentscheidung, bei der man wieder in eine andere Richtung laufen kann. Anders als zb beim Atomausstieg oder Abschaffung der Wehrpflicht.
              Die langfristige Erschütterung war und ist rein politisch. Merkel hat sich damit zum Feindbild gemacht und die AfD hat das als Thema genommen, um stärker zu werden und wie man auch an deiner Argumentation sieht, sich zur Anti-Merkel-Partei gemacht.

              • Stefan Pietsch 1. November 2018, 14:59

                Bitte Ariane. Hätte die amerikanische Administration unter dem Präsidenten Bill Clinton im Konzert mit der fed nicht krampfhaft versucht, jedem Amerikaner ein eigenfinanziertes Eigenheim zu besorgen, hätte es die Finanzkrise nicht gegeben. Leute wie Du sagen: sollen Kapitalisten doch nicht so gierig sein! Merke: Gerade Investmentbanker haben sich idealtypisch verhalten. Gemäß der politischen Zielvorgabe wurde das billige Staatsgeld im Subprime-Markt für Immobilien investiert, die nicht die erste Bonität genossen.

                Anders als das beispielsweise in Deutschland der Fall gewesen wäre, kamen die die Bruchpiloten im Häusermarkt, die Eigenheimbesitzer ohne Eigenkapital, äußerst günstig aus der Geschichte raus: einfach Haustürschlüssel bei der finanzierenden Bank abgeben und die Schuldenlast war Geschichte. Auch das aufgrund staatlicher Regeln. Die Banken blieben auf dem Schaden sitzen, den ihnen die Bruchpiloten vor die Tür gekippt hatten.

                [Die Flüchtlingskrise] war ein singuläres Ereignis, das insgesamt keine bis kaum faktische oder gesetzestechnische Auswirkungen hat.

                Liebe Ariane, komm‘ von Deiner rosaroten Wolke herunter! Jeder hier lebende Deutsche, der seit 2015 von einem angeblichen Flüchtling getötet wurde, ist eine Auswirkung dieser Flüchtlingskrise. Das Gleiche gilt für jede vergewaltigte Frau, die Opfer eines Migranten ohne rechtliche Anerkennung geworden ist. Mord und Vergewaltigung sind unumkehrbare Taten. Hinzu treten die Kosten für Migranten, die ohne Aussicht auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus zugewandert sind. An den Schulen werden Sonderklassen eingerichtet für Kinder, die möglicherweise nicht dauerhaft bleiben dürfen oder deren Eltern nicht hier sein dürften.

                Es wird Zeit, dass jemand bei Deiner Wolke reinsticht, damit es „Puff“ macht.

              • Blechmann 1. November 2018, 19:02

                „Es war ein singuläres Ereignis, das insgesamt keine bis kaum faktische oder gesetzestechnische Auswirkungen hat.“

                Aber bewusstseins-mäßige Auswirkungen. Was Merkel gemacht hat in der Flüchtlingskrise war so, als wenn der Papst 1000 Muslime in die kath. Kirche aufnimmt, und dann meint: „Klar, Christentum, das sind christliche Werte wie Barmherzigkeit, aber an den ganzen Quatsch mit Gott und Jesus glauben wir doch nicht wirklich! Das ist doch tiefstes Mittelalter! Glaube verursacht Religionskriege und Hexenverbrennung. Nur einer der bescheuert oder amoralisch ist würde an sowas wirklich glauben. Ab heute darf jeder in die Kirche rein, solange er an Werte wie Barmherzigkeit glaubt, Christ, Jude, Muslim, Atheist.“

                Und ich war so wie der letzte Einsiedler in seiner Klause, der es noch nicht mitgekriegt hat: „Wie? Wo? Gott und Jesus da glauben wir nicht mehr dran?! Seit wann denn?“

                Fehlt dann nur noch einer der meint: „Stell dich nicht so an. Faktisch ist alles noch wie vorher.“ 😀

              • Erwin Gabriel 2. November 2018, 00:23

                @Ariane 1. November 2018, 08:30

                Meiner Meinung nach ist das aber irrelevant.

                Merkel ist, im Gegensatz zur Titanic, mit voller Absicht auf den Eisberg gefahren, bei hellem Tageslicht und bester Sicht, und dem Wissen, dass der Eisberg direkt vor ihr liegt. Sie tut nun so, als hätte der Eisberg rechtzeitig wegschmelzen müssen. Nun ist das Schiff draufgeknallt.

                „Nicht relevant“ – ich fasse es nicht. Ist nicht Dein Geld, ist nicht Dein Wohnungsbedarf, sind nicht Deine Kinder in der Schule, whatever. Irrelevant halt.

                Es war ein singuläres Ereignis, das insgesamt keine bis kaum faktische oder gesetzestechnische Auswirkungen hat.

                Nochmals nein; das ist kein singuläres Ereignis, sondern ein konstanter Prozess, der sich (durch Parameter, auf die wir weder im guten noch im schlechten wirklich wirksamen Einfluss haben) verlangsamt hat, aber nicht gestoppt wurde.

                „Faktische“, etwa gesellschaftliche Auswirkungen, sind schon jetzt deutlich zu erkennen, ein paar habe ich doch genannt.

                Insofern ist also gar nichts da zum Umkehren. Kein Gesetz, das man wieder abschaffen kann, keine Richtungsentscheidung, bei der man wieder in eine andere Richtung laufen kann. Anders als zb beim Atomausstieg oder Abschaffung der Wehrpflicht.

                #Ich bin mir nicht sicher, ob Du derart naiv bist (sorry), oder es endlich verstanden hast. Selbst bei der Einführung der Ehe für alle hat man den Bundestag bemüht, Debatten geführt, Gesetze geändert. Aber einen derartigen Zuzug (und die Versorgung) von Millionen von Menschen, für derartige Veränderungen in unserer Gesellschaft braucht es nur ein Kanzlerinnen-Wort, nur eine Dienstanweisung?

                Die langfristige Erschütterung war und ist rein politisch.

                Da kannst Du Etiketten drauf kleben, bis der Arzt kommt. Was verstehst Du denn unter „rein politisch“? Pegida und AfD sind rein politische Reaktionen – bedeutet das, dass es dann nicht „wehtut“? Mich graust’s. Eine moralisierende Öko-Splitterpartei und eine lautstarke, sich immer heftiger radikalisierende Brüllaffenbande geben inzwischen in der Politik den Ton an, und Dich juckt das nicht?

                Und was die langfristigen Erschütterungen angeht: Da lass uns für ein Urteil noch fünf, zehn oder zwanzig Jahre warten.

        • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:29

          Das kannst du natürlich so sehen, aber ich halte es für falsch.

          Wenn du mit diesen Entscheidungen nicht einverstanden bist und dich verarscht fühlst, kannst du die Leute das nächste Mal nicht mehr wählen. Du kannst protestieren. Leserbriefe schreiben. Und so weiter.

  • Blechmann 31. Oktober 2018, 05:56

    Also deine Definition von „politischer Mitte“ macht mir Bauchschmerzen, ich greife mal einen Punkt heraus: „die Umstellung auf Interventionsarmeen und entsprechende Einsätze“. Also wenn ich eine Umfrage machen würde: „Wollen Sie, dass die Bundeswehr auf eine Interventionsarmee umgestellt wird und dann Kriegseinsätze im Ausland führt.“ Ich glaube nicht, dass da eine Mehrheit zustimmen würde. „Mitte“ wäre dann also nur auf die Parteien bezogen, nicht auf die polit. Ansichten der Bevölkerung.

    Übrigens sind die Grünen neuerdings auch für die Abschaffung von HartzIV, also keine Partei der Mitte mehr. Ich glaube hier ist deine Definition zu kleinteilig.

    Vielleicht sollte man die drei Punkte allgemeiner fassen:

    1) Wirtschaftnähe
    Alles was die (Finanz-)Wirtschaft will/braucht ist gut. HartzIV, Bankenrettung, Euro, TTIP, Migration, Autoindustrie – alles was die Wirtschafts-Eliten wollen ist gut für den Staat.

    2) Machtpolitik mit der USA
    Die Ausweitung des „US-Imperium“, also des Machtbereichs der USA, ist gut und muss von Deutschland nach Kräften unterstützt werden mit Russland-Sanktionen, EU-Erweiterung, Aufrüstung, Interventionsarmeen, Assad muss weg.

    3) Political Correctness (?)
    Mit dem Punkt des Rechtsstaats tue ich mich noch etwas schwer. Die AfD und LINKE wollen Korrekturen bei der EU, aber die wollen CDU, SPD, Grüne doch auch, nur halt nicht dieselben. Hier hat die „Mitte“ mit der Abschaffung des Nationalstaats, doch geradezu revolutionäre Absichten.

    Insbesondere wenn man den Begriff der Mitte nicht nur auf „Deutschland im Jahre 2018“ beziehen will, sondern vielleicht auch auf Nachbarstaaten, wäre eine allgemeinere Definition besser.

    • Erwin Gabriel 31. Oktober 2018, 10:54

      @ Blechmann 31. Oktober 2018, 05:56

      Alles was die (Finanz-)Wirtschaft will/braucht ist gut. HartzIV, …
      Hartz IV wurde eingeführt, um die Sozialkassen zu entlasten

      • R.A. 31. Oktober 2018, 15:27

        „Hartz IV wurde eingeführt, um die Sozialkassen zu entlasten“
        Das war nur ein Nebenaspekt – und wurde auch nicht erreicht, die Sozialausgaben sind im Gegenteil sogar gestiegen.

        Ziel war einerseits eine Senkung der Arbeitslosigkeit mit „Fordern und Fördern“ und andererseits weniger Bürokratie durch Zusammenlegung von Strukturen.
        Beide Ziele wurden m. E. nur teilweise erreicht. Die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat mehr mit Konjunktur zu tun als mit Agenda.

        Daneben gab es weitere Motive, z. B. Gerechtigkeitsaspekte, aber die wurden nicht groß diskutiert.

        • Erwin Gabriel 31. Oktober 2018, 16:00

          @ R.A. 31. Oktober 2018, 15:27

          „Hartz IV wurde eingeführt, um die Sozialkassen zu entlasten“

          Das war nur ein Nebenaspekt – und wurde auch nicht erreicht, die Sozialausgaben sind im Gegenteil sogar gestiegen.

          Das ist mir klar. Ich meinte das in dem Sinne, dass diese Maßnahme nicht dazu da war, die Wirtschaft aufzupäppeln.

          es grüßt
          E.G.

      • Blechmann 31. Oktober 2018, 16:47

        Die Sozialkassen entlasten, also die Sozialabgaben auf Arbeit zu senken, ist was die Wirtschaft will/braucht. Abgesehen davon wurde HartzIV hauptsächlich eingeführt, um die Löhne zu drücken – was auch wunderbar funktioniert hat.

        • R.A. 1. November 2018, 11:53

          > Abgesehen davon wurde HartzIV hauptsächlich
          > eingeführt, um die Löhne zu drücken
          Das war weder die Absicht von HartzIV noch waren die beschlossenen Maßnahmen irgendwie dazu geeignet.
          Und in Folge sind die Löhne ja auch weiter gestiegen.

          • Blechmann 7. November 2018, 19:37

            Die Reallöhne sind nach der Einführung von HartzIV entsprechend dem Wirtschaftswachstum gestiegen?

            • Erwin Gabriel 7. November 2018, 20:32

              Das ist ein anderes Thema.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:22

      Zu 1) Von mir aus.
      2) Das ist mir zu eng/diffamierend gefasst.
      3) Ganz sicher nicht. Mir geht es um Grund- und Bürgerrechte in ihrer aktuellen Form.

    • R.A. 31. Oktober 2018, 15:23

      „Alles was die (Finanz-)Wirtschaft will/braucht ist gut.“
      Halte ich für eine ziemlich abstruse These. Die auch von keiner Bundestagspartei vertreten wird und die daher für eine allgemein akzeptierte „Mitte“ nicht in Frage kommt.

      „Die Ausweitung des „US-Imperium“, also des Machtbereichs der USA, ist gut und muss von Deutschland nach Kräften unterstützt werden“
      Ebenfalls ziemlich absurd und keine relevante Position in der deutschen Politik.

      „3) Political Correctness (?)“
      Höchst kontrovers zwischen den Parteien und damit kein gemeinsames Thema für „Mitte“.

      • Blechmann 31. Oktober 2018, 17:24

        Es sagt keine Partei wortwörtlich „Alles was die (Finanz-)Wirtschaft will/braucht ist gut“ aber vertreten tun sie das sehr wohl. Falls wir von wortwörtlich reden, dann hätte ich gerne das Zitat aus dem Parteiprogramm der Afd wo sie „klare Hierarchieabstufungen bei den bürgerlichen Freiheitsrechten“ fordert. Als ich das vor 2-3 Jahren gelesen habe stand das da noch nicht drin.

  • Floor Acit 31. Oktober 2018, 07:34

    Für mich hört sich das so an, als könnte ich eine politische Position konstruieren, die sich analog einem „verrückteste Grenzen der Welt Video“ 1995 in der Mitte, zwischen 1999 und 2015 ausserhalb, ab 2016 innerhalb und in 20 Jahren vielleicht wieder ausserhalb der politischen MItte wiederfindet. Und selbst das wäre noch nicht ganz korrekt, denn sie könnte sogar 20 Jahre per Definition innerhalb der politischen Mitte stehen obwohl sie davon nur in 2 Jahren von der tatsächlichen Mehrheit der Deutschen geteilt wird, umgekehrt könnte sie 20 Jahre ausserhalb der politischen Mitte stehen, obwohl sie in 18 davon mehrheitlich geteilt wird.

    Wieso führst Du zeitliche Komponenten ein? Ich hätte zB die soziale Marktwirtschaft (kapitalistische/marktwirtschaftliche Wiretschaftsordnung flankiert durch sozialisierte Programme) als Kriterium genannt. Damit hätte ich genauso die 4 Parteien erfasst, sowie zumindest einen Teil der Linken und wie in Deinem Beispiel die AfD (wobei es hier Forderungen gibt den Sozialstaat in einigen Fragen komplett abzuschaffen, jenseits der FDP) also zumindest genau wie bei der Linken „Teile“. Es würde m.E. dann den Begriff des „demokratischen Sozialismus“ einbeziehen, solange er analog dem Begriff der Sozialdemokratie in Deutschland verwandt wird – wie es zB bei Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez der Fall ist, aber NICHT die Partei-Definition des DSA zB (die eine post-kapitalistische Ordnung zum Ziel hat [„public economy“].
    Aber wieso ein Gesetz, einer Regierung wie die Agenda 2010 auf diesen Rang erheben?

    Genauso der 2. Punkt
    NATO, EU ja, aber warum auf die post-1995 Ausprägung?

    Dem 3. Punkt stimme ich zu, denn er enthält keine zeitlöiche Komponente.

    Was ist mein Problem mit den zeitlichen Komponenten? Nun, darauf bezog sich meine „Einleitung“. Waren alle Regierungen vor der Agenda 2010 außerhalb der Mitte? War Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 ausserhalb der Mitte (denn wenn die Agenda zur Definition zählt nehme ich an sie hatte nach Deiner Einschätzung „systemverändernden“ Charakter)? Sind weitere Umwälzungen der Art also nicht möglich, nicht mehr möglich? Was ist mit den Herausforderungen der Digitalisierung – hier werden zum Teil ganze Unternehmen strukturell umgewälzt, neue Ausbildungsberufe geschaffen etc – sicher, dass das nicht auch auf den Staat (ähnlich wie ja die Automatisierung einer der Ausgangspunkte dfür die Agenda selbst war) ähnlich umfassende Änderungen bedeuten/notwendig machen kann?

    Was ist mit der EU, was mit der Nato – Russland wurde erst G8 Partner, heute durch die Politik Putins sind sie weiter entfernt – damals wurde sogar eine Nator Mitgliedschaft in Erwägung gezogen – was ist mit der Entwicklung Chinas? Ist Schröder ausserhalb der Mitte wenn er sich Putin anbiedert? Ist jede Forderung nach einer NATO-Reform ausserrhalb der Mitte? War die EU vor Lissabon ein Kopnstrukt außerhalb der Mitte, war Lissabon eine systemverändernde Reform?

    Wenn Agenda und Lissabon das system verändert haben, warum sollte ich dann annehmen, dass weitere systemverändernde Prozesse ausserhalb der Mitte liegen oder Chaos etc. verursachen und nicht genauso eingebunden , ja sogar anzuerkennen sind, will ich in der Mitte bleiben? Waren sie es dagegen nicht, warum sollte ich sie als zentral in meiner Definition von Mitte halten..?

    Und was bedeutet das angewandt auf zB die USA? Ist ein System dass 10% der Bevölkerung weit mehr politischen Einfluss zuweist als der breiten Masse, 30% der Bevölkerung dagegen keinerlei Einfluss denokratisch und dessen Anerkennung Mitte? Ist es das gerrymandering wonach eine der beiden Parteien nicht 50% sondern 60-70% benötigt? Wenn es letzteres nicht ist, warum dann ersteres obwohl die Benachteiligung im mersten Fall wesentlich weitreichender ist?

    Und dann ist für mich immer die Frage der Ideologie, des Narrativs und „was bleibt [anders]“? Worauf will ich hinaus. Wir könnten fragen wie sich die Parteien der Mitte denn explizit in Ihrer Ausprägung unterscheiden. Dann wäre ein Aspekt sicher der von Dir angesprochene Aspekt der individuellen Freiheitsrechte. In Schröders Definition der neuen Mitte war noch die „Chancengleichheit“ zentral – Du hattest das in einem vergangenen Artikel mal kritisiert und jetzt rausgelassen. Dennoch gibt es aber Zusammenhänge, richtig? Kann ich wirklich frei sein, wenn ich Angst haben muss aufgrund meiner Hautfarbe, meines Geschlechts oder meiner sexuellen Orientierung benachteiligt zu werden – wie auch immer die Antwort aussieht, ich glaube die meisten würden die Frage selbst innerhalb des Rahmens verorten. Jetzt ist es aber so, dass ich im Leben sehr wohl auch Nach- oder Vorteile haben kann je nach meinem ökonmischen background (vielleicht nicht das beste Wort, aber mir fehlt eine Alternative „Klasse/Klassen-Identität“). Der Fakt an sich ist denke ich unumstritten. HIer geht es ja jetzt nicht nur um kollektives Verhandeln und/oder ökonomische Resultate, sondern tatsächlich individuelle Realität. Umgekehrt könnte man die Herausforderungen der nicht-weißen Bevlkerungsteile oder der Frauen auch als kollektive Kämpfe sehen, nicht nur als individuelle Rechte – ob ich 500 € verdiene oder 5.000.000 € wäre demnach keine ökonomische Ungerechtigkeit – ob ich vom Staat und seinen Organen oder aber auch im Privaten analog zu gender/color Fragen anders behandelt werde, weil mein Vater 500 € verdient oder 5.000.000 € ist m.E. sehr wohl auch eine Frage individueller Rechte. Dem aber noch nicht genug versärken sich oft Effekte gegenseitig, was dann dazu führt, dass nicht-weiße Frauen noch mehr unter ökonomischer Ungleiuchheit und/oder Sexismus zu leiden haben als Weiße, arme Minderheiten mehr unter Rassismus als Reiche etc. Und hier wird es jetzt interessant, denn das ist denke ich dreh- und Angelpunkt innerhalb der Mitte-Links/Links Bewegungen des Westens. Viele die sich „mittiger“ beschreiben würden, inklusive Dir (zumindest teilweise) betrachten (meiner Meinung nach[!]) diese Zusammenhänge eher stiefmütterlich und versuchen ständig die ökonomische Komponente auszublenden. Der Begriff der „Abgehängten“ wird mal ökonomisch, mal kulturell gebraucht und auch Abgrenzung nicht immer klar und daher schwammig. Es ist richtig, Du hast keine ursächliche klassizistische Sicht, aber die Frage drängt sich dennoch auf. Die Frage die mir ständig auf dem Herzen brennt, die vielleicht sogar meta über meine gesamte poltische Verortung steht:
    Die weibliche Arbeiterklasse, die nicht-weiße Arbeiterklasse, der progressive Teil der Arbeiterklasse, die homosexuelle Arbeiterklasse, die trans oder non-binary Arbeiterklasse etc. also der Teil der Bevölkerung der nach Identität nicht priviligiert, kulturell und politisch der im Artikel (von 2016 den wir beide zufällig unabhängig von Gauland 2018 gelesen haben :-)) zur „globalen Elite“ gezählt werden würde, aber gleichzeitig ökonomisch zur Arbeiterkalsse zählt (der Artikel hat expliztit auf „nicht reich“ hingewiesen, ich glaube die Formulioerung war „in vielen Fällen ganz im Gegenteil“) – hat dieser Teil der Bevölkerung legitime Forderungen? Oder verstoßen die ökonomische nBelange per Definition gegen Deinen Grundkompromiss-Punkt Nr. 1? Und wer ist der Träger, wer vertritt ursächlich diesen Bevölkerungsteil, wer ist dessen megaphon im parlamentarischen Rahmen und sind deren Parteien (wer immer das wie gesagt ist, deren Vertreter, deren Repräsentanten) Teil der Mitte? Haben eine Chance darauf.

    Man sollte annehmen, dass dieser Bevölkerungsteil instrumental ist um „Klebstoff“ zu sein und „Retter am Krankenbett des Kapitalismus“, unerschütterliche Kämpfer für Demokratie, Menschenrechte, Freiheit – dennoch werden sie so stiefmütterlich behandelt, ja in den meisten Diskussionen gar nicht wahrgenommen, wirken nicht-existent.

    Warum? – Anscheinend oder scheinbar(?|!) aufgrund der Tatsache, dass ihre „urwüchsigen“ ökonomischen Forderungen einer zahlenmäßigen Minderheit(!) der Bevölkerung entgegen stehen? – aber ist der Eindruck richtig?

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:26

      Der Grund für die Zeit ist dass die aktuelle liberale Weltordnung sich da herausgebildet hat: Wiedervereinigung 1990, Maastricht 1993, Schengen und WTO 1995, dazu der Serbien-Einsatz 1995. Wir haben in dem Zeitraum außerdem die Ruck-Rede und das Einschwenken der SPD auf den „Reform“-Kurs. Daher die Einschränkung.

      • R.A. 31. Oktober 2018, 15:51

        Es hat sich viel geändert seit 1990. Durch die genannten Ereignisse, durch die Agenda und weitere Sachen.

        Aber ich glaube nicht, daß sich beim gemeinsamen Konsens der demokratischen Parteien so viel geändert hat.

        • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 18:53

          Ich wollte ja auch eher die Teile beschreiben die die beiden neuen Parteien – LINKE und AfD – ablehnen. Und das sind schon Post 1990-Veränderungen.

          • R.A. 1. November 2018, 12:01

            > Teile beschreiben die die beiden neuen
            > Parteien – LINKE und AfD – ablehnen.
            OK, den Ansatz kann ich nachvollziehen.

            Ich vermute mal, die problematischen Teile beider Parteien (und diese Leute gab es ja damals auch schon, nur noch nicht organisiert) waren schon damals außerhalb des Konsensbereichs.

      • Floor Acita 2. November 2018, 05:34

        Dennoch bleibt die Frage welche Veränderung, welchen Ausmaßes in der Zukunft noch gedeckt wäre (Ich hatte mögliche Veränderungen aufgrund von Digitalisierung angesprochen) und welche stünde außerhalb oder ob die Agenda selbst dann ausserhalb der ehemaligen Mitte lag etc. und die gleiche Frage bleibt für die EU – „alle Abgeordneten, egal von woher in der EU, überall in der EU für EU-Bürger wählbar machen“ – radikale Forderung ja oder nein..? Und im Allgemeinen: Welche Forderung, welche Haltung ist es die gegen den Mitte Konsens verstößt und welche Forderungen und/oder Haltungen sind draußen?

        Ich stimme Ralf teilweise zu und auch hier bezugnehmend auf „Ich wollte ja auch eher die Teile beschreiben die die beiden neuen Parteien – LINKE und AfD – ablehnen.“ klingt es für mich so, als hättest Du von hinten nach vorne gearbeitet.

        Rassismus kommt bei Dir zB gar nicht vor. Ich kann zB allen 3 Punkten, auch dem Letzten, zustiommen, aber dennoch behaupten den Holocaust hätte es nie gegeben oder „die Juden“ kontrollieren Medien und dominieren gesellschaftliches Leben etc.

        Linke und AfD kommen zusammmen auf 20-25%. Wenn ich Mitte von demokratisch unterscheide vielleicht nicht zu viel, dennoch sollte die Abgrenzung klar sein. Ralf schreibt Mitte wäre immer schwammig, vielleicht, trotzdem gibt es wohl klare Abgrenzungen zum Rand. Und die sind mir wichtiger. Angesichts Deiner Definition in Punkt 1 – welche wirtschaftlichen Forderungen wären innerhalb und welche außerhalb des Konsens? Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen noch Mitte? Sanders/Corbyn siehst Du beide außerhalb – aber aufgrund welcher Forderungen konkret? Wagenknecht/Lafontaine kann ich nachvollziehen außerhalb zu stellen – auch wenn ich mir damit schwertue sie am linken Rand zu verorten, wenn der Grund für mein Urteil latenter Rassismus ist – aber warum ist eine Katja Kipping außerhalb des Konsens?

        Und was bedeutet das Ganze für Koalitionen? Müssen Grüne und FDP immer zwangsweise in jede Regierung und die Wahl ist dann die zwischen Jamaika und Ampel..?

        • Stefan Sasse 4. November 2018, 18:24

          Das Rassismus-Fass habe ich effektiv unter Rechtsstaat/Demokratie eingeordnet.

          Schwarz-Rot geht ja auch.

          • Floor Acita 6. November 2018, 07:44

            Da das Ganze ohne klare Abgrenzung etwas sinnlos wirkt… Wodurch befinden sich 25% der gewählten Repräsentanten dieses Landes Deiner Meinung nach außerhalb des Grundkonsens und wie wirkt sich das auf andere Länder aus? Sind skandinavische Länder „Länder der Mitte“/werden von Politikern der Mitte regiert? Falls Mitte in Amerika was anderes ist als in Deutschland, was anderes als in Skandinavien – was ist hier der gemeinsame Nenner hier? Oder gibt es gar keinen..?

            Deshalb nochmal:
            Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen noch Mitte? Sanders/Corbyn siehst Du beide außerhalb – aber aufgrund welcher Forderungen konkret? Wagenknecht/Lafontaine kann ich nachvollziehen außerhalb zu stellen – auch wenn ich mir damit schwertue sie am linken Rand zu verorten, wenn der Grund für mein Urteil latenter Rassismus ist – aber warum ist eine Katja Kipping außerhalb des Konsens?

            • Stefan Pietsch 6. November 2018, 13:32

              Grundkonsens, das ergibt sich schon aus dem Wort, ist das, worauf sich das Gros der Gesellschaft verständigen kann. Und natürlich ist das von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. In Ungarn beispielsweise kann sich die Bevölkerung leichter Hand auf eine rigide bis nationalistische Abschiebepraxis verständigen, die hier in gesellschaftsfähig wäre.

              Sowohl AfD als auch LINKE stehen in wichtigen Positionen sowie Auftreten außerhalb des gesellschaftlichen Wertekanons in Deutschland. Das ist legitim, aber genauso auch, dies zu benennen. Während die LINKE Hartz-IV rigoros ablehnt, gibt es in der Mehrheitsgesellschaft einen Grundkonsens dafür. Ebenso wie für Sanktionen bei Fehlverhalten. Das Gleiche lässt sich für die Mitgliedschaft in der NATO wie im Steuerrecht durchexerzieren.

              Dazu kommt der Habitus. Das politische Angebot der LINKEN richtet sich ja in vielen Punkten explizit nicht an Max Mustermann, sondern den Rand der Gesellschaft. Das betonen die Parteigranden ja auch regelmäßig.

              In Deutschland ist ein bedingungsloses Grundeinkommen sicher nicht „Mitte“. Es wird von 70 – 80 Prozent grundsätzlich abgelehnt. D.h. jedoch nicht, dass sich dies nicht ändern könnte, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.

              Warum sehen Sie Katja Kipping als Teil des Konsenses? Sie tritt für eine konfiskatorische Besteuerung ein, die weder durch Verfassung noch durch Mehrheiten gedeckt ist. Und sie fordert eine ultraliberale Migrationspolitik und hat so auch ihre Buch etikettiert: Niemand ist illegal. Dahinter kann sich nur eine sehr kleine Minderheit in diesem Land versammeln in einer Frage nationaler Identität. Letztes: 2006 konnte sie sich nicht zu einem Bekenntnis zur deutschen Fußballnationalmannschaft durchringen, während das ganze Land ein einziges Fahnenmeer aus Schwarz-Rot-Gold war, gab sie zum Besten, Deutschland nicht die Daumen zu drücken. Kann man machen, aber bitte nicht mit dem Anspruch, der Spiegel der Gesellschaft zu sein. 😉

            • Stefan Sasse 6. November 2018, 14:13

              Mitte ist immer relativ zum jeweiligen Land. Die Mitte der USA ist eine völlig andere als die hier. Effektiv haben die auch fast keine mehr.

  • R.A. 31. Oktober 2018, 11:50

    Ein interessanter Ansatz. Ich habe mir das jetzt mehrfach durchgelesen und irgendwie finde ich ihn etwas sperrig bzw. nicht wirklich passend.

    Erst einmal halte ich den Begriff „Mitte“ für unglücklich. Gemeint ist ja so etwas wie „trägt den allgemeinen politischen Konsens mit“, also ein aktives und positives Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dem Rechtsstaat. Und den im GG skizzierten Grundlinien von grundsätzlich marktwirtschaftlicher Ordnung und einem Sozialstaat mit vielen Zuständigkeiten. Und innerhalb dieses politischen Bereichs gibt es dann links, mitte und rechts, und außerhalb gibt es Links- oder Rechts-Extreme sowie weitere (Islamisten, Libertäre, Esoteriker) die sich nicht links/rechts einsortieren lassen.

    Mein kurzer Beschreibungsversuch des „Konsensbereichs“ ist deutlich vager als Deine Punkte. Die ich eben nur begrenzt für geeignet halte (aber so ad hoc kann nichts Besseres in dieser Detailliertheit liefern).
    Union, SPD, FDP und Grüne sind auf jeden Fall innerhalb des „Konsensbereichs“, auch wenn es in Einzelpunkte Abweichungen geben kann. So sehe ich beim Rechtsstaatsprinzip immer wieder mal Fragezeichen, insbesondere bei den Grünen. Diese Fragezeichen stellen aber die grundsätzliche Ausrichtung nicht in Frage.

    AfD und „Linke“ sind zu einem großen Teil innerhalb des Konsensbereichs, dulden aber viele Positionen, die mit Demokratie, Freiheit oder Rechtsstaat schwer vereinbar sind.

    Noch einmal zu Deinen drei Punkten:

    Der erste entspricht meinem “ …grundsätzlich marktwirtschaftlicher Ordnung und einem Sozialstaat mit vielen Zuständigkeiten.“
    Wobei ich die Agenda für eine eher nebensächliche Änderung halte, die den schon vorher bestehenden Konsens nicht wesentlich berührt hat. Es sind m. E. auch viele Forderungen innerhalb des „Konsensbereichs“ möglich, die deutlich mehr sind als nur ein bißchen an einer Stellschraube drehen. Mal als Beispiel: Sowohl die gesetzliche Rentenversicherung für alle verpflichtend zu machen wie umgekehrt sie komplett abzuschaffen wären gravierende Änderungen, weit über Agenda-Maß. Aber trotzdem beides Vorstellungen, die noch in den grundsätzlichen Konsens passen.

    Der nächste Punkt ist schwieriger. Die europäische Einigung würde ich tatsächlich in den Konsens packen. Wer die grundsätzlich ablehnt, ist schon deutlich außerhalb. Aber wer z. B. statt der EU eine andere Form europäischer Zusammenarbeit vorschlägt, wäre für mich noch im „Konsensbereich“.
    Und das gilt noch mehr für die NATO. Die ist derzeit klares Bekenntnis für Union/SPD/FDP/Grüne, aber das wäre durchaus innerhalb des „Konsensbereichs“ verhandelbar.

    Beim dritten Punkt stimme ich völlig zu, das entspricht im Prinzip meinem vagen „freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Rechtsstaat“. Aber wie schon ausgeführt: Ich sehe noch nicht, daß „Linke“ und AfD hier generell die Systemfrage stellen in der Art, wie es bei diversen ausländischen Beispielen der Fall ist. Die Gefahr besteht deutlich, aber noch ist die Entwicklung im Fluß.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:34

      Stimme dir völlig zu, das ist auch mehr ein Work in Progress. Auch deine Anmerkungen zu Punkt 1 sind richtig.

      Bei Punkt 2: Ja, stimmt schon, aber weder AfD noch LINKE tun das aktuell, sonst wäre auch die Zusammenarbeit gerade bei R2G nicht so problematisch.

      Bei Punkt 3: Ich gehe von der Fragestellung aus: Muss ich wegen meiner Oppositionshaltung Angst haben, wenn die die absolute Mehrheit hätten? Bei FDP muss ich das nicht. Da fühle ich mich sicher. Bei der AfD? Fuck yeah.

      • R.A. 31. Oktober 2018, 16:00

        2.) Sagen wir mal so: Man kann im Konsens sein und trotzdem die NATO skeptisch sehen. Solange man zu dem steht, was eigentlich hinter der NATO-Befürwortung des Konsenses steckt (die NATO ist ja kein Selbstzweck) – nämlich den gemeinsamen „westlichen Werten“ und die Bereitschaft, diese in Zusammenarbeit mit Anderen zu verteidigen.
        Und genauso das ist halt bei der NATO-Ablehnung von „Linken“ oder AfD der Verdacht – daß es ihnen eigentlich darum geht, einer antifreiheitlicher Politik eines Putin Vorschub zu leisten. Und DAS wäre dann deutlich „außerhalb“.

        3.) Guter Test.
        Ich hätte jetzt nicht so direkt Angst vor einer AfD-Regierung. Und um den Bothsiderismus nicht zu vergessen: Ich hätte die auch nicht bei einer „Linken“-Regierung.
        Aber das weniger daran, daß ich auf die Gutartigen in beiden Parteien vertrauen würde (die würden von den Bösartigen sofort beiseite gedrängt), sondern weil ich den übrigen Beharrungskräften von Staat und Gesellschaft genug zutraue, um GG-widrige Maßnahmen einer solchen Regierung zu verhindern.

        Aber ja, man will es lieber nicht ausprobieren. Und das sagt schon etwas über die Ausrichtung dieser Parteien.

        • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 18:55

          2) Darauf will ich raus, ja.
          3) Exakt.

        • Blechmann 1. November 2018, 18:11

          Wobei die Frage ist, wer mit „man“ gemeint ist. Ein prekär Beschäftigter aus Sachsen hat vielleicht wenig Bedenken es mit einer AfD-Regierung auszuprobieren. Weniger als mit einer FDP-Regierung. Mir persönlich macht die Regierung Merkel eine Scheiß-Angst. Daher tue ich mich etwas schwer mit einer Kategorisierung nach Gefühl.

  • Ariane 31. Oktober 2018, 12:52

    Ich stimme dir zu, würde aber vielleicht etwas differenzieren, bzw vielleicht eher Begriffe wie evolutionär und revolutionär verwenden wollen. Oder mittig und radikal.

    Ich habe ein wenig Bauchschmerzen damit, die LINKE und die AfD hier gleich zu behandeln. Gegen die Agenda zu sein und eine ganz andere (oder keine) EU haben zu wollen, ist zwar sicherlich nicht mittig, aber auch nicht zwingend undemokratisch. Zudem regiert sie in einigen Bundesländern mit und stellt sogar einen Ministerpräsidenten, ohne dass man sich um die Demokratie sorgen muss. Angesichts der Umfragewerte und der deutlichen Abgrenzung aller (v.a. der SPD) gegen die LINKE ist sie natürlich sowieso nicht sonderlich bedrohlich.

    Bei der AfD würde ich schon eher zustimmen, weil deutlicher autoritäre Tendenzen erkennbar sind und auch mehr Felder, bei denen allgemeine Grundrechte betroffen sind. Da sie noch krasser reine Oppositionspartei ist als die LINKE kann sie sich natürlich auch eine ungebremste Radikalisierung leisten. Für sich genommen würde ich das eigentlich auch noch nicht bedrohlich finden. Eben harmlose Spinner, bei denen mir übel wird. Sie haben aber deutlich mehr Einfluss auf die anderen Parteien. Die Union und die FDP rennen ihr hinterher und auch die LINKE und die SPD machen Anflüge in AfD-Gefilde. Nur die Grünen haben sich da eigentlich gar nicht von der Stelle bewegt (imho ein Grund, warum sie gerade so ein Hoch haben, sie spielen die AAfD). Damit verschieben sie den ganzen Diskurs und generieren wahnsinnig viel Aufmerksamkeit für ihre Themen und da liegt die Gefahr.
    Es ist ja schließlich nicht so, dass die vier Mitte-Parteien ständig einer Meinung sind, aber wenn wir nur noch über AfD-Kram statt über andere Politikfelder diskutieren, verwischen die Unterschiede viel mehr als dass sie zutage treten.

    • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:36

      Ja, ich versuche ja auch eher deutlich zu machen, wie sich das „Mitte“-Verständnis verschoben hat als den Grad der Radikalisierung links und rechts zu analysieren. Ich bin definitiv der Meinung dass die AfD WEIT problematischer als die LINKE ist.

      • Erwin Gabriel 31. Oktober 2018, 16:07

        @ Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 15:36

        Ich bin definitiv der Meinung dass die AfD WEIT problematischer als die LINKE ist.

        Da stimme ich zu. Da ist die Wut noch frisch, und wird aus Berlin täglich genährt. Mal sehen, wie das in 20 Jahren aussieht, wenn die heutigen Hitzköpfe älter werden und Merkel fast vergessen ist. Es ist anstrengend, sich permanent aufzuregen.

        Ich gehe von der Fragestellung aus: Muss ich wegen meiner Oppositionshaltung Angst haben, wenn die die absolute Mehrheit hätten? Bei FDP muss ich das nicht. Da fühle ich mich sicher. Bei der AfD? Fuck yeah.

        Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht, aber der Punkt ist Klasse. Sehe ich vielleicht nicht ganz so krass wie Du, aber ähnlich. Und ja, R.A: hat Recht, eigentlich möchte man das nicht ausprobieren.

        • Stefan Sasse 31. Oktober 2018, 18:56

          Ehre wem Ehre gebührt, den Text hab ich nicht erfunden, sondern ein Freund aus unserer Stammtischrunde. Gruß an Herbert an dieser Stelle 😉

    • R.A. 1. November 2018, 12:06

      „Gegen die Agenda zu sein und eine ganz andere (oder keine) EU haben zu wollen, ist zwar sicherlich nicht mittig, aber auch nicht zwingend undemokratisch.“
      Da stimme ich völlig zu.
      Die Bedenken gegenüber den Linken haben andere Ursachen. Insbesondere die Duldung extremistischer Positionen, die Zusammenarbeit mit antidemokratischen Vorfeldgruppen und das trübe Verhältnis zur DDR-Diktatur.
      Das betrifft nur einen Teil der Partei (und zwar den, der nicht regiert), aber das ist bei der AfD ja durchaus ähnlich. Das sind Zwitterparteien, bei denen man sich immer fragt, wie nur die vernünftigen Mitglieder dort es mit den Extremisten aushalten können.

      • Erwin Gabriel 2. November 2018, 08:28

        @ R.A. 1. November 2018, 12:06

        Das sind Zwitterparteien, bei denen man sich immer fragt, wie nur die vernünftigen Mitglieder dort es mit den Extremisten aushalten können.

        Ich vermute mal, wie in den anderen Parteien auch: So eine Mischung „jetzt bin ich schon mal hier“, „kleineres Übel“ und „wird schon nicht so schlimm kommen“. Denn so mit Ruhm bekleckert sich gerade niemand so richtig.

  • Blechmann 31. Oktober 2018, 17:44

    Dafür, wenn ich HartzIV Empfänger bin, muss ich bei einer FPD Alleinregierung Angst haben fürderhin als Obdachloser mein Leben zu fristen. Das ist dann eher eine „gefühlte Mitte“, von wem man mehr zu befürchten hätte.

    • Erwin Gabriel 2. November 2018, 08:32

      @ Blechmann 31. Oktober 2018, 17:44

      Dafür, wenn ich HartzIV Empfänger bin, muss ich bei einer FPD Alleinregierung Angst haben fürderhin als Obdachloser mein Leben zu fristen.

      Ich glaube, da irrst Du Dich gewaltig. Denen (uns – ich habe sie ja gewählt :-)) geht es um andere Sachen, eher um Bürokratieabbau, Soli weg, Erleichterungen für Unternehmen, härtere Gangart als bei Merkel für unterschriebene Verträge, Bildung, Digitalisierung, Schuldenabbau.

      • Blechmann 4. November 2018, 13:49

        Schon klar. Aber es ging mir um die Außensicht. Ein AfD-Wähler wird dir auch versichern, dass die Demokratie bei seiner Partei in besten Händen ist.

        • Erwin Gabriel 4. November 2018, 22:30

          Derzeit spiegelt die AfD einen erheblichen Teil der Wähler wieder, gehört daher in den Bundestag, und ist demokratisch organisiert und Teil des demokratischen Prozesses .

  • Ralf 1. November 2018, 19:57

    Dein Artikel erinnert mich an ein schönes Bild, mit dem gerne die Funktionsweise von p-Hacking in der Statistik veranschaulicht wird. Dabei wirft man einen Dartpfeil auf eine grosse, leere Wand und malt anschliessend eine Zielscheibe, um den Pfeil herum. Ei der Daus, man hat das Bull’s Eye getroffen!

    So ähnlich ist Deine Vorgehensweise bei der Auswahl der Themen, die für Dich die Mitte definieren. Agenda 2010, Nato + EU und Rechtsstaat – das macht also die Mitte aus. Warum nicht Klimaschutz, Globalisierung und Steuerpolitik? Oder jede andere x-beliebige Kombination von möglichen Themen. Hauptgrund für die Auswahl dürfte sein, dass sie sich mit Deinen eigenen Interessen und ideologischen Anschauungen deckt. Wie beim p-Hacking hast Du die Mitte einfach um Dich selbst herum gezeichnet.

    Dabei herrscht, anders als Du das hier darstellst, selbst bei Deinen drei selektiv ausgewählten Kategorien kein Konsens in den „Parteien der Mitte“. So ist es z.B. mitnichten so, dass es ein grundsätzliches Anerkennen gleicher Rechte für alle Einwohner (auch Flüchtlinge etc.) gibt. Denk mal bei Flüchtlingen an das Recht der Arbeitsaufnahme. Oder an das Recht Integrationskurse zu besuchen, wenn die Betroffenen (noch) kein langfristiges Bleiberecht haben. Es ist auch mitnichten so, dass es einen Konsens über den Stand von Hartz IV gibt. Während einige der „Parteien der Mitte“ mit dem Gedanken der kompletten Abschaffung und Ersetzung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen spielen (das wird etwa von nennenswerten Teilen der Grünen und auch am linken Flügel der SPD diskutiert), schlug die Berliner CDU gerade noch im April diesen Jahres vor, Unter-50-Jährigen jegliche Hartz IV-Leistungen ersatzlos zu streichen. Siehe z.B. hier:

    https://www.welt.de/politik/deutschland/article175854317/Hartz-IV-Debatte-CDU-Politiker-wollen-ALG-II-fuer-Unter-50-Jaehrige-streichen.html

    Oder denk mal daran, wie durch die Kürzung der Prozesskostenbeihilfe Arme vor Gericht ausgebremst werden sollten. Ich glaube das war ein Vorschlag der Bundesregierung in 2013. Ich erinnere mich nicht mehr, ob das wirklich Gesetz geworden ist, aber offen diskutiert worden, ist das schon. Und zwar mit der erklärten Absicht Geld einzusparen. Soviel zum Thema Konsens beim Rechtsstaat für alle.

    Auch sind Deine Themen von der Art her äusserst inkohärent.“Rechtsstaat und Demokratie“ sind extrem grobe Begriffe. Da findet sich jeder irgendwie wieder. Auch die DDR nannte sich ja „Demokratische Republik“. Und die AfD identifiziert sich als die Partei von Recht (und Ordnung).

    Auch „EU“ ist ein extrem breites Thema. Wenn’s konkret wird (reden wir über den Euro? Über offene Grenzen? Über die Griechenlandrettung? Über einen europäischen Haushalt? Über den Binnenmarkt?) dürften die Meinungen auch zwischen den „Parteien der Mitte“ sehr weit auseinander gehen.

    Am wenigsten Sinn für die Definition der Mitte macht aber das Thema „NATO“. Während all die anderen Themen wenigstens noch einen nachvollziehbaren Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen haben, ist die NATO ein abstraktes Konstrukt, dass die allerwenigsten Bürger als hochrelevant auf dem Radar haben dürften. Wenn Du schon „die Mitte“ definieren willst, dann doch bitte über Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen.

    Ganz allgemein glaube ich aber, dass Dein Unterfangen die „Mitte“ zu definieren, immer zum Scheitern verurteilt sein wird. Die „Mitte“ ist ein schwammiger Begriff, der in etwa die Summe der Mehrheitsmeinungen der Bürger des Landes (nicht notwendigerweise der Parteien) abbildet. Da diese Meinungen in einem ständigen Fluss sind, ist auch der Begriff „die Mitte“ ständig im Fluss. Und da es um die Summe der Meinungen geht, besitzt praktisch jeder Mensch sowohl mittige als auch nichtmittige Einstellungen. Es ist also noch nicht einmal möglich von einem einzigen Bürger, geschweige denn einer kompletten Partei, zu sagen, er stehe politisch „in der Mitte“.

    Nicht klar umrissene Begriffe machen Probleme in Debatten. So weit kann ich Dir folgen. Aber Begriffe, die qua ihrer Natur nicht definierbar sind, auf Teufel komm raus zu definieren, ist eine Scheinlösung, die der Debatte auch nicht hilft. Und wenn es in erster Linie dem Autor zum Selbstzweck dient, sich seiner politischen Stellung als „mittig“ zu versichern, dann hat der Versuch noch weniger Nutzen für die Allgemeinheit.

    • Erwin Gabriel 2. November 2018, 09:12

      @ Ralf 1. November 2018, 19:57

      Wie beim p-Hacking hast Du die Mitte einfach um Dich selbst herum gezeichnet.

      Das macht jeder, der sich der Mitte zugehörig fühlt, und das ist halbwegs OK so, Selbst wenn Stefan mit seinem linken Fuß schon ein bisschen außerhalb steht. 🙂

      Denk mal bei Flüchtlingen an das Recht der Arbeitsaufnahme. Oder an das Recht Integrationskurse zu besuchen, wenn die Betroffenen (noch) kein langfristiges Bleiberecht haben.

      Hätte ich ein recht, Integrationskurse zu besuchen? Wohl kaum, da ich kein Flüchtling bin. Werden mir dadurch Rechte beschnitten? Ich bitte Dich …

      Es ist auch mitnichten so, dass es einen Konsens über den Stand von Hartz IV gibt. …

      Vollkommen richtig, aber meiner Meinung nach nicht relevant. Ob man beispielsweise eine Mütterrente möchte oder nicht, ändert nichts am Grundkonsens zum Rentenkonzept. Und die Streichung des ALG II ist genauso wie das bedingungslose Grundeinkommen ein leichtes Zupfen am Tischtuch, mehr nicht. Es gibt einen Grundkonsens zum Sozialstaat.

      Oder denk mal daran, wie durch die Kürzung der Prozesskostenbeihilfe Arme vor Gericht ausgebremst werden sollten.

      So etwas hat immer zwei Seiten: Auf der einen Seite werden viele Gerichte mit unnötigem Kleinkram belastet, weil das Klagen mit Kostenübernahme so leicht ist. Auf der anderen Seite werden Leute in ihren Rechten eingeschränkt. Aber ich verstehe Deinen Punkt.

      “Rechtsstaat und Demokratie“ sind extrem grobe Begriffe. Da findet sich jeder irgendwie wieder. …

      Aber Ralf, genau das ist doch die Idee von Mitte: Man bewegt sich in einer Wolke, nicht auf einem Punkt. Man hat ausreichend unscharfe Übereinstimmungen, so dass man sich noch darauf einlassen kann – das ist das Wesen von Demokratie.

      Der eine findet Trump geil, der nächste akzeptiert ihn gerade so, ein andere könnte kotzen – solange sich alle einig sind, im westlichen Bündnis zu bleiben, statt mit Putin zu gehen, ist das doch voll in Ordnung.

      Auch „EU“ ist ein extrem breites Thema. Wenn’s konkret wird (reden wir über den Euro? Über offene Grenzen? Über die Griechenlandrettung? Über einen europäischen Haushalt? Über den Binnenmarkt?) dürften die Meinungen auch zwischen den „Parteien der Mitte“ sehr weit auseinander gehen.

      Vollste Zustimmung. Aber wäre das ein Grund, die EU aufzusprengen, oder versucht man, im Rahmen seiner Möglichkeiten die EU ein Stück in die gewünschte Richtung zu schubsen?

      Am wenigsten Sinn für die Definition der Mitte macht aber das Thema „NATO“. Wenn Du schon „die Mitte“ definieren willst, dann doch bitte über Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen.

      Frag mal in anderen Teilen Europas, in Polen, Litauen, Estland, Lettland oder Litauen nach – für die ist die NATO lebenswichtig, da brennt es kräftig unter den Nägeln. Selbst wenn Deutschland derzeit das Gefühl dafür verloren hat, wie groß das Risiko nur ein paar Hundert Kilometer weit von uns entfernt ist, ist es noch da.

      Die „Mitte“ ist ein schwammiger Begriff, der in etwa die Summe der Mehrheitsmeinungen der Bürger des Landes (nicht notwendigerweise der Parteien) abbildet. Da diese Meinungen in einem ständigen Fluss sind, ist auch der Begriff „die Mitte“ ständig im Fluss. Und da es um die Summe der Meinungen geht, besitzt praktisch jeder Mensch sowohl mittige als auch nichtmittige Einstellungen. Es ist also noch nicht einmal möglich von einem einzigen Bürger, geschweige denn einer kompletten Partei, zu sagen, er stehe politisch „in der Mitte“.

      Auch da stimme ich Dir zu. Aber gerade die Unschärfe, der Spielraum in den Definitionen macht es erst möglich, dass Leute sich zugehörig fühlen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass, wenn ich Dir meine politischen Vorstellungen erläutern würde, Du eine Menge daran auszusetzen hast; wird umgekehrt vermutlich nichts anderes sein. Stefan Sasse und Stefan Pietsch würden uns beide belehren (wenn auch in teilweise entgegengesetzte Richtungen), und wir würden auch nur einem Teil zustimmen können, aber bei weitem nicht allem.

      Dennoch bewegen wir vier uns in einem gemeinsamen Rahmen, der eine Diskussion (und, auf Parteien übertragen, politische Kompromisse zur feinen Ausgestaltung der Details) erst möglich macht. Wenn Du diesen unscharfen, sich ständig leicht verändernden und wabernden Rahmen als eine Idee von gemeinsamer Ausgangsbasis begreifst, kannst Du genauso gut “Mitte“ dazu sagen. Ist einfach kürzer.

      Grüße von Mitte rechts 🙂
      E.G.

      • Ralf 2. November 2018, 10:05

        Wenn Du diesen unscharfen, sich ständig leicht verändernden und wabernden Rahmen als eine Idee von gemeinsamer Ausgangsbasis begreifst, kannst Du genauso gut “Mitte“ dazu sagen.

        Das ist ja genau mein Punkt. Ich habe kein Problem mit dem Begriff „Mitte“. Ich habe ein Problem mit einer einengenden Definition, die „die Mitte“ an der Meinung einer einzelnen Person zu drei willkürlich ausgewählten Themen festmacht und dann alle, die in einem dieser drei Themen anderer Meinung sind, ausserhalb der Mitte stellt.

        Die „Mitte“ ist ein sehr vager, unscharfer Begriff und wird das qua Natur auch bleiben müssen.

        • Erwin Gabriel 4. November 2018, 22:36

          @ Ralf 2. November 2018, 10:05

          Ich habe kein Problem mit dem Begriff „Mitte“. Ich habe ein Problem mit einer einengenden Definition, die „die Mitte“ an der Meinung einer einzelnen Person zu drei willkürlich ausgewählten Themen festmacht und dann alle, die in einem dieser drei Themen anderer Meinung sind, ausserhalb der Mitte stellt.

          Sorry, da hatte ich Dich falsch verstanden. Diesem Standpunkt von Dir kann ich gut zustimmen. Ich denke aber, dass Stefan Sasse es nicht so krass gemeint hat, sondern seine Thesen auch als eine Art Herantasten an das Problem bzw. den Begriff versteht. Ich zumindest hatte es als Versuch der Erklärung eines allgemeinen Funktionsprinzips aufgefasst, nicht als absolute Festlegung.

          es grüßt
          E.G.

      • Blechmann 4. November 2018, 14:12

        Es geht aber im Beitrag um die Deutsche Mitte, nicht um die europäische Mitte, insofern ist was Polen von der NATO hält eher irrelevant. Die polnische Mitte sieht wahrscheinlich anders aus als die deutsche Mitte.

        Der Witz ist doch bei der Definition, dass es Parteien der Mitte gibt (CDU/SPD/GRÜNE/FDP) und Parteien die nicht Mitte sind (LINKE/AfD). Also braucht es prinzipielle Unterscheidungsmerkmale. Eigenschaften die LINKE und AfD haben und der Rest nicht. Nicht irgendein Kleinkram sondern wesentliche Standpunkte, Wesensmerkmale.

        Die NATO-Mitgliedschaft ist für Deutschlands Außenpolitik entscheidend uns insofern ein gutes Kriterium. Wobei es nicht wichtig ist, was der Bürger davon hält, denn es geht doch um die „mittigkeit“ der Parteien im Parteienspektrum, nicht verglichen mit den Ansichten der Bürger.

        Die USA hat bspw. im Ansehen der Bürger wegen Trump sehr verloren, insofern hätte die Mitte sich hier verschoben, aber in der Politik der Parteien spielt das bisher keine große Rolle.

        • Ralf 4. November 2018, 15:29

          Wobei es nicht wichtig ist, was der Bürger davon hält, denn es geht doch um die „mittigkeit“ der Parteien im Parteienspektrum

          Das weise ich entschieden zurück. Bei der Frage nach der politischen Mitte in Deutschland geht es um Einstellungen und Meinungen der Bürger, nicht der Parteien, obwohl es da natürlich wenig überraschend signifikanten Überlapp gibt.

          Nehmen Sie beispielsweise mal das Thema Afghanistankrieg. Alle Parteien der Mitte haben da im Großen und Ganzen zugestimmt, aber die Bevölkerung war jahrelang konstant mit deutlichen Mehrheiten dagegen. Wollen Sie mir im Ernst erzählen, die Unterstützung für diesen Krieg sei eine Position der politischen Mitte in Deutschland? Nein, das ist die Position einer Parteienkoalition, die sich außerhalb des bundesrepublikanischen Konsenses gestellt hat. In analogen Fällen, bei denen die LINKE oder die AfD außerhalb des bundesrepublikanischen Konsenses steht, würde man von extremistischen Randpositionen sprechen.

          Der Witz ist doch bei der Definition, dass es Parteien der Mitte gibt (CDU/SPD/GRÜNE/FDP) und Parteien die nicht Mitte sind (LINKE/AfD). Also braucht es prinzipielle Unterscheidungsmerkmale.

          Ich unterstelle, dass das nicht das Ergebnis einer Analyse, sondern die a priori feststehende Prämisse für diesen Beitrag war. Ich behaupte Stefan Sasse hat von vornherein festgelegt, dass LINKE und AfD nicht zur Mitte gehören, die Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne aber schon. Und hat dann willkürlich nach irgendwelchen Themen gesucht, bei denen er selbst und die – per definitionem „Parteien der Mitte“ – einen Konsens haben. Damit kann er sich dann erstens selbst rühmen der Mitte anzugehören. Und zweitens begründen, warum die LINKE und die AfD draußen bleiben müssen. Im Zirkelschluss halt. Die prinzipiellen Unterscheidungsmerkmale zwischen „Rand“ und „Mitte“, die Sie einfordern, existieren nicht. Zumindest nicht, wenn man objektive Kriterien anlegt. Die Grenzen zwischen „Rand“ und „Mitte“ sind vielmehr schwammig. So sind die ganzen Extremisten der AfD ja nicht aus dem Nichts zu uns gestoßen. Gauland, Steinbach und Konsorten waren früher in der CDU. Selbst Björn Höcke kommt ursprünglich aus der Jungen Union. Die SPD hingegen hat so Typen wie Sarrazin und Clement.

          • Blechmann 7. November 2018, 19:21

            „Bei der Frage nach der politischen Mitte in Deutschland geht es um Einstellungen und Meinungen der Bürger, nicht der Parteien“

            Dann machen aber die im Artikel genannten Maßstäbe keinen Sinn. Denn die Meinung der Bevölkerung ist eine andere als die der Parteien. Beispielsweise beim Bekenntnis zu HartzIV in der gegenwärtigen Form.

            http://www.spiegel.de/forum/wirtschaft/umfrage-grosse-mehrheit-will-hartz-iv-grundlegend-aendern-thread-734329-1.html
            ((Sechs von zehn Menschen in Deutschland wollen das Ende von Hartz IV.))

            So gesehen wäre dann die LINKE eine Partei der Mitte, CDU und SPD aber nicht. Es gibt da einen schönen Spruch: „Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden“. Die politische Mitte ist der politische Standpunkt der Eliten. Insofern denke ich schon, dass es Sinn macht, die politische Mitte nach den Standpunkten der Parteien zu verorten.

            Der Afghanistankrieg ist eine Art symbolischer Treuebeweis von Vasallenstaat an Führungsmacht. Da man die Beziehung von Deutschland zu USA offiziell als Bündnis unter Gleichen, wenn nicht gar Freundschaft, darstellt, macht der natürlich so nicht allzu viel Sinn.

            „Ich behaupte Stefan Sasse hat von vornherein festgelegt, dass LINKE und AfD nicht zur Mitte gehören, die Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne aber schon.“

            Natürlich. Das ist doch allgemein Konsens oder nicht? Die Frage ist, ob es möglich ist, allgemeine Kriterien aufzustellen nach denen sich das begründen lässt.

            • Ralf 8. November 2018, 09:10

              Die Frage ist, ob es möglich ist, allgemeine Kriterien aufzustellen nach denen sich das begründen lässt.

              Das ist keine Frage. Irgendwelche hanebüchenen Argumente lassen sich immer an den Haaren herbeiziehen und sie sind ja auch hier an den Haaren herbeigezogen worden. Aber dann ist die ganze Analyse völlige Zeitverschwendung. So wie Sie das ja auch schrieben, könnte ein Gegenautor dann einfach andere Argumente an den Haaren herbeiziehen, die belegen, dass die LINKE die einzige Partei der Mitte ist. Oder jede andere beliebige Partei. Der objektive Erkenntnisgewinn bei diesem Ansatz ist Null.

              • Blechmann 9. November 2018, 10:29

                Schon, aber das ist doch bei jeder Diskussion so, die sich nicht um Naturwissenschaften dreht.

                • Ralf 9. November 2018, 23:30

                  Ich weiss nicht, ob das so stimmt. Es lassen sich zumindest Definitionen für die politische Mitte finden, die nicht völlig willkürlich sind.

                  Man könnte z.B. eine historische Definition nehmen, bei der die Mitte relativ zum etablierten Links-Rechts-Spektrum definiert wird. Das Problem für Stefan Sasse ist dann, dass die LINKE gute alte Sozialdemokraten sind und nicht mehr ausserhalb der Mitte fallen.

                  Man könnte sich an der neuen Polarität des politischen Spektrums orientieren, bei dem die Grünen das eine Extrem (pro-europäisch, pro Migration, international, progressiv) und die AfD das andere Extrem (anti-europäisch, anti Migration, nationalistisch, rückständig) darstellen. Das Problem für Stefan Sasse ist, dass dann mindestens die CSU, wahrscheinlich auch die FDP aus der Mitte rausfallen und die Grünen als „extremer Pol“ ebenfalls.

                  Oder man definiert die Mitte strikt anhand von Meinungsumfragen mit einer umso mittigeren Position, je mehr Überschneidungen man mit der Volksmeinung hat. Das Problem für Stefan Sasse ist dann, dass die FDP definitiv nicht Teil der Mitte ist und wahrscheinlich die Grünen und die CSU auch nicht wirklich.

                  Aber alle diese Methoden wären ehrlicher und konsequenter als einfach eine willkürliche und unlogische Kombination an politischen Themen gezielt so auszuwählen, dass man das gewünschte Ergebnis bekommt.

                  • Stefan Sasse 10. November 2018, 14:16

                    Ich glaube, du missverstehst meine Absichten. „Mitte“ ist nicht „der natürliche Ort, an dem gute Politik gemacht wird“. Es kann durchaus sein, dass die nicht Mitte-kompatiblen Positionen der AfD oder LINKEn besser sind als die Ideen der Mitte. Nur sind sie halt nicht Mitte.

                    • Ralf 10. November 2018, 17:10

                      „Mitte“ ist nicht „der natürliche Ort, an dem gute Politik gemacht wird“

                      Das wird allgemein anders gesehen.

                      Wer nicht in der „Mitte“ steht, steht am Rand. Und vom Rand – wie wir wissen – kommt nichts Gutes.

                      Das Problem bei Dir ist aber nicht das Ergebnis Deiner Analyse (mit einem enttäuschenden Ergebnis muss man halt leben, wenn’s nunmal so ist), sondern dass Deine Definition von „Mitte“ inkonsistent, willkürlich und unlogisch ist. Und sie hat den fundamentalen Fehler, sich ausschliesslich auf die ideologische Ausrichtung von selektiv ausgewählten Parteien zu willkürlichen Themen, statt auf die ideologische Ausrichtung der Bürger allgemein zu beziehen. Würde man eine sinnvollere Definition anwenden, z.B. die Mitte so definieren, dass sie das Set derjenigen Meinungen darstellt, die in der Bevölkerung eine signifikante Mehrheit besitzen, würde Deine „Parteienkoalition der Mitte“ auseinander fallen. Es gibt nämlich keine Mehrheit für Steuersenkungen für Wohlhabende (tschüss Ein-Themenpartei FDP). Es gibt auch keine Mehrheit für Hetze gegen Flüchtlinge (tschüss CSU). Es gibt allerdings auch keine Mehrheit für eine fortschreitende Integration der EU (tschüss Grüne). Dann bleiben CDU und SPD mit ihrem unideologischen Wischi-Waschi-Kurs, der zumindest meist irgendwie dem Willen der Menschen hinterherhinkt, die einzigen Parteien der Mitte. Kann man so sehen, wenn man möchte. Wäre zumindest argumentativ konsequent.

                    • Stefan Sasse 11. November 2018, 10:28

                      Du kriegst in der Bevölkerung auch Mehrheiten für die Todesstrafe. Ich gehe von den Parteien im Bundestag aus, nicht von den inkonsistenten Positionen der Umfragen in der Bevölkerung. DAS ist Wischi-Waschi.

                    • Ralf 11. November 2018, 11:57

                      Naja, als wären die Positionen der etablierten Parteien so konsistent („Madame Non“ und anschliessend Griechenlandrettung; Ausstieg aus dem Atomausstieg und anschliessend Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomausstieg etc.) …

                      Aber Spass beiseite, wenn eine signifikante Mehrheit der Deutschen die Todesstrafe befürworten würde, dann wäre das natürlich eine Position der Mitte. Das ist eben das Problem, wenn man bei einem Argument objektive Maßstäbe anlegt, anstatt sich wie bei Dir hier willkürlich Selektionskriterien rauszugreifen, damit bei der Analyse dann auch schön das rauskommt, was man zuvor bei der Planung festgelegt hatte. Wer objektiv und ergebnisoffen untersucht, bekommt am Ende möglicherweise ein Ergebnis, das er nicht mag.

                      Aber vielleicht sollte ich klarer darlegen, was ich mit „signifikanten Mehrheiten“ meine. Eine signifikante Mehrheit ist eine deutliche, stabile, in der Gesellschaft tief verankerte Mehrheit. Das ist nicht eine knappe Mehrheit, die seit Jahren zwischen 49% und 51% pendelt und gerade nur in einer Momentaufnahme, die 50% überschritten hat (siehe z.B. das Brexitreferendum). Das ist nicht eine anlassbezogene Mehrheit (wenn Du also einen Tag nach einem in den Medien berichteten Kindermord eine Umfrage zur Todesstrafe machst). Das ist eine Mehrheit, die bereits langfristig Bestand hat und nicht erst gestern zur Mehrheit wurde. Und es ist eine Mehrheit, bei der die meisten Menschen eine Meinung zum Thema haben.

                      Wenn Du diese Maßstäbe anlegst, kann von einer signifikanten Mehrheit für die Todesstrafe in Deutschland keine Rede sein. Aber Du wirst Mehrheiten für das parlamentarische System, für die Demokratie, für den Rechtsstaat, für die Pressefreiheit, für den Sozialstaat und so weiter bekommen. Das ist die Mitte in Deutschland.

                      Was die Parteien an konkreten Ausgestaltungen und politischen Programmen durchsetzen, ist manchmal Mitte und manchmal nicht. CDU, SPD und immer mehr auch die Grünen liegen noch am ehesten in dieser Mitte. FDP, AfD und LINKE, und seit neuerer Zeit auch die CSU, vertreten die Positionen ihrer Randklientel; Positionen, die weitestgehend nicht mehrheitsfähig sind.

                      Wenn man Deine Fokussierung auf Parteien anstatt auf die Bürger Ernst nimmt, dann wird der Afghanistankrieg zum Projekt der Mitte, obwohl ihn eine klare Mehrheit in Deutschland ablehnt. Dann wird der Brexit in Grossbritannien zum Projekt der Mitte, weil die beiden grossen Parteien dafür sind, obwohl eine knappe Mehrheit derzeit wohl lieber in der EU bliebe. Dann wird die Verhinderung schärferer Waffengesetze in den USA zum Projekt der Mitte, obwohl sich grosse Mehrheiten in der Bevölkerung eine solche Verschärfung wünschen. Das ist eine Position, die argumentativ nicht haltbar ist. So darf man „Mitte“ nicht definieren.

                    • Erwin Gabriel 11. November 2018, 20:02

                      @ Ralf 11. November 2018, 11:

                      Aber Spass beiseite, wenn eine signifikante Mehrheit der Deutschen die Todesstrafe befürworten würde, …

                      Guter Beitrag, hat mich zum Nachdenken gebracht.
                      Danke

                  • Stefan Pietsch 11. November 2018, 12:56

                    Stefan bietet eine Definition der Zuordnung und kommt zu einem Ergebnis, das die Parteien sortiert. Sie entwickeln drei Definitionen und das Ergebnis ist bezogen auf Ihre bevorzugte Partei wie die von Ihnen abgelehnte Partei stets gleich. Sie wollen dabei nicht bemerken, dass an Ihrer Interpretation mindestens zwei Merkmale absolut falsch sein müssen. Erstens: Wer so argumentiert, dass er immer unter allen Umständen Recht hat, liegt falsch. Zweitens: Parteien der Mitte werden so genannt, weil sie die überragende Mehrheit des Wählerspektrums abbilden und als potentiell wählbar angesehen werden. Hier weisen LINKE und AfD große Schnittmengen auf, nicht jedoch beispielsweise LINKE und FDP. Bei der regelmäßig erhobenen Frage, „Können Sie sich vorstellen, diese Partei zu wählen?“ Kommen die Liberalen traditionell auf Werte zwischen 40 und 50 Prozent, die LINKE jedoch nur auf 20-30 Prozent. Das eine sind in der Demoskopie normale Werte, das andere signalisiert breite Ablehnung.

                    Sie wollen ebenso nicht wahrhaben, dass die Schwesterparteien der LINKEN gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten, den Schwesterparteien der AfD, nach Wahlen machen. So geschehen in Griechenland und Italien. Auch in Frankreich tendierte der im ersten Wahlgang gescheiterte Jean-Luc Mélenchon eher zu Marine LePen, statt dem von breiter Mehrheit getragenen Macron. Dazu kommen die breiten Schnittmengen im Wählerspektrum der populistischen Parteien und die Liebe zu Autokraten wie Putin. So haben beide Wählergruppen die gleichen negativen Einstellungen zu Zukunftserwartungen und sind ähnlich nationalistisch gesinnt – im Gegensatz zum Durchschnitt der Bevölkerung.

                    Sie verweisen darauf, dass die LINKE die alte Sozialdemokratie sei. Woher Sie das wissen wollen und wie Sie auf den Anspruch kommen, erschließt sich nicht. Sowohl Schmidt als auch Schröder lehnten die LINKE mit ihren absonderlichen Ansichten auf Außenpolitik wie Wirtschaft ab. Sie waren neben der vergleichsweise kurzen Kanzlerschaft von Willy Brandt die einzigen, die der Sozialdemokratie Mehrheiten verschafften. Wenn Sie dagegen die SPD meinen, die in der Nachkriegsära eher sektiererische Elemente hatte, haben Sie in manchen Punkten recht. Kommt also darauf an, welche Sozialdemokratie Sie meinen.

                    Jedenfalls kann der Großteil der von Anfang der Siebzigerjahre bis Anfang der Nullerjahre prägenden Figuren der SPD nichts mit der LINKEN anfangen: kein Dohnanyi, kein Vogel, kein Engholm, kein Scharping, kein Eichel. Und nur ein sehr geringer Teil der SPD-Wähler ist in den vergangenen 15 Jahren zur LINKEN gegangen. All das stützt nicht Ihre doch sehr schwer nachvollziehbaren Positionen.

                    Zum Abschluss ein Wort zu der von Ihnen verfemten FDP: Wie ausgerechnet eine Partei, die von führenden Köpfen in der Wirtschaft, von jungen Unternehmensgründern in Berlin, Hamburg und München und Gut- aber oft nicht bestens verdienenden Menschen getragen wird, „extremistisch“ sein soll, aber eine Partei, die von den Rändern der Gesellschaft, Arbeitslosen, Arbeitern mit geringem Einkommen, Idealisten bevorzugt wird, mittig sein soll, bleibt wohl immer Ihr Geheimnis.

                    • Ralf 11. November 2018, 13:48

                      Wer so argumentiert, dass er immer unter allen Umständen Recht hat, liegt falsch.

                      Wer so argumentiert, dass er immer unter allen Umständen Recht hat, hat möglicherweise tatsächlich einfach Recht … 😀

                      Sie entwickeln drei Definitionen und das Ergebnis ist bezogen auf Ihre bevorzugte Partei wie die von Ihnen abgelehnte Partei stets gleich.

                      Das haben Sie falsch verstanden und ist oben auch nochmal deutlicher von mir herausgearbeitet worden. Die LINKE wäre nicht Teil der Mitte, wenn – und das ist mein präferierter Ansatz – signifikante Mehrheiten bei Meinungsumfragen (Definition siehe oben in meiner Antwort auf Stefan Sasse) in der Bevölkerung zum entscheidenden Kriterium gemacht werden. Dann allerdings sind auch FDP, CSU und AfD nicht Teil der Mitte und die Grünen sind so halbwegs auf der Kippe …

                      Sie wollen ebenso nicht wahrhaben, dass die Schwesterparteien der LINKEN gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten, den Schwesterparteien der AfD, nach Wahlen machen.

                      Das ist bei Konservativen ja nicht anders. In Österreich regiert nun bereits zum zweiten Mal die ÖVP mit der extremistischen FPÖ. In Grossbritannien haben die Tories eine Koalition mit der DUP gebildet. Schon Hitlers NSDAP kam nur an die Macht in einer Koalition mit der DNVP und die konservative Zentrumspartei gab grünes Licht zum Ermächtigungsgesetz.

                      Im übrigen sehe ich nicht, inwiefern das Koalitionsverhalten von Parteien ausserhalb Deutschlands bei der Definition der politischen Mitte innerhalb Deutschlands hilfreich ist.

                      Hier weisen LINKE und AfD große Schnittmengen auf, nicht jedoch beispielsweise LINKE und FDP.

                      In der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik weisen FDP und AfD große Schnittmengen auf. In diesen Bereichen haben übrigens SPD, Grüne und LINKE signifikante Überlappungen. Was schliessen wir jetzt daraus?

                      Sie verweisen darauf, dass die LINKE die alte Sozialdemokratie sei. Woher Sie das wissen wollen und wie Sie auf den Anspruch kommen, erschließt sich nicht. Sowohl Schmidt als auch Schröder lehnten die LINKE mit ihren absonderlichen Ansichten auf Außenpolitik wie Wirtschaft ab.

                      Schmidt hat nie als aktiver Politiker mit der LINKEN als Partei überlappt. Seine Meinung ist mir deshalb herzlich gleichgültig. Und Schroeder musste in der Folge seiner Politik erst als Parteivorsitzender zurücktreten, schmiss dann das Amt des Kanzlers weg mit der expliziten Begründung keine Unterstützung in der eigenen Fraktion mehr zu haben und verlor anschliessend die Bundestagswahl. Seine Partei liess er als Scherbenhaufen zurück. Mittlerweile erzielt die SPD sogar bei Landtagswahlen im Westen teilweise einstellige Ergebnisse und im Bund ist noch nicht einmal mehr der Platz 2 sicher. Also Gerhard Schroeders Meinung ist mir im Bezug auf diesen Niedergang auch nicht besonders wichtig. Ansonsten fällt Ihnen auch nur die Liga der Parteigreise ein (Hans-Jochen Vogel ist 92 Jahre alt, Björn Engholm ist 79 Jahre alt, Rudolf Scharping ist 71 Jahre alt, Hans Eichel ist 77 Jahre alt und Klaus von Dohnanyi ist 90 Jahre alt). Keiner von denen betreibt noch aktive Politik. Deren Meinung ist für die politische Zukunft Deutschlands folglich auch nicht gerade extrem relevant …

                      Kommt also darauf an, welche Sozialdemokratie Sie meinen.

                      Ich meine die prä-Schroeder-SPD. Die hatte deutliche inhaltliche und programmatische Überlappungen mit der heutigen LINKEN (also der Partei, die 2007 aus dem Zusammenschluss der PDS mit der WASG hervorging), was auch nicht verwunderlich ist, denn annähernd 100% der WASG-Mitglieder kamen entweder von den Sozialdemokraten oder von den Gewerkschaften und der erste Vorsitzende der LINKEN war der ehemalige Vorsitzende der SPD.

                      Wie ausgerechnet eine Partei, […] bleibt wohl immer Ihr Geheimnis.

                      Da ich meine Definition der Mitte ja dargelegt habe – sogar drei mögliche Definitionen – bleibt das eigentlich nicht mein Geheimnis, sondern ist recht einfach nachlesbar.

                    • Stefan Sasse 11. November 2018, 20:04

                      „Die Bevölkerung“ hat überhaupt keine konsistenten Positionen. Das kannst du nicht als Maßstab nehmen.

                    • Stefan Sasse 11. November 2018, 19:35

                      Öhm…das stimmt so nicht. FDP und LINKE unterscheiden sich in „können Sie sich vorstellen zu wähhlen“ nicht signifikant. Ausreißer sind nur SPD (nach „ja“) und AfD (nach „nein“).

                    • Stefan Pietsch 12. November 2018, 01:55

                      Wer so argumentiert, dass er immer unter allen Umständen Recht hat, hat möglicherweise tatsächlich einfach Recht …

                      Sie sind zu klug und mathematisch gebildet für so eine Überzeugung. Wenn Sie an einer Gleichung mehrere Parameter verändern, muss das Ergebnis anders ausfallen. Sie haben manipuliert, wenn Sie immer zum gleichen Ergebnis kommen. Selbst Anwälte wählen rhetorisch andere Strategien.

                      Die LINKE wäre nicht Teil der Mitte, wenn (..) signifikante Mehrheiten bei Meinungsumfragen (..) in der Bevölkerung zum entscheidenden Kriterium gemacht werden.

                      Sehr abstrakt und deswegen untauglich wegen zu vieler „Wenn / Dann-Formeln“. Sowohl Einstellungen (Zukunftspessimismus) als auch die breite Ablehnung in der Wählerschaft führen zur Ablehnung Ihrer Theorie. Worauf Sie natürlich wieder eine Theorie haben (DDR und so).

                      Das ist bei Konservativen ja nicht anders.

                      Rechtspopulisten konstituieren sich – spiegelbildlich zu den Linkspopulisten – aus einer Melange von konservativen Nationalisten und Arbeiter- und Arbeitslosenmilieus. Die eine Seite nimmt den Konservativen Parteigänger und Wähler weg, die andere dem linken Proletariat. Diese Verbindung geschickt zusammengebunden kann Wahlen gewinnen, so in den USA unter Trump oder in Frankreich fast mit Marine LePen. In Österreich haben sich die Konservativen entschieden, den Kampf um die Nationalisten nicht aufzugeben und sie in der eigenen Partei einzubinden. In Deutschland geht die CDU den anderen Weg der klaren Abgrenzung. Es ist nicht entschieden, was auf Dauer erfolgreicher ist.

                      Die Einbindung der Nationalkonservativen war übrigens immer ein wesentlicher Grund für mich für die Ablehnung der konservativen Parteien. Ich stehe diesen Milieus zu fern um eine parteipolitische Nähe zu entwickeln trotz zunehmend gesellschaftspolitischem Konservatismus.

                      Die andere, auf den zweiten Blick natürliche Verbindung ist eben das, was wir sehen: Rechts- und Linkspopulisten gehen zusammen. Nicht von ungefähr hat die LINKE seit ihrer Gründung die SPD zum parteipolitischen Gegner erklärt und nicht die Union. Ähnlich war es in Frankreich.

                      In Deutschland können Sie sehen, wie sich das Lager von Wagenknecht der AfD annähert. Lafontaine stand schon immer dort. Und die Wählerschaft der LINKEN mehrheitlich auch. Sie werden sich irgendwann entscheiden müssen, ob Ihnen Liberalität in europapolitischen und Migrationsfragen wichtiger ist oder Ihr sozialer Habitus. Beides zusammen werden Sie (ähnlich wie ich in wirtschaftspolitischen versus gesellschaftspolitischen Positionen) nicht in einer Partei finden.

                      In der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik weisen FDP und AfD große Schnittmengen auf.

                      Nein. Sie machen es sich viel zu einfach. Rechtspopulisten verfolgen meist Konzepte der Wirtschaftssteuerung. Schauen Sie mal Ideen der AfD im Osten an. Das steht dem Wirtschaftsliberalismus diametral entgegen. Die AfD wurde im Osten zur zweitstärksten Partei, weil sie ähnliche Wirtschaftskonzepte wie die LINKE vertritt. Dort sind FDP wie Grüne seit Jahrzehnten ohne Rückhalt.

                      Helmut Schmidt war bis zu seinem Tod einflussreich in der SPD. Und schließlich haben Sie behauptet die LINKE sei die alte Sozialdemokratie. Ich halte übrigens nichts davon, Tote für die eigene Sache zu vereinnahmen. Das zeigt wenig Respekt vor Menschen, die sich nicht mehr wehren können. Sie behaupten etwas und lehnen jeden Zeugen für Ihre These ab. Schwierig.

                      Ich meine die prä-Schroeder-SPD.

                      Sie meinen die SPD, die bei Wahlen, sowohl bundesrepublikanisch als auch regional, besonders erfolglos war. Sie meinen die klassische Oppositionspartei. Geschenkt, können Sie haben.

                      Da ich meine Definition der Mitte ja dargelegt habe – sogar drei mögliche Definitionen – bleibt das eigentlich nicht mein Geheimnis, sondern ist recht einfach nachlesbar.

                      Ja, wo Sie beweisen wollten, nichts von Logik und Mathe zu verstehen. 😉 Weshalb sollte ich das überzeugend finden?

                    • Floor Acita 12. November 2018, 06:33

                      „Sie werden sich irgendwann entscheiden müssen, ob Ihnen Liberalität in europapolitischen und Migrationsfragen wichtiger ist oder Ihr sozialer Habitus. Beides zusammen werden Sie[…] nicht in einer Partei finden.“

                      a) deshalb werden ja letztendlich Koalitionen gebildet
                      b) das ist genau das Problem der (heutigen/traditionellen) Parteien – das wäre nämlich genau die Mitte. Die wirtschaftliche Entwicklung des späten 20. / des frühen 21. Jahrhunderts insbesondere das Internet und die nun anstehenden Wellen der Digitalisierung werden (von alleine) weder eine breitere Verteilung an Einkommen, noch ein Zurückdrängen internationaler Verflechtungen, internationalen Handels, internationaler Kultur fördern – beides ganz im Gegenteil. Die gut gebildete, international vernetzte, kulturell diverse, „mixed race“, „open minded“ Arbeiterklasse, „blue collar“, abhängig Beschäftigte mit niedrigen bis Schwellenlöhnen wird größer und größer und größer und schreit nach politischer Vertretung… Und keine Partei scheint bereit zu stehen diese Leute in Ihren Reihen Willkommen zu heißen…

                    • Stefan Pietsch 12. November 2018, 14:20

                      Das ist genau das Problem der (heutigen/traditionellen) Parteien – das wäre nämlich genau die Mitte.

                      Ich würde mir manchmal wünschen, es wäre Ihnen und Ralf möglich, kritische Distanz zur eigenen Position zu finden. Schließlich ist das etwas, was an Universitäten gelehrt wird. Sie beide neigen dazu, die eigene Warte zu verallgemeinern. Es ist mitnichten so, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen sehr liberal zur Zuwanderung steht. Mehrheitsfähig ist in dieser Frage eine Position irgendwo zwischen rechts von Merkel bis zur AfD, wobei den meisten deren Tonalität kräftig missfällt.

                      Zwar mögen die meisten jungen Menschen eine liberale Einstellung pflegen – das war eigentlich immer so (wie originell) – aber: diese Gruppe ist aufgrund der jahrzehntelangen Geburtenschwäche sehr klein.

                      Die große Mehrheit ist sehr sozial eingestellt und Markt und Unternehmen gegenüber skeptisch. Hier liegt ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zu den Menschen in Nordamerika und im angelsächsischen Raum. Ein weiterer Punkt, wo Ralfs universelle Kategorisierung scheitert.

                    • Stefan Sasse 12. November 2018, 16:09

                      Da muss ich Stefan zustimmen – in der Bevölkerungsmehrheit ist irgendwo zwischen Merkel und AfD sicherlich konsensfähiger als zwischen Merkel und Grünen. Aber who cares? Die Wähler wählen Parteien mit Programmen, und die schließen Koalitionen. Wir regieren nicht per Plebiszit.

                    • Stefan Pietsch 12. November 2018, 14:38

                      Je nach Legislatur erntet die FDP bei der Frage, ob man sich vorstellen könne, diese oder jene Partei zu wählen, besagte Werte. Die LINKE erntet bei dieser hypothetischen Frage stets die geringste Zustimmung. Das geht nun seit 2005 so, seit dem ich die Werte beobachte.

                    • Stefan Sasse 12. November 2018, 16:09

                      Wie gesagt, die AfD hat DEUTLICH geringere Werte. Aber die LINKE hat unter den fünf anderen die gerinsten (zusammen mit den Grünen), das ist schon richtig. Ist aber „difference in degree, not in kind“.

    • Stefan Pietsch 2. November 2018, 09:33

      Oder denk mal daran, wie durch die Kürzung der Prozesskostenbeihilfe Arme vor Gericht ausgebremst werden sollten. Ich glaube das war ein Vorschlag der Bundesregierung in 2013. Ich erinnere mich nicht mehr, ob das wirklich Gesetz geworden ist, aber offen diskutiert worden, ist das schon. Und zwar mit der erklärten Absicht Geld einzusparen.

      Das ist eine sehr falsche Darstellung von Ihnen, wie in mehreren Punkten Ihres Kommentars. Tatsächlich beabsichtigte die Bundesregierung die Erhebung einer Gebühr bei den Sozialgerichten (heute für jedermann (!) kostenlos) von 75€. Diese Gebühr wäre jedoch von der Prozesskostenhilfe wieder übernommen worden, so dass sich für mittellose Kläger nichts geändert hätte. Bitte ziehen Sie relevante Informationen nicht aus Blogs, was sich auf anderem Wege leicht klären lässt.

      • Ralf 2. November 2018, 09:58

        Ich ziehe relevante Informationen nicht aus Blogs.

        http://www.taz.de/!5072307/

        • Stefan Pietsch 2. November 2018, 10:29

          In der Sache verstehe ich Ihre Kritik daran nicht. In dem damaligen Gesetzesentwurf von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ging es im wesentlichen um Familienrechtsangelegenheiten. In Fragen des Familienunterhalts können Mittellose ohnehin auf die Jugendämter zurückgreifen, in solchen Fällen fallen keine Gerichtskosten an. Und klar ist auch: nur Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen sollen auf staatliche Mittel zurückgreifen dürfen. Das würden zwei Drittel der Bevölkerung unterschreiben – womit wir beim Thema wären.

          Es ist seltsam: wenn der Staat als Fiskus rechtsstaatliche Regeln in elementarer Form verletzt, interessiert Sie das kein bisschen. Fragen der Verfassungsmäßigkeit des Solis, gezahlt von Besserverdienenden, lassen Sie kalt. Aber wenn ein Bedürftiger gezwungen wird zu überlegen, ob er eine staatliche Leistung wirklich benötigt, dann sind Sie Anwalt. Das ist der Punkt: Sie sind Anwalt, aber als solcher wenig in der Lage zu beurteilen, was ein durchschnittlicher Bürger, der nicht jeden Tag auf das Geld des Staates angewiesen ist (die übergroße Mehrheit) tatsächlich denkt.

          • Ralf 2. November 2018, 10:49

            Hier ein Video vom WDR, das aufzeigt, wie der damalige Gesetzesentwurf (ich hab jetzt nochmal nachrecherchiert. Ich glaube das ist nach Protesten so nicht Gesetz geworden) Geringverdiener ganz konkret in ihren Lebenssituationen getroffen und rechtlich ausgebootet hätte. Wohlgemerkt Menschen, die ihr Verfahren gewonnen hätten.

            https://m.youtube.com/watch?v=pQSrlWV2DP4

            Und ja, ich habe in der Tat mehr Mitleid mit Geringverdienern, die (natürlich indirekt, aber nichtsdestotrotz de facto) von elementaren Bestandteilen des Rechtsstaats ausgeschlossen werden sollen. Mit Wohlhabenden hingegen, denen es heute wirtschaftlich besser geht als jemals zuvor in der BRD, und die aus meiner Sicht wesentlich mehr, nicht weniger, Steuern zahlen sollten, habe ich sehr viel weniger Mitleid. Wir haben so viele Probleme im Land. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags hat im Augenblick eine ausgesprochen geringe Priorität für mich und sollte aus meiner Sicht auch nur dann stattfinden, wenn an anderer Stelle die Steuern für Wohlhabende deutlich erhöht werden.

            • Stefan Pietsch 2. November 2018, 11:14

              Ihnen sollte aufgefallen sein, dass es dem Report an jeder Objektivität fehlt. Aufgezogen aus der Perspektive von zwei Geringverdienern unterlegt mit der Position von zwei spezialisierten Fachanwälten ist der Beitrag eine Meinung.

              Fakt ist – daran kann kein Gesetz wirklich etwas ändern: wer keine Mittel für ein rechtsstaatliches Verfahren mit Erfolgsaussichten hat, erhält staatliche Unterstützung. Allerdings: auch Geringverdiener (nicht Mittellose) müssen für die von ihnen verursachte Kosten aufkommen.

              Wohlgemerkt Menschen, die ihr Verfahren gewonnen hätten.

              Eine solche Aussage können Sie machen. Ein seriöser Anwalt tut das nicht. Der Ausgang eines Rechtsverfahrens lässt sich selten genau absehen.

              Mit Wohlhabenden hingegen, denen es heute wirtschaftlich besser geht als jemals zuvor in der BRD

              Das darf ja nie fehlen… Tatsächlich sind, das wurde gleich zu Beginn des Beitrags gesagt, vor dem Recht alle gleich. Ein rechtsstaatsbewusster Bürger weiß das – und achtet das. Und dabei geht es nicht um Mitleid. Die Mitte der Gesellschaft will keinen Staat, der nach Mitleidsaspekten handelt.

              Wir haben so viele Probleme im Land.

              Ein Null-Argument, weil es immer und zu allen Zeiten gilt. Wenn wir in Deutschland, einem der begehrtesten, reichsten, wohlhabendsten Land mit einer sehr zufriedenen Bevölkerung das schon als Argument anführen müssen, dann ist es um die Debattenkultur arm bestellt.

              Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags hat im Augenblick eine ausgesprochen geringe Priorität für mich

              Gegenfrage: wann hätte es denn eine hohe Priorität für Sie? Wenn Sie ehrlich sind, lautet die Antwort: nie. Also ist das doch gar nicht relevant in der Debatte, Ihre Position ist, Besserverdienende können immer noch mehr Steuern zahlen. Nichts anderes vertreten Sie. Auch das ist nicht gerade eine mittige, weil mehrheitsfähige Position. Aus dieser Warte ist es schwer zu beurteilen, was Mitte ist.

              • Ralf 2. November 2018, 11:43

                Gegenfrage: wann hätte es denn eine hohe Priorität für Sie?

                Sollte parallel ein Steuerpaket beschlossen werden, bei dem Wohlhabende zunächst einmal um genau den Betrag belastet werden, den sie der Solidaritätszuschlag gegenwärtig kostet, könnten wir den Soli gerne abschaffen.

                Ihnen sollte aufgefallen sein, dass es dem Report an jeder Objektivität fehlt. Aufgezogen aus der Perspektive von zwei Geringverdienern unterlegt mit der Position von zwei spezialisierten Fachanwälten ist der Beitrag eine Meinung.

                Der Report enthält auch noch die Meinung eines ehemaligen Bundesinnenministers.

                Und die Gegenseite ist um ein Interview gebeten worden und hat abgelehnt. Die schriftliche Erklärung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger (ich hoffe, ich habe den Namen richtig geschrieben), die stattdessen vorgelegt worden ist, ist im Report verlesen worden. Inhalt: Es gibt kein Problem.

                Welche Perspektive vermissen Sie?

                Eine solche Aussage können Sie machen. Ein seriöser Anwalt tut das nicht. Der Ausgang eines Rechtsverfahrens lässt sich selten genau absehen.

                In diesen Fällen lässt sich die Aussage durchaus machen, denn die Betroffenen haben ihre Klagen ja gewonnen. Hätte sich der Gesetzesentwurf der damaligen Bundesjustizministerin durchgesetzt, hätten beide Betroffene garnicht erst geklagt, weil sie es sich nicht hätten leisten können.

                Tatsächlich sind, das wurde gleich zu Beginn des Beitrags gesagt, vor dem Recht alle gleich. Ein rechtsstaatsbewusster Bürger weiß das – und achtet das. Und dabei geht es nicht um Mitleid.

                Natürlich geht es nicht um Mitleid, aber Sie hatten ja nach meinem persönlichen Interesse gefragt, weshalb ich mich zum Anwalt von Geringverdienern aber nicht von Wohlhabenden mache und darauf hatte ich Ihnen geantwortet. Genauso wie Sie habe auch ich politische Prioritäten.

                Ein Null-Argument, weil es immer und zu allen Zeiten gilt.

                Nein, das gilt nicht für alle Zeiten. Würden wir auf zwei Jahrzehnte zurückblicken, in denen sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geschlossen hat und Ärzte, Apotheker und Anwälte trotz aufwändigen Studiums am Ende kaum noch mehr in der Tasche haben als ungelernte Verkäufer und Putzfrauen, hätten wir allen Grund, die Steuerbelastung so zu modifizieren, dass ein vetretbarer Einkommensabstand wieder hergestellt wird. Allerdings ist die gegenwärtige Entwicklung eine völlig andere. Reiche werden immer reicher und Arme immer ärmer. Unsere Schulen verfallen. Kita-Plätze fehlen. Bei der Integration von einer Million Menschen stehen wir immer noch recht am Anfang, auch wenn es ein paar erfreuliche Signale gibt. Wohnraum wird immer unbezahlbarer. Wir brauchen also viel mehr Engagement im sozialen Wohnungsbau. Die Digitalisierung drängt. Der Klimawandel drängt. Aber in gefühlt jedem zweiten Kommentar von Ihnen ist die Abschaffung des Solidaritätszuschlages das allergrößte Problem der Republik. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber da können Ihnen 95% der Bürger des Landes nicht folgen …

                • Stefan Pietsch 2. November 2018, 12:32

                  Sollte parallel ein Steuerpaket beschlossen werden, bei dem Wohlhabende zunächst einmal um genau den Betrag belastet werden, den sie der Solidaritätszuschlag gegenwärtig kostet, könnten wir den Soli gerne abschaffen.

                  Ihnen ist bekannt, dass der Soli eine Sonderabgabe ist, bestimmt für genau umrissene Zwecke. Dieser Zweck fällt spätestens 2019 offiziell weg. Sie hatten wohl 1993 nichts dagegen, als der Zuschlag erhoben wurde. Eigentlich wäre es nur konsequent, jetzt dafür zu sein, dass er abgeschafft wird. Wir haben 1993 genau hingesehen (und danach) wen es trifft. Folglich müssen wir jetzt diesen Leuten entgegen kommen. Wie wollen Sie zukünftig noch die (finanziellen; soviel Entgegenkommen 😉 ) Leistungsträger dafür gewinnen, bei außerordentlichen Aufgaben mehr zu leisten – wenn Sie Ihre Zusagen nicht einhalten?

                  Der Report enthält auch noch die Meinung eines ehemaligen Bundesinnenministers.

                  Nicht wirklich. Was verstehen Sie denn unter Objektivität?! Gerhard Baum war 1778 (oder so) Bundesinnenminister, also vor 40 Jahren. Den kennt fast niemand. Zudem agiert er als Anwalt pro Anklage. Eine objektive Darstellung hätte damit begonnen, wie Gerichte mit Sozialklagen überlastet sind. Sie hätte aufgezeigt, dass solche Klagen überproportional von Geringverdienern eingereicht werden und von solchen, die nicht selber zahlen. Es hätte die tatsächlichen Kosten benannt. So stören Sie sich nicht daran, dass eine Eigenheimbesitzerin Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt. Oder eine Erwerbstätige. Ein Arbeitsgerichtsverfahren verursacht ziemlich geringe Kosten und lässt sich zur Not sogar ohne Anwalt bestreiten, der Richter leitet. So können Sie schon mit 300-500 Euro Rechtskosten auskommen. Die auf 4 Jahre gestreckt, sind sicher keine unzumutbare Belastung. All das fehlt, dabei sind solche Angaben nicht irrelevant, um dem Zuschauer ein Gefühl zu vermitteln, worum es eigentlich geht.

                  Das einzige, was Sie richtig angeführt haben, ist damit der Name der ehemaligen Justizministerin. 🙂

                  In diesen Fällen lässt sich die Aussage durchaus machen, denn die Betroffenen haben ihre Klagen ja gewonnen.

                  Das wissen Sie aber nicht vorher, und nur aus der ante-Perspektive ist zu bewerten.

                  Hätte sich der Gesetzesentwurf der damaligen Bundesjustizministerin durchgesetzt, hätten beide Betroffene garnicht erst geklagt, weil sie es sich nicht hätten leisten können.

                  Auch das wissen Sie objektiv nicht.

                  (..) aber Sie hatten ja nach meinem persönlichen Interesse gefragt, weshalb ich mich zum Anwalt von Geringverdienern aber nicht von Wohlhabenden mache und darauf hatte ich Ihnen geantwortet.

                  Das ist ja der Punkt: Wenn Sie sich zum Anwalt von irgendjemanden machen, können Sie nicht gleichzeitig in Anspruch nehmen, die Dinge objektiv zu bewerten – noch sich darum zu bemühen. Wir diskutieren hier politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen. Ihre Glaubwürdigkeit ist erschüttert, wenn Sie stets und eindeutig Partei ergreifen, die berechtigten Interessen anderer – und sei es die von Unsympathen – geradezu verachten. Mich interessieren Bedürftige sehr wohl – und insbesondere, wie deren Lebensverhältnisse verbessert werden können. Das können Sie mir kaum bestreiten, auch wenn Ihnen meine Vorstellungen nicht behagen. Das Gleiche können Sie nicht von sich behaupten.

                  Reiche werden immer reicher und Arme immer ärmer.

                  Wieso ist der Spruch so alt, wenn das Problem doch so neu ist? Tatsächlich gilt dieser so – bezogen auf die Einkommensverhältnisse – nicht mehr so pauschal, seit es in Deutschland Vollbeschäftigung gibt. Zeit, das Argument anzupassen.

                  Unsere Schulen verfallen. Kita-Plätze fehlen./em>

                  Mein üblicher Reflex: Das hat Linke nicht gestört, als sie ihre Hand für Mütterrente und Rente mit 63 hoben. Das Argument hat jede Jungfräulichkeit und Ehrlichkeit verloren. Und das seit 2013.

                  Wohnraum wird immer unbezahlbarer.

                  Weil wir erstens meinen, jeder müsse in einer Großstadt leben und zweitens wir Politik und Bürokratie zugestehen, den Wohnraum durch ihre Baulandpolitik künstlich zu verknappen. Lassen Sie Private bauen wie sie wollen, verzichten Sie auf Grunderwerbsteuer und hohe Notarkosten – und Ihre Klage ist weitgehend Geschichte.

                  Wir brauchen also viel mehr Engagement im sozialen Wohnungsbau.

                  Wir haben Fehlbelegungen von weit über 80%. Der Staat kann niemals Wohnungen für Millionen Bürger bauen und dazu noch in besten Lagen. Die Überforderung ist immer der beste Weg in die Krise.

                  Aber in gefühlt jedem zweiten Kommentar von Ihnen ist die Abschaffung des Solidaritätszuschlages das aller größte Problem der Republik.

                  Äh, nein. Wenn Sie gut beobachten, so ist das eine Replik, wo wenig überzeugende und vor allem glaubwürdige Argumente kommen (siehe Investitionsstau).

                  • Ralf 2. November 2018, 14:05

                    dass der Soli eine Sonderabgabe ist, bestimmt für genau umrissene Zwecke. […] Eigentlich wäre es nur konsequent, jetzt dafür zu sein, dass er abgeschafft wird.

                    Also ich persönlich habe erhebliche Zweifel, dass der Aufbau Ost abgeschlossen ist, bin aber zugegebenermaßen kein Experte. Mir geht es aber darum zwei Dinge zu trennen, die Sie immer wieder in einen Topf werfen. Es ist eine Sache, ob man für das Fortbestehen oder die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist. Es ist eine andere Sache, ob man für die Reduzierung oder die Erhöhung der gegenwärtigen Steuerbelastung für Wohlhabende ist. Wie ich das in meinem vorherigen Kommentar andeutete, könnte man sehr wohl den Solidaritätszuschlag abschaffen und parallel dazu die Steuerbelastung für Wohlhabende erhöhen, so dass es hier nicht zu einem Steuergeschenk für diejenigen kommt, die es nicht brauchen, zu Lasten derjenigen, die ohnehin schon gebeutelt sind.

                    Gerhard Baum war 1778 (oder so) Bundesinnenminister, also vor 40 Jahren. Den kennt fast niemand.

                    Das mag sein. Nur ist der Mann doch trotzdem ein ehemaliger Bundesinnenminister …

                    Eine objektive Darstellung hätte damit begonnen, wie Gerichte mit Sozialklagen überlastet sind.

                    Dieses Problem lässt sich nicht nur dadurch lösen, dass man Armen de facto den Zugang zum Rechtssystem verwehrt, sondern z.B. auch dadurch, dass man Gerichte personell besser ausstattet.

                    Stellen Sie sich mal analog vor ein amtierender Justizminister würde ein Gesetz diskutieren, nachdem sich Wohlhabende nur noch dann vor Gericht verteidigen dürfen, wenn sie 50 kg oder weniger wiegen. Damit könnte man auch Gerichtskosten einsparen, weil ohne Einspruch gegen die Anklage Verfahren deutlich kürzer würden. Und theoretisch würde mit einer solchen Regelung ja auch niemand vom Rechtssystem ausgeschlossen. Wohlhabende müssten ja nur 15-50 kg abnehmen und schon wären sie verteidigungsfähig. Aber irgendwie beschleicht mich das Gefühl, sie fänden ein solches Gesetz trotzdem ungerecht. Denn muss es für einen Rechtsstaat nicht Priorität haben, dass Menschen Recht bekommen? Es kann doch nicht sein, dass Menschen in der Praxis kein Recht mehr bekommen, nur damit Gerichtskosten eingespart werden können, höre ich Sie sagen. Richtig. Hier stimme ich Ihnen zu. Aber mit dem selben Argument müssen wir dann auch Geringverdienern einen realen und nicht nur einen theoretischen Zugang zum Rechtssystem gewährleisten.

                    So können Sie schon mit 300-500 Euro Rechtskosten auskommen. Die auf 4 Jahre gestreckt, sind sicher keine unzumutbare Belastung.

                    In dem geposteten Video werden konkret 30 Euro pro Monat genannt. In dem geposteten taz-Artikel wird darüber hinaus diskutiert, wie die sich möglicherweise verändernde Höhe der Rückzahlungsraten sehr problematisch werden kann für Menschen, deren Lohn sich während der Rückzahlungsphase ändert.

                    Und überhaupt 30 Euro sind für viele Menschen viel Geld. Sie oder ich zahlen das aus der Portokasse. Aber ein Geringverdiener dürfte erhebliche Schwierigkeiten haben einen solchen Betrag regelmäßig aufzubringen.

                    Das einzige, was Sie richtig angeführt haben, ist damit der Name der ehemaligen Justizministerin.

                    Na, wenigstens das … 😀

                    Wenn Sie sich zum Anwalt von irgendjemanden machen, können Sie nicht gleichzeitig in Anspruch nehmen, die Dinge objektiv zu bewerten

                    Den Anspruch habe ich auch garnicht. Ich schreibe hier als Wähler, Politikinteressierter und Privatperson. Aber bei Ihrer Parteinahme für die Wohlhabenden ist Ihnen, glaube ich, auch nicht ganz klar, wie subjektiv Sie eigentlich sind … 😉

                    Mich interessieren Bedürftige sehr wohl – und insbesondere, wie deren Lebensverhältnisse verbessert werden können. Das können Sie mir kaum bestreiten, auch wenn Ihnen meine Vorstellungen nicht behagen. Das Gleiche können Sie nicht von sich behaupten.

                    Jetzt bin ich aber beleidigt … 😀

                    Mich interessieren die Belange der FDP-Klientel absolut. Ich finde Ärzte, Apotheker und Anwälte sollten ein ordentliches und überdurchschnittliches Einkommen haben. Sie sollten sich ein Eigenheim, ein schönes Auto und einen Fernurlaub leisten können. Das finde ich alles klasse. Allerdings muss ich mich dafür nicht politisch engagieren, denn dieses Ziel ist bereits erreicht. Die finanziellen Sorgen der oberen Mittelklasse und Oberklasse sind kein Problem derzeit. Im Gegenteil. Diesen Menschen geht es wirtschaftlich von Jahr zu Jahr besser. Auf Kosten aller anderen. Sie werden es mir also nachsehen, dass ich mich um diejenigen Probleme kümmere, die im hier und jetzt akut sind. Und diese Probleme betreffen nicht die Menschen im oberen, sondern die Menschen im unteren Gehaltsspektrum. Menschen, die keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Menschen, die mit ihrem sinkenden Realeinkommen ihren Lebensstandard nicht halten können. Menschen, die aufgrund unverschuldeter Arbeitslosigkeit ins existentielle Nichts stürzen. Menschen, die aus der Ferne zu uns gekommen sind und die aufgrund von Sprach- und kulturellen Barrieren Probleme haben sozial und wirtschaftlich Fuss zu fassen. Dazu der Investitionsstau im Bereich Digitalisierung und Klimawandel. Dort muss sich der Staat engagieren. Die Wohlhabenden sind schlicht und ergreifend gegenwärtig keine Priorität. Denen geht’s gut. Und denen wird’s auch bei steigender Steuerbelastung immer noch gut gehen.

                    Wieso ist der Spruch so alt, wenn das Problem doch so neu ist? Tatsächlich gilt dieser so – bezogen auf die Einkommensverhältnisse – nicht mehr so pauschal, seit es in Deutschland Vollbeschäftigung gibt. Zeit, das Argument anzupassen.

                    Das Problem ist nicht neu, es ist alt. Aber im Gegensatz zu dem, was Sie hier schreiben, ist es nach wie vor nicht gelöst. Im Gegenteil, es verschärft sich zur Zeit. Siehe z.B. hier:

                    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/soziale-ungleichheit-deutschlands-arme-werden-immer-aermer-1.2833313

                    Das hat Linke nicht gestört, als sie ihre Hand für Mütterrente und Rente mit 63 hoben.

                    Ich bin kein Experte für die Mütterrente und habe diese nie gefordert. Was nicht heissen soll, dass sie nicht möglicherweise sinnvoll ist. Ich hab mich einfach nicht mit dem Thema auseinandergesetzt.

                    Aber Sie werden mir zugute halten, dass ich immer ein Gegner der Rente mit 63 gewesen bin und seit Jahren fordere, dass die die länger arbeiten können auch länger werden arbeiten müssen, wenn wir als Gesellschaft immer älter werden wollen. Für Dachdecker und Bauarbeiter, die physisch einfach nicht länger arbeiten können, werden wir sozial verträgliche Lösungen finden müssen.

                    Weil wir erstens meinen, jeder müsse in einer Großstadt leben

                    In der Großstadt sind nunmal die Arbeitsplätze. In der Großstadt gibt es eine vernünftige Anbindung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Geringverdienern ermöglichen bezahlbar zur Arbeit zu kommen. Ist doch kein Zufall, dass die meisten meinen in der Großstadt leben zu müssen …

                    Wir haben Fehlbelegungen von weit über 80%.

                    Ich bin sehr skeptisch gegenüber diesem Argument und sensitiv bei dem Thema. Ich bin selbst in einer Sozialwohnung aufgewachsen und habe persönlich miterlebt, wie die Erhebung von Fehlbelegungsabgaben Menschen aus der unteren und mittleren Mittelklasse aus unserem Viertel vertrieben hat. Das Ergebnis war, dass sich das Viertel in ein Ghetto aus sozialen Problemfällen verwandelt hat. Und wenn so ein Viertel erst mal umgekippt ist, dürften die realen Folgekosten für die Gesellschaft deutlich höher sein, als das, was man durch die Beseitigung der Fehlbelegung eingespart hat.

                    Äh, nein.

                    Wenn ich mal Zeit habe, lege ich Ihnen die harten Zahlen vor … 😀

                    • Stefan Pietsch 2. November 2018, 19:31

                      Das Projekt Deutsche Einheit ist politisch als auch verfassungsrechtlich mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II beendet. So wurde es schon vor Jahren argumentiert. Es kann bei staatsrechtlichen Fragen ja nicht auf das Lebensgefühl einzelner Wählergruppen ankommen und auch politisch ist das eine denkbar schlechte Begründung. Der Staat darf nicht willkürlich sein, sondern nachvollziehbar handeln – und das auch für Betroffene seiner Politik.

                      Es ist eine Sache, ob man für das Fortbestehen oder die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist. Es ist eine andere Sache, ob man für die Reduzierung oder die Erhöhung der gegenwärtigen Steuerbelastung für Wohlhabende ist.

                      Das ist ja der Punkt, wo Ihnen der Rechtsstaat egal ist, weil es Ihnen politisch ins Kontor passt. Der Solidaritätszuschlag ist sowohl politisch anders begründet als auch verfassungsrechtlich legitimiert. Seine Abschaffung ist ein vergleichsweise einfacher Gesetzesakt des Bundestages, wozu es einer einfachen Mehrheit bedarf. Dazu muss lediglich das Solidaritätszuschlagsgesetz mit seinen sechs sehr einfachen Paragrafen aufgehoben werden.

                      Die Erhöhung der Einkommensteuer ist wesentlich komplizierter. Eine Neuberechnung des Paragrafen 32a EStG muss von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden, angesichts der sehr komplizierten Mehrheitsverhältnisse ist das höchst unsicher, zumal nicht klar ist, ob sich in der Bevölkerung überhaupt Mehrheiten dazu finden.

                      Zwei verschiedene Dinge. Wenn es eine Mehrheit für eine Erhöhung der Einkommensteuer gibt, muss ich das als Demokrat akzeptieren. Aber ich kann vom Staat verlangen, dass er sich beim Soli nicht als Winkeladvokat betätigt, während Ihnen der Spatz wichtiger ist. Hauptsache belastet, egal wie. Das zeigt sich ja bereits in Ihrem Missverständnis, die Soli-Abschaffung als „Steuergeschenk“ zu bezeichnen.

                      Sind wir uns einig, dass die Reportage den Sachverhalt absolut einseitig darstellte? Dann brauchen wir uns über Baum nicht weiter zu unterhalten.

                      Dieses Problem lässt sich nicht nur dadurch lösen, dass man Armen de facto den Zugang zum Rechtssystem verwehrt, sondern z.B. auch dadurch, dass man Gerichte personell besser ausstattet.

                      Klar, mehr Geld geht immer. Aber weder fallen Juristen von den Bäumen (wollten Sie nicht auch mehr Lehrer, Erzieher, Polizisten, Steuerfahnder, Sexualtherapeuten … äh, sorry, das doch nicht), noch das Geld dafür.

                      Sowohl als Leitender Angestellter als auch als Privatperson muss ich in Streitfällen sorgfältig überlegen, ob ein Gerichtsprozess lohnt. Kosten und Nutzen sind abzuwägen. Menschen, die alles bezahlt bekommen (Free Rider) handeln selten so verantwortungsvoll. Aber ökonomisch. Wer im Zweifel immer nur gewinnen, aber nicht verlieren kann, riskiert mehr. Sie kennen das von der Subprime-Krise in den USA. Wenn wir also Bedürftige bei der Finanzierung ihrer Rechtsprozesse unterstützen oder sie gar vollständig bezahlen, muss auch ein Gegencheck eingebaut sein. Leutheusser-Schnarrenberger hatte genau diese Absicht, weil die Klagewut gerade der kleinen Leute systemüberfordernde Ausmaße annimmt.

                      Ihre Analogie trifft daher nicht. Wohlhabende sind selten Prozesshansel, dafür sind Verfahren gerade in Vermögensangelegenheiten viel zu teuer.

                      Es kann doch nicht sein, dass Menschen in der Praxis kein Recht mehr bekommen, nur damit Gerichtskosten eingespart werden können

                      Gerade bei Verfahren vor Sozialgerichten, die meist nichts Kosten und wo der Kläger seine Anwaltskosten erstattet bekommt, gibt es ein außerordentlich hohes Niveau an Klagen (ähnlich wie bei Asylverfahren). Und das, obwohl die Kläger in der weit überwiegenden Zahl der Fälle entweder teilweise oder vollständig unterliegen. Die Relationen sind zwar bei Verfahren vor Finanzgerichten ähnlich, aber aus völlig anderen Gründen. Erstens wird meist auf eigene Rechnung geklagt und zweitens ändern Finanzämter Steuerbescheide auf Hinweis der Gerichte, längst bevor es zu einem Urteil kommt. Auf diesem Wege wird dann die Statistik verfälscht.

                      So können Sie schon mit 300-500 Euro Rechtskosten auskommen. Die auf 4 Jahre gestreckt, sind sicher keine unzumutbare Belastung.
                      In dem geposteten Video werden konkret 30 Euro pro Monat genannt.

                      … aber auch, dass Stundungen auf 4 Jahre und mehr gestreckt werden. Zumindest ist das so. Und ansonsten werden auch Geringverdiener durch die Bundeshaushaltsordnung (BHO) geschützt, nach der Ansprüche gestundet oder erlassen werden können.
                      https://www.gesetze-im-internet.de/bho/__59.html

                      Es darf aber nicht der eigenen Einschätzung überlassen bleiben, ob man Ansprüche des Staates bedient.

                      Aber bei Ihrer Parteinahme für die Wohlhabenden ist Ihnen, glaube ich, auch nicht ganz klar, wie subjektiv Sie eigentlich sind …

                      Mit Verlaub, mir steht jemand mit einem Verdienst von 40.000 EUR im Jahr weit näher als jemand mit 2 Millionen Euro Jahreseinkommen. Sie dagegen kaprizieren sich auf die oberen 0,1%, meinen aber, das seien die oberen 10%. Jemand, der 80.000, 100.000, 200.000 Euro im Jahr vor Steuern verdient, ist zwar statistisch reich, aber nicht wirklich wohlhabend. Damit werden Sie selten Millionär. Aber bereits diese Leute scheinen Ihnen egal zu sein.

                      Mich interessieren die Belange der FDP-Klientel absolut.

                      Nö. Wenn der Staat Steuergesetze rückwirkend ändert, weil er sich „vertan“ hat, so findet das nicht Ihren Protest. Hier geht es um Rechtsprinzipien, die für alle Bürger gelten und wogegen sich auch jemand mit einer halben Million Euro Einkommen nicht wirklich wehren kann. Auch auf solche Einflüsse wie die staatlich hochgetriebenen Kosten für den Eigenheimerwerb sind Sie in der Vergangenheit nicht angesprungen. Oder wie sieht es mit Ihrem Engagement für den Schutz von Versicherten der PKVs aus? Nicht so gut, gell? Wissen Sie, was die Apotheker der FDP abspenstig gemacht hat? Richtig, der Einsatz der Liberalen für eine Deregulierung deren Marktes. Ich wusste nicht, dass Sie hier im Lager der Regulierer stehen. Und ich wusste nicht, dass Sie für eine Erhöhung der Sätze in der RVG für Rechtsanwälte sind und stärkere Freigabe der Gebühren in freier Verhandlung. Aber ich bin bereit zu lernen. 🙂

                      Diesen Menschen geht es wirtschaftlich von Jahr zu Jahr besser. Auf Kosten aller anderen.

                      Das wüsste ich schon gern genauer. Wie habe ich meine Lebensverhältnisse zu Lasten beispielsweise meiner Mitarbeiter mit einem Jahresverdienst von 40.000-70.000 Euro verbessert? Oder auf Kosten, sagen wir, der Erzieherinnen? Meine Frau wäre sicher begierig, das zu erfahren (ich werde ihr Ihre Antwort nicht zeigen).

                      Menschen, die aufgrund unverschuldeter Arbeitslosigkeit ins existentielle Nichts stürzen.

                      Gibt es nicht.

                      Menschen, die aus der Ferne zu uns gekommen sind und die aufgrund von Sprach- und kulturellen Barrieren Probleme haben sozial und wirtschaftlich Fuss zu fassen.

                      Gibt es ebenfalls so nicht, zumindest nicht ohne gravierendes eigenes Zutun an der Misere.

                      Dazu der Investitionsstau im Bereich Digitalisierung und Klimawandel.

                      Kann ich nichts mit anfangen.

                      Das Problem ist nicht neu, es ist alt. Aber im Gegensatz zu dem, was Sie hier schreiben, ist es nach wie vor nicht gelöst. Im Gegenteil, es verschärft sich zur Zeit.

                      Linke vermischen gerne alles. Aus Einkommen entstehen Vermögen. Wenn der Staat es Menschen erschwert, in Arbeit zu kommen und ihnen dann selbst bei durchschnittlichem Einkommen den Großteil davon nimmt, geht Ihre Klage, dass von vielen keine Vermögen gebildet werden, fehl. Und ebenso Ihr Einsatz für Transferempfänger. Auch diese werden im Transferbezug niemals die Chance haben, nur 10.000 Euro Vermögen in ihrem Leben zu bilden. Wechseln Sie das Objekt!

                      Für Dachdecker und Bauarbeiter, die physisch einfach nicht länger arbeiten können, werden wir sozial verträgliche Lösungen finden müssen.

                      Da diese bereits mit 40, 50 kaputt sind, ist das kein Problem der Rentenversicherung. Und in 20 Jahren ohnehin keins, weil es schon heute kaum mehr Menschen gibt, die schwer körperlich arbeiten.

                      In der Großstadt sind nunmal die Arbeitsplätze.

                      Falsch, die sind in der Peripherie, in Frechen, Sindelfingen, Böblingen, Eschborn, Darmstadt. Aber in der Großstadt ist der Bär. Wir haben diesen Trend in Deutschland ja auch erst seit so 20-25 Jahren. Die Leute wollen eben nicht mehr so gerne ein Eigenheim, weil sie seltener Familien gründen. Dafür können Reiche am wenigsten, sie sind viel öfter verheiratet … mit Kindern.

                      Ich bin selbst in einer Sozialwohnung aufgewachsen und habe persönlich miterlebt, wie die Erhebung von Fehlbelegungsabgaben Menschen aus der unteren und mittleren Mittelklasse aus unserem Viertel vertrieben hat. Das Ergebnis war, dass sich das Viertel in ein Ghetto aus sozialen Problemfällen verwandelt hat.

                      Der Staat bietet seine begrenzten Leistungen nunmal für einen begrenzten Personenkreis an. Tut er das nicht, haben wir so Entwicklungen wie heute. Die Fehlbelegungen kommen zustande, weil Sparbrötchen Geld sparen wollen, nicht aus Liebe zu ihrem Viertel.

                      Wenn ich mal Zeit habe, lege ich Ihnen die harten Zahlen vor …

                      Sehr gerne. 🙂

                    • Ralf 3. November 2018, 11:52

                      Das Projekt Deutsche Einheit ist politisch als auch verfassungsrechtlich mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II beendet.

                      Das Projekt Deutsche Einheit ist beendet, wenn die Unterschiede zwischen Ost und West weitestgehend eingeebnet sind, wenn also die Unterschiede zwischen Nürnberg, Wuppertal und Hannover nicht größer sind, als die Unterschiede zwischen diesen westlichen Städten und Leipzig, Chemnitz oder Halle.

                      Es kann bei staatsrechtlichen Fragen ja nicht auf das Lebensgefühl einzelner Wählergruppen ankommen

                      Es redet auch keiner vom Lebensgefühl, sondern es geht um wirtschaftliche und soziale Kerndaten.

                      Wenn es eine Mehrheit für eine Erhöhung der Einkommensteuer gibt, muss ich das als Demokrat akzeptieren.

                      Wenn es keine Mehrheit für die Abschaffung des Solidaritätszuschlages gibt, müssen Sie das als Demokrat auch akzeptieren.

                      Sind wir uns einig, dass die Reportage den Sachverhalt absolut einseitig darstellte?

                      Ich würde das weniger dramatisch formulieren. Die Reportage hat die Situation aus der Perspektive der Betroffenen geschildert, der Gegenseite aber die Gelegenheit eingeräumt, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Die zuständige Ministerin hat das Angebot zum Interview ausgeschlagen.

                      Menschen, die alles bezahlt bekommen (Free Rider) handeln selten so verantwortungsvoll.

                      Das ist sicher richtig. Aber das gibt uns nicht das Recht diese Menschen de facto vom Zugang zum Rechtssystem auszuschließen.

                      Ihre Analogie trifft daher nicht. Wohlhabende sind selten Prozesshansel

                      Meiner Analogie lag nicht zugrunde, dass Wohlhabende überdurchschnittlich häufig klagen, sondern dass eine bestimmte Gruppe Kläger mit strukturellen, technischen Mitteln de facto vom Zugang zum Rechtssystem ausgeschlossen wird.

                      Und das, obwohl die Kläger in der weit überwiegenden Zahl der Fälle entweder teilweise oder vollständig unterliegen.

                      Noch im Februar diesen Jahres war alleine jede vierte Klage gegen Hartz IV-Bescheide erfolgreich.

                      http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Vier-von-zehn-Hartz-IV-Klagen-erfolgreich

                      Es darf aber nicht der eigenen Einschätzung überlassen bleiben, ob man Ansprüche des Staates bedient.

                      Wenn die Ansprüche des Staates so hoch sind, dass sie abschreckend wirken, dass man also auch dann lieber nicht klagt, wenn man im Recht ist und einem Recht zusteht, ist unserem Rechtsstaat nicht gedient.

                      Jemand, der 80.000, 100.000, 200.000 Euro im Jahr vor Steuern verdient, ist zwar statistisch reich, aber nicht wirklich wohlhabend. Damit werden Sie selten Millionär.

                      Man muss nicht Millionär sein, um mit dem Adjektiv „wohlhabend“ zutreffend beschrieben zu sein. Jemand der 200.000 Euro im Jahr vor Steuern verdient, ist definitiv wohlhabend. Bei 80.000 Euro bis 100.000 Euro würde ich die Frage stellen, ob das das Einkommen eines Einzelpersonenhaushalts oder das Gesamteinkommen einer Familie (mit nur einem Verdiener) ist. Wenn es sich um einen Einzelpersonenhaushalt handelt, ist zumindest bei 100.000 Euro der Begriff „wohlhabend“ durchaus angemessen. Und auch dem, der 80.000 Euro als Einzelperson verdient, geht es wirtschaftlich überdurchschnittlich gut.

                      Aber bereits diese Leute scheinen Ihnen egal zu sein.

                      Was für ein Unsinn. Weil ich möchte, dass sich die, denen es besonders gut geht, stärker für die Gemeinschaft einbringen, sind mir diese Leute doch nicht „egal“.

                      Oder wie sieht es mit Ihrem Engagement für den Schutz von Versicherten der PKVs aus? […] Ich wusste nicht, dass Sie hier im Lager der Regulierer stehen. Und ich wusste nicht, dass Sie für eine Erhöhung der Sätze in der RVG für Rechtsanwälte sind und stärkere Freigabe der Gebühren in freier Verhandlung.

                      Da Sie es beim ersten Mal nicht verstanden zu haben scheinen, wiederhole ich gerne nochmal worin meine Unterstützung für die FDP-Klientel besteht. Ich bin der Überzeugung, dass die Gruppe der Ärzte, Apotheker und Anwälte ein ordentliches und überdurchschnittliches Einkommen haben sollten. Von diesem Einkommen sollten sie gut leben können und sich ein Eigenheim, ein schönes Auto und auch einen Fernurlaub leisten können. Sie sehen also, mir sind diese Menschen nicht egal.

                      Wie habe ich meine Lebensverhältnisse zu Lasten beispielsweise meiner Mitarbeiter mit einem Jahresverdienst von 40.000-70.000 Euro verbessert? Oder auf Kosten, sagen wir, der Erzieherinnen? Meine Frau wäre sicher begierig, das zu erfahren (ich werde ihr Ihre Antwort nicht zeigen).

                      Wie heisst es so schön? Geld ist nie weg. Es ist nur woanders. Hier mal zwei Beispiele:

                      Wenn Sie Aktien halten, dann profitieren Sie z.B. davon, wenn in den entsprechenden Betrieben die Löhne gedrückt werden, so dass der Profit und in der Folge die Dividenden steigen. Am Ende haben die Geringverdiener weniger und Sie mehr.

                      Wenn Steuerraten auf Kapitalerträge deutlich geringer sind als auf Arbeitseinkommen, schultert die Erzieherin prozentual mehr als der Aktienbesitzer. Da die Erzieherin auch das deutlich kleinere Gehalt und relativ höhere Fixkosten hat, ist der durch die Steuerzahlungen verursachte Verlust an Lebensstandard für sie dramatisch viel höher als beim Durchschnittsanleger, der signifikante Kapitalerträge einfährt. Vielleicht sollten Sie Ihrer Frau das wirklich nicht zeigen …

                      Gibt es nicht.

                      Gibt es sehr wohl. Dass jeder in Deutschland schnell Arbeit findet, wenn er nur will, ist ein Gerücht. Selbst in unserer boomenden Wirtschaft. Ja, wenn Sie jung sind und gesund, wenn Sie Ingenieurwissenschaften studiert haben oder Informatik, dann haben Sie in der Tat gute Chancen. Wenn Sie um die 50 Jahre alt sind oder älter, haben Sie kaum noch Möglichkeiten. Oder wenn Sie zu hoch aufgestiegen sind. Mein Doktorvater prägte dazu mal den Satz „je höher man steigt, desto dünner wird die Luft“. Findet man in den Höhen dann keinen Job, ist man für alles andere überqualifiziert. Fragen Sie mal habilitierte Hartz IV-Empfänger zum Thema. Ich kenne persönlich mehrere Fälle, in denen Akademiker mit Top-Noten, hervorragenden Referenzen und von Top-Unis keinen Job in Deutschland finden konnten. Manche mussten wieder bei Mami und Papi einziehen. Und nein, ich rede nicht von Geisteswissenschaftlern, die irgendeinen Humbug studiert haben, bei dem absehbar war, dass es kaum Arbeitsplätze geben würde.

                      Natürlich behaupte ich nicht, dass das gegenwärtig das Schicksal der großen Mehrheit der Deutschen ist. Aber die Zahl dieser Fälle ist auch nicht irrelevant. Und den Boom in Deutschland gibt es weder schon seit immer, noch wird er für immer anhalten. Im Gegenteil, es zeigen sich deutliche Zeichen für eine wirtschaftliche Abkühlung am Horizont. Dieses Thema wird also wahrscheinlich in den kommenden Jahren noch viel drängender werden.

                      Gibt es ebenfalls so nicht, zumindest nicht ohne gravierendes eigenes Zutun an der Misere.

                      Mir ist unerklärlich, wie Sie in den Sprachbarrieren der zu uns gekommenen Menschen kein Problem für die Integration in den Arbeitsmarkt sehen können.

                      Kann ich nichts mit anfangen.

                      Sie können nichts mit Investitionen in die digitale Infrastruktur des Landes anfangen? Oder mit Investitionen in ein Netz an Ladestationen für moderne Elektroautos? Diese Liste liesse sich beliebig verlängern. Digitalisierung und Klimawandel sind Herausforderungen, die massive Investitionen verlangen. Das wird eigentlich von kaum einem Experten bestritten.

                      Die Fehlbelegungen kommen zustande, weil Sparbrötchen Geld sparen wollen, nicht aus Liebe zu ihrem Viertel.

                      Die Sparbrötchen haben aber einen positiven Einfluss auf das soziale Leben im Viertel. Wenn die gehen, dann sind die, die bleiben soziale Problemfälle, Arbeitslose, Drogenabhängige und sonstige gescheiterte Existenzen. Die Gemeinschaft, die die bilden, können Sie sich vorstellen. Wie sich die Schulen in diesen Vierteln entwickeln, können Sie sich vorstellen. Wie sich die Kriminalität und Bandenverhalten in diesen Vierteln entwickeln, können Sie sich vorstellen. Und die gesamtgesellschaftlichen Kosten, die all das verursacht, und zwar über Generationen hinweg, müssen Sie den Kosten der Fehlbelegung gegenüberstellen. Nein, Sie machen als Gesellschaft kein gutes Geschäft dabei für kurzfristige Einsparungen langfristige schwere soziale Probleme in Kauf zu nehmen. Mit solch kurzsichtigen Entscheidungen züchten Sie lediglich die nächste Generation von Abgehängten und Hartz IV-Empfängern, über die sich Ihre Kinder in 20 Jahren aufregen werden.

                    • Erwin Gabriel 5. November 2018, 12:56

                      @ Ralf 2. November 2018, 14:05

                      Also ich persönlich habe erhebliche Zweifel, dass der Aufbau Ost abgeschlossen ist, bin aber zugegebenermaßen kein Experte.

                      Infrastrukturell stehen die neuen Bundesländer spürbar besser da als die alten (Ausnahme, wie immer in diesen Dingen: Bayern).

                      … so dass es hier nicht zu einem Steuergeschenk für diejenigen kommt, die es nicht brauchen,

                      Mal ganz grundsätzlich: Jede Steuererhebung bedeutet, dass die öffentliche Hand sich in irgendeiner Form am Besitz anderer vergreift. Wie viel Steuern eine Regierung erhebt und wofür sie das Geld ausgibt, ist letztendlich rein willkürlich geregelt.

                      Eine Steuersenkung ist also nie ein „Geschenk“, sondern die Reduzierung des Gegenteils davon.

                      Die finanziellen Sorgen der oberen Mittelklasse und Oberklasse sind kein Problem derzeit.

                      Das ist eine sehr veralgemeindernde, gewagte Behauptung, die Du nur dann aufrecht erhalten kannst, wenn Du einen ausgesprochen niedrigen Lebensstandard für alle als Nulllinie festlegst.

                      Auch in der Mittelschicht gehen Jobs durch die Digitalisierung und andere Entwicklungen verloren. Dort hat man vielleicht keine kleine Simpel-Wohnung mit niedrigen Standards, sondern ein Haus – aber für dieses Haus muss man alle rechnungen selbst bezahlen.

                      Diesen Menschen geht es wirtschaftlich von Jahr zu Jahr besser. Auf Kosten aller anderen.

                      Sorry, Ralf: Das ist nicht nur falsch, sondern auch eine Unverschämtheit sondergleichen.

                      Diese Denke „wer hat, hat es jemandem anderen weggenommen“ ist derart neben der Spur, dass es Kopfschmerzen verursacht, so etwas zu lesen. Ich nehme niemandem etwas weg, ich lebe nicht auf anderer Leute Kosten, sondern ich trage mit meinen Steuern und Abgaben dazu bei, dass andere besser Leben.

                      … Menschen, die keine bezahlbare Wohnung mehr finden.

                      Es gibt natürlich ausreichend bezahlbaren Wohnraum, nur nicht dort, wo die Leute wohnen wollen.

                      Menschen, die mit ihrem sinkenden Realeinkommen ihren Lebensstandard nicht halten können. Menschen, die aufgrund unverschuldeter Arbeitslosigkeit ins existentielle Nichts stürzen.

                      Dass ich meinen Job verloren habe, ist mir zweimal passiert. Glaubst Du, dass ich als Wohlhabender dann nicht in eine Krise rutsche? Um mich aus dieser Krise zu befreien, musste ich für einen neuen Job letztendlich umziehen.

                      Die Wohlhabenden sind schlicht und ergreifend gegenwärtig keine Priorität. Denen geht’s gut. Und denen wird’s auch bei steigender Steuerbelastung immer noch gut gehen.

                      Ja, sicher. Die da oben verdienen ja alle genug, da kommt es nicht so darauf an etc, bla bla. Und meine Frau hat 1,43 Kinder. So einfach kann die Welt sein.

                      In der Großstadt sind nun mal die Arbeitsplätze. In der Großstadt gibt es eine vernünftige Anbindung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Geringverdienern ermöglichen bezahlbar zur Arbeit zu kommen. Ist doch kein Zufall, dass die meisten meinen in der Großstadt leben zu müssen …

                      Meinen, leben zu müssen… – das trrifft es auf den Punkt. Ich lebe auch nicht dort, wo ich gerne leben würde, ich habe nicht so viel Spaß im Beruf, wie ich meine, haben zu müssen etc. jetzt suche ich einen Dummen, der mir das zahlt. Schauen wir mal, wer mehr verdient als ich …

                      Wie verquer gedacht…

                      Aber dann habe ich einen guten Vorschlag für Dich: Alle Langzeitarbeitslosen müssen aus den Städten raus, und ihre bezahlbaren Sozialwohnungen frei machen für die Geringverdiener mit Jobs in der Stadt – oder?

                      Deine Logik funktioniert nur mit Grundannahmen, die nicht gegeben sind.

                      Nur weil einer mehr Geld hat als ein anderer, hat doch der Eine den anderen nicht bestohlen. Nur deswegen ist die Welt doch nicht ungerecht.

                • Erwin Gabriel 5. November 2018, 12:09

                  @ Ralf 2. November 2018, 11:43

                  Sollte parallel ein Steuerpaket beschlossen werden, bei dem Wohlhabende zunächst einmal um genau den Betrag belastet werden, den sie der Solidaritätszuschlag gegenwärtig kostet, könnten wir den Soli gerne abschaffen.

                  Das ist eine Position, die ich nicht verstehe.

                  Der Soli ist eine zweckgebundene Abgabe gewesen, die auf ein Jahr beschränkt sein sollte, und deren Anlass (Finanzierung Irak-Krieg, Aufbau Infrastruktur in den neuen Bundesländern, Unterstützung neuer, osteuropäischer EU-Mitglieder) nicht mehr gegeben sind. Also gehört er abgeschafft, und zwar schon seit langem.

                  Den Soli einfach nur deswegen zu fordern, weil damit „die Reichen“ stärker zur Kasse gebeten werden, ist reiner Sozialneid. Genauso gut kann ich Sozialleistungen mit der alleinigen Begründung streichen, dass dann die Bedürftigen „weniger“ hätten. Ich bin mir sicher, dass solch eine Forderung (auch, aber nicht nur von Ihnen) ein Mordgeschrei und gewaltige Empörung nach sich ziehen würden.

      • Blechmann 4. November 2018, 13:38

        Da war schon etwas mehr dahinter: https://www.heise.de/tp/news/Prozesskostenhilfe-und-ALG-II-die-ewige-Missbrauchsdebatte-1992286.html

        „Für Geringverdienende und/oder Transferleistungsempfänger bedeutet dies, dass sie zum einen, sollte das Gesetz dergestalt verändert werden, stärker an den Prozesskosten beteiligt werden bzw. Prozesskostenhilfe in vielen Fällen nicht mehr gewährt werden wird.“

        „…bei geringem Streitwert soll zukünftig auch dann keine Prozesskostenhilfe mehr gewährt werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen.“

        • Stefan Pietsch 5. November 2018, 14:31

          Ich sehe nicht, was es da zu kritisieren gäbe. Wir verlangen von Geringverdienern Steuern und Abgaben, aber nicht die geringste Beteiligung, wenn sie Rechtsstreite führen wollen? Und finden Sie es richtig, wenn mit der Prozesskostenhilfe Gerichtsverfahren über 100 oder 200€ geführt werden? Das hilft doch nicht wirklich dem Rechtsempfinden, verlangsamt aber die Prozesse für alle.

          Also, was stört Sie daran konkret?

          • Blechmann 7. November 2018, 19:31

            200€ sind 50% des monatlichen Einkommens von einem HartzIV-Empfänger. Welches das Minimum darstellt, dass man für eine menschenwürdiges Leben braucht. Natürlich finde ich das richtig, wenn mit Prozesskostenhilfe Gerichtsverfahren über 100 oder 200 Euro geführt werden. Die Menschenwürde ist schließlich unantastbar, da wird man sie wohl auch einklagen können müssen dürfen.

            • Stefan Pietsch 7. November 2018, 22:15

              Es geht nicht um einen Rechtsanspruch, es geht um einen Rechtsstreit. Der kann so oder so ausgehen. Was ist, wenn er verliert? Dann hat er keine 200€ und gleichzeitig Kosten i.H.v. 300€ verursacht. Wer trägt die?

              Wenn jemand mit einer halben Million Euro auf eine Million Euro klagt (oder verklagt wird), hat im Falle des Verlierens mindestens 100.000€ an der Backe. Das kann natürlich auch einen Betrag annehmen, der einen ruiniert. Selbst Wohlhabende verzichten in solchen Fällen ein Verfahren, wenn die Chance nicht zwingend ist.

              Finden Sie das richtig? Müsste man nicht generell den Bürgern das Risiko das Verlierens abnehmen? Warum wird der Hartz-IV-Empfänger besser behandelt als der normale Bürger? Deren Würde ist schließlich auch unantastbar, oder nicht?

              Ich warte immer noch, dass einer von Ihnen mir etwas anbietet, wie die Gesellschaft vor Prozesshanseln im Hartz-IV-Bezug geschützt werden kann.

              • Blechmann 8. November 2018, 13:40

                Was ist, wenn er gewinnt? Dann hat die Behörde keine 200€ Kosten gespart aber 300€ Kosten verursacht. Wer trägt die?

                Wenn jemand mit einer halben Million sein ganzes Vermögen durch Klagen verballert, dann bekommt er HartzIV. Dadurch bleibt seine unantastbare Würde in jedem Fall gewahrt und daher besteht keine Notwendigkeit ihm das Risiko abzunehmen. Das Vermögen ist anders als die Würde nicht unantastbar.

                Ich warte immer noch, dass einer mir etwas anbietet, wie die Gesellschaft vor system-relevanten Zocker-Banken geschützt werden kann. Aber da können wir beide lange warten. Die Banken sind „too big to fail“ und die Hartzer „too small to fail“.

                • Stefan Pietsch 8. November 2018, 17:29

                  Was ist, wenn er gewinnt?

                  Das ist ja gerade nicht die Frage. Vor Gericht gilt das Prinzip: „The Winner Takes it All“ (Ausnahme Arbeitsgerichtsprozesse). In dem Falle ginge es lediglich um die Vorfinanzierung der Prozesskosten, da der Verlierer sowohl die eigenen Anwaltskosten als auch die der Gegenseite trägt. Die Prozesskostenhilfe ist jedoch weit mehr, sie deckt demjenigen mit geringem Einkommen das Prozessrisiko ab und zahlt eben auch bei einer juristischen Niederlage.

                  Dieses Risiko bekommt niemand sonst abgedeckt. Nun haben Sie als Argument angeführt, bei Bagatellbeträgen ginge es für den Klageführer ja um verhältnismäßig viel Geld. Für Sie zählt das Argument jedoch nur eingeschränkt, nämlich eben für Geringverdiener. Damit entwerten Sie es selber, denn entweder erlaube ich jedem die risikolose Prozessführung oder niemanden. Justitia ist blind.

                  Zum wiederholten Male: Menschen ohne Anspruch auf Prozesskostenhilfe müssen sorgfältig abwägen, ob sie das finanzielle Risiko eines Prozesses eingehen wollen und können. Wie schaffen wir es, dies auch zu Menschen zu bringen, bei denen die Prozesskostenhilfe dieses Risiko abnimmt? Oder sind Geringverdiener bessere Menschen, denen mehr Rechte eingeräumt werden müssen? Denn darauf läuft Ihre Argumentation hinaus.

                  • Blechmann 9. November 2018, 10:27

                    Im Falle dass die Behörde verliert, übernimmt natürlich der Staat die Kosten des Prozesses für die Behörde.

                    Oh tatsächlich. Wie ungerecht ist doch HartzIV. Der arme Millionär kriegt es nicht. Das geht doch nicht, entweder alle bekommen HartzIV oder keiner. Ist der Millionär etwa ein Mensch zweiter Klasse?!

                    Sorry, wenn schon Sophismus, dann doch bitte originell. Der Staat erlaubt selbstverständlich jedem die risikolose Prozessführung der bereit ist die nötigen Voraussetzungen (Mittellosigkeit) zu erfüllen. Der Millionär braucht nur sein Vermögen zu spenden, schon kann er prozessieren bis er schwarz wird, ohne jedes Risiko. Ob ihm das die Sache wert ist, muss er sich überlegen.

                    Zum wiederholten Male: Menschen ohne Anspruch auf Prozesskostenhilfe müssen NICHT sorgfältig abwägen, ob sie das finanzielle Risiko eines Prozesses eingehen wollen und können. Sie sind durch HartzIV in JEDEM Fall abgesichert und gehen daher schlicht kein existenzielles Risiko ein, wenn sie prozessieren.

                    • Stefan Pietsch 9. November 2018, 10:56

                      Sie reden immer nur von Sozialgerichtsfällen. Wären Sie bereit, die Prozesskostenhilfe hierauf zu beschränken? Tatsächlich könnte der Hartz-IV-Empfänger auch einen Millionär mit fingierten Ansprüchen verklagen, der Staat würde einspringen. Kann das richtig sein?

                      Sie wollen Menschen zweier Klassen vor Gericht: solche, die ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen und solche, die das nicht tun. Das ist weder gemäß unserem Rechtsprinzip („alle sind vor Gericht gleich“) noch wirtschaftlich. Denn Sie wollen keinen Schutz vor fragwürdigen Klagen, wenn der Anspruchssteller ein Geringverdiener ist.

                      Wie gesagt, nicht mein Rechtsverständnis.

    • Stefan Sasse 4. November 2018, 18:21

      – Streichung Prozesskostenhilfe sehe ich auch aus den Gründen als sehr problematisch, genauso wie Stasi 2.0 in der ersten GroKo.
      – Klar ist das relativ grob, aber wenn ich zu fein werde verzetteln wir uns in Details.
      – EU: In der Form wie sie alle außer AfD und LINKE aktuell vertreten.
      – NATO: Das ist weniger für die Wähler als die Politik selbst interessant. Wie genau machst du Bundesaußenpolitik in der Koalition in der einer von drei Partnern den kompletten Grundpfeiler ablehnt?

      • Ralf 4. November 2018, 20:01

        NATO: Das ist weniger für die Wähler als die Politik selbst interessant. Wie genau machst du Bundesaußenpolitik in der Koalition in der einer von drei Partnern den kompletten Grundpfeiler ablehnt?

        Indem Du einen gesichtswahrenden Kompromiss findest. Oder indem Du diesem Partner auf einem anderen Kernfeld, das dem Partner besonders wichtig ist, einen Sieg zum Tausch anbietest.

        Hätte die SPD jemals ernsthaft im Bund über Rot-Rot-Grün verhandelt, hätte man der LINKEn z.B. erhebliche Erleichterungen für ALG II-Empfänger anbieten können, die die Partei als „Abschaffung von Hartz IV“ hätte feiern können. Wenn die LINKE in so einer Situation dann abgelehnt hätte, weil ihre Maximalposition des NATO-Austritts nicht erfüllt wird, dann würde ich das genauso bedenklich finden wie Du. Demokraten müssen untereinander koalitionsfähig sein. Punkt.

        Allerdings ist ein solches Szenario aus meiner Sicht weder wahrscheinlich, noch hat es jemals eine ernst gemeinte Offerte von den Sozialdemokraten gegeben.

        Das obige Szenario ist aber analog in 2017 passiert. Nur nicht mit der LINKEn, sondern mit der FDP in der Hauptrolle. Die FDP konnte die Steuersenkungen für Reiche nicht kriegen, hätte sich aber bei ihrem Wahlkampfschlager, der ihr ja angeblich so wichtig war, durchsetzen können und die Digitalisierung voranbringen können. Stattdessen haben die Liberalen beleidigt hingeschmissen und sich zurückgezogen, weil sie ihre Maximalforderung nicht durchsetzen konnten. Aber die Liberalen rechnest Du ja zu den Parteien der Mitte.

        Darf ich deshalb die Frage an Dich zurückgeben, wie Du Bundespolitik in einer Koalition machen willst, in der sich einer von drei Partnern jeglichem Kompromiss verweigert und entweder seinen Willen kriegt oder tschüss sagt?

        • R.A. 5. November 2018, 11:19

          „Die FDP konnte die Steuersenkungen für Reiche nicht kriegen, hätte sich aber bei ihrem Wahlkampfschlager, der ihr ja angeblich so wichtig war, durchsetzen können und die Digitalisierung voranbringen können.“
          Das ist nicht richtig.
          Auch bei Digitalisierung gab es keine wesentlichen Zugeständnisse Merkels.

          • Stefan Sasse 5. November 2018, 15:26

            Dafür haben sie in den Verhandlungen auch wahrlich nicht gepusht. Aber ja, finde ich auch sehr bedauerlich.

            • Stefan Pietsch 5. November 2018, 15:46

              In den Sondierungen konnten sich die verhinderten Koalitionäre nur darauf einigen, mehr staatliches Geld für die Digitalisierung auszugeben. Im Gegenzug sollten die Liberalen die weitgehende Abschaltung der Kohlemeiler binnen einer Legislatur und die deutliche Ausweitung der europäischen Haftungsunion hinnehmen.

              Wie sachlich richtig die FDP mit ihrer Weigerung lagen, haben die vergangenen 12 Monate bewiesen. Auch ohne die Lindner-Truppe gibt es nun eine Staatssekretärin für Digitalisierung, während die Populisten in Italien vorführen, warum es unter den heutigen Umständen Harakiri wäre, deutsches Steuergeld und Sparvermögen für Krisenländer wie Italien einzusetzen.

              Kurz gefasst: der FDP wurden (wie 2009) Placebos zugesagt, während man ihre Klientel und Überzeugungen rupfen wollte. Man sollte nicht davon ausgehen, dass jemand den gleichen Fehler zweimal macht.

              • R.A. 6. November 2018, 10:43

                > Auch ohne die Lindner-Truppe gibt es
                > nun eine Staatssekretärin für Digitalisierung
                Die keine Kompetenzen hat und nichts bewirkt hat. Reine Dekoration.
                Und genau das war die Rolle, die der FDP von Merkel zugedacht worden war.

                • Stefan Pietsch 6. November 2018, 11:26

                  Das war nicht mein Argument. Dass wir den Staatssekretärsposten auch in einer schwarz-roten Koalition haben, zeigt, dass dies keinen politischen Preis hatte. Die FDP hat etwas Kostenloses angeboten bekommen mit dem Marktgeschrei: Ihr habt doch was bekommen und dennoch wollt Ihr nicht in die Regierung? Das ist ja nicht nur Stefans Argumentation: Die FDP hat etwas gemäß ihren Wahlkampfforderungen erhalten. Anyway, dass sie 95% nicht bekommen hätte, sondern eher das Gegenteil.

                  Ich weiß nicht, wer einen solchen Deal gemacht hätte. Vielleicht Menschen, die nicht rechnen können oder nach dem Prinzip handeln: Mir doch egal?

                  • R.A. 6. November 2018, 13:11

                    > Das war nicht mein Argument.
                    Das war meinerseits auch kein Gegenargument 😉

                    Sondern ich wollte das nur illustrieren und unterstützen.

              • Stefan Sasse 6. November 2018, 14:11

                Die FDP ist eine deutlich einstellige Partei. Zu glauben, die könnte in einer Vier-Parteien-Koalition mal eben die Richtung Deutschlands gegen Opposition UND drei Koalitionspartner ändern wäre auch Hybris.

                • Stefan Pietsch 6. November 2018, 16:21

                  Dann hast Du die Wahl 2017 nicht mitbekommen. Oder ich im Matheunterricht nicht aufgepasst. Die FDP erreichte vor Jahresfrist 11%. Bei den letzten 3 Wahlen war sie zweimal deutlich zweistellig. Zweistellig, einstellig – was meinst Du?

                  Die Grünen sind eine eindeutig einstellige Partei, dennoch schienen sie in den Sondierungen mehr Gewicht zu haben. Und nun rechnen wir mal: Union 33%, FDP 11%, Grüne 9%, macht zusammen 53%, für die die Jamaika-Koalition gestanden hätte.

                  Die Union hätte hier ein Gewicht von 33/53, also von 62% eingebracht, die FDP von 21% und die Grünen von 17%. Rein mathematisch betrachtet, hätten die Liberalen mehr als ein Fünftel ihrer Überzeugungen vollumfänglich durchsetzen können müssen (wie ich die Schachtelformulierungen liebe!).

                  Ich halte daher Deinen Einwand für Quatsch, es wäre völlig in Ordnung gewesen, wenn die FDP 95% gegen sich hingenommen hätte. So schlecht darf man wirklich nicht verhandeln.

                  Zum Schluss also die Frage: wo siehst Du, dass die Interessen der Lindner-Truppe in diesen Relationen berücksichtigt worden wären? Hm? Bitte nicht: Politik ist keine Mathematik, Du hast das Thema eröffnet, von wegen Digitalisierung hätte der FDP doch gut gestanden und so.

                • Stefan Pietsch 6. November 2018, 16:23

                  Übrigens: auch 2005 war die FDP mit 9,8% fast zweistellig.

  • Kning4711 2. November 2018, 13:17

    Ich sehe die breite Mitte in Deutschland nicht ernsthaft in Gefahr. Letztlich bekennen sich noch immer rund 80 % der deutschen zu einer der Mitte Parteien. Was die von Dir beschriebene Mittepositionierung angeht, so würde ich diese für Westdeutschland und den Bund teilen. Im Osten ist die Linke auf Landesebene aber eben auch eine Partei der Mitte.
    Die Meinungsumfragen liefern leider wenig Futter, wie groß der Protestanteil innerhalb des Votums ist und insb. der Höhenflug der AfD speist sich aus Frust und Protest. Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine AfD ohne eine Kanzlerin Merkel, es deutlich schwieriger haben dürfte in den Meinungsumfragen. Das Feindobjekt wäre weg. Pauschalstimmung gegen Ausländer funktioniert nur dort, wo der Staat sich zurückgezogen hat und sich die Menschen verlassen fühlen. Insofern ist die AfD sehr leicht zu entzaubern, sofern die Parteien endlich die Vernachlässigung des ländlichen Raumes aufgeben. In Ostdeutschland wird die Union über Ihren Schatten springen müssen. Die Linkspartei ist dort SPD Positionen deutlich näher, als die Linkspartei im Bund es wäre. Die Wiedereroberung der Wähler von der AfD ist gemeinsames Ziel und landespolitisch gäbe es hier genügend Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit. Erforderlich ist das ablegen der Scheuklappen auf beiden Seiten.

  • Stefan Pietsch 3. November 2018, 22:35

    Bei allem, wo der Staat originär verantwortlich ist – Sicherheit(skräfte), Infrastruktur, Erziehungs- und Bildungswesen – sind die Lebensverhältnisse angeglichen. Der Anspruch, dass überall die Verdienste,Wirtschaftsstrukturen und Arbeitsmärkte gleich sind, ist – wie üblich bei Ihnen – ein Kriterium, das unerfüllbar ist, womit Sie den Anspruch begründen, dass der Staat immer intervenieren müsste. Nein, das ist keine Sache des Projekts „Deutsche Einheit“ mehr und das sieht die Politik genauso.

    Wenn es eine Mehrheit für eine Erhöhung der Einkommensteuer gibt, muss ich das als Demokrat akzeptieren.
    Wenn es keine Mehrheit für die Abschaffung des Solidaritätszuschlages gibt, müssen Sie das als Demokrat auch akzeptieren.

    Auch wenn ich den Sachverhalt schon häufiger aufgezeigt habe (wie oft meinten Sie?), gerne noch einmal. Die Einkommensteuer ist eine Abgabe, die im Grundgesetz steht. Soweit Artikel 1-20 beachtet werden, ist der Gesetzgeber in der Gestaltung frei. Bundestag und Bundesrat können also problemlos innerhalb großzügiger Grenzen im Gestaltungswillen freien Raum lassen. Der Solidaritätszuschlag ist eine Sonderabgabe und als solche keine von der Verfassung zulässige Steuer. Aus diesem Grund lässt das Bundesverfassungsgericht hier wenig Spielraum. Vor allem darf sie nicht unbegrenzt erhoben werden (siehe z.B. Kohlepfennig).

    Zusammenfassung: Das Eine (Einkommensteuer) ist eine Frage des Demokratieprinzips, das Andere (Soli) eine verfassungsrechtliche Frage der Zulässigkeit. Allein, dass die Abgabe spätestens nach 2019 nicht über jeden Zweifel rechtlicher Souveränität erhaben ist, sollte der Politik die Schamesröte ins Gesicht treiben. Wir haben nicht genügend legale Steuern, als dass wir nicht auch auf halbseidene Maßnahmen zurückgreifen müssen. Comprende? Demokratie versus Rechtsstaat, beides Eckpfeiler eines modernen Staates.

    Menschen, die alles bezahlt bekommen (Free Rider) handeln selten so verantwortungsvoll.
    Das ist sicher richtig. Aber das gibt uns nicht das Recht diese Menschen de facto vom Zugang zum Rechtssystem auszuschließen.

    Darum geht es nicht und ging es nicht. Aber selbst internationale Konzerne und Menschen wie ich wägen sorgfältig ab, ob ein Verfahren wirtschaftlichen Sinn ergibt und verzichten im Zweifel. Ja, ich habe mehr als einmal auf ein Gerichtsverfahren verzichtet, obwohl ich mir (gute) Chancen ausgerechnet habe.

    Wenn der Staat Menschen kostenlos Zugang zu seinen Systemen gewährt, müssen die Nutzer irgendwie bewegt werden, auch Nutzenüberlegungen einfließen zu lassen, um die Systeme nicht zu überfordern. Sie sind kein Anhänger solcher Überlegungen, bestenfalls theoretisch. Sowohl symbolische finanzielle Beteiligungen wie z.B. die frühere Praxisgebühr als auch nicht-monetäre Maßnahmen wie Druck und Zwang werden von Ihnen rigoros abgelehnt. Eine Rechtschutzversicherung kündigt dem Versicherten spätestens beim zweiten Klagefall und entzieht damit jeden Schutz. Sie interpretieren den Staat für Geringverdiener als kostenlose Versicherung ohne Kündigungsmöglichkeit und auf Einseitigkeit ausgelegt.

    Und das, obwohl die Kläger in der weit überwiegenden Zahl der Fälle entweder teilweise oder vollständig unterliegen.
    Noch im Februar diesen Jahres war alleine jede vierte Klage gegen Hartz IV-Bescheide erfolgreich.

    Wieso geben Sie mir mit Ihrer Erwiderung Recht? Eine weit überwiegende Zahl der Klagen waren erfolglos und wahrscheinlich ein gewichtiger Teil der Kläger besagte Prozesshansel. Eine solche Quote 1:3 ist, anders als Sie meinen, eine sehr schlechte und findet sich in dieser Größenordnung gerade noch bei Steuerverfahren.

    Jemand mit einem Jahresverdienst von 80.000€ darf davon lediglich 43.000€ behalten, also etwas mehr als die Hälfte. Wie Sie zuvor anführten, würden Sie gerne bei den Wohlhabenden – jemand mit 80.000€ gilt für Sie als wohlhabend – noch deutlich draufsatteln. Wieviel darf so jemand, der für den Verdienst jahrelange Entbehrungen im Studium in Kauf genommen hat, eigentlich Ihrer Ansicht nach behalten? Zum Vergleich: ein Nicht-Akademiker mit einem Einkommen von 30.000€ darf hiervon 20.000€ für sich behalten. Der Abstand zwischen dem „Wohlhabenden“ und dem „Mittelprächtigen“ wird durch Steuern und Abgaben von 50.000€ auf 23.000€ abgeschmolzen! Berücksichtigen wir dann noch solche Faktoren wie durchschnittliche Arbeitszeit, wird der Abstand der (Netto-) Stundenlöhne noch geringer. Schließlich ist ersterer im AT-Bereich, der andere bekommt jede Mehrstunde vergütet. Auf wie wenig möchten Sie es eigentlich verkürzen? So, dass es keinen Abstand mehr gibt oder dieser nur noch symbolisch ist?

    Ich bin der Überzeugung, dass die Gruppe der Ärzte, Apotheker und Anwälte ein ordentliches und überdurchschnittliches Einkommen haben sollten.

    Sehr nett. Sie gestehen diesen Leuten nur zu, was sie ohnehin verdienen. Das ist der Neidfaktor. Ich gönne dem Hartz-IV-Empfänger auch seinen Lottogewinn, wenn er denn einen erzielt. Aber während Ihnen bei letzterem sehr viel einfällt, was der Staat neben Transferzahlungen für diese tun sollte, ist bei Apothekern und Ärzten gähnende Leere. Rechtssicherheit, Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommensmöglichkeiten, Regulierung? (Wohlgemerkt, nicht dass ich das befürworten würde, darum geht es nicht). Deswegen sage ich, Ihnen sind Bürger egal, die ein gutes Einkommen erzielen. Ab da sind sie Egoisten, wenn sie nicht gerade die gleichen Ziele wie Sie vertreten.

    Wenn Sie Aktien halten (..).

    Und wenn nicht? Auch hier kann ich noch 50mal aufzeigen, dass selbst bei der Abgeltungsteuer die Belastung des ausgeschütteten Gewinns bei über 40% liegt – weit höher als die Steuerbelastung des Durchschnittsverdieners.

    Sie legen ganz offensichtlich Ihr Geld nicht am Kapitalmarkt an. Schauen Sie mal, wer in jedem Markt am höchsten bewertet ist. Es sind Unternehmen, die extrem gut bezahlen. Ihre Argumentation bricht zusammen. Wenn Lohnkürzungen zu steigenden Kursen führen, dann in solchen Fällen, wo die Unternehmen auf der Kippe stehen, siehe z.B. Karstadt. Sie sind Teil des Unternehmensfortführungskonzepts (Going Concern). Merke: bei einer Insolvenz verliert der Kapitalist alles, der Arbeiter nur seinen Arbeitsplatz.

    So, Sie wollten mir zeigen, wo ich mich auf Kosten der mittleren und unteren Verdiener bereichere. Sie erheben einen schweren und daneben ehrverletzenden Vorwurf und können nicht liefern. Das war wohl nix.

    Wenn Sie um die 50 Jahre alt sind oder älter, haben Sie kaum noch Möglichkeiten.

    Ich bin über 50. Ich habe immer noch gute Chancen.

    Mein Doktorvater prägte dazu mal den Satz „je höher man steigt, desto dünner wird die Luft“.

    Sie scheinen den Satz aber nicht verstanden zu haben. Was besagter „Wohlhabender“ mit 200.000€ erhält – das sind in unserer Wirtschaft größtenteils operativ Verantwortliche, die für Staat und Eigentümer haftbar sind – wird häufig in diesen Kreisen als „Schmerzensgeld“ bezeichnet. Sie werden von „Oben“, dem Konzern, den Eigentümern regelmäßig in die Mangel genommen und von „Unten“ geneidet. Ich habe es mehr als einmal erlebt (und war selbst betroffen), dass diese Führungsschicht Gehälter eingefroren oder gar gekürzt bekam, und von der Belegschaft geneidet wurde, weil sie sich angeblich die Taschen voll machen würden. Zum Verständnis: als Geschäftsführer oder überhaupt als Führungskraft darf ich Gehaltsentwicklungen nicht öffentlich machen, schon gar nicht in eigener Sache.

    Mir ist unerklärlich, wie Sie in den Sprachbarrieren der zu uns gekommenen Menschen kein Problem für die Integration in den Arbeitsmarkt sehen können.

    Sprachbarrieren können nur unter großem Einsatz derjenigen beseitigt werden, welche die Landessprache nicht sprechen. Sie argumentieren jedoch, schütte als Staat einen Betrag von X oben rein und unten kommen Sprachgenies raus. Gerade in Deutschland wissen wir, dass das Quatsch ist, trotzdem glauben erstaunlich viele (Linke) daran. Während die meisten Zuwanderer aus Europa, Amerika und Asien problemlos ohne staatliche Förderung die Sprache erlernen, tun es andere auch in 4. Generation nur unzureichend.

    Sie können nichts mit Investitionen in die digitale Infrastruktur des Landes anfangen?

    Nicht, wenn Sie damit den Staat meinen.

    Die Sparbrötchen haben aber einen positiven Einfluss auf das soziale Leben im Viertel.

    Also einer von uns beiden hat beim Modell des sozialen Aufstiegs etwas grundsätzlich missverstanden. Ich verstehe Aufstieg so, dass jeder nach seinen Möglichkeiten die Chance haben soll, sich auch aus seinem Milieu herauszuentwickeln. Die klassische Aufsteigergeschichte eben. Ich bin froh, nicht mehr dort zu leben, wo ich aufgewachsen bin, denn es war ein beengter Ort für Leute mit geringem Einkommen. Und das in den Sechziger bis Achtzigerjahren. Danach gehört es zur Natur der Sache, dass Aufsteiger eben nicht mehr dort leben, wo ihre ärmeren Eltern gewohnt haben. Und damit auch nicht mehr Sozialwohnungen belegen.

    Vielleicht geben Sie mal ein paar generelle Beispiele, die Ihre Sicht belegen.

  • Ralf 4. November 2018, 19:20

    Bei allem, wo der Staat originär verantwortlich ist – Sicherheit(skräfte), Infrastruktur, Erziehungs- und Bildungswesen

    Mich würde Ihre Definition von „originär“ interessieren. Dass Sie persönlich finden, der Staat solle sich auf diese Bereiche beschränken, ist ja in Ordnung, aber was macht diese Bereiche – gegenüber etwa einem sozialen Aufgabenbereich – objektiv „originär“?

    Nur so nebenbei: Ich las vor etwa zwei Jahren ein Buch über kanaanitische Mythen aus der vorisraelitischen Zeit, die einen sehr interessanten Einblick in die damaligen Denkweisen und Kulturen ermöglichen – sozusagen aus der Wiege der Menschheit. Der Begriff „originär“ würde in diesem Zusammenhang also tatsächlich Sinn machen. In einer der Geschichten ging es um einen kranken König, dessen Söhne versuchten ihn abzusetzen. Das Argument der Söhne war, dass der König, der nur noch im Bett lag, seine oberste Pflicht dem Volk gegenüber nicht ausübte. „Was ist wohl die oberste Pflicht eines Königs gegenüber seinem Volk?“, höre ich Sie fragen. „Ist es das Aufstellen einer Armee?“. „Oder das Bauen von Straßen?“. „Oder Schulen?“. Ich muss Sie leider enttäuschen. Die oberste Pflicht des kanaanitischen Königs war es am Stadttor zu sitzen und Witwen, Waisen und Arme mit Lebensmitteln zu versorgen. Weil er das nicht mehr konnte, musste er abgesetzt werden. So, zumindest in einer „originären“ Kultur.

    Das Eine (Einkommensteuer) ist eine Frage des Demokratieprinzips, das Andere (Soli) eine verfassungsrechtliche Frage der Zulässigkeit.

    Ich verstehe Ihr Argument. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlages hat trotzdem keine Priorität für mich. Es gibt andere, wichtigere Aufgaben, die uns die Verfassung aufträgt. So lässt sich aus meiner persönlichen Sicht die Sanktionspraxis bei Hartz IV zum Beispiel nicht mit unserer Verfassung vereinbaren. Dort sind Menschen existentiell bedroht. Wenn wir uns schon um Versäumnisse kümmern wollen, mit Bezug auf das Grundgesetz, dann bitte dort zuerst, wo das Leid am größten ist. Und das Leid ist bei den Wohlhabenden sicher nicht am größten.

    Sie interpretieren den Staat für Geringverdiener als kostenlose Versicherung ohne Kündigungsmöglichkeit und auf Einseitigkeit ausgelegt.

    Geringverdiener haben nicht das notwendige finanzielle Polster, um sich den Zugang zum Rechtssystem zu erkaufen. Zugang zu Gerichtsverfahren mit einer finanziellen Belastung zu verbinden, bedeutet in der Praxis, dass nur noch Wohlhabende Zugang zum Recht haben werden. Für Sie mag das ein akzeptables Opfer sein, wenn dafür die Kosten für den Staat ein bisschen sinken. Für mich ist das nicht hinnehmbar und fundamental im Widerspruch zum Prinzip des Rechtsstaats.

    Wieso geben Sie mir mit Ihrer Erwiderung Recht? Eine weit überwiegende Zahl der Klagen waren erfolglos und wahrscheinlich ein gewichtiger Teil der Kläger besagte Prozesshansel.

    Wir scheinen hier nicht miteinander vereinbare Vorstellungen davon zu haben, was für eine Quote an Unrecht wir bereit sind in Kauf zu nehmen, um Einsparungen im Gerichtssystem zu rechtfertigen.

    Jemand mit einem Jahresverdienst von 80.000€ darf davon lediglich 43.000€ behalten, also etwas mehr als die Hälfte. Wie Sie zuvor anführten, würden Sie gerne bei den Wohlhabenden – jemand mit 80.000€ gilt für Sie als wohlhabend – noch deutlich draufsatteln. Wieviel darf so jemand, der für den Verdienst jahrelange Entbehrungen im Studium in Kauf genommen hat, eigentlich Ihrer Ansicht nach behalten? Zum Vergleich: ein Nicht-Akademiker mit einem Einkommen von 30.000€ darf hiervon 20.000€ für sich behalten. Der Abstand zwischen dem „Wohlhabenden“ und dem „Mittelprächtigen“ wird durch Steuern und Abgaben von 50.000€ auf 23.000€ abgeschmolzen!

    Also zunächst einmal misrepräsentieren Sie hier meine Position. Ich habe jemanden mit einem Einkommen von 80.000 Euro explizit nicht als „wohlhabend“ bezeichnet, sondern lediglich festgestellt, dass dieses Gehalt überdurchschnittlich ist. Dass ich da steuerlich „deutlich“ draufsatteln will, ist Ihre Erfindung.

    Zweitens ist mir nicht ganz klar, was Sie mit den „jahrelangen Entbehrungen im Studium“ meinen. Die meisten Akademiker, die ich kenne – und das sind nicht wenige – bezeichnen ihre Studentenzeit als die beste Zeit ihres Lebens. Die meisten Studenten kriegen von Mami und Papi einen signifikanten Zuschuss zu ihrem Lebensunterhalt. Bei der Mehrheit dürfte keine Notwendigkeit bestehen darüber hinaus noch im Nebenjob zu arbeiten. Und wenn Sie am Abend mal auf die Studenten-Partymeilen in den großen Universitätsstädten gehen, dann können Sie sich da ein genaueres Bild der „Entbehrungen“ der Studenten machen. Bei den meisten Studenten knickt der Lebensstandard erst dann merklich ein, wenn sie nach erfolgreichem Abschluss ihren ersten richtigen Job haben. Und Mami und Papi nicht mehr die Wohnung bezahlen. Und Mami und Papi nicht mehr den Urlaub bezahlen. Und Mami und Papi nicht mehr das Auto bezahlen … 😉

    Aber auch Ihre Rechnung ist irreführend. Das soll im folgenden dargelegt werden.

    Um ein konventionelles Mittelklasse-Leben zu führen, haben Sie gewisse Fixkosten, denen Sie nicht ausweichen können. Da wir im Beispiel des „Gutverdieners“ (ich nenne den jetzt einfach mal so, zur Unterscheidung) mit dem 80.000 Euro-Bruttogehalt von einem unverheirateten Kinderlosen ausgingen, sollten wir gleiches auch beim „Geringverdiener“ mit 30.000 Euro-Bruttogehalt annehmen. Was also braucht ein unverheirateter Kinderloser mindestens, damit seine Existenz „Mittelklasse“ genannt werden kann? (Die Werte im folgenden bitte nicht wortwörtlich nehmen. Ich kenne die Lebenshaltungskosten in Deutschland nicht mehr ausreichend gut. Es geht mir um’s Prinzip, das unabhängig von konkreten Zahlen ist).

    Nun, mindestens braucht der Mensch eine kleine Wohnung. Die bekommen Sie heutzutage wahrscheinlich nicht mehr unter 450 Euro Miete, zumindest nicht in den größeren Ballungszentren. Da kommen dann noch Nebenkosten mit, sagen wir 120 Euro, hinzu. Telefon, Internet, Fernsehen, GEZ machen nochmal 60 Euro. Lebensmittel und Sonstiges, was Sie so im Haushalt benötigen macht nochmal 350 Euro. Kleidung und was Sie möglicherweise für Reparaturen („Kühlschrank geht kaputt“) benötigen, sind nochmal anteilig 50 Euro pro Monat. Darüber hinaus schlagen Versicherungen mit 50 Euro zu Buche. Insgesamt macht das 1080 Euro pro Monat Fixkosten.

    Wenn wir das Jahresnettogehalt des „Gutverdieners“ auf 12 Monatsgehälter herunterrechnen (43.000 Euro geteilt durch 12), kommen wir auf etwa 3600 Euro. Entsprechend beim Geringverdiener sind das ungefähr 1700 Euro (20.000 Euro geteilt durch 12). Jetzt ziehen wir von beiden Nettomonatsgehältern die unausweichbaren Fixkosten von 1080 Euro ab. Was übrig bleibt, ist was wir den „Lebensstandard“ nennen. Eben der Luxus, den wir uns gönnen. Das Geld, mit dem wir in den Urlaub fahren oder ins Restaurant gehen. Das Geld, mit dem wir uns eine etwas größere Wohnung anmieten, als wir eigentlich absolut zum Leben bräuchten. Das Geld, mit dem wir unser Hobby finanzieren, von dem wir uns ein Auto kaufen und unterhalten. Das Geld, mit dem wir ins Kino, ins Theater oder mit Freunden einen Trinken gehen. Mit anderen Worten: Das Geld, das direkt unsere Lebensqualität und unseren Lebensstandard bestimmt, jenseits dessen, was für eine bescheidene Basisexistenz essentiell ist.

    Also wieviel bleibt dem „Gutverdiener“? Wieviel bleibt dem „Geringverdiener“? Die Antwort ist, dem „Gutverdiener“ bleiben monatlich über 2500 Euro. Der „Geringverdiener“ hat nur etwa 600 Euro für seinen Lebensstandard. Noch nicht einmal einmal ein Viertel des „Gutverdieners“. Das Verhältnis beim Lebensstandard ist 4,1. Das Verhältnis beim Bruttogehalt ist übrigens lediglich 2,7. Der Grund für das Misverhältnis ist, dass der „Geringverdiener“ einen überproportional hohen Betrag aufwenden muss, um seine nackte Existenz zu sichern. Darüber hinaus bleibt kaum noch etwas für die schönen Dinge des Lebens übrig. Daran ändert auch die progressive Besteuerung nichts. Der „Gutverdiener“ ist so oder so der Gewinner. Seine Lebensqualität ist dramatisch viel höher. Diese Effekte verschweigen Sie konsequent in Ihrer Rechnung und kommen deshalb zwangsläufig zu einem irreführenden Ergebnis.

    Sehr nett. Sie gestehen diesen Leuten nur zu, was sie ohnehin verdienen. Das ist der Neidfaktor.

    Ich kann nicht erkennen, was es mit „Neidfaktor“ zu tun hat, wenn man feststellt, dass es denen, denen es mit Abstand am besten von allen geht, ausreichend gut geht. Ich habe übrigens Ärzte in meinem Freundeskreis. Die finden auch, dass es ihnen klasse geht. Womöglich sind sie neidisch auf sich selbst …

    So, Sie wollten mir zeigen, wo ich mich auf Kosten der mittleren und unteren Verdiener bereichere. Sie erheben einen schweren und daneben ehrverletzenden Vorwurf und können nicht liefern.

    Wenn man den Wohlhabenden die Steuern/Abgaben senkt, dann müssen entweder die weniger Wohlhabenden mehr Steuern/Abgaben zahlen, oder der Staat muss seine Leistungen verringern oder wir müssen mehr Schulden aufnehmen. Ich nehme an, Sie möchten keine neue Schulden aufnehmen. In der Bevölkerung wäre das auch nicht besonders populär. Noch weniger populär wäre es die Leistungen des Staates zu verringern. Also weniger Polizisten auf den Straßen oder weniger Lehrer in den Schulen oder mehr Krankenhäuser schließen oder marode Brücken nicht mehr reparieren oder die Renten kürzen oder oder oder. Bleibt also nur, den schwachen Schultern mehr aufzubürden. Weshalb das unsozial ist, muss ich Ihnen hoffentlich nicht erklären.

    Ich bin über 50. Ich habe immer noch gute Chancen.

    Das freut mich für Sie. Was macht Sie glauben, dass Sie repräsentativ für die große Mehrheit der Über-50-Jährigen sind?

    Was besagter „Wohlhabender“ mit 200.000€ erhält […] wird häufig in diesen Kreisen als „Schmerzensgeld“ bezeichnet.

    Dazu gehört schon Chuzpe ein Gehalt von 200.000 Euro als Schmerzensgeld zu bezeichnen.

    Sie werden von „Oben“, dem Konzern, den Eigentümern regelmäßig in die Mangel genommen und von „Unten“ geneidet.

    Der Chef nimmt Sie von oben regelmäßig in die Mangel. Die Untergebenen begegnen Ihnen mit Neid.

    Klingt für mich wie eine völlig typische Situation, die aus dem Leben einer x-beliebigen mittleren Führungskraft in einem x-beliebigen kleineren Unternehmen genommen sein könnte. Nur jammern die meisten nicht so. Und die meisten bekommen auch kein „Schmerzensgeld“ von 200.000 Euro.

    Sie argumentieren jedoch, schütte als Staat einen Betrag von X oben rein und unten kommen Sprachgenies raus.

    Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge. Wo genau habe ich den Begriff „Sprachgenies“ verwendet? Wo habe ich geschrieben, dass das Überwinden von Sprachbarrieren ganz locker und total einfach mit Zahlungen durch den Staat erkauft werden kann (i.e. dass mehr Investitionen durch den Staat also der einzige benötigte Faktor sind)?

    Vielleicht geben Sie mal ein paar generelle Beispiele, die Ihre Sicht belegen.

    Gerne. In dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es praktisch ausschließlich Sozialwohnungen. Die Siedlung wurde Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre gebaut. Ich nehme an, um eine Wohnung zu bekommen, musste man bedürftig sein. Die Menschen, die dort einzogen, hatten kleine Gehälter, oder gingen noch zur Uni, manche hatten möglicherweise im Augenblick keine Arbeit. Viele stiegen mit der Zeit ein wenig auf. Bei meinen Eltern zum Beispiel war mein Vater zum Zeitpunkt des Einzugs noch in der Universitätsausbildung und meine Mutter war Hausfrau mit einem kleinen Kind. Ein Einkommen gab es garnicht. Zwölf Jahre später arbeiteten sowohl meine Mutter als auch mein Vater in Vollzeit.. Unsere finanzielle Situation war erheblich besser. Und so ging es vielen in der Siedlung. Natürlich nicht allen. Der Anteil der bürgerlichen Mittelklasse war Mitte der 80er Jahre geschätzt vielleicht etwa 45%. Dazu kamen 45% Arbeiter. Und möglicherweise 10% „soziale Problemfälle“. Diese 10% ließen sich integrieren. Sie dominierten nicht die Schulklassen. Sie dominierten nicht die Hausgemeinschaften. Sie dominierten nicht das Erscheinungsbild auf den Straßen. Und die meisten passten sich so gut es ging an die Mehrheit an.

    Als die Fehlbelegungsabgaben eingeführt wurden, verliessen die „Aufsteiger“ fast flächendeckend das Viertel (mit „Aufsteiger“ sind hier offensichtlich nicht Millionäre gemeint, sondern zuvor Mittellose, die den Sprung in die untere bürgerliche Mittelklasse geschafft hatten). Übrig blieben die gescheiterten Existenzen: Langzeitarbeitslose, Alkoholiker, Drogenabhängige, Asoziale. Dazu jede Menge Einwanderer, die die deutsche Sprache nicht beherrschten. Entsprechend entwickelten sich die Schulen. Entsprechend entwickelten sich die Hausgemeinschaften. Entsprechend entwickelte sich das Erscheinungsbild auf den Straßen. Konkret in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, verschwand die bürgerliche Hausgemeinschaft – Menschen, die sich gut kannten, die sich auf einander verlassen konnten und die in Freundschaft verbunden waren – vollständig. Zum Schluss wohnte im Erdgeschoss ein Heroinabhängiger, der nach dem Verlust des Wohnungsschlüssels die Wohnung nur noch durch das Fenster betrat und verließ. In den Keller wurde regelmäßig uriniert und manchmal wohl auch größere Geschäfte erledigt. Keiner der Mieter pflegte noch irgendwelche Kontakte untereinander. Niemand grüßte sich mehr. Der Hausflur vermüllte. Im Treppenhaus wurde nicht mehr geputzt. Das komplette Haus ging downhill. Und das war kein Zufall, denn in den Nachbarhäusern sah es auch nicht anders aus.

    So sieht das Ergebnis aus, wenn aus einer Siedlung alle Aufsteiger wegziehen und nur die Gescheiterten zurückbleiben und akkumulieren. Die sozialen Folgekosten sind horrend.

    • Stefan Pietsch 5. November 2018, 11:14

      Nun, ich habe Ihnen eine liberale Interpretation untergeschoben und Sie an anderer Stelle eine kommunistische. Doch dazu später. 🙂

      Dass Sie persönlich finden, der Staat solle sich auf diese Bereiche beschränken, ist ja in Ordnung, aber was macht diese Bereiche – gegenüber etwa einem sozialen Aufgabenbereich – objektiv „originär“?

      Das ist zugegeben die liberale Sicht auf den Staat und zweifellos die Grundfunktionen, die ein modernes Gemeinwesen sicherstellen muss. Wir haben in Deutschland überall gleiche rechtliche und soziale Lebensverhältnisse. Was wir nicht haben: gleiche wirtschaftliche Umstände. Doch das kann auch der bundesrepublikanische Staat nicht bieten und ist keine Unterscheidung zwischen Ost und West mehr.

      Die Abschaffung des Solidaritätszuschlages hat trotzdem keine Priorität für mich.

      Darauf kommt es ja eben nicht an. Doch der gesetzestreue wie gesetzesgläubige Bürger hat ein Recht, dass nur Steuern und Abgaben erhoben werden, die eine verfassungsrechtliche Grundlage haben. An der Stelle fällt mir auf, dass nicht nur Sie laissez faire mit dem Rechtsstaat umgehen, wenn Sie mit den politischen Intensionen einverstanden sind (siehe Migration und Soli), aber es eng sehen, wenn einzelne nicht jeden Punkt einklagen können oder auch nur dafür eigene Mittel aufbringen müssen.

      So lässt sich aus meiner persönlichen Sicht die Sanktionspraxis bei Hartz IV zum Beispiel nicht mit unserer Verfassung vereinbaren.

      Das mag so sein, ist aber allein Ihre Interpretation. Der Sozialstaat steht im Grundgesetz, nicht die Grundversorgung. Zum Sozialstaat gehört, dass nur Bedürftige Anspruch auf seine Leistungen haben und diese Bedürftigkeit nachgewiesen werden muss. Für die Verfassungskonformität der Sanktionspraxis spricht, dass jemand, der Aufforderungen zur Arbeitsaufnahme nicht folgt, wohl nicht bedürftig sein kann.

      Geringverdiener haben nicht das notwendige finanzielle Polster, um sich den Zugang zum Rechtssystem zu erkaufen.

      Das ist Unsinn. Der Zugang zu unserem Rechtssystem ist außerordentlich günstig – und wird deswegen auch weidlich genutzt. Nahezu jede arbeitgeberseitige Kündigung beispielsweise landet vor den Arbeitsgerichten. Wie kann das sein, schließlich gibt es ja auch sehr schlecht verdienende Arbeitnehmer? Die Klageflut im Sozialrecht oder auch gegen Asylentscheidungen sind auch kein Beleg, dass das Recht für Mittellose schwer zu bekommen sei.

      Nur, ich warte immer noch auf Ideen von Ihnen, wie diesen Mittellosen die Gedanken gepflanzt werden könnten, die Mittelreiche automatisch haben. Abwägen, ob sich eine Klage lohnt. Darf es beispielsweise sein, dass ein Mittelloser auch wegen 100 oder 300€ auf Kosten der Solidargemeinschaft völlig ohne Risiko sein Ziel verfolgen darf? Und was ist, wenn ein Prozesshansel auf dem Ticket der Prozesskostenhilfe auch das 3. Verfahren nacheinander verloren hat? Da interessieren mich Ihre Überzeugungen schon.

      Wir scheinen hier nicht miteinander vereinbare Vorstellungen davon zu haben, was für eine Quote an Unrecht wir bereit sind in Kauf zu nehmen, um Einsparungen im Gerichtssystem zu rechtfertigen.

      Das ist aber eine sehr wichtige Frage. Kaum jemand, der das eigene Portemonnaie im Blick hat, wird wegen 100€ prozessieren und schon gar nicht, wenn er nur geringe Erfolgsaussichten hat. Im Gegenteil, droht das Risiko hoher Kosten im Falle einer Niederlage, fördert dies die Einigungsbereitschaft im Vorfeld. Das alles scheinen Sie nicht zu wollen oder geringzuschätzen. Sie stört es jedenfalls nicht, dass 3 von 4 Hartz-IV-Empfängern völlig grundlos die Solidargemeinschaft in Anspruch genommen und Richter mit einem Anliegen beschäftigt haben, das ziemlich klar abzuschmettern war. Leute dürfen alles, so sie nur schreien: „Ich bin arm und hilfebedürftig“?

      Also zunächst einmal misrepräsentieren Sie hier meine Position. Ich habe jemanden mit einem Einkommen von 80.000 Euro explizit nicht als „wohlhabend“ bezeichnet, sondern lediglich festgestellt, dass dieses Gehalt überdurchschnittlich ist.

      Okay, wir können das Spiel auch mit den anderen Einkommensgruppen machen, das Bild verändert sich nicht. Denn Sie sagten: Wenn es sich um einen Einzelpersonenhaushalt handelt, ist zumindest bei 100.000 Euro der Begriff „wohlhabend“ durchaus angemessen.

      Der mit 100.000€ darf noch 53.000€ für sich behalten, hier verkürzt sich der Abstand von (vor Abgaben) 70.000€ auf 33.000€. D.h., schon jemand, der zwar ohne Zweifel gut verdienend, aber auch nicht „reich“ ist, muss mehr abgeben als ein Durchschnittsverdiener überhaupt bekommt. Dieser Wohlhabende, der dieses Einkommen ja kaum ohne vorherige Entbehrungen (Studium, Nebenjobs, Abend- und Wochenendarbeit, hoher Stress) erhält, bekommt die Hälfte dieses Vorsprungs abgenommen gegenüber jenem, der den einfachen Weg – Realschule, Lehre, Nine-to-Five – eingeschlagen hat. Und das finden Sie fair.

      Nein, Sie finden das sogar immer noch unzureichend: Die Wohlhabenden sind schlicht und ergreifend gegenwärtig keine Priorität. Denen geht’s gut. Und denen wird’s auch bei steigender Steuerbelastung immer noch gut gehen.

      Zweitens ist mir nicht ganz klar, was Sie mit den „jahrelangen Entbehrungen im Studium“ meinen. Die meisten Akademiker, die ich kenne – und das sind nicht wenige – bezeichnen ihre Studentenzeit als die beste Zeit ihres Lebens.

      Das mag für viele kulturell so sein. Fakt ist, während andere schon längst ihre kleinbürgerliche Existenz aufbauen, mit Freundin zusammenziehen, in die ersten Urlaube fliegen, jobbt der Student ohne reiche Eltern in den Semesterferien oder schreibt nervige Seminararbeiten. So lebte ich jahrelang für mein Studium auf 13-15 qm und sah meine kleine Tochter nur am Wochenende (bei deren Geburt ich übrigens nicht dabeisein konnte). In den Semesterferien fiel ich um fünf oder sechs aus dem Bett, trug erst Post aus und war später in der Woche für die Wirtschaftsprüfung fern der Heimat unterwegs. Dafür muss ich mir heute anhören, ich sei ein Egoist und es sei erst okay, wenn mein Nach-Steuer-Einkommen in der Nähe eines Mittelverdieners angekommen sei. Genau das schreiben Sie.

      Es gibt in der Finanzwissenschaft – die Lehre von den Einnahmen des Staates – verschiedene Gerechtigkeitsmaßstäbe. In Deutschland haben wir uns für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entschieden, das ist ein sozialistischer Ansatz (alles nicht meine Erfindung!). Kirchhoff präsentierte übrigens einen liberalen. Der kommunistische Ansatz geht noch weiter, er fragt, wie Sie das auch getan haben, was hat jemand neben den essentiellen Kosten des Lebens noch als Sahnehäubchen. Und dies ist dann alles Objekt des gesellschaftlichen Ausgleichs. So, jetzt wissen Sie ungefähr, in welcher Ecke Sie mit Ihren Vorstellungen stehen, wenn Sie behaupten, meine Rechnung wäre irreführend.

      Ich kann nicht erkennen, was es mit „Neidfaktor“ zu tun hat, wenn man feststellt, dass es denen, denen es mit Abstand am besten von allen geht, ausreichend gut geht.

      Das meinte ich nicht mit Neidfaktor. Aber Sie haben gesagt, Sie gönnen jemanden sein Haus. Das Gegenteil von Gönnen ist Neiden. Sie haben folglich beschrieben, wie weit Sie nicht neiden. Nur hat das nichts damit zu tun, dass der moderne Staat auch Leistungen für den Reichen erbringen muss. Dies ist aber das, was Ihnen wirklich egal zu sein scheint.

      Wenn man den Wohlhabenden die Steuern/Abgaben senkt, dann müssen entweder die weniger Wohlhabenden mehr Steuern/Abgaben zahlen, oder der Staat muss seine Leistungen verringern oder wir müssen mehr Schulden aufnehmen.

      Das ist Milchmädchen. Sie gehören doch z.B. zur Fraktion derjenigen, die behaupten, in Deutschland ginge es immer unsozialer zu. Gemessen an den Ausgaben ist das höchst erstaunlich, niemals zuvor wurde so viel Geld für Soziales verauslagt – absolut sowieso und relativ fast. Damit sagen Sie jedoch – schließlich sehen Sie ein Mehr an Unsozialem – dass die Mittel nicht sinnvoll verteilt werden. Einen anderen Schluss sehe ich nicht aus den Formulierungen (okay, sind meine). Würden die Dinge anders organisiert, müsste niemand mehr bezahlen, es würde nirgends etwas weggenommen – zumindest nicht bei den Destinataren – und mehr Schulden müssten auch nicht gemacht werden. Wenn Richter Anwesenheitsvorgaben erhielten, könnten mehr Verfahren abgewickelt werden. Der gleiche Effekt könnte durch andere Maßnahmen wie Verwaltungsvereinfachungen erreicht werden. All dies wären Wege, die Abgabenlast zu reduzieren.

      Wir könnten auch den Einkommensteuertarif indexieren, um sicherzustellen, dass nicht inflationsausgleichende Lohnerhöhungen zu Steuererhöhungen führen. Und wir könnten das Plus in den Steuereinnahmen des Staates zur Senkung nutzen statt die Leistungen immer weiter auszuweiten. Aber Sie wollten mir immer noch zeigen, wie ich meiner Frau (Erzieherin) schade. Und zwar direkt. Und nicht ideell. Denn ideell schade ich meiner Frau bereits, wenn ich einer anderen nachschaue. 🙂

      Das freut mich für Sie. Was macht Sie glauben, dass Sie repräsentativ für die große Mehrheit der Über-50-Jährigen sind?

      Die Statistik. Tatsächlich ist es ein abenteuerlicher Gedanke, ein 60jähriger könne unter den gleichen vertragsrechtlichen und finanziellen Bedingungen arbeiten wie als Mitte 30jähriger. Schließlich setzen wir die Annahme ja auch nicht für, sagen wir, einen 16jährigen oder einen 71jährigen.

      Dazu gehört schon Chuzpe ein Gehalt von 200.000 Euro als Schmerzensgeld zu bezeichnen.

      Ich würde Sie gerne eine Woche mitnehmen, damit Sie verstehen, warum das in meinen Kreisen so gesehen wird. Dann reden Sie möglicherweise nicht mehr von Chuzpe.

      Klingt für mich wie eine völlig typische Situation, die aus dem Leben einer x-beliebigen mittleren Führungskraft in einem x-beliebigen kleineren Unternehmen genommen sein könnte.

      Da zumindest scheinen Sie mit Unkenntnis gesegnet. Ein kleines Unternehmen mit höchstens 50 Mitarbeitern kann sich in den seltensten Fällen sechsstellige Gehälter leisten. In mittelgroßen Unternehmen mit meist 50-1000 Mitarbeitern finden sich ebenfalls nur wenige in der Gehaltsklasse, Geschäftsführer / Vorstände verdienen dort zwischen 200.000 und 500.000 Euro. Die Leute darunter, das sind Vertriebsleiter, Marketing- und Logistikchef sowie kaufmännische Leiter liegen zwischen 60.000 und 120.000 Euro. Das sind die Leute, über die wir die ganze Zeit gesprochen haben. Das aber wiederum ist Leitungsebene, oft Leitende Angestellte im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes und manchmal Prokuristen.

      Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge. Wo genau habe ich den Begriff „Sprachgenies“ verwendet?

      Gar nicht. Aber Sie haben behauptet, wir müssten hohe Beträge für Sprachförderung ausgeben um Integration zu erreichen. Milliardenbeträge, die Größenordnung muss es ja wohl sein, sonst könnten Sie mit dem Argument nicht Steuersenkungen zurückweisen. Warum Sie gerade an der Stelle von dem Investitionszwang des Staates sprechen, aber nicht von dem nicht-monetären Aufwand von Zuwanderern, lässt sich für mich nicht begreifen, wenn Sie nicht auf Seiten von Migranten von Sprachgenies ausgehen, denen die Sprache nur zufliegt, wenn genügend Geld ausgeschüttet wird.

      In dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es praktisch ausschließlich Sozialwohnungen.

      Interessant. Was meinen Sie, jemand der aufsteigt, sollte doch hoffentlich ein weit überdurchschnittliches Einkommen beziehen. Sagen wir mal wieder unsere Range von 80.000 – 120.000€. Wäre es nicht schön, wenn so jemand neben dem beruflichen auch den Ehrgeiz entwickeln würde, sein eigenes Haus zu bauen? Oder statt in Köln-Kalk nach Köln-Rodenkirchen mit besserem Rheinblick zu ziehen? Für die meisten, die viele Lebensjahre und viel Geld in ihre Allgemeinbildung wie ihre Sprachbildung investiert haben, wird es wohl nicht attraktiv sein, in einem Viertel mit radebrechenden Nachbarn die eigenen Kinder groß zu ziehen.

      Der Sinn einer Aufsteigergesellschaft ist im Unterschied zu Ihrer Darstellung, dass Nachwachsende sich raus aus den eigenen Verhältnissen entwickeln und damit auch fortziehen. Es gibt nirgends auf der Welt die Entwicklung, dass Aufsteiger ihr Viertel zu einer Luxusgegend gemacht hätten. Wenn, dann funktioniert es wie in Berlin Neukölln anders herum. Junge Aufsteiger suchen günstige Wohnungen und verdrängen die geringverdienenden Alteinwohner, sanieren Wohnviertel und Infrastruktur, heben das kulturelle Niveau.

      Ihre Methode ist eine idealisierte Wunschvorstellung, die mit realistischen staatlichen Zielen nichts zu tun hat. Selbstverständlich sehe ich die Gefahren, die Sie ja beschreiben. Aber junge, bildungshungrige Menschen mit dem Angebot günstiger Sozialwohnungen dauerhaft halten zu wollen, muss zum Scheitern verurteilt sein.

      Ich respektiere ich soziales Engagement und ihr Gewissen. Was mich jedoch wundert: warum nehmen Sie nicht mal diejenigen ins Visier, die ihre Wohnung vermüllen, verkoten, urinieren. Ist das menschgegeben? Wohl kaum. Der Drogensüchtige verschwindet nicht, weil ein Jungakademiker um die Ecke wohnt. Die Hartz-IV-Familie hält ihre Wohnung nicht deswegen ordentlich, weil nebenan ein junges Pärchen von einer Marketing-Agentur wohnt.

      Es hat mich schon an anderer Stelle irritiert: warum finden Sie es richtig, junge Menschen mit Potential um Lebenschancen zu betrügen, sie in ihrer Entwicklung ausbremsen zu dürfen, damit sozial Abgehängte sich vielleicht besser fühlen dürfen?

      • Ralf 5. November 2018, 20:48

        Was wir nicht haben: gleiche wirtschaftliche Umstände.

        Aus meiner Sicht muss es das Ziel eines jeden Staatswesens sein überall im Staatsgebiet annähernd gleiche wirtschaftliche Verhältnisse zu schaffen. Das ist natürlich in der Praxis immer ein Stück weit eine Sisyphusaufgabe und den Begriff „annähernd“ im obigen Zusammenhang darf man gerne weit ausgelegen. Aber Missverhältnisse wie etwa in den USA, wo bettelarme Staaten wie Louisiana oder Arkansas extrem reichen Regionen wie New York oder Massachusetts gegenüber stehen, lehne ich ab. Da ist man einfach kein zusammenhängendes Land mehr. Und Amerika bricht ja auch zunehmend auseinander. (Aus vielen Gründen, aber eben auch aus wirtschaftlichen).

        Doch der gesetzestreue wie gesetzesgläubige Bürger hat ein Recht, dass nur Steuern und Abgaben erhoben werden, die eine verfassungsrechtliche Grundlage haben.

        In der Realpolitik wird immer viel getrickst. Da wird das Grundgesetz gedehnt, verbogen, gebrochen. Ohne das, wäre Deutschland nie am Hindukusch verteidigt worden und die Sanktionspraxis bei Hartz IV würde nicht existieren. Man kann fast immer einen Grund finden die Verfassung entlang den eigenen Zielen zu interpretieren. Die Gegenseite tut das laufend.

        Anders als bei Krieg und Hartz IV geht es beim Solidaritätszuschlag allerdings nicht um Leben und Tod und auch nicht um die nackte Existenz von Menschen. In der Praxis ist das Steuer- und Abgabensystem ein großer Pott, in dem alle Einnahmen gesammelt werden und aus dem dann die Ausgaben getätigt werden. Ob dieses Geld durch eine höhere Einkommensteuer oder durch eine Abgabe namens Solidaritätszuschlag zustande kommt, ist für mich (wie wahrscheinlich für die übergroße Mehrheit der Bürger) ein unwesentliches technisches Detail. Es ist so ziemlich der letzte Punkt, an dem ich einen Verfassungsstreit anfangen würde. Es gibt weiß Gott größeres Unrecht als den Solidaritätszuschlag, der im übrigen auch noch die Richtigen trifft, möglicherweise auf eine technisch nicht ganz hundertprozentig saubere Art und Weise …

        Der Sozialstaat steht im Grundgesetz, nicht die Grundversorgung.

        Im Grundgesetz steht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Daraus folgt aus meiner tiefen Überzeugung, dass der Staat den Bürgern Grundbedürfnisse abdecken muss und folglich bei Sanktionen das Existenzminimum nicht unterschreiten darf. Auch eine wie auch immer geartete Arbeitspflicht (Zwangsarbeit wäre ein analoger Begriff) ist aus meiner Sicht nicht konform mit dem Geist unserer Verfassung.

        Die Politik ignoriert das, weil sie es sich leisten kann. Es gibt eben nicht genug Protest dagegen. Pech gehabt. Aber zu erklären, diese Handlungen seien im Einklang mit dem Grundgesetz, ist so ähnlich wie wenn ein Bundeswehrpfarrer den Soldaten die zehn Gebote vorliest und anschließend erklärt, es sei in Ordnung den Feind zu töten. Es ist halt eine Botschaft, die sich einem Zweck unterordnet. Mit dem Geist des Werkes, auf das sie sich moralisch bezieht, hat sie jeden Bezug verloren.

        Nur, ich warte immer noch auf Ideen von Ihnen, wie diesen Mittellosen die Gedanken gepflanzt werden könnten, die Mittelreiche automatisch haben. Abwägen, ob sich eine Klage lohnt. Darf es beispielsweise sein, dass ein Mittelloser auch wegen 100 oder 300€ auf Kosten der Solidargemeinschaft völlig ohne Risiko sein Ziel verfolgen darf?

        Das darf nicht nur so sein, das muss sogar so sein. Für einen Hartz IV-Empfänger sind 100 Euro bis 300 Euro wesentlich mehr Geld als für Sie oder mich 10.000 Euro sind. Den Verlust von 10.000 Euro würde ich ohne Frage spüren, aber ich wäre nicht in meiner Existenz bedroht und den Verlust würde ich nach einem Jahr wieder augebügelt haben. Im Gegensatz dazu steht ein Hartz IV-Empfänger, dem 300 Euro genommen werden, vor dem Nichts. Hier ist eine Klagemöglichkeit und Zugang zum Rechtssystem dringend geboten.

        Ihr Argument, dass das möglicherweise von manchen – möglicherweise sogar von vielen – ausgenutzt wird, verstehe ich. Es ist auch nicht falsch. Aber das muss eine Gesellschaft, die in einem Rechtsstaat leben will, eben aushalten.

        Völlig abstruse Klagen, dürfen von Gerichten im übrigen auch abgelehnt werden. So geschah es zum Beispiel beim Verwaltungsgericht Neustadt im Falle einer Klage um 3 Cent:

        https://www.rheinpfalz.de/lokal/neustadt/artikel/neustadt-stadt-gewinnt-prozent-um-drei-cent/

        Der mit 100.000€ darf noch 53.000€ für sich behalten, hier verkürzt sich der Abstand von (vor Abgaben) 70.000€ auf 33.000€. D.h., schon jemand, der zwar ohne Zweifel gut verdienend, aber auch nicht „reich“ ist, muss mehr abgeben als ein Durchschnittsverdiener überhaupt bekommt.

        Sie wiederholen hier einfach mit neuen Zahlen die selbe Rechnung, die Sie bereits gestern aufgestellt hatten und bei der ich bereits gestern beschrieben hatte, weshalb ich sie für eine Milchmädchenrechnung halte.

        Der kommunistische Ansatz geht noch weiter, er fragt, wie Sie das auch getan haben, was hat jemand neben den essentiellen Kosten des Lebens noch als Sahnehäubchen. […] So, jetzt wissen Sie ungefähr, in welcher Ecke Sie mit Ihren Vorstellungen stehen, wenn Sie behaupten, meine Rechnung wäre irreführend.

        Mir ist ehrlich gesagt egal, aus welcher Ecke ich Applaus bekomme. Ich finde ich habe mit meiner Rechnung ein plausibles Argument geliefert, das auszuformulieren einige Mühe gemacht hat, und stelle verwundert fest, dass Sie die Rechnung nicht inhaltlich angreifen, sondern lediglich versuchen mich in die Nähe eines Kommunisten zu rücken. Und diese Entgegnung ist noch nicht einmal besonders stimmig. Ein Kommunist strebt an, dass jenseits der Existenzsicherung auch alle den exakt gleichen Lebensstandard haben. Ich hingegen hatte (einfach als Diskussionsbeitrag mal) vorgeschlagen, dass jenseits der Existenzsicherung der Unterschied im Lebensstandard zumindest nicht größer sein sollte als was man proportional im Verhältnis der Bruttogehälter erwarten würde. Wenn also der eine 30.000 Euro und der andere 90.000 Euro verdient, sollte letzterer nach Abzug der Existenzsicherung nicht mehr als dreimal soviel übrig haben wie ersterer. Nicht gerade ein kommunistischer Ansatz …

        Fakt ist, während andere schon längst ihre kleinbürgerliche Existenz aufbauen, mit Freundin zusammenziehen, in die ersten Urlaube fliegen, jobbt der Student ohne reiche Eltern in den Semesterferien oder schreibt nervige Seminararbeiten. So lebte ich jahrelang für mein Studium auf 13-15 qm und sah meine kleine Tochter nur am Wochenende (bei deren Geburt ich übrigens nicht dabeisein konnte). In den Semesterferien fiel ich um fünf oder sechs aus dem Bett, trug erst Post aus und war später in der Woche für die Wirtschaftsprüfung fern der Heimat unterwegs.

        Studenten sind in erster Linie die Kinder der Mittelklasse und der Wohlhabenden. Arbeiterkinder oder die Kinder der Mittellosen schaffen es fast nie auf die Uni. Deshalb muss auch kaum ein Student jobben. Die die noch nebenbei einen Job haben, machen das in der Regel, um die eigene Kasse etwas aufzubessern, nicht um ihre blanke Existenz zu finanzieren.

        Was Ihre Biographie angeht, davor habe ich Respekt und ziehe meinen Hut. Aber damit sind Sie gerade heutzutage nicht mehr repräsentativ. Das war vielleicht in den Siebzigern noch anders, als noch viele junge Menschen aus einfachen Verhältnissen an die Universitäten strömten. Das gibt es heutzutage kaum noch.

        Dieser Wohlhabende, der dieses Einkommen ja kaum ohne vorherige Entbehrungen (Studium, Nebenjobs, Abend- und Wochenendarbeit, hoher Stress) erhält, bekommt die Hälfte dieses Vorsprungs abgenommen gegenüber jenem, der den einfachen Weg – Realschule, Lehre, Nine-to-Five – eingeschlagen hat. Und das finden Sie fair.

        Ja, das finde ich fair. Mir macht mein Job Spass. Ich bin froh und stolz, dass ich diese Arbeit machen kann. Wären mir die Entbehrungen zu viel, wäre mir der Stress zu viel, hätte ich ja was anderes machen können. Ich hätte ja irgendwo beim Staat in irgendeinem Büro eine ruhige Kugel schieben können. Aber ich wollte eben etwas anderes machen. Ich wollte eine Tätigkeit, die eine Herausforderung ist. Mir Wissen anzueignen, ist nicht Bürde, sondern macht mir Freude. Mein Beruf ist ein Privileg. Werde ich damit reich? Nein, wahrscheinlich nicht. Ein erfolgreicher Klempner mit eigenem Betrieb dürfte deutlich besser verdienen als ich. Möchte ich deshalb Klempner werden? Nein, danke …

        Da zumindest scheinen Sie mit Unkenntnis gesegnet. Ein kleines Unternehmen mit höchstens 50 Mitarbeitern kann sich in den seltensten Fällen sechsstellige Gehälter leisten.

        Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Genau das hatte ich geschrieben … ^^ 😉

        Aber die Situation, dass einen von oben der Chef in die Mangel nimmt, während von unten die Untergebenen mit Neid aufwarten, ist eine Situation die es wahrscheinlich in jedem zweiten Unternehmen gibt. Nur werden die meisten dafür eben nicht mit einem „Schmerzensgeld“ von 200.000 Euro entschädigt …

        Aber Sie haben behauptet, wir müssten hohe Beträge für Sprachförderung ausgeben um Integration zu erreichen.

        Die Kenntnis der Sprache ist essentiell für die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Investitionen des Staates, z.B. in Form von Sprachkursen, sind eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um die Überwindung von Sprachbarrieren zu gewährleisten.

        Was meinen Sie, jemand der aufsteigt, sollte doch hoffentlich ein weit überdurchschnittliches Einkommen beziehen. Sagen wir mal wieder unsere Range von 80.000 – 120.000€.

        Das hat mit realen Aufstiegen der kleinen Leuten nicht viel zu tun. Die wenigsten überspringen gleich mehrere Klassen. Die die tatsächlich zu einem Gehalt von 80.000 Euro bis 120.000 Euro kommen, werden auch ohne eine Fehlbelegungsabgabe in ein luxuriöseres Viertel ziehen. Nein, in meinen Beispielen ging es um Aufsteiger, bei denen etwa ein zweites Halbtagsgehalt hinzugekommen ist, weil z.B. die Frau angefangen hat zu arbeiten. Oder jemand, der zuvor ein sehr geringes Gehalt hatte, ist befördert worden und bekommt jetzt ein leicht höheres Gehalt. Wir reden nicht von Arbeitslosen, die plötzlich nach einem Lottogewinn zu Millionären wurden, sondern um Familien, die mit sehr kleinen Schritten wirtschaftlich ein bisschen stärker geworden sind.

        Die Hartz-IV-Familie hält ihre Wohnung nicht deswegen ordentlich, weil nebenan ein junges Pärchen von einer Marketing-Agentur wohnt.

        Das stimmt so nicht notwendigerweise. In unserem Nachbarhaus kam die Wohngemeinschaft zum Beispiel einmal im Monat zu Kaffee und Kuchen zusammen. Jede Mietspartei war dabei einmal der Gastgeber. Die überwiegende Zahl der Bewohner waren gut bürgerlich, aber auch die Minderheit, die das nicht war, wurde eingeladen. Und auch diese Minderheit war mal Gastgeber. Und versuchte dabei sich wie alle anderen zu präsentieren. Vielleicht etwas weniger geschickt. Und man merkte die Bildungsferne doch. Aber die Leute haben versucht sich so gut anzupassen, wie sie konnten. Das ist ein Beispiel dafür, wie Menschen in diesem Spektrum integriert werden. Aber dafür muss die Mehrheit eben gut bürgerliche Mittelklasse sein. Sind die Asozialen in der Mehrheit, läuft die Integration in der umgekehrten Richtung.

        • Stefan Pietsch 6. November 2018, 11:06

          Aus meiner Sicht muss es das Ziel eines jeden Staatswesens sein überall im Staatsgebiet annähernd gleiche wirtschaftliche Verhältnisse zu schaffen.

          Es hat sich als unmöglich herausgestellt, in Rostock die gleichen wirtschaftlichen Lebensbedingungen herzustellen wie in München. Es ist unmöglich. Deswegen kann daran auch nicht gemessen werden, ob es noch einen Sondereffekt Deutsche Einheit gibt. Es war, nur zur Erinnerung, die Phalanx der Linken gewesen, die eine Sonderwirtschaftszone Ost und damit eine Beschleunigung des wirtschaftlichen Aufholprozesses verhindert hat. Nun dies als Zeichen des Rückstands zu nehmen, geht argumentativ nicht.

          In der Realpolitik wird immer viel getrickst. Da wird das Grundgesetz gedehnt, verbogen, gebrochen.

          Schlicht: nein. Anfang der Neunzigerjahre war die Politik ein ganzes Stück weit hilflos, was die Wiedervereinigung für den Rahmen des Grundgesetzes bedeutete. Deswegen wurden vorsichtige Schritte zu Out-of-Area-Einsätzen der Bundeswehr unternommen und diese in Karlsruhe verhandelt. Die Position des höchsten Gerichts: Die Verfassung gibt Euch genügend Handlungsspielraum, definiert ihn!

          Ähnliches gilt für die Verlagerung von Kompetenzen nach Brüssel. Und das ist der einzige wirklich objektive Fall, wo die Dehnbarkeit des Grundgesetzes getestet wird. Karlsruhe hat bezüglich der Eurorettungspolitik mehrfach angemerkt, dass sie Zweifel haben. Zweifel, ob die EZB sich in dem Rahmen bewegt, den ihr die Europäischen Verträge vorgegeben und die Grundlage für die Verfassungskonformität des Euro waren.

          Anders als bei Krieg und Hartz IV geht es beim Solidaritätszuschlag allerdings nicht um Leben und Tod und auch nicht um die nackte Existenz von Menschen.

          Es geht um Rechtssicherheit, eine der höchsten Güter eines modernen Staates. Solange Sie davon nicht betroffen sind, ist es Ihnen egal. Aber das Gewaltmonopol, die Achtung von Gesetzen bauen genau darauf auf: dass die Bürger vertrauen können, dass alles gemäß demokratisch bestimmter Regeln abläuft. Diesen Eindruck haben immer mehr Bürger nicht und das nicht nur beim Soli. Doch Gesinnungspolitik ist der Tod eines zivilen Zusammenlebens.

          Ob dieses Geld durch eine höhere Einkommensteuer oder durch eine Abgabe namens Solidaritätszuschlag zustande kommt, ist für mich (..) ein unwesentliches technisches Detail.

          Und wieso wehren Sie sich dann so dagegen, dies ordentlich zu machen?!? Sie behaupten, es sei Ihnen egal und gleichzeitig stimmen Sie für den Status quo, weil es für Sie der bequemste Weg ist, Ihr politisches Ziel zu erreichen, das für Sie auf demokratischem Wege unerreichbar wäre.

          Es gibt weiß Gott größeres Unrecht als den Solidaritätszuschlag, der im übrigen auch noch die Richtigen trifft

          Wer sind denn für Sie die Richtigen? Justitia? Blind? – Verbinden Sie damit irgendetwas?

          Daraus folgt aus meiner tiefen Überzeugung, dass der Staat den Bürgern Grundbedürfnisse abdecken muss

          Das steht dort weder, noch war es zu irgendeiner Zeit so gemeint. Der Staat greift ein, wenn jemand bedürftig wird und sich nicht selbst helfen kann. Das ist das Prinzip des Sozialstaates. Und nicht, dass Grundbedürfnisse garantiert werden. Genau das hätte man auch reinschreiben können. Was nicht der Fall ist. Hat der Staat die Grundbedürfnisse abzudecken, dann lässt sich daraus ein Rechtsanspruch auf ein Grundeinkommen ableiten. Es betrifft alle Bürger und nicht nur jene, die bedürftig sind.

          Manchmal präsentieren Sie sich zum Erhalt Ihres Idealismus (denn ich ohne Ironie bewundere und durchaus schätze!) herrlich naiv. Für mich ist das ein typisches Beispiel, wie wir Menschen unsere Werte und Wunschvorstellungen versuchen, mit der Realität in Einklang zu bringen (das gilt ebenso für mich).

          Warum werden Transferempfänger sanktioniert? Doch nicht, weil es die Beamten den Abhängigen mal richtig zeigen wollen. Normalerweise geht Sanktionen ein längere Vorgeschichte in der Arge voraus, wo die Antragsteller ihren gesetzlichen Pflichten mehrfach nicht nachgekommen sind. Sie behaupten, es ginge um Existenzielles. Wirklich? Wie verhalten Sie sich, wenn Ihre Existenz von einer bestimmten Handlung bedroht ist bzw. von deren Unterlassung? Sie achten peinlichst darauf, jede Vorsichtsmaßnahme genau einzuhalten. Wenn Sie hören, dass in Ihrem Viertel ein bewaffneter Terrorist herumläuft, werden Sie Ihre Wohnung verbarrikadieren. Wenn Sie wissen, dass Sie einen bestimmten Abgabetermin einhalten müssen, weil sonst Ihre gesamte Dissertation hinfällig ist, werden Sie notfalls 6 Wecker stellen. Als Student war mir klar, dass ich bei einem Täuschungsversuch alles verlieren würde. Folglich habe ich nie getäuscht.

          Wer mehrfach Termine schmeißt, die dazu dienen, den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu zeigen, eine Arbeitsaufnahme, eine Fortbildung ohne dass er zuvor Eigeninitiative entwickelt hätte, für den geht es ganz offensichtlich nicht um Existenzielles. Es sei denn, er will den anderen respektive Staat als handlungsunfähig darstellen, demgegenüber man sich alles erlauben kann.

          330 Milliarden Euro werden in Deutschland in Schwarzarbeit erwirtschaftet. Dem Staat entgehen so nicht nur hohe Milliardenbeträge an Steuern und Sozialbeiträgen. Schwarzarbeit wird vor allem in geringbezahlten Bereichen geleistet, bei Putzdiensten, Bauarbeiten, Autoreparaturen, Gaststättengewerbe. Machen wir uns doch nichts vor, fast jeder von uns kennt Schwarzarbeiter, viele haben deren Dienste schon genutzt und mancher selber so gearbeitet. Nur, wer macht denn solche Jobs? Putzfrauen, Bauarbeiter und reichlich Ungelernte. Diese Beschreibung deckt sich erstaunlicherweise mit vergleichsweise hohen Erwerbslosenquoten in den Bereichen. Eine Putzfrau, die einerseits Hartz-IV bezieht und andererseits schwarz putzen geht, taucht nicht in der Sanktionsliste auf. Das ist schlicht Betrug und wird bei Entdeckung geahndet.

          Nun ist der Weg ja wohl nicht weit: ein Hartz-IV-Bezieher, der mehrfach zu bestimmten Tageszeiten nicht bei der Arge auftaucht in Kenntnis der rechtlichen Folgen, hat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit andere Aufgaben. Das lässt sich von Seiten der Arge schwer beweisen und muss sie auch nicht. Der Antragsteller muss seine Bedürftigkeit nachweisen und tut er das nicht, ist er nicht bedürftig.

          Und das ist die Stelle, wo Sie sich blind stellen, dass Sie naiv wirken.

          Zu Ihrem Vorwurf der Zwangsarbeit: ein ALG-2-Empfänger ist frei, sich einen beliebigen Job zu suchen. Aber findet er diesen nach Jahren nicht, ist es keine Zwangsarbeit, einen Job zugewiesen zu bekommen, um damit ein Stück aus der behaupteten Notlage (!) zu entkommen.

          Das darf nicht nur so sein, das muss sogar so sein. Für einen Hartz IV-Empfänger sind 100 Euro bis 300 Euro wesentlich mehr Geld als für Sie oder mich 10.000 Euro sind.

          Das ist die Stelle, wo Sie Ihre Glaubwürdigkeit einbüßen. Justitia? Blind? Wir sind vor Gericht ohne Ansehen der Person. Und des Einkommens. Nicht für Sie. Bei einem Streitwert von 100€ kostet ein Anwalt im außergerichtlichen Verfahren über 30€, im Prozess sind es – absolutes Minimum – über 70€. Die Gerichtsgebühr beläuft sich auf 37€, dafür erhalten Sie einen Richter, ein Verfahren und eine Beratung durch den Richter im Prozess. Berücksichtigen wir noch die Seite der Beklagten, so kommen wir auf fast 200€ Gebühren, die nicht einmal kostendeckend sind. Es liegt nahe, dass wir solche Prozesse, wo Kosten und Nutzen nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis stehen, nicht führen sollten. Da wäre es noch allemal besser, dem Geringverdiener grundsätzlich Recht zu geben. Doch so kann es nicht sein, oder?

          Für eine geringe Einbuße bei dem Prinzip erhalten wir ein Mehr an Effektivität des Rechtsstaates. Das ist ein guter Tausch. Doch wo bleibt Ihre Glaubwürdigkeit? Oben beim Solidaritätszuschlag erklären Sie lange, dass Ihnen das Prinzip Rechtsstaatlichkeit egal sei, solange Sie genügend staatliche Einnahmen von den Reichen erhalten. Deren Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit müsse halt zurücktreten. Und hier erklären Sie, das Prinzip des Rechtsstaates müsse unbedingt auch bei Bagatellbeträgen gewahrt bleiben, weil sonst jemand schwer getroffen werden könne (Geringverdiener).

          Rechtsstaatlichkeit ist nicht Ihr Prinzip, Opportunismus ist es, und zwar jeweils zugunsten der Ihnen nahestehenden Klientel. Das ist aber nicht das Denken des Großteils der Bevölkerung, wohl in keinem Staatswesen. Sie können damit unmöglich den Anspruch erheben, für die „Mitte der Gesellschaft“ zu sprechen. Ja, Sie können damit nicht einmal den Anspruch erheben, die Belange unseres Staates steuern zu wollen – oder andere dafür zu kritisieren. Denn ein moderner Staat kann niemals so handeln wie Sie denken. Er funktioniert nach geschriebenen Regeln und Prinzipien, die stets zu gelten haben. Ohne Ansehen der Person.

          Sie wiederholen hier einfach mit neuen Zahlen die selbe Rechnung ..

          … weil Sie das vorherige Beispiel als „nicht wohlhabend“ zurückgewiesen haben. Selbst schuld. 🙂

          Mir ist ehrlich gesagt egal, aus welcher Ecke ich Applaus bekomme.

          Einen solchen Satz würde ich mich nie trauen zu schreiben. Ich stehe irgendwo in der Mitte der Gesellschaft, ich versuche einen fairen Blick auf die Dinge zu behalten. Der Applaus von Extremisten, und seien sie nur politisch, wäre mir peinlich. Wenn Ihre Überzeugungen einen Pol des Spektrums markieren, Sie aber den Anspruch für sich erheben, „mittig“ zu sein, sollten Sie zumindest die eigene Position kritisch betrachten.

          (..) und stelle verwundert fest, dass Sie die Rechnung nicht inhaltlich angreifen, sondern lediglich versuchen mich in die Nähe eines Kommunisten zu rücken.

          Die meisten Prinzipien sind in sich schlüssig. Es macht daher wenig Sinn den inneren Kern eines Prinzips anzugreifen, sondern seine Folgen und seine Kommunikation mit anderen konkurrierenden Prinzipien. Da liegt es bei Ihnen im Argen, nur weiß ich, dass das keine Bedeutung für Sie hat. Ihre Vorstellung beispielsweise, Ihr Ansatz harmoniert überhaupt nicht mit Artikel 14 Grundgesetz, dem Eigentumsschutz. Denn nach Ihrem Prinzip dürfen Sie jemanden so lange etwas wegnehmen, so lange er nicht auf das Existenzminimum fällt. Das ist aber de facto eine Enteignung (konfiskatorische Steuern) und damit nicht zulässig.

          Damit sind wir bei einem Fehler unserer Rechnung. Da ich das anfangs auch nicht beachtet habe, kann ich Ihnen keinen Vorwurf machen. Unser Ansatz ist das zu versteuernde Einkommen, bei dem der Grundfreibetrag für das Existenzminimum zum Ansatz kommt. Das bleibt absolut steuerfrei. Trotzdem bleibt das Bild: Sie messen den Abstand zum Existenziellen und der sollte trotz höchst unterschiedlicher Einkommen nicht sonderlich differieren. Wir messen jedoch aus guten Gründen anders, nämlich das, was jemand aufgrund seines Einkommens leisten kann unter klarer Beachtung des Eigentumsschutzes. Jemand soll einen Teil abgeben, aber nicht alles oder den Großteil seines Einkommens. Das ist unsere Vorstellung von Fairness. Aber nicht Ihre, weshalb Sie nicht in der Mitte der Gesellschaft stehen.

          Ich hingegen hatte (einfach als Diskussionsbeitrag mal) vorgeschlagen, dass jenseits der Existenzsicherung der Unterschied im Lebensstandard zumindest nicht größer sein sollte als was man proportional im Verhältnis der Bruttogehälter erwarten würde. Wenn also der eine 30.000 Euro und der andere 90.000 Euro verdient, sollte letzterer nach Abzug der Existenzsicherung nicht mehr als dreimal soviel übrig haben wie ersterer. Nicht gerade ein kommunistischer Ansatz …

          Das ist aber nicht das, was Sie präsentieren. Während der Besserverdiener vor Steuern das 3,3fache bezieht wie der Mittelverdiener, sind es am Ende nur noch das 2,65fache. Das ist eine sehr deutliche Einebnung. Und in den diskutierten Fällen sind die Unterschied im Markteinkommen noch nicht sensationell groß.

          Deshalb muss auch kaum ein Student jobben.

          Haben die ein Glück! An dieser Stelle frage ich mich allerdings, wenn Ihre Erkenntnis so weit gediehen ist, dass fast nur Kinder aus besser betuchten Familien studieren würden, warum Sie dann noch dafür stehen, diesen die Kosten möglichst niedrig zu halten, in dem wir auf Studiengebühren verzichten. Wie Sie sagen würden: es trifft die Falschen.

          Mir macht mein Job Spaß.

          Mir meiner auch. Ist das das Kriterium? Meiner Frau macht ihr Job auch viel Spaß, er ist für sie ideal. Und das würden auch die meisten Handwerker, Krankenschwestern und Pfleger so über sich sagen. Doch dann kommen Sie mit dem Gehalt um die Ecke. Leute wie ich verdienen nun einmal wesentlich mehr als z.B. eine Erzieherin, wofür es gute (!) Gründe gibt. Warum stört Sie das, wenn doch alle zumindest zum Teil ihren Job aus Spaß machen? Übrigens, längst nicht alles an meinem Job ist Spaß und dazu noch verbunden mit einem Jobrisiko, das Sie in anderen Fällen als kalten Kapitalismus ablehnen würden.

          Aber die Situation, dass einen von oben der Chef in die Mangel nimmt, während von unten die Untergebenen mit Neid aufwarten, ist eine Situation die es wahrscheinlich in jedem zweiten Unternehmen gibt.

          Na ja, das ist es ja nicht nur. Oft liegt die Last des Umsteuerns nur auf den Schultern weniger. Zuletzt war mir das sehr gut gelungen, ein Unternehmen raus aus den tiefroten Zahlen zu einer 7%-Umsatzrendite zu führen. Nicht allein, nur der Vollständigkeit halber. Doch während die Tarifbeschäftigten selbst in den schlechten Zeiten ihre Sonderzahlungen erhielten, gingen Leute wie ich (und die anderen Leistungsträger) dabei leer aus. Die Gehälter der am höchsten eingestuften Tarifler waren dabei sehr nahe an der operativen Leitung, der Abstand nur 10-12 Prozent (ohne Sonderzahlung). Das wussten die Leute natürlich nicht, schimpften aber auf die Maßnahmen der Leitung, die neben der unternehmerischen Verantwortung wesentlich mehr Stunden arbeiteten.

          Ihr Blick ist getrübt, die Abstände zwischen Leitung und tariflichen Angestellten ist hier in Deutschland selten so groß wie Sie es anscheinend meinen. Dafür sind die Verantwortungen ziemlich einseitig verteilt. Und deswegen reden wir von Schmerzensgeld.

          Die wenigsten überspringen gleich mehrere Klassen.

          Was Sie beschreiben, sind keine Aufsteiger im klassischen Sinne. Das sind Leute, die sich einkommensmäßig etwas verbessern, aber weder finanziell noch kulturell ihrem Milieu entwachsen. Dann sind es aber auch nicht „Gutbürgerliche“. Ihre Beschreibung passt so nicht zusammen, ohne sie damit in Zweifel zu ziehen. Es ist keine neumodische Erkenntnis, dass sich Gleich zu Gleich zieht. Und warum sollten diese Leute wegziehen, wenn ihre Wohnung nicht mehr das Label „sozial“ trägt? Wenn aber jemand mehr verdient, warum sollte er dann noch vom Staat finanziell unterstützt werden? Gerade wenn ein Gleichverdiener dies nicht erhält? Warum sind Sie so oft für die Ungleichbehandlung von Gleichem in Abhängigkeit davon, wie sympathisch Ihnen ein Personenkreis ist? Ich gebe zu, hier auch nicht allwissend zu sein, gerade im sozialen Wohnungsbau weiß ich nicht sonderlich viel.

          In dem Gemeindekindergarten meiner Tochter waren auch türkischstämmige Eltern. Die Frauen trugen durch die Bank Kopftuch. Zu Elternabenden wie Sommerfesten kamen sie zwar – häufig in geringerer Zahl – aber sie konnten kaum mitreden. Erstens weil sie schon optisch klar Distanz zeigten, zweitens aber auch, weil sie kulturell einfach fremdelten. Da führt man mal einen Small Talk, aber mehr kann sich nicht entwickeln. Urlaub? 6 Wochen Türkei, Familie. Arbeit? Mein Mann geht. Politik? Lieber nicht. Schwierig, jedenfalls nicht das Umfeld, mit dem man häufiger zu tun haben möchte. Und zugegeben, ich interessiere mich nicht sonderlich für die Belange der Türkei, mein Blick geht nach Westeuropa, USA und Südamerika im Kulturellen. Und Frauen, die die Liebdienerin ihres Mannes sind, sind auch nicht so mein Fall. Zumal da immer die Bremse im Kopf ist, einer Frau mit Kopftuch näher als zwei Meter zu kommen.

        • R.A. 6. November 2018, 13:19

          „Es muss es das Ziel eines jeden Staatswesens sein überall im Staatsgebiet annähernd gleiche wirtschaftliche Verhältnisse zu schaffen. “
          Das ist nicht nur, wie von Stefan Pietsch schon dargestellt, faktisch nicht leistbar.

          Ich bestreite auch, daß das überhaupt ein sinnvolles Ziel ist.

          Alleine schon die geographischen Rahmenbedingungen in verschiedenen Gegenden sind extrem unterschiedlich. Und noch unterschiedlicher sind die Präferenzen der Leute, die dort wohnen.
          Die richtig hohen Spezialistengehälter kann man, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur in den Metropolen erzielen. Man kann nicht als Spezialanwalt in einer internationalen Kanzlei arbeiten und gleichzeitig täglich die Ruhe der ländlichen Idylle genießen wollen. Es gibt Gebiete mit einem touristischen Schwerpunkt, das ergibt Berufsbilder und Lebensmodelle, die kann es anderswo nicht geben. Und wenn eine Gegend abgelegen und wirtschaftlich völlig uninteressant ist, dann kann man dort nur leben, wenn man erhebliche Abschläge beim Einkommen akzeptiert. Es wäre fatal, wenn der Staat da mit „gleichwertigen wirtschaftlichen Verhältnissen“ einen künstlichen Sog in solche Gebiete erzeugt.

  • Stefan Pietsch 5. November 2018, 14:39

    Auch schön zu dem Thema Rechtsstaat:
    https://www.welt.de/politik/deutschland/article183273700/Ehemaliger-Verfassungsrichter-Das-Vertrauen-in-unsere-Rechtsordnung-wird-erschuettert.html

    Bevor wir uns darum sorgen, dass Menschen ohne Einkommen keinen Prozess um 100€ mehr führen können, weil die Prozesskostenhilfe nicht für Bagatellsachen aufkommen soll, hilft ein Blick auf die grundsätzlichen Probleme in unserem Rechtssystem.

    – Illegale Migration
    – Dieselgate
    – Clankriminalität
    – die guten Menschen im Hambacher Forst

    Es gibt einen Stück Rechtsstaat. Das Recht gibt es nur als Ganzes.

    • Floor Acita 6. November 2018, 07:37

      Ist das hier real Satire?

      Die 4 Punkte die siae aufgezählt haben, dürften nach Fallaufkommen pro Einwohnerzahl wirklich die geringsten Probleme sein die Deutschland / unser Rechtsstaat derzeitig hat…

      • Stefan Pietsch 6. November 2018, 08:58

        Echt? Ich glaube, Sie erkennen die rechtliche Dimension nicht. Zur Kernkompetenz eines jeden Staates gehört, seine Außengrenzen vor illegaler Zuwanderung und Eindringen zu schützen. Ein Staat gibt sich auf, wenn er das nicht gewährleistet.

        Über 40% der in Deutschland unterwegs befindlichen PKW haben einen Dieselantrieb. Es betrifft Millionen Bürger, wenn solche Fahrzeuge nicht mehr in Innenstädte bewegt werden dürfen und wenn Produktangaben nicht den Tatsachen entsprechen. Jedenfalls betrifft es weit mehr Menschen als ein alberner Mindestlohn oder das ewige Genörgel um Hartz-IV und Sanktionen.

        Ersteres gilt ebenso für Parallelgesellschaften und sogenannte No-Go-Areas. Beides gehört nicht zu einem Rechtsstaat, legen die Axt an die Wurzel.

        Wir haben gerade die Diskussion, dass auch ein Mittelloser um 100€ klagen darf. Beim Hambacher Forst wurde es zugelassen, dass Gutmenschen das grundgesetzlich verbürgte Eigentumsrecht anderer in Frage stellten.

        • Kning4711 6. November 2018, 10:22

          Gute Punkte:
          Die Ursache liegt in meinen Augen einerseits in einem überforderten und chronisch unterfinanzierten Jusitzapparat, sowie bewusste Ignoranz der beteiligten Politik.
          In Berlin hat in Sachen Clankriminalität die POlitik über Jahrezehnte die Augen zugedrückt (vgl. https://www.cicero.de/innenpolitik/arabische-clans-neukoelln-kriminalitaet-libanon-parallelgesellschaft-innensenator)
          Beim Dieselgate ignoriert die bayrische Landesregierung Gerichtsurteile der bayrischen Justiz mit der Begründung Bußgelder wären linke Tasche / rechte Tasche. Nun denkt die Justiz sogar über Beugehaftmaßnahmen nach: vgl. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-08/abgasstreit-bayern-beugehaft-muenchen-csu)

          • Stefan Pietsch 6. November 2018, 11:30

            Zum einen: in Deutschland werden Verfahren immer noch relativ schnell abgewickelt. Sicher, nicht nach dem Gefühl der Prozessbeteiligten, aber im internationalen Kontext. Zum anderen ist die effektive Arbeitszeit von Richtern wie Rechtshelfen im Schnitt der Bevölkerung durchaus verbesserungsfähig. Das Argument jedenfalls der Überforderung kann ich sehr selten akzeptieren, meist lässt sich Überforderung mit einer Reorganisation wenn nicht beseitigen, so doch lindern.

        • Mordred 7. November 2018, 12:29

          „Zur Kernkompetenz eines jeden Staates gehört, seine Außengrenzen vor illegaler Zuwanderung und Eindringen zu schützen. Ein Staat gibt sich auf, wenn er das nicht gewährleistet.“
          Ja. Deutschland macht das auch. Und jetzt?

          „Über 40% der in Deutschland unterwegs befindlichen PKW haben einen Dieselantrieb. Es betrifft Millionen Bürger, wenn solche Fahrzeuge nicht mehr in Innenstädte bewegt werden dürfen und wenn Produktangaben nicht den Tatsachen entsprechen. Jedenfalls betrifft es weit mehr Menschen als ein alberner Mindestlohn oder das ewige Genörgel um Hartz-IV und Sanktionen.“
          Sie haben aber schon mitbekommen, dass wegen Niedriglohn in Kombo mit der Rentenkürzung ca. 40% derjenigen, welche ab 2030 in Rente gehen, in Grundsicherung fallen werden?

          Bzgl. NoGo-Areas stimme ich ihnen zu.

          „Beim Hambacher Forst wurde es zugelassen, dass Gutmenschen das grundgesetzlich verbürgte Eigentumsrecht anderer in Frage stellten.“
          Logisch. Denn beim Eigentumsrecht gibt es zwangsläufig Grenzen. Diese müssen bspw. aus ökologischen Gründen ständig neu ausgelotet werden.

          • Stefan Pietsch 7. November 2018, 12:47

            „Zur Kernkompetenz eines jeden Staates gehört, seine Außengrenzen vor illegaler Zuwanderung und Eindringen zu schützen. (..)“
            Ja. Deutschland macht das auch. Und jetzt?

            Das scheint noch nicht ausreichend zu geschehen, gerade bei Zuwanderung, wo aus verschiedenen Gründen eine Zurückweisung nicht mehr vorgenommen werden kann.

            Sie haben aber schon mitbekommen, dass wegen Niedriglohn in Kombo mit der Rentenkürzung ca. 40% derjenigen, welche ab 2030 in Rente gehen, in Grundsicherung fallen werden?

            Das wäre mir neu. Ich halte solche Prognosen schon deshalb für schwierig, weil sie über einen sehr langen Zeitraum ein flache Berufs- und Einkommensentwicklung zur Basis hat. So ist die Arbeitswelt aber nicht, schon gar nicht in gering entlohnten Berufen. So wird ein Geringverdiener mit bisher 6€ Stundenlohn möglicherweise für einige Monate einen Job ausüben für 8€ und dann für 10€ und anschließend 10 Monate ohne sozialversicherungspflichtiges Einkommen sein. Da lässt sich unmöglich prognostizieren, welche Auswirkungen dies auf seine Rentenerwartungen hat.

            Logisch. Denn beim Eigentumsrecht gibt es zwangsläufig Grenzen.

            Vor allem solche, die das Grundgesetz setzt. Da steht aber nichts davon, dass ökologische Einwände das Eigentumsrecht einschränken. Zudem wurde dies von den Verwaltungsgerichten geprüft. Gerade Grundrechte werden nicht permanent neu ausgelotet, sie basieren auf einem Grundkonsens, den die Besetzer nicht beachtet haben. Und das gilt es zu kritisieren und zurückzuweisen.

            • Mordred 7. November 2018, 13:38

              Beispielartikel:
              https://presse.wdr.de/plounge/wdr/programm/2016/04/20160419_berechnung_zum_rentenniveau.html
              „So wird ein Geringverdiener mit bisher 6€ Stundenlohn möglicherweise für einige Monate einen Job ausüben für 8€ und dann für 10€ und anschließend 10 Monate ohne sozialversicherungspflichtiges Einkommen sein. Da lässt sich unmöglich prognostizieren, welche Auswirkungen dies auf seine Rentenerwartungen hat.“
              Doch. Er wird Grundsicherung bekommen. Jenseits der 12€/Stunde müssten es schon sein.

              „Vor allem solche, die das Grundgesetz setzt. Da steht aber nichts davon, dass ökologische Einwände das Eigentumsrecht einschränken.“
              Dem Ökosystem ist das Grundgesetz egal. Seine hier sinnlose Vernichtung wegen überflüssiger Ausbeutung ist das Problem. Ich sprach übrigens garnicht von allen Grundrechten, sondern nur von Eigentum. Und gerade bei natürlichen Ressourcen ist ständige Auslotung von Nöten. Oder würden Sie mitellosen Menschen bspw. Trinkwasser vorenthalten?

              • Stefan Pietsch 7. November 2018, 14:07

                Ich zweifle nicht an, dass es solche Berechnungen gibt. Sie sind ungefähr so gehaltvoll wie meine jährliche Mitteilung über meinen möglichen Rentenanspruch. Nochmal: mein Argument ist, dass gerade im Niedriglohnbereich längere Erwerbslosigkeiten jede auch nur theoretische Kalkulation zunichte machen. Der Mindestlohn wird weit überproportional in Ostdeutschland gezahlt, wo es zufälligerweise auch mehr Arbeitslosigkeit gibt. Eine Berechnung zum Mindestlohn brachte es an den Tag: der Mindestlohn hat zwar den Stundenlohn der Beschäftigten erhöht – logisch. Allerdings nicht zwingend deren Einkommen. Tatsächlich ging das Arbeitsvolumen zurück, am Ende bleibt tendenziell weniger oder bestenfalls das Gleiche in der Tasche. So gewinnen Sie nichts für den Rentenanspruch, denn dazu brauchen Sie nicht nur einen bestimmten Stundenlohn, sondern auch ein entsprechendes Arbeitsvolumen.
                https://www.welt.de/wirtschaft/article178853068/Mindestlohn-Legende-von-der-grossen-Fehlprognose.html

                Eigentum ist ein Grundrecht. Dies hat der Staat zu schützen. Und es ist nicht die Aufgabe von Gesetzesbrechern, irgendetwas auszuloten. Dazu haben sie jeden moralischen Anspruch verloren. Das allein ist das Argument. Auch ein Umweltbewegter darf sich nicht aus seinem moralischen Gestus über die Rechte anderer hinwegsetzen.

                • Stefan Sasse 7. November 2018, 19:09

                  Wie ihr es als einen Beweis gegen den Mindestlohn hinstellen könnt, dass Leute jetzt für das gleiche Geld wesentlich weniger arbeiten müssen, wird mir immer ein Mysterium bleiben.

                  • Stefan Pietsch 7. November 2018, 19:25

                    Du hast die Kommentare nicht gelesen. Es ging nicht gegen den Mindestlohn, sondern die Milchmädchenrechnung, ein höherer Mindestlohn führe automatisch zu höheren Rentenansprüchen und Verhinderung von Altersarmut. Gerade Geringverdienern ist kaum damit geholfen, wenn sie einen höheren Stundenlohn bekommen, aber wegen geringerer Arbeitszeiten am Ende eher weniger in der Tasche haben.

                    Du kannst mir gerne erklären, wo der Vorteil dabei liegt. Ansonsten: Arbeitgeber haben mehrere Möglichkeiten, auf steigende Löhne wie z.B. auch durch den Mindestlohn verursacht zu reagieren. Wenn höhere Löhne nicht auf den Kunden überwälzt werden können, können Mitarbeiter entlassen werden, wodurch die Produktivität steigt. Oder die Arbeitszeiten werden verkürzt und die Leistungsanforderungen erhöht. Oder der illegale Weg der Umgehung. Wie wir inzwischen wissen, werden alle diese Instrumente genutzt.

                    Nein, Stefan, albern war die Annahme der Befürworter, Unternehmen würden auf eine solch starke Erhöhung von Löhnen nicht reagieren.

                    • popper 8. November 2018, 08:41

                      Arbeitgeber haben mehrere Möglichkeiten, auf steigende Löhne wie z.B. auch durch den Mindestlohn verursacht zu reagieren. Wenn höhere Löhne nicht auf den Kunden überwälzt werden können, können Mitarbeiter entlassen werden, wodurch die Produktivität steigt. Oder die Arbeitszeiten werden verkürzt und die Leistungsanforderungen erhöht. Oder der illegale Weg der Umgehung. Wie wir inzwischen wissen, werden alle diese Instrumente genutzt.

                      Wenn Sie erklären, auf z.B. steigende (Mindest-) Löhne könnten Arbeitgeber mit Entlassungen reagieren und damit die Produktivität steigern, darf man sich nicht wundern, dass mit dieser schrägen Wirtschaftsphilosophie kein Blumentopf zu gewinnen ist. Im Übrigen gibt es den fingierten kausalen Nexus zwischen Mindestlohn und abnehmendem Arbeitsvolumen nicht. Und die Verkürzung der Arbeitszeiten bei gleichzeitiger Erhöhung der Leistungsanforderungen geht gar nicht.

                      Das sind die üblichen mikroökonomischen Kopfschüsse. Denn eine Steigerung der Produktivität bringt ja keine Steigerung des monetären Gewinns, der Lohnsteigerungen per Mindestlohn ausgleichen könnte. Im Gegenteil, das führt eher zur Produktion von Ladenhütern. Und die einseitige Verkürzung der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber ist arbeits- und tarifrechtlich gar nicht möglich. Die Illegale Umgehung belegt politisches Versagen und die notorisch mangelhafte Kontrolle. In einen Rechtsstaat ist das auch keine akzeptable „normative Kraft des Faktischen“, sie gehört konsequent bestraft.

                    • Mordred 8. November 2018, 09:23

                      Die Produktivität wird nicht dadurch erhöht, dass man Mitarbeiter entlässt. Wenn die nicht entlassenen in der gleichen Zeit mehr produzieren, dann haben wir eine Erhöhung.

                      „Arbeitgeber haben mehrere Möglichkeiten, auf steigende Löhne wie z.B. auch durch den Mindestlohn verursacht zu reagieren. “
                      Die Gewinnmarge senken ginge öfters auch noch.
                      Des weiteren muss man sich fragen, was das für ein Geschäftsmodell sein kann, dass keinen Mindestlohn verträgt. Was würde eigentlich passieren? Verwchwindet die notwendige Arbeit oder war die eigentlich unnütz und wurde nur ala DDR („Hauptsache Arbeit“) gemacht?

                    • Stefan Pietsch 8. November 2018, 09:49

                      Wenn Sie erklären, auf z.B. steigende (Mindest-) Löhne könnten Arbeitgeber mit Entlassungen reagieren und damit die Produktivität steigern, darf man sich nicht wundern, dass mit dieser schrägen Wirtschaftsphilosophie kein Blumentopf zu gewinnen ist.

                      Nun, dass Sie das mit der makroökonomischen Brille und Erfahrung im öffentlichen Dienst nicht verstehen, ist naheliegend, beides ist zu weit entfernt von der wirtschaftlichen Realität. Doch was ich beschreibe, ist das, was die meisten täglich erleben.

                      Nehmen wir etwas sehr Simples, das nebenbei durch die Digitalisierung bedroht ist. Eine Finanzabteilung muss Monatsabschlüsse erstellen. Bisher sind dafür 3 Personen vorgesehen. Die Tarifverhandlungen ergeben für die nächsten 5 Jahre Lohnerhöhungen von 30%, was eine entsprechende Verteuerung der nichtfakturierbaren Leistung bedeutet. Die Umstellung auf digitale Archivierung von Belegen und die Übermittlung von Belegen zwischen Unternehmen ermöglichen die Einsparung von 2 Personen. Zwar bekommt dann eine Person 30% mehr, die anderen beiden jedoch gar nichts, die Personalkosten sinken um 57%.

                      Einfacher kennen das Arbeitnehmer, wenn bei Entlassungen die vorhandene Arbeit einfach auf die Verbliebenen umgelegt wird. Auch das steigert volkswirtschaftlich die Produktivität, obwohl nur weniger Menschen arbeiten. Dieses einfältige Denken, einfach die Löhne erhöhen zu können um die Lohnsummen auszuweiten, hat in den Achtzigerjahren schon einmal hohe Erwerbslosigkeiten produziert. In manchen Bereichen wird man halt nicht schlauer.

                      Und die einseitige Verkürzung der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber ist arbeits- und tarifrechtlich gar nicht möglich.

                      Geringfügig Beschäftigte haben häufig kurze Vertragslaufzeiten und sind selten 10 Jahre und mehr in einem Unternehmen. Natürlich kommen Sie arbeitsrechtlich relativ einfach an Leute ran, die gerade 4 Monate beschäftigt sind oder ohnehin befristet eingestellt. Und betriebsbedingte Kündigungen sind mit Verweis auf gestiegene Personalkosten auch nicht unmöglich.

                    • Stefan Pietsch 8. November 2018, 10:35

                      Die Produktivität wird nicht dadurch erhöht, dass man Mitarbeiter entlässt. Wenn die nicht entlassenen in der gleichen Zeit mehr produzieren, dann haben wir eine Erhöhung.

                      Das ist der typische Fall. Ich kenne kein Unternehmen, kein Management, das nach Entlassungen gesagt hat, man wolle nun analog weniger Umsatz / Gewinn machen. Die Rechnung geht nur auf, wenn mit reduzierter Belegschaft die gleiche oder sogar mehr Leistung erzeugt wird. Das gelingt oft und manchmal nicht. Dann gibt es meist weitere Kürzungen, so meine Erfahrung.

                      Die Gewinnmarge senken ginge öfters auch noch.

                      Äh, wieso sollten sie? Wir gehen ja normalerweise auch nicht zur Belegschaft und sagen: Würdet Ihr auf Gehalt verzichten, könnten wir mehr beschäftigen und die am Ende der Lohntabelle besser vergüten. Das akzeptieren Beschäftigte normalerweise nicht.

                      Warum sollte die Eigentümer also auf Gewinn verzichten?

                      Des weiteren muss man sich fragen, was das für ein Geschäftsmodell sein kann, dass keinen Mindestlohn verträgt.

                      Fragen Sie Ihren Kneipenwirt. Oder gehen Sie mal nach Magdeburg zu einer Putzfirma. Das könnte zum Erkenntnisgewinn beitragen.

                      Verschwindet die notwendige Arbeit oder war die eigentlich unnütz und wurde nur ala DDR („Hauptsache Arbeit“) gemacht?

                      In vielen Ländern treffe ich Geringverdiener an, die ich vielleicht etwas despektierlich „Schilderhochhalter“ nenne. An Baustellen stehen Mitarbeiter, die den ganzen Tag nichts anderes machen als den Verkehr zu regeln – das, was hier selbst bei 1-Meter-Baustellen teure Ampelanlagen übernehmen. Wir können davon ausgehen, dass diese Schilderhochhalter in ihrem Leben kein Millionär werden. Wahrscheinlich haben sie kein Studium. Aber: Sie haben Arbeit. Und genauso überzeugt bin ich, dass die entsprechenden Schilderhochhalter in Deutschland mehrheitlich von Hartz-IV leben. Das ist volkswirtschaftlich nur begrenzt sinnvoll.

                      Unternehmen sind tagtäglich damit beschäftigt, Arbeit neu zu organisieren und so die Produktivität zu erhöhen. Das dient dem Ziel, Kapazitäten freizusetzen, damit intelligenter, hochwertiger und am Ende kostengünstiger Produkte und Leistungen angeboten werden können. Gerade das statische Denken („Arbeit ist einfach da“) gehörte zur DDR. Und ist bei vielen immer noch tief verwurzelt.

                    • Stefan Sasse 9. November 2018, 06:28

                      Ist doch klar was es bringt: ich muss weniger arbeiten für das gleiche Geld. Wie ist damit „kaum geholfen“? Klar wäre es besser, wenn sie Vollzeit zu dem Lohn und sozialversicherungspflichtig beschäftigt wären, aber wenn die Alternative einfach mehr Arbeit für weniger Geld bei gleichem Brutto ist ist doch völlig klar wie denen damit geholfen ist.

                    • Stefan Pietsch 9. November 2018, 08:36

                      Mr. Trump, you try to declare a defeat into a victory!

                      Jetzt weiß ich, warum Führungsleute wesentlich mehr Gehalt bekommen! Man will, dass sie sich mehr Freizeit nehmen! Ernsthaft, Stefan, niemand, wirklich niemand hat in den letzten 10 Jahren für den Mindestlohn gekämpft, damit die Betroffenen danach weniger arbeiten. Wirklich niemand! Deine Taktik fortgesetzt, können dann viele bei weiteren Erhöhungen des Mindestlohns gleich zu Hause bleiben. Moment, hatten wir das nicht schon einmal? 🙂

                    • Stefan Sasse 10. November 2018, 14:11

                      Nein, dafür hat niemand gekämpft. So zu tun als ob das „nichts bringt“ ist aber kompletter Quatsch.

                • Mordred 8. November 2018, 09:11

                  „Ich zweifle nicht an, dass es solche Berechnungen gibt. Sie sind ungefähr so gehaltvoll wie meine jährliche Mitteilung über meinen möglichen Rentenanspruch. Nochmal: mein Argument ist, dass gerade im Niedriglohnbereich längere Erwerbslosigkeiten jede auch nur theoretische Kalkulation zunichte machen. Der Mindestlohn …“
                  Die Berechnung Ihrer Rentenansprüche ist wesentlich (!) exakter als bspw. sämtliche Berechnungen zu kapitalgedeckten Vorsorgen. Im übrigen geht ihre Fokussierung auf Niedriglohn, Mindestlohn etc. fehl. Mit Grundsicherung darf jeder rechnen, der momentan bis zu 2100€ brutto/Monat verdient, nie arbeitslos wird und Lohnerhöhungen erhält, welche die Inflation kompensieren.

                  Bzgl. Eigentum und Grundrecht etc. können wir die Diskussion dann beenden, weil ich nicht gewillt bin, mich in Ihr Korsett pressen zu lassen.

                  • Stefan Pietsch 8. November 2018, 10:21

                    Die Berechnung Ihrer Rentenansprüche ist wesentlich (!) exakter als bspw. sämtliche Berechnungen zu kapitalgedeckten Vorsorgen.

                    Tatsächlich? Würden Sie sich wirklich auf eine Berechnung einlassen, die für mehrere Jahrzehnte bestimmte Lohnerhöhungen prognostiziert? Oder sich einem System ausliefern, wo 600 Abgeordnete den Wert der Einzahlungen per Mehrheitsbeschluss verändern können? Ich halte so ein System für leichter manipulierbar als eine Aktienanlage. Wie sehr manipulierbar, sehen wir in jeder Legislaturperiode. Ob die Mütter mit Kindern, geboren vor 1992, vorhergesehen haben, dass sie zusätzliche Beitragspunkte angerechnet bekommen? Wie wurde das eigentlich vor 20 Jahren in der Kalkulation berücksichtigt? Haben Sie da eine Ahnung?

                    Eine Bekannte von mir hat vor 2 Monaten bei der DRV angefragt, inwieweit sich für sie Einmal- oder freiwillige Zahlungen lohnen würden, da sie im Ausland lebt. Die Bürokratie hat für eine vergleichsweise einfache Rechnung Belege um Belege angefordert. Ein Ergebnis ist bis heute nicht herumgekommen. Jede Versicherung arbeitet schneller.

                    Nochmal: für Ihren Rentenanspruch ist ganz wesentlich nicht Ihr Stundenlohn, sondern Ihr monatliches Gehalt und die Beschäftigungsdauer. Wenn Ihre Stunden und Ihre Beschäftigungszeiten spiegelbildlich zu ihrem Stundenlohn fallen, erwerben Sie keine zusätzlichen Anwartschaften. Die Berechnung, wieweit sich ein höherer Mindestlohn auf die Rentenansprüche von Geringverdienern auswirkt, ist daher eine Milchmädchenrechnung.

                    Das Grundrecht Eigentum wird durch Verfassung und Rechtsprechung in ein Korsett gepresst. Das ist nicht meins. Und die Verfassungslage in Deutschland sollten Sie in Diskussionen schon respektieren.

                    • Mordred 8. November 2018, 10:42

                      „Ich halte so ein System für leichter manipulierbar als eine Aktienanlage.“
                      Habe ich von Manipulierbarkeit gesprochen? Nein. Stimme ich Ihrer Aussage zu? Auch nein. Völlig trivial: „Die Märkte“ kann ich wesentlich schlechter zur Rechenschaft ziehen als Bundestagsabgeordnete.

                      Ich sagte Ihnen bereits im letzten Beitrag, dass Sie und nicht ich sich auf Mindestlohn und co. versteifen. Bis zu 2100€ brutto/Monat etc. (siehe oben) sind wesentlich mehr als Mindestlohn.

                      „Das Grundrecht Eigentum wird durch Verfassung und Rechtsprechung in ein Korsett gepresst. Das ist nicht meins. Und die Verfassungslage in Deutschland sollten Sie in Diskussionen schon respektieren.“
                      Das Korsett besteht aus Ihrem Totschlagargument „Grundrecht Eigentum“. Ob das im Kontext ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist und wie es eigentlich mit Enteignung etc. aussehen könnte interessiert Sie daher nicht.

                    • Stefan Pietsch 8. November 2018, 11:18

                      Ich habe Sie so verstanden, dass Sie die Prognosen der DRV für einigermaßen valide halten. Mein Einwand dagegen: das können sie aus den aufgeführten Gründen nicht sein, es sind Absichtserklärungen. Eine Versicherung dagegen muss eine Mindestverzinsung garantieren (die ebenfalls der politischen Einflussnahme unterliegt).

                      Natürlich kann ich die Entwicklungen am Aktienmarkt nicht vorhersagen. Jede Einschätzung begründet sich daher aus der Vergangenheit. Ein anderes Vorgehen ist aber auch bei der Rentenversicherung nicht zulässig, weil die Manipulationsmöglichkeiten eben sehr groß sind und dazu von politischen Mehrheiten abhängen. Die kann ich als einzelner, als Versicherter, nicht beeinflussen. Aus meiner Perspektive ist es also nichts anderes als Willkür.

                      Genauso haben Sie begründet, dass der Mindestlohn Altersarmut verringern würde. Diese Argumentation halte ich für nicht zulässig, da es nur funktioniert, wenn alle anderen Parameter gleich bleiben würden.

                      Karlsruhe setzt den Möglichkeiten der Enteignung gegen Entschädigung in seiner ständigen Rechtsprechung äußerst enge Grenzen. Die politischen Vorstellungen und Vorschläge gehen da nicht mit. Einfach zu enteignen, weil eine bestimmte politische Mehrheit oder auch Minderheit das für ökologisch erforderlich ansieht, ist kein hinreichender Grund.

                      Wenn ich dies beachte, ist das keine politische Blindheit. Sondern Verfassungstreue.

                  • Mordred 8. November 2018, 12:58

                    „Das ist der typische Fall. Ich kenne kein Unternehmen, kein Management, das nach Entlassungen gesagt hat, man wolle nun analog weniger Umsatz / Gewinn machen. Die Rechnung geht nur auf, wenn mit reduzierter Belegschaft die gleiche oder sogar mehr Leistung erzeugt wird. Das gelingt oft und manchmal nicht. Dann gibt es meist weitere Kürzungen, so meine Erfahrung.“
                    Na Sie kennen sich aber aus 🙂
                    Entlassung gibt es für gewöhnlich bei zu wenig Nachfrage oder stattdessen mehr Maschineneinsatz. Ihr beschriebener Fall tritt nur dann ein, wenn die Rendite über die Mitarbeiterproduktivität gesteigert werden soll. Das ist aber nur möglich, wenn die Mitarbeiter in Sachen Effizienz / Auslastung noch nicht im Optimum sind. Heutzutage in Schland äußerst selten.

                    „Äh, wieso sollten sie? Wir gehen ja normalerweise auch nicht zur Belegschaft und sagen: Würdet Ihr auf Gehalt verzichten, könnten wir mehr beschäftigen und die am Ende der Lohntabelle besser vergüten. Das akzeptieren Beschäftigte normalerweise nicht.
                    Warum sollte die Eigentümer also auf Gewinn verzichten?“
                    Ach so ist das. Der Gewinn steht im Vorhinein fest oder wie? Ne. Gewinn ist das, was übrig bleibt, wenn alles andere (Materialkosten, Löhne, Fremdkapital…) bezahlt worden ist. Grundlagen der BWL. Der Eigentümer verzichtet also aus Gründen des Unternehmenserhalt.

                    Bzgl. notwendiger Arbeit haben Sie mich nicht verstanden. „Notwendig“ bedeutet was anderes als „Arbeit ist einfach da“. Nämlich dass sie gemacht werden muss. Und das muss passend bezahlt werden. Oder eben durch Maschinen ersetzt werden. Oder sie wird halt nicht gemacht. Bspw. bei einem Putzdienst bezweifle ich ganz stark, dass Zahlung des Mindestlohns zu nicht mehr putzen führen würde.

                    • Mordred 8. November 2018, 13:33

                      „Ich habe Sie so verstanden, dass Sie die Prognosen der DRV für einigermaßen valide halten. Mein Einwand dagegen: das können sie aus den aufgeführten Gründen nicht sein, es sind Absichtserklärungen. Eine Versicherung dagegen muss eine Mindestverzinsung garantieren (die ebenfalls der politischen Einflussnahme unterliegt).“
                      Bei der Rente wird immer das verteilt, was in der Periode erwirtschaftet wurde. Bei Kapitaldeckung wird angespart bis zur Periode X. Bis dahin kann die Versicherung/das Unternehmen pleite gehen, starke Inflation…

                      „Karlsruhe setzt den Möglichkeiten der Enteignung gegen Entschädigung in seiner ständigen Rechtsprechung äußerst enge Grenzen. “
                      Diese Grenzen sind für mich im vorliegenden Sachverhalt klar erfüllt.

                    • Stefan Pietsch 8. November 2018, 17:36

                      Bei der Rente wird immer das verteilt, was in der Periode erwirtschaftet wurde.

                      Jetzt haben Sie gerade Ihr Hauptargument zerlegt. Wenn das nämlich so ist, dann lässt sich der Rentenanspruch in 20, 30 Jahren nicht seriös vorausberechnen. Denn dort wird eben genau das verteilt, was im Jahr 2040 erwirtschaftet wird. Mehr geht eben nicht.

                      Bis dahin kann die Versicherung/das Unternehmen pleite gehen, starke Inflation…

                      Das kann die gesetzliche Rentenversicherung auch. Denn genau das ist im 2. Weltkrieg passiert. Die heutige rein umlagefinanzierte Rente gibt es einzig und allein, weil unsere Großeltern ihre kapitalbasierte gesetzliche Rente zerschossen haben. Das Konstrukt, das Sie heute so loben, ist aus der Not geboren, weil es sonst keine andere Lösung gab. Und natürlich leiden Renten unter Inflation, weit mehr, als kapitalgedeckte Systeme. Arbeitnehmer und insbesondere Geringverdiener sind immer die ersten und größten Opfer in Hochinflationsländern.

                      Diese Grenzen sind für mich im vorliegenden Sachverhalt klar erfüllt.

                      Das können Sie weder sachlich beurteilen noch liegt es in Ihrer Verantwortung. Sie müssen sich auf entsprechende BVerfG-Urteile berufen, das ist die einzig zulässige Argumentation.

                    • Stefan Sasse 9. November 2018, 06:32

                      Klar geht mehr. Dafür gibt’s ja Schulden.

                    • Stefan Pietsch 8. November 2018, 18:07

                      Entlassung gibt es für gewöhnlich bei zu wenig Nachfrage oder stattdessen mehr Maschineneinsatz.

                      Na, Sie kennen sich ja aus!

                      Nein, das ist die klassische Antwort und damit nicht zwingend richtig. Es gibt heute eine Reihe von Gründen für Entlassungen. Sie entlassen heute seltener in der Produktion, denn erstens arbeiten dort ohnehin immer weniger und zweitens sind Unternehmen heute bestrebt, Produktive zu Lasten von Administrativen zu halten.

                      Auch Ihre Vorstellung von Effizienzsteigerungen sind sehr old fashion. Ich habe am Beispiel der Buchhaltung sehr plastisch dargestellt, wie das heute funktioniert. Rechtsänderungen, Prozessänderungen und natürlich auch Automatisierungen sind Treiber der Produktivitätserhöhungen in Bereichen, wo in der Vergangenheit der Output nicht schnell erhöht werden konnte. Heute sind sie Gegenstand der Rationalisierung.

                      Der Gewinn steht im Vorhinein fest oder wie?

                      Nein, ist er nicht. Es ist aber auch nicht, wie Sie es darstellen – und ich muss es ganz sicher wissen. 🙂 Eigentümer und Management fragen bei Budgeterstellung nicht: Schauen wir einfach, was rauskommt. Oh, Lohnerhöhungen, da kann man wohl nichts machen!

                      Genau in dieser Situation befinde ich mich gerade und die Vorgabe ist glasklar, ich kopiere Ihnen mal die Vorgabe des Eigentümers ein:

                      Für mich sind zwei Fragen entscheidend:
                      Müssen wir [der Gewerkschaft] folgen oder nicht? Wenn nein, sollten wir deutschlandweit mit weniger als x,x% hineingehen. Das macht aber nur Sinn, wenn wir auch eine Chance haben zu gewinnen.

                      Die zweite Vorgabe ist, dass wir nur mengenbedingte Steigerungen der Personalkosten akzeptieren. Auch das gilt flächenweit. Das bedeutet für [] konkret den Abbau von ca. 15 Personen im Sinne von Produktivitätssteigerung . Das müssen wir dann in der Budgetpräsentation sehen. Ein Teil davon kann auch noch aus Preissteigerungen oder anderen Einsparungen kommen. Denn ohne das, würde das Ebitda der Gruppe um ca 5% nach unten gehen, und das können wir uns auf keinen Fall erlauben.

                      Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt nicht Illusionen geraubt … 😉

                      Bspw. bei einem Putzdienst bezweifle ich ganz stark, dass Zahlung des Mindestlohns zu nicht mehr putzen führen würde.

                      Auch hier scheinen Sie nicht unbedingt auf der Höhe der betrieblichen Wirklichkeit. Erstens, es gibt Firmen, die sich auf vollautomatisierte Putzroboter spezialisiert haben. Die größten Kunden kommen aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes… Zweitens, stehen gerade Reinigungsfirmen unter enormen Preis- und Wettbewerbsdruck. Lohnerhöhungen können oft nicht an die Kunden weitergegeben werden. Die am unteren Ende der Nahrungskette prügeln ihre Mitarbeiter durch die Büros, im Zweifel wird halt nicht ordentlich geputzt. Dennoch steigt die kalkulatorische Produktivität.

                      Sie sollten nie den Fehler begehen, die Phantasie des Menschen zu unterschätzen. Die ist allemal größer als die Regelungsmöglichkeiten.

                    • Stefan Pietsch 9. November 2018, 09:33

                      @Stefan

                      Du solltest Dich von Zeit zu Zeit nicht in der Knappheit der Worte ergötzen, wenn der Sinnzusammenhang verloren geht. Wofür gibt es Schulden? Wo geht immer mehr?

                    • Stefan Sasse 10. November 2018, 14:12

                      Dabei ergötze ich mich so gerne an der Knappheit meiner Worte 😉
                      Mehr Rente als gerade erwirtschaftet wird, durch Schuldenfinanzierung. Das mag Nachteile haben, die es als schlechte Option erscheinen lassen, aber es GEHT durchaus.

                    • popper 9. November 2018, 10:09

                      Denn dort wird eben genau das verteilt, was im Jahr 2040 erwirtschaftet wird. Mehr geht eben nicht.

                      Ist bei der kapitalgedeckten Rente nicht anders. Entweder der Kapitalstock ist vorhanden, wenn nicht, können Renten bei beiden Organisationsformen nicht bezahlt werden. Allerdings hängt die GRV bei der Erwirtschaftung des notwendigen Kapitalstocks nicht von Spekulationen auf dem Finanzmarkt ab, sondern von der Ertragskraft der Wirtschaft. Wenn diese pro Jahr 1-2% des BIP beträgt und man beteiligt die arbeitenden Menschen kontinuierlich am Produktivitätsvortschritt mit steigenden Löhnen, sind auch in hundert Jahren die Renten bei moderater Anpassung der Beiträge locker bezahlbar. Ich weiß, ein Horror für Neoliberale, aber eben nachhaltig.

                      Das kann die gesetzliche Rentenversicherung auch.

                      Die GRV kann nicht bankrott gehen, solange Rentenbeiträge fließen. Diese Einzahlungen fließen postwendend den in einer konkreten Zahlungsperiode lebenden Rentnern zu. Da wird nichts angespart oder am Kapitalmarkt verspekuliert, wie das bei den Pensionskassen in den vergangenen Jahren der Fall war.

                    • Stefan Sasse 10. November 2018, 14:13

                      Eben dies.

                    • Stefan Pietsch 9. November 2018, 10:37

                      Entweder der Kapitalstock ist vorhanden, wenn nicht, können Renten bei beiden Organisationsformen nicht bezahlt werden.

                      In einem alten Haus können Sie immer noch wohnen. Doch von Renten, die nicht gezahlt werden, lässt es sich schwer eine Miete zahlen. So wissen wir, dass der Lebensstandards von Menschen im Alter höher ist, wenn sie im Eigenheim wohnen – bei gleichem Rentenanspruch. Schon das macht Ihre Ausführung zur Makulatur.

                      Allerdings hängt die GRV bei der Erwirtschaftung des notwendigen Kapitalstocks nicht von Spekulationen auf dem Finanzmarkt ab

                      Was ist denn Spekulation? Schecks auf die Zukunft. Das Jahr 2040 lässt sich mit „Zukunft“ umschreiben, dann haben sich spekulative Erwartungen realisiert – oder nicht. In langen Reihen bildet der Kapitalmarkt immer die wirtschaftliche Entwicklung ab.

                      Wenn diese pro Jahr 1-2% des BIP beträgt und man beteiligt die arbeitenden Menschen kontinuierlich am Produktivitätsvortschritt mit steigenden Löhnen

                      Warum sollte man? Meines Wissens diskutieren wir seit einiger Zeit die Auswirkungen der Digitalisierung und viele Beschäftigte fürchten sich, auf Dauer keinen Job mehr zu haben. Kein Job, keine Rente, so ungefähr geht der Zweisatz bei der Umlagenrente. Und wer keinen Job hat und kein Kapital, nimmt auch nicht teil am produktiven Fortschritt. Das alles deckt das Konzept der Umlagerente nicht ab.

                      Die GRV kann nicht bankrott gehen, solange Rentenbeiträge fließen.

                      Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wär‘. Die GRV muss fürchten, was der Kapitalmarkt nie fürchten muss: dass die Arbeit ausgeht. Konkret wird in Deutschland nach 2025 die Zahl der Erwerbstätigen stark abnehmen, während die Zahl der Rentner steigen wird. Sie sagten ja, es kann nur verteilt werden, was (pro Kopf) erwirtschaftet wird. Da weniger in den Topf kommt, lassen sich die heftigen Verteilungskonflikte absehen. Dank Umlagerente.

                    • Stefan Pietsch 11. November 2018, 13:03

                      @Stefan

                      Das ist natürlich eine geniale Idee: Verschulden, damit jemand mit einer Lebenserwartung von einem Jahr sich eine Weltreise leisten kann! 😉

                      Hast Du Dir schon einmal Gedanken gemacht, warum über 70jährige häufiger Probleme haben, einen Kredit zu bekommen? Nein, das dachte ich mir. Du sagst nichts anderes als dass die (junge) Erwerbsbevölkerung in den nächsten 30 Jahren nicht nur die höchsten Sozialbeiträge der Geschichte schultern soll, sondern dazu auch die höchste Steuerlast. Aber das reicht nicht, nun sollen mehr Schulden zur Versorgung der heute Alten und dann Toten die eigenen Möglichkeiten weiter einschränken. Hört sich nach einem Plan an, allerdings einem, den kein solide denkender Mensch entworfen haben kann. Sondern jemand mit dem Denken: „Nach mir die Sintflut!“.

                    • Stefan Sasse 11. November 2018, 19:36

                      Hast du dir schon mal Gedanken gemacht, warum sie Sonne im Osten aufgeht? Nein? Dachte ich mir.

                    • Stefan Pietsch 12. November 2018, 01:58

                      Anscheinend weißt Du nicht, warum Rentner meist keinen Kredit mehr bekommen. Das ist bedenklich. Ebenso, wie dass Du das zentrale Argument nicht aufgenommen hast. Anscheinend hältst Du Deine Generation für reine Melkesel. Wer so wenig auf die eigenen Interessen achtet …

                    • Stefan Sasse 12. November 2018, 16:07

                      Mir geht es um meine eigene Rente. Ich achte da durchaus auf meine Interessen.

                • popper 8. November 2018, 11:57

                  Eine Berechnung zum Mindestlohn brachte es an den Tag: der Mindestlohn hat zwar den Stundenlohn der Beschäftigten erhöht – logisch. Allerdings nicht zwingend deren Einkommen. Tatsächlich ging das Arbeitsvolumen zurück, am Ende bleibt tendenziell weniger oder bestenfalls das Gleiche in der Tasche. So gewinnen Sie nichts für den Rentenanspruch, denn dazu brauchen Sie nicht nur einen bestimmten Stundenlohn, sondern auch ein entsprechendes Arbeitsvolumen.

                  Diese Berechnung, wie übrigens der ganze Artikel, ist neoliberaler Kaffeesatz? Das Arbeitsvolumen bezieht sich auf das Verhältnis zwischen der Summe aller Beschäftigten/Arbeitsplätze und der Summe aller geleisteten Arbeitsstunden, wogegen der Mindestlohn sich auf eine Teilmenge der Beschäftigten bezieht. Das heißt, die Verringerung des Arbeitsvolumens aller Beschäftigten/Arbeitsplätze, lässt keine Aussage über das Arbeitsvolumen der Beschäftigten/Arbeitsplätze zu, die nach Mindestlohn bezahlt werden. Der Rentenanspruch ergibt sich aus einer wie auch immer gefassten Rentenformel, und wenn überhaupt, nur in zweiter Linie aus der Anzahl der Beschäftigten, geleisteten Stunden oder Löhnen.

                  • Stefan Pietsch 8. November 2018, 12:56

                    Wenn Sie sich mit makroökonomischen Fragen beschäftigen, wissen Sie, dass in Phasen langen wirtschaftlichen Wachstums bei hoher Beschäftigung das Stundenvolumen des Faktors Arbeit steigt und nicht fällt. Nun ist die Zahl der Minijobs (wenig Stunden) mit der Einführung des Mindestlohns sehr stark zurückgegangen. Zudem sind die Arbeitsstunden entgegen den Erwartungen gefallen.

                    Sie haben Recht, das ist kein statistischer Beweis, der wäre nur zu liefern, wenn die Gruppe der Betroffenen klar abgrenzbar wäre. Allerdings ist das Phänomen ohne Berücksichtigung des Mindestlohns schwer begründbar.

                    • popper 9. November 2018, 09:46

                      Ihre Aussage wäre nur dann zutreffend, wenn der Aufwuchs der Beschäftigung Vollzeitstellen wären. Auch der oft verwendete Hinweis auf eine Zunehme sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse, täuscht über deren Qualität hinweg. Da der Arbeitsmarkt seit vielen Jahren einer immer stärkeren Fragmentierung ausgesetzt ist, stimmt ihre Beschreibung so nicht. Die Zahl der Beschäftigten hat zwar zugenommen, aber nicht die geleisteten Stunden. Dieser Trend besteht seit Jahren und setzt sich weiter fort. Schon deshalb war eine Zunahme der Arbeitsstunden war aufgrund der überwiegenden Ausweitung der Jobs im Niedriglohnsektor, entgegen ihrer Aussage, nicht zu erwarten.

                      Dass die Minijobs abgenommen haben, sagt doch nichts darüber, ob die entsprechenden Arbeitsverhältnisse weggefallen sind. Hier muss man vermuten, dass die Zahlen lügen. Denn, die Tatsache, dass ein Minijob früher den Arbeitgebern ermöglichte, Menschen für einen Hungerlohn (450.- €/mtl.) 48 Stunden in der Woche bzw. einen Monat arbeiten zu lassen, müssen seit Einführung des Mindestlohnes alle geleisteten Stunden, mit dem Mindestlohn vergütet werden (Midijobs lasse ich einmal außen vor). Arbeitsplätze sind, wenn überhaupt, nicht verloren gegangen, wie Wirtschaftsverbände, bestimmte Journalisten, Sachverständigenrat und sogenannte „Topökonomen“ in ihren Horrorgeschichten prognostiziert haben.

                    • Stefan Pietsch 9. November 2018, 09:58

                      Ihre Aussage wäre nur dann zutreffend, wenn der Aufwuchs der Beschäftigung Vollzeitstellen wären.

                      Nein, wieso sollte es? Wir haben in den letzten Jahrzehnten in der OECD gesehen, dass ein Bedarf an mehr Beschäftigung auch durch die Integration von Frauen mit Teilzeitstellen in den Arbeitsmarkt gelingen kann. Es werden mehr Arbeitskräftepotentiale aktiviert. Sie denken statisch.

                      Die Zahl der Beschäftigten hat zwar zugenommen, aber nicht die geleisteten Stunden.

                      Auch das ist nicht richtig. Wir hatten von 2009 bis zur Einführung des Mindestlohns eine stetige Zunahme der geleisteten Arbeitsstunden.
                      https://www.statistik-bw.de/VGRdL/tbls/tab.jsp?rev=RV2014&tbl=tab17&lang=de-DE

                      Denn, die Tatsache, dass ein Minijob früher den Arbeitgebern ermöglichte, Menschen für einen Hungerlohn (450.- €/mtl.) 48 Stunden in der Woche bzw. einen Monat arbeiten zu lassen (..).

                      Kleiner Scherz Ihrerseits, oder? 🙂

                      Arbeitsplätze sind, wenn überhaupt, nicht verloren gegangen

                      Woher wissen Sie das?

              • R.A. 7. November 2018, 16:51

                > Er wird Grundsicherung bekommen.
                Dann ist ja erst einmal alles in Ordnung. Der Sozialstaat funktioniert und trägt auch Rentner, die in ihrem Erwerbsleben nur ein Pendeln zwischen minimaler Produktivität und Hilfeempfang schaffen konnten.

                Gott sei Dank gibt es nicht viele solche Leute, gerade auch angesichts der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, und es ist recht unseriös, wenn gewisse Lobbies da herbeiphantasieren, es ginge um 40% der Bevölkerung.

                • Mordred 8. November 2018, 09:13

                  Die Bunderegierung höchstselbst musste die 40% bereits einräumen. Und wie weiter oben schon beschrieben geht es längst nicht nur um prekär Beschäftigte.

  • Mordred 7. November 2018, 12:10

    Stockholm-Syndrom?
    Du schreibst jahrelang gegen Merkel an und seit 2015 ist sie bzw. die breite Mitte der 4 etabliertetsten Parteien das kleinere Übel? Ach so, da hat also ihre Politik der letzten 10-20 Jahre überhaupt nichts mit zu tun! Und wenn die einfach nur so weitermachen wird es natürlich nicht noch schlechter. Aua 🙂

    • Erwin Gabriel 7. November 2018, 20:53

      @ Mordred 7. November 2018, 12:10

      Dem „Aua“ schließe ich mich an.

  • popper 8. November 2018, 12:30

    Ich mache mal hier weiter, Herr Pietsch:

    Nun, dass Sie das mit der makroökonomischen Brille und Erfahrung im öffentlichen Dienst nicht verstehen, ist naheliegend, beides ist zu weit entfernt von der wirtschaftlichen Realität. Doch was ich beschreibe, ist das, was die meisten täglich erleben.

    Ich habe doch nur wiederholt, was Sie gesagt haben, aber die Frage nach dem monetären Ausgleich/Vorteil haben Sie nicht beantwortet. Den Fall einer völlig ausgelasteten Volkswirtschaft haben Sie auch partiell nie. Und die Steigerung der Produktivität sagt, nach Einbeziehung aller Teilaspekte, noch nichts über das Ergebnis. Und das was die meisten erleben, macht keine Aussage über die tatsächlichen Sachzusammenhänge. Wenn Sie mit ihrem Hinweis auf die Steigerung der Produktivität nicht sagen wo der tatsächliche monetäre Vorteil liegt, wenn Sie Leute hinauswerfen, um den durch die Zahlung des Mindestlohns geschmälerten Gewinn zu substituieren, dann haben Sie eine Null-Aussage gemacht.

    Auch der zweite Teil ihrer Einlassungen adressiert nicht den Streitgegenstand. Auch befristet Beschäftigte kann man nicht einfach die Arbeitszeit kürzen, nur weil es einem in den Kram passt. Und wenn Sie andeuteten, dass aus der Situation größerer Abhängigkeit sich höheres Erpressungspotential ergibt, dann sagt das mehr über Sie, als über das in Rede stehende Thema Mindestlohn/Rente/Altersarmut aus.

  • Stefan Pietsch 8. November 2018, 12:49

    Denn eine Steigerung der Produktivität bringt ja keine Steigerung des monetären Gewinns, der Lohnsteigerungen per Mindestlohn ausgleichen könnte.

    Genau das hatte ich doch gezeigt:
    Die Umstellung auf digitale Archivierung von Belegen und die Übermittlung von Belegen zwischen Unternehmen ermöglichen die Einsparung von 2 Personen. Zwar bekommt dann eine Person 30% mehr, die anderen beiden jedoch gar nichts, die Personalkosten sinken um 57%.

    Wenn Sie 100 Personalkosten haben, kommen Sie durch Steigerung der Produktivität (1 Person statt vorher 3 schmeißt die ganze Buchhaltung) kommen Sie trotz Gehaltserhöhungen von 30% über 5 Jahre auf eine Gewinnsteigerung von 57%. Das ist hochattraktiv und wird schon von einer wachsenden Zahl von Unternehmen in der OECD umgesetzt. In die gleiche Richtung gehen übrigens Strategien für sogenannte Shared Service Centers, welche die Arbeit von ganzen Konzernbuchhaltungen erledigen zu osteuropäischen Löhnen.

    Auch befristet Beschäftigte kann man nicht einfach die Arbeitszeit kürzen, nur weil es einem in den Kram passt.

    Nein, das nicht. Aber befristete Verträge haben die Angewohnheit, innerhalb einer relativ kurzen Zeit auszulaufen und können dann neu verhandelt werden.

    Und bitte: ich beschreibe, was ist. Das ist weder eine moralische Bewertung von mir noch ein Hinweis, wie ich handele. Halten Sie bitte beides auseinander.

    • popper 8. November 2018, 15:27

      Sie adressieren Wirtschaftlichkeit, nicht Produktivität…

      • Stefan Pietsch 8. November 2018, 15:47

        Also bitte, Herr popper! Wenn statt 3 Personen nur 1 Person einen Bericht erstellt, dann ist das einer Steigerung der Produktivität um den Faktor 2. Übrigens auch auf der Makroebene: die Produktivität der Volkswirtschaft wird gemessen in bewertetem BIP / Employees. Und auch nach dieser Rechnung steigt die Produktivität in einer Volkswirtschaft.

        • popper 11. November 2018, 07:17

          Ich bleibe dabei, dass es hier um Wirtschaftlickeit geht, da es ja um monetäre Ersparnis geht. Die Krux ist nur, dass in Krisen immer wieder versucht wird, mit personellen Einsparungen die „Produktivität“ zu erhöhen und wundert sich, wenn dadurch der Ertrag nicht zunimmt und man innerhalb kurzer Zeit vor der nächsten Krise steht. Hier mit weniger mehr zu schaffen, hat noch nie wirklich funktioniert.

          • Stefan Pietsch 11. November 2018, 12:28

            Selbst-Definitionen einzuführen ist der Tod der Debatte. Dann sehen Sie das halt so.

            • popper 13. November 2018, 11:06

              Der Tod jeder Debatte, Herr Pietsch, ist, wenn jemand diskutiert, der nicht bereit ist, bei ihm ungeläufigen Sachfragen, sein Denken zu überprüfen und mit Worthülsen antwortet.

  • popper 9. November 2018, 11:28

    Nein, wieso sollte es? Wir haben in den letzten Jahrzehnten in der OECD gesehen, dass ein Bedarf an mehr Beschäftigung auch durch die Integration von Frauen mit Teilzeitstellen in den Arbeitsmarkt gelingen kann. Es werden mehr Arbeitskräftepotentiale aktiviert. Sie denken statisch.

    Dass mehr Arbeitskräfte aktiviert werden bestreite ich nicht, ist auch gar nicht der Punkt. Ich halte nur ihre daraus abgeleitete Kausalität, bezogen auf den deutschen Arbeitsmarkt, für irreführend. Gerade Sie behaupten doch einen statischen Automatismus und verallgemeinern diesen: …in Phasen langen wirtschaftlichen Wachstums bei hoher Beschäftigung das Stundenvolumen des Faktors Arbeit steigt und nicht fällt… Das ist alles andere als zwingend, es sei denn man hält ihre Ceteris paribus-Aussage für alle Arbeitsmärkte dieser Welt für zwingend. Bewiesen wird damit nur ihr persönliches Szenario, nicht die fragmentierenden Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

    Auch das ist nicht richtig. Wir hatten von 2009 bis zur Einführung des Mindestlohns eine stetige Zunahme der geleisteten Arbeitsstunden.
    https://www.statistik-bw.de/VGRdL/tbls/tab.jsp?rev=RV2014&tbl=tab17&lang=de-DE

    Kleiner Scherz Ihrerseits, oder?

    Kein Scherz, das war noch vor 25 Jahren Realität. Vielleicht hätte ich bei der Klammersetzung (‚heute‘ 450.- €/mtl.) schreiben müssen. Ich habe jahrelang bei Anstellungen von Regieassistenten dagegen gekämpft, dass diese jeden Tag von morgens bis abends im Theater beschäftigt wurden und dafür am Ende des Monats den Minijob-Gehalt, wenn ich mich recht erinnere, 360.- € bekamen.

    Woher wissen Sie das?

    Warum wissen Sie es nicht? Im Übrigen zitieren Sie unvollständig, mein Satz lautet vom Sinngehalt her: Arbeitsplätze sind, wenn überhaupt, nicht verloren gegangen, wie Wirtschaftsverbände, bestimmte Journalisten, Sachverständigenrat und sogenannte „Topökonomen“ in ihren Horrorgeschichten prognostiziert haben.

    Die Evidenz ergibt sich auch aus dem Schweigen einschlägiger neoliberaler Institutionen. Man weiß, dass man sich mit der Verteufelung des Mindestlohns blamiert hat. Die Versuche, Honig aus bestimmten Tatbeständen zu ventilieren, sind zwanghaft oder, vornehm ausgedrückt, alternative Fakten.

  • popper 9. November 2018, 12:00

    In einem alten Haus können Sie immer noch wohnen. Doch von Renten, die nicht gezahlt werden, lässt es sich schwer eine Miete zahlen. So wissen wir, dass der Lebensstandards von Menschen im Alter höher ist, wenn sie im Eigenheim wohnen – bei gleichem Rentenanspruch. Schon das macht Ihre Ausführung zur Makulatur.

    Was wollen Sie mir damit sagen? Sie haben das Argument wohl nicht verstanden. Was wir wissen ist irrelevant und nur ein untauglicher Versuch ihrerseits den Mangel an Sachargumenten mit Leerformeln zu übertünchen. Bemühen Sie doch mal um Sachargumente und wiederkäuen Sie nicht immer wieder den Müll aus des Mainstreams.

    Was ist denn Spekulation? Schecks auf die Zukunft. Das Jahr 2040 lässt sich mit „Zukunft“ umschreiben, dann haben sich spekulative Erwartungen realisiert – oder nicht. In langen Reihen bildet der Kapitalmarkt immer die wirtschaftliche Entwicklung ab.

    Ihre Behauptung wird nicht dadurch besser, wenn Sie sich dumm stellen. Der Kapitalmarkt hat noch nie die wirtschaftliche Entwicklung abgebildet. Das beste Beispiel ist die Dotcom-Blase und Subprime-Desaster.

    Warum sollte man? Meines Wissens diskutieren wir seit einiger Zeit die Auswirkungen der Digitalisierung und viele Beschäftigte fürchten sich, auf Dauer keinen Job mehr zu haben. Kein Job, keine Rente, so ungefähr geht der Zweisatz bei der Umlagenrente. Und wer keinen Job hat und kein Kapital, nimmt auch nicht teil am produktiven Fortschritt. Das alles deckt das Konzept der Umlagerente nicht ab.

    Die Horrormärchenerzähler, durch die Digitalisierung würden viele ihre Beschäftigung verlieren, lassen außer Acht, dass jede schöpferische Zerstörung die Arbeit von Menschen nicht obsolet gemacht hat, sondern in andere Bereiche verlagert hat. Die Szenarien der Schwarzseher können nicht ernsthaft als Diskussionsgrundlage dienen. Sie taugen nichts. Und sind weitgehend interessengelenkt.

    Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wär‘. Die GRV muss fürchten, was der Kapitalmarkt nie fürchten muss: dass die Arbeit ausgeht. Konkret wird in Deutschland nach 2025 die Zahl der Erwerbstätigen stark abnehmen, während die Zahl der Rentner steigen wird. Sie sagten ja, es kann nur verteilt werden, was (pro Kopf) erwirtschaftet wird. Da weniger in den Topf kommt, lassen sich die heftigen Verteilungskonflikte absehen. Dank Umlagerente.

    Der Staat hat die gesetzgebende Macht. Er kann die Umlage stärken oder, wie in den vergangenen Jahren Klientelpolitik für Banken und Versicherungen machen. Im Übrigen verstehen Sie nichts von Geldpolitik, um kompetent über die Finanzierbarkeit der Rente zu diskutieren. Auf die Summe der Erwerbstätigen kommt es dabei am Wenigsten an, will man nicht den sachfremden Unsinn der Versicherungslobby hereinfallen. Ihre Intelligenz gibt es eigentlich her, validere Argumente zu liefern.

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