Endspiel für einen Failed State

Die Griechen nerven. Seit 5 Jahren halten Sie ihre Partner hin und die Europa-Politik in Atem. Dieses kleine Volk, gerade mal verantwortlich für 1,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Eurozone, maßt sich an, permanent und mit Anlauf gegen alle Regeln verstoßen zu dürfen, welche sich die internationalen Staatengemeinschaften gegeben haben. Jede Woche erfolgt mindestens ein gravierender Rechtsbruch. Zumindest das offizielle Hellas ist ein Serienrechtsbrecher, der Vereinbarungen nur akzeptiert, wenn sie vorteilhaft für ihn sind. Ausgerechnet dieser Staat, der keine Regeln akzeptiert, pocht heute auf den Maastricht-Vertrag, der einen Rausschmiss der Bankroteure aus dem Euro ausschließt. Humor ist das nicht.

Rückblende: 1999 gelangte das Land an der Ägäis mit Hilfe saftiger Statistik-Betrügereien in den Euro, der 2002 offizielles Zahlungsmittel wurde. Das korrupte Verhalten wird auch nicht dadurch entschuldigt, dass die EU-Partnerländer aus politischen Gründen eine Aufnahme befürworteten, Beamte von Eurostat nicht sorgfältig prüften und sich die Regierung in Athen professionelle Hilfe bei einem Nebenaspekt der Staatsschuld nahmen. In keinem Jahr der Zugehörigkeit zum elitären Währungsclub gedachte man, die Aufnahmebedingungen wie Schuldenquote oder das berühmte 3%-Kriterium für die Neuverschuldung einzuhalten. Am östlichen Mittelmeer dachte man anscheinend wie zu Zeiten der Osmanen-Herrschaft, Verträge seien etwas fürs Papier. Und als das Geschäftsmodell der Korruption, Vetternwirtschaft und Rechtsbeugung nach der Finanzkrise an seine Grenzen stieß und das unsolide Gebaren unter der Akropolis offensichtlich machte, schlug man jeden erdenklichen rechtlichen und politischen Haken, um der Konsequenz zu entgehen.

Seit 2010 nötigte dieses kleine Volk seine europäischen Partner zu unzähligen Rechtsbeugungen bis hin zum offenen Rechtsbruch. Die europäischen Verträge mutierten unter den Erpressungen der verschiedenen Regierungen in Athen zu bloßen Verhandlungsmassen. Als erstes fiel die strikte No-Bailout-Klausel, welche es bis dato den Mitgliedern der Eurozone verbot, füreinander finanzielle Risiken zu übernehmen. Anschließend war die Unabhängigkeit der der Europäischen Zentralbank dran. Die Notenbanker in Frankfurt betrieben zunehmend das politische Geschäft, unter anderem auch, in dem sie den Regierungen Zeit lieh um die Sachen zu regeln, die sie nicht regelten. Das generelle Verbot der Staatsfinanzierung wurde zur Verschlusssache juristische Interpretation. Verschiedene Regierungen zeichneten für die Hilfspakete 1 und 2 Memoranden, an die sie sich anschließend nicht hielten. Was nationale Politik in Griechenland zu tun habe, damit das Gemeinwesen funktionierte, blieb Verhandlungssache auf Beamtenebene zwischen EZB, IWF, EU und den Regierungsangestellten in Athen.

Das eigene Volk in Geiselhaft

Doch keine Regierung zuvor trieb es so bunt wie Ideologen von Syriza. Über Nacht erklärten sie kraft Wahlsieges den Staatsvertrag für das zweite Hilfspaket für obsolet, zumindest soweit es Gegenleistungen Griechenlands betraf.  Als die restlichen Hilfsgelder daraufhin eingefroren wurden, vereinbarten die Geldgeber kulanzhalber eine Verlängerung des ursprünglich im Februar diesen Jahres auslaufenden Programms in den Sommer bis zum 30.06.2015. Damit war allen Seiten die Laufzeit der Vereinbarung klar. Die Positionen waren’s auch. Alexis Tsipras war mit dem Versprechen Ministerpräsident geworden, keine Auflagen der Troika mehr zu akzeptieren. Dass dies mit dem zweiten Ziel, Griechenland im Euro zu halten, in Konflikt stand, sagte er seinen Wählern nicht. Demgemäß verhandelten die hellenischen Unterhändler in Brüssel, häufig dabei ohne klaren Auftrag. Monatelang wurden die immer gleichen Vorschläge unterbreitet, die aus den immer gleichen Gründen auf Ablehnung bei den Geldgebern stießen.

Die Regierung Tsipras verhandelte, als hätte sie keinen Zeitdruck. Und sie meinte, mit dem eigenen Volk als Geisel in der Hinterhand habe man beste Karten beim Poker. Doch während der Führer der Syriza meinte, Anführer einer neuen Revolution zu sein, blieb er Bittsteller. Mit starken Anleihen aus dem Kriegsvokabular (Terror, Demütigung, Stolz des Volkes u.ä.) versuchte er daher, die anderen Regierungschefs zu weiteren Rechtsbeugungen zu animieren. Das ging spätestens mit der letzten Volte, als der 40jährige ein Referendum ausrief, schief. Im Wissen, dass das Hilfsprogramm formal wenige Tage später auslief, in Kenntnis, dass eine Zahlung an den IWF Ende Juni fällig war und dem kurzen Blick in die Staatskasse, dass da nichts drin war, wollte er mit dem Argument eines demokratischen Entscheides eine Brückenfinanzierung der Euro-Partner und damit einen glatten Rechtsbruch (einseitige Verlängerung der Laufzeit des Hilfspakets ohne parlamentarische Zustimmung) erzwingen.

Den europäischen Finanzministern blieb dieser versuchten Erpressung nur die Möglichkeit, sich an das Recht zu halten. 30.06.2015 isch over. Seit dem sind in Griechenland die Banken geschlossen und Rentner müssen um ihr Altersruhegeld am Automaten kämpfen. Die Griechen zeigen jedoch längst das Stockholm-Syndrom und versorgten ihren Ministerpräsidenten mit einem direkten Mandat und Auftrag (Geld ohne Auflagen). Ob Alexis Tsipras merkt, dass sich der Wind gedreht hat? Die Abberufung seines eigensinnigen, selbstdarstellerischen Finanzministers Varoufakis ist bisher nur Kosmetik. Obwohl er seinen Wählern ein neues, unhaltbares Versprechen serviert hat – binnen 48 Stunden habe er ein Abkommen mit der Troika – präsentierte er am gestrigen Dienstag nicht etwa neue Verhandlungsvorschläge, sondern lediglich sein sympathisches Jungengrinsen. Ein weiteres Mal gelogen.

Nun scheint tatsächlich die Uhr abzulaufen. Für das Wochenende sind die Regierungschefs aller 28 EU-Mitgliedsländer einbestellt, um den formalen Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone zu beschließen. Diesem Schicksal kann Tsipras nur entgehen, wenn er völlig entgegen seinem eingeholten Mandat noch härtere Auflagen für ein drittes Hilfspaket anbietet. Das ist höchst unwahrscheinlich und wäre ein weiterer Missbrauch seiner demokratischen Legitimität. De facto haben die Griechen am Sonntag für ihren Abschied vom Euro gestimmt.

Failed State – der Unwillen zu Veränderungen

Wer heute noch Sympathien für die Postkommunisten in Athen hegt – wie in Deutschland die Linkspartei – muss sich fragen lassen, wie er eigentlich einen Regierungsauftrag im demokratischen Sinne versteht. Die verschiedenen Regierungen des 10 Millionen-Völkchens, Syriza dabei vorneweg, sahen die res publica als Verhandlungssache um die Gewährung internationaler Hilfsgelder. Spätestens seit der Installierung der Troika ist ja offensichtlich, woran die Begründer der Demokratie kranken. Und das sind nicht vorrangig politische, sondern gesellschaftliche Probleme. Die Politik gewährt Vergünstigungen nach dem Bestechlichkeitsprinzip. Deswegen werden Steuern willkürlich erhoben und Renten nicht nach Lebensleistung, sondern Klientelismus bezahlt. Viele Tätigkeiten sind mit Lizenzrechten, Zulassungsbeschränkungen und Eintritsgeldern als closed shop organisiert. Wer einmal drin ist, hat keinen Grund für Ehrgeiz. Ganze Branchen sind verstaatlicht, um dem Allmachtsanspruch des Staates gerecht werden zu können. Auch in den Bereichen Gesundheit und Schutz vor Arbeitslosigkeit hat das Gemeinwesen nur Klientelpolitik anzubieten statt Rechtsschutz. Und da im öffentlichen Griechenland alles von Beziehungen abhängt, bedarf es auch keiner Jurisprudenz. Denn was ist Recht wert, wenn es erst in vielen Jahren gesprochen wird?

Der Punkt ist: Griechenland hat kein funktionierendes Gemeinwesen. Und Geld dort reinzuschütten, das hat die Erfahrung der letzten 5 Jahre gelehrt, ist wie ein Fass ohne Boden zu füllen. Nun wissen die Griechen in ihrer Mehrheit und die internationale Linke ohnehin, woran das liegt – all der Erfolge in Portugal, Spanien, Irland oder dem Baltikum zum Trotz: Die „Austeritätspolitik“ als Ausfluss des Neoliberalismus ist des Übels Wurzel und die Troika hat’s versemmelt.

Soweit man jedoch Mitgliedern dieses Gremiums, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, Glauben schenkt, so war die Athener Politik seit jeher unfähig, ihre Sache zu regeln. Als es um die Verhandlungen um das erste Hilfspaket ging, wären von griechischer Seite keinerlei Vorschläge zur Reform des Gemeinwesens gekommen. Da war die Regierung Papandreou nicht besser als das Kabinett Tsipras heute: Statt Gesetzesinitiativen zu ergreifen, das Sozialsystem zu reformieren, eine effiziente Steuerverwaltung unter Hinzuziehung externer Experten aufzubauen, ein schon mehrfach finanziertes Katasterwesen zu entwickeln, Arbeitsmärkte zu öffnen, freiere Lohnfindung zuzulassen oder Tourismusunternehmen Freiheit im Wettbewerb zu geben (beispielsweise All-Inclusive-Angebote zuzulassen), verhandelt, besser pokert man seit einem halben Jahr über nationale Politik als Spielmasse gegen internationale Kredite. Das ist ein perverses Verständnis von Politik. Die einzigen nennenswerten Gesetze der Tsipras-Regierung sind die Wiedereinstellung von Putzfrauen als öffentlich Bedienstete, die Anhebung des Mindestlohns, Rabatte für Steuersünder und Sozialzuschüsse für Haushalte, wo die Kriterien der angeblichen Bedürftigkeit im Dunkeln bleiben. Syriza ist nicht die Rettung Griechenlands, sie vollenden, wohin das Land jahrzehntelang geführt wurde.

Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit schlug die Troika frühzeitig vor, dass Unternehmen Jugendlichen beim Berufseinstieg niedrigere Löhne zahlen dürfen – im Gesetzgebungsverfahren plattgemacht. Der Vorschlag, eine Sozialhilfe nach westeuropäischem Muster einzuführen – abgelehnt. Den Generalsekretär für die Bekämpfung der Korruption – entlassen. Die Largarde-Liste zur Besteuerung von griechischer Vermögen – nicht verfolgt. Einführung von Generika im Gesundheitswesen – behindert. Interessant ist auch, dass die LINKE in Deutschland ermäßigte Mehrwertsteuersätze für das Hotelgewerbe als „Mövenpicksteuer“ verunglimpft, für Griechenland dies als Subvention jedoch verteidigt. Ein humorloser Slapstick der besonderen Art.

Die LINKE wie auch ein Kommentator hier meinen, an Griechenland entscheide sich, was für ein Europa wir sein wollen. Ja, diese Frage wird dieses Wochenende beantwortet. Bisher ist es lediglich ein Europa, wo eine nicht genau definierte Solidarität zu Lasten des Rechts obsiegte. Seit 2010 sind 240 Milliarden Euro Solidargelder nach Athen geflossen. Es kommt nicht darauf an, ob davon angeblich 2/3 an den Finanzsektor geflossen sind. Dieser hält, nur ganz nebenbei, bis heute das Land am Leben. Ohne dieses Geld hätte Hellas längst den Weg gehen müssen, den es bis heute nicht gehen will: den der Staatsinsolvenz und Austritt aus dem Euro. Langsam begreift die Politik, dass permanente Rechtsbrüche nicht zu mehr Gerechtigkeit führen. Das Verhältnis von Staaten wie fremder Personen zueinander formuliert sich in Verträgen und Gesetzen. Wenn diese aufgehoben werden, gibt es nichts Verbindendes mehr.

Schuldenschnitt gegen EURO-Austritt

Seit Amtsantritt verfolgt Tsipras ein zentrales politisches Ziel, ein Schuldenschnitt muss her. Auf den ersten Blick ist das einleuchtend: ein Land mit einer Verschuldungsquote von 180% des BIP wird niemals in der Lage sein, diese vollständig zurückzuzahlen. Kleiner Exkurs: Vulgär-Keynesianer fordern stets, der Staat müsse sich zu Zwecken der Konjunkturpolitik und Investitionsförderung regelmäßig verschulden – nur um später Schuldenschnitte zu verlangen. Das könnte man fortgesetzten Betrug als Politikmodell nennen. Zurück: Warum ist ein „Hair Cut“ so enorm wichtig für die Post-Kommunisten? Der Großteil der Kredite ist langfristig gestundet und verschafft dem Land eine sehr moderate Tilgungsquote von 1,5% Prozent des BIPs bis weit in die 20er Jahre dieses Jahrtausends. Eine solche Quote ist selbst für ärmere Staaten tragfähig. Bei einem angenommenen Schnitt von 50% würde der griechische Staat auf einen Schlag auf das Bonitätsniveau von Deutschland aufsteigen und wäre besser gerankt als Italien. Auf Anhieb könnte Griechenland sich wieder am Kapitalmarkt bedienen, der lediglich Zinsen aber keine Reformen des Gemeinwesens verlangt. Das Spiel könnte erneut beginnen. Verschulden, um angeblich das Wachstum anzukurbeln, bis die Schulden nicht mehr tragfähig sind.

Ein Schuldenschnitt wird und muss kommen. Aber er muss zwingend einhergehen mit dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Fünf Jahre Rettungspolitik haben bewiesen, dass man auf politischer Ebene kein Vertrauen zu diesem Staat haben kann. Die Politikamateure von Syriza haben viel dazu beigetragen, dass Vertrauenskapital dieses schönen Landes unter Null zu fahren.

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  • schejtan 8. Juli 2015, 17:22

    „all der Erfolge in Portugal, Spanien, Irland oder dem Baltikum zum Trotz“

    Abgesehen davon, dass sich die „Erfolge“ in diesen Laendern auch diskutieren lassen (was ich hier aber nicht im Detail tun moechte), muss man auch mal anmerken, dass in diesen Laendern weitaus weniger Austeritaet betrieben wurde. Schaut man sich zum Beispiel die Einschnitte in Staatsausgaben vor Zinszahlungen an (was ja im Wesentlichen der Kern von Austeritaet ist; die beruehmten Strukturreformen haben damit ja nur am Rande was zu tun), dann liegt Griechenland mit 30% weit vor dem zweitplatzierten Irland mit 15% oder Spanien mit ca. 10%. Das gleiche gilt auch fuer die Aenderung im Defizit, die hier fuer verschiedene Staaten mal verglichen wird:

    http://bilbo.economicoutlook.net/blog/wp-content/uploads/2015/07/Fiscal_Shift_2009_2014.jpg.

    Jetzt koennte man natuerlich auf die Idee kommen, dass dies dafuer verantwortlich ist, dass die genannten Laender je nach Sichtweise erfolgreich sind oder weniger am Boden liegen als Griechenland…oder anders gesagt: Griechenland koennte es wohl tatsaechlich besser gehen, wenn sie sich, wie von Konservativen ja haeufig gefordert, tatsaechlich ein Beispiel an Spanien, Irland und co. genommen und weniger gekuerzt haetten.

  • In Dubio 8. Juli 2015, 17:33

    Ich bin einverstanden, dass sich Staaten immer nur bedingt vergleichen lassen, am ehesten am Ergebnis. Nur, wie bereits im Beitrag angerissen, haben die Regierungen in Athen eigene Vorschläge verweigert und die Zusammenarbeit mit der Troika auf das Notwendigste (um an die Kredite zu kommen) beschränkt. Die griechische Politik ist unfähig, Maßnahmen zu kreieren und umzusetzen, die über das bloße Geldausgeben nach Interessengruppen hinausgeht.

    Ich war 2010-2012 in Lettland. Die Einschnitte dort waren heftig und haben die Arbeitslosigkeit deutlich nach oben getrieben. Außerdem war es ebenfalls ein relativ korruptes Land. In Spanien lebt meine Schwester, auch hier sind die Schilderungen vor Ort drastisch gewesen. Auch hier ist das Sozial-, Steuer- und Rechtssystem reformbedürftig.

    Es geht nicht vorrangig um Austerität. Wenn Gewerbescheine nur durch Schmiergeldzahlungen ausgestellt werden und Gerichtsprozesse 10 Jahre und länger dauern, brauchen wir uns nicht darüber zu unterhalten, warum Unternehmen dort nicht investieren. Und solange die Hellenen Wirtschaftspolitik und Wachstum damit gleichsetzen, die in anderen Ländern hergestellten Produkte und Leistungen schneller zu handeln, wird jedes Ausgabenprogramm nur ein tolles Feuerwerk im Staatshaushalt bleiben.

    • schejtan 8. Juli 2015, 18:28

      „Ich bin einverstanden, dass sich Staaten immer nur bedingt vergleichen lassen.“

      Dann sollten Sie es auch nicht tun ;).

      „Es geht nicht vorrangig um Austerität. Wenn Gewerbescheine nur durch Schmiergeldzahlungen ausgestellt werden und Gerichtsprozesse 10 Jahre und länger dauern, brauchen wir uns nicht darüber zu unterhalten, warum Unternehmen dort nicht investieren. “

      Doch, genau um Austeritaet geht es. Das Griechenland korrupt ist, keine funktionierende Buerokratie hat und jahrelang finanziell, sagen wir mal, nicht allzu verantwortlich war, bestreitet ja niemand (und wofuer Syriza auch nicht verantwortlich ist). Auch Austeritaetskritiker nicht. Die sagen ja auch nicht, klar, gibt den Griechen einfach nur mehr Geld und lasst alles, wie es ist. Die Frage ist ja, wie man dafuer sorgt, dass aus Griechenland ein funktionierender Staat wird und die Wirtschaft auf die Beine kommt. Und da stehen nun mal im Wesentlichen die Austeritaetsbefuerwoerter (in der Krise muss gespart werden) gegen die -ablehner (in der Krise sparen, verschlimmert sie nur; was konkrete, alternative Vorschlaege angeht, ist das ja keine homogene Gruppe). Und ausgehend von den letzten Jahren sehe ich da eher einen Punktsieg fuer die Ablehner.

      • In Dubio 8. Juli 2015, 19:48

        Na, ganz so einfach ist es nicht. Um Lehren ziehen zu können, machen wir sehr wohl Staaten vergleichbar. In den Wirtschaftswissenschaften untersuchen wir, wie eine bestimmte Maßnahme wirkt.

        Wir reden ja nicht von Sparpolitik, sondern Austerität. Den Befürwortern ist die Unterscheidung wichtig, den Gegnern die Gleichsetzung. Wenn die Troika die Schaffung einer Sozialhilfe empfiehlt, dann hat das mit Sparpolitik gar nichts zu tun, genauso wenig wie die Maßnahmen zur vereinfachte Einstellungen, Herabsetzung des Mindestlohns, Vereinfachung des Umsatzsteuerrechts usw. Der überbordende Staatsapparat mit seinem riesigen Beamtenheer, wo viele nichts zu tun haben und viele aus Langeweile bürokratische Regeln entwerfen, ist ein lange bekanntes Ärgernis. Folglich wären zur effizienten Gestaltung der Administration zahlreiche Staatsbedienstete zu entlassen. Das ist eine wirtschaftspolitische wie eine Sparmaßnahme. Es ist in der Wirtschaftskrise allerdings auch zyklische Konjunkturpolitik. Was ist besser? In der Situation Griechenlands sollte meiner Meinung nach sollte das erste Kriterium den Ausschlag geben.

        Das Problem: die Regierungen haben, anders als in Portugal und Irland, die Austeritätsempfehlungen nicht umgesetzt und den Schwerpunkt der Reformen auf den Bereich Einsparungen im Sozialbereich gesetzt. Dafür wurde dann die Troika verantwortlich gemacht. Verschwiegen wird, das die Samaras-Regierung sich z.B. heftig gegen die Einführung von Generika gewehrt hat, die dem Gesundheitssektor Einsparungen von 3-6 Mrd. EUR (genau habe ich das nicht mehr in Erinnerung) bescherte – zu Lasten der Pharmaindustrie und der Apotheken.

        Die Behauptung der Troika, die Austeritätspolitik habe keine Erfolge gezeigt, weil sie nicht mal halbherzig umgesetzt wurde, ist nicht von der Hand zu weisen.

        • schejtan 8. Juli 2015, 23:46

          „Wir reden ja nicht von Sparpolitik, sondern Austerität. Den Befürwortern ist die Unterscheidung wichtig, den Gegnern die Gleichsetzung.“

          Mal so allgemein: Wenn man sich noch niemals auf eine gemeinsame Definition von Begriffen einigen kann, wie sollen dann sachliche Diskussionen moeglich sein?

          „Das Problem: die Regierungen haben, anders als in Portugal und Irland, die Austeritätsempfehlungen nicht umgesetzt und den Schwerpunkt der Reformen auf den Bereich Einsparungen im Sozialbereich gesetzt. Dafür wurde dann die Troika verantwortlich gemacht.“

          Dafuer ist ebenfalls nicht Syriza verantwortlich. Sie wollten ja im Laufe der Verhandlungen gerade woanders ansetzen, was von der Troika aber abgelehnt wurde. Diese besteht ja nach wie vor zum Beispiel auf weiteren Rentenkuerzungen, obwohl diese jetzt schon kaum noch zum Leben reichen.

          „die dem Gesundheitssektor Einsparungen von 3-6 Mrd. EUR“

          3-6 Mrd. EUR…ist ja nur eine Schwankung von 30% um den Mittelwert. Anhand solcher ungenauen Prognosen soll Politik gemacht werden? Also jetzt allgemein.

          „Die Behauptung der Troika, die Austeritätspolitik habe keine Erfolge gezeigt, weil sie nicht mal halbherzig umgesetzt wurde, ist nicht von der Hand zu weisen.“

          Sie ist aber auch nicht vollends bewiesen. Wir reden ja nicht nur von Abweichungen von ein paar Prozent zwischen Prognosen und Realitaet, sondern von Abweichungen um ein Vielfaches (grob: ca. -25% im BIP statt ca. ca. -10% und 25% Arbeitslosigkeit statt ca. 15%. Ich weiss jetzt nicht, wie gross der Fehlerbereich in den Prognosen ist, aber ich geh mal davon aus, dass er gesprengt wird.). Und die Abweichungen sollen allein dadurch zu Stande kommen, dass die griechische Regierung nicht alle Vorschlaege eins zu eins umgesetzt hat und nicht durch Fehler im Modell? Das halte ich fuer sehr unwahrscheinlich.

          Und eigentlich muesste sich das doch auch ueberpruefen lassen, oder? Da konkrete Zahlen geliefert werden, muessen die ja irgendwelchen Gleichungen entstammen. Nun liessen sich die in den Prognosen verwendeten Zahlenwerte fuer Variablen ja durch die tatsaechlichen Werte bspw. bezueglich der Einsparungen einsetzen, um zu sehen, ob das Modell dann mit der Realitaet uebereinstimmt. Waere mal interessant zu wissen, ob das irgendjemand getan hat.

  • R.A. 8. Juli 2015, 18:45

    Wumms, dieser Artikel ist der ganz große Vorschlaghammer.
    Aber leider ist das alles richtig.

    Nur bei der Bezeichnung „failed state“ wäre ich vorsichtig. Griechenland hat schwere Probleme und liegt in einigen Bereichen krass hinter anderen europäischen Staaten zurück. Aber andere Bereiche funktionieren ganz gut, da ist Griechenland ein westeuropäischer Staat. Z. B. ist das Bildungssystem ok, die Infrastruktur (trotz der schwierigen Geographie) auch, es gibt einen Mittelstand der für über 30 Milliarden jährlich exportiert (und eben nicht nur Feta, sondern auch Metallwaren, Textilien und Pharmaka), dazu eine gut ausgebaute Tourismusbranche. Da ließe sich eigentlich viel erreichen.
    „failed state“ klingt zu sehr nach „hoffnungslos, abschließen und Schlüssel wegwerfen“. Das verdeckt die Chancen.
    Griechenland war Anfang 2015 schon fast über dem Berg, mit Wachstum und ohne Primärdefizit. Das hat Syriza alles kaputt gemacht.

    Richtig ist: Die ganze Diskussion jetzt über Schuldenschnitt ist reine Ablenkung. Man kann viel diskutieren über die vergangenen Fehler und wie man besser in die Zukunft geht.
    Aber zentral ist, daß das Land nicht dauerhaft auf einen jährlichen Milliardenzuschuß angewiesen sein kann. Genau darauf baut aber die Syriza-„Strategie“. Deswegen wird hochtrabend über alles mögliche geredet (und genug Sympathisanten hierzulande greifen das begierig auf), aber kein konkreter Plan vorgelegt.

    Am schlimmsten ist aber, wie zynisch Syriza die Leiden der griechischen Bevölkerung provoziert und einplant, um öffentlichen Druck aufzubauen. Obwohl das Scheitern der Gespräche lange absehbar war (und von Tsipras auch betrieben wurde), war nichts vorbereitet: Kein Plan B, keine Hilfe für Bedürftige, kein Notvorrat in der Krankenversorgung, keine klaren Informationen – irgendwie muß sich die Bevölkerung durchwurschteln. Und wer auf der Strecke bleibt, kann dann propagandistisch als Troika-Opfer ausgeschlachtet werden.
    Widerwärtige und menschenfeindliche Dogmatiker.

    • In Dubio 8. Juli 2015, 19:55

      Griechenland hatte nie ein funktionierendes Staatswesen, heute ist es ein gescheiterter Staat. Die Bürger identifizieren sich nicht mit ihrem Staat, so wie z.B. in Deutschland oder Skandinavien.

      Wenn man annimmt, dass Alexis Tsipras von Anfang an vorhatte, Griechenland aus dem Euro zu führen, so macht seine Verhandlungstaktik der letzten 5 1/2 Monate viel Sinn. Aber nur dann. Man hat immer nur so viel präsentiert, um die Gespräche am Laufen zu halten. Und auch gestern und heute war die schon aufgesetzte Ruhe irritierend. Nur 5 Tage Zeit, aber Zeit ohne Ende? Am Donnerstag Abend spätestens müssen die Reformvorschläge der Kommission zugestellt sein, bis Samstag bleibt kaum Spielraum zur Abstimmung. Und dann fällt die wahrscheinlich endgültige Endscheidung. Jeder andere wäre in der Situation maximal gestresst – so er seine Partner tatsächlich überzeugen und Zustimmung gewinnen wollte.

      Tsipras scheint längst mit dem Euro abgeschlossen zu haben.

    • Logos 9. Juli 2017, 20:48

      Aber leider ist das alles richtig.
      Imo sind fast alle strittigen Punkte falsch. Nur ich verklausulieren meine Meinung nicht als Tatsachem wie sie.

      Am schlimmsten ist aber, wie zynisch Syriza die Leiden der griechischen Bevölkerung provoziert und einplant, um öffentlichen Druck aufzubauen.
      Imo ist ihre Behauptung die reinste Fakteninversion. Es ist doch die Troika, die so handelt.

      Widerwärtige und menschenfeindliche Dogmatiker.
      Bei der neoliberal durchseuchten Troika wäre dieses Urteil zutreffend gewesen …

  • Mrsatchmoo 8. Juli 2015, 20:45

    So, vielen Dank für diesen lustigen kleinen Text. Den nehme ich mal zum Anlass mich endgültig von dieser Seite zu verabschieden. Newsletter ade…

    • Heiko 8. Juli 2015, 21:43

      @Mrsatchmoo: Ich schließe mich an dieser Stelle mal an. Eine derartige Ansammlung von Vorurteilen und böswilligen Unterstellungen kann ich in der BILD lesen, dazu benötige ich nicht diesen Blog.

      Wie heisst es im Selbstverständnis dieses Blogs: „Wir wollen versuchen, die Dinge nicht nur Schwarz und Weiß zu sehen. […] Echte Deliberation funktioniert nur, wenn man Differenzierungen zulässt und Ideologien immer wieder hinterfragt. Wenn man dem Anderen gute Absichten unterstellt und seinen Ansichten ein Mindestmaß an Verständnis entgegenbringt.“

      • In Dubio 10. Juli 2015, 08:40

        Schade, Sie nehmen uns allen die Möglichkeit zu diskutieren. DeliberationDaily steht für Vielfalt. Adriane veröffentlicht als Fan von R2G, Stefan Sasse kommt eigentlich auch aus dem linken Spektrum und ich selbst bezeichne mich als (neo-)liberal-konservativ. Von uns allen haben Sie Beiträge zu dem Thema in kurzer Abfolge gelesen. Das bekommen Sie z.B. bei den NachDenkSeiten oder beim Spiegelfechter nicht, sondern nur Einseitigkeit der Meinungen. Liegt Ihnen das mehr?

        • Ralf 11. Juli 2015, 00:10

          Dass hier unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen praesentiert werden, ist positiv. Aber Sie tun der (neo-)liberal-konservativen Sache keinen Gefallen. Ihre Beitraege sind oft keine sachlichen Meinungsartikel, sondern reine Polemiken. Eine Handvoll Vorurteile und rhetorische Aggressivitaet machen alleine noch keine Meinung und koennen auch Argumente nicht ersetzen. Bei Ihnen hat man nicht selten den Eindruck, es gehe Ihnen um das Gewinnen eines Redewettbewerbs als um eine plausible Darstellung eines Standpunkts. Mit Ariane und Stefan Sasse bin ich zwar auch nicht immer einer Meinung, aber man hat dennoch das Gefuehl, dass es dort um die Sache und um Inhalte geht. Vor allem geht es um Loesungen und nicht um plattes Beschimpfen und Veraechtlichmachen. Guy Verhofstadt hat gestern eine Rede im europaeischen Parlament gehalten. Der gehoert ja eher in Ihre politische Richtung. Und obwohl diese Rede im Internet als „Wutrede“ verbreitet worden ist, war sie eigentlich eine sehr gute, wenn auch etwas emotionale, Darstellung der liberal-konservativen Sichtweise. Ohne Beleidigungen. Ohne Herabwuerdigungen. Sachlich. Ohne hanebuechenen Argumente. Ohne Ad hominem-Attacken. Und obwohl ich inhaltlich nicht ueberall zustimme, ist die Rede eine wuerdige Diskussionsgrundlage, die zur Debatte einlaedt. Vielleicht sollten Sie sich daran mal ein Beispiel nehmen.

          • In Dubio 11. Juli 2015, 15:42

            Bei Ihnen hat man nicht selten den Eindruck, es gehe Ihnen um das Gewinnen eines Redewettbewerbs

            Da ist etwas dran, nur habe ich das selber schon gesagt. Falls hier jemand ernsthaft glaubt, er könne mit Beiträgen und Kommentaren die Welt verändern, ist hemmungslos naiv. Auch für eine bestimmte Klientel lässt sich auf DeliberationDaily wenig tun. Neue Argumente finde ich in Blogs selten, ich habe allerdings den Anspruch, ab und zu etwas Originelles einzubringen. Okay, was bleibt? Das Fechten von Argumenten. Ich verstehe nicht, warum Sie das als verwerflich ansehen.

            Mir ist keine Beleidigung oder Herabwürdigung erinnerlich. Ich spiele etwas mit Emotionen, lade etwas auf, was dazu führt, dass gerade meine Beiträge Widerspruch erfahren. Mir geht es nicht darum, dass am Ende des Textes alle nicken und sagen: ja, so ist es! Das regt keine Debatte an. Und das bekommen Sie anderswo genügend. Dazu brauchen Sie nicht DeliberationDaily zu lesen.

            Das ist mein Anspruch. Sie müssen entscheiden, ob ich dem genüge und ob es Sie reizt, sich damit auseinanderzusetzen.

            • Glaukon 12. Juli 2015, 08:24

              Auch wenn das jetzt arg Off-Topic wird: Ich bin da ganz bei Ralf. Sie erwecken nicht den Eindruck als hätten Sie echtes Interesse an einer Diskussion. Es erscheint vielmehr so, als wollten Sie diejenigen, die Sie für Ihre „Gegner“ halten, mal mehr mal weniger plump provozieren und freuten sich dann jedes Mal, wenn einer von ihnen den Köder schluckt und sich über Ihren Text echauffiert, weil es Ihnen dann wieder Gelegenheit gibt, den jeweiligen Kommentator maximal herablassend abzukanzeln. Dass Sie Mrsatchmoo und Heiko nicht viel mehr zu entgegnen haben als ein verklausuliertes „Wenn’s euch nicht passt, geht doch nach drüben!“, ist da durchaus symptomatisch.

              • In Dubio 12. Juli 2015, 08:45

                Sorry, Mrsatchmoo und Heiko haben nicht den geringsten Anhaltspunkt geliefert, warum ihnen der Text missfallen hat. Soll ich mich jetzt mit Gedankenlesen beschäftigen? Solche Artikel sind stets eine Einladung zur Diskussion und dafür nehme ich mir die Zeit, wie Sie bei jedem meiner Artikel sehen können.

                Glauben Sie wirklich, ich wollte Ralf überzeugen? Wenn er diesen Anspruch hat, dann hätte er etwas Wesentliches nicht verstanden: wir beide haben höchst unterschiedliche Wertesysteme, woraus sich unsere Positionen ergeben. Oder glauben Sie ernsthaft, dass resultiert allein aus der Macht des Arguments? Wie wäre es dann erklärlich, dass Leute wie Ralf stets „linke“ Positionen einnehmen und ich mich anders positioniere? Ist das „gute“ Argument stets „links“? Es kommt auf die Sichtweise auf einen Sachverhalt an.

                So hat Ralf in keinem der vielen Kommentare die ökonomischen Grundübel Griechenlands in den Fokus gerückt. Hoher Anteil von Rentenempfängern im Verhältnis zu Beschäftigten im Privatsektor? Die unsoziale Verteilung von Sozialleistungen? Abgeschmettert. Vermachtete Arbeitsmärkte? Kein Thema bei hoher Arbeitslosigkeit. Rudimentäres Steuerwesen? Muss man sicher daran arbeiten. Und so weiter. Ich kann seine Sicht nicht ändern so wie er meine, aber ich kann die sichtbaren Konsequenzen aufzeigen. Und das versucht er umgekehrt ja auch. So geht Debatte.

                Und nun sagen Sie mir, weshalb und mit welchem Anspruch Sie diskutieren.

                • Glaukon 12. Juli 2015, 12:02

                  Auch unterschiedliche Wertesysteme und Positionen müssen nicht zwangsläufig unvereinbar sein. Selbstverständlich gehe ich immer mit der Absicht in eine Debatte, mein Gegenüber zu überzeugen. Gleichzeitig räume ich aber auch stets die Möglichkeit ein, dass ich falsch liegen könnte. Im Idealfall kommt man so im Verlauf einer Debatte der Wahrheit etwas näher, da der Blick durch mehr als eine subjektive Brille mehr Facetten sichtbar macht.

                  Wenn man Argumenten grundsätzlich die Macht abspricht, Positionen spürbar verschieben zu können, dann beschränkt sich die „Debatte“ letztlich aufs ansonsten folgenlose gegenseitige Herausposaunen der eigenen Ansichten. Das ist aber nicht das, was ich unter einer Diskussion verstehe.

                  • In Dubio 12. Juli 2015, 16:37

                    Nehmen wir den Einwand von Marc, der IWF habe bereits vor 2 Jahren festgestellt, dass die Austeritätspolitik gescheitert sei. Marc hielt mir vor, ob ich die entsprechende Studie nicht kennen und warum ich nicht darauf eingehen würde.

                    Dabei wusste er genau, dass ich die Studie sehr wohl kenne, schließlich hatten wir uns früher schon darüber auseinandergesetzt. Er wusste auch, warum ich sie missachte, dennoch führte er sie ein, um mich angeblich zu überzeugen, statt die Debatte weiterzuentwickeln. Leider trifft dies auf die meisten zu, die in Blogs diskutieren. Sie sind nicht fähig, eine Debatte weiterzutreiben, d.h. auf ein Gegenargument dieses in ihre Argumentationslinie einzubauen.

                    Ich treffe in Blogs auf keine neuen Argumente. Die meisten replizieren die, welche sie anderswo bereits gelesen haben und verwenden jene, die ihnen zusagen und ignorieren jene, welche sie ablehnen. Man kann das beobachten, wenn in Medien ein neues Argument auftaucht, kurz danach wird es in Blogs eingeführt.

                    Nun erklären Sie mir, was an dem hin und her Wälzen von Argumenten, die ich aus den Medien kenne, überzeugen sollte? Ich gewichte alle wesentlichen, dazu mache ich „Feindbeobachtung“ in einen linken Foren, um Muster zu studieren und auf die Argumente reagieren zu können. Meine Meinungsbildung passiert also an anderen Stellen als im Spiegelfechten von Blogs.

                    • Glaukon 13. Juli 2015, 16:53

                      Dies soll mein letzter Beitrag zu diesem Off-Topic-Strang sein. Vielen Dank für die Bestätigung, dass Sie an einem Austausch von Argumenten kein Interesse haben. Dann noch weiterhin viel Spaß beim Predigen.

  • R.A. 9. Juli 2015, 08:49

    > Griechenland hatte nie ein funktionierendes Staatswesen …
    Wie ein nicht funktionierendes Staatswesen aussieht, kann man in Somalia sehen. Der Unterschied zu Griechenland ist enorm.

    Die Defizite und Probleme in Griechenland sind offenkundig. Trotzdem finde ich es nicht richtig, diese Probleme so maßlos zu übertreiben.
    Für Leute ganz links ist Griechenland offenbar ein Drittweltstaat, der sich nicht mehr selbst helfen und nur von europäischen Hilfsgeldern leben kann.
    Und für Leute rechts ist Griechenland genetisch so unreformierbar, daß jeder Hilfsversuch von vorneherein sinnlos wäre.

    Beide Sichtweisen verkennen das Potential in Griechenland, die auch vorhandenen Stärken in Gesellschaft und Wirtschaft.

    • In Dubio 10. Juli 2015, 08:36

      Die Griechen hatten nie Vertrauen zu ihrem Staat, weshalb sie ihn auch immer um Steuern geprellt haben. Und wegen dem fehlenden Vertrauen unterblieb auch alles, was einen modernen Staat ausmacht: ein systematisches Steuersystem, eine Verfassung ohne den Querverweis auf das Steuerrecht (vulgo: Privilegien), ein Sozialsystem zur Abdeckung der Lebensrisiken, Beitragssysteme, ein wirksames Rechtssystem. Zu letzterem: gegen das fragwürdige Rechtssystem spricht das Urteil gegen die Bundesrepublik vor einigen Monaten wegen der begangenen Kriegsverbrechen während der Besatzung. Richter sollten wissen, dass Staaten nur von Staaten verklagt werden können und das hierfür der Internationale Gerichtshof zuständig ist. Das Urteil ist daher eine juristische Posse und in einem ordentlichen Rechtsrahmen nicht vollstreckbar. Doch über solche Feinheiten hat sich der griechische Staat ja schon mal hinweggesetzt.

      Unter diesen Gesichtspunkten hat das hellenische Gemeinwesen tatsächlich mehr mit Somalia als mit Schweden zu tun.

  • R.A. 9. Juli 2015, 08:51

    > Eine derartige Ansammlung von Vorurteilen
    > und böswilligen Unterstellungen …
    Wenn das wahr wäre, dann könnte man ja einige dieser angeblichen Vorurteile oder Unterstellungen mal konkret nennen und mit Fakten und Argumenten widerlegen.
    Da dies nicht geschieht, ist die Ablehnung des Texts wohl nur aus dem Bauch heraus zu verstehen. So nach dem Motto: Die Realität paßt nicht in mein Weltbild, also ignoriere ich sie.

  • Marc 9. Juli 2015, 14:41

    @In Dubio
    Der IWF, der einer linken Ideologie unverdächtig ist, hat bereits im Jahr 2013 festgestellt, dass die empirischen Grundlagen des Austeritäts-Dogmas falsch sind:
    http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2013/wp1301.pdf
    Der fiskalische Multiplikator liegt bei den europäischen Krisenländern wesentlich höher als es neoliberale Theorien versprechen. Warum ignorieren sie diesen Fakt? Die „Rettungsmaßnahmen“ der Troika haben mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Das ist das eindeutige Ergebnis dieser Studie des IWFs.

    • In Dubio 10. Juli 2015, 08:27

      Sie können ohne Frage lesen, aber Sie haben nicht die Gabe, einen Sachverhalt objektiv zu erfassen. Sie leisten sich den Luxus, sehr selektiv die Dinge zu sehen. Über der Analyse steht dick und fett gedruckt: WORKING PAPER. Solche Drafts publiziert jedes Forschungsinstitut, wo unterschiedliche Positionen diskutiert werden. Unter der Titelseite steht ebenso dick und fett:

      This Working Paper should not be reported as representing the views of the IMF.

      Und weiter:
      The views expressed in this Working Paper are those of the author(s) and do not necessarily represent those of the IMF or IMF policy. Working Papers describe research in progress by the author(s) and are published to elicit comments and to further debate.

      Ich glaube in Ihren Kreisen umschreibt man solche Einlassung als BILD-Zeitungsniveau.

      Fakt ist: Der IWF folgt gegenüber Griechenland der härtesten Linie, was Austeritätsmaßnahmen betrifft. Warum tun die das? Sind das Schizophrene? Analphabeten? Fakt ist auch: genau aus diesem Grund will Tsipras den IWF aus dem Kreis der Geldgeber haben. Sie saugen wie ein Verdurstender Wasser aus einer Pfütze. Offizielle Position des IWF ist: die Rettungsmaßnahmen sind sinnvoll.

  • sol1 10. Juli 2015, 09:02

    Offizielle Position des IWF ist: die Rettungsmaßnahmen sind sinnvoll.

    2010 gab es heftigen Widerstand im Direktorium des IWF gegen die geplante „Rettung“:

    Experten hatten das Debakel schon lange kommen sehen. Bereits im Mai 2010 warnte der brasilianische Ökonom Paulo Nogueira Batista, der elf lateinamerikanische Länder im Direktorium des IWF vertritt, vor dem damals ersten Milliardenkredit des Fonds an Griechenland: „Die Risiken des Programms sind immens.“ Es drohe Gefahr, dass es sich als „schlecht durchdacht und letztendlich untragbar“ entpuppen werde.

    Er habe „beträchtliche Zweifel an der Machbarkeit des Programms“, monierte auch der Schweizer IWF-Direktor Rene Weber seinerzeit. So seien die Wachstumsprognosen für Griechenland viel zu „freundlich“. Sein argentinischer Kollege Pablo Andrés Pereira stimmte zu: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Griechenland am Ende schlechter dasteht.“

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-iwf-droht-chaos-nach-zahlungsausfall-a-1041478.html

    Unsurprisingly to his colleagues, the most caustic comments came from Paulo Nogueira Batista, a Brazilian with swept-back salt-and-pepper hair who was the board’s most outspoken detractor of the Fund’s governance. Characteristically, his attack on the Greek program dispensed with the diplomatic niceties favored by his board allies; he used the term „Panglossian“ to describe the staff report’s projection of a V-shaped recovery. “We fear that growth may follow an L-shaped pattern, with a very sharp contraction of GDP in 2010 and 2011 and negligible recovery thereafter,” he said. The program, he continued, „may be seen not as a rescue of Greece, which will have to undergo a wrenching adjustment, but as a bailout of Greece’s private debt holders, mainly European financial institutions.”

    https://www.cigionline.org/blogs/global-economy/behind-scenes-imf-fateful-day-greek-crisis

    • In Dubio 10. Juli 2015, 13:55

      Diesen Widerstand gab es in allen der beteiligten Institutionen, in der Bundesregierung, in der EZB, der Bundesbank, in der Ökonomenzunft. Was soll uns das also sagen? Die Kritiker konnten sich nicht durchsetzen.

      In jedem Unternehmen gibt es Kritiker der Geschäftspolitik. Geht etwas schief, sind sie die ersten die aufstehen: „wir haben es gewusst.“ Ich persönlich kann solche Stinkstiefel nicht leiden.

  • Marc 10. Juli 2015, 14:16

    WORKING PAPER
    Das Problem ist nur, dass es eine emprirische Studie ist und somit vergleichbar mit bspw. einer Erhebung des Durchschnittsalters. Man kann das Ergebnis kritisieren, aber das Ergebnis bleibt: der fiskalische Multiplikator bzw. das Durchschnittsalter wird sich trotz aller Diskussionen zum Messzeitpunkt nicht mehr ändern. [Es sei denn, es hätte ein methodisches Problem gegeben, wie z.B. mangelhafte Excel-Benutzung.] Das Ergebnis bleibt: Die Kosten der Sparmaßnahmen sind höher als das Sparvolumen. Austerität ist kontraproduktiv und das hat der IWF empirisch nachgewiesen.

    Fakt ist: Der IWF folgt gegenüber Griechenland der härtesten Linie, was Austeritätsmaßnahmen betrifft. Warum tun die das? Sind das Schizophrene? Analphabeten?
    Könnte man zweifelsfrei Schlussfolgern. Man könnte aber auch sagen, dass der IWF seine politischen Interessen über den Sachverstand stellt. Aber immerhin fordert er sinnvollerweise ebenso wie Varoufakis einen Schuldenschnitt.

    • In Dubio 10. Juli 2015, 15:57

      Die meisten Studien basieren auf empirischen Daten ohne dass Leute wie Sie sie anerkennen. Und bei der von Ihnen angesprochenen Studie stimmt weiterhin die Tendenz, nur nicht in dem gravierenden Ausmaß. Dennoch ist sie für Sie nicht mehr akzeptabel. Ach so, in der Studie ging es um Staatsverschuldung und das ab einem gewissen Niveau das Wachstum leidet. War da nicht etwas mit Italien (120%), Japan (220%), Frankreich (knapp 100%) oder, Gott bewahre, Griechenland (zu Krisenbeginn bei 150%)? Nein, hohe Schulden hindern nicht das Wachstum. Und wenn sie zu hoch sind, werden sie abgeschnitten („Hair Cut“).

      Aber immerhin fordert er sinnvollerweise ebenso wie Varoufakis einen Schuldenschnitt.

      Sie erzählen wieder einmal nicht mal die halbe Geschichte. Vor wenigen Wochen forderte der IWF, zur Erreichung des anvisierten Primärüberschusses im mittelfristigen Zeitrahmen die Austeritätsmaßnahmen verstärkt umzusetzen. Insbesondere die EU-Kommission und dahinter die Geberländer Deutschland und Frankreich taten dies als unrealistisch und politisch nicht durchsetzbar ab. Daraufhin änderte der IWF seine Position. Wenn schärfere Maßnahmen als Teil der Vereinbarung mit Griechenland nicht durchsetzbar sind, so folgen daraus Konsequenzen für die Schuldentragfähigkeitsanalyse. Damit wir, IWF, noch an Bord bleiben können (was Deutschland zwingend will), dann muss durch ein Schuldenschnitt die Schuldentragfähigkeit erhöht werden. Das wiederum, das weiß der IWF, dürften die Geberländer nichts mehr nach Griechenland senden, denn es wäre ein offener Verstoß gegen die Bail-out-Klausel und in Deutschland gegen das Grundgesetz. Auch die EZB, dritte Partei im Boot, darf nicht verzichten, sonst sind wie in der direkten Staatsfinanzierung. Und die ist der Zentralbank kraft Statuten, klar verboten. Nebenbei, der IWF darf auch nicht verzichten. Deswegen kommt auch nur eine Umstrukturierung der Schulden mit längeren Laufzeiten und niedrigeren Zinsen in Frage. Übrigens: Schuldenerlass gibt es grundsätzlich nur nach einer Wohlverhaltensphase. Dass diese erfüllt sei, kann man bei Athen nun wirklich nicht behaupten.

      Ich hatte es bereits gesagt: ein harter Schuldenschnitt jetzt kann nur mit einem Austritt Griechenlands aus dem Euro einhergehen.

      So, für mich stellt sich die Frage: wussten Sie das alles nicht oder argumentieren Sie besseren Wissens? Oder blenden Sie wirklich aus, was Ihnen nicht passt, statt es in ihre Argumentationsstrategie einzubauen?

  • sol1 10. Juli 2015, 16:50

    Ich persönlich kann solche Stinkstiefel nicht leiden.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Shooting_the_messenger

    • In Dubio 11. Juli 2015, 15:51

      Die Organisation von Menschen (Unternehmen, Institutionen, Staaten) lebt davon, dass nach einem Meinungsbildungsprozess (in demokratischen Einheiten von unten nach oben, in hierarchischen von oben nach unten) eine Position und eine Entscheidung gefunden wurde. Effiziente Einheiten leben davon, dass nach Abschluss des Prozesses alle an einem Strang ziehen.

      Nicht jeder Mensch ist so gestrickt und so müssen sich die Spitzen von Organisationen immer auch mit jenen herumschlagen, die, wenn sie im Entscheidungsprozess unterlegen waren, jederzeit kundtun müssen, dass sie die Dinge anders sehen. Stellt sich hinterher die getroffene Entscheidung als falsch heraus – das kommt nun mal häufig vor – sind sie die ersten, die es schon immer gewusst haben.

      Diese Stinkstiefel meine ich. Und es fällt ausgesprochen schwer, solche Leute zu mögen.

  • sol1 11. Juli 2015, 18:51

    Vor lauter Schaum vorm Mund fällt dir nicht auf, daß diese Warnungen 2010 zu Protokoll gegeben wurden und nur deshalb jetzt an die Öffentlichkeit kommen, weil die Sperrfrist der Protokolle abgelaufen ist.

    • In Dubio 12. Juli 2015, 08:35

      Ich hatte auf Stinkstiefel allgemein referenziert, lesen Sie bitte nach. Ansonsten kann man anhand mehrerer Punkte leicht nachvollziehen, dass Griechenland in den fünf Jahren die vereinbarten Maßnahmen bestenfalls halbherzig umgesetzt hat. Beispielsweise dauerte es Jahre (!), bis die Regierung in Athen 30.000 Staatsbedienstete, wovon ein Teil damals z.B. wegen Korruption abgemahnt war, tatsächlich entlassen hatte. Weder wurde eine Sozialhilfe eingeführt, an der Entwicklung eines Katasterwesens weitergearbeitet oder das Angebot der Bundesregierung zum Aufbau eines effizienten Steuerwesens angenommen. Binnen 5 Jahren konnten sich verschiedene Administrationen nicht dazu aufraffen, Staatseigentum in nennenswerten Umfang zu privatisieren. Trotzdem sind all diese „Austeritätsmaßnahmen“ schuld, dass Griechenland in der Rezession verharrt. Nicht wirklich, oder?

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