Putins Wasserträger und Springers Narrenreigen, Teil 1: Die Linkshänder

Die Furcht vor einem Atomkrieg erreicht derzeit Höchststände, wie seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr gesehen wurden. Hamsterkäufe von Notfallvorräten werden unternommen, und die Fensterscheiben wackeln, weil Alarmrotten der Bundeswehr über Wohnvierteln die Schallmauer durchbrechen. Würden sie funktionieren, hätten wir vermutlich auch einen Test der Notfallsirenen gehört. Der illegale Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hat, je nach Sichtweise, entweder Illusionen über die Welt zerstört oder eine Zeitenwende der internationalen Beziehungen eingeleitet. Eine ganze Reihe von früheren Wasserträgern Putins sieht inzwischen ziemlich blöd aus – was diese leider nicht davon abhält, weiter Unsinn zu reden -, während sich auf der anderen Seite ein Narrenreigen formiert, der am liebsten sofort auf dem grünen Tisch die Leopard Kampfpanzer auf die ukrainische Steppe befehligen würde.

Der Narrenreigen

Der Journalist Frank Lübberding greift zur Erklärung des Phänomens zum maximal möglichen Vergleich mit der Kubakrise¹. Soweit sind wir glücklicherweise noch nicht, auch wenn das Kennedy-Zitat „keine Regierung und kein Gesellschaftssystem sind so schlecht, dass man den unter ihnen lebenden Menschen jede Tugend absprechen muss“ reichlich zeitgemäß ist. Anders allerdings als in der aufgeheizten Stimmung des Kalten Kriegs, die der Kubakrise vorausging, müssen sich die westlichen Regierungen allerdings an dieser rhetorischen Eskalation, anders als Lübberding insinuiert, keiner Schuld bewusst sein. Nicht sie sind es, die Putin als „Irren“ abstempeln oder dazu aufrufen. Stattdessen haben Joe Biden, Emmanuel Macron, Annalena Baerbock² und Olaf Scholz (Pars pro Toto) von Anfang an in ihren Äußerungen sehr, sehr bedacht eine deutliche Grenze zwischen Putin, dem Diktator, und dem russischen Volk, ja, sogar dem russischen Staat ziehen.

Unzweifelhaft aber gibt es genug Leute, die gerade in einer blau-gelben Besoffenheit versinken, in der jegliche Maßstäbe abhanden kommen und die eine durchaus gefährliche Stimmung erzeugen können. Die Politik hält sich glücklicherweise weitgehend zurück; Ausnahmen wären hier so etwas wie die Forderungen zur nuklearen Abschreckung von Ruprecht Polenz, der aber nicht eben zur ersten Reihe aktiver Politiker*innen zählt. In anderen Ländern sind die Leute leider weniger zurückhaltend, ob Analysten oder Republicans wie Lindsay Graham, die schon mal eine Flugverbotszone (!) oder die Ermordung Putins durch die CIA (!!) fordern.

Anders dagegen sieht es leider im rechtsbürgerlichen Medienspektrum aus. Gerade Lübberdings eigener Arbeitgeber, der Springer-Konzern, steht da ganz vorne dabei.

So etwa Matthias Döpfner. Der Konzernchef persönlich fordert in einem BILD-Leitartikel den Einmarsch der NATO in Kiew. Soldaten des Bündnisses sollen die Stadt gegen anrückende russische Truppen verteidigen. Das ist eine Narretei, die ihresgleichen sucht, bei der sogar die NZZ Schnappatmung bekommt. Der Hausberichterstatter von der Front, BILD-Reporter Julian Röpcke, entschuldigt schon mal vorab Kriegsverbrechen: „jeder sollte sich fragen, was er in so einer Situation machen würde“. Dieses Imaginieren in die Rolle (natürlich männlicher) Widerstandskämpfer gegen die Horden aus dem Osten ist dabei kein Prärogativ der Springer-Leute, sondern geistert durch die kompletten sozialen Netzwerke. Der falsch verstandene Überschwung reicht auch gerne soweit wie im Falle von Stern-Redakteuren, die zu Straftaten aufrufen, natürlich alles im Geiste der guten Sache. Als wäre digitale Sabotage russischer Server dasselbe wie die Blockade eines Castortransports in Deutschland.

Die Heroisierung des Abwehrkampfs der Ukraine nimmt dabei groteske Formen an. Er wird als klares Statement gegen den Genderstern gesehen (natürlich), als Gegenbild zu einer eingebildeten „Dekadenz“ des Westens (dem Lieblingsnarrativ der Rechten mindestens seit Oswald Spengler), als Wiederaneignung einer Männlichkeitsvorstellung, die in westlichen Gesellschaften zurecht im Orkus der Geschichte verschwand. Kommentierende überschlagen sich mit Betonungen darüber, wie „hart“ man nun sein müsse, erfreuen sich am Verschwinden von „Illusionen“, beschreiben in großem Duktus die „Realitäten“ der Welt. Gleichzeitig wird der ukrainische Präsident Selensky als Verteidiger wahlweise der Demokratie, der Freiheit, der westlichen Kultur oder allem zusammen gefeiert, wird noch der letzte mit drei Tagen „Ausbildung“ ohne Ausrüstung in den Kampf geworfene neu Wehrpflichtige als Held stilisiert, anstatt dass man auch in diesem Menschen die Opfer eines furchtbaren Verbrechens sieht, die sie sind. Dazu kommt der allgegenwärtige Rassismus und Sexismus gegen Flüchtende.

Aber diese Idiotien, gegen die etwa Carolin Emcke und Hedwig Richter wortgewaltig anschreiben, sind vermutlich mit einer sehr geringen Halbwertszeit ausgestattet und dürften, sobald die erste Welle der Besoffenheit abgeklungen ist, bald vorüber sind. In einem Monat wird sich an diesen Narrenreigen aller Wahrscheinlichkeit nach niemand mehr erinnern. Wesentlich bedenklicher bleiben die Wasserträger Putins, denn sie waren für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte willige Helfer des russischen Diktators und sind es in allzuvielen Fällen auch weiterhin. Und da sind wir noch nicht einmal bei dem aktiven Einfluss, den russische Propagandstellen auf den Westen ausübten und ausüben.

Das Büro für kulturelle Angelegenheiten³

Denn der ist massiv und wurde in den letzten Jahren permanent unterschätzt. Die russischen Geheimdienste arbeiteten Hand in Hand mit Hackerzentren, Söldnertruppen und Propagandast*innen. Schon 2014, ein Jahr, bevor Pegida das Wort richtig salonfähig machte, beschimpften Mietmäuler des Kreml die Medien als „Lügenpresse“, weil diese es wagten, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim als solche zu kritisieren. Etwas über ein Jahr später waren sie mittendrin, als im Zuge der Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof der große Backlash gegen die „Willkommenskultur“ als Hasswelle gegen Geflüchtete über Deutschland hereinbrach. Der „Fall Lisa“ sorgte in den sozialen Medien für Furore. Das 11jährige Mädchen, vergewaltigt von barbarischen Muslimen, passte voll in den Zeitgeist. Der Haken war, dass die Geschichte eine Erfindung russischer Propagandisten war, um die deutsche Gesellschaft zu spalten – nicht, dass diese noch großen Anschubs bedurft hätte.

Im selben Jahr verbreiteten die Dienste massive Desinformationen und Hetze in Großbritannien und leisteten ihren Beitrag zum Ausgang des Brexit-Votums. Nur kurz darauf gelang ihnen der größte Coup, als sie den „Freund des Hauses“ Donald Trump ins Weiße Haus hieven halfen. 2017 war die Einflussnahme des russischen Geheimdiensts in den Wahlen in Frankreich und Deutschland bereits Wahlkampfthema. Es profitierten Marine Le Pen und die AfD. Beide verloren glücklicherweise.

Doch der Einfluss russischer Geheimdienste wurde, vielleicht auch gerade wegen der Trendwende 2017, weiter unterschätzt. Bei den amerikanischen Wahlen 2020 und den deutschen 2021 war das Thema Covid allgegenwärtig; die Hoffnung auf eine Erneuerung des identitätspolitischen Kulturkampfs von 2016 erfüllte sich nicht. Doch auch so hatte die russische Einflussnahme neue Tiefen erreicht: während der Pandemie streuten die russischen Stellen, von plumper Propaganda über den Wunderimpfstoff Sputnik V abgesehen, Desinformation in gewaltigem Maßstab. Niemand dürfte als einzelner Akteur so viel Einfluss auf die Entstehung des Querdenker-Milieus gehabt haben wie Russland, das von Lügen über die Gefährlichkeit von Masken zu Warnungen vor den Impfungen von Biontech, AstraZeneca und Johnson alles im Programm hatte. Das Netz der Lügen, das sich während der Covid-Krise über die westlichen Länder spannte, ist gigantisch.

Es brauchte wohl den Angriff auf die Ukraine, um dieses Problem endlich ins Zentraum zu rücken. Aber leider ist der russische Geheimdienst gar nicht notwendig, um im Westen Putins Positionen zu vertreten. Der Mann kann sich auf eine ganze Reihe von Wasserträgern stützen, die sein Geschäft auch ohne hilfreiches kompromat4 erledigen.

Die linkshändigen Wasserträger

Seit 1917 eine verlässliche Quelle solcher Schützenhilfe ist die radikale Linke, die in Russland stets die missverstandene Alternative zu erkennen glaubte, und wenn auch noch so viele Eier für das sozialistische Omlett zerschlagen werden mussten. Nicht dass Putins Regime irgendetwas mit linken Idealen zu tun hätte; hier regiert einerseits eine Nostalgie nach den politischen Frontlinien des Kalten Krieges und, vor allem, ein solides „der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Denken. Und das war noch immer der zuverlässigste Schalter für das Verhindern jeglichen kritischen Denkens.

Der Feind steht für die Linke seit langer Zeit jenseits des Atlantiks. Als ein Mutterland des Kapitalismus und des Liberalismus einerseits und als Gegner der Sowjetunion andererseits waren die USA stets eine willkommene Projektionsfläche mit großem Andockpotenzial an den ohnehin stets vorhandenen, mindestens latenten, oft genug virulenten Anti-Amerikanismus der Deutschen. Diese Tradition, die sich wenig um irgendwelche Theorie scherte, half der LINKEn lange Zeit zu ihrer Ausnahmestellung in Ostdeutschland. 25 Jahre lang pflegte sie Ressentiments, die dabei im Kern nie so progressiv waren, wie sich manche wohl eingebildet hatten. Der Kater nach dem massenhaften Überlaufen der stets Unzufriedenen ins Lager der AfD lässt sich jedenfalls kaum anders als durch das Platzen dieser Illusion erklären.

Man sollte nicht glauben, dieses Phänomen sei nur auf die LINKE beschränkt. Die trieb ihr Kalter-Krieg-Reenactment zwar in ihrer Pflege des ostdeutschen Ressentiments und westdeutscher K-Gruppen-Nostalgie auf die Spitze, aber auch in der SPD findet sich genug von diesem Blödsinn, vor allem in einem geradezu grotesken Missverständnis der Ostpolitik. Case in point: Der ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck schrieb jüngst ein Buch „Wir brauchen eine neue Ostpolitik“ mit dem Untertitel „Russland als Partner“. Mit vulgärpazifistischen Parolen schoss den Vogel erwartungsgemäß der nie um einen rhetorischen Fehlgriff verlegene Ralf Stegner ab:

Nicht nur, dass Kriege durchaus auch militärische Opfer haben, gräbt Stegner auch noch  das ausgelutschte Narrativ aus, dass (natürlich) der Kapitalismus irgendwie Schuld ist. Vermutlich hat Lockheed Martin irgendwie Putin zu diesem Angriff bewegt, man weiß es nicht. Eine unrühmliche Rolle spielt auch mein persönliches idiosynkratisches Konstrukt, Die PARTEI. Ich lehne diesen Haufen mit jeder Faser ab, und dass unter den 637 Abgeordneten im Europäischen Parlament, die den Angriff auf die Ukraine verurteilten, nicht Martin Sonneborn zu finden war, ist nur die letzte unter den permanenten intellektuellen Bankrotterklärungen dieses Haufens.

Doch dieser Anti-Amerikanismus und die Aufgeschlossenheit gegenüber Russland findet sich nicht nur in der politisch organisierten LINKEn, sondern auch in den freundlich verbundenen Medienformaten. Ob Monitor oder Thilo Jung – der hatte im Rahmen des „kritischen“ Denkens auch den einen oder anderen Nebelkerzenwerfer bei sich sitzen -, ob „Neues aus der Anstalt“ oder die NachDenkSeiten, „kritisch“ war man zwar gerne gegenüber den USA (und, es sei fairerweise gesagt, oft genug ja auch zurecht), aber nicht, wenn es um Russland ging. Da war man stets verständnisvoll.

Auch im Ausland finden sich diese Mechaniken. So etwa Jill Stein in den USA, die zum Glück weiterhin politisch keine Rolle spielt, die radikale Linke findet sich treu an Putins Seite. Dasselbe gilt, genauso wie in Deutschland, für allzu viele sich kritisch gebende „Journalisten“ und Comedians. Da wäre natürlich Glenn fucking Greenwald, der gegenüber Putin mittlerweile offiziell weniger kritisch ist als die Taliban, oder der stets abstoßende Bill Maher.

Aber das ist alles ist nichts Neues; wie gesagt, solche Neigungen verspürt die radikale Linke seit 1917. Viel schwieriger zu erklären ist die Affäre der politischen Rechten mit Russland.

Weiter geht’s in Teil 2.


¹ Lübberding idealisiert die Ära des Kalten Krieges in seinem Artikel auch viel zu sehr, aber solche Übertreibungen sind das stilistische Vorrecht des Jounalismus.

² An der Stelle noch ein Shout-Out für Annalena Baerbock. Sie besteht gerade als Außenministerin eine ungeheure Feuerprobe mit Bravour und beweist sich als herausragende Besetzung für das Amt. Für mich echt die größte Überraschung des Kabinetts. Selbst die politische Konkurrenz ist voll des Lobes.

³ Wer seine Kalter-Krieg-Referenzen nicht beisammen hat: der KGB bezeichnete sich in Botschaften als „Büro für kulturelle Angelegenheiten“.

4 Russischer Begriff für belastendes Material, mit dem der KGB Leute erpresste.

{ 85 comments… add one }
  • Tim 7. März 2022, 09:19

    Linke und Rechte standen mit der Realität schon immer auf Kriegsfuß, wohl ein Erbe Hegels. Allerdings dürfen diese Leute wählen, weshalb notwendige Entscheidungen – in eigentlich allen politischen Bereichen – durch sie stets um einige Jahrzehnte verzögert werden.

    Und das ist das einzig Positive an Russlands Angriff: Eine militärisch-ideologische Konfrontation mit China wäre irgendwann ohnehin mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gekommen, „dank“ Putin können wir uns nun etwas früher auf den neuen Kalten Krieg vorbereiten.

    • Stefan Sasse 7. März 2022, 10:43

      Aha…

      • Derwaechter 8. März 2022, 11:19

        „Ich lehne diesen Haufen mit jeder Faser ab, und dass unter den 637 Abgeordneten im Europäischen Parlament, die den Angriff auf die Ukraine verurteilten, nicht Martin Sonneborn zu finden war, ist nur die letzte unter den permanenten intellektuellen Bankrotterklärungen dieses Haufens.“

        Das stimmt allerdings nicht. Ich meine, dass hätte dir auch schon jemand bei Twitter geantwortet, finde das aber auf die Schnelle nicht wieder.
        https://twitter.com/MartinSonneborn/status/1498979514042527744?s=20&t=LPmlnAZNH7vBNuqFpimQuw

    • Thorsten Haupts 7. März 2022, 11:28

      Linke und Rechte standen mit der Realität schon immer auf Kriegsfuß, wohl ein Erbe Hegels.

      Du liebes bisschen. Mal abgesehen davon, dass 90% der Linken und Rechten von Hegel bestenfalls den Namen kennen – der Vorwurf geht dann auch an Esoteriker, Feministen, Antifeministen, Rassisten, Antirassisten, UFO-Anhänger, Religiöse aller Couleur, Freudianer etc. pp. Nach meiner freundlichen Schätzung 95% der Menschheit stehen mit der Realität auf Kriegsfuss – nur nicht mit den gleichen Teilen derselben :-).

      Gruss,
      Thorsten Haupts

      • Stefan Sasse 7. März 2022, 12:21

        Wohl wahr.

      • Erwin Gabriel 7. März 2022, 12:23

        @ Thorsten Haupts 7. März 2022, 11:28

        Nach meiner freundlichen Schätzung stehen 95% der Menschheit
        mit der Realität auf Kriegsfuß – nur nicht mit den gleichen Teilen derselben 🙂 .

        Hihi 🙂

        Meiner unbedeutenden konservativen Meinung nach haben die Konservativen zumindest in dieser Situation stets Richtig gelegen mit ihren Forderungen, Putin mit mehr Härte entgegenzutreten, oder die Bundeswehr in Schuss zu halten.

        Wir stehen schon seit Jahren mit heruntergelassenen Hosen in der Kabine, und jetzt hat jemand die Türe aufgerissen – und nun gucken alle. Da waren wir schon mal besser auf das Leben bzw. die Realität vorbereitet.

        • Stefan Sasse 7. März 2022, 13:00

          In dem Fall haben die Russlandfalken Recht behalten. Ich würde das aber nicht mit „Konservativen“ gleichsetzen. Siehe USA, siehe Großbritannien, oder hierzulande Kretschmer, Laschet und Co.

        • Marc 7. März 2022, 13:58

          [..] die Bundeswehr in Schuss zu halten.

          Sie wissen das wohl nicht, aber die Konservativen haben vor der Ampel die Regierung gestellt. Es war der gegeelte Konservativenheld Guttenberg, der die Wehrpflicht abschaffte. Und es war der Wille der Konservativen, dass die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee umgebaut wurde. Dass dies grandios scheiterte, war nicht ohne die Mithilfe konservativer Korruption denkbar.

          [..] Forderungen, Putin mit mehr Härte entgegenzutreten [..]

          Wie sieht diese Härte im Falle der Ukraine genau aus? Deutsches Blut für die Ukraine?

          • Stefan Sasse 7. März 2022, 16:21

            Die Abschaffung der Wehrpflicht war überfällig. Aber ja, es wird gerade gerne vergessen, wer seit 2005 den/die Verteidigungsminister*in stellte.

            • Erwin Gabriel 7. März 2022, 20:44

              @ Stefan Sasse 7. März 2022, 16:21

              Die Abschaffung der Wehrpflicht war überfällig. Aber ja, es wird gerade gerne vergessen, wer seit 2005 den/die Verteidigungsminister*in stellte.

              Oh Mann. Warum Du Dich immer über Stefan P.’s Lagerdenken aufregst, verstehe ich nicht; Du bist keinen Deut anders.

              Zu Guttenberg hat es wenigstens noch hinbekommen, dass die Bundeswehr in der Bevölkerung nicht zu verächtlich angenommen wurde. De Maizière und erst recht von der Leyen wurden eher von der hellen Seite der Macht gut gefunden, z.T. auch, weil sie so einen Schaden anrichteten.

              Und die Wehrpflicht abzuschaffen war in der Tat ein großer Fehler. Klar, von „progressiver“ Seite gefeiert, aber da ist man stets gegen jede Form staatlicher Gewalt aktiv (Soldaten sind Mörder, Polizisten sind Bullen und Schweine), bis man sie braucht.

              Wer sich einen funktionierenden Staat wünscht, braucht funktionierende Institutionen – nicht nur in der ’sozialen‘ Geldumverteilungsbürokratie, sondern auch an solchen Stellen.

              • Stefan Sasse 7. März 2022, 21:13

                Naja, die CDU und „die Konservativen“ als dasselbe zu denken ist im deutschen Parteienspektrum jetzt doch echt kein sonderlich ausgeprägtes Lagerdenken…?

                Guttenberg war klasse als BMV. Ich hab immer bedauert, dass er sich als solche Luftnummer rausgestellt hat, weil ich ihn gerne als Außen- oder Verteidigungsminister gehabt hätte.

                Und die Wehrpflicht abzuschaffen war in der Tat ein großer Fehler. Klar, von „progressiver“ Seite gefeiert, aber da ist man stets gegen jede Form staatlicher Gewalt aktiv (Soldaten sind Mörder, Polizisten sind Bullen und Schweine), bis man sie braucht.
                Oh Mann. Warum Du Dich immer über Stefan P.’s Lagerdenken aufregst, verstehe ich nicht; Du bist keinen Deut anders.

                • Ariane 7. März 2022, 22:12

                  *hüstel* Guttenberg war übrigens in der CSU.

                • Thorsten Haupts 8. März 2022, 10:40

                  Naja, die CDU und „die Konservativen“ als dasselbe zu denken …

                  war und bleibt exakt derselbe Blödsinn, wie SPD und Kommunismus als dasselbe zu denken. Mir kann bestimmt jemand überzeugend erklären, wo die Union politisch wirklich „konservativ“ war und wie sich das in praktische Politik (Gesetze und Budgets) umgesetzt hat? Danke im voraus.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                  • Stefan Sasse 8. März 2022, 11:20

                    Nein. Die CDU beansprucht für sich ziemlich aggressiv das Label „konservativ“. Es gibt keine andere Partei, auf die es zutrifft. Die SPD ist offensichtlich nicht kommunistisch, und „links“ als Label wird von mindestens zwei Parteien beansprucht. Die Argumentation ist etwa so sinnvoll wie von „Die Sozialdemokraten“ zu sprechen und dann sagen „ich mein aber nicht die SPD, du in Lagerdenken Gefangener, du!“

                    • Erwin Gabriel 8. März 2022, 14:03

                      @ Stefan Sasse 8. März 2022, 11:20

                      Nein. Die CDU beansprucht für sich ziemlich aggressiv das Label „konservativ“.

                      Ja, ja, und die Grünen sind eine Umweltschutzpartei …

                      Ich warte wie Thorsten gespannt auf eine faktisch begründete Antwort.

                    • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:09

                      Die CDU verhindert wo sie kann, dass sich tiefgreifend was ändert. Das ist die Definition von konservativ. Sie ist die gesellschaftspolitisch konservative Kraft, ihre ganze EU-Politik war zutiefst konservativ, und so weiter.

                    • Thorsten Haupts 8. März 2022, 14:14

                      Die CDU beansprucht für sich ziemlich aggressiv das Label „konservativ“ …

                      Ach was? Belege dafür bitte – Parteiprogramm oder Zitate der Parteivorsitzenden der letzten 10 Jahre. Ich warte gespannt :-).

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Thorsten Haupts 9. März 2022, 13:12

                      Das ist die Definition von konservativ.

                      Dieses radikal verkürzte und vulgarisierte Verständnis von „konservativ“ verhindert seit Jahrzehnten zuverlässig, dass an westlichen Universitäten ausgebildete Analysten und Kommentatoren auch nur ansatzweise verstehen, wo die Treiber und Motivationen konservativer und rechtspopulistischer Zwergenaufstände herkommen und warum sie ggf. sogar mehrheitsfähig sind.

                      Gruss,
                      Thorsten Haupts

                    • Stefan Sasse 9. März 2022, 18:24

                      Ich meine, ein einzelner Kommentar hier ist jetzt auch keine tiefe Abhandlung. Aber ich wäre sehr interessiert, was dein ausführlicher Take zum Thema ist; du hast das ja schon öfter beklagt hier. Versuch dich gerne an einer ausführlicheren Definition, ich veröffentliche die dann?

                  • Hias 8. März 2022, 22:27

                    Was ist die CDU dann, bzw. wer ist dann im deutschen Parteienspektrum konservativ?

                    • Thorsten Haupts 9. März 2022, 08:59

                      Niemand.

                    • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:14

                      Ach, das ist doch dasselbe wie mit den Linken in den 2000er Jahren die der SPD das Linkssein abgesprochen haben. I know, I was one.

                    • Hias 9. März 2022, 20:05

                      Niemand? Faszinierend. Warum?

              • Lemmy Caution 8. März 2022, 09:16

                Ich bin jetzt auch für 12 Monate Wehrpflicht/ 15 Monate Zivildienst.
                Allerdings
                – besser bezahlt als zu meiner Zeit
                – Frauen müssen auch ran
                – Dienstzeit fließt irgendwie in die Rentenberechnung ein

                Ich finde auch, dass wir uns um das Ansehen der Streitkräfte sorgen müssen.
                Der einzige Punkt, in dem ich Erwin widersprechen würde ist das Progressiven-Bashing. Die aktuelle Grünen-Generation halte ich für außenpolitisch alles andere als naiv und vergleichsweise kompetent.
                Disclaimer: Ich war 20 Monate Zivi in einem Krankenhaus

              • Hias 8. März 2022, 22:36

                Ich verstehe es gerade nicht. Okay, die Bundeswehr ist also nicht auf die Realität vorbereitet. Nun hat sich der Verteidigungsetat von 2014 zu 2019 von 32,4 auf 43,2 Mrd. Euro erhöht. Das ist eine Steigerung um ein Drittel innerhalb von 5 Jahren! Gut, die SPD hat die Anschaffung bewaffneter Drohnen blockiert, aber trotzdem hatte man der Truppe ordentlich die Budgets erhöht. Wer, wenn nicht die Union, die jahrelang den Verteidigungsminister gestellt hat, trägt denn jetzt die Verantwortung dafür, dass nicht nur schweres Gerät sondern auch Unterhosen, Stiefel und Schutzwesten fehlen? Das liegt doch nicht an irgendeiner progressiven Stimmung, die der Meinung ist, dass Soldaten Mörder sind??

                • Thorsten Haupts 9. März 2022, 11:48

                  Natürlich nicht. Die Union war in ihrer Grundstimmung unter Merkel, genauso bequemlichkeitspazifistisch wie Deutschland insgesamt.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

          • Erwin Gabriel 7. März 2022, 20:33

            @ Marc 7. März 2022, 13:58

            ah, Marc ist wieder da.

            Sie wissen das wohl nicht, aber die Konservativen haben vor der Ampel die Regierung gestellt.

            Gerne weiterhin per Du.

            Nein, haben sie nicht; das war die CDU.

            Es war der gegeelte Konservativenheld Guttenberg, der die Wehrpflicht abschaffte.

            Ja. Habe ich mich hier oft genug darüber beschwert.

            Und es war der Wille der Konservativen, dass die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee umgebaut wurde.

            Siehe oben

            Dass dies grandios scheiterte, war nicht ohne die Mithilfe konservativer Korruption denkbar.

            Den oberen Teil kann ich ja noch als abweichende politische Meinung tolerieren, aber ab hier ‚argumentierst‘ Du genauso naiv und ahnungslos wie die Politiker, die diese Entscheidungen trafen.

            Verstehe mich bitte nicht falsch: Ich kann und will Korruption im Beschaffungswesen nicht ausschließen, aber das Thema wäre bei gleichem Gehampel durch die Politik auch ohne Korruption vor die Wand gefahren worden.

            • Stefan Sasse 7. März 2022, 21:11

              Nein, haben sie nicht; das war die CDU.

              I see what you did there.

              • Erwin Gabriel 8. März 2022, 14:06

                @ Stefan Sasse 7. März 2022, 21:11

                I see what you did there.

                Das heißt offenbar nicht, dass Du es verstehst.

                Ich habe die viele Kommentare in den letzten Jahren hier im Forum über die Unterschiede zwischen CDU und konservativ offenbar verschwendet.

                • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:10

                  Nein, ich finde sie nur nicht überzeugend. Das ist wie die ständige Beteuerung vieler Linker, dass die DDR in Wirklichkeit gar nicht sozialistisch war.

      • Tim 7. März 2022, 15:16

        @ Thorsten Haupts

        Nach meiner freundlichen Schätzung 95% der Menschheit stehen mit der Realität auf Kriegsfuss

        Immerhin sind es glücklicherweise stets die anderen und nie man selbst. 🙂

        • Stefan Sasse 7. März 2022, 16:22

          Klar, es sind immer die anderen. Aber wer sagt schon von sich „ich habe ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit“? Und was heißt „Wirklichkeit“ überhaupt bei solchen Sachen?

          • CitizenK 7. März 2022, 18:11

            Nichts ist so gerecht verteilt wie der Verstand. (Fast) jeder ist überzeugt, genug davon zu besitzen.

        • Thorsten Haupts 7. März 2022, 17:10

          Was bringt Sie auf die bizarre Idee, ich schlösse mich selbst bei 95% aus?

          • Dennis 7. März 2022, 22:31

            Kennt jemand jemanden, der/die zweifelsfrei zu den 5 % gehört?

            Was muss man da so machen, um dazuzugehören ?

            Am besten, wir einigen uns auf 100 %. 100 % was, ist dann egal.

            • Hias 8. März 2022, 22:39

              Hihi
              Aber wenn alle ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit haben, dann sind die 100% doch nicht die Wirklichkeit 😀
              Oder ergibt es einfach eine neue Wirklichkeit, wenn alle ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit haben.
              Verwirrende Diskussion 😀

      • cimourdain 8. März 2022, 11:16

        Wie Dennis würde ich auf 100% gehen – und das für die meisten Themen. Die Wirklichkeit ist so komplex, dass ich selten mehr als ein zwei Standpunkte wirklich kenne. Es ist wie beim Gleichnis vom Elefanten und den Blinden. Ich kenne nur einen kleinen Tel der Wirklichkeit, andere einen anderen.

  • Lemmy Caution 7. März 2022, 12:07

    Leider muss ich im Projekt nun ein bisschen Gas geben.

    Zum Thema Überreaktion: Ich denke auch, dass das Risiko eines Atomkriegs nicht völlig irreal sind. Im schlimmsten Fall gehen wir zurück auf die Cotainment Strategie des Kalten Krieges. Die führte oft zu moralisch schwer zu ertragenen Entscheidungen. Kennedy hätte beim Bau der Mauer sicher auch gerne die Panzer losfahren lassen. Oder Johnson im Prager Frühling.

    So etwas wie professionelle Desinformation existiert wohl.
    Meine Perspektive: Diese Leute gehen sehr geschickt vor. Aktuell können sie sich nicht so durchsetzen, aber sie werden die Ermüdung mit dem Thema ausnutzen.
    Für den Info-Krieg braucht es vor allem Geduld, Fatalismus und Frustrationstoleranz.
    Wenn die Leute auf die Rattenfänger reinfallen, passiert das halt. Man kann sie nicht zum Nachdenken zwingen. Man kann nur hoffen, dass sie irgendwann ihr Weltbild in Frage stellen.

    Desinformation kann unterschiedlich motiviert sein:
    – Geld. Als sich die Geheimarchive des Ostens Anfang der 90er Jahre öffneten kam eine Menge raus. Der in der radikalen Linken in den 70/80ern beliebte Pahl-Rugenstein Verlag war von der Stasi finanziert. Nach dem Fall der Mauer haben die schnell Konkurs angemeldet. Auch viele Grassroot-Organisationen konnte die Finanzierung aus dem Osten nachgewiesen werden.
    – Aufmerksamkeit. Vor allem für Junge Leute können konträre Sichtweisen attraktiv sein.
    – Dummheit.

    Oft alles zusammen. Oder 2 von 3. Man sieht diese Tage unglaubliche Dinge.
    Lest mal alles rund um diesen tweet: https://twitter.com/AubreyBelford/status/1500263079325868032

    — unrelated —
    Bin kein großer Freund von Memes, aber in Chile werden im Jahr 2 oder 3 rausgehauen, die einfach zu schön sind.
    Der Herr links ist Augusto Pinochet.
    https://twitter.com/alonsosilva/status/1500490016912334850
    Tatsächlich gibt es zwischen beiden Verbindungen.
    – Putin äußerte in seiner Anfangszeit Bewunderung (https://www.spiegel.de/geschichte/wladimir-putin-und-seine-fruehe-sympathie-fuer-diktatoren-und-monarchen-a-ab015f28-a87a-4a6d-ade5-447cf254afd3).
    – Jaime Guzman, der Chef-Ideologe der Pin8 Diktatur, war ein großer Fan von Carl Schmitt. Alexander Dugin ebenfalls.

    • Dennis 7. März 2022, 15:17

      Zitat Lemmy:
      „Tatsächlich gibt es zwischen beiden Verbindungen.“

      Das dürfte die weitaus bedeutendere Verbindung gewesen sein:

      https://moderndiplomacy.eu/wp-content/uploads/2021/02/kissinger-pinochet.jpg

      schon deshalb, weil die nicht posthum im Geiste, sondern tatsächlich war.

      Zitat:
      „war ein großer Fan von Carl Schmitt. Alexander Dugin ebenfalls.“

      Richtig. Da haben die eine Gemeinsamkeit mit der Crème de la Crème des westdeutschen Bildungsbürgertums der Nachkriegszeit, inklusive diverse 68er wie z.B. Enzensberger. Es handelt sich um die primitive Sehnsucht nach dem starken Mann aus der Sicht gehobener Kreise, die sich für intellektuell halten.

      • Lemmy Caution 7. März 2022, 17:54

        Carl Schmitt war in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit eine persona non grata. Der bekam zu seiner Lebzeit kein Bein mehr auf den Boden und suchte es auch nicht (ziemlich faszinierend: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt#Nach_1945). Für Ideologen des spanischen Franquismus war Schmitt eine große Nummer. So kam auch Guzmán mit seinen Denken in Kontakt.
        Eine Verbindung von Hans Magnus Enzensberger mit Schmitt würde mich interessieren. Enzensbergers Buch „Tumult“ fand ich unterhaltsam.

        Pinochet und Kissinger
        Vor dem Putsch existierte sicher keine Verbindung zwischen Pinochet und Kissinger. Pinochet hat sich ja extrem bedeckt gehalten und den putschenden Generalen selbst erst 18 oder 40 Stunden (müsste ich nachschlagen) vor dem 11. September seine Teilnahme mitgeteilt. Die Putschisten hatten keine direkte Verbindung mit Washington.
        Nach dem Putsch war für Kissinger der Drops gelutscht. Der sah Chile als reinen Domino-Stein.
        Das Ganze ist komplexer als viele denken. Ich bin von dem Thema besessen und sehr belesen.

        • Stefan Sasse 7. März 2022, 18:42

          Leider wurde Schmitt ab den 1980er Jahren dann wieder rehabilitiert.

        • Dennis 7. März 2022, 23:38

          Zitat Lemmy:
          „Der sah Chile als reinen Domino-Stein.
          Das Ganze ist komplexer als viele denken. Ich bin von dem Thema besessen und sehr belesen.“

          Das Putin’sche Denken ist ein Abklatsch der Domino-Theorie. Die Domino-Steine da draußen sind meine Steine, man habe ein Anrecht, das Domino-Spiel im Vorder- oder Hinterhof zu gestalten, die Mittel sind egal, die Souveränität derer da draußen ist uninteressant und wird erforderlichenfalls nicht anerkannt. Dass der Domino-Stein Ukraine in die falsche Richtung umkippt, will Putin verhindern.

          Was Schmitt betrifft, ist das ja ganz richtig; im Gegensatz zu den zahlreichen alten Nazis in führenden Positionen im Nachkriegs-Deutschland hat Schmitt auf Persil verzichtet und entgegen den üblichen Comment der 50er/60er nicht behauptet, dass alles nur irgendwie Tarnung gewesen sei und er „eigentlich“ dagegen gewesen sei. Man kann diese seltene Abwesenheit von Verlogenheit ja durchaus pro Schmitt interpretieren und er musste in der Tat damit leben, dass er offiziell geschnitten wurde.

          Weniger offiziell war das allerdings anders.
          Dass der Nachkriegs-Oberliberale Augstein zum Beispiel von Schmitt ebenso wie von Heidegger angetan war, ist IMHO symptomatisch. Da kommt der „echte Mann“ zum Vorschein.

          https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/augstein-und-carl-schmitt-besuch-bei-einem-verfemten-1463002.html

          Der „Ausnahmezustand“ und klare Kante zwischen Freund und Feind ist allemal faszinierender als der pluralistische Kleinkram mit all den „dekadenten“ Erscheinungen der Konsumgesellschaft, die im Übrigen auch bei den 68ern offiziell verhasst war – was natürlich nicht heißt, dass die privat verschmäht worden wäre.

          Von Enzensberger empfehle ich u.a. mal die hochnotpeinliche Mao-Eloge „Mao Tse-tung und die Große Kulturrevolution“, nachlesbar in seinem „Kursbuch“ (damals Herausgeber) von 1967 (neben anderen Texten). Obwohl die Massenmorde längst bekannt waren und man das hätte nachlesen können, hat man auf unliebsame Lektüre lieber verzichtet. Die häßlichen Nachrichten waren „fatale Flüchtlingsberichte“, also Lügen, indes die Peking-Rundschau die bevorzugte Quelle war, z.B.: „Vorsitzender Mao feiert zusammen mit einer Million Menschen die große Kulturrevolution, in: Peking Rundschau 1966/35.“

          Die anno 68 jungen weißen Männer waren wie besoffen ob eines Schmitt’schen Ausnahmezustandes im fernen, aber vermeintlich vorbildlichen China, nebst einem Führer, der mal so richtig durchgreift. So was Ähnliches war auch für Westberlin angedacht. Kann man heute belächeln, was aber verkennt, dass das damals in keiner Weise unernst gedacht war.

          • Lemmy Caution 8. März 2022, 09:00

            Die Domino Theorie war ein gewaltiger Fehler für den wir heute noch zahlen. Ich bin seit Jahren gespannt wie Niall Ferguson im angekündigten zweiten Teil seiner Kissinger Biographie versuchen wird das schönzureden.
            Ich seh die 68er nicht so negativ. Hab mir letztens nach Jahren nochmal „La Chinoise“ von Jean Luc Goddard angesehen. Der sehr klare kritische Blick auf die jungen Radikalen hat mich sehr überrascht. Goddard wurde dann etwas später ja auch politisch sehr marxistisch und dann mitte der 70er wieder nicht.
            Enzensbergers „Tumult“ ist eine Art persönliche Abrechnung mit der Zeit, zugegeben ziemlich „Opa erzählt vom Krieg, aber deshalb auch unterhaltsam. Natürlich war die kleine Gruppe der Radikalen eine kleine Minderheit. Mein 1964 bis 69 studierender Vater kam aus einem von der KPD der 20er geprägten Arbeiterhaushalt und konnte mit dem Ganzen absolut nix anfangen.
            Interesse an Politik beinhaltet halt das Risiko, dass man schon mal in die Irre läuft. Ich war auch vor 10 Jahren von Dingen überzeugt, die ich heute für Unfug halte. Deshalb bin ich da mit Urteilen sehr vorsichtig.

            • Thorsten Haupts 8. März 2022, 10:37

              Interesse an Politik beinhaltet halt das Risiko, dass man schon mal in die Irre läuft.

              Ja. Nur ist das eben KEINE Entschuldigung dafür, stalinistische oder maoistische Systeme zu bewundern, wie das links (und für die Protagonisten gesellschaftlich folgenlos) bis in die siebziger Jahre der Bundesrepublik hinein völlig normal war.

              Genausowenig übrigens wie heute eine Entschuldigung dafür, sich rechts wegen „Muh Kultur“ oder was auch immer menschenverachtenden Ideologien anzuschliessen. Die waren und sind immer klar erkennbar.

              Gruss,
              Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 8. März 2022, 11:19

              Ferguson schafft es, den britischen Imperialismus abzufeiern, der kriegt auch Kissinger hin.

          • Stefan Sasse 8. März 2022, 11:18

            Oder denk mal an George Bernard Shaw in der Sowjetunion 1935. Oder die ganzen Mussolini-Fans in den USA.

    • Tim 7. März 2022, 18:41

      @ Lemmy Caution

      Obacht: Pinochet war einer der ganz wenigen Diktatoren, die freiwillig abgetreten sind. Ganz sicher kein Vorbild für Putin.

      • Lemmy Caution 7. März 2022, 19:31

        So freiwillig auch nicht.
        Erst dachte er, er würde das Referendum gewinnen.
        Als das No dann auch dank Us PR Agenturen immer bessere Aussichten hatte, teilte das Oval Office ihm mit, dass er das Ergebnis zu akzeptieren habe. In der Nacht der Wahl wurde das Ergebnis lange zurückgehalten. Er schlug dann den Generälen vor, es nicht anzuerkennen, aber keiner unterstützte ihn. General Matthey gestand dann die Niederlage ein. 56:44. In der Demokratie hatte er dann für viele Jahre einen lebenslangen Senatssitz ohne gewählt werden zu müssen. In der ersten Hälfte der 90er ließ er auch schon Mal die Soldaten ausschwaermen.

        • Tim 7. März 2022, 20:52

          Das ist im Vergleich zu >95 % aller Diktatoren eine großartige Leistung.

          • Lemmy Caution 8. März 2022, 08:34

            Pinochet war widerwärtig.
            Lern Spanisch und les die zahlreichen Berichte über die Folterungen zwischen 1973 und 1977. Südamerika ist voller zynischer und brutaler Diktatoren. Wenige haben eine so große Gruppe von Menschen auf wirklich brutalste Weise gequält.
            Da gibt es nun wirklich absolut nichts zu relativieren. Seine „Leistung“ bestand in einem ausserordentlichen Machtinstinkt, was a) für mich keine Leistung darstellt und b) in keinster Weise die Verbrechen irgendwie aufwiegt.

  • Kirkd 7. März 2022, 12:12

    Für das konservative Bürgertum ist der Ukrainekonflikt das, was der spanische Bürgerkrieg für die europäische Linke war. Endlich kämpfen können, ohne sich an den Widrigkeiten und Sachzwängen der politische Situation des eigenen Staates abarbeiten zu müssen.

    Und Ronzheimer mimt den Hemingway.

  • Kirkd 7. März 2022, 12:24

    Möglicherweise ist dies eine Zäsur für den Einfluss der russischer Propaganda. Auf der linken Seite hat sich die Zahl der Wasserträger doch über Nacht deutlich reduziert. Putin hat sich mit seinen Reden den Bösewichts-tag zu deutlich auf die Stirn geschrieben, Insofern hat Scholz im Umgang mit seiner Parteilinken sehr klug gehandelt. Er hat bis zuletzt die Hand ausgestreckt, auch wenn klar war, dass es da nix zu holen gibt. Putin hat die Hand ausgeschlagen und stattdessen brutalst angegriffen.

    • Stefan Sasse 7. März 2022, 13:00

      Wäre die Hoffnung!

      • Ariane 7. März 2022, 16:32

        Die (etwas) gute Nachricht ist ja immerhin auch, dass sowohl links wie rechts jetzt erstmal alle damit beschäftigt sind, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

        Ob Gysi/Kipping/Henning-Wulsow vs Wagenknecht, Dagdalen & Co. oder die AfD, bzw andere rechte Gruppierungen:
        https://www.welt.de/politik/deutschland/article237371163/Ukraine-Krieg-spaltet-die-rechte-Szene-in-Deutschland.html?wtrid=socialmedia.socialflow….socialflow_twitter

        Wobei ich (ausdrücklich zu den LINKEn) sagen muss, dass ich auch gar nicht erwarte, dass sie plötzlich Waffenlieferungen und Erhöhung des Wehretats bejahen, ich gestehe ihnen dazu durchaus eine Phase der Sinnsuche zu. Aber dafür muss man eben erstmal an die Erkenntnis gelangen, dass der bisherige Weg in eine fundamentale Sackgasse geführt hat. Henning-Willsow und Gysi (naja) hatten dazu ja auch gute Texte. Schade, dass Wagenknecht 50x mehr Reichweite hat.

        • Stefan Sasse 7. März 2022, 18:41

          Das muss man auch Anne Will und Konsorten vor die Türe legen. Die laden die ja ständig ein. Ist auch klar warum; Wagenknecht bringt Quote.

  • Erwin Gabriel 7. März 2022, 12:34

    @ Stefan Sasse

    Weitgehende Zustimmung.

    Matthias Döpfner sollte sich bei dem Scheiß, den er in letzter Zeit ablässt, eine weiße Weste zulegen – Du weißt schon, wo man die Ärmel nicht sieht, weil sie um den Körper festgebunden werden (und die NZZ ist offenbar doch nur eine konservative Zeitung und kein Extremistenblatt).

    Bin auf Teil 2 gespannt.

    PS: Ich habe die Rede von Annalena vor der Nato gehört; Sie hat Lawrow „Lügen“ vorgeworfen (nicht nur „nicht die Wahrheit sagen). Einen Tag später nahm auch Macron das Wort in den Mund („Putin lügt“).

    Selbst wenn man ihre Leistung nicht nur am Vorgänger misst (der so bedeutungslos war, wie man als Außenminister nur sein kann), ist ihr Auftritt gut, und für die ansonsten verweichlichte deutsche ‚Haltung‘ zu praktisch allen Problemen der Welt beachtlich konkret und fest.

    Scholz schmeißt ihr erstaunlicherweise keine Knüppel zwischen die Beine (ein wohltuender Unterschied zu Merkel), und Mützenich (da bin ich absolut bei Ariane) gibt nur den Deppen vom Dienst.

  • Lemmy Caution 7. März 2022, 13:50

    Auch Linke können anders. Ich lese kein Jungleworld und hab den eben entdeckt, aber dem kann ich nur zustimmen und vielem anderen in seinen Beiträgen.
    https://twitter.com/Surajpr74800081/status/1500812022249836548
    Als Finanzminister würde der mir aber Angst machen.

  • cimourdain 8. März 2022, 11:11

    Mir zeigt sich derzeit wieder einmal, wie sehr Sprache unser Denken beeinflusst – oder entlarvt. Derzeit haben Begriffe aus dem kalten Krieg (oder sogar noch älter ) Konjunktur. Du nutzt das offen und mit erklärenden Fußnoten (Bonuspunkt), aber andere schreiben ziemlich munter von ‚innerem Feind‘ oder Eindämmung.
    Insbesondere die Idee der ‚fünften Kolonne‘ dringt immer tiefer in das Denken ein. Auch dein Beitrag zeugt davon, wie jeder, der sich nicht öffentlich zu dem zentralen Wert des Westens (Militarisierung) bekennt, des Verrats verdächtig ist.
    Und da sind Lustrationen nicht weit. Nicht nur in der Politik, auch in der klassischen Musik (seit Schostakowitsch das Medium Nummer 1 für Sowjetpropaganda) muss dringend darauf geachtet werden, dass nicht irgendein Dirigent oder eine Sopranistin zu putinrussisch ist.

    • Stefan Sasse 8. März 2022, 11:21

      Militarisierung ist weder was passiert noch ein zentraler Wert des Westens. Es ist übrigens die Lingo des Kalten Krieges: ein ständiger, unzutreffender Vorwurf des Ostblocks an den Westen.

      • Thorsten Haupts 8. März 2022, 15:01

        … zentralen Wert des Westens (Militarisierung) …

        Das ist ausweislich des Stellenwertes, des Budgets und der Entwicklung von Personal und Ausrüstung des Militärs in allen Staaten des Westens ausser den USA ein schmutziger Witz, oder?

        Gruss,
        Thorsten Haupts

        • cimourdain 8. März 2022, 23:39

          1,1 Billionen schlechte Witze. Mehr als die Hälfte weltweit und auch ohne die USA noch mehr als China und Russland zusammen. Wieviel soll dem Militär noch in den Rachen geworfen werden? Oder schreckt das 20-fache an Militär einen Autokraten mehr als das 18-fache?

        • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:11

          Ging ich auch davon aus.

      • cimourdain 8. März 2022, 16:46

        Jein. Der Begriff Militarisierung wird in der Friedensforschung als quantifizierbare Größe verwendet indem man einen Kennzahlenindex bildet (GMI). Da fließen unter anderem der Anteil des Militärpersonals oder die Militärausgaben ein. Russland ist dabei sehr weit an der Spitze, nur übertroffen von einigen Staaten des nahen und mittleren Ostens. Deutschland war bisher im Mittelfeld, knapp unter dem Ländermedian. Das wird sich durch die Erhöhung des Rüstungsetats deutlich nach oben verschieben. Und es ist keine Polemik, sondern eine Sachfeststellung, dass die NATO mit dem 2%-Ziel von ihren Mitgliedern ein Mindestmaß an Militarisierung verlangt, das über dem Niveau der meisten Länder liegt.

        • Thorsten Haupts 8. März 2022, 17:52

          Der Begriff Militarisierung wird in der Friedensforschung als quantifizierbare Größe verwendet …

          Ach, deeeer alte Trick. Man nehme einen öffentlich stark negativ konnotierten Begriff, unterlege ihn ganz harmlos mit einer neuen Bedeutung (die möglichst wenige kennen), um ihn dann ganz „neutral“ ständig öffentlich verwenden zu können. Man lese weiter unter „Rassismus“.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

          • cimourdain 8. März 2022, 23:44

            Wenn Sie einen treffenderen Begriff für “ Stellenwert, Budget und Entwicklung von Personal und Ausrüstung des Militärs“ (Thorsten Haupts) kennen, immer raus damit. Und dass Militarisierung einen schlechten Ruf hat, hat immer noch Gründe, wie das extra deswegen von mir erwähnte Beispiel Russland zeigt.

          • cimourdain 9. März 2022, 06:45

            Nachtrag : Der stark negativ konnotierte Begriff ist die Ideologie des Militarismus. Tatsächlich ist diese Klangähnlichkeit etwas, womit sich Stimmung machen lässt und im klaten Krieg Stimmung gemacht wurde, wie Stefan Sasse schon bemerkt hat.

            • Thorsten Haupts 9. März 2022, 09:33

              Quark. Unter einer „militarisierten“ Gesellschaft hat so ziemlich jede/r Vorstellungen, die mit der Realität westlicher Gesellschaften jedenfalls nix zu tun haben.

            • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:18

              Na, die Linke hat immer von „Militarisierung“ gesprochen. Und das ist ja die Ausführung des Militarismus. Da wäre ein neutraleres Wort die wesentlich bessere Wahl.

          • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:13

            Machen andere mit „konservativ“.

        • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:13

          Boah, das ist aber echt ein unglücklich gewählter Ausdruck, bedenkt man, in welchem Kontext „Militarisierung“ in politischen Debatten verwendet wird. Dann musst klarmachen, dass du es auf diese nicht eben verbreitete Art meinst.

          Und selbst dann macht es wenig sinn, weil die Baseline so niedrig ist, dass jeder noch so zaghafte Schritt wie eine riesige „Militarisierung“ aussieht.

  • derwaechter 8. März 2022, 11:45

    Der Clip von Bill Maher ist von 2015.

    • Stefan Sasse 9. März 2022, 11:04

      Ich weiß…?

      • derwaechter 9. März 2022, 15:24

        Da taugt er doch nicht als Beleg, dass er jetzt als Russlandversteher aufträte. 2015 die Lage nicht ernst genug genommen zu haben ist was anderes. Nicht schlau aber wahrlich nicht alleine. Man darf da jetzt auch nicht in hindsight bias verfallen.

        Zumal er jetzt und so weit ich das mitbekommen habe auch in den letzten Jahren sehr deutlich war. Ich verfolge ihn nicht ständig, aber die Sachen die ich hier und da Mal gesehen habe, ließen an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Insbesondere was die Verbindung zwischen Trump und den Reps und Putin anging.

        • Stefan Sasse 9. März 2022, 18:27

          Ok! Ich kann Maher nicht leiden, das hat das sicher mit beeinflusst.

          • derwaechter 9. März 2022, 18:48

            Wenn man seine Abneigung dem Typ ggü beiseite lassen kann, hat er schon ab und zu vernünftiges zu sagen finde ich.

            Wurde übrigens schon ein Opfer der Cancel Culture bevor es die überhaupt gab 😉

            • Stefan Sasse 10. März 2022, 11:18

              Ja, total krass gecancelt, seit Jahrzehnten mit eigener TV-Show mittlerweile.

  • cimourdain 9. März 2022, 15:26

    @Sasse, Haupts
    Zum Begriff Militarisierung: Der ist im Deutschen tatsächlich vorbelasteter als im Englischen (Wikipedia Deutsch leitet ihn direkt zu Militarismus weiter ), ich könnte nur keinen besseren Begriff nennen. Der Bestimmungsgegenstand heißt nun einmal wertneutral Militär und -isierung bezeichnet den Grad einer Entwicklung hin zu etwas (Alphabetisierung). [Trollbemerkung: Da das Gegenteil von ‚militärisch‘ ‚zivil‘ ist, wäre auch ‚Entzivilisierung‘ ein treffender Begriff].

    Was den Alltagsmilitarismus (NICHT -ierung!) – etwa die Präsenz des Militärs in der Öffentlichkeit – angeht, ist Deutschland sehr niedrig aufgestellt. Das hat natürlich Gründe, Diktaturen sind in der Regel hochmilitaristisch. Es gab zwar plumpe Versuche, die Bundeswehr in der Öffentlichkeit ‚schaulaufen‘ zu lassen (Freiticket im Personenverkehr), die verlaufen sich aber deutlich. [Trollbemerkung2: Zumindest ist ‚Soldaten sind Schwarzfahrer‘ eine sympathischere Polemik als das billige ‚Mörder‘ – Geschrei.]

    Der Kern aber, die ‚niedrige‘ Baseline bei den Rüstungsausgaben , bestreite ich. Nicht nur ist Deutschland diesbezüglich im Mittelfeld (wie schon oben erwähnt), es gibt auch gute Argumente, dass die Bundeswehr eigentlich ganz gut aufgestellt ist:
    https://www.globalfirepower.com/country-military-strength-detail.php?country_id=germany
    Nur orientieren wir uns da an den hochmilitarisierten Staaten Russland, China, USA und das weckt Begehrlichkeiten.

    • Stefan Sasse 9. März 2022, 18:29

      Wie gesagt, wir können gerne über das thema reden, aber der Begriff ist halt nicht neutral, wenigstens nicht im deutschen Sprachgebrauch. Wenn er das im Englischen wäre (kann ich nicht beurteilen), dann lass ihn einfach als militarization stehen.

      Ich finde das mit dem Freitickets gar nicht so plump und auch eine gute Idee, aber das nur am Rande.

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.