Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
MOMENT: In Umfragen spricht sich regelmäßig eine Mehrheit für höhere Besitzsteuern aus. Politisch scheitert es jedoch immer wieder. Gibt es überhaupt einen signifikanten politischen Willen dafür?
Florian Fastenrath: In öffentlichen Umfragen stimmt eine sehr große Mehrheit zu, Vermögenssteuern wieder einzuführen. Der politische Wille dafür ist auch da. Das haben alle Politiker.innen, mit denen wir gesprochen haben, sehr authentisch zum Ausdruck gebracht. Warum die Vermögenssteuer dennoch nicht durchgesetzt wird? Die von uns interviewten Politiker:innen sind überzeugt, dass es eine große Zustimmung dafür gibt, das Thema aber für viele Bürger:innen nicht wahlentscheidend genug ist.
Umfragen kommen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn es von allgemeinen Fragen zu höheren Steuern für Reiche zu konkreten Steuerformen geht. Bürger:innen haben teilweise das Gefühl selber davon betroffen zu sein. Politiker:innen haben den Eindruck, dass offensive Steuerpläne negative Folgen für sie hätten. Sie berichten uns, dass man mit Steuererhöhungen zwar keine Wahlen gewinnen kann, aber durchaus welche verlieren.
Dazu gibt es in den progressiven Parteien, die Vermögen höher besteuern wollen, nicht immer eine einheitliche Linie. Während sich beispielsweise die SPD im diesjährigen Wahlkampf sehr geschlossen für die Vermögensteuer einsetzte, war es in der Vergangenheit so, dass der linke Parteiflügel dafür war, der pragmatische eher dagegen votierte. Das liegt auch daran, dass das Umsetzungspotenzial als eher gering eingeschätzt wird, da Steuergesetze in Deutschland zustimmungspflichtig sind. Dies bedeutet, dass auch eine Mehrheit im Bundesrat erforderlich ist, die derzeit aufgrund der vielen CDU-Beteiligungen an Landesregierungen nicht zu erwarten ist. […]
Aufgrund der unterschiedlichen Traditionen und Identitäten der Parteien sind sie in Bereichen wie der Steuerpolitik sehr ungleich aufgestellt. Politischer Nachwuchs tritt in linke Parteien eher ein, um sich um Arbeit und Soziales zu kümmern und weniger um Finanzfragen. Bei den Konservativen gibt es Wartelisten dafür, in die Finanzausschüsse zu kommen. Mitte-Links Parteien suchen dafür händeringend Leute. Da die Steuerpolitik nicht das Herzensthema linker Parteien ist, gibt es auch deutlich weniger Politiker*innen, die hier die notwendige Sattelfestigkeit besitzen. (Andreas Bachmann, Moment)
Das Hauptproblem ist schlicht, dass diese Meinungsumfragen wertlos sind. Ich weiß gar nicht, wie oft ich das noch sagen soll, aber die Umfragen von „Wie stehen Sie zu Politik X“ sind für den Popo. Im luftleeren Raum finden Wählende eine Menge gut, aber wenn es zur konkreten Wahl geht spielt es entweder keine Rolle für die Wahlentscheidung oder die vorherigen Zustimmungsraten lösen sich angesichts der parteipolitischen Polarisierung in Luft auf.
Mein Lieblingsbeispiel dafür sind das Ende des Afghanistaneinsatzes und die Einführung des Mindestlohns. Die LINKE und die Linke haben in den 2000er gebetsmühlenartig die Umfragen gewedelt, nach denen über 70% der Deutschen dafür waren, aber es gab halt keine Partei außer der LINKEN, die beides im Programm hatte. Half der Partei fuck all. Warum? Im Vakuum waren die Leute dafür, aber deswegen LINKE wählen? Bah. Genauso sind Leute im Vakuum für die Vermögenssteuer, aber wenn es konkret würde, lösten sich diese Zustimmungsraten in Luft auf.
Gleiches gilt übrigens für Steuersenkungen. Sind auch alle dafür, aber sobald es konkret wird, lösen sich diese Mehrheiten schnell auf. Es ist mehr das Versagen der linken Parteien, dass sie es oft nicht so gut schaffen, die Folgen (höhere Schulden oder Kürzungen) begreiflich zu machen, auch, weil ihre eigene Kommunikation so scheiße ist.
Und da sind wir dabei, dass keine Expert*innen in linken Parteien vorhanden sind. Das ist ein eigenes Problem, aber kein Grund dafür, diese Steuern nicht einzuführen. Seit wann schließlich ist für politische Maßnahmen Expertise erforderlich? Nein, wenn es den politischen Willen und den Druck gibt, dann kann man alles einführen, auch wenn man keine Ahnung hat. Das Problem erwächst eher daraus, dass keine konsistente Botschaft besteht, die auch nur einen oberflächlichen Debattenbeitrag von Hans-Werner Sinn überlebt.
Direktor des neuen Instituts ist Christoph Schaltegger, Professor und Dekan der Wirtschaftsfakultät der Universität Luzern. Schaltegger hat sich einen Namen als Hardliner gemacht: Steuern für Reiche, Schulden sowie Staatsausgaben müssten runter, fordert er auch in der aktuellen Coronapandemie. Als Geschäftsführer des Instituts hat er sich eine nicht minder radikale Stimme geholt: den Journalisten René Scheu, der über fünf Jahre lang das Feuilleton der NZZ mit Beiträgen gegen Political Correctness und vermeintliche «Cancel Culture» auf Kurs gebracht hat. Das Institut hat sich zum Ziel gesetzt, die Stimmbevölkerung in wichtigen Entscheidungen zu Sozialstaat, Steuern, Arbeitsmarkt oder öffentlichen Investitionen zu beraten. […] Finanziell getragen wird das Institut von rund zwanzig Personen, verriet Schaltegger der NZZ. Sie werden jährlich bis zu drei Millionen Franken spenden, mit denen fünfzehn Vollzeitstellen finanziert werden. Wer diese Geldgeber:innen sind, bleibt jedoch geheim. […] Ebenso einseitig wurde auch das Forschungspersonal des IWP besetzt. […] Das IWP in Luzern ist allerdings lediglich die jüngste Bastion eines weitverzweigten Netzes […] (Thomas Schwendener, Wochenzeitung)
Nicht, dass die noch eine Denkfabrik bräuchten. Gibt wahrlich genug von den Dingern. Ich lasse das hier hauptsächlich als Beleg dafür da, dass mitnichten „die Universitäten“ irgendwie links sind. Das war noch nie so und wird nie so sein. Bestimmte Fakultäten klar; in Literatur, Theaterpädagogik und Kunstgeschichte etwa halten sich die Konservativen in Grenzen. Aber Jura und Wirtschaftswissenschaften waren noch nie Zentren linken Revoluzzertums. Roland Koch hat auch um 68 rum studiert, als Joschka Fischer noch Steine schmiss, und konnte ziemlich problemlos mit Anzug und Aktentasche in der stockkonservativen juristischen Fakultät Netzwerke bauen. Jura und WiWis sind und bleiben Kaderschmieden einer konservativen und liberalen Elite.
3) „Das sind Leute mit Gewalterfahrung“ (Interview mit David Begrech)
ZEIT ONLINE: Welche Rolle spielt die Generation Bomberjacke der Neunzigerjahre?
Begrich: Es ist erstaunlich, zu sehen, dass die fast alle wieder da sind. Ich habe in Magdeburg, aber auch in anderen Städten, frühere Führungsleute der rechtsextremen Szene gesehen. Die sind jetzt Mitte vierzig, Anfang fünfzig – und merken, ihre Zeit ist da. Ein Momentum ist entstanden, ganz ähnlich wie in den Neunzigern. Das liegt auch daran, dass dem jedenfalls bisher keine Grenzen gesetzt werden. Und so treten sie auch gegenüber der Polizei auf. Etwa in Magdeburg, wo rechtsextreme Hooligans dieses Alters eine unangemeldete Demo von mehr als 3.000 Leuten angeführt haben. Das sind Leute mit Gewalterfahrung, die austesten, wie weit sie gehen können. […]
ZEIT ONLINE: Bei den Pegida-Protesten wurde die Polizei noch von den Rednern bei jeder Gelegenheit als Verbündete gefeiert. Ist das jetzt anders?
Begrich: Es gibt bei den Aufmärschen den permanenten Appell an die Polizei, sich auf die Seite der Demonstrierenden zu stellen – „solange dafür noch Zeit ist“. Das ist die gleiche Rhetorik, wie wir sie 1989 erlebt haben. Dieses „solange dafür noch Zeit ist“ ist ja im Grunde eine Drohung. Ihr Subtext: Wenn wir an die Macht kommen, werdet ihr zur Rechenschaft gezogen. Die Überzeugung derjenigen, die auf die Straße gehen, ist ja tatsächlich, dass der Zeitpunkt dieses Umsturzes nicht mehr fern ist. Das ist eine politische Endzeiterwartung, wie wir sie schon bei Pegida erlebt haben. […]
ZEIT ONLINE: Reagieren die Behörden adäquat darauf?
Begrich: Die Polizei hat immer noch große Schwierigkeiten, Leute einzuordnen, die nicht ihrem klassischen Feindbildraster entsprechen. Wenn Mülltonnen auf die Straße geschoben und angezündet werden, ist die Sachlage klar. Bei den derzeitigen Protesten aber laufen vorn rechtsextreme Hooligans, in der Mitte die Mitte Vierzigjährigen in bürgerlicher Kleidung und dahinter kommen dann die Muttis mit den zehnjährigen Kindern. Polizeiführer sind es gewohnt, nach Delinquenz Ausschau zu halten, nach Extremisten und nach Straftätern. Das Ergebnis ist oft, dass die Demonstranten trotz Verbots oft einfach erstmal laufen dürfen. (Christian Bangel, ZEIT)
Mittleres Alter ist kein Hinderungsgrund für Extremismus, das ist sicher richtig. Warum sollten die auch plötzlich ihre Sozialisierung verlieren? Klar, die übliche Straßengewalt kommt eher von frustrierten jungen Männern, das war schon zu allen Zeiten so, aber gerade in diesen verlorenen Regionen gibt es durchaus auch ältere Leute, die dieses Muster erfüllen. In den richtigen Strukturen kann ich auch mit 50 noch gewalttätig und aktiv sein, man denke nur an Bikerclubs.
Wie gut geeignet klassische Polizeimethoden sind, um dem Herr zu werden, weiß ich nicht. Selbst wann man die offenkundige Sympathie gerade der sächsischen Polizei für diese rechtsextremen Milieus außer Acht lässt und annimmt, dass sie mit derselben Energie gegen Rechte vorgehen würden wie gegen Linke – die Polizeimethoden, die auf Demos gegen Linke eingesetzt werden, beruhen ziemlich auf Gewalt und eskalieren regelmäßig – natürlich auch, weil selbige Linke die Eskalation aktiv suchen, aber es ist nicht so, als hülfe die Polizeitaktik da. Und es ist nicht eben so, als wären die Rechten weniger eskalationsbereit, die lässt man nur im Gegensatz zu den Linken gewähren.
Nein, wenn man die Polizei rufen muss, um rechte Gewalt in den Griff zu bekommen, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Diese Strukturen müssen vorher aufgebrochen werden, und dafür braucht es entsprechendes Investment, sowohl an professionellem Personal (Sozialarbeiter*innen etc.) als auch zivilgesellschaftlichem Engagement. Nur, wo soll das herkommen?
4) Fünf hervorragende Nachrichten aus diesem Jahr
Der Siegeszug der erneuerbaren Energien ist nicht mehr aufzuhalten, auch wenn man, sah man sich deutsche Wahlkampfdebatten an, einen anderen Eindruck bekommen konnte. […] Für Länder mit weniger Möglichkeit, Wasserkraft zu nutzen, ist die wichtigste Nachricht aber: Die Preise für Wind- und Solarstrom fallen noch immer exponentiell – es könnte allerdings sein, dass die aktuelle Ressourcenknappheit diese Beschleunigung in den nächsten Jahren abbremst, warnt die IEA. Trotzdem sind Wind- und Solarstrom in weiten Teilen der Welt die billigste Form der Energieerzeugung. Die IEA erwartet, dass zusätzliche Kapazität zur Stromerzeugung weltweit bis 2026 zu 95 Prozent auf erneuerbare Energien zurückgehen wird, mehr als die Hälfte davon durch Fotovoltaik. […] Biontech versprach dieses Jahr, einen noch wirksameren Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln, wieder auf mRNA-Basis, und auch Curevac forscht an mRNA-Impfstoffen gegen die Krankheit. Vakzine und Medikamente, die auf dieser neuen Technologie basieren, werden die Medizin in den kommenden Jahren dramatisch verändern. An der Yale University in den USA etwa wurde dieses Jahr ein Kandidat für einen mRNA-Imfstoff gegen Borreliose und andere durch Zecken übertragene Krankheiten entwickelt, Biontech selbst verspricht mRNA-Medikamente gegen Krebs und Impfstoffe gegen diverse Infektionskrankheiten, darunter Tuberkulose. Und noch eine weitere Menschheitsgeißel wird demnächst womöglich endlich mit Impfstoffen bekämpft werden können, wenn auch mit herkömmlicheren Methoden: das HI-Virus, das Aids auslöst. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)
Marcel Fratzscher aus der ZEIT hat weitere gute Nachrichten auf Lager. Ich hab zwei Gedanken zu den zitierten Auszügen.
Erstens bin ich bei Stöcker, dass das Potenzial der Erneuerbaren deutlich unterschätzt wird. Deutschland wird glaube ich noch ziemlich dumm aus der Wäsche gucken, wenn andere Volkswirtschaften da davonziehen und die Früchte eines rechtzeitigen Breiteninvestments ernten, das wir so mutwillig weggeschmissen haben, nachdem wir in den frühen 2000er Jahren noch weltweit führend waren. Eine weitere Hinterlassenschaft der Merkel-Ära und eines großen CDU-SPD-FDP-Konsens‘.
Zweitens ist die Aussicht auf einen AIDS-Impfstoff etwas, das angesichts der mittlerweile vergleichsweise guten Medikamente nicht mehr den oooomph von noch vor 15 Jahren hat, aber ich glaube, es ist generell unterschätzt welche Auswirkung AIDS auf die Gesellschaften weltweit hatte, auf das Sexualleben. Wenn AIDS tatsächlich weggeimpft werden könnte, würden Kondome vermutlich drastisch an Beliebtheit verlieren – und umgekehrt vielleicht die „Pille für Männer“ kommen. So oder so könnte es zu einer Umwälzung der Sexualmoral führen, wie es die AIDS-Epidemie in den 1980er Jahren auch tat.
5) Wenn der Mitmensch nur noch als latente Gefahr betrachtet wird
Können Sie sich noch an Aids erinnern? Das Virus tauchte in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf – wie eine dunkle, bedrohliche Wolke am Horizont der modernen Gesellschaften. Zunächst wusste man wenig: eine tödliche Sexseuche? Wer erkrankte daran, und wie waren die Übertragungswege? Konnte man einen Aids-Kranken ohne Risiko in den Arm nehmen? Traf es nur schwule Männer? Gab es irgendeine medizinische Abhilfe? Manche extrem konservativen Christen betrachteten Aids als eine Art göttliche Strafe für eine allzu permissive Gesellschaft. Die meisten Menschen sahen das glücklicherweise anders. Lernten etwas über die Krankheit. Umarmten Aids-Patienten – weil das tatsächlich ungefährlich ist. Der Staat betrieb gesundheitliche Aufklärung und warb für Kondome: „Gib Aids keine Chance!“ Niemand, wirklich niemand, nicht einmal die reaktionärsten Kräfte, kamen auf den Gedanken, zum Schutz vor Aids Sex zu verbieten und das von der Polizei kontrollieren zu lassen. […] An den vergangenen Weihnachtstagen wurde besonders deutlich, wie sehr klassisches Gottvertrauen und Nächstenliebe durch moralischen Rigorismus und zwischenmenschliches Misstrauen verdrängt worden sind. Feiern wurden abgesagt, Ungeimpfte ausgeladen, alte Eltern blieben unbesucht – die Angst vor Ansteckung und die Angst davor, was die Nachbarn sagen könnten, hielten sich bei den Begründungen die Waage. (Susanne Gaschke, Welt)
Die Hervorhebung in kursiv und fett ist im Originalartikel von Gaschke. Bevor sie das schrieb, hätte sie – oder vielleicht ein* weniger im Tugendfuror und moralinsauren Ideologiesumpf steckender Lektor*in – einmal gegenchecken sollen. Denn die Reaktionären unter Gauweiler und Strauß taten damals genau das. Ebenso wie Gaschke und der Rest der Springerpresse versanken sie im Moralisieren, zwangen ihre Moral durch staatliche Zwangsmaßnahmen einer schutzlosen Minderheit auf. 2017 erschien in der SZ ein Artikel über jene Zeit. Polizisten stürmten Saunas, verlangten Auskunft, wer mit wem Sex gehabt hatte, stellten Verdächtige bewusst in der Öffentlichkeit bloß. Die Politik, allen voran Gauweiler, der große selbstinszenierte Kämpfer für das Grundgesetz, trieb eine massive Hetzkampagne voran, die die AIDS-Kranken in den Untergrund trieb und maßgeblich zur Verbreitung der Krankheit beitrug – genauso wie zeitgleich die evangelikalen Radikalen im Weißen Haus, die in den USA die AIDS-Pandemie aktiv verschlimmerten. Dass Gaschke davon nichts wissen will, ist nachvollziehbar. Ihre Moral Panic beruht wie die gesamte Linie ihres Konzerns darauf, das nicht zu wissen. Und wenn der Lebensunterhalt davon abhängt, Dinge nicht zu sehen und nicht zu wissen, dann sieht und weiß man die nicht.
6) Lufthansa kündigt 18.000 Leerflüge an – Grund ist eine absurde EU-Regelung
Corona beutelt den Luftverkehr einmal mehr, diesmal ist es die Variante Omikron, die zu kurzfristigen Umplanungen zwingt. Daher wird die Lufthansa im Winterflugplan deutschlandweit 33 000 Flüge streichen. Besonders im Zeitraum Mitte Januar bis Februar beobachte man „einen scharfen Abriss in den Buchungen“, berichtet eine Sprecherin gegenüber unserer Zeitung. Es wären vermutlich noch weit mehr Flüge, die die Lufthansa nicht durchführen würde, wenn es nicht das Problem mit den Slot-Rechten geben würde. Slots sind feste Zeitfenster für Starts und Landungen, die der deutsche Luftfahrtkoordinator, eine Behörde des Bundes, den Luftfahrtgesellschaften zuteilt. Werden sie nicht wahrgenommen, verfallen diese Rechte – es gilt das Prinzip „use or loose“ (nutze es, oder verliere es). Das führt zu einer aberwitzigen Entwicklung, die Lufthansa-Chef Carsten Spohr gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ beklagt hat: „Wir müssen im Winter 18 000 Flüge durchführen, nur um unsere Start und Landerechte zu sichern.“(Dirk Walter, Merkur)
Beknackte Regelungen wie diese sind echt ein Ärgernis. Das wäre einmal mehr die große Hoffnung, die ich gerade in die FDP habe. Smarte Regulierungen statt doofe Regulierungen. Oder übersehe ich einfach nur die versteckte Brillanz der Slot-Regelung? Mag ja auch sein. Aber so ist das Resultat, dass wir der Lufthansa Milliarden an Corona-Hilfen in den Unternehmenspopo pusten, damit die Leerflüge durchführt und CO2 in die Luft haut, was jetzt nicht unbedingt der Sinn der Übung sein sollte.
7) Warum wir sie nicht retten konnten
Doch Deutschland besitzt keine nennenswerte Wasserkraft, und die Kernkraft schafft es ab. Der Atomausstiegsplan von 2011 wird gnadenlos durchgezogen. Geboren wurde er in einem Zustand kollektiver Panik nach Fukushima, die auch das im Normalbetrieb nüchterne Kalkül der damaligen Kanzlerin Angela Merkel hinwegfegte. Vollendet wird er nun von einer Regierung, in der Ideologie über Klimapragmatik gestellt wird. Man peitscht den Plan durch – die Grünen können gar nicht anders, weil am Antinuklearismus ihre politische Identität hängt. Man peitscht den Plan durch – nicht, weil man ihn wirklich plausibel begründen könnte, sondern weil es der einzige Plan ist, den man in dieser ansonsten planlosen Energiewende hat. […] Um es gleich vorauszuschicken: es gibt kaum eine maßgebliche Akteursgruppe in Deutschland, die daran nicht eine Mitschuld trüge, und es sind nicht nur die Grünen und die Anti-AKW-Bewegung als übliche Verdächtige. […] Im heutigen Klimadesaster hängen sie also alle drin, von ganz links bis zur CSU. […] Nicht besser wird es dadurch, dass die immer lauter werdenden Befürworter der Kernenergie es in Teilen nicht besser machen. Tumbes Grünen-Bashing, hanebüchen faktenbefreite Urteile über die Potenziale der Erneuerbaren Energien, Blackout-Angstmache, Liebäugeln mit autokratischen Regimes, die Kernenergie nutzen – alles ist dabei. Hass frisst Hirn auf beiden Seiten. Distanzierungsleistungen sind auf beiden Seiten leider kaum festzustellen. (Anna Veronika Wendland, Salonkolumnisten)
Ich will mich an der Stelle nicht zum Erhalt bestehender Atomkraftwerke äußern; die Diskussion hatten wir letzthin ja eh. Mir geht es um drei andere Aspekte.
Erstens wäre, dass der Neubau von Atomkraftwerken eine Idiotie sondersgleichen ist, wie man an einem französischen Projekt gerade sehen kann (EDF: Bau des Atomkraftwerks Hinkley Point C verzögert sich und wird teurer). Atomkraft war auch noch nie günstig; ohne massive staatliche Subventionen konnte sie nie existieren. Das allein macht sie nur für bestehende Kraftwerke diskutabel.
Zweitens ist sie bei weitem nicht so zukunftssicher, wie von ihren Befürworter*innen gerne behauptet wird. Sie ist nämlich ziemlich anfällig gegenüber dem Klimawandel; einerseits stehen die Dinger gerne an der Küste, andererseits an Flüssen, weil sie auf das Wasser zur Kühlung angewiesen sind. Wenn aber dank Klimawandel Meeresspiegel steigen und Flusspegel wilder fluktuieren, kann das die ganze Funktionsweise mächtig durcheinander wirbeln.
Drittens ist der im Artikel genannte politische Aspekt. Ja, die Grünen haben sich in eine politische Sackgasse manövriert, aber da sind sie, wie im Artikel erwähnt, in guter Gesellschaft mit allen anderen deutschen Parteien. Es war ein kollektiver Blindflug, von der Dauerblockade durch Union und FDP zur Kohlefreundschaft der SPD, bei der jeder sein Steckenpferd durchsetzen konnte und am Ende das schlechteste aus allen Welten zusammenkam: homöopathische Erneuerbare, massive Stromkohleerzeugung und Atomausstieg. *slow clap*
8) Why Americans Are More Afraid Than They Used to Be
For one thing, fear doesn’t exist in a vacuum–larger cultural forces have a way of influencing how people respond to questions. “If you think that the society around you expects courage, you may be scared as the dickens but you’re not going to say it to a pollster,” says Peter Stearns, author of American Fear: The Causes and Consequences of High Anxiety. “Currently, fear has become in some ways slightly fashionable, so maybe people are even exaggerating a little bit.” There are also differences in threats that can affect how people perceive fear. For example living through the Cold War, with its constant specter of nuclear attack, required an ability not to live in a perpetual state of fear in order to function, Stearns notes. The last decade, by contrast, has seen a steadily high level of fear punctuated by jarring spikes, rather than a gradual acculturation. Another notable difference today is that many people feel that they may have to confront threats on their own. The attack on Pearl Harbor wasn’t so scary because even people who disagreed with Roosevelt’s policies largely believed that the U.S. military could defend the nation and eventually win the war. (Lily Rothman, TIME)
Das Argument, dass es einfach modisch ist, Angst zu haben, mag durchaus eine Rolle spielen, und auch, dass die Bedrohungen so irreal sind – im Gegensatz zur realen Bedrohung des frühen Kalten Krieges – ist ein Paradox, das hier durchaus Erklärungsgehalt hat. Ich halte aber das Kabelfernsehen für einen Hauptverantwortlichen, den der Artikel überhaupt nicht nennt. Medial hat der Aufstieg der 24/7 „Berichterstattung“ einen riesigen und immer noch weitgehend unterschätzten Wandel hervorgerufen, vom Aufstieg von FOX News einmal ganz abgesehen. Beides zusammen ist der Elefant im Raum, um den immer herumgetanzt wird.
9) „Trumps Popularität war immer ein Mythos“ (Interview mit David Frum)
Ex-Präsident Donald Trump ist zurück auf der politischen Bühne, hält Wahlkampfreden, gibt fleißig Interviews. Die wohl wichtigste politische Frage der nächsten Jahre lautet: Tritt er noch mal an?
Wenn seine Gesundheit es mitmacht, macht er es. Aber selbst wenn er kandidiert, wird er vor demselben Problem stehen: Die meisten Amerikaner finden, er sollte kein Präsident sein.
Über 74 Millionen Menschen wählten ihn 2020.
Und 82 Millionen wollten ihn nicht. Das ist ein deutlicher Abstand. Trumps Popularität bei den Leuten war immer auch ein Mythos. Wenn man die letzten sechs US-Präsidentschaftswahlen nimmt, hat Trump den geringsten relativen Stimmanteil von allen Kandidaten eingefahren, egal ob Demokrat oder Republikaner. Die einzige Ausnahme war John McCain 2008. Während seiner Präsidentschaft gab es keinen einzigen Moment, wo Trump in Umfragen auf eine Zustimmung von über 50 Prozent kam. […]
Sie meinen die Sprechchöre der Trump-Anhänger während der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2020. „Hängt Mike Pence“ riefen sie unter anderem, weil dieser sich weigerte, bei Trumps Sabotage des Wahlergebnisses mitzumachen.
Republikaner nennen diese Leute, die vermummt und mit Kabelbindern in die Herzkammer der US-Demokratie gestürmt sind, mittlerweile „großartig“. Oder Ashli Babbitt, die beim Sturm auf das Kapitol erschossen wurde: Trump hat sie jüngst als „unschuldige und fantastische“ Person bezeichnet, kein Republikaner widersprach. Im Gegenteil: Babbitt wird mittlerweile als Märtyrerin aufgebaut, die für die gute Sache starb. Wie eine amerikanische Version von Horst Wessel. (Daniel Mützel, T-Online)
Es ist immer wieder wichtig darauf zu verweisen, dass die Republicans und Trump ein Minderheitenregime sind. Zu keinem einzigen Zeitpunkt konnten sie mehrheitliche Zustimmungsraten vereinigen, niemals kamen sie auch nur ansatzweise an eine demokratische Mehrheit der Bevölkerung. Sie können Wahlen gewinnen, weil die USA ein Wahlsystem haben, das Minderheitsregierungen massiv bevorzugt – das war in der Konstruktion der Verfassung so angelegt, von Anfang an, und zieht sich wenig überraschend bis heute durch. Dass ich völlig bei Frum bin, was die protofaschistischen Tendenzen der GOP anbelangt, ist glaube ich mittlerweile eh bekannt. Wenn man sieht, mit welcher Geschwindigkeit die sich radikalisieren, das ist echt beängstigend.
Lindner ist nun klug genug, die Fotoshootings vorm Eiffelturm beim Staatsbesuch in Paris Annalena Baerbock und den Grünen zu überlassen. Stattdessen ist der FDP-Chef nun Herr über viele Geldtöpfe und kann die Fiskalpolitik nach eigenen Vorstellungen gestalten. Und das heißt Steuersenkungen. Um 30 Milliarden Euro will er Bürger und Unternehmen in der aktuellen Legislaturperiode entlasten, sagte Lindner der Bild am Sonntag. Beispielsweise werde man künftig die Beiträge zur Rentenversicherung voll von der Steuer absetzen können. Auch die EEG-Umlage auf den Strompreis werde abgeschafft. Doch das ist nicht alles. 40 Milliarden Euro sparen Unternehmen nach Berechnungen des DIW-Wirtschaftsinstituts in den kommenden Jahren zusätzlich – mit der „Superabschreibung“ auf Klimaschutz- und Digitalisierungsinvestionen. Ein großzügiges Geldgeschenk für die eigene Unternehmer-Klientel. Sparen sollen dagegen die anderen. Die Spielräume seien eng, die anderen Kabinettsmitglieder sollen „ihre Vorhaben priorisieren“. Das heißt vermutlich unter anderem: Höhere Hartz-IV-Sätze und eine auskömmliche Kindergrundsicherung könnten dem Rotstift zum Opfer fallen. […] Es ist genau die FDP-Klientelpolitik, für die die Partei seit jeher kritisiert wird. In Sachen Bürgerrechte knickt die vermeintliche Freiheitspartei dagegen ein. Er sei, so Lindner, nicht mehr prinzipiell gegen eine Impfpflicht. (Jörg Wimalasena, taz)
Ich finde es ja gut, dass Lindner zu einer verantwortungsvollen Corona-Politik gefunden hat, seit er im Kabinett sitzt. Aber Wimalasena hat natürlich Recht, wenn er darauf verweist, dass die hehren liberalen Prinzipien als erste geopfert werden, während Steuergeschenke für die eigene Klientel genauso wie 2009 die höchste Priorität haben. Es ist auch ein Bruch der Abmachungen innerhalb der Koalition, die klar die Linie „keine Steuersenkungen“ ausgegeben hat. Ich bin gespannt, ob Lindner damit durchkommt (er verkündet das ja ziemlich klar als „das wird kommen“) oder ob er Pushback bekommt. Solche Sabotageakte innerhalb der eigenen Koalition sind kein gutes Zeichen. Das ist keinesfalls FDP-exklusiv, diese Showeinlagen machen alle. Lindner trumpft nur wesentlich größer auf, weil er es sich zumindest bisher leisten konnte. Frage ist, ob er irgendwann den Bogen überspannt.
11) Wir stellen die falschen Fragen
Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie eine hochseriöse Journalistin in einem hochseriösen Programm eines hochseriösen Radiosenders zu einer hochseriösen Sendezeit einem hochseriösen Politiker eine Frage stellt, die eine Prostituierte ihrem Freier stellen könnte: „Was macht das mit Ihnen?“ […] Mittlerweile trifft man diese Frage überall da, wo das Geschäft mit Fragen gemacht wird: „Impfgegner organisieren sich im Netz. Was macht das mit der Gesellschaft?“ (Das Erste) – „Weihnachten online – was macht das mit uns?“ (Der Tagesspiegel) – „Die Städter ziehen aufs Dorf. Aber was macht das mit dem Land?“ (FAZ) … Und auch die entsprechende Antwort wird inzwischen wie eine Nachricht behandelt: „Die taz-Fotografin Marily Stroux wurde 28 Jahre lang vom Hamburger Verfassungsschutz observiert. ‚Das macht was mit mir‘, sagt sie.“ […] Politiker aber werden für das Preisgeben innerer Zustände weder gewählt noch bezahlt. Sondern dafür, dass sie ihren Job machen. Werden sie als Menschen mit Gefühlsleben befragt, nimmt man sie aus ihrer Verantwortung. Nicht, was etwas mit ihnen macht, sondern was sie selbst machen, ist das, was wir von ihnen wissen wollen sollten. […] Vielleicht wird auch einfach viel zu viel gefragt: Tausend Talkshows, tausend Podcasts – ständig wird irgendwer zu irgendwas befragt, und man fragt sich schon, wann die Leute eigentlich was machen, wenn sie ständig darüber reden, was das mit ihnen macht. Dabei ist die Frage als solche, also der Interrogativsatz, ein Gut von höchstem Wert. Man sollte sie auch so behandeln. Als ein Objekt mit Würde. Denn nur, weil es heißt, dass es keine dummen Fragen gäbe, ist nicht ausgemacht, dass diese Aussage einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würde. (Doris Akrap, taz)
Ich weiß nicht, wie so viele Leute es schaffen, die Polittalkshows von Anne Will und wie sie alle heißen anzuschauen; ich kann da keine Minute zusehen, ohne aggressiv zu werden ob der schon fast offensiven Weigerung, irgendwelche Neugier über andere Positionen oder die eigentlichen Themen an den Tag zu legen. Die professionellen Talkshowgäste haben das Format mittlerweile so verinnerlicht, dass sie ohnehin nur noch in Dominanzritualen und gegenseitigen Unterbrechungen operieren, und die Talkshowmoderator*innen sind Profis darin, zuverlässig das Thema zu wechseln, sobald es interessant werden könnte. Leider ist das nicht auf Talkshows beschränkt, sondern betrifft große Teile der medialen Berichterstattung. Die von Akrap kritisierte Unseriosität des ganzen Geschäfts ist einfach furchtbar und für die Prozesse alles, aber nicht zuträglich.
1.) Populistische Mehrheiten kriegt man immer leicht, wenn man eine Mehrheit gegen eine Minderheit ausspielt.
Eine Vermögenssteuer für „Reiche“ kriegt daher jederzeit Umfragemehrheiten, weil die Leute unter „Reiche“ Milliardäre à la Hopp oder Albrecht verstehen. Wenn die mehr zahlen müßten juckt das nur wenige.
Die entscheidenden Politiker wissen aber, daß bei diesen „Reichen“ in Summe wenig zu holen ist. Daher ist ziemlich jeder reale Vorschlag „Reiche“ abzukassieren so konstruiert, daß er schon relativ früh einsetzt. Und wenn die Leute dann merken, daß schon Omas Reihenhäuschen sie selber zu den sondersteuerpflichtigen „Reichen“ zählen läßt kippt die Mehrheit.
2.) Natürlich sind die Universitäten links. Einige wenige Fachbereiche sind es nicht, aber die Wahlergebnisse und die Beschlüsse der Hochschulgremien zeigen, daß die Uni-Landschaft insgesamt links bis sehr links ist.
4.) „die Früchte eines rechtzeitigen Breiteninvestments ernten“
Beim „rechtzeitigen Breiteninvestment“ wurden Milliarden ausgegeben, um die besten Standorte mit unausgereifter und leistungsschwacher Technik vollzustellen. Die „Früchte“ sehen wir auf der monatlichen Stromrechnung. Und dadurch, daß neue leistungsfähigere Anlagen auf ungünstigen Standorten installiert werden.
Andere Volkswirtschaften profitieren davon daß sie abgewartet haben, bis die Technik halbwegs einsatzfähig war.
Wobei der „Siegeszug“ auch in anderen Ländern nur bedeutet, daß die erneuerbaren Energien einen gewissen Anteil der Produktion übernehmen. Der Rest wird weiterhin aus anderen Quellen kommen, weil es keine einsetzbare Speichertechnik gibt.
„Wenn AIDS tatsächlich weggeimpft werden könnte, würden Kondome vermutlich drastisch an Beliebtheit verlieren – und umgekehrt vielleicht die „Pille für Männer“ kommen.“
Ich weiß nicht, welcher Anteil an Kondomen der AIDS-Angst zuzuschreiben ist – im wesentlichen beschränkt sich das ja auch einen Teil der schwulen Szene. Schutz vor Empfängnis und vor anderen Krankheiten dürfte auch ohne AIDS den wesentlichen Kondom-Einsatz sichern.
Einen Zusammenhang mit der „Pille für den Mann“ sehe ich nicht – die scheitert letztlich an biologischen Gründen bzw. den Nebenwirkungen.
7.) „Atomkraft war auch noch nie günstig“ In Frankreich schon.
Man hat sie halt in Deutschland durch staatliche Auflagen sehr teuer gemacht.
Ansonsten ist „günstig“ bei der „Energiewende“ ja kein Thema mehr. Zur CO2-Reduzierung ist ja der Einsatz fast beliebiger Finanzmittel politisch durchsetzbar.
Das mit Klimawandel und dadurch zu wenig Kühlwasser für Kernkraftwerke ist schlicht falsch.
9.) Das ist richtig. Es ist aber generell so, daß es selten positiven Mehrheiten für eine Regierung bzw. einen Regierungschef gibt. Man gewinnt meist nur, weil die Alternativen noch unpopulärer sind.
10.) Was Lindner da ankündigt sind im wesentlichen schon beschlossene Sachen, alle mit dem Koa-Vertrag vereinbar. Deswegen hat es m. W. auch keine Kritik der Koalitionspartner an seinen Äußerungen gegeben. Veränderte Abschreibungen sind übrigens keine „Steuergeschenke“, sondern verschieben Zahlungen nur.
1) Aber erneut, dass es nicht funktioniert hat noch nie etwas abgehalten, Gesetz zu werden. Als Erklärung taugt es nicht, gerade wegen der scheinbaren Beliebtheit.
2) Die Studierendenvertretungen sind weitgehend Spielwiese der radikaleren Linken, keine Frage.
4) Warum beschränkt sich was auf die Schwulenszene? Häh?
7) Nur wenn du die Subventionen rausrechnest, und dann eben auch in Frankreich nicht.
9) Wenn ich in die USA schaue, sehe ich das so für 2016 und 2020. Aber 2004, 2008 und 2012 nicht, genausowenig 1992 und 1996. Auch Reagans Sieg 1984 war ja nicht, weil Mondale so unbeliebt gewesen wäre.
10) Mein Wissensstand war, dass keine Steuersenkungen beschlossen waren, da lieg ich wohl falsch.
1.) „dass es nicht funktioniert hat noch nie etwas abgehalten, Gesetz zu werden.“
Schon richtig. Aber hier hat die handelnde Politik ein starkes Eigeninteresse daran, daß das Gesetz funktioniert – da sollen schließlich ordentlich Einnahmen für andere politische Ziele generiert werden.
Deswegen werden Vorschläge für Vermögenssteuern selten so austariert, daß es bei der Symbolwirkung bleibt.
4.) „Warum beschränkt sich was auf die Schwulenszene?“
Der übliche Hauptverwendungszweck von Kondomen (Empfängnisverhütung) spielt in der Schwulenszene natürlich keine Rolle. Daher würde es nur dort einen starken Zusammenhang zwischen AIDS-Impfung und Kondomverwendung geben (halte ich ansonsten für einen recht irrelevanten Aspekt – wollte nur auf den Logikfehler hinweisen).
7.) M.W. gab es in Frankreich so viele Subventionen nicht, und gerade in Relation zur wirklich großen Produktionsmenge kann der Einfluß auf den Preis (der in F eben recht niedrig ist) nur überschaubar sein.
10.) Unter „Steuersenkungen“ werden in der Regel gesenkte Steuersätze oder Anhebungen bei den Progressionsschwellen gemeint. Beide solle es wohl nicht geben.
Die Anrechenbarkeit bestimmter Ausgaben bedeuten zwar auch eine Entlastung, sind aber technisch keine Steuersenkung.
1) Gut möglich.
4) Ah, verstehe. Ja, macht sinn.
7) Ich bin kein Experte, aber der verlinkte Artikel spricht von hohen Subventionen, und ich habe diverse andere Quellen ähnliches sagen gelesen.
10) „Veränderte Abschreibungen sind übrigens keine „Steuergeschenke“, sondern verschieben Zahlungen nur.“ Grundsätzlich ja (und sie können etwa beim Investitionsabzugsbetrag zu bösen Überraschungen führen). Es gibt jedoch eine Ausnahme: Gebäude-AfA bei der Vermietung durch Privatpersonen, wenn das Gebäude nach Ablauf der Spekulationsfrist von 10 Jahren verkauft wird.
Steuergeschenke für die eigene Klientel? Na, ich bin ja mal gespannt, ob Lindner mir auch erlauben wird, die Aufwendungen für meine eigene Altersvorsorge von der Steuer abzusetzen. Mein Tipp ist: nein. Die Politik glaubt ja bis heute, dass die staatliche Rentenversicherung die einzige richtige Altervorsorge ist. Klar, also kann man Rentenbeiträge absetzen! Andere Arten von Altervorsorge aber eben nicht.
Liberal im liberalen Sinne heißt eben nicht nur liberal.
1) Vermögenssteuer: Warum es nicht gelingt, höhere Steuern für Reiche durchzusetzen (Interview mit Paul Marx, Achim Truger, Helena Vitt und Florian Fastenrath)
Das ist ein eigenes Problem, aber kein Grund dafür, diese Steuern nicht einzuführen. Seit wann schließlich ist für politische Maßnahmen Expertise erforderlich?
Kann zumindest nicht schaden. Jeder Fachpolitiker kennt die Gründe, warum die Vermögensteuer eben nicht wieder eingeführt wird. Deswegen war man bei SPD und Grünen ja auch froh, dass die FDP das Thema abgeräumt hat. Die letzte Vermögensteuer Anno 1995 erbrachte den sagenhaften Betrag von umgerechnet 4,62 Milliarden Euro. Und da sind die gewaltigen Erhebungs- und Verwaltungskosten nicht eingerechnet. Der Fiskus brächte ein paar Tausend Steuerbeamte zusätzlich, um den Aufwand zu stemmen. Wo sollen die herkommen? Die Ausbildung allein dauert 3-5 Jahre und dann hat man nur Amateure. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, die Prognosen für die kommenden Jahre verheißen keine Besserung für Arbeitgeber aller Art. D.h., man würde sich Aufwand ins Haus holen, den die Belegschaften nicht bewältigen können. Das Aufkommen steht den Ländern zu. Die müssen allerdings die zusätzlichen Beamten auch bezahlen. Und warum soll sich der Bund dafür verkämpfen für ein bei den Finanzdirektionen unbeliebtes Thema?
Nun werden einige meinen, seit 1995 sei ja das Vermögen erheblich gestiegen. Richtig. Apropos: Welches Vermögen? Grund und Boden hat ja nicht zugenommen, zumindest hat Deutschland in der Zeit keine Eroberungskriege geführt. Was ist also gestiegen?
Gestiegen sind vor allem die Unternehmenswerte und der Wert des Immobilienbesitzes. Unternehmensanteile machen zwischen 50 und 70 Prozent des volkswirtschaftlichen Vermögens aus. Nur ein geringer Teil davon wird an Börsen gehandelt, wo sich ein Marktpreis feststellen lässt. Die meisten Werte sind ungehandelt, die Bewertung ist meist Sache von Käufer und Verkäufer, einen rechtssicheren Maßstab gibt es nicht.
Bei Immobilienbesitz kommt man um Omas Klein Häuschen nicht herum. Wer in den Metropolen Frankfurt oder München vor 20 Jahren eine Eigentumswohnung für 200.000 Euro erworben hat, sitzt heute leicht auf einem Millionenvermögen. Umgekehrt sind die Werte in vielen Regionen der Republik deutlich gefallen. Gibt es das Entschädigung?
4) Fünf hervorragende Nachrichten aus diesem Jahr
Erstens bin ich bei Stöcker, dass das Potenzial der Erneuerbaren deutlich unterschätzt wird.
Klar, kann nicht anders sein, sonst geht die Rechnung nicht auf. Dass Deutschland trotz eines Aufwandes von knapp einer halben Billionen Euro nur wenig seines Primärenergiebedarfs aus Erneuerbaren decken kann, ist natürlich ein Bug, kein Feature.
5) Wenn der Mitmensch nur noch als latente Gefahr betrachtet wird
Erstens: Es wurde nicht erwogen, Sex zu verbieten. Zweitens blieben solche Beispiele absolut einzelne Fälle. Außerhalb Bayerns schon gar nicht.
Vor allem aber wurden solche Übergriffe von der 80% der Bevölkerung abgelehnt. Heute wird es von 80% gutgeheißen.
6) Lufthansa kündigt 18.000 Leerflüge an – Grund ist eine absurde EU-Regelung
Oder übersehe ich einfach nur die versteckte Brillanz der Slot-Regelung?
Einfache Antwort: ja, die übersiehst Du. Wobei ich es nicht billiant umschreiben würde. Es ist ein Mittel der Wettbewerbspolitik. Slots sind Möglichkeiten von marktbeherrschenden Unternehmen, den Wettbewerb zu beschränken. Günstig gelegene Flugzeiten sind ein Wettbewerbsvorteil, da die Kunden der Airlines gerne in den früheren Vormittagsstunden und den frühen Abendstunden an- und abreisen. Wer also über solche Landerechte verfügt, hält Wettbewerber fern. Die Slotrechte waren der wesentliche Grund für die Lufthansa, sich bei der Insolvenzmasse von Air Berlin zu bedienen.
Damit Airlines Slotrechte nicht einfach horten um dem Wettbewerb zu schaden, müssen sie diese auch aktiv bedienen. Das hält den wirtschaftlichen Druck auf Unternehmen aufrecht, Slotrechte freizugeben, wenn sie sich nicht rechnen. Dass der Chef eines marktbeherrschenden Unternehmens dagegen polemisiert, liegt nahe. Er ist nämlich derjenige, der am meisten Interesse an Wettbewerbsbeschränkungen hat. Clever, weil die Öffentlichkeit ein edles Motiv vermutet.
6) Keine Bange, ich unterstelle ihm kein edles Motiv. Und ja, wettbewerbsrechtlich macht die Regel schon Sinn, aber warum man die für Corona nicht außer Kraft gesetzt oder reformiert hat erschließt sich mir nicht.
Das Problem liegt doch ganz woanders. Das Ziel, warum die Slots bedient werden müssen, ist doch klar, damit Airlines nicht einfach die Rechte horten. Wenn sie sie anfliegen müssen, haben sie wirtschaftlichen Druck. Sie müssen sich also überlegen, ob die Destination ertragreich ist.
Wenn der deutsche Staat der Lufthansa in einer wirtschaftlichen Krise Geld leiht, so nimmt er ein Stück diesen wirtschaftlichen Drucks weg. Vor allem, wenn er die Kreditzusage nicht daran bindet, das Geld nicht wettbewerbsbeschränkend einzusetzen. Das hat man nicht getan, während die sonstigen Kreditnehmer des Staates sich verpflichten müssen, die Darlehen nur zu den aufgeführten Zwecken zu verwenden.
Eigentlich wäre es sinnvoll gewesen, dass die Lufthansa in der Krise schrumpft und ihr Angebot überarbeitet. Der deutsche Staat hat hier gegen den Wettbewerb gehandelt, nicht die EU.
Das Problem ist, dass viele Länder nationale Carrier immer noch als eine Sache des nationalen Stolzes ansehen. Den Unternehmen bekommt solches Pampern nicht. Die Lufthansa hat sich bis heute nicht von den Kursverlusten des Frühjahrs 2020 erholt, sie müsste die Eigentümer weiter zur Kasse bitten. Der Service für die Fluggäste verfällt derweil weiter, wie eine neue Umfrage bestätigte.
Das ist der Grund, warum ich so vehement gegen staatliche Eingriffe in Wirtschaftsprozesse bin. Und ich werde immer wieder bestätigt.
Ne, das Ziel ist mir schon klar, und das macht ja auch Sinn. Was halt nicht Sinn macht sind Leerflüge, um die Rechte zu behalten, wenn wegen höherer Gewalt NIEMAND fliegen kann, ob gesunde Airline oder nicht.
Wer Landerechte nicht benötigt, muss sie freigeben. Ist doch ein einfaches Prinzip. Und es wird immer so sein, dass Flüge auch mal halb leer stattfinden (müssen). Als Reisender habe ich ein großes Interesse, dass mein einmal in der Woche stattfindender Flug von Alicante nach Frankfurt nicht ausfällt, sondern planmäßig stattfindet. Ryanair greift regelmäßig auf die Praxis, gering ausgelastete Flüge einfach ausfallen zu lassen.
Schau‘ mal in die Verbraucherportale, das sorgt ebenso regelmäßig für gehörigen Ärger. Eine funktionierend Infrastruktur hängt davon ab, dass Transportleistungen zeitgerecht erbracht werden.
Zu 6): Danke, das ersparte mir einen gleichsinnigen, aber wesentlich bissiger formulierten Kommentar. Mich macht die demonstrierte Unkenntnis über marktwirtschaftliche Grundbedingungen immer noch fassungslos :-).
7) Warum wir sie nicht retten konnten
Es geht nicht um den Neubau von großen Reaktoren. Doch mit dem Ausstieg hat sich Deutschland jede Möglichkeit verbaut, an technologischen Entwicklungssprüngen teilzuhaben.
Zweitens ist es ein Witz, den Einfluss auf die Umwelt zu thematisieren, sie bei Windkraftanlagen aber auszusparen. Millionen Vögel verenden jährlich an den Rotoren.
Wobei meines Wissens nach das vor allem ein Problem der älteren Anlagen ist, weil bei Neuaufbauten meines Wissens nach besser drauf geachtet wird. Mag mich aber täuschen.
„Millionen Vögel verenden jährlich an den Rotoren.“ Sie meinten wohl Glasfassaden oder Katzenmägen, der Schaden durch Windkraftanlagen ist nicht so hoch:
http://www.bund-rvso.de/windenergie-windraeder-voegel-fledermaeuse.html
Urban Myth.
Wenn ein Vogel vor einer verspiegelten Fassade flattert und drei Mal „Colonel Sanders“ zwitschert, erscheint der hinter ihm und enthauptet ihn mit einem scharfgeschliffenen Rotorblatt. Einem Bekannten des Kanari meiner Tante ist das wirklich passiert.
Sorry, ich meinte die vielen toten Flügel in Rotoren sind ein urban myth. Du hast völlig Recht.
10) Sparen sollen die anderen
Zum einen setzt Lindner mit der Streichung der EEG-Umlage nur den Koalitionsvertrag um. Und es war noch die Merkel-Regierung, die die Abschaffung initiierte.
Zum anderen ist die vollständige Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen ein Erfordernis des Bundesverfassungsgerichts. Auch hier setzt Lindner nur um.
Das einzig Neue ist der Verlustvortrag auf kommende Steuerjahre. Aber auch das ist keine große Sache. Als Gegenbuchung ständen sonst ggf. höhere Finanzzuschüsse der öffentlichen Hand.
Also, weder Steuergeschenke noch Sabotageakte. Einfach Vermarktungstechnik.
Oki.
Vorsorgeaufwendungen: Habe ich da etwas verpasst (Was gut möglich ist) ? Nach meinen Kenntnissen haben bisher BFH und BVerfG die gedeckelte Höhe ausdrücklich nicht beanstandet.
Verlustvortrag: Meinen Sie den Verlustrücktrag (§ 10d EstG) in frühere Veranlagungszeiträume ? Da will Lindner glaube ich den 2020 und 2021 coronabedingt erhöhten Betrag ( 10 Mio. € ) beibehalten und die Rücktragsspanne auf 2 Jahre erhöhen. Da der Betrag darüber hinaus so oder so in kommende Jahre vorgetragen wird, ist das hauptsächlich für diejenigen, die Betriebe aufgeben mussten, nicht für die die sie beibehalten.
Mit Urteil vom 13.2.2008 hat das Bundesverfassungsgericht die eingeschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen in den gesetzlichen Sozialversicherungen für grundgesetzwidrig erklärt. Sie beziehen sich auf die beschränkte Abzugsfähigkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen.
Ich habe mir Lindners Vorschlag noch nicht im Detail angesehen.
Das Ding betraf lediglich die Kranken- und Pflegeversicherung und ist gesetzlich längst „geheilt“. Die Heilung hatte den netten Namen „Bürgerentlastungsgesetz“ und trat am 1.1.10 in Kraft. Von größeren Danksagungen der „Bürger“ ist nichts bekannt.
Dass sich an solche Petitessen kein Mensch mehr erinnert ist ein schlechtes Omen für Lindners großspurige Ankündigungen^. Kleinkram dieser Art, den „draußen“ eh keiner versteht, hat sich politisch noch nie ausgezahlt; für den damals federführenden Herrn Steinbrück (wer war das doch gleich?) ja auch nicht.
Generell wird das Interesse und der Wissensstand der Allgemeinheit an und über Politik maßlos überschätzt.
Aber da beisst sich doch die Katze in den Schwanz. Kein Interesse -> kein Wissen … kein Wissen -> kein Interesse. Gäbe es doch Multiplikatoren, wie politische Lehrer oder Blogger, die einen Grundstock bei den komplizierten Themen aufbauen.
Der Zusammenhang existiert einfach nicht. Wie ein IMHO irischer Politiker mal zusammengefasst hat, wollen die meisten Menschen von der Politik nicht mehr, als dass sie den Rahmen für ein zivilisiertes Zusammenleben schafft, ihnen genug Geld für ihr Feierabendbier lässt und sie ansonsten nicht weiter belästigt.
Ich bin aus sehr ähnlichen Beobachtungen daher seit Jahren erneut Anhänger der repräsentativen Demokratie – sie entspricht einfach am besten dieser Default-Einstellung der Menschen.
Gruss,
Thorsten Haupts
So auch nicht korrekt. Positive Dinge wollen eigentlich alle. Wenn du in eine willkürliche Kommune fragst „Wollt ihr ein Schwimmbad?“ wird die Antwort kaum „nein“ sein. Gleiches gilt für Vieles.
Mir ging es nur um den Zusamm enhang „Kein Interesse -> kein Wissen … kein Wissen -> kein Interesse.“ Der existiert nicht.
10) Sparen sollen die anderen
Ein großzügiges Geldgeschenk für die eigene Unternehmer-Klientel.
Was für eine ideologische Verblendung. Danke einmal mehr für den Nachweis, dass es sich nicht lohnt, die taz zu lesen.
… während Steuergeschenke für die eigene Klientel genauso wie 2009 die höchste Priorität haben.
Was ist denn aus Deiner Sicht ein Geschenk?
Es gibt keine Steuergeschenke, es kann sie nicht geben – nicht für die, die Steuern zahlen. Nach meiner Wahrnehmung ist ein Geschenk etwas, dass ich bekomme, ohne dafür bezahlt zu haben. Aber bei den hier erwähnten Steuer“geschenken“ geht es um eine Reduzierung der vorhandenen und nicht gerade knappen Belastung für diejenigen, die die Steuern aufbringen müssen. Und selbst wenn sich nun Digitalisierungs- oder Klimainvestitionen besser absetzen lassen, sind diese vom Staat gewollten, von der Gesellschaft gebrauchten Investitionen immer noch deutlich teurer, als es die Steuernachlässe hergeben.
Lohnen sich die Investitionen für die Unternehmen? Vermutlich. Wenn ja, verbessern sich deren Erträge, auf die wiederum Steuern erhoben werden.
Merkste was?
PS: Zu den wahren Steuergeschenken zählt alles, was Leuten zugutekommt, die keine Steuern zahlen.
Wenn das Kino dir einen 50%-Gutschein für den Eintritt schenkt ist das auch ein Geschenk, obwohl du die andere Hälfte des Eintrittspreises noch zahlst. Dieses liberale Framing ist zwar nicht totzukriegen, aber Unfug.
Das Kino schenkt nicht. Der eigentliche Preis wird rabattiert, üblicherweise auf ein mehr den Marktverhältnissen angepasstes Niveau. So ist das nach deutschen Gesetzen auch auszuweisen. Würde das Unternehmen dem Kunden ein Geschenk (ohne Gegenleistung) machen, so wäre dies in den Aufwendungen als „Sonstige“ auszuweisen. Der Rabatt jedoch ist direkt vom Bruttoumsatz als „Preisminderungen“ abzusetzen.
Also, selbst die Gesetzgebung folgt nicht Deiner Interpretation, was ein Geschenk ist. Erwin hat Recht: eine Steuersenkung ist kein Geschenk, sondern die Anpassung des Steuerniveaus an die aktuellen Verhältnisse.
@ Stefan Sasse 4. Januar 2022, 14:17
Wenn das Kino dir einen 50%-Gutschein für den Eintritt schenkt ist das auch ein Geschenk, obwohl du die andere Hälfte des Eintrittspreises noch zahlst.
Ob ich nun ein Auto kaufe oder ins Kino gehe – es handelt sich um freiwillige Entscheidungen von mir. Wenn ich beim Kauf einen Rabatt bekomme, ist das Teil des Marketing-Konzepts, um mich als Kunden zu gewinnen, der ich keinesfalls sein müsste.
Beim Staat bin ich als Unternehmen nicht freiwillig dabei, kann weder über die Höhe der Steuern noch über die Gegenleistung frei bestimmen. Ich kann als Unternehmen zwar einige der von der öffentlichen Hand erbrachten Leistungen nutzen, aber in der Regel werden diese Leistungen weder gut noch günstig erbracht.
Darüber hinaus verteilt der Staat seine Leistung an alle Bürger und Bürgerinnen nach gleichen Regeln, die für alle gelten. Ob die Begünstigten selbst Steuern zahlen, ist für die Gültigkeit von Gesetzen oder die Nutzung von Infrastruktur nicht relevant.
Diejenigen, die Steuern an den Staat abführen, tun das, weil sie dazu gezwungen werden; was dabei wie hoch besteuert wird, darauf haben diejenigen, die das Geld geben, keinen Einfluss. So kann es passieren, dass Unternehmer Steuern abführen für Regelungen, die ihnen schaden oder den direkten Wettbewerb durch Einmischung in den Markt fördern.
Die Ausgangssituation ist nicht, dass der Staat Geld hat, daraus Leistungen erbringt, und die abrechnet. Die Ausgangssituation ist die, dass Unternehmen und Arbeitende Geld verdienen, von dem der Staat unter Ausübung hoheitlicher Gewalt einen von ihm selbst bestimmten Teil abzwackt, und nach Regeln behält oder verteilt, die er alleine festlegt.
Das sich inzwischen viele derjenigen, die nur sehr wenig oder keine Steuern zahlen, für die moralisch besseren Menschen halten, während sie diejenigen, die unsern gesamtes System finanzieren und aufrechterhalten, diskriminieren und oft genug moralisch verurteilen, das ist das Problem.
Dieses liberale Framing ist zwar nicht totzukriegen, aber Unfug.
Wenn jemand Dir nachts auflauert, Dir einen Knüppel unter die Nase hält, Dir 100 Euro aus dem Portemonnaie zieht und Dir dafür eine leere Flasche Bier in die Hand drückt, habe ich ein Beispiel, dass dichter an der Wahrheit ist als Dein alberner Kino-Vergleich. Und wenn Knüppel-Kurt Dir beim nächsten Überfall keine 100, sondern nur 50 Euro aus der Tasche zieht, hat er Dir nicht 50 Euro geschenkt.
Wenn hier irgendetwas Unfug ist (sorry für die harten Worte: wirklich hanebüchener Unfug), dann Dein Beispiel. Das ist so schief, dass es schon umgefallen war, bevor Du zu Ende getippt hast.
von dem der Staat unter Ausübung hoheitlicher Gewalt einen von ihm selbst bestimmten Teil abzwackt, und nach Regeln behält oder verteilt, die er alleine festlegt.
Das ist einfach nicht korrekt. „Der Staat“ sind wir alle; die Regeln werden nicht von einer ominösen Institution „Staat“, niemandem verantwortlich und gleich einem Räuber in der Nacht, festgelegt, sondern vom demokratisch gewählten und legitimierten Parlament.
Das ist so nicht richtig.
Als das letzte Mal über den Steuertarif debattiert, dieser festgelegt und abgestimmt wurde, wählte ich noch SPD und der Bundeskanzler hieß Gerhard Schröder. Seit dem ist die Steuerbelastung trotz unveränderter Einkommenspositionen stetig gestiegen, worüber nie ein Parlament entschieden hat. Der Staat hat dadurch seinen Anteil am Volkseinkommen, der Summe der Gewinne und Arbeitnehmerentgelte deutlich ausgeweitet. Verglichen mit dem, worüber die Abgeordneten 2000 entschieden, kassiert der Staat heute über 70 Milliarden Euro mehr pro Jahr.
Während der Grundfreibetrag seit 25 Jahren aufgrund eines BVerfG-Urteils regelmäßig angehoben werden muss, gilt das nicht für die darüber liegenden Steuersätze. Die Anhebung des Grundfreibetrags ist dabei keine freie Willensentscheidung der Abgeordneten. Würden sie es nicht machen, wären Teile der erhobenen Einkommensteuer verfassungswidrig und müssten nicht mehr gezahlt werden.
Der Staat reduziert seit Jahrzehnten die Zahl derjenigen, die nennenswert zum Einkommensteueraufkommen beitragen. Zuletzt griff der damalige Finanzminister Olaf Scholz zu dem Kniff. Bei geringem Aufkommensverzicht strich er für 90% der Einkommensteuerpflichtigen den eigentlich fälligen Solidaritätszuschlag. Erfahrungsgemäß ist es so, dass jemand um so leichter über Steuern für andere entscheiden kann, wenn er selbst davon nicht betroffen sind. 2020 war eine große Mehrheit der Deutschen für eine völlige Streichung der Ergänzungsabgabe. Ob das 2024 auch noch so sein wird?
Das macht Sasses Aussage nicht falsch. Über den gültigen Steuertarif wurde und wird im Bundestag und Bundesrat entschieden. Auch eine jahrzehntelange Nichtentscheidung ist eine Entscheidung, nämlich die des Festhaltens am Status Quo. Die Verteilregeln, die eine gesetzliche Grundlage haben, werden ebenfalls dort beschlossen.
Wenn Ihnen daran etwas nicht passt, werden Sie politisch aktiv bitte. Und suchen sich Mehrheiten für Ihre Auffassung. Es gibt in parlamentarischen wie direkten Demokratien keinen von uns getrennten „Staat“, wir leben hier nicht in Russland.
Gruss,
Thorsten Haupts
Der Bundestag entscheidet zu einem bestimmten Zeitpunkt über einen bestimmten Tarif. Dies erfolgt auf der Basis einer bestimmten Einkommensverteilung. In einer Generation verändert sich die Einkommensverteilung erheblich. Viele Steuersysteme begegnen diesem Fakt durch die Indexierung ihrer Tarife. Wenn wir das hätten, dann gäbe es keinen Zweifel. Aber so?
Treiben wir es nämlich ins Unendliche, werden an einem Tag X sämtliche Steuerzahler den Spitzensteuersatz zahlen, eine Art Flat Tax (ich hatte dazu einen Artikel verfasst).
http://www.deliberationdaily.de/2015/05/eine-polemik-45-steuerflatrate-fuer-alle/
Es ist definitiv auszuschließen, dass eine Flat Tax gewollt ist, schließlich haben wir einen linear-progressiven Tarif zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit des Einzelnen wächst aber nicht, wenn seine Einkommensposition sich nicht verändert und sein Einkommen nur gemäß der Inflationsrate wächst.
Nur eins kann also gelten: Wir haben eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, die demokratisch festgelegt werden muss. Oder wir haben pauschal eine nominale Besteuerung ohne Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit. Ich nehme Ihnen die Entscheidung ab: in Deutschland gilt das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als Ausfluss des Gleichheitsgrundsatzes. Dieser besagt eben auch, dass unterschiedliche Einkommen unterschiedlich zu besteuern sind. Wenn immer mehr Einkommen in den Spitzenbereich reinrutschen, kann man dieses Prinzip auf Dauer verletzt sehen. Und darüber hat nie ein deutsches Parlament entschieden.
@ Stefan Pietsch 4. Januar 2022, 22:53
Die Leistungsfähigkeit des Einzelnen wächst aber nicht, wenn seine Einkommensposition sich nicht verändert und sein Einkommen nur gemäß der Inflationsrate wächst.
Solche entscheidenden „Kleinigkeiten“ werden immer wieder gerne übersehen, zumal der Staat auch keinesfalls die gesamten finanziellen Belastungen oder auch nur die gesamte Steuer- und Abgabenlast seiner Bürger im Auge hat.
Danke!
@ Thorsten Haupts 4. Januar 2022, 20:24
Über den gültigen Steuertarif wurde und wird im Bundestag und Bundesrat entschieden.
Das ändert nichts daran, dass die Steuertarife nach Vorgaben weniger einzelner unter starker Berücksichtigung der vermuteten Interessenlage der eigenen Wählerschaft ausgekungelt werden; im Bundestag werden mindestens 90 % der Abgeordneten nicht verstehen, für was sie da gerade stimmen oder was sie da gerade ablehnen, und der Bundesrat nickt, solange die Bundesländer genügend abbekommen.
Erneut, das gilt immer.
@ Stefan Sasse 5. Januar 2022, 15:49
Erneut: Die Reduzierung eines Steuertarifs ist kein „Geschenk“ an die Betreffenden. Das so zu nennen, ist linkes Framing, ist Unfug, und hat mit Fakten nichts zu tun.
Ja, es ist Framing, gebe ich sofort zu. Dass es einfach nur ein „der Staat nimmt dir weniger weg“ ist, ist aber rechtes Framing und hat mit den Fakten nichts zu tun.
Hauptsache, es gibt genügend Auswahl:
https://c8.alamy.com/comp/PPE6X8/werner-murrer-manufactures-and-restores-artistic-frames-for-museums-galleries-and-artists-in-his-frame-workshop-in-thalkirchen-PPE6X8.jpg
@ Stefan Sasse 6. Januar 2022, 09:03
Dass es einfach nur ein „der Staat nimmt dir weniger weg“ ist, ist aber rechtes Framing und hat mit den Fakten nichts zu tun.
Gleich zweimal falsch:
1) ist das nicht rechts, sondern liberal.
2) habe ich Fakten genannt, denen Du außer Behauptungen nichts entgegensetzt.
• Erhebt der Staat Steuern nach eigenem Ermessen, ohne mit seinen Bürgern die Höhe abzustimmen, oder findet mit den Bürgern dazu ein Dialog statt?
• Ist die Höhe der Steuern willkürlich und verändert sich mit der politischen Ausrichtung der jeweiligen regierenden Parteien (Koalitions-Kungeln inklusive), oder gibt es feste, nachvollziehbare Regeln, nach denen Steuern und staatliche Leistungen in einem Verhältnis stehen?
• Kann ich mich als Bürger oder als Unternehmen dieses Landes der Steuerzahlung entziehen?
• Kann ich als Bürger oder als Unternehmen dieses Landes über staatliche Leistungen mitentscheiden?
Du kennst die Antworten auf diese Fragen so gut wie ich. Wir können gerne darüber streiten, ob Steuern sinnvoll sind, in welcher Höhe sie eingezogen werden sollten, welche Leistungen die öffentliche Hand dafür zu erbringen hat etc.
Worüber wir nicht diskutieren brauchen, weil diese fakten noch fester stehen als der Klimawandel:
Der Staat erhebt Steuern und erbringt Leistungen nach eigenem Gusto und Bedarf (=willkürlich); eine reduzierte Steuerlast bzw. die Absetzbarkeit von bestimmten Investitionen ist kein „Steuergeschenk“, sondern eine Reduzierung der Abgabenlast.
PS:
https://staatenlos.ch/geld-ins-ausland-schaffen/23-laender-ohne-einkommenssteuer-und-wie-du-in-sie-auswandern-kannst/
🙂
Stimmt vielleicht. Ändert nur nichts daran, dass es damit demokratisch legitimiert beschlossen wurde.
Aber die anderen Steuergrenzen sind doch nicht statisch. Vielleicht gibt es keinen Automatismus, vielleicht wurden sie nicht in gleichem Maße angepasst (das weiß ich schlicht nicht), aber ich weiß 100%, dass die Steuergrenzen von 2022 nicht die von 2015 oder 2010 oder 2004 sind.
Seit 2007 wird der Tarif durch ein Jahressteuergesetz angepasst. Darin wird der Grundfreibetrag wie das Kindergeld usw. verarbeitet. Die Abstimmung erfolgt weitgehend ohne Aussprache, da es sich um wiederkehrende Anpassungsgesetze handelt. Eine Debatte, erst recht eine öffentliche, findet nicht statt.
Von 2016 bis 2021 wurde der Betrag für den Höchststeuersatz um 7,9% erhöht. Die Bruttostundenverdienste legten währenddessen um 11,2% zu. Auch dieser Ausschnitt zeigt: der Staat bereichert sich immer mehr am Einkommen der Bürger, ohne darüber eine öffentliche Debatte zu führen noch abstimmen zu lassen.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/_inhalt.html
https://www.haufe.de/finance/haufe-finance-office-premium/tarif-und-steuersatz_idesk_PI20354_HI2073245.html
Ich hatte aus deinen vorherigen Antworten den Eindruck, dass du sagst, die Grenzen hätten sich gar nicht geändert, daher meine Verwirrung. Dass die kalte Progression existiert ist ja nicht eben neu.
@ Stefan Sasse 4. Januar 2022, 17:51
Das ist einfach nicht korrekt. „Der Staat“ sind wir alle; …
Ja, nee, is‘ klar.
Ich bin nicht „der Staat“, und selbst wenn ich ein kleiner Teil davon sein sollte (oder, von mir aus, bin), ist es nicht der Teil, der Entscheidungen trifft.
Die einzigen Punkte, an denen ich eingreifen kann, sind Wahlen; ich mache mein Kreuz bei einer der Parteien, und wenn das nun eine der Parteien sein sollte, die die Wahl gewinnt, habe ich immer noch keinen Einfluss. Warum auch immer ich mich für eine bestimmte Partei entscheide, Wahlversprechen muss sie nicht einhalten.
… die Regeln werden nicht von einer ominösen Institution „Staat“, niemandem verantwortlich und gleich einem Räuber in der Nacht, festgelegt, sondern vom demokratisch gewählten und legitimierten Parlament.
Ist das nicht das Gleiche ? 🙂
Wer legt denn die Steuern fest? Eine Handvoll Beamte fummeln irgendetwas zusammen, dass auf den Vorgaben einer Handvoll von Politikern basiert, die miteinander kungeln und feilschen mit dem Ziel, ihr eigenes Wahlvolk zu bestechen.
Dein Vergleich ist immer noch Panne, und Steuergeschenke an Steuerzahler gibt es nur dann, wenn sie mehr herauskriegen als einzahlen. Das ist – von vereinzelten, meist schrägen Ausnahmen einmal abgesehen – weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitgeber der Fall.
Alles andere ist linkes Framing – nicht totzukriegen, aber Unfug.
Diese Polemisierung trifft auf alle politischen Entscheidungen zu. Bei der Komplexität unserer Gesellschaft werden ALLE Entscheidungen grundsätzlich von Expert*innen des jeweiligen Feldes getroffen. Relevant ist die demokratische Legitimation.
„Die einzigen Punkte, an denen ich eingreifen kann, sind Wahlen“
Nicht nur. Einstmals wurden Computer bei Lehrern nicht mehr als Werbungskosten anerkannt. Ich habe darauf einen zornigen Brief an den Steuerexperten einer mir nahestehenden Partei geschrieben. War wohl nicht der Einzige – jedenfalls wurde das geändert.
Korrekt. Es gibt zahlreiche Partizipationsmöglichkeiten. Auch das Eintreten in eine Partei und aktives Kämpfen für Veränderungen gehört dazu.
Juli Zeh in der aktuellen ZEIT-Ausgabe:
„Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass im politischen Selbstverständnis der Bürger eine Art Konsumentenhaltung auf dem Vormarsch ist. Ich höre zum Beispiel immer wieder Sätze wie: Na ja, wir bräuchten eben mehr Demokratie im Sinne von mehr Teilhabe, wir müssten mehr tun können, als nur alle vier Jahre ein Kreuz zu machen. Wenn man dann mal näher nachfragt bei den Beschwerdeführern, stellt man fest, dass sie noch nie bei einer Gemeinderatssitzung waren oder in ihrem Abgeordnetenbüro. Sie wissen oft gar nicht, wie ihr Abgeordneter überhaupt heißt. Dabei ist das die Person, die sie im Parlament vertritt. Sie benutzen die Tools der Demokratie überhaupt nicht.“
Exactly my point.
@ CitizenK 7. Januar 2022, 13:00
[Juli Zeh in der aktuellen ZEIT-Ausgabe:
„Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass im politischen Selbstverständnis der Bürger eine Art Konsumentenhaltung auf dem Vormarsch ist. Ich höre zum Beispiel immer wieder Sätze wie: Na ja, wir bräuchten eben mehr Demokratie im Sinne von mehr Teilhabe, wir müssten mehr tun können, als nur alle vier Jahre ein Kreuz zu machen. Wenn man dann mal näher nachfragt bei den Beschwerdeführern, stellt man fest, dass sie noch nie bei einer Gemeinderatssitzung waren oder in ihrem Abgeordnetenbüro. ]
Ich saß über ein halbes Jahr lang als Gast in jeder Sitzung im Gemeinderat; ein grauenhaftes Erlebnis.
Und ich war für – glaube 2 Jahre – von der Union ernanntes, kooptiertes, Nicht-Parteimitglied in einem wichtigen Ausschuss des Stadtrates einer zweitrangigen deutschen Grosstadt. War wohl das wichtigste Erlebnis, dass mich a) aus der Politik getrieben und mir b) die Illusion genommen hat, Amateurpoltik sei besser/rationaler als die professionelle. Sie ist nicht mal ähnlich gut.
Wünsche mir, das Erlebnis hätten mehr Leute. Es kuriert sehr nacchaltig Illusionen, die man über seine Mitmenschen pflegt (im Stadrat sitzen nur sehr wenige Profis, die grosse Mehrheit sind unsere Nachbarn). Unter anderem auch die, politische/soziale Klugheit hätte irgendeinen Zusammenhang mit dem formalen Bildungsgrad.
Gruss,
Thorsten Haupts
Und was ist dann der Lerneffekt? Also welche Lektion ziehst du daraus? Demokratie funktioniert nicht? Einen Expert*innengemeinderat wirst du nie haben.
Lerneffekt? Hmm, ein paar meiner Schlussfolgerungen:
1) Politik ist nichts für mich
2) Ich respektiere jede/n politisch Aktiven um mehrere 100% mehr als vorher
3) Man braucht meistens mehr Glück, gute Netzwerke und den richtigen Zeitpunkt, um politisch erfolgreich zu sein. Logik/Strategie und Rationalität sind zweitrangig bzw. überschätzt.
4) Menschen sind, wie sie sind. Hat wenig Sinn, sich darüber aufzuregen – und Erziehungsversuche sind bei Erwachsenen dumm, kontraproduktiv, anmassend und erfoglos.
Ich kam nie auf die Idee einer Expertokratie – das hat mir mein Hausphilosoph K.R. Popper gründlichst ausgetrieben.
Gruss,
Thorsten Haupts
Danke!
1) Die Vermoegenssteuer ist ja so ne Sache, die ich ideologisch (aus dir glaub ich wohlbekannten Gruenden) unterstuetze; bei der mir aber auch der Glaube fehlt, dass sie sich praktisch vernuenftig umsetzen laesst.
5) Du musst das so sehen: Es wurden spezifisch die Risikogruppen geschuetzt.
7) Kleine Anmerkung: Hinckley ist nicht in Frankreich, sondern in England. Denn in Folge der grossen „Privatisierungs“-welle ist die englische Energieerzeugung beim franzoesischen Staatskonzern EDF gelandet.
1) Ihr Aufkommen ist mir gar nicht so wichtig, ich finde sie aus Verteilungsgerechtigkeitssicht relevant.
5) 😀
7) Ja, aber der Artikel geht auch noch auf die Lage in Frankreich ein.
1) Haben wir zuviel Geld? Haben wir zu viel Leute, die an Arbeitsmangel leiden?
Du würdest eine ganze Maschinerie in Gang setzen mit irrsinnigen volkswirtschaftlichen Kosten, um das Gefühl von ein bisschen mehr „Gerechtigkeit“ zu bekommen? Zumal ich nirgends eine Studie gelesen hätte, wonach eine moderate Vermögensteuer von 1% der Vermögensungleichheit entgegenwirken würde.
Und wenn es Dir um die Verteilung geht, wäre es dann nicht angebracht sich politisch Gedanken zu machen, wie die Masse der Bürger vermögender wird? In anderen Ländern geht es ja offensichtlich auch.
Ich habe ausführlich darüber geschrieben, warum ich große Vermögen (ich rede hier nicht von dem, was für normale Menschen erreichbar ist) weghaben möchte.
Du redest von Vermögen, das sich dem Zugriff einzelner Staaten weitegehend entzieht. Wenn Elon Musk in Brandenburg eine Giga-Fabrik baut, dann entzieht sich deren Taxierung teilweise der deutschen Besteuerung, da die Muttergesellschaft in den USA sitzt und die zu belastende steuerpflichtige natürliche Person ebenfalls. Natürliche Personen können sich durch Wohnsitzverlagerung ihrer Besteuerung entziehen, Gesellschaften durch verschachtelte Holdingstrukturen. Was Du besteuern willst, ist ein Witz.
Darüber hinaus ist mehr als fraglich, ob eine Vermögensbesteuerung, die nur auf ein paar tausend Steuerpflichtige zielt, dem steuerlichen Grundsatz der Gleichheit entspricht. Der Staat darf nämlich mit seinen Besteuerungsregeln eine kleine Gruppe von Bürgern so ins Visier nehmen, dass praktisch nur sie eine Steuer entrichten müssen. Ein Freibetrag von 1 Million Euro ist okay, einer von 1 Milliarde Euro wahrscheinlich nicht.
Und dass eine solche Steuer den Grundsätzen der Ergiebigkeit, der Unmerklichkeit und der Praktikabilität widersprechen würde, hatten wir bereits.
Ja, das ist ein Problem. Aber ich bin auch kein Steuerexperte, ich kann hier wenig mehr tun als meine Präferenzen nennen und dann in das Problem rennen, das im Artikel angesprochen wird: die Linke hat wenig bis keine eigenen Expert*innen dafür.
Das Prinzip, das Du präferierst, ist hart an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen. Das ist ein Problem.
Jepp. Aber alle Verfassungsexpert*innen sind sich einig, dass es verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich ist, von daher kannst du deinen Knüppel im Schrank lassen.
Hm, nein junger Mann. Ich hatte die Prinzipien schon aufgeführt. Eine Steuer, die so konstruiert ist, dass sie von vornherein nur einen ganz engen Personenkreis trifft, ist wahrscheinlich verfassungswidrig.
1) Ich ja auch. Ich fuerchte nur, dass eine praktische Umsetzung genuegend Moeglichkeiten fuer die wirklich Reichen bietet, sie zu umgehen und es vor allem die Mittelschicht bis untere Oberschicht trifft.
Ja, was ein weiterer Grund dafür sein dürfte, dass sich niemand ernsthaft damit beschäftigt.
@ Stefan Sasse 4. Januar 2022, 14:18
1) Ihr Aufkommen ist mir gar nicht so wichtig, ich finde sie aus Verteilungsgerechtigkeitssicht relevant.
Es gibt keine wie auch immer geartete „Gerechtigkeit“, da diese eine subjektive Wahrnehmung ist. Der eine hat Besitz bzw. Vermögen und findet es „ungerecht“, wenn man ihm den (teilweise) wegnimmt. Der andere hat nichts, und findet es „ungerecht“, dass ihm der andere von seinem Vermögen nichts abgibt.
Dann kommt der Staat und zieht von den Vermögenden eine beliebige Summe ein, die er zu vielleicht 10 Prozent auf die eine oder andere Art umverteilen kann. Die verblieben 90 Prozent verbraucht er selbst für die erforderliche Bürokratie, um Vermögen erfassen und bewerten (bzw. um überhaupt 100 Prozent erheben) zu können.
Das nennt man dann Gerechtigkeit.
Natürlich ist Gerechtigkeit subjektiv; alle Werte sind subjektiv. Wir können das gar nicht anders als subjektiv beantworten. Diese Prämisse war implizit drin.
@ Stefan Sasse 5. Januar 2022, 15:49
Natürlich ist Gerechtigkeit subjektiv; …
Es wird auch von Dir benutzt, als sei „Gerechtigkeit“ ein absoluter moralischer Begriff. Subjektivität ist da nicht impliziert, deswegen weise ich ja darauf hin.
Sorry, dann hab ich das nicht klargemacht. Ich kann logischerweise nur aus meinem eigenem Wertesystem heraus sprechen.
5) Ist wirklich bizarr. Wie du richtig anmerkst, ist das „niemand hat gefordert…“ Blödsinn. Erinnert mich ein wenig an das „nur in Deutschland“ Beispiel von neulich. Warum können Leute die solche Behauptungen aufstellen, nicht mal kurz innehalten, nachdenken und idealerweise googeln?
Aber auch ihr Vergleich zu den coronabedingten Verhaltensänderungen ist absurd. Zum einen weil man Infektion über Aerosole nun wirklich nicht mit Infektion durch GV vergleichen kann. Und selbst wenn man das beiseite lässt, ist bei Aids genau das passiert was jetzt bei Corona passiert. Übetragunsmöglichkeiten werden eingeschränkt (Anzahl Sexualpartner damals – Anzahl Kontakte heute) und/oder es werden Schutzmaßnahmen ergriffen (Kondome damals – Masken, Abstand, Lüften etc. heute).
Dass das heute viel tiefgreifendere Folgen hat, liegt nicht an einer veränderten Moral, sondern in der Natur der Sache. Soziale Kontakte sind nun mal viel häufiger als sexuelle.
Jepp.
… nur eben alles freiwillig. Nicht per Gesetz, nicht per staatlicher Überwachung.
Nicht ganz.
Aber auch das liegt doch in der Natur der Krankheit bzw. des Viruses, nicht an einer anderen Geisteshaltung. HIV ist doch aufgrund seiner ganz anderen Verbreitungswege völlig anders als Corona.
Wer historisch vergleichen will, sollte sich die Pandemie 1918-20 anschauen. Viele der damaligen Maßnahmen und staatlichen Eingriffe dürften den Menschen heute sehr bekannt vorkommen
Zu 5): Ja, AIDS war ein gamechanger beim Sex. Genau in der Grenzzeit zwischen vor und nach AIDS meine ersten Erwachsenenjahre verbracht zu haben war sehr lehrreich. Vor 1982/83 war Sex schon beinahe zu einem leicht erhältlichen und nebenbei konsumierten Massenartikel geworden, AIDS änderte das grundlegend.
Die Ausfälle gegen die (tatsächlich irrsinnigen) Ideen einer sehr kleinen Gruppe um Gauweiler noch als Beispiel für autoritäre Gelüste von Konservativen zu verwenden spricht allerdings auch sehr für verzerrte Wahrnehmung. Gauweiler wurde damals in der Union selbst kräftig verspottet, mit gruselig unsensiblen Sprüchen über die geplanten AIDS-Lager „Gauweiler“ 1 bis 10, er hatte für seine „Pläne“ nicht einmal eine nennenswerte Minderheit innerhalb der CSU.
Gruss,
Thorsten Haupts
Danke für den Kontext.
Ich haben ein paarmal versucht, meinen Beitrag zu posten, aber er hat es mir nicht angezeigt; hab’s also nochmal probiert. Drei können davon weg – sorry.
Schon erledigt. Da war irgendein Problem mit dem Cache, das hatten alle, warst nicht du.
Zu 1):
Fluch der bösen Tat :-). Die Leute haben inzwischen lange gemerkt, dass Politiker, wenn sie von Reichenbestuerung reden, wahlweise die Gutverdienenden oder die Geringvermögensbesitzer (eigenes Haus) meinen. In Umfragen sind sie nur deshalb für eine stärkere Besteuerung von Vermögenden, weil sie (anders als Journalisten und Lehrer) darunter Menschen mit einem Vermögen verstehen, von dessen Zinsertrag man auskömmlich leben kann.
Ansonsten würde ich mich anschliessen – Umfragen zu gewünschtem Verhalten oder zu gewünschter Politik sind fast immer Müll. Mit absoluter Sicherheit dann, wenn die Fragen binär gestellt werden (sind Sie für oder gegen X). Aus Umfragen auf tatsächliches Verhalten zu schliessen, würde ich echt niemandem empfehlen, die besseren Politiker wissen das auch.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ja, die Unklarheit über Begriffe wie „reich“ und „Vermögen“ halte ich auch für einen wesentlich ausschlaggebenderen Grund.
Weshalb man besser auf eine Reform der Erbschaftsteuer setzen sollte. Die damit verbundenen Probleme wären weitaus kleiner als bei der Vermögensteuer, angefangen bei der Bewertung.
Das kann man berechtigt so sehen und ich neige auch zeitweise (aus abstrakten Startchancenerwägungen) dazu. Stösst auf zwei Hindernisse, die mir das zeitweise Ja dazu immer wieder austreiben:
1) Deutschlands absolute Stärke sind seine mittelständischen Unternehmen. Gestaltet man eine Erbschaftssteuer ausreichend ertragreich (nur dann macht sie Sinn), zerschlägt man vermutlich unausweichlich diese MUs. Der Preis wäre mir zu hoch.
2) Ein vielleicht noch gewichtigeres Hindernis ist der Familiensinn. Seinen Kindern etwas zu vererben ist nicht nur ein tiefsitzender menschlicher Instinkt, er stösst auch auf breite Zustimmung in der Bevölkerung (man rede mal mit den Leuten). Das ernsthaft zu besteuern, wird auf heftigen Widerstand sehr vieler Menschen treffen, die Familie höher gewichten, als ich das persönlich tue. Man kann das wahrscheinlich ändern, aber das wird ein langer Weg. Man muss eine nahezu instinktiven Gerechtigkeitsvorstellung grösserer Bevölkerungsruppen ändern, das wird ein langer Weg.
Gruss,
Thorsten Haupts
Nach den Bewertungsregeln im Erbschaftsteuergesetz darf der anzusetzende Wert nie unter dem Substanzwert liegen. D.h., selbst wenn ein Unternehmen bilanziell überschuldet ist und kurz vor der Insolvenz steht, ist mindestens der Zeitwert der Vermögensgegenstände anzusetzen. Hier steht das Erbschaftsteuergesetz im Widerspruch zum Handelsgesetzbuch, das in Fällen, wo „Going Concern“ nicht mehr gegeben ist, den Ansatz der Zerschlagungswerte vorsieht. Es ist einer der vielen Fälle, wo der Staat sich die Gesetze zu seinem Vorteil zurechtlegt.
Die entscheidende Frage ist, was will der Staat mit der Erbschaftsteuer erreichen. Was hier regelmäßig präsentiert wird, geht an der Realität vorbei. Die meisten wollen sowohl ein hohes Aufkommen als auch Umverteilung. Aber gerade bei der Erbschaft von Unternehmen muss man sich entscheiden. Das können Linke aber nicht.
Das Problem des Firmenübergangs ist doch seit 20 Jahren längst, dass keine geeigneten Nachfolger bereitstehen. Seit Beginn des Jahrtausends sind deshalb sehr viele mittelständische Unternehmen in die Hände von Private Equity (PE) Gesellschaften gewandert. Die managen dies nach meiner Beobachtung sehr gut, allerdings liegt das Ziel fast immer in der Wiederveräußerung, dann meist in größere Konzernstrukturen von ausländischen Marktriesen. Wollen wir das auf Dauer? Wollen wir den Prozess noch befördern?
Nicht wenige Unternehmen sind bilanziell überschuldet. Die Fortführung erfolgt dann auf der Basis von Rangrücktritten der Hauptgesellschafter und Patronatserklärungen. Solche Unternehmen stehen vor dem Exitus, wenn der Staat mit einer spürbaren Erbschaftsteuer um die Ecke kommt.
Das deutsche Problem der geringen Kapitalausstattung zeigt sich auch hier: Ohne die Unterstützung des Gesellschafters hängen viele Kapitalgesellschaften schnell am Fliegenfänger. Und der Staat versucht, Steine und Bauten als Ersatz für ideele Werte zu besteuern. Das kann nicht funktionieren.
1) Ja, da muss man drumrumarbeiten.
2) Daher hohe Freibeträge.
@ Thorsten Haupts 5. Januar 2022, 00:45
1) Deutschlands absolute Stärke sind seine mittelständischen Unternehmen …
2) Ein vielleicht noch gewichtigeres Hindernis ist der Familiensinn. Seinen Kindern etwas zu vererben ist nicht nur ein tiefsitzender menschlicher Instinkt, er stösst auch auf breite Zustimmung in der Bevölkerung …
Volle Zustimmung zu beiden Punkten …
vermutlich könnten meine Frau und ich uns inzwischen in den vorzeitigen Ruhestand begeben und uns entspannt die Welt anschauen, wenn wir uns entschließen würden, alles zu verkaufen bzw. zu verbrauchen. Dann gingen unsere Kinder zwar leer aus, aber wir hätten unseren Spaß.
Gerade im Hinblick auf unsere Kinder halten wir alles zusammen, arbeiten wir weiter, und bezahlen weiterhin unsere Sozialabgaben.
„Weshalb man besser auf eine Reform der Erbschaftsteuer setzen sollte.“
Da gehe ich mit.
Jede Form von Substanz-(Vermögens-)Steuer finde ich – abgesehen von den vielen praktischen Nachteilen – für extrem ungerecht.
Wenn jemand ein Einkommen korrekt und komplett versteuert hat, dann steht ihm der Rest auch unwiderruflich zu. Es ist einfach dreist ein Jahr später wieder zu kommen und zu sagen: „Wie, das versteuerte Einkommen ist immer noch nicht komplett versoffen? Dann bedienen wir uns halt noch einmal.“ Jahr für Jahr wieder, bis das Geld weg ist.
Das hat nichts mehr mit einer gerechten Staatsfinanzierung oder Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zu tun.
Denn die Erträge von Vermögen werden ja bereits versteuert. Ist also nicht so, daß man problemlos von den Zinsen leben könnte.
Aber wenn man sich in seiner aktiven Berufszeit ein Haus angespart hat, dann sollte man das nicht nach wenigen Jahren Rente wieder verkaufen müssen, weil dafür jährliche Vermögenssteuern anfallen. Und der Picasso an der Wand mag Millionen wert sein – aber wenn er keine Erträge bringt, sollte es auch keinen steuerlichen Zwang geben ihn zu verkaufen.
Erbschaften dagegen kann man m. E. im wesentlichen als normales Einkommen besteuern. Vielleicht wg. Progressionseffekt steuerlich auf ein paar Jahre verteilt und mit kleinen Freibeträgen. Aber grundsätzlich erhöht eine Erbschaft die Leistungsfähigkeit und davon kann man dann den normalen Teil abgeben. Da sehe ich überhaupt kein Gerechtigkeitsproblem.
Ist auch bei der Bewertung viel einfacher als jährlich wiederkehrend bei der Vermögenssteuer.
Ja, das finde ich überzeugend. Gleiches gilt übrigens auch für Kapitalerträge. Alle Arten von Einkommen sollten der Einkommenssteuer unterworfen werden und gut.
Ich bin da im „why not both?“-Lager, aber ja, meine Präferenz ist klar eine hohe Erbschaftssteuer ab einem hohen Freibetrag.
1) Bis vor kurzem hatte die LINKE mit Fabio de Masi einen renommierten Steuerexperten. Interessant ist, dass er (auch beispielhaft für manch andere) wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Medien gerne das Klischee „Linke können nicht mit Geld umgehen“ pflegen. [Dass dadurch die Jungs aus Fundstück 2 in Ruhe die Gesetze ‚vorschreiben‘ können, ist jetzt ein böses Gerücht, das ich gerne verbreite]
2) Dass die öffentlichen Universitäten auch politisch heterogen sind (wenn auch gebildete Menschen Anfang 20 eine Neigung zu [linkem] Idealismus haben sollten), bestreitet kaum jemand. Dass du allerdings ein privates Think-Tank Institut als Exempel dafür zitierst, geht am Thema vorbei. Interessant ist bei dem Fundstück, dass wieder einmal die Mont Pelerin Society mit involviert ist.
4) Kondome schützen nicht nur vor AIDS sondern auch vor anderen Geschlechtskrankheiten sowie Schwangerschaften. Es wäre nicht wünschenswert, wenn sie drastisch an Beliebtheit verlieren.
5) Der SZ-Artikel trifft die damalige Zeit sehr gut. Du hast da aber auch den Unterschied – die ‚Maßnahmen‘ der CSU damals betrafen eine (seinerzeit noch als unnormal wahrgenommene) Minderheit (Razzia im Saunaclub), heute ist die Allgemeinheit betroffen (Razzia beim Kindergeburtstag). Und es gab dann den Backlash der öffentlichen Meinung, der zur Solidarisierung und dauerhaften (weitgehenden) Akzeptanz dieser Minderheit führte. Das ist heute nicht gegeben: Ein guter Teil der Polarisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft lässt sich auf den Sündenbockreigen (feierwütige Jugendliche, Querdenker, Auslandsreisende, Ungeimpfte) zurückführen.
7) Kleine Korrektur: weniger schwankende Pegelstände als vielmehr das wärmere Flusswasser ist ein Problem für Kernkraftwerke. Sommer 2018 mussten AKWs die Leistung drosseln, weil sonst das Kühlwasser die Flüsse zu sehr aufgeheizt hätten.
8) Der letzte Satz im zitierten Abschnitt ist vielleicht der wichtigste: Das beste Mittel gegen Angst ist Vertrauen, in diesem Fall Vertrauen in das Funktionieren der Institutionen. Und da muss man einfach sagen, dass es nicht nur mediale Präsentation ist, sondern auch die Schwierigkeiten, mit Krisen zielgerichtet umzugehen ist, die dieses Vertrauen in vielen westlichen Ländern untergräbt.
1) Ja, spielt mit rein.
2) Das bestreitet hier unter anderem Stefan Pietsch ziemlich offensiv. – Stimmt natürlich.
4) Ja, sehe ich ähnlich. Ich habe weniger einen Wunsch formuliert als mögliche Entwicklungen aufgezeigt.
5) Die Razzia am Kindergeburtstag ist doch kein Betroffen sein der Allgemeinheit. Das ist so gut wie nicht vorgekommen. Davon waren vermutlich weniger Leute betroffen als bei den homophoben Maßnahmen damals.
7) Danke!
8) Ja, das hab ich hier ja schon öfter beschrieben.
@ Thorsten Haupts
„Gestaltet man eine Erbschaftssteuer ausreichend ertragreich (nur dann macht sie Sinn), zerschlägt man vermutlich unausweichlich diese MUs.“
Keinesfalls. Man kann die Erben ja vor die Wahl stellen: Entweder sie zahlen die fällige Erbschaftsteuer, oder ein Erbschaftsfonds des Staates erhält einen Anteil am Unternehmen.
Klar ist, dass die steuerliche Privilegierung ausgerechnet von Erbschaften aufhören muss. Am liebsten wäre mir, Erbschaften (und natürlich Schenkungen!) wie normales Einkommen zu behandeln. Das wäre eine wirkliche Revolution.
Der Staat hat sich in der Vergangenheit als sehr schlechter Unternehmer herausgestellt. Das ist das, was Thorsten Haupts eben als Nachteil skizziert hat: Es macht ja keinen Sinn mittelständische Unternehmen einfach zu zerschlagen.
Erbschaften sind kein Einkommen. Einkommen ist definiert als regelmäßiger Zufluss von Finanzmitteln. Weder fließen Erbschaften regelmäßig, nämlich meist nur einmal im Leben, noch sind es Finanzmittel. Es handelt sich um Vermögen und Erbschaften sind Vermögensübertragungen wie der Erwerb einer Immobilie oder eines Unternehmens. Würde auf alle Vermögensübertragungen der normale Einkommensteuersatz erhoben, wäre das der perfekte Weg, sie zu verhindern.
„Es macht ja keinen Sinn mittelständische Unternehmen einfach zu zerschlagen.“
Absolut.
Aber eine sinnvoll berechnete Erbschaftssteuer würde nichts zerschlagen.
Und die sinnvolle Bewertung würde ich am normal erwartbaren ausschüttbaren Durchschnittsertrag festmachen. D.h. die vererbte Firma ist so viel wert wie eine reine Finanzinvestition, die bei ähnlichem Risiko diesen Jahresertrag erbringt. Und bei Jahresertrag muß natürlich berücksichtigt werden, daß ein angestellter Manager die Funktionen des bisherigen Inhaber-Chefs übernimmt.
Etwa zu diesem Betrag müßte der Erbe die Firma verkaufen können, wenn er sie nicht weiterführt (womit der Vorteil der Inhaberführung ohnehin wegfiele). Und dieser Verkaufserlös ist für ihn nutzbares Einkommen, daraus kann er auch Erbschaftssteuer bezahlen. Schadet der Firma überhaupt nicht.
Führt der Erbe die Firma weiter, dann kann er problemlos einen Kredit aufnehmen, um die Steuer zu bezahlen. Die Erträge der Firma bedienen den Kredit problemlos und ohne die Firma zu belasten – und für sich selber hat er das Geschäftsführergehalt.
Eine solche Bewertung wäre nicht ganz einfach, aber grundsätzlich ist das Instrumentarium aus dem M&A-Geschäft bekannt.
Es wäre fair und würde die Weiterführung der Firmen sichern, aber natürlich nicht so viel Ertrag bringen wie von den Linken erhofft.
„Einkommen ist definiert als regelmäßiger Zufluss von Finanzmitteln.“
Nein. Unregelmäßige Einkünfte sind selbstverständlich auch normal einkommenssteuerpflichtig. Und nicht-monetäre Einkünfte (z. B. Sachschenkungen) sind es auch.
Das wesentliche Problem bei Unregelmäßigkeit ist, daß die Progression hier ungerecht zuschlägt. Deswegen sollten da ohnehin Verteilmöglichkeiten eingeführt werden – die dann auch bei Erbschaften sinnvoll sind.
„Erbschaften sind Vermögensübertragungen wie der Erwerb einer Immobilie oder eines Unternehmens.“
Aber wirklicht nicht. Ein Kauf ist ein Tausch zweier gleichwertiger Sachen. Ich kaufe ein Haus und gebe dafür den entsprechenden Geldbetrag – habe also keinen Vermögenszuwachs und daher kein Einkommen zu versteuern.
Ein Erbe ist eine Vermögensübertragungen ohne Gegenleistung, also einem Geschenk gleichzusetzen. Und Geschenke sind selbstverständlich einkommenssteuerpflichtig.
Zitat R.A.
„Und nicht-monetäre Einkünfte (z. B. Sachschenkungen) sind es auch.“
SachBEZÜGE ja, Schenkungen nicht. Für Letztere gibt es ja wiederum jenes Ding, das offiziell „Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz“ heißt.
Das Steuerrecht kreiert halt seine eigenen Definitionen. Alles, was in die die „Einkunftsarten“ nicht reinpasst (z.B. der lange erwartete Lottogewinn) bleibt außen vor – egal, wie die Ökonimiker das außersteuerlich nennen mögen. Alles, was sachlich reinpasst wiederum sind „Einkünfte“ – auch wieder egal, wie die Beteiligten das nennen.
Zitat:
„Und Geschenke sind selbstverständlich einkommenssteuerpflichtig.“
Ne, is nicht, IMHO, wenn es sich tatsächlich um eine „freigebige Zuwendung“ handelt; das ist steuerfrei. Falls der Tatbestand „soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird“ hinzukommt, kommt die Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Zuge.
Weil Letztere i.d.R. massiv günstiger ist, könnte man zwar beispielsweise behaupten, das Weihnachtsgeld für den Arbeitnehmer sei eine Art „Geschenk“, aber fantasievolle Deklarationen sind steuerrechtlich nutzlos 🙁 und „freigiebig“ wird gaaaanz eng ausgelegt.
@ Stefan Pietsch
„Der Staat hat sich in der Vergangenheit als sehr schlechter Unternehmer herausgestellt.“
In der Tat. Politiker und Behörden dürfen keinen Zugriff haben. Ich würde so einen Staatsfonds in einer geeigneten Form öffentlich-rechtlich und mit möglichst umfassender Bürgerbeteiligung organisieren. Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn neu hinzukommende Anteile möglichst schnell wieder verkauft werden. Aber das sind schon verfrühte Detailplanungen.
„Erbschaften sind kein Einkommen.“
Noch nicht. Natürlich wären erhebliche rechtliche Umstellungen nötig, aber es gibt exakt an dieser Stelle eine massive Gerechtigkeitslücke, die geschlossen werden muss. Niemand versteht, warum Erbschaften steuerlich derart privilegiert werden. Die aktuelle Situation ist geradezu vulgär. Und das sage ich als ziemlich überzeugter Neoliberaler.
Die massive steuerliche Benachteiligung des durch eigene Arbeit geschaffenen Vermögenszuwachses gegenüber dem ohne eigene Leistung durch Erbschaft erworbenen müsste Liberalen eigentlich unerträgliche kognitive Dissonanzen bescheren.
@ CitizenK
Das ist richtig, und leider erkennen sehr viele Liberale nicht, dass sie exakt an dieser Stelle unglaubliches Wählerpotential haben.
Aha? Wo ist denn das große Wählendenpotenzial von „FDP, aber mit Erbschaftssteuer“?
Sie wollen die massive steuerliche Benachteiligung beibehalten. Das ist Ihre langjährige Position hier.
Liberale halten noch etwas anderes ganz hoch: Das Recht auf Eigentum. Das schließt die Verfügungsmacht über dieses Eigentum ein, also die Übertragung auf andere Menschen.
Genau das ist die Achillesferse praktisch aller liberalen Denker: Sie halten Eigentum quasi für etwas Gottgegebenes. Dabei ist Eigentum eine staatliche Funktion, die beliebig definiert werden kann.
Die Achillesferse der Linken hingegen ist der Glaube, es gäbe so etwas wie ein gottgegebenes Primat der Gemeinschaft über das Individuum.
Beides sind unbegründete (und übrigens auch unbegründbare) Irrtümer.
Dabei ist Eigentum eine staatliche Funktion, die beliebig definiert werden kann.
Wenn das so wäre, bräuchte das Eigentum nicht grundgesetzlich vor dem Zugriff des Staates geschützt werden. Er kann ja jederzeit die Definition ändern, was unter den Schutz von Artikel 14 fällt und was nicht.
Er meinte das eher philosophisch als im Rahmen des GG, das offensichtlich das Eigentum schützt.
Das hoffe ich nicht, es würde das Statement nur schlimmer machen. Die Universal Declaration of Human Rights der UN sagen in Artikel 17:
1. Jeder hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.
2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.
Von „Eigentum ist staatliche Definitionssache“ steht da nichts. Man kann prinzipiell Eigentum an allem haben, auch die Wälder und Seen sind mit einem Eigentumstitel umrissen.
Nein, Eigentum ist keine staatliche Funktion.
Indes sind bestehende Staaten die Voraussetzung auch dieser Erklärung. Ohne bestehende Staaten gäbe es keine UN. Die Präambel bezieht sich ausdrücklich auf „Member States“. Eigentum ist demnach etwas, was Staaten zu gewährleisten haben (mit zulässigen Einschränkungen, die Sie möglicherweise vergessen^), also eine staatliche Funktion bzw. ein Gegenstand der Rechtsordnung, die es ohne Staat nich geben würde.
Da wo Rechte sind gibt es immer ein Gebilde, das man/frau – mindestens rudimentär – als STAAT bezeichnen kann. Der andere Fall wäre Willkür ohne Recht oder auch ein rein moralischer Anspruch, der einem aber ohne Rechtsordnung nichts nutzt, weil nicht durchsetzungsfähig.
Der Staat definiert aber nicht Eigentumsrechte. Und ansonsten gibt es auch Eigentum ohne Staat. Erinnern Sie sich nur an Ihre Kindheit.
Der Staat hat Eigentum zu gewährleisten, damit die Leute sich nicht selbst um die (gewaltsame) Sicherung kümmern müssen. Ansonsten hat der Staat keinen höheren Zweck. Wie bei anderen Grundrechten auch: Ehe und Familie, Religion, Verträge und Bündnisse gab es auch immer jenseits der Organisation namens Staat.
Sorry, Dennis, aber Eigentum existierte vor jeder Form eines Staates. Es musste gegebenenfalls blutig verteidigt werden, aber es wurde nicht durch einen Staat gewährleistet, sondern durch Leute, die Eigentum in Form von Land urbar machen, instandhalten und mit physischer Gewalt gegen andere sichern konnten. Der Staat war historisch VIEL später, selbst wenn man die sumerischen Städte schon als „Staaten“ betrachtet.
Anders herum wird ein Schuh draus – bisher sind historisch alle Staaten krachend gescheiter, die es nicht schafften, Eigentumsrechte ihrer Subjekte zu sichern. Und das bezieht sich mitnichten nur auf alle Spielarten des Sozialismus im 20. Jahrhundert, sondern ist eine historische Konstante. Die Grunderwartung der grossen Mehrheit von Menschen an „Staatsführer“ war, ist und bleibt innere und äussere Sicherheit.
Gruss,
Thorten Haupts
Erneut, du missverstehst das Argument. Die ganzen Menschen- und Bürgerrechte existieren alleine durch staatliche Garantie, also staatliche Funktion. Sie sind, wie ich schrieb, der triumphale Höhepunkt des Liberalismus. Aber wie die Geschichte vor 1945 und in zahlreichen Ländern heute zeigt, ist das Recht auf Eigentum alles, aber kein Naturgesetz.
Zitat:
„Der Staat definiert aber nicht Eigentumsrechte. Und ansonsten gibt es auch Eigentum ohne Staat. Erinnern Sie sich nur an Ihre Kindheit.“
Inanspruchnahme von Besitz ist kein Eigentum. Der Unterschied ist keineswegs trivial.
Wer ist denn derjenige, welcher die viel besungenen einschlägigen GG-Artikel aufgeschrieben hat, wobei es sich um „geltendes Recht“ handelt? Definieren heißt übrigens übersetzt begrenzen.
Eine tatsächliche Herrschaft ist etwas anderes als eine rechtliche Herrschaft. Sie schreiben ganz richtig „Eigentumsrechte“, was eigentlich doppelt gemoppelt ist, denn Eigentum hat einen rechtlichen Charakter und NICHT lediglich einen tatsächlichen.
Zitat T. Haupts:
„Die Grunderwartung der grossen Mehrheit von Menschen an „Staatsführer“ war, ist und bleibt innere und äussere Sicherheit.“
Stimmt. Heißt konkludent, dass es überhaupt einen Staat gibt, ist eine Grunderwartung. Meine Rede. Deswegen gibt’s diese S-Dinger ja auch überall, wenngleich in verschiedenen Ausprägungen.
Eigentum zu konstituieren (Recht) ist IMHO ja auch keine dumme Idee, sondern ’ne kluge.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Ist doch ganz einfach. ich habe keine Einwendungen.
Eigentum zu konstituieren …
ist nach meiner Auffassung bereits ein Gedankenfehler. Ein vor Staaten existierendes Recht wurde hier lediglich kodifiziert. Wo das nicht geschähe, hätte ich mit bewaffnetem Widerstand 0 Probleme – dass Eigentum ein Rechtstitel im Rechtssystems eines Staates wird, ist eine conditio sine qua non für die Legitimität dieses Staates. Weshalb es auch heute in genau keinem Staat überhaupt Wahlen gibt, der dieses Recht nicht anerkannt und kodifiziert hat.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich rede nicht von Besitz. Ich rede von Eigentum. Die Unterscheidung ist nur staatlich determiniert. Eigentum ist die Verfügungsmacht über eine Sache, Besitz auch. Doch auch ohne Staat können Rechtstitel erworben, gehalten und weitergegeben werden, archaische Gesellschaften sind da ganz gut darin.
Sie sind nach meiner Erfahrung rechtlich so firm, die Abstufung des Artikels 14 juristisch bewerten zu können. Und zwar so, wie sie gemeint ist und wie Juristen sie lesen.
@Stefan
Auch ohne staatliche Garantien haben die Menschen immer Familien gegründet und Koalitionen geschmiedet. Frag‘ die Jungs von der Volksfront Judäa.
Der Staat gibt dem in modernen Gesellschaften einen rechtlichen Überbau, das dies Auslebung der Rechte leichter handhabbar und lebbar macht. Das ist die Leistung, nicht jedoch, die Freiheitsrechte erst zu schöpfen.
@Thorsten Haupts
Ich finde ihre Replik an Dennis besonders klar und deutlich.
@Stefan Pietsch:
Merci, gerne :-).
Was heißt Irrtümer? Es sind Denk- und Wertesysteme, die können nicht „richtig“ oder „falsch“ sein.
Nein. Liberales Kernprinzip ist freie Verfügbarkeit über eigentum. Erbschaftssteuer ist grundsätzlich unliberal.
Ich hatte dazu mal einen Artikel verfasst. Ich lasse den mal zur besseren Einordnung hier.
http://www.deliberationdaily.de/2017/07/raubritter-auf-der-jagd-nach-erben/
Ich würde so einen Staatsfonds in einer geeigneten Form öffentlich-rechtlich und mit möglichst umfassender Bürgerbeteiligung organisieren.
Bitte nicht! Wie das aussieht, haben wir beim BER erlebt.
2008 beteiligte sich der deutsche Staat an der Commerzbank. Bis heute ist er beteiligt, der Aktienkurs im Keller, die Profitabilität hat sich weit schlechter als bei der Deutschen Bank entwickelt. Das funktioniert in Deutschland nicht. Genau deshalb hat der Bundesfinanzminister auch davor zurückgescheut, sich bei der Lufthansa als Teilhaber einzukaufen. Nur Darlehen, kein Einfluss auf das operative Geschäft, keine Beteiligung. Das linke Spektrum hat getobt.
Wieso sind Erbschaften steuerlich privilegiert?
Ein Beispiel: jemand betreibt ein Unternehmen, mehr schlecht als recht. Bilanziell ist es überschuldet, die Erträge über ein Jahrzehnt so, dass er nur im mittleren Einkommensbereich steuerpflichtig ist. Damit das Unternehmen über Wasser bleibt, gibt er Patronatserklärungen ab. Immerhin baut er einen ordentlichen Kundenstamm auf.
Dann bietet ihm ein Konkurrent einen Preis weit jenseits des Höchstbetrages der Einkommensteuer. Er will vor allem den Kundenstamm ausbeuten. In Ihrem Modell müsste dieser Mann jetzt die Hälfte des Kaufpreises versteuern, obwohl er danach keine erwerbsmäßige Beschäftigung mehr hat. Statt einer Million hat er nur eine halbe Million.
Das kann nicht gerecht sein. Der Wert des Unternehmens wurde über 10 Jahre aufgebaut, nicht in dem Jahr der Veräußerung. Der Einkommensteuer sind aber laufende „Erträge“ zu unterwerfen. Ein einmaliger Kauferlös ist nach allen Regeln der internationalen Handelsgesetzgebung wie des nationalen und internationalen Steuerrechts kein „laufender Ertrag“. Wenn, dann wäre dieser Ertrag auf mehrere Jahre zu verteilen.
Unterschied zwischen Vermögensübertragung und Einkommen.
Mir fällt es sehr schwer zu beurteilen, wie groß das Hindernis hier mit den Unternehmen wirklich ist. Ich hör immer beide unterschiedliche Argumentationen, und einleuchtend klingen beide.
Ich würde eine faire Erbschaftsbesteuerung gar nicht auf Unternehmensanteile beschränken. Auch die Vererbung von kleineren Vermögen oder insbesondere Immobilien wird dermaßen privilegiert, dass es uns allen die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte. Alle Einkommen, Erbschaften und Schenkungen zusammenrechnen, ordentlichen Freibetrag abziehen, darauf dann den Steuersatz anwenden, fertig. So muss ein gerechtes Steuersystem aussehen. Aktuell privilegieren wir gewisse Einkünfte nur, weil sie einmalig anfallen. Das soll ernsthaft ein Grund sein? Wir finden das nur deshalb nicht gaga, weil wir hier wahrscheinlich alle selbst davon profitieren.
Manchmal habe ich den Eindruck, wir haben folgende Schutznorm im Grundgesetz: „Ehe und vermögende Familien stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“.
@ Tim 5. Januar 2022, 10:28
Keinesfalls. Man kann die Erben ja vor die Wahl stellen: Entweder sie zahlen die fällige Erbschaftsteuer, oder ein Erbschaftsfonds des Staates erhält einen Anteil am Unternehmen.
Auch das vernichtet auf Dauer die Unternehmen. Das Risiko liegt weiterhin ausschließlich beim Unternehmer, nicht beim Staat (den juckt es nicht, wenn ein paar Dutzend Unternehmen pleite gehen, an denen er Anteile hat; im Zweifelsfall hat der Unternehmer schlecht gewirtschaftet). Zukünftige Gewinne würden allerdings anteilig an den Staat gehen (der nichts dazu beigetragen hat, sie zu erwirtschaften), das Geld würde dem Unternehmen fehlen.
Der Staat könnte dann (in Abhängigkeit von an der Regierung beteiligten Parteien) in finanziellen Notlagen versucht sein, bestimmte Unternehmensteile oder auch Branchen zu verkaufen, oder sich bestimmte Vorgaben ausdenken, die für derartige Unternehmen mit „Staatsbeteiligungen“ gelten.
Klar ist, dass die steuerliche Privilegierung ausgerechnet von Erbschaften aufhören muss. Am liebsten wäre mir, Erbschaften (und natürlich Schenkungen!) wie normales Einkommen zu behandeln. Das wäre eine wirkliche Revolution.
Wenn ich als Arbeitgeber meinen Angestellten Gehälter zahle, kann ich die als Kosten von der Steuer absetzen. Wenn mein Vermögen, dass ich an die Kinder weiterreichen möchte, dort wie Arbeitnehmergehalt versteuert werden soll, möchte ich die Kosten etwa für Hauskauf, jahrzehntelangen Unterhalt oder Modernisierungen auch von der Steuer absetzen können.
Wir finden das nur deshalb nicht gaga, weil wir hier wahrscheinlich alle selbst davon profitieren.
Zumindest ich absolut nicht!
Ich finde es übrigens im Gegenteil eher gaga, davon auszugehen, eine Gesellschaft dürfe sich schamlos aus der Erbschaftsmasse eines Individdums bedienen, dass diese Erbschaftsmasse legal und versteuert zusammengebracht hat. Wie kommen Sie oder ich dazu, Zugriff auf ein Vermögen zu fordern, dass der Erblasser uns freiwillig nicht überlassen wollte?
Ich bin trotz dieser Grundsatzüberlegung immer mal wieder für eine echte Erbschaftssteuer. Aber selbst dann bitte so gestaltet, dass die Elternhäuser und die vererbten Unternehmen nicht sofort verkauft werden müssen, um die Steuer zu bedienen.
Die Vorstellung, ich oder das kollektive Ich einer Gesellschaft hätten gegenüber einem toten Individuum und seinem Eigentum irgendwelche begründungslos automatisch einsetzenden Rechte, finde ich obszön. Erst einmal bestimmt der Erblasser, was mit seinem Erbe geschieht, es ist sein Eigentum! Der Staat (die Gesellschaft) können das natürlich besteuern – aber das einzige konfliktfreie und seriöse Argument dafür ist schlicht die Notwendigkeit der Finanzierung der von Mehrheiten gewollten Staatsaufgaben, alles andere ist Besinnungsprosa.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ich verstehe deine Haltung. Ich möchte dir aber als Gegenhaltung anbieten, dass die Vorstellung, ein Individuum könnte über seinen Tod hinaus bestimmen, was mit seinen weltlichen Gütern geschieht, ebenfalls als obszön gewertet werden könnte. Ich meine, ja, das ist mittlerweile eine lange Tradition, dass man das so betrachtet, aber es ist kein Automatismus. Mir steht nicht aus göttlichen Gründen das Haus meiner Eltern zu (auch wenn ich es natürlich gerne nehme). Aber meines Wissens nach fordert auch niemand eine Erbschaftssteuer, die irgendwie das geerbte Haus wegnimmt. Ich würde die Grenzen bei mehreren hunderttausend Euro ansetzen, irgendwie zwischen 400k und 600k pro Individuum, aus dem Bauch raus. Wenn das ererbte Haus mehr wert ist, sorry, dann musst den Rest eben versteuern. Das ist bei so einem windfall echt ok.
Der Ursprung dieser „obszönen“ (sehr schönes Wort, trifft es gut) Vorstellung liegt vermutlich übrigens in der Angewohnheit bronzezeitlicher Herrscherfamilien, Regionen als ihr Eigentum zu betrachten, das dann an einen Spross übergeht. Wir haben uns an das Prinzip gewöhnt, aber es ist und bleibt obszön. Übrigens auch bei Werten zwischen 400k und 600k.
… Angewohnheit bronzezeitlicher Herrscherfamilien, Regionen als ihr Eigentum zu betrachten, das dann an einen Spross übergeht.
Das ist schlicht historischer Unsinn.
@ Tim 5. Januar 2022, 17:23
… aber es ist und bleibt obszön. Übrigens auch bei Werten zwischen 400k und 600k.
Philosophisch verklärter Neid.
Ich meine, ja, das ist mittlerweile eine lange Tradition, dass man das so betrachtet, aber es ist kein Automatismus.
Ach ja? Zeigen Sie mir als Historiker eine einzige Zivilisation in den vergangenen 5.000 Jahren, die das über einen längeren Zeitraum (mehrere Generationen) anders gesehen hat und ich folge Ihrem gedankengang aufmerksam.
In dem Moment, wo Sie Menschen erklären, dass sie für die Erbschaftssteuer für das Haus und Grundstück ihrer Eltern dieselben verkaufen müssen, haben Sie das Argument verloren. Das ist eine Menschheitskonstante seit Hammurabi.
Gruss,
Thorsten Haupts
“ Zeigen Sie mir als Historiker eine einzige Zivilisation in den vergangenen 5.000 Jahren, die das über einen längeren Zeitraum (mehrere Generationen) anders gesehen hat …“ Die katholische Kirche des Mittelalters in ihren internen Strukturen, die man durchaus als eigenständige Zivilisation der Epoche sehen kann ( eigene Territorien, eigene Sprache, eigene Bräuche und Gesetze). Der Zölibat wurde nur eingeführt, um den Gedanken an Erbfolge zu verhindern.
@ cimourdain 7. Januar 2022, 15:13
Die katholische Kirche des Mittelalters in ihren internen Strukturen, die man durchaus als eigenständige Zivilisation der Epoche sehen kann ( eigene Territorien, eigene Sprache, eigene Bräuche und Gesetze).
Mehrfach nein. Die Sprache war altrömisch (= Latein), und wird auch heute noch (eingeschränkt) in der Medizin benutzt. Viele Kirchfürsten waren auch weltliche Fürsten, viele Kirchenfürsten hatten Nachwuchs, der durchaus versorgt wurde. KEIN Kirchenfürst hat sich seinen Wohlstand selbst aufgebaut, die Besitzungen waren nicht Eigentum, sondern kirchliche Lehen.
KEIN Vergleich etwa mit meinem Haus, dass ich von vorne bis hinten aus den Erträgen meiner Arbeit selbst bezahlt und teilweise mitgebaut habe.
Und die Kirche war ja auch nur sehr eingeschränkt tatsächlich international übergreifend wirkmächtig.
@ Stefan Sasse 5. Januar 2022, 16:58
Ich möchte dir aber als Gegenhaltung anbieten, dass die Vorstellung, ein Individuum könnte über seinen Tod hinaus bestimmen, was mit seinen weltlichen Gütern geschieht, ebenfalls als obszön gewertet werden könnte.
Wie weit sollte das greifen? Alles, was ich je erwirtschaftet habe, verfällt mit meinem Tod? oder nur, was zum Zeitpunkt meines Todes sich in meinem Besitz befindet? Und wenn ich über meinen Tod hinaus nicht über mein vermögen bestimmen kann, warum kann dann ein beliebiger anderer über meinen Tod hinaus mein Eigentum verfügen? Der Staat, weil er er Staat ist?
Mir steht nicht aus göttlichen Gründen das Haus meiner Eltern zu …
Abgesehen davon, dass es keinen Gott gibt (nur individuelle Vorstellungen von Gott, aber das ist eine andere Diskussion) – wem sonst? Der Gemeinschaft? Warum?
Ich würde die Grenzen bei mehreren hunderttausend Euro ansetzen, irgendwie zwischen 400k und 600k pro Individuum, aus dem Bauch raus. Wenn das ererbte Haus mehr wert ist, sorry, dann musst den Rest eben versteuern.
Wie immer zieht jemand eine Grenze, die über dem liegt, was er selbst hat, und schickt andere Leute zur Zahlstelle.
Ich habe kein alternatives Wertesystem anzubieten, ich will nur anmerken, dass es keinen Automatismus für die ultraliberale Variante dieses Dilemmas gibt.
@ Thorsten Haupts
„Wie kommen Sie oder ich dazu, Zugriff auf ein Vermögen zu fordern, dass der Erblasser uns freiwillig nicht überlassen wollte?“
In dieser Fokussierung nur auf den Erbfall ergibt die Frage wenig Sinn, ich formuliere sie mal gemäß ihrem Kerngehalt: Wie kommt der Staat dazu, Steuern zu erheben, die wir ihm nicht freiwillig überlassen wollen?
Das ist eine sehr gute Frage, die aber wahrscheinlich den Rahmen dieser Diskussion sprengen würde.
Sorry, bisschen spät
3)
In den richtigen Strukturen kann ich auch mit 50 noch gewalttätig und aktiv sein, man denke nur an Bikerclubs.
Gar nicht mal, es ist meistens nur nicht mehr in so großen Gruppen wie das bei eher jüngeren Hooligans oder „Krawalltouristen“ ist. Aber denk mal an den Lübcke-Mord, da trifft das auf jeden Fall zu. Oder hier nebenan in Fischerhude gabs ja auch gerade einen Doppelmord, da ist der mutmaßliche Täter 64.
https://www.t-online.de/region/bremen/news/id_91423624/bremen-fischerhude-neue-details-nach-leichenfunden.html
Die größte Gemeinsamkeit ist halt, dass es ein männliches Problem ist und so allein begangene „Amoktaten“ o.ä. fast nie zu verhindern sind, da kann man eigentlich froh sein, dass die Querdenker noch ganz gut vernetzt ist, man müsste das halt nutzen. Wenn man überlegt, dass in HH eine Hausdurchsuchung gestartet wird, weil irgendein Honk Andy Grothe im Internet Pimmel genannt wird, man hier aber die Hände über den Kopf wirft, kriegt man ja einen zuviel.
4&5) AIDS
Man muss das positiv sehen, immerhin betreibt Gaschke jetzt medialen Aktivismus und ist nicht mehr Bürgermeisterin von Kiel^^ Und ja, HIV ist nur schwer vergleichbar mit Corona, aber trotzdem waren die Auswüchse damals bedrückend.
Und bei den guten Nachrichten: da müssen wir unsere deutsche Blase auch mal verlassen, das ist für den Rest der Welt – v.a. Afrika und Asien – viel viel wichtiger, wo die Zahl der Infizierten krass hoch ist und der Zugang zu Medikamenten ebenso krass klein. Da könnte eine Impfung gegen AIDS vermutlich wirklich mit der von Polio oder Diphterie vergleichbar sein.
6) Flug-Slots
Same procedure… der größte Witz ist doch, dass das Problem 2020 bereits aufgetaucht ist, dann gelöst wurde weil ja Corona und man natürlich genau wieder reinrasselt, weil Pandemie ja vorbei und konnte ja keiner ahnen. Auch angesichts Naturkatastrophen oder anderer Vorkommnisse (Bürgerkrieg oder so) wäre ein aktivierbares Gesetz dazu vermutlich ganz gut, beim Vulkanausbruch in Island war das vermutlich egal, weil es ja ein richtiges Flugverbot gab, egal ob mit oder ohne Passagiere.
7) Energie
Das Problem haben übrigens alle Parteien, dass sämtliche Energie-Gewinnungsarten politisch und ideologisch aufgeladen sind, das ist kein grünes Problem. Das haben wir ja mit der Kohle genauso. Lustigerweise sogar mit Erdgas, obwohl nur über Bande wegen Russland. Und das gilt auch für AKWs, die ganze Diskussion kommt mir wie eine Nostalgieveranstaltung vor, wie damals als alle plötzlich die D-Mark wiederhaben wollten. Der Zug ist abgefahren und hier in Deutschland würde man doch dreimal kein neues AKW irgendwo hinbauen können, wir kriegen ja nicht mal den Müll unter und die sind auch einfach zu unflexibel und werden dann eben auch noch gefährlich als einfach nur gerade keinen Strom zu liefern (wie ein Wasserkraftwerk bei zu niedrigem Wasserstand zb).
3) Korrekt.
4/5) Good point.
6) Das meine ich.
7) Exakt.
4 & 5 )
Gaschke ist Konvertitin und führt jetzt einen Rachefeldzug gegen ihre ehemalige Kirche, von der sich sich im Hinblick auf die damalige „Affäre“ schofelig behandelt fühlte, wobei Letzteres ja stimmen kann. Parteifreunde sind halt Freunde besonderer Art^ und SH ist halt eh ein klassisches Polit-Skandal-Land 😉
O-Ton Gaschke früher mal, vor der Konversion (damals, 2012, noch bei der ZEIT):
Welt Online: Sind Sie eine Gesinnungs- oder Verantwortungsethikerin? Schröders Reformagenda war ein riesiger Erfolg, auch für die sozial Schwachen, die dadurch in Arbeit kamen, aber für die Gesinnungsethiker in der Partei ein Albtraum. Wo stehen Sie?
Gaschke: Das ist eine politische These von Ihnen, dass es so war mit der Hartz-Reform. Die Agenda 2010 war zusammengewürfeltes Sammelsurium von Maßnahmen, von der Gebäudesanierung bis zur Reform der Handwerksordnung. Die jetzt angestrebten Veränderungen an dieser auch handwerklich an vielen Stellen schlechten Reform machen Sinn. Zudem war der überschießende rhetorische Neoliberalismus bei Schröder ein Problem.
Welt Online: Die „Zeit“ gilt wie die „SZ“ als liberale Zeitung. Dennoch wird in diesen Medien „neoliberal“ als Schimpfwort benutzt. Warum?
Gaschke: Ich benutze es umgangssprachlich. Es ist synonymisch für eine Haltung, die herzlos streicht und glaubt, dass Sparen prima sei. Und die glaubt, dass „Grausamkeiten“ etwas an sich Gutes sind.
Gaschke ist Konvertitin und führt jetzt einen Rachefeldzug gegen ihre ehemalige Kirche …
Yup. Das war eine 100%ige, ich wusste jeweils schon vor ihren Wortmeldungen fast wortgenau, was sie sagen wollte.
Aber jetzt fühlt sie sich seit längerem verraten und misshandelt (ausgerechnet in der Politik, was viel über ihren Realitätssinn verrät) und hat ihr Mäntelchen in einen anderen Wind gehängt. Bah. Genau die Sorte Leute, die ich verabscheue.
Gruss,
Thorsten Haupts