Ampel unter Spannung

Die neue Bundesregierung ist gerade seit einem Monat im Amt, das politische Berlin liegt noch im Neujahrskater, womit es zu früh ist für eine erste Bewertung dieser ungewöhnlichen Koalition. Und dennoch zeichnen sich Grundlinien ab, die über den Erfolg der Kanzlerschaft von Olaf Scholz entscheiden werden. Denn erstaunlicherweise zweifeln schon am Anfang viele Deutsche an der Dauerhaftigkeit der Ampel, zu widersprüchlich ist sie zusammengesetzt. Und alle Protagonisten haben mit den ihnen so eigenen Problemen zu kämpfen.

Lesedauer: 6 Minuten

Als Robert Habeck vor einem Monat den vorläufigen Verzicht auf Lockdown-Maßnahmen verteidigte, war ihm anzusehen, wie sehr sein Statement seiner inneren Einstellung widersprach. Zehn Tage danach ging Christian Lindner gemessenen Schrittes, wie von einer Zentnerlast gedrückt zum Rednerpult im Deutschen Bundestag. Die Rede, die der rhetorisch begnadete Bundesfinanzminister hielt, las er Wort für Wort vom Blatt ab. Was der Chef-Liberale da zum Nachtragshaushalt vortrug, stand so völlig im Gegensatz zu seinen früheren Äußerungen. Inhaltlich ging es um die Umwidmung der vom Parlament bisher gebilligten Krisenkredite in eine Notreserve für klimapolitische Maßnahmen. Optisch war es wie zuvor bei Habeck ein Bild der Selbstdisziplin.

Es begann schon vor den Koalitionsverhandlungen. In der Woche nach der Bundestagswahl trafen sich Habeck und Lindner zusammen mit ihren Adjutanten Baerbock und Wissing zu einem konspirativen Gespräch, von dem außer einem selbstgeschossenen Selfie nichts nach außen drang. Die Union erledigte sich in den ersten Vor-Sondierungsgesprächen praktisch selbst, in dem die Inhalte in Echtzeit bei der BILD erschienen. Vertraulichkeit ist in diesen Tagen die scheinbar wichtigste Währung. So ging es fort in den Koalitionsverhandlungen zur ersten Ampelregierung auf Bundesebene. Obwohl 300 Politiker an den wochenlangen Gesprächen beteiligt waren, hatten die Hauptstadtjournalisten nur Brosamen zu berichten. Nicht einmal die Menükarte wurde publik.

Der anschließende Ärger über die geschlossenen Kompromisse hielt sich in sehr überschaubaren Rahmen. Die Vertreter von SPD und FDP nickten die Vereinbarungen völlig geräuschlos ab und selbst bei den Grünen kam das Murren nur von den Rändern und der radikalen Jugendorganisation. Das ist eigentlich erstaunlich, denn was da vereinbart wurde, steht doch im Kontrast zu vielen Grundüberzeugungen. Dennoch, kein schlechtes Wort über den jeweiligen Partner, der zu solchen Kompromissen nötigte. Die Spitzen haben ihre Leute extrem gut im Griff. Oder ist es einfach die Erleichterung, endlich wieder Regierung sein zu können?

Disziplin ist das Wort, das bisher am besten das Tun der Regierung Scholz prägt, garniert mit ein paar Einsprengsel der Selbstinszenierung und Signale an die eigenen Anhänger. Seit die radikalen Ränder rund 20% der Abgeordnetenstimmen okkupieren und damit aus dem Prozess der Mehrheitsbildung herausnehmen, müssen eben die übrigen 80% zu Regierungsbildung finden.

Das ist, das zeigen andere Länder im fortgeschrittenen Stadium der parlamentarischen Zerfaserung, gar nicht so einfach. Gab es in den Jahrzehnten der Nachkriegsgeschichte regelmäßig ein Kopf-an-Kopf-Rennen der politischen Lager, haben sich diese Lager unter Merkel de facto aufgelöst. Das heißt nicht, dass sich die politisch denkenden Wähler von lagertypischen Charakteristika verabschiedet hätten. Ein Anhänger der Grünen fühlt nun einmal anders als ein Parteigänger der FDP. Aber das ist nur ein Teil. Gut 40% der Deutschen interessieren sich überhaupt für Politik, aber knapp 80% gegen zur Bundestagswahl.

Die Schwierigkeiten der Regierungsbildung

Politiker müssen aber anders denken, wenn sie selbst nur ein Fünftel der Wähler repräsentieren. Sie brauchen Mehrheiten und je kleiner die anderen Fraktionen sind, umso mehr Partner. Seit der letzten Liebesheirat von Schwarz-Gelb 2009, die in einem hässlichen, Jahre dauernden Ehestreit endete, gibt es ein Patt, in dem Konservative und Liberale einerseits, Sozialdemokraten und Grüne andererseits fern jeder Mehrheit sind.

Als Konsequenz aus diesen Verschiebungen waren alle Parteien im Wahlkampf außerordentlich nett zueinander. Schließlich musste mit allem gerechnet werden, vor allem, mit dem Gegner koalieren zu müssen. Angela Merkel hat die Pattsituation noch mit großen Koalitionen überwunden, die am Ende so groß nicht mehr waren und der alle längst überdrüssig sind. Jamaika und Ampel sind nur unterschiedliche Labels für ein ziemlich unauflösliches Problem der Parteipolitik. Das Problem nämlich, dass zur Durchsetzung jeglicher politischen Richtung schlicht die Mehrheiten fehlen.

Der Kern liegt im Extremismus und er wird ständig weiter genährt. 11% für die AfD, 5% für die Linkspartei sind nur äußere Anzeichen. Der Extremismus, wahrlich keine neue Erkenntnis für Politikwissenschaftler, wird gezüchtet durch den zur Schau getragenen Konsens. Doch den kann es in einer multipolaren Welt nicht geben. Schon vor Corona war der soziale Drift unübersehbar. Eurorettungspolitik, Flüchtlingskrise, Sorge um den Klimawandel formten eine Melange des Nichtverstehens und Nicht-Wissen-Wollens. Die inzwischen immensen sozialen und ökonomischen Unterschiede verabschieden immer mehr in die gesellschaftliche und politische Apartie.

Die Pandemie hat diese Spaltung in immer mehr Milieus weiter vorangetrieben, jetzt angereichert mit weiteren Zutaten der Unversöhnlichkeit: Panik und Angst. Panische Reaktionen versperren den Weg zu rationalem Denken. Jeder ist Feind, der die angstauslösenden Bedingungen nicht beseitigt, ja gar verstärkt. Die Debatte um die Impfpflicht ist so ein Symptom. Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung steht nicht, ob eine so gravierende Maßnahme das Problem der Pandemie beseitigt, sondern das Widersetzen einiger gegen den Mehrheitswillen der meisten.

Wenn der Bundeskanzler also davon spricht, es gäbe keine Spaltung der Gesellschaft, dann verschließt er die Augen vor den großen Verwerfungen, die seine Regierung erst möglich gemacht haben. Wenn kein Lager eine Mehrheit erringen kann, muss der Bogen der Regierungsbildung über die Lager gezogen werden. Die Ampel ist wie die GroKo eine solche Koalition. Zwangsläufig sind daran Parteien beteiligt, die eine völlig gegensätzliche Sicht auf wesentliche Aspekte der Staatsführung haben, von der Haushaltsbudgetierung, dem Lösen generationenübergreifender Probleme wie Altersvorsorge und Klimawandel bis hin zur Tagespolitik wie dem Außenverhältnis des Landes zu anderen Ländern.

Sichtbar wird, dass in diesem Dreierbündnis fast immer zwei Parteien gegen eine stehen. Politisch betrachtet ist es eine rot-grüne Koalition mit liberalem Beiboot. Mental gestaltet es sich als ein sozial-liberales Bündnis mit grünem Störenfried. Das sieht nach „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ aus. In der Haushalts- und Finanzpolitik sind die Rollen klar erkennbar: Links-grüne Ausgabenwünsche werden eingehegt durch die liberale Bremse, die hier sogar einen Namen hat: Christian Lindner. Eine Bremse kann nur Geschwindigkeit wegnehmen, zum Stoppen bedarf es außerordentlicher Kraft. In der Industriepolitik, die Energie und Umwelt miteinschließt, stehen Sozialdemokraten und Liberale gegen die Klimaschutzpartei. Scholz und die FDP sehen dem Kohleausstieg mit gebremster Freude entgegen, den Grünen geht es zu langsam. In der Außenpolitik wiederum sind eher Liberale und Grüne beieinander, während Olaf Scholz einen eigenen Kurs fährt.

FDP

Die Liberalen sind in der kompliziertesten Lage. In der Pandemie gewannen sie neues Profil als die Partei, die sich allein gegen Freiheitsbeschränkungen zur Wehr setzte. Während Scholz und seine SPD eine moderate Rolle einnehmen, stehen die Grünen unter dem Druck von vielen Anhängern radikaler Maßnahmen. Heftigste Anfeindungen sind da miteingekauft. Dass Deutschland im Dezember nicht zu dem extremen Mittel des Lockdowns griff, ist allein den Freiheitsfreunden zu verdanken. Die Entwicklung scheint ihnen Recht zu geben.

Steuerpolitisch konnte die FDP nicht mehr als eine Blockade der linken Parteien durchsetzen. Während die Preise und Lebenshaltungskosten gerade heftig anschwellen, hat sich die Politik im Gegensatz zu vielen EU-Ländern die Hände gebunden. Die Bürger ächzen bei rekordhohen Abgaben. Jeder Euro Mehrausgabe treibt den meisten Deutschen Angstschweiß auf die Stirn. Es bleibt wenig übrig am Ende des Monats.

Die liberale Klientel ist da ob nicht begeistert. Das gelbe Etikett steht immer noch zuvorderst für Entlastung vor dem kalten Zugriff des Staates. Dieses Versprechen konnte Christian Lindner in den Verhandlungen mit den Ampelpartnern nicht einlösen. Justament da erscheint am Horizont eine wirtschaftsliberale Fee in Gestalt des neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Obwohl der Sauerländer nichts versprochen hat, verbinden konservativ-liberale Menschen mit ihm das Versprechen, endlich den Steuerzugriff etwas zu lockern. Die Werte der Union steigen seit seiner Wahl, die der FDP sinken.

Der Finanzminister greift daher zu einem Kartentrick. Die Abschaffung der EEG-Umlage, die zukünftig direkt aus dem Bundeshaushalt gezahlt wird, und die volle steuerliche Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen verkauft der FDP-Chef als Eigenleistung. Tatsächlich wurde die Umbuchung der EEG-Umlage auf den Haushalt bereits von der alten Merkel-Regierung veranlasst und die Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen folgt einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ohnehin 2024 spätestens umgesetzt werden musste und im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das alles wird hübsch auf 30 Milliarden Euro Entlastungsvolumen aufgepumpt, allerdings nicht pro Jahr, sondern leider nur für die gesamte Legislaturperiode.

Als Anhänger von Steuerentlastungen braucht man in diesen Zeiten vor allem Geduld. Und die Anbetung höherer Mächte. Folgekosten der Pandemie, industrieller Umbau und vor allem die rasante Alterung der Bevölkerung lassen kaum Spielraum, den Deutschen erhebliche Steuersenkungen zu versprechen. Allerdings hat der Finanzminister eine Fülle von Handgranaten und Rauchbomben im Rucksack, die noch vor 2025 explodieren werden.

Da ist zum einen die stark steigende Inflation. Die EZB, in dieser Frage eher vorsichtig unterwegs, hat im Dezember ihre Prognose für 2022 glatt auf 3,2% verdoppelt. Inflationsplaner sind in der Notenbank deutlich unterbeschäftigt. Die Deutschen erwarten derweil laut Bundesbank eher über 4%. Eine Geldentwertung in der Höhe reduziert den realen Wert eines Bruttoverdienstes von 4.000 Euro auf 3.846 Euro im Jahr 2025. Seine Steuerbelastung auf sein Einkommen zu realen Preisen hat in dieser Zeit um 1% zugenommen, er zahlt knapp 500 Euro real mehr als im Jahr 2021. Der politische Druck, hieran etwas zu ändern, wird zunehmen.

Aller Voraussicht nach wird 2022 / 2023 über die Fortführung des Solidaritätszuschlages entschieden. Sollte das Verfassungsgericht die Ergänzungsabgabe mit Auslaufen des Solidarpakts II (Finanzierung Deutsche Einheit) für grundgesetzwidrig erklären, hätte der Finanzminister eine Verhandlungsmasse von 11 Milliarden Euro in der Hand. Von einem solchen Urteil würden nach jetziger Rechtslage nur die oberen 10% der Steuerzahler profitieren.

Der in jeder Legislaturperiode von der Bundesregierung zu erstellende Bericht über die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen muss die Kosten der gesetzlichen Rente neu prognostizieren. Die bisherigen Berechnungen wurden noch unter Federführung der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles erstellt und enden mit dem Jahr 2025. Die neue Vorausberechnung wird die danach anstehenden demographischen Verwerfungen berücksichtigen müssen. Der Bericht wird vom Bundesfinanzministerium erstellt. Krach ist vorprogrammiert, denn die Wahlversprechen der SPD und der Koalitionsvertrag werden an dieser Stelle Lügen gestraft.

Die Grünen

Die Klimaschutzpartei fremdelt am meisten mit der Macht und hat Anpassungsprobleme an die Realpolitik. Innerhalb von Tagen erlebten sie zwei Realitätsschocks. Anfang des Jahres erklärte die EU-Kommission die Atomkraft zu einer grünen Technologie. Die meisten Mitgliedstaaten setzen weiterhin auf Energieerzeugung durch Kernspaltung, selbst in Italien ist eine Diskussion über die Umkehr vom Ausstiegsbeschluss entbrannt. Die Grünen stehen ziemlich isoliert da.

Der politische Affront war lange erwartet, dennoch taten die Spitzen der Partei in diesen Tagen so, als wäre das Verdikt aus Brüssel eine Überraschung. Es war eine reine Aufführung, wie sich Robert Habeck und Steffi Lemke empörten. Tatsächlich hatten die Grünen bereits in den Koalitionsverhandlungen die Taxonomie der EU-Behörde akzeptiert und den Protest aus dem Vertragswerk genommen. Als Anfang der Woche der FDP-Justizminister Marco Buschmann den Grünen scheinheilig seine Unterstützung für eine Klage zusicherte, war in der Führung der Partei anscheinend das Maß voll. Die Charade war ja nur für die eigenen Anhänger inszeniert worden. Wenn nun die Liberalen beisprängen und dafür einen politischen Preis einfordern würden, wäre der Protest überbezahlt.

Auch bei der Einigung auf eine zweite Amtszeit für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier haben sich die Ökos ziemlich dilettantisch angestellt. Ihre Chancen, selbst mit Katrin Göring-Eckardt eine Bewerberin ins Schloss Bellevue zu entsenden, waren frühzeitig dahin, als Lindner im Sommer die FDP festlegte und der Amtsinhaber seine Bereitschaft für weitere fünf Jahre erklärte. Dennoch dauerte die Lernkurve weit über die Koalitionsgespräche hinaus, bevor Habeck & Co. jetzt ihr Plazet gaben.

Angesichts des lauten Megaphons im Wahlkampf sind viele Anhänger der Partei enttäuscht. Und so betreiben die Minister Spiegel (Familie) und Özdemir (Landwirtschaft) vorerst Klientelpolitik. Die Familienministerin versprach als erste Amtshandlung, in den ihr nachgeordneten Behörden eine gendergerechte Sprache verpflichtend zu machen. Gendern in Amtsstuben ist sicher ein Thema, dass für die Mehrheit der Familien und auf Unterhaltszahlung wartenden Alleinerziehenden nicht die Toppriorität genießt, aber für die grüne Identität enorm wichtig ist. Der Schwabe mit türkischen Wurzeln will Billiglebensmittel verbieten, was vielen gutverdienenden Grün-Wählern zupasskommt, nicht jedoch den Millionen Deutschen, die prekär leben und normalerweise mehr Monat als Geld zur Verfügung haben. Es scheint, als wollte Cem Özdemir beweisen: Grün wählen muss man sich leisten können.

Im Rampenlicht stand in den ersten Wochen die Außenministerin Annalena Baerbock, die die meisten Fernsehbilder und eine gute Presse bekam. Allerdings könnte auch sie das Schicksal von Christian Lindner ereilen, im Grunde politisch nackt dazustehen. Auch wenn sich die Grünen heftig gegen die Erkenntnis wehren, aber auf dem Feld der Außenpolitik gibt das Kanzleramt den Ton an. Ein Scholz wiegt da allemal eine Baerbock, Habeck und eine Lemke dazugenommen auf. Was die harten Worte der Außenministerin gen Peking und Moskau für eine Währung haben, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen.

SPD

Die Partei, die jahrzehntelang Debatten der Selbstzerfleischung zu führen wusste, schoss in der Endphase des Wahlkampfes von 15 auf 26 Prozent hoch. Mehr noch: Mit gerade einem Viertel aller Stimmen besetzen die Sozialdemokraten die Staatsspitzen Bundespräsidialamt, Bundestagspräsidium und Bundeskanzleramt. Der Erfolg hat die Partei zum Kanzlerwahlverein mutieren lassen, der nun mit Lars Klingbeil von einem unideologischen Anfang Vierzigjährigen geführt wird. In ihrer Dominanz kommt die alte Tante fast schon arrogant daher.

Der Kanzler ist dabei in diesen Tagen wenig sichtbar. Doch das bedeutet nichts. Olaf Scholz beherrscht längst seine Partei, die ihn immer verschmähte. Der Hamburger pflegt dabei die Fähigkeit, durch Leisetreterei zu wirken. Scholz muss seine sehr komplizierte Koalition austarieren und so dürfen sich die Minister der zweiten Kategorie gerade in ihren Ämtern profilieren, ohne die Linien des Kanzlers zu stören. Die Grünen dürfen ein bisschen ob der grünen Atomenergie toben, so lange sie nicht den französischen Präsidenten brüskieren. Alphatiere halten sich am Anfang zurück, deswegen ist es so still um Scholz, Habeck und Lindner.

Doch ausgerechnet das wichtigste Projekt der SPD, die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, könnte für veritablen Ärger sorgen. Der Arbeitgeberverband erwägt Verfassungsklage. Die Gründe sind nicht von der Hand zu weisen: mit dem geplanten Gesetz greift die Politik in die Tarifautonomie ein. Die bei Einführung des Mindestlohngesetzes eingesetzte Tarifkommission, paritätisch besetzt mit Vertretern der Arbeitgeber und Gewerkschaften, wird übergangen. Nun ist die Tarifautonomie das in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Recht der Koalitionen, Vereinbarungen (laut Tarifvertragsgesetz mit normativer Wirkung) frei von staatlichen Eingriffen über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, insbesondere Tarifverträge über Arbeitsentgelt und Arbeitszeit, abzuschließen.

Das beabsichtigte Mindestlohngesetz erfüllt ziemlich klar diese Bedingungen nicht. Der Staat schreibt freihändig die Löhne vor und setzt eine Fülle von Tarifverträgen außer Kraft. Der Mindestlohn wird zum Spielball der Politik, womit die Bürger in ihren Grundrechten beschnitten werden, eben selbständig Arbeitsentgelte auszuhandeln. Um die politische Dimension des Mindestlohns deutlich zu machen, erwägen die Arbeitgeber, ihre Mitarbeit in der Tarifkommission aufzugeben. Die alle zwei Jahre vorgesehene Findung des Mindestlohns durch Arbeitgeber und Gewerkschaften wäre dann auf diesem Weg nicht mehr möglich, die Politik blank.

Und dann gibt es noch die Querschläge der Co-Vorsitzenden Saskia Esken, die quartalsweise Beweis antritt, dass sie im politischen Zirkus zu den Underperformern zählt. Gerade als die Grünen ihr Theater um die europäische Taxonomie für beendet erklärten, nahm die SPD-Linke das erledigte Thema auf. Ihr verspäteter Protest zeigt, dass der Sozialdemokratin Timing und die Kenntnis taktischer Winkelzüge fehlen, um in Berlin High Jingo zu spielen.

Wenige Wochen reichen um zu zeigen, dass Berlin enorme politische Spannungen bevorstehen. Die entscheidende Frage ist, wie lange die Disziplin in den Koalitionsparteien trägt, bevor sich die Frustration Bahn bricht. Vor allem Liberale und Grüne stehen unter enormen Erfolgsdruck. Die Chancen, die Erwartungen ihrer Anhänger erfüllen zu können, stehen jedenfalls nicht bei 100 Prozent.

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  • Erwin Gabriel 6. Januar 2022, 13:02

    @ Stefan Pietsch

    … die … normalerweise mehr Monat als Geld zur Verfügung haben

    Richtig gut geschrieben, mit einigen wirklich netten sprachlichen Bildern und Formulierungen. Dazu sehr sachlich und moderat, hat mir Spaß gemacht, das zu lesen – Chapeau!

    Für eine inhaltliche Kommentierung brauche ich vielleicht noch ein bisschen.

    Viele Grüße
    E.G.

  • Stefan Sasse 6. Januar 2022, 13:44

    Der Artikel gefällt mir sehr gut. Ich würde zwar einige Bewertungen anders treffen, aber die Analyse ist sauber. Der Verzicht auf ständige Invektiven tut dem Gesamtwerk sehr gut, bitte mehr davon!

    • Stefan Pietsch 6. Januar 2022, 17:09

      Danke! Aber wäre schön gewesen zu erfahren, wo Deine Bewertungen warum anders liegen.

      Ansonsten kennst Du ja den Rythmus: Auf einen spätestens zwei nüchterne Artikel folgt ein polemisch-aggressiver. 😉

  • Thorsten Haupts 7. Januar 2022, 10:46

    Wenn kein Lager eine Mehrheit erringen kann, muss der Bogen der Regierungsbildung über die Lager gezogen werden. Die Ampel ist wie die GroKo eine solche Koalition.

    Und damit ist die Ampel halt der erste Probelauf für den zukünftigen Normalfall der Politik auch in Deutschland. Alle anderen europäischen Länder kennen das Spiel schon :-).

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • Erwin Gabriel 7. Januar 2022, 14:30

    @ Stefan Pietsch

    Jetzetle …

    Groß auseinander liegen wir nicht, dass vorab. Aber ein paar Gedanken wollte ich dann doch loswerden.

    Die Union erledigte sich in den ersten Vor-Sondierungsgesprächen praktisch selbst, in dem die Inhalte in Echtzeit bei der BILD erschienen. Vertraulichkeit ist in diesen Tagen die scheinbar wichtigste Währung.

    Warum auch immer die sich so verhalten haben – es müssen ja gleich mehrere gewesen sein, die durchgestochen haben – vielleicht hatte sich ja intern die Erkenntnis durchgesetzt, dass es für die Union selbst keinen Sinn macht, eine Regierungsbeteiligung anzustreben. Oder siehst Du das als Versuch an, den schwarzen Peter für das Scheitern der Verhandlungen von Anfang an Grüne und FDP weiterzureichen?

    Als Konsequenz aus diesen Verschiebungen waren alle Parteien im Wahlkampf außerordentlich nett zueinander.

    Fake News …
    CDU und CSU haben ziemlich gegeneinander geholzt 🙂

    Zwangsläufig sind daran Parteien beteiligt, die eine völlig gegensätzliche Sicht auf wesentliche Aspekte der Staatsführung haben, von der Haushaltsbudgetierung, dem Lösen generationenübergreifender Probleme wie Altersvorsorge und Klimawandel bis hin zur Tagespolitik wie dem Außenverhältnis des Landes zu anderen Ländern.

    Dann kann doch eigentlich nur die zwangsläufige Folge sein, dass sich die Parteien auf ihre Stärken und besonderen Anliegen konzentrieren und sich noch stärker in Richtung ‚Klientelpartei‘ bewegen, statt ein umfassendes, mittiges politisches Angebot für jeden Bereich zu entwickeln; die Verteilung der Ressorts bildet das (vielleicht mit der Einschränkung der Verantwortung der Grünen für die Wirtschaftspolitik) ja schon ab.

    Sichtbar wird, dass in diesem Dreierbündnis fast immer zwei Parteien gegen eine stehen. Politisch betrachtet ist es eine rot-grüne Koalition mit liberalem Beiboot.

    Hhhmmm.
    Ich höre die Grünen, ich höre die FDP; die SPD nehme ich (noch?) nicht bzw. kaum (Lauterbach) wahr.

    Da ist zum einen die stark steigende Inflation. Die EZB, in dieser Frage eher vorsichtig unterwegs, hat im Dezember ihre Prognose für 2022 glatt auf 3,2% verdoppelt.

    Hatten wir schon hier im Forum debattiert (Theorie- gegen Praxis-Vertreter). Im letzten Monat lag die Inflationsrate um über 5 Prozent, verglichen mit Dezember 2020. Vor allem die Energiepreise gehen durch die Decke, (offiziell um über 18 Prozent angestiegen, inoffiziell mehr, weil Stromerzeuger und Gaslieferanten beim Abschluss neuer Jahresverträge zukünftige Entwicklungen bereits einpreisen), aber auch Lieferketten- oder Corona-Probleme treiben die Preise.

    Und die EZB, die sich nur mit allerlei Tricks darum herumschummeln kann, dass sie verdeckt (eigentlich verbotene) Staatsfinanzierung betreibt, gibt die drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die haben sich an dieser Stelle derart in die Scheiße geritten, dass sie da nicht wieder heraus kommen. Finde ich inzwischen nur noch abstoßend.

    Krach ist vorprogrammiert, denn die Wahlversprechen der SPD und der Koalitionsvertrag werden an dieser Stelle Lügen gestraft.

    Ich bin mir da nicht so sicher. Die werden vermutlich noch zwei Jahre brauchen, um sich öffentlich anzugiften. Grüne und FDP müssen ja erst einmal beweisen, dass sie regierungsfähig sind, und dass diese Koalition funktioniert.

    Auch bei der Einigung auf eine zweite Amtszeit für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier haben sich die Ökos ziemlich dilettantisch angestellt. Ihre Chancen, selbst mit Katrin Göring-Eckardt eine Bewerberin ins Schloss Bellevue zu entsenden, waren frühzeitig dahin, als Lindner im Sommer die FDP festlegte und der Amtsinhaber seine Bereitschaft für weitere fünf Jahre erklärte.

    Selbst wenn ich die machtpolitischen Aspekte der Entscheidung der FDP bzw. von Christian Lindner hier nachvollziehen kann, denke ich doch, dass die Liberalen hier einen Fehler gemacht haben. Noch eine Amtszeit Steinmeiers als Bundespräsident ist wie eine weitere Amtszeit von Angela Merkel als Kanzlerin – eine Bestätigung des ‚Wasch mich, aber mach mich nicht nass‘-Status quo.

    Das ist aus meiner Sicht ein ganz falsches Zeichen. Ich hätte mir an dieser Stelle deutlich mehr Persönlichkeit und – ja – eine Frau gewünscht, wenn der Kanzler jetzt wieder Krawatte trägt. Muss ja nicht gleich Katrin Göring-Eckardt sein, eher so eine kantige Kratzbürste á la Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. DAS würde mir schon sehr gefallen.

    Ich halte es für extrem wichtig, dass nach den langen, sedierenden Merkel-Jahren die politische Diskussion wieder ver-öffentlicht wird, und dazu gehört der Bundespräsident. Steinmeier in seiner Konturlosigkeit kommt nicht einmal annähernd an Christian Wulff heran, geschweige denn an Persönlichkeiten wie von Richard von Weizäcker, Roman Herzog oder Joachim Gauck 8den ich nicht möchte, aber ich habe mich zumindest an ihm abarbeiten können 🙂 ).

    Der Erfolg hat die Partei zum Kanzlerwahlverein mutieren lassen, der nun mit Lars Klingbeil von einem unideologischen Anfang Vierzigjährigen geführt wird.

    Lars Klingbeil ist wohl der SPD-Politiker, den ich aktuell am meisten schätze. Pragmatisch, humorvoll, und kann gelegentlich böse beißen, ohne dass sein Diskussionsgegner das immer mitkriegt; der ist einer den wenigen Leute, die ich in Diskussionen wirklich gerne sehe.
    Klingbeil mit seinem Sidekick Kevin Kühnert scheinen eine recht starke und geschickt zusammengestellte Kombi für die SPD zu sein; die Parteiführung ist lange nicht so gut aufgestellt gewesen.

    Doch ausgerechnet das wichtigste Projekt der SPD, die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, könnte für veritablen Ärger sorgen. Der Arbeitgeberverband erwägt Verfassungsklage.

    Der alte Streit zwischen Idealisten und Ideologen auf der einen, Rechtskundigen auf der anderen Seite …

    Aber bleibt die Politik moderat genug, wird man sich wie in vielen anderen Fällen auch dem politischen Rechtsbruch beugen.

    Und dann gibt es noch die Querschläge der Co-Vorsitzenden Saskia Esken, die quartalsweise den Beweis antritt, dass sie im politischen Zirkus zu den Underperformern zählt.

    Hier würde ich ‚quartalsweise‘ durch ‚ständig‘ ersetzen, aber Deine Formulierung liest sich zugegebenermaßen besser.

    Ansonsten nochmal vielen Dank für Stil, Schreibe und Meinungen.

    • Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 19:17

      Dank‘ Dir Erwin.

      Die Unionisten haben einfach nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Höhepunkt der Geschwätzigkeit war ja die Präsidiumssitzung mit der Nominierung von Armin Laschet. Wer damit einmal anfängt und sich den Medien ausliefert wie das offensichtlich einige CDU-Politiker getan haben, kann nicht zurück, wenn Stille angebracht wäre. Die BILD-Redaktion wird sich schon bei denjenigen Kandidaten gemeldet haben, die schon im April die Tasten nicht stillhalten konnten. Das ist natürlich spektakulär für uns Zuschauer, aber tödlich für die Politik.

      Scholz, Lindner und Habeck wissen, dass sie mit Klientelpolitik keine Chance haben, an der Regierung zu überleben. Ich habe alle drei für ihre bisherige Disziplin bewundert, deswegen habe ich den Aspekt in den Mittelpunkt des Artikels gerückt. Aber es ist unheimlich schwierig. Ich merke das ja bei meinen Freunden, Anhänger einer liberal-konservativen Sicht. Merz ist toll, weil er die reine Lehre verkünden kann (obwohl er das nicht tut) und die Titelumwidmung im Haushalt geht gar nicht. Nur einen Moment nachgedacht: wie viel Prozent hatte Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl bekommen? Irgendwo so 36%. Die FDP hat getan, was getan werden musste. Hätte es die Umwidmung der Mittel unter Jamaika nicht gegeben? Wer glaubt das?!

      Die Union verpflichtete die SPD in den letzten beiden großen Koalitionen zur Einhaltung der Schuldenbremse und Verzicht auf Steuererhöhungen. Da hatten die Konservativen 43 bzw. 33 Prozent. Wie grandios diese politische Leistung einzuschätzen ist, sieht man im Vergleich zur FDP. Die schaffte das mit nihct einmal 12%. Soll mir keiner erzählen mit den Schwarzen würden die Einkommensteuer und die Staatsquote um ein Drittel gesenkt. Ich lass‘ mir keine Märchen erzählen.

      Die meiste Zeit des Regierens findet abseits von Koalitionsverträgen statt. Da kommt es wie im echten Leben auf Vertrauen zueinander an. Mir gefällt, was ich lese und sehe, dass sich Scholz und Lindner sehr gut verstehen.

      Die Frage ist, welche Auswirkungen die gestiegene Inflation und Erwartungen auf die nationale Politik haben könnte. In anderen Ländern reagierte die Politik bereits und arbeitet an Steuersenkungen. Wie lange könnte auch in Deutschland eine linke Regierung die Linie durchhalten, auf EU-Ebene eine Verstetigung von Verschuldung und Finanztransfers anzustreben und in Deutschland die Abgabenlast bei steigenden Preisen weiterzudrehen?

      Andrea Nahles griff 2014 zu dem Trick, in ihrer Zuarbeit zum Tragfähigkeitsbericht die Rentenberechnungen mit dem Jahr 2025 enden zu lassen. Die Nachfolgeregierung packte das heiße Eisen nicht an, was schon 2018 albern wirkte, da der Zeithorizont einfach sehr kurz ist. Die Kalkulationen in dem Bericht werden teilweise wie auch beim Armuts- und Reichtumsbericht von wissenschaftlichen Instituten zugeliefert. Die Politik gibt dafür Eckdaten, soweit erforderlich, vor. Es kann jeder auf destatis.de nachlesen, wie ab 2025 der Anteil der Erwerbslosen schrumpfen wird.

      Die FDP kann nur mit einem starken Partner einen eigenen Bundespräsidenten durchbekommen. Das ist in der heutigen Zeit kein Thema. Die Grünen müssten die anderen moralisch verpflichten, so wie sie Union und SPD ja seit Jahren mit Erpressungen im Klimaschutz und bei gesellschaftspolitischen Veränderungen vor sich hertreiben. Doch die SPD kann ja kaum den eigenen Präsidenten abräumen. Und warum sollte die Union eine Kandidatin der Grünen unterstützen? Aus guten Gründen galt lange die ungeschriebene Regel, dass die stärkste Partei den Präsidenten stellt. Also wenn die Konservativen in 5 Jahren Ilse Aigner aufstellen, könnte das was werden.

      Lars Klingbeil ist wohl der SPD-Politiker, den ich aktuell am meisten schätze.

      Geht mir ähnlich, wobei ich den jungen Mann schon einige Jahre auf dem Zettel habe. Aber merkst Du was? Die SPD hat nun seit den Achtzigerjahren eine Frauenquote von erst 30% und heute mehr. Dennoch schafften sie es nicht annähernd, weibliche Spitzenkräfte in der Kategorie Lafontaine, Schröder oder eben auch nur Scholz oder Lars Klingbeil hervorzubringen. Die Spitzentalente der Partei sind wieder – männlich. Esken wäre ohne die Frauenquote nur eine Abgeordnete, deren Namen Insidern bekannt wäre. Und die High Flyer Franziska Giffey hat sich nicht nur bei einem veritablen Betrug erwischen lassen, sondern zeigt gerade, dass sie, obwohl die klare Nummer eins auf dem Schild, politisch ziemlich machtlos und durchsetzungsschwach ist. Fast 40 Jahre Frauenquote haben nicht dafür gesorgt, nur eine einzige echte Spitzen-Sozialdemokratin hervorzubringen.

      Ich habe immer wieder den Eindruck, dass das Polemisch-Aggressive besser ankommt.

      • Stefan Sasse 7. Januar 2022, 20:53

        Hannelore Kraft und Heide Simonis fielen mir spontan aus den 2000er Jahren ein.

        • Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 21:02

          Die spielten mindestens zwei Ligen drunter. Hannelore Kraft hatte in der SPD nie besonders Gewicht, obwohl sie die Herzkammer der Sozialdemokratie regierte. Sie selbst machte sich von Anfang an klein, als sie jede bundespolitischen Ambitionen zurückwies. Am Ende stand sie nur weniger Jahre in der ersten Reihe.

          Von Schleswig-Holstein aus die Republik aufzurollen, ist zugegebenermaßen schwer. Nur wenigen Politikern gelang das, so Gerhard Stoltenberg und Björn Engholm. Heide Simonis war immer nur Regionalliga, ebenfalls ohne jede höhere Ambition.

          Bundespolitik ist dann doch eine ganz andere Kategorie, vor allem, wenn man in den absoluten Spitzenbereich will. Das erfuhren bei der SPD Kurt Beck und Platzeck, bei der Union sind die Erlebnisse mit Armin Laschet noch taufrisch. Zu behaupten, Kraft und Simonis hätten in ihren Glanzzeiten nur annähernd das politische Gewicht von Lafontaine, Schröder, Scholz erreicht (und wozu sich Klingbeil anschickt), hieße die tatsächlichen Verhältnisse umdefinieren zu wollen.

          • Stefan Sasse 8. Januar 2022, 09:28

            Was ich auffällig finde: ob jemand in der Bundespolitik erfolgreich sein wird, ist vorher einfach nicht absehbar. Du erwähnst ja zu Recht Kurt Beck. Es gab keine Anzeichen dafür, dass er scheitern würde.

            • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 09:57

              Doch die gab es. Von Anfang an. Viele Beobachter bezweifelten, dass Beck mit seiner hemdsärmeligen, ländlichen Art in Berlin funktionieren würde wie das in Rheinland-Pfalz ging. Ich kenne die Leute dort auch ein bisschen, weil ich jahrelang mitten im Herzen des Bundeslandes bei Bad Kreuznach gearbeitet habe. Man hat da schon einen eigenen Slang.

              Ist es wirklich Zufall, dass von 9 Bundeskanzlern 3 aus Hamburg kommen? Ist es Zufall, dass die Mehrheit der Bundeskanzler aus dem Nordwesten stammen, aber keiner aus Bayern? Auch bei Armin Laschet war früh absehbar, dass der für die Bundesebene nicht taugt. Schulz war ohnehin so ein Gabriel-Experiment.

              Die Kluft zwischen den Ländern und Berlin ist heute deutlich größer als in den Achtziger- und noch Neunzigerjahren. Für Länderchefs ist es inzwischen enorm schwer, auf bundespolitischer Ebene Profil zu gewinnen.

        • Erwin Gabriel 7. Januar 2022, 21:16

          @ Stefan Sasse 7. Januar 2022, 20:53

          Hannelore Kraft und Heide Simonis fielen mir spontan aus den 2000er Jahren ein.

          Heide Simonis hat mir meist ganz gut gefallen. Auch klare Kante, man wusste, wo sie stand.

          Aber hör mir auf mit Hannelore Kraft. Hat nichts Eigenes auf die Beine gestellt, sich von aggressiven Grünen vor sich hertreiben lassen, hat wichtige Politikbereiche wie Bildung oder innere Sicherheit (da gibt es im Ruhrpott DEUTLICH größere Herausforderungen als im Ländle) vernachlässigt, und ein noch verschuldeteres, kaputtes Bundesland hinterlassen.

          vernachlässigt (Bildung!!!, innere Sicherheit), und das

          • Stefan Sasse 8. Januar 2022, 09:30

            Zumindest hatte sie eine gewisse Bekanntheit und hat es von Minderheits- in Mehrheitsregierung geschafft. Bei der SPD ist generell slim pickings, ob Männlein oder Weiblein.

            • Erwin Gabriel 8. Januar 2022, 09:56

              @ Stefan Sasse 8. Januar 2022, 09:30

              Zumindest hatte sie eine gewisse Bekanntheit und hat es von Minderheits- in Mehrheitsregierung geschafft.

              … und alle – sie eingeschlossen – waren froh, als es vorbei war.

              Das einzig Positive, was ich über sie denke, ist, dass sie in Kenntnis ihrer Limitierung klug genug war, dem Ruf nach Berlin nicht zu folgen.

              Bei der SPD ist generell slim pickings, ob Männlein oder Weiblein.

              Zustimmung

            • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 10:07

              Darum ging es nicht. Die Quote hat trotz 40 Jahren Übung nicht das hervorgebracht, was der parteipolitische Wettbewerb geschafft hat: starke, herausragende Persönlichkeiten. Selbst bei den Grünen sind die Politiker, die Spuren hinterlassen haben, allesamt männlich. Von den ehemaligen Parteichefs sind nur die Männer den meisten noch ein Begriff. Weder Merkel, noch von der Leyen, Lagarde, von Thatcher und Tansu Çiller ganz zu schweigen haben es mit einer Quote in ihre Ämter geschafft. Und es sind alles Konservative, die jenseits von Skandinavien Regierungschefs wurden.

              Wenn 40 Jahre Frauenquote auch hier keine echten Spitzenfrauen hervorgebracht haben, dann ist vielleicht das Instrument ungeeignet.

              • Stefan Sasse 8. Januar 2022, 18:55

                Jein, das ist ja auch nicht das Ziel der Quote. Also Rekrutierung von Spitzenpersonal. Das Ziel der Quote ist ja, Repräsentation zu schaffen. Der Regionalproporz der CDU diente ja auch nicht dazu, Führungskräfte aus Baden-Württemberg zu fördern, sondern die Repräsentation schwäbischen Personals auf Bundesebene zu gewährleisten und Machtnetzwerke zu etablieren. Und da sieht das Instrument schon wesentlich besser aus, wenn es auch hinter manchen Erwartungen zurückgeblieben ist.

                • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 19:18

                  Das ist nicht richtig. Quotenbefürworter führen immer an, dass sie sonst nicht den Aufstieg in die Spitze schaffen würden. Bei Parteivorsitzenden, Vorständen, Aufsichtsräten geht es aber nicht mehr um Repräsentanz. Das soll wohl ein Witz sein, dass ein paar Dutzend Frauen in Aufsichtsräten 42 Millionen Frauen in Deutschland repräsentieren sollen. Repräsentanz gab es schon in den Achtzigerjahren. Und dass Baerbock ihrem Co-Vorsitzenden mit Verweis auf die Frauenkarte die Spitzenkandidatur weggeschnappt hat, hat nichts mit Repräsentanz zu tun. Auch Malu Dreyer, Manuela Schwesig oder Franziska Giffey sind nicht deswegen Ministerpräsidentinnen geworden, weil damit irgendwo im Bundesrat Frauen besser repräsentiert werden sollen.

                  Das biegst Du Dir zurecht um nicht zugestehen zu müssen, dass die Frauenquote eben nicht ihr vorgegebenes Ziel erreicht hat. Das ist wie so oft, wenn Du aus ideologischen Gründen etwas willst, da braucht es keine sachlichen Gründe: Atomausstieg, Mindestlohn, Impfpflicht, Frauenquote.

      • Erwin Gabriel 7. Januar 2022, 21:12

        @ Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 19:17

        Scholz, Lindner und Habeck wissen, dass sie mit Klientelpolitik keine Chance haben, an der Regierung zu überleben.

        Aber ohne zumindest ein gewissen Anteil an Klientelpolitik werden sie nicht gewählt.

        Merz ist toll, weil er die reine Lehre verkünden kann (obwohl er das nicht tut)

        Ich stecke ja nicht so in der Unternehmensführung drin wie Du, bin aber durchaus arbeitgeberfreundlich eingestellt. Was ich an Merz mag, ist nicht die ‚reine Lehre‘. Was ich schätze, ist das Gefühl, dass er nicht beliebig ist, heute dies und jenes fordert und morgen das Gegenteil macht.

        Mir gefällt, was ich lese und sehe, dass sich Scholz und Lindner sehr gut verstehen.

        Was immer die im Wahlkampf teilweise von sich geben (müssen), sind halt beides Pragmatiker mit Regierungserfahrung. Deswegen kannst Du da den Robert Habeck gerne mit aufzählen.

        Die Frage ist, welche Auswirkungen die gestiegene Inflation und Erwartungen auf die nationale Politik haben könnte.
        Wir schließen gerade neue Verträge für Strom- und Gasversorger ab. Wir haben Glück: Bei uns verdoppeln sich die Energiekosten nur (bei meinem Schwager reicht das nicht, bei unseren Mietern bei weitem nicht). Selbst mit dem Entfall der EEG kommen wir nicht wieder auf die alten Preise zurück. Das trifft selbst einen Ganz-gut-Verdiener wie mich heftig.

        Die FDP kann nur mit einem starken Partner einen eigenen Bundespräsidenten durchbekommen. Das ist in der heutigen Zeit kein Thema. Die Grünen müssten die anderen moralisch verpflichten, so wie sie Union und SPD ja seit Jahren mit Erpressungen im Klimaschutz und bei gesellschaftspolitischen Veränderungen vor sich hertreiben. Doch die SPD kann ja kaum den eigenen Präsidenten abräumen.

        Wie gesagt, aus meiner Sicht ein Fehler, es bei Steinmeier zu belassen.

        Ich habe immer wieder den Eindruck, dass das Polemisch-Aggressive besser ankommt.

        Wenn Du Leute beleidigst, beleidigen die zurück. Aber hier scheint es, als hättest Du die schweigende Mehrheit hinter Dich gebracht. 🙂

        • Stefan Sasse 8. Januar 2022, 09:29

          Was ich an Merz mag, ist nicht die ‚reine Lehre‘. Was ich schätze, ist das Gefühl, dass er nicht beliebig ist, heute dies und jenes fordert und morgen das Gegenteil macht.

          Gilt das nicht immer nur dann, wenn man die Position schätzt? Ich meine, die LINKE ist auch super konsequent und nicht beliebig, nur ist sie halt bei Mist konsequent. Oder die AfD. Konsequenz ist ja kein Wert an sich.

          • Erwin Gabriel 8. Januar 2022, 10:10

            @ Stefan Sasse 8. Januar 2022, 09:29

            Gilt das nicht immer nur dann, wenn man die Position schätzt?

            Nicht nur, aber ist sicherlich etwas dran, dass sich das auf weitestgehend auf das eigene Politikspektrum begrenzt.

            Ich meine, die LINKE ist auch super konsequent und nicht beliebig, nur ist sie halt bei Mist konsequent. Oder die AfD. Konsequenz ist ja kein Wert an sich.

            Mit Bernd Lucke kam ich ganz gut (und mit Frauke Petry halbwegs) zurecht, auch, weil die bestimmte Wege nicht gegangen sind. Alexander Gauland dagegen hat sich, nur um weiter dabei sein zu können, vom Konservativen zum Rechtsextremen gewandelt. Und Bernd Höcke finde ich von vorne bis hinten eklig; wenn ich den im Fernsehen sehe, möchte ich mir anschließend die Hände waschen.

            Bei den Linken gefällt mir (natürlich, was sonst) Sahra Wagenknecht, während Du mir den Oskar auf den Buckel binden müsstest. Mit Dietmar Bartsch oder Bernd Riexinger kann ich auch gut leben. Katja Kipping hatte mir zu oft Schaum vorm Mund; ich fand sie für einen intelligenzbegabten Menschen oft ziemlich dumm. Gregor Gysi war zumindest intelligent witzig, aber sonst … ?

            • Stefan Sasse 8. Januar 2022, 18:56

              Klar, aber keinen der Genannten schätzt du, weil sie konsequenz sind. Mir wären keine Sinneswandel von Riexinger bekannt, während Wagenknecht sich massiv gewandelt hat.

              • Erwin Gabriel 9. Januar 2022, 12:55

                @ Stefan Sasse 8. Januar 2022, 18:56

                Klar, aber keinen der Genannten schätzt du, weil sie konsequenz sind. Mir wären keine Sinneswandel von Riexinger bekannt, während Wagenknecht sich massiv gewandelt hat.

                Oh Mann …

                ich erwarte doch nicht, dass jemand 2020 das gleiche denkt und tut wie 1980.

                Was ich aber erwarte, ist, dass jemand nicht antritt, um die Wehrpflicht zu modernisieren, und sie anschließend abschafft, oder dass jemand vor der Wahl gegen große Flüchtlingsaufnahme ausspricht, nur um dann nicht nur Flüchtlingsströme in unser Land zu lenken, sondern sie auch noch zu erzeugen. Oder dass jemand verspricht, unsere Mitarbeiter in Afghanistan zu schützen und zu versorgen, um sie dann im Stickh zu lassen.

                Wenn Frau Merkel im Laufe der Zeit und nachvollziehbar ihre Einstellung zu Atomkraft ändert, ist das in Ordnung. Wenn sie gegen ihre Überzeugung aus populistischen Gründen kurzfristig ihre Meinung ändert, kann sie mir den Buckel runterrutschen.

                Das ist nicht nur gegen Angela Merkel gerichtet; Sigmar Gabriel ist auch so ein hohler Dummschwätzer, dem der Applaus der Massen stets wichtiger war als eine beständige Politik. Im Gegensatz beispielsweise zu Helmut Schmidt, der an der als richtig erkannten Nachrüstung festhielt, selbst wenn ihn das den Rückhalt seiner Partei und den Job gekostet hat.

                dass sich jemand gegen die Ehe für alle ausspricht, um sie dann ein paar Wochen später einzuführen

        • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 19:43

          Was ich an Merz mag, ist nicht die ‚reine Lehre‘. Was ich schätze, ist das Gefühl, dass er nicht beliebig ist, heute dies und jenes fordert und morgen das Gegenteil macht.

          Nun, Merz hat sowohl im innerparteilichen Wahlkampf als auch im Nachgang Positionen geräumt. Je nachdem, wie man Merz zugeneigt ist, kann man das als Umfallen oder Reagieren auf Entwicklungen bezeichnen. Nur steht Merz heute auch nicht mehr da, wo er 2002 stand. In diesem Sinne trifft das allerdings auf viele Spitzenpolitiker zu: Scholz, Lindner, Habeck, Laschet usw.

          Ich würde mir auch einen anderen Bundespräsidenten wünschen. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert und er ist mir genehmer als Katrin Göring-Eckardt. Wofür hätte das gutsein sollen?

          Ich beleidige fast nie bewusst. Und ich werde selten beleidigt. Ich bin seit 2007 in Blogs unterwegs, man darf nicht zu fein beseidet sein. Aber wenn ich eine Strichliste machen müsste, dann würde ich behaupten, dass die konfrontativen Artikel weit mehr (auch sachliche) Debatten initiiert haben als die sachlichen.

          • Erwin Gabriel 9. Januar 2022, 13:18

            @ Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 19:43

            Nun, Merz hat sowohl im innerparteilichen Wahlkampf als auch im Nachgang Positionen geräumt.

            Dagegen, im Laufe der Zeit eine Position zu modifizieren oder sich an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen, ist nichts zu sagen. Passiert bei mir selbst ja auch (Stichwort „Ehe für alle“; nicht, dass mich das Thema begeistert, aber ich lehne es nicht mehr ab). Aber immer wieder das Gegenteil von dem zu machen, was man versprochen und verkündet hat, ist unseriös.

            Ich würde mir auch einen anderen Bundespräsidenten wünschen. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert und er ist mir genehmer als Katrin Göring-Eckardt. Wofür hätte das gutsein sollen?

            Frau Eckardt wäre auch nicht meine Lieblingsbesetzung, sagte ich ja schon. Ich habe es auch nicht zu entscheiden. Ich denke nur, dass das Festhalten an Steinmeier eine deutlich suboptimale Lösung ist.

            Ich beleidige fast nie bewusst. Und ich werde selten beleidigt.

            Du provozierst immer wieder, durchaus auch mit der Absicht, Dich an die Grenze zur Beleidigung heranzutasten (Du kommst mt dem Florett statt dem Säbel in der Hand, hatten wir ja schon mal, aber keinesfalls stets in friedlicher Absicht 🙂 ). Dass sich jemand dann beleidigt fühlen mag, kannst Du ihm dann schwerlich vorwerfen.

            Ansonsten magst Du ein dickeres Fell haben als andere. Ich lese nicht nur gegen andere gerichtete Sprüche von Dir, die ich als Beleidigung empfunden hätte, sondern auch viele Repliken gegen Dich, die ich ebenfalls als Beleidigung empfunden hätte, und die Du locker wegsteckst. Dann wiederum reagierst Du empfindlich auf Bemerkungen, die mich nicht gejuckt hätten.

            Ist halt alles sehr individuell, ob, wann und wie man sich angegriffen fühlt. Zumindest ist der Maßstab, den Du anlegst, vermutlich nicht das Mainstream-Empfinden.

            … dass die konfrontativen Artikel weit mehr (auch sachliche) Debatten initiiert haben als die sachlichen.

            Das sehe ich bei weitem nicht so ausgeprägt. In dem obenstehenden Beitrag beleuchtest Du die Situation ergebnisoffen von allen Seiten. In vielen anderen Beiträgen ist der Analyse-Teil weniger stark ausgeprägt, dafür lieferst Du Bewertungen über äußerst pointierte Formulierungen mit absichtsvoll eingebauter Freund-Feind-Kennung. Funktioniert einfach anders, und ist schwer vergleichbar.

            Ich bin seit 2007 in Blogs unterwegs, man darf nicht zu fein beseidet sein. Aber wenn ich eine Strichliste machen müsste, dann würde ich behaupten, dass die konfrontativen Artikel weit mehr (auch sachliche) Debatten initiiert haben als die sachlichen.

            • Stefan Pietsch 9. Januar 2022, 23:20

              Ich denke nur, dass das Festhalten an Steinmeier eine deutlich suboptimale Lösung ist.

              Da sind wir wieder beim Thema: Was bitte ist eine optimale Lösung? Richard von Weizäcker ist tot.

              Du provozierst immer wieder, durchaus auch mit der Absicht

              Nicht mal das. Ich duelliere mich gerne mit Worten und Fakten. Aber in jedem Sport passieren auch unbeabsichtigte Fouls. Deswegen fällt es mir auch so leicht, ein „Entschuldigung“ rüberzuwerfen. So wie das Sportler eben machen. Und ich verstehe nicht, warum das anderen so schwerfällt. Außer Stefan sagt nur CitizenK manchmal Sorry.

              Ich habe unbestreitbare Vorteile durch die mir zustehenden Rechte. Wenn mir Ansichten nicht passen, kann ich einen Artikel dazu verfassen und die Positionen in der Luft zerreißen. Und wenn mir Kommentare zu despektierlich herkommen, kann ich sie löschen oder manipulieren. Das alles gibt mir eine privilegierte Position, weshalb ich einige Regeln für mich aufgestellt habe: Aus der hochgesetzten Position des Artikelschreibers spreche ich die kritisierten Personen nie namentlich an. In Artikeln dürfen Kommentatoren nie vorgeführt werden. Und als Blogger muss ich mir mehr direkte Angriffe gefallen lassen als andere Kommentatoren.

  • Lemmy Caution 7. Januar 2022, 15:44

    Wir leben in der für Mitteleuropa vielleicht unübersichtlichsten Zeit seit WK2. Dies führt dann unweigerlich zu Koalitionen, die den beteiligten Parteien viel mäßigenden Sachverstand abverlangen. Die außenpolitisch bedrohlicheren Haltungen Rußlands und Chinas wie auch der innenpolitische Druck durch die Querdenker könnten die Einigkeit stärken.
    Die Hoffnung auf Steuersenkungen für Besserverdienende halte ich heute für so unrealistisch wie eine Ausweitung des Sozialstaats in der Zeit zwischen 1993 und 2011. Das passt einfach nicht in die Zeit. Andererseits ist Lindner als Mister Njet für die Ausgabenseite ein Segen. Gabriel Boric Suche nach einer ähnlichen Persönlichkeit gestaltet sich schwieriger, nachdem die großartigen Andrea Repetto und Eduardo Engel leider abgesagt haben. So jemanden brauchen mitte-links Koalitionen heutzutage dringend.
    Ich habe vor Ende dieses Jahres 4,5 Jahre für ein Bundesamt gearbeitet. Für gendern, Geschlechtsfeldern mit den Optionen männlich, weiblich, unbekannt und divers sowie den härtesten Barrierefreiheits-Anforderungen des Universums braucht der Amtsschimmel keine Grüne in der Regierung.
    Das Außenministerium hat seit den Zeiten Genschmans auch Teile der Kompetenzen an Europa abgegeben. Unsere Lateinamerika-Politik wird in Madrid entschieden, die Afrika-Politik in Paris.
    Die Aufregung über das bisschen Werbung für ein Nachdenken über Ernährung von Özdemir fand ich scheinheilig und maßlos überzogen. Ich hatte über die Jahre einige Kollegen in der 150 kg Klasse: Die ernähren sich einfach anders und hatten mehr als genug Geld.

    Ansonsten habe ich keine überzogene Erwartungen an diese Regierung. Dafür sind die Zeiten zu schwierig. Es ist halt das kleinste mögliche Übel.

    • Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 19:30

      Die Hoffnung auf Steuersenkungen für Besserverdienende halte ich heute für so unrealistisch wie eine Ausweitung des Sozialstaats in der Zeit zwischen 1993 und 2011.

      Es geht nicht um Steuersenkungen für Besserverdiener, sondern um eine Minderung des Steuerzugriffs für alle. Die Abschaffung des Solis würde wegen der fatalen Steuerpolitik der letzten Merkel-Regierung, die den Soli nur für 90% der Steuerzahler abschaffte – wie eine Steuersenkung für Reiche wirken. Das politische Desaster würde aber den Richtigen treffen: Olaf Scholz hat diese Diskriminierung der Steuerzahler mit höherem Einkommen zu verantworten. Was ich sehe, ist eben das politische Problem, was wiederum Lindner in die Karten spielen würde: er besäße Druckpotential. Ansonsten bin ich bei Dir: Pandemiefolgekosten, Energieumbau und Alterung der Bevölkerung verengen die steuerpolitischen Spielräume enorm.

      Mit der Entwicklung der EWG zur EU verlor der Außenminister innerhalb der Gemeinschaft seine Bedeutung. Das Spielfeld der Außenpolitik hat sich auf Drittstaaten verengt, das noch mit der Entwicklungspolitik geteilt werden muss. Auf den wichtigsten Veranstaltungen wie G7 und G20 werden die Staaten von den Regierungschefs vertreten. Da bleibt dann nicht viel. Innerhalb der EU ist der Finanzminister nach dem Regierungschef die zweitwichtigste Person. Das war zu Genschers Zeiten noch deutlich anders.

      Es ist in jedem Markt zeitweise notwendig, Waren unter Einstand zu veräußern um sie überhaupt verwerten zu können. Das gilt für Lebensmittel ebenso. Kein Unternehmer hat jedoch Interesse, in engen Märkten unter Einkaufspreis zu verkaufen. Das ist eine marktfeindliche Einstellung von Özdemir und hat mit dem Verständnis für die Gegebenheiten nichts zu tun. Deswegen: Reine Ideologie.

      • CitizenK 8. Januar 2022, 08:51

        „marktfeindliche Einstellung von Özdemir“

        Aber wollen wir wirklich eine „Marktbereinigung“ in der Form, dass Familienbetriebe in der Landwirtschaft vollends verschwinden und die Branche von Investoren übernommen wird?

        Statt „kleinstes Übel“ schlage ich „kleinster gemeinsamer Nenner“ vor.

        • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 10:30

          Schon die wenigen Worte ziehen mir die Schuhe aus. Die Economies of Scale gelten in einer Wirtschaft, die zunehmend auf Individualität setzt, nicht uneingeschränkt bzw. sind nicht das einzige Kriterium. Und so freie Märkte wie die USA zeigen, dass unter offenen Marktbedingungen Unternehmen sehr schnell sehr groß werden und dann wieder verschwinden können. Tatsächlich setzt man heute auf Spezialisierung, Konglomerate sind out und werden an der Börse mit Abschlägen bestraft. Und was sagt es Ihnen, dass Siemens filetiert wurde?

          Das Denken, dass große Konzerne kleine Unternehmen mit Dumpingpreisen herauskonkurrieren, ist so old fashion. Das Kartellrecht verbietet seit seinem Bestehen das Anbieten zu Preisen unter Einstand zum Zwecke der Wettbewerbsbeschränkung. Wo fehlt Ihnen da etwas?

          Özedemir geht es um etwas anderes, nämlich den Markt so zu gestalten, dass nur noch Edelbetriebe bestehen können. Nur solche haben dann auch Luxuspreise. Er maßt sich an darüber bestimmen zu können, was der Verbraucher konsumieren darf.

          Ich mag solche Negativbeschreibungen nicht, vor allem dann nicht, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Menschen geht.

    • Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 19:55

      Ich mag übrigens das Bild vom kleineren Übel nicht. Ich verwende die Metapher auch kaum bis gar nicht. Im Grunde finde ich es despektierlich gegenüber Menschen, Organisationen und eben auch Parteien. Schon Schwarz-Gelb, das war ja 2009 – 2013 überdeutlich, ist in meinen Augen weit von einer idealen Formation entfernt. Jetzt unter Pandemie-Bedingungen hätte die Union die FDP möglicherweise eher unter Wasser gedrückt als die SPD. Olaf Scholz denkt selbst liberaler und lässt der FDP Spiel. Was ist da also das „kleinere Übel“?

      Wir müssen zusammenarbeiten und uns einigen. Das ist immer in unserem Leben so. Zusammenarbeit und Einigung als kleineres Übel zu kategorisieren widerstrebt mir daher.

      • Lemmy Caution 8. Januar 2022, 00:32

        Wieso Steuersenkung für Reich WIRKEN? Wir zahlen den Soli erst ab 73k steuerpflichtiges Einkommen im Jahr (Alleinstehende) oder 151k (Verheiratete). Bis 109k (Alleinstehende) und 221k (Verheiratete) zahlt man ansteigend nicht die vollen 5,5% auf die Einkommenssteuer. Viele der Leute, die das noch zahlen, geben sich im Büro oft Mühe, aber sie lassen sich ihre Arbeitsleistung halt auch ganz gut bezahlen. Darunter sind zumindest einige Schaumschläger, Opportunisten und Peer-Group Jubelperser. Diskriminierung empfinde ich da als einen nicht wirklich passenden Begriff.

        Bei Lebensmitteln kann man auch Geld sparen, indem man Fleisch/zuckerhaltige Fertigkost meidet und dafür werthaltigeres kauft. Gemüse ist nicht teuer. Damit hat Özdemir recht. Mir gelingt das im Rewe auch nicht immer, aber tendenziell immer besser. Hab schon mit erwachsenen Männern ein Großraum-Segment geteilt, die morgens erstmal 2 Liter Kakao (!) getrunken, um 10:00 Uhr eine große Tüte Erdnuß-Flipps weggeputzt haben oder deren Flüssigkeitsaufnahme ausschließlich aus zuckerhaltigen Zeugs bestand.

        Find das Bild des kleinsten Übels ok. Komplexe Zusammenhänge bestehen aus einer Menge von trade-offs. Habe als Software-Entwickler 15 Jahre gebraucht, bis ich den Satz verstanden habe, dass gute Software-Architektur-Entscheidungen meist auf die Wahl des kleinsten Übels hinauslaufen. Das gehört zu den in Meetings besser nicht kommunizierten Wahrheiten. Wenn zu sehr schöngeredet wird, was in meiner Branche leider sehr üblich ist, suche ich am schweigend die Tür. Ich halte das nämlich auf Dauer nicht aus. Hab ich mir geschworen. Es gibt genug offene Türen.

        • Erwin Gabriel 8. Januar 2022, 10:22

          @ Lemmy Caution 8. Januar 2022, 00:32

          Wir zahlen den Soli erst ab 73k steuerpflichtiges Einkommen im Jahr (Alleinstehende) oder 151k (Verheiratete). Bis 109k (Alleinstehende) und 221k (Verheiratete) zahlt man ansteigend nicht die vollen 5,5% auf die Einkommenssteuer.

          Das ist doch alles vollkommen egal.

          Der Soli wurde von praktisch allen erhoben, um bestimmte außergewöhnliche Leistungen wuppen zu können (in erster Linie den Irakkrieg von Bush senior und den Aufbau Ost). Diese Anstrengungen hat man irgendwann durchfinanziert, behielt den Soli aber weiter bei. Dann schaffte man ihn auf Druck des BVerfG weitgehend ab, behielt ihn aber für „die Reichen“ bei. Begründung: Die haben’s ja.

          Echt jetzt?

          Gemüse ist nicht teuer.

          Wann hast Du das letzte mal Gemüse gekauft – eine Paprika, eine Gurke, eine Zwiebel?

          • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 10:32

            Zwiebel 1 Euro. Da sind viele Schokoladen günstiger.

            • Stefan Sasse 8. Januar 2022, 18:57

              Alle eigentlich. Gemüse ist definitiv viel zu teuer. Darüber hab ich hier im Kontext von Ungleichheit ja auch schon geschrieben.

              • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 19:36

                Versuch‘ doch mal in Straßburg einzukaufen. Oder Madrid. „Zu teuer“ ist sehr relativ.

          • Lemmy Caution 8. Januar 2022, 12:12

            Auf einem Markt wird nicht nach Leistung sondern nach Knappheit bezahlt. Es ist völlig in Ordnung von Leuten mit einem guten Einkommen mehr Steuern zu verlangen. Ich hab keine Probleme den Soli zu bezahlen, obwohl ich mich oft an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit fühle. Die letzten 8 Monate waren in der Beziehung schon krass. Hab auch an mir festgestellt, dass es ab einem gewissen Schwellwert Geld nicht mehr der motivierende Faktor darstellt. Eher oft an etwas arbeiten zu dürfen, das mein Interesse nicht ermüden läßt.

            • Erwin Gabriel 9. Januar 2022, 21:29

              @ Lemmy Caution 8. Januar 2022, 12:12

              Es ist völlig in Ordnung von Leuten mit einem guten Einkommen, mehr Steuern zu verlangen.

              Das tue ich auch schon ohne Soli.

              Ich hab keine Probleme den Soli zu bezahlen, obwohl ich mich oft an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit fühle.

              Ich schon. Noch mehr als die Summe stört mich die Begründung: „Die haben’s ja“.

              Ich verdiene zwar nicht schlecht, aber gerade genug, um mir meinen Job leisten zu können (ich bin Pendler und muss mir an meiner Arbeitsstelle eine kleine Wohnung halten; doppelte Nebenkosten oder Einzelverpflegung ist auch teurer teurer als Pärchenversorgung, dazu pro Woche 600 km für An- und Abreise).

              Ich bewege mich in meinem Lebensstandard sicherlich überdurchschnittlich, muss mich aber trotzdem deutlich unter dem halten, was mein Einkommen eigentlich hergibt.

              Nun interessiert mich das durchschnittliche Einkommen eigentlich einen Schnurz: Es kann nicht sein, dass sich jeder an dem orientieren muss, was ganz unten verdient wird, egal, ob das an Faulheit, mangelnder Bildung, mangelndem Einsatz, mangelnder Flexibilität, einem bildungsfernen Elternhaus, an einer nicht mehr gefagten Ausbildung, am Strukturwandel oder einfach nur am Pech liegt.

              Ich leiste meine Arbeit, warte (weil ich ganz gut eingestiegen bin) seit 8 Jahren vergebens auf eine Gehaltserhöhung, und werde (bezogen auf meine individuelle Betrachtung) staatlicherseits schon bei Kranken- und Rentenversicherung abgezogen.

              Dann sollen, höflich formuliert, diejenigen, die von meiner nicht in allen Bereichen freiwilligen Solidarität und Arbeitsleistung profitieren, mir nicht auch noch vorrechnen, wieviel ich darüber hinaus noch abgeben könnte.

              Hab auch an mir festgestellt, dass es ab einem gewissen Schwellwert Geld nicht mehr der motivierende Faktor darstellt. Eher oft an etwas arbeiten zu dürfen, das mein Interesse nicht ermüden lässt.

              Das verstehe ich sehr gut. Es mag angesichts meiner obigen Ausführungen eigenartig klingen, aber Geld ist auch bei mir nicht die Hauptmotivation. Ich brauche es halt, um über die Runden zu kommen, aber ich habe auch immer wieder Jobs gefunden, die mich mit ihren Herausforderungen riefen; denen bin ich quer durch Deutschland auch immer hinterher gereist.

        • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 10:53

          Ursprünglich haben ihn alle gezahlt. Zur gemeinsamen Finanzierung des Projekts Deutsche Einheit. Der Soli ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer, die der Bund im Gegensatz zur Basis ziemlich frei und willkürlich festlegen kann. Im Gegenzug unterliegt er erheblichen Bedingungen. Das ist das Geschäft.

          Was das bedeutet? Nun, zuerst unterstreicht es meine Behauptung: die Politik gestaltet die Einkommensteuer immer mehr zu einer Abgabe um, die nur von einem Teil der Bürger (spürbar) gezahlt werden muss. Das sorgt wiederum dafür, dass die Unterstützung für Steuererhöhungen für wenige steigt. Es gab keinen sachlichen Grund, den Soli von einer allgemeinen (übrigens sehr progressiv belastenden) Abgabe zu einer Reichensteuer umzugestalten. Und das zu einem Zeitpunkt, als der eigentliche Zweck, die Basis wie oben genannt, weggefallen ist.

          Viele der Leute, die das noch zahlen, geben sich im Büro oft Mühe, aber sie lassen sich ihre Arbeitsleistung halt auch ganz gut bezahlen.

          Ehrlich Lemmy, ich schätze Dich ja sehr. Aber das finde ich dermaßen arrogant, dass ich innerlich koche. Auch unter den darunter liegenden Einkommen gibt es viele Non-Performer und Arbeitvortäuscher. Es steht weder der Politik noch Dir als Bürger an, die Arbeit von anderen zu bewerten, zumal wenn Du sie nicht kennst. Zu den Fakten: mit steigendem Einkommen werden mehr (unbezahlte) Überstunden geleistet, der tatsächliche Stundensatz ist damit erheblich niedriger als der offiziell errechnete. Hohe Einkommensgruppen tragen fast immer Personalverantwortung mit persönlicher Haftung und höherem Entlassungsrisiko.

          Als ich für einen alteingesessenen Maschinenbauer gearbeitet habe, lagen zwischen den höchsten Tarifentgelten und den Gehältern von uns in der operativen Leitung gerade ein paar hundert Euro. Und während die Tarifbeschäftigten jede Überstunde bezahlt bekamen, Weihnachts- und Urlaubsgeld erhielten und normal jede Tariferhöhung mitnahmen, sah es bei uns in der Geschäftsleitung anders aus. Obwohl wir das Ding ins Profitable drehten und damit den Leuten erst ihren Job erhielten, war für uns mehrmals der Bonus ausgesetzt. Gehaltserhöhungen hängen immer von der Konzernleitung ab. So habe ich es öfters erlebt, dass die Holding die Leitenden finanziell aushungern, bis die halt eben gehen. Und wenn wir bis abends 22 Uhr noch mit dem CEO zusammensaßen, gab es nicht einmal ein Danke. Dafür aber den Neid der Mitarbeiter, die natürlich meinten, wie toll wir verdienen würden. Spinner eben, satte Gesellen, die nicht mehr wissen, wie gut der Mittelbau der Gesellschaft heute verdient.

          Also verschone mich bitte von solchem Gerede. Der Politik steht es nicht an, moralisch über Gehälter zu werten.

          Ich arbeite mit Menschen. Kompromisse und Entscheidungen sind Normalität, nie ein kleineres Übel, sondern Notwendigkeit.

          • Lemmy Caution 8. Januar 2022, 13:35

            Wirklich reiche Leute beziehen ihr Einkommen eher mit dem Produktionsfaktor Kapital. Der Soli besteuert nur Arbeitseinkommen. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe kann auch mehr besteuert werden. Diese Menschen dürfen in einem System leben, in dem für ihre Motivation/Interessen eine vergleichsweise hohe Knappheit vorherrscht.

            SP: Ehrlich Lemmy, ich schätze Dich ja sehr. Aber das finde ich dermaßen arrogant, dass ich innerlich koche.

            LC: Ja dann koch halt. Ich schliesse mich ja ein bei den Leuten, die sich ihre Arbeit ganz gut bezahlen lassen. Und es gibt da auch mehr oder weniger performante Phasen. Was ist daran bitte arrogant? Meine Arbeit wird IMMER irgendwie bewertet, übrigens auch von Leuten, die davon wirklich keinen blassen Schimmer haben. Also nehme ich mir im Namen das Transparenz das Recht, auch die Arbeit von anderen zu bewerten. Natürlich ohne Namen zu nennen. So loyal bin ich.

            SP: Mit steigendem Einkommen werden mehr unbezahlte Überstunden geleistet.
            LC: Das ist mir als freiberuflicher Software-Entwickler in Bereichen mit einer hohen Innovationsgeschwindigkeit im Technlogie-Stack natürlich völlig unbekannt. Zum einen billt so jemand wie ich in Projekten nicht jede Stunde, etwa und in der Reihenfolge
            – bei der Erstellung von größeren Game-Changer Vorschlägen
            – für umstrittene persönliche Hobbies wie der Optimierung des Testdaten-Repositories und wirklich komplexen, aber pflegbaren Integrationstests.
            – zum Glätten von gröberern Fehlern in der Zeitschätzung
            – bei der Einarbeitung in nicht so bekannte Teilbereiche von Projekten
            Liegt etwa bei 10% meiner Arbeitsleistung.
            Und dann natürlich Weiterbildung außerhalb des Projekts, was nochmal 20 bis 30% meiner gebillten Zeit ausmacht. Unsereins konsumiert die sehr guten Online-Lernplattformen wie Udemy oder Pluralsight wie andere Leute Netflix. Fachbücher, Java-Magazin, Online Konferenzen, Hobby-Projekte. Followe auf twitter 40% Chile, 40% Tech, 20% Rest.

            SP: Und wenn wir bis abends 22 Uhr noch mit dem CEO zusammensaßen, gab es nicht einmal ein Danke.
            LC: In komplexeren Arbeitszusammenhängen passiert das oft. Ich hatte im lettzen Jahr für unser Projekt im Zusammenhang der Log4j Vulnerability die wir-sind-nicht-betroffen Analyse an einem Montag um 8:00 Uhr an einen größeren Email-Verteiler verschickt, wurde in den folgenden 3 Tagen mehrfach in nervige Online Meetings bestellt, bekam eine Menge seltsamer inkompetenter Rückfragen und nie ein Dankeschön, was mir sowieso egal gewesen wäre. Das ist nur ein Beispiel. Ich hätte da eine Menge stories. Mit der Komplexität der eigenen Augen verliert sich die Nachvollziehbarkeit des persönlichen Einsatzes für andere.
            Klingt sicher auch arrogant, aber es ist wahr:: Lob vom Management ist mir seit Jahren egal bis unangenehm. Ich hab das aktuelle Projekt auch danach ausgewählt, dass es nach Meetings nur mit anderen Programmierern, technical operation und Usern aussah. Das scheint sich zu bewahrheiten. Keine Meetings mit Management, Konzeptioniern aus Unternehmensberatungen oder Scrum-Mastern. Hinweis: Diese Leute sind oft schlechter bezahlt als ich, es handelt sich also nicht um Sozialneid. Ich finds traurig, aber so manifestierte sich der Prozess zum Senior bei mir.

            • Stefan Pietsch 8. Januar 2022, 19:35

              Wirklich reiche Leute beziehen ihr Einkommen eher mit dem Produktionsfaktor Kapital.

              Kommt darauf an. Ökonomen rechnen zum Produktionsfaktor Kapital auch Wissen, Know-how. Leute wie Du. Wenn Du das nicht gelten lässt, stimmt Deine Behauptung auch nicht, denn die meisten Reichen führen die Unternehmen, die sie besitzen, arbeiten also in Führungspositionen. Und das mehr als 40 Wochenstunden.

              Der Soli besteuert nur Arbeitseinkommen.

              Das ist falsch. Ich dachte, Du besitzt ETFs. Dann schau‘ bei Gelegenheit mal auf die Dividendenabrechnung oder den Verkaufsbeleg. Du wirst staunen, was Du für Steuern zahlst, von denen Du keine Ahnung hattest. 🙂 Vor allem zahlen den Soli kleine und mittelständische Unternehmen und das ist bei dünner Kapitalausstattung nicht unwesentlich.

              Ab einer bestimmten Einkommenshöhe kann auch mehr besteuert werden.

              An dieser Stelle muss ich Dich vielleicht darauf aufmerksam machen, dass wir nicht in Chile sind. Seit Gründung der Bundesrepublik gilt in Deutschland ein linear-progressiver Tarif, höhere Einkommen zahlen nicht nur absolut, sondern auch relativ viel mehr. Wir haben den in der OECD am stärksten gespreizten Tarif mit einem Eingangssteuersatz von 14% und einem Spitzensteuersatz (exklusive Soli) von 42% (ohne Reichensteuer von 48%). Der Soli kommt noch on top als Sondersteuer für Leute mit hohem Einkommen. Dieser Zuschlag ist aber nicht auf dem verfassungsrechtlich vorbestimmten Weg beschlossen worden, also mit Zustimmung des Bundesrates, sondern mit einfacher Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wenn der Staat der Ansicht ist, Leute mit einem Spitzeneinkommen sollten noch mehr Einkommensteuer zahlen, so kann dies auf dem üblichen gesetzgeberischen Wege erfolgen – und die Länder würden partizipieren. Doch das verweigert Berlin seit 8 Jahren. Der Grund: dafür gibt es keine Mehrheiten.

              Deine Einschätzung hat und darf keine Relevanz für die Besteuerung haben. Ist das deutlich genug formuliert?

              SP: Mit steigendem Einkommen werden mehr unbezahlte Überstunden geleistet.
              LC: Das ist mir als freiberuflicher Software-Entwickler in Bereichen mit einer hohen Innovationsgeschwindigkeit im Technlogie-Stack natürlich völlig unbekannt.

              Dann sollte Deine ironische Erkenntnis sich irgendwo auch in Deiner Argumentation wiederfinden. Das Gegenteil ist der Fall.

              Wenn Du von Neid der Mitarbeiter überzogen würdest, die einfach keine Ahnung haben, wäre Dir das vielleicht nicht so egal.

              • Lemmy Caution 8. Januar 2022, 22:25

                SP: Humankapital.
                LC: Der Wert von Humankapital ist schwer zu quantifizieren. Im übrigen verfügt auch eine Putzfrau über Humankapital und nicht nur Leute wie ich.

                SP: Soli für Kapitaleinkommen
                LC: Stimmt. Da gibts auch eine Solikomponente. Allerdings zahle zumindest ich da geringere Steuern als mein Gesamtsteuersatz für Arbeitseinkommen.

                SP: Steuerprogression Chile
                In Chile gibt es inzwischen 7 unterschiedliche Einkommenssätze. Alles Einkommen unter 688k CLP im Monat ist Steuerfrei
                688k bis 1,2 Mio CLP 4%
                ….
                6 Mio bis 15 Mio 35%
                > 15 Mio 40%
                https://www.sii.cl/valores_y_fechas/impuesto_2da_categoria/impuesto2020.htm

                aktuell 944 CLP = 1 Euro. Man kann also fast die tsd durch Euro ersetzen.

                Es würde mich überraschen, wenn es noch Länder gäbe, die höhere Einkommen NICHT mit einem höheren Satz besteuern.

                Sollten wir in der OECD die am weitesten gespreizten Steuersätze haben, können wir die wegen mir noch ein wenig mehr spreizen, damit wir noch ein besseres Beispiel für Zukunftsfähigkeit für die anderen Länder werden. Eine Privatmeinung zu Steuergesetzgebung sollte mir auch nach ein paar Wochen F.D.P. in der Regierung wohl noch gestattet sein.

                Neid von Sachbearbeitern, internen Entwicklern/Admins, etc. ist für mich immer mal wieder ein Thema. Ich weiss wie unangenehm das sein kann. Trotzdem bin ich für Umverteilung durch Steuern.

                • CitizenK 9. Januar 2022, 08:45

                  Vermögenszuwachs entsteht durch Einkommen. Gilt auch für Privatvermögen. Wenn also das Privatvermögen steigt, muss auch das Einkommen gestiegen sein. Und zwar nach der Steuer, sonst wär das Geld ja weg. Soweit richtig? Dann ist diese Nachricht vielleicht interessant:
                  „Deutsche haben das größte Privatvermögen
                  Stand: 05.01.2022 18:55 Uhr
                  Trotz schwächerer Wirtschaftsleistung sind die Privatvermögen in Deutschland im Corona-Jahr 2020 weiter gewachsen. Experten und Gewerkschafter sehen die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert.“

                  https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/privatvermoegen-wachstum-europa-101.html

                  • Lemmy Caution 9. Januar 2022, 13:34

                    Im Kontext der Bauernregel „Vermögen entsteht aus Einkommen“ ist folgendes zu beachten ->

                    Mein Vermögen entsteht aus
                    – recht hoch besteuertes Arbeits-Einkommen
                    – weniger hoch besteuerte Renditen aus Anlagen
                    – steuer-freien Renditen aus Anlagen in meinem Rürup-Individual-Rentenkonto
                    – irgendwann eine Erbschaft

                • Stefan Pietsch 9. Januar 2022, 10:36

                  Der Wert von Humankapital ist schwer zu quantifizieren.

                  Es geht nicht um Wert, sondern als Anteil am Produktivvermögen. Du hattest gemeint, Reiche würden nicht durch Arbeit, sondern Kapital ihr Einkommen verdienen. Eine Putzfrau setzt kein Humankapital bei ihrer Arbeit ein. Das Know-how, das für einfache Arbeiten wie Putzen, Straßen reinigen, Post zustellen erforderlich ist, ist überschaubar. Deswegen kann diese Arbeit auch praktisch von jedermann getan werden und ist entsprechend gering bezahlt.

                  Stimmt. Da gibts auch eine Solikomponente. Allerdings zahle zumindest ich da geringere Steuern als mein Gesamtsteuersatz für Arbeitseinkommen.

                  Nein, tust Du nicht. Du übernimmst das linke Narrativ, das ist aber reine Ideologie. Nehmen wir 100 Gewinn. Geht es um Dich, dann musst Du das als Selbständiger mit Deinem persönlichen Einkommensteuersatz, als 45% (inklusive Soli) versteuern. Bist Du an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, die diesen Gewinn dir als Dividendenanteil zahlt, läuft die Besteuerung anders, kommt aber zu dem fast gleichen Ergebnis. Die 100 wurden im Unternehmen mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer belastet, was für Dich zur Ausschüttung kommt, sind also eigentlich 69 bis 70. Diese werden nun der Abgeltungsteuer von 25% und dem Soli von 5,5% auf die Einkommensteuerschuld unterworfen. Von den 69,5 werden also nochmals 18,5 abgezogen, so dass von dem ursprünglichen Gewinn nur 51 bei Dir landen. Das ist weniger, als wenn Du selbständig wärst. Der Staat versucht sich so dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der Rechtsformneutralität der Besteuerung anzunähern.

                  Zwei Sachen, Lemmy: Erstens, das war schon immer so, lief halt nur vor Einführung der Abgeltungsteuer technisch anders. Zweitens ist es Blödsinn anzunehmen, der deutsche Staat würde je seinen Bürgern etwas „schenken“. Bei jeder Steuerreform hat er bisher seinen Schnitt gemacht.

                  Steuerprogression Chile
                  In Chile gibt es inzwischen 7 unterschiedliche Einkommenssätze. Alles Einkommen unter 688k CLP im Monat ist Steuerfrei

                  Ich sprach nicht von Chile, sondern der OECD insgesamt. Beginnen wir hier. Das ist zwar noch nicht das, was ich gemeint habe, zeigt aber die insgesamt extrem hohe personelle Steuerbelastung in Deutschland.

                  Das hier ist besser, bezieht sich aber „nur“ auf die EU. Nehmen wir Dänemark. Der Spitzensteuersatz liegt dort bei 52%, der Eingangssatz aber auch bei 37%, eine Spreizung mithin von gerade 15 Prozentpunkten. Anderes Beispiel, Belgien: Die Spreizung liegt bei 27%-Punkten. Italien 23%. Spanien 26%. Niederlande 15,5%.

                  Kaum ein Land liegt vor der deutschen Spreizung mit 33,5%. Frankreich liegt mit 35% knapp darüber. Damit modifiziere ich etwas meine Behauptung, aber es bleibt dabei: Wir Deutschen differenzieren die Einkommensbesteuerung bereits extrem. Dass dies nicht geschehen würde, ist eine falsche Behauptung.

                  Trotzdem bin ich für Umverteilung durch Steuern.

                  Das passiert und zwar in einem enormen Umfang. Wo ist Deine Kritik?

                  • Lemmy Caution 9. Januar 2022, 13:53

                    SP: Eine Putzfrau setzt kein Humankapital bei ihrer Arbeit ein. Das Know-how, das für einfache Arbeiten wie Putzen, Straßen reinigen, Post zustellen erforderlich ist, ist überschaubar.

                    LC: Ein anderes Beispiel wären Pflege-Kräfte. Hab meinem Zivil-Dienst 20 Monate in einem Krankenhaus abgeleistet. Immer wenn ich mich von der Arbeit ausgesaugt fühle, denke ich an die Zeit zurück. Hat mir im Leben sehr geholfen.

                    SP: sinngemäss: „Kapitalerträge werden geringer besteuert als Einkommen aus Arbeit ist ein linkes Narrativ“.
                    LC: Die Kapitalertragssteuer liegt bei 25%. Das ist nun einmal geringer als mein Gesamtsteuersatz für Arbeitseinkünfte.

                    SP: gestaffelte Einkommenssteuer OECD, Deutschland, Chile
                    LC: Du hast auf Chile hingewiesen, als Du den steigenden Grenzsteuersatz erwähnt hast.
                    Steuersysteme sind nicht leicht zu vergleichen. Eine OECD Studie sieht uns bei der Gesamtsteuerbelastung im Mittelfeld.
                    https://www.businessinsider.de/wirtschaft/finanzen/oecd-studie-zur-steuerlast-deutschland-ist-hochsteuerland-vor-allem-fuer-singles/

                    Für die Spreizung habe ich noch nichts vernünftiges gefunden. Man muss da wirklich alles vergleichen. In Deutschland lassen sich etwa Luxus-Autos vermutlich besser absetzen als in den meisten anderen Ländern.
                    Chile ist auch interessant. Die Steuertarife sehen da extrem gespreizt aus. Dazu muss man aber wissen, dass hohe Einkommen in Verbindung mit z.T. Briefkastenfirmen unglaubliche Abschreibe-Möglichkeiten haben.

                    • Stefan Pietsch 9. Januar 2022, 19:45

                      Auch Pflegekräfte arbeiten selten unter Einsatz von nennenswert Human Capital. Ökonomisch definiert. Ökonomen umreißen Human Capital als wesentlich für den Produktionsprozess Soweit eine Arbeit wesentlich auf den Einsatz körperlicher Kräfte beruht, ist es klassisch „Arbeit“.

                      Ich habe erwähnt, dass ich im Alter von 18 zwangsweise 10 Arbeitsstunden in einem Altenheim ableisten musste. Ich habe hohen Respekt vor dieser Arbeit und ich habe nie etwas Despektierliches über Pflegekräfte gesagt oder geschrieben.

                      LC: Die Kapitalertragssteuer liegt bei 25%. Das ist nun einmal geringer als mein Gesamtsteuersatz für Arbeitseinkünfte.

                      Ist aber eine falsche Betrachtung, der viele anhängen und die politisch instrumentalisiert wird. Eine Sache, auch ein Gewinn, darf nur einmal besteuert werden. Es wäre ungerecht, bei steuerlich belastetem Gewinn so zu tun als wäre er unbelastet. Der Staat hat bereits einen Anteil einbehalten.

                      Früher war es so, dass der Staat sofort seinen gesamten Anteil einkassiert hat. Wurde Dividende ausgeschüttet, bekamst Du als Dividendenzahler eine Steuergutschrift. Das Ergebnis war das Gleiche. Nein, Lemmy, hier liegt keine Bevorzugung vor.

                      Du verlinkst einen Artikel, der in der Überschrift sagt, dass Deutschland Hochsteuerland sei. Das gilt nicht für Alleinverdiener-Ehen. Der Haken an der Sache: bei fast 80% Frauenerwerbsquote sind die Alleinverdiener-Ehen inzwischen mit der Lupe zu suchen. Auch die Einkommen in den Ehen haben sich nach Studien (und persönlicher Erfahrung) deutlich angenähert.

                      So, dann vermischt Du schön. Schauen wir mal nüchtern darauf, worauf es wirklich ankommt: Wie weit presst der deutsche Staat die Bürger aus? Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang vom „Tax Revenue„, bezogen auf das BIP. Deutschland liegt hier mit 38% deutlich über OECD-Durchschnitt. Und ja, ich hätte Dir aus dem Kopf sagen können, dass dieser in den skandinavischen Ländern (4) mit insgesamt gut 20 Millionen Einwohnern, in Belgien (11 Millionen) und Frankreich (67 Millionen) höher liegt als in Deutschland (83 Millionen Einwohner). Tatsächlich liegen nur insgesamt 6 Nationen signifikant über Deutschland – und es sind außerhalb Skandinaviens nur solche, die enorme ökonomische Probleme haben: Italien, Frankreich, Belgien. Das ist nun nicht der Beleg, dass es den Menschen mit hoher Steuerlast gutgeht.

                      Darüber hinaus macht es einen Unterschied für Prosperität, Wachstum und Vermögensbildung, ob der Staat Einkommen oder Konsum hochbesteuert. Eigentlich ist es ein Wunder und für Ökonomen zunehmend schwer verständlich, dass die Deutschen bei so hohen individuellen Steuern immer noch fleißig arbeiten. Manche halten uns für Masoschisten.

                      Wie willst Du Luxusautos von der Steuer absetzen?? Auf das Modell wäre ich gespannt. Und Du glaubst, andere Länder würden diszipliniert ihre Bürger besteuern? Hör uff. Vor Jahren hatte ich das mal ausgewertet. Danach erzielten viele Länder weniger Revenue auf ihre Besteuerungsbasis als Deutschland. Die Schweiz z.B., auch nicht gerade bekannt für hohe Einkommensteuern, erzielte dabei mehr Tax Revenue auf Personnel Income als Spanien mit seinen hohen Sätzen.

                      Also, solche Mutmaßungen bringen nicht viel. Aber schau‘ Dir mal an, wieviele Amerikaner und Schweizer nach Deutschland migrieren, wie viele Deutsche in diese Länder auswandern und von wo die meisten Zuwanderer nach Deutschland kommen. Da drängt sich der Verdacht auf, dass die meisten nicht hierher kommen, weil wir so niedrige Steuern haben, sondern eher gute Sozialausgaben. Ist nur eine Vermutung, so wie Du ja auch spekulierst. 😉

                  • CitizenK 9. Januar 2022, 21:25

                    „Reiche würden nicht durch Arbeit, sondern Kapital ihr Einkommen verdienen“

                    Für sehr Reiche trifft das sehr oft sehr wohl zu:
                    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/marlene-engelhorn-erbe-oesterreich-tax-me-now-1.5494716?ieditorial=0

                    • Stefan Pietsch 9. Januar 2022, 22:49

                      Jetzt reicht’s mir aber. Sie sind mir lang genug auf den Wecker gegangen. In den nächsten Tagen kommt ein Artikel zu Ihrer Vermögenslitanei. 😉

                      Meines Wissens kann jeder wenn er will, zusätzliche Steuern ans Finanzamt zahlen. Wird nur nicht gemacht.

                • Stefan Pietsch 9. Januar 2022, 10:56

                  Die Geschichte bei dem Maschinenbauer hat mir überdeutlich vor Augen geführt, wie neidzerfressen die deutsche Gesellschaft ist. Die Leute hatten uns als Geschäftsleitung zu verdanken, dass sie überhaupt noch einen Job hatten. Ein Jahr zuvor war vom CEO auf einer Mitgliederversammlung sehr deutlich aufgezeigt worden, dass bei anhaltenden Verlusten der Eigentümer die Gesellschaft schließen würde. Als das abgewendet war, freuten sich die Leute nicht etwa, dass ihr Arbeitsplatz gesichert war, sondern konfrontierten die Geschäftsleitung mehr oder weniger offen, dass wir uns auf dem Rücken entlassener Kollegen die Taschen vollgemacht hätten. Ich hätte ko…. können.

                  • Lemmy Caution 9. Januar 2022, 14:19

                    Ich kann da wie gesagt deinen Ärger verstehen.
                    Ich sehe das aber aus einem anderen Blickwinkel: Meine Arbeit ist manchmal nicht leicht nachzuvollziehen. Ich werde dabei nicht nur von Geringverdienern sondern auch von Gutverdienern in Rechtfertigungs-Situationen gedrängt, die ich gering halten will.
                    Deshalb die neue goldene Regel für Projekte bis zur Rente: Projekte mit so wenig Meetings mit Managern, Scrum-Mastern und Leuten aus Unternehmensberatungen ohne soliden technologischen Hintergrund wie möglich.

                    In letzter Zeit hatte ich wenig Konflikte mit internen Peers. In der nicht allzu fernen Vergangenheit aber bei 2 Kunden schon ziemlich massiv.
                    Bei Projekt-Angeboten werde ich bei der Erwähnung von erwarteten Wissens-Transfers mißtrauisch. Natürlich geb ich mein Wissen weiter, nur kann das auch heissen: „Wir bezahlen den Internen schlecht und die Weiterbildungs-Angebote sind äußerst bescheiden“.

                    • Stefan Pietsch 9. Januar 2022, 15:57

                      Ich verstehe Deine Situation. Das ist mir sowohl aus dem beruflichen als auch familiären Umfeld nicht unbekannt. Aber in meinem Beispiel geht es um eine der niederträchtigsten Motive: Neid. Bei Amerikanern hätte sie sich gar nicht ergeben. Wir Deutschen missgöhnen dem anderen sehr leicht, was er hat. Aus meiner Sicht ist es das Dümmste überhaupt, die eigene Lebenssituation mit der anderer zu vergleichen. Erst dieser Vergleich macht unzufrieden.

            • Erwin Gabriel 9. Januar 2022, 21:40

              @ Lemmy Caution 8. Januar 2022, 13:35

              Wirklich reiche Leute beziehen ihr Einkommen eher mit dem Produktionsfaktor Kapital. Der Soli besteuert nur Arbeitseinkommen.

              Ja. Da ich von meinem Arbeitseinkommen lebe – so viel Kapital habe ich nicht, dass es mir den Lebensunterhalt verdienen könnte – läuft es wieder darauf hinaus, dass man den gehobenen Mittelstand abkocht.

              Ja dann koch halt. Ich schließe mich ja ein bei den Leuten, die sich ihre Arbeit ganz gut bezahlen lassen.

              Ich schließe mich Stefan P. an: Du bist ziemlich arrogant.

              Keine Ahnung, wieviel Du verdienst, dass Du die diese Haltung erlauben kannst; es sei Dir jedenfalls gegönnt. Ich käme trotzdem nicht auf die Idee, so hohe Steuern für Dich gut zu finden (bzw. als bezahlbar abzutun), dass auch Du ins Knurren kommst. Ich käme auch nie auf die Idee, anderen zu erklären, was sie tun müssten, um genauso viel Geld zu verdienen, wie ich es für richtig halte.

          • Lemmy Caution 8. Januar 2022, 13:39

            Auf einem Markt wird nicht nach Leistung sondern nach Knappheit bezahlt. Es ist völlig in Ordnung von Leuten mit einem guten Einkommen mehr Steuern zu verlangen. Ich hab keine Probleme den Soli zu bezahlen, obwohl ich mich oft an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit fühle. Die letzten 8 Monate waren in der Beziehung schon krass. Hab auch an mir festgestellt, dass es ab einem gewissen Schwellwert Geld nicht mehr der motivierende Faktor darstellt. Eher oft an etwas arbeiten zu dürfen, das mein Interesse nicht ermüden läßt.

  • Kning4711 7. Januar 2022, 18:54

    Mir hat der Artikel auch sehr gut gefallen.
    In Summe stimme ich Ihren Beobachtungen zu, aber ich vermute, dass der Koalitionskrach schneller kommen kann, wie Grünen und FDP lieb ist. In NRW droht den Liberalen (sie stellen die gelinde gesagt semi-glücklich agierende Kultusministerin) die Abwahl – gleichsam könnten die Grünen für den „Atomkraft ist grün“ Stunt der EU vom Wähler die Quittung bekommen.
    Nicht auszuschließen das dann eine rot schwarze – Regierung in NRW ans Ruder kommt. In Schleswig Holstein, droht Grünen und Liberalen ebenfalls der Machtverlust.

    Spannend wird auch der Ausgang der Verfassungsbeschwerde betreffend der Verwendung der Corona Mittel. Ein entsprechendes Urteil wird den Finanzminister Lindner beschädigen und über kurz über lang werden auch die Grünen die Widersprüchlichkeit Ihres Koalitionsprogramms mit dem Wahlprogramm nicht länger kaschieren können.

    Kurzum, es werden spannende Wochen. Bin gespannt, wann die Ampel das erste erfolgreiche Projekt abschließen wird.

    • Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 19:51

      Für Grüne und FDP sieht es in NRW nach den Umfragen ganz gut aus. Entscheidend wird das Abschneiden von SPD und CDU. Aber da ist ja noch einiges im Fluss. Ganz genauso ist die Situation in Schleswig-Holstein. Jeweils sind Jamaika und die Ampel möglich.

      Ich halte es auch für sehr unwahrscheinlich, dass die Grünen für die EU-Taxonomie abgestraft werden. Das Thema Atomkraft ist (nicht nur) in Deutschland emotional und ideologisch enorm aufgeladen. Meist sind die Gegner leicht im Vorteil und der harte Kern wählt ohnehin seit Jahrzehnten Grün.

      Lindner hat seine Rede deswegen vom Blatt abgelesen, weil er natürlich weiß, dass Verfassungsrichter sich über seine Worte beugen werden. Ehrlich gesagt halte ich es für unwahrscheinlich, dass Neutitulierung der Kredite von Karlsruhe durchgewunken werden, zu offensichtlich ist der verfassungsrechtliche Verstoß. Gerade hat sich auch der Bundesrechnungshof (BRH) eindeutig gegen den Finanzminister positioniert.

      Der Okkupation der 60 Milliarden Euro ist die Mitgift für die Ampel. Als Liberaler könnte Lindner sich freuen, wenn die Richter seinen Trick kassieren. Aber er steht in der Verantwortung. Eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht ist politisch keine Kleinigkeit und wird ihn potentiell beschädigen – nicht innerhalb der Regierung, wohl aber bei den unterstützenden Wählergruppen, die ein Argument mehr hätten, zur CDU des Friedrich Merz zu schwenken.

      Der klimapolitische Teil des Koalitionsvertrages ist ideologisch getrieben. Bis 2030 – das ist nicht mehr so lange hin – will Habeck die Zahl der Windkraftanlagen verdoppeln. Das erscheint kaum machbar. Der Ausbau stockt ja nicht deswegen seit Jahren, weil der Bund die Subventionen zurückgefahren hat, sondern weil geeignete Flächen knapp werden und die Offshore-Möglichkeiten nicht überragend sind. Wir sind kein Dänemark.

      Was könnte ein erfolgreiches Projekt sein? Im Koalitionsvertrag habe ich dazu nicht viel gefunden. Ich denke die Regierung wird sich eher durch solides Handwerk auszeichnen müssen und Lösungen für wesentliche Probleme vorantreiben. Da kann man sich politisch auch auszeichnen.

    • Stefan Sasse 7. Januar 2022, 20:51

      Frage ist, wie relevant die Bundesländer sind für die Koalition im Bund. Im Bundesrat führt an der Union ja eh kein Weg vorbei.

      • Stefan Pietsch 7. Januar 2022, 21:04

        Wenn NRW, das Saarland und Schleswig-Holstein an die Ampel fallen würden, wäre die Union aus dem Spiel. In allen drei Ländern ist dies möglich.

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