Aus liberaler Sicht war Corona zumindest in einer Hinsicht eine äußerst fruchtbare Zeit: seit Langem wurde nicht mehr so viel und ausführlich über Freiheit diskutiert wie während der Pandemie. Leider ist das Niveau dieser Debatte nicht besonders hoch, und besonders die Wortführer*innen tauchen durch geradezu beleidigend simplistische und provokative Thesen auf, die eher dazu da sind, Klicks für ihre Hausmedien zu generieren denn Beiträge zu einer Debatte zu sein. Da wir hier bei Deliberation Daily glücklicherweise keine Anzeigenkunden haben, denen wir eine Statistik präsentieren müssen, können wir uns von diesen Mechanismen absetzen und die Debatte besser führen. Stefan Pietsch hat bereits zwei Aufschläge gemacht; ich will im Folgenden versuchen, einen eigenen Ansatz zu präsentieren. Es geht mir dabei weniger darum, zu überzeugen. Wir reden hier von Wertesystemen, und dank Stefans Artikeln habe ich zumindest das Gefühl, seine Haltung zu verstehen, auch wenn ich sie nicht teile. Es ist mein Ziel, ein ähnliches Verständnis auch hier zu schaffen.
Freiheit, was ist das?
„Freiheit“ ist ein Begriff, dem eine festgefügte Definition abgeht. Das war schon immer so; andernfalls hätten sich die amerikanischen Gründerväter vermutlich schwer getan, im gleichen Atemzug „Liberty“ und Sklaverei zu verteidigen, was für die meisten von ihnen kein Widerspruch war. Auch die Römer verstanden unter „libertas“ etwas anderes als das, was das Grundgesetz schützt, und auch die grundgesetzliche Freiheitsdefinition hat sich in vielen Bereichen seit 1949 stark weiterentwickelt.
Sehr gut auf den Punkt gebracht wird dieser Grundkonflikt im Schlagabtausch zwischen Anna Schneider und Marcel Lewandowsky zu, wie könnte es in der infantilen Grundhaltung dieser Debatte anders sein, dem Böllverbot:
„Der Punkt, den Freiheitsignoranten nie begreifen: Es ist egal, was sie vom Böllern halten. Die Freiheit des anderen ist seine Freiheit. Subjektiv, individuell und nicht relativierbar.“
vs.
„Der Punkt, den Freiheitsnaive nie begreifen: die Freiheit des anderen findet immer in einem gesellschaftlichen Kontext statt. Dieser Kontext ist in allen Gesellschaften reguliert. Es gibt keine Freiheit, die nicht gegen die Interessen Dritter abgewogen wäre.„
Es ist glaube ich für niemanden hier eine Überraschung, wo ich in diesem Konflikt stehe, aber wir müssen an dieser Stelle anerkennen, dass es sich um einen Wertekonflikt handelt, und zwar um einen, der nicht auflösbar ist, schon gar nicht durch Berufungen auf das Grundgesetz oder andere heilige Texte.
Letztlich müssen wir also immer einen Aushandlungsprozess über das ausfechten, was mit „Freiheit“ gemeint ist, und versuchen, andere von unserer Konzeption zu überzeugen.
Die Debatte verengt sich gerade auf die „Freiheit zu“. Ich will in die Kneipe, ich will keine Maske tragen, ich will nicht impfen. Dabei geht die andere Seite der Medaille unter: die „Freiheit von“. Freiheit von Furcht, Freiheit von Krankheit, Freiheit von Hospitalisierung.
Sorgen und Nöte
In der Welt wird Deutschland als „Insel der Ängstlichen“ bezeichnet. Diese Kampagne gegen Vorsicht (und damit Rücksichtnahme) bei Corona fährt die Springerpresse schon seit Mai 2020, und sie wird hier im Blog exemplarisch von Stefan Pietsch geteilt. Im gleichen Medium fragt man immer mit Krokodilstränen, warum eine Mehrheit der Bevölkerung so schlecht über Minderheit der Querdenker*innen und Pegida-Demonstrierenden spricht und warum man „besorgten Bürgern“ nicht zuhört, ihre „Ängste und Sorgen“ nicht „ernst nimmt“. Was ist meinen Ängsten und Sorgen? Ich bin besorgt. Warum bin ich kein besorgter Bürger? Warum muss man meine nicht ernst nehmen? Warum bin ich „panisch“, ein Einwohner der „Insel der Ängstlichen“?
Was sind meine Sorgen? Ich lese und höre allerorten, dass Omicron-Verläufe meist „mild“ seien (was übrigens Hospitalisierungen mit einschließt, weswegen „mild“ sehr relativ ist). Wie niedrig die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich auf der Intensivstation lande (oder meine Kinder). Und das ist ja wahr. Aber niedriges Risiko ist trotzdem ein ganz schön ordentliches, zum einen. Zum anderen aber ist meine Befürchtung nicht wirklich die Intensivstation. Meine Befürchtung ist Long Covid, Langzeitfolgen einer Erkrankung, die wesentlich häufiger auftreten, kaum behandelbar sind und ihren Auswirkungen dramatisch sein können – selbst bei einem „milden“ Verlauf. Das ist kein Preis, den ich für einen Kneipenabend ohne Maske zu zahlen bereit bin.
Auch wenn manche das gerne anders darstellen: ich hasse Masken. Ich mag keine Impfungen. Ich würde mich gerne wieder frei mit anderen Menschen treffen. Allein, seit nunmehr bald zwei Jahren geht das nicht.
Ich trage bei der Arbeit rund um die Uhr eine Maske, und das in einem Job, in dem ich viel reden muss. Das ist nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Ich trage sie selbstverständlich auch beim Einkaufen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ansonsten trage ich keine Maske. Der Grund dafür liegt nicht darin, dass ich die bestehenden Regeln breche, sondern dass ich seit fast zwei Jahren vor allem an drei Orten bin: auf der Arbeit, zuhause und im Supermarkt. Andere Orte suche ich praktisch nicht auf.
Diese Beschränkung ist massiv. Ich weiß, dass viele andere, sogar die Mehrheit, ihr Leben ähnlichen Beschränkungen unterworfen haben. Wir machen das nicht, weil wir es total toll finden, weitgehende Isolation zu betreiben und unsere Hobbies und unser Privatvergnügen einzuschränken. Wir tun es, um uns und andere zu schützen. Mit unserer Zurückhaltung erkaufen wir eine Eindämmung der Pandemie, ein Brechen von Wellen, ein Aufrechterhalten des Gesundheitssystems. Es ist quasi ein Einzahlen auf das Konto der Gesundheit. Umso ärgerlicher ist es, wenn andere freigiebig davon abheben, um sich selbst etwas zu gönnen.
Die Kubicki-Liberalen
Ich habe eingangs das niedrige Niveau der Freiheits-Debatte beklagt. Für mich – und ich möchte erneut klarmachen, dass mir bewusst ist, dass andere das anders sehen und es hier ein wenig polemisch wird – sind die „Kubicki-Liberalen“ dabei das Problem. Ich könnte sie auch Poschardt-Liberale nennen, aber Kubicki hat einen größeren Bekanntheitsgrad (wer sich für Kubicki und seine Vorstellung von Freiheit tiefer gehend interessiert, dem sei dieses Interview in der ZEIT nahegelegt). Deswegen darf er hier stellvertretend für diese Gruppe stehen, auch wenn ein guter Teil der Kubicki-Liberalen vermutlich weder einen Bezug zur FDP im Allgemeinen noch zu Kubicki im Speziellen hat. Aber ich hab kein besseres Wort dafür und möchte sie gerne von der Mehrheit der FDP abgrenzen, die ich dezidiert nicht meine.
Ich greife Kubicki vor allem wegen der berühmt-berüchtigten Kneipen-Episode heraus, als er im Hausverlag der Kubicki-Liberalen der BILD ein Interview gab und darin stolz verkündete, dass er die Corona-Verordnungen gebrochen habe, weil er eben mit Freunden in der Kneipe feiern wollte. Diese Haltung zum Rechtsstaat ist eine, die weder Kubicki noch der Springer ihren Spiegelbildern bei der Antifa durchgehen lassen würde, die sich auch gerne auf ein höheres Recht berufen, um ihre Verstöße gegen das Gesetz zu rechtfertigen. Sie ist, das sei erneut betont, auch in der FDP zum Glück nicht mehrheitsfähig.
Wenn ich also von Kubicki-Liberalen schreibe meine ich Leute, die ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse sowohl über die ihrer Mitmenschen stellen als auch über geltendes Recht. Es ist eine Vulgarisierung von „Freiheit“ zu einem „Ich! Ich! Ich!“, das den großen Philosoph*innen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Umso aggressiver verteidigen diese Leute ihre Haltung. Der eingangs erwähnte Ulf Poschardt etwa, Chefredakteur der Welt, ist ganz groß darin, sich in die Pose des Widerstandskämpfers zu werfen. In einer absolut geschmacklosen Verknüpfung mit einem Nachruf auf Guido Westerwelle stellt Poschardt etwa fest:
Bis auf eine kleine Minderheit, rund zehn Prozent, hat sich die bürgerliche Welt mit dem Freiheitsentzug arrangiert.
In einem anderen Artikel bläst er ins selbe Horn:
Der mündige Bürger hat Sendepause.
Gerne wird in der Debatte übrigens behauptet, dass es „früher“ viel besser gewesen sei mit der Freiheit als heute, dass erst neuerdings ein gewaltiger Moralschub des Staates und Teilen der ihn stützenden Gesellschaft gekommen wäre, der erstmals zu massiven Einschränkungen der freien Entfaltung der Person führt. Das ist ahistorischer Unsinn. Hedwig Richter weist etwa auf den geradezu manischen Erziehungsdrang der Konservativen in der frühen BRD hin; im Vermischten habe ich letzthin die noch in den 1980er Jahren versuchte erbitterte Durchsetzung einer Heteronormativität thematisiert, und in Großbritannien entblödete sich der beim Telegraph arbeitende Aktivist Steven Edginton nicht, die 1950er Jahre als Höhepunkt der Freiheit in einem UK zu feiern, in dem Lebensmittel nur mit Bezugsscheinen gekauft werden konnten.
Diese Attitüde von der unterdrückten Minderheit, die von einer modernen „Gesinnungsdiktatur“ unterdrück werde, ist nicht nur elitistischer Blödsinn; sie wirkt auch delegitimierend für das demokratisch verfasste Staatswesen, dem sowohl Rechtsstaatlichkeit als auch Verfassungsmäßigkeit abgesprochen werden. Noch einmal: das betrifft weder die gesamten Springer-Journalist*innen noch die FDP-Politiker*innen als Ganzes; in beiden Gruppen sind diese Leute sogar eine Minderheit (was sicherlich mit zu ihrem Verfolgungswahn beiträgt). Aber sie haben (ironischerweise) ein großes Megafon.
Die zwei Seiten der Freiheit
Jetzt könnte man natürlich sagen: Was interessiert es euch, wie andere ihre Freiheit ausleben? Aber damit sind wir beim Problem mit den Kubicki-Liberalen: ihre egoistische Auslebung der eigenen Freiheit beschneidet die Freiheit anderer Leute. Und das ist das Problem. Wenn Kubicki ohne Maske in die Kneipe feiern geht, ist das mehr als nur das Ausüben seiner Grundrechte (und nein, die wurden ihm nicht genommen). Er belastet aktiv seine Mitmenschen. Und das nicht nur durch die Gefährdung mit Ansteckung, die er bewusst riskiert:
Wie belastend ist es, wenn sich Mitmenschen nicht an die Massnahmen halten?
Die Mehrheit der Geimpften belastet das stark oder sehr stark. Die Mehrheit der Ungeimpften belastet das überhaupt nicht.
Zusatzanalyse der Swiss Corona Stress Study https://t.co/sHO4rjgIq6 pic.twitter.com/UlIA1eGIze
— Dominique de Quervain (@quervain_de) January 1, 2022
Menschen, die sich an die Maßnahmen halten, die sich an Recht und Gesetz halten, werden psychologisch dadurch belastet, dass andere es ungestraft nicht tun, ganz besonders, wenn diese auch noch Positionen von Macht und Autorität innehaben. Als jemand, der im Interesse der Allgemeinheit großen Verzicht übt, ist es doppelt schlimm, Hetzschlagzeilen in der BILD lesen zu müssen. Es ist genau diese reine Konzentration auf die „Freiheit zu“, die dafür sorgt. Manche nehmen sich die Freiheit heraus, die Freiheit anderer einzuschränken. Als Alternative werfen sie anderen nur fröhlich zu, es doch einfach so zu machen wie sie. Das allerdings funktioniert leider nicht. Der Raum, den sich diese Minderheit nimmt, wird ihr von der vernünftigen Mehrheit geschaffen. Nur sieht sie das nicht.
Gleichzeitig gibt es eine ungeheure Empfindlichkeit bei diesen selbsternannten Freiheitskämpfern. Zwar beansprucht man für sich selbst eine grobe Sprache, die nichts auf die Befindlichkeiten anderer gibt – Political Correctness und Cancel Culture wäre das, schließlich – aber man selbst möchte wie ein rohes Ei behandelt werden. Diese Schieflage hat sich mittlerweile auch tief in das Lager der verantwortungsvollen Mehrheit eingefressen, wo eben diese Rücksichtnahme mittlerweile als eine der Hauptursachen der niedrigen Impfquote und ständigen Verstöße gegen die Sicherheitspolitik gilt. Beispielhaft sei dafür dieser Tweet zitiert:
It was a huge mistake for liberals to make masks, expertise, and „the science“ a cultural identity marker, which then further politicized everything having to do with COVID. Anti-vaxx sentiment is fueled by distrust. And it’s understandable that they wouldn’t trust us
— Shadi Hamid (@shadihamid) December 26, 2021
Wie widersinnig ist es, dass die Verantwortung für die Handlungen erwachsener Menschen nicht etwa bei ihnen selbst liege – eine urliberale, freiheitliche Idee – sondern vielmehr eine Infantilisierung stattfindet, die jedem Kindergartenkind gut zu Gesicht stünde? „Du hast etwas gesagt, das mir nicht passt, deswegen mache ich es jetzt extra!“ Jedes Kleinkind würde dafür gerügt, aber bei Erwachsenen wird es plötzlich akzeptiert. Überhaupt, Erwachsene.
Stefan Pietsch hat mich auf einen Artikel zu Australien aufmerksam gemacht (danke dafür!), das seine Bürger*innen „wieder wie Erwachsene behandeln“ will. Die Botschaft hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Ich fände es gut, wenn wir auf Eigenverantwortung setzen könnten, darauf, dass alle sich wie Erwachsene verhalten und wir das Ding gemeinsam durchstehen. Nur deutet nichts darauf hin, dass das der Fall ist. Besonders virulent ist das bei den Kubicki-Liberalen sichtbar, die am lautesten nach Eigenverantwortung schreien und sie am wenigsten wahrnehmen. Besonders offenkundig wurde das, wie könnte es anders sein, in der völlig beknackten Debatte um das Böllerverbot.
Gelebte bürgerliche Freiheit
Mittlerweile ist die Debatte um Böller an Weihnachten zu einem Ritual geworden, ähnlich dem „Mallorca als 17. Bundesland“-Sommerloch. Aber dieses Jahr war sie ganz besonders dämlich. Zum Jahreswechsel offenbarte die CDU-Kultusministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, ihr eigenes Freiheitsverständnis:
Ziemlich viel bürgerliche Freiheit am Firmament heute Abend. Alles erdenklich Gute für 2022!
— Karin Prien (@PrienKarin) December 31, 2021
Auch der bayrische FDP-Vorsitzende Martin Hagen zeigt dieses absonderliche Freiheitsverständnis und lässt sich von der BILD dabei fotografieren, wie er das Gesetz bricht. Peter Altmaier fühlt sich durch das Böller-Knallen gar wohlig an den Kalten Krieg erinnert, als die Sowjets jeden Moment die Freiheit bedrohen konnten. Kurz: es ist ein identitätspolitisches Spektakel der Liberal-Konservativen, das in seiner Infantilität kaum Grenzen kennt.
Wir können an dieser Stelle darüber diskutieren, wie sinnvoll das Böllerverbot ist, ob es hilfreich ist, ob es schadet, aber darum geht es ja niemandem (es gibt allerdings tatsächlich gute Gründe dafür, falls es jemanden interessiert; nicht nachvollziehen kann ich dagegen die Kritik von Marius Sixtus.). Es ist Symbolpolitik, auf beiden Seiten. Die Befürworter*innen nutzen es, um einen Standpunkt gegenüber Kontaktbeschränkungen und Umweltschutz, die Gegner*innen um ihre Identität als freiheitlich gesinnte Individuen deutlich zu machen.
Wenn das allerdings das Niveau der Freiheitsdebatte an Deutschland ist, wenn sich hier Wohl und Wehe von Liberalismus, Freiheit und Rechtsstaat entscheiden sollen, dann gute Nacht. An diesem miesen Niveau sind natürlich nicht nur diejenigen Schuld, die diesen Unfug raushauen. Sie reagieren auch auf Anreize, die durch die Medien gesetzt werden – und sind zu Recht verärgert durch eine Krisenkommunikation, deren galaktisches Versagen sich über praktisch alle Akteure in Politik, Medien und Gesellschaft zieht.
Man kann nicht nicht kommunizieren, aber gut wär’s manchmal
Es gibt Akteure, die bewusst eine kommunikative Agenda verfolgen und diese setzen. Ich hatte bereits die unverantwortliche Hetze der BILD genannt, die in einer an Tiefpunkten nicht eben armen publizistischen Geschichte während der Pandemie neue Maßstäbe zu setzen in der Lage war. Sicherlich ließen sich weitere Beispiele finden, auch von Leuten, die alarmistisch agieren, die einen wohligen Grusel bei Horrormeldungen verspüren und vieles mehr. All diese Idioten gibt es zur Genüge.
Aber der Großteil der Probleme entsteht durch ungeschickte Kommunikation. Beispiele dafür gibt es genug. In einem Twitterthread findet sich etwa eine ziemlich ausführliche Analyse der „Spaßbremsen„, die aus irgendeinem Grund ständig mit Strandbildern Lockdown-Artikel bebilderten, als ob Strände das Problem der Pandemie wären. Das ist natürlich nur ein Detail, aber es ist ein weiterer Baustein in dem Eindruck, dass die Pandemiemaßnahmen vor allem dazu dienten, Leuten das Leben zu vermiesen.
Auch Christian Stöcker kritisiert vor allem die Kommunikationsstrategie als zentrales Problem; seine Argumentation sei in voller Länge empfohlen. Ich möchte mich an der Stelle, wenngleich mit einem etwas anderen Ansatz, in Jan Fleischhausers Klagen einstimmen. Ich habe normalerweise keine großen Berührungspunkte mit ihm, aber seiner Kolumne dazu, warum er die Maßnahmen ignoriert, kann ich aus vollem Herzen zustimmen. In Kürze: Fleischhauer erklärt, sich künftig verantwortungsvoll zu verhalten, aber auf die sich ständig ändernden Ratschläge und Richtlinien von RKI und Konsorten nicht mehr zu hören.
Ich kann das voll nachempfinden. Ich weiß, wie bereits weiter oben beschrieben, ohnehin schon längst nicht mehr, welche G-Regelung in Stuttgart nun genau gilt und in welchen Straßen man welche Abstände zu welchen Uhrzeiten einhalten muss. Es ist auch irrelevant, weil ich mich nur zwischen Arbeit, Supermarkt und Zuhause bewege. Aber der Grundfehler in der gesamten Pandemie war die Flexibilität der Maßnahmen, ihre unerträgliche Feinsteuerung. Mein Handy schickt mir über NINA immer noch die aktuellen Corona-Verordnungen, aber wer liest diesen Blödsinn? Textwüsten in Legalesisch, die selbst mit Uniabschluss kaum zu entschlüsseln sind; ständig ändernde Regelungen, die doch nur auf „testen und Maske“ herauslaufen. Warnstufen, zweite Stufe von Warnstufen, besondere Warnstufen. Wer da nicht wahnsinnig wird, der beantragt auch ruhigen Gewissens Passierschein A38.
Nun bin ich bereits 37 Jahre alt und leide zwar unter der mittlerweile zwei Jahre andauernden massiven Einschränkung meines Lebens. Das ist aber kein Vergleich zu den eigentlichen Opfern dieser riesigen Katastrophe.
Aber denkt denn niemand an die Kinder?
In einem Essay fragt Jan-Martin Wiarda, ob es „Gleichgültigkeit, Ignoranz oder bewusste Härte“ war, als Bayerns Gesundheitsministerium verfügte, „dass auch ungeimpfte Kinder ab zwölf nicht mehr ins Kino durften, nicht mehr ins Museum oder in den Zoo. Obwohl sie bis zu ihrem zwölften Geburtstag gar nicht vollständig geimpft sein konnten – denn es gab zu dem Zeitpunkt keinen für Kinder zugelassenen Impfstoff.“ Diese Frage ist berechtigt (und der ganze Essay lesenswert). Denn niemand leidet so sehr unter den Folgen der Pandemie wie Kinder (mit Ausnahme der Selbstständigen vielleicht).
Sie sind es, die elementare Erlebnisse und Lerneffekte verlieren. Ich sehe es jeden Tag, sowohl bei meinen eigenen Kindern im Grundschulalter als auch bei den Mittel- und Oberstufenschüler*innen, die ich unterrichte. Dieses Jahr wird ein Jahrgang Abitur machen, für den die Pandemie in Klasse 11 begann. Diese Klassen haben keine Klassenfahrt durchgeführt, keine Exkursion, keine andere außerschulische Veranstaltung. Viele Wochen verbrachten sie im Fernunterricht. Es sind junge (Beinahe-)Erwachsene, die vergleichsweise gut damit umgehen und ihren Alltag schon weitgehend selbstbestimmt gestalten können, aber auch für sie sind formative Erlebnisse verlustig gegangen, weil sie sich viel weniger mit Freunden treffen und das tun können, was Jugendliche in ihrer Freizeit tun: Nichts, aber gemeinsam. Dabei ist das für die Charakterbildung essenziell.
Und da sind wir noch gar nicht bei den Jüngeren, wo es um Kernkompetenzen geht, von der Orientierung im Straßenverkehr (wo mein jüngeres Kind verglichen mit dem älteren Geschwister merkliche Defizite hat, weil man eben fast nur zuhause ist) bis hin zum Umgang mit Gleichaltrigen. Wo weinende Kinder positive Test in der Schule bekommen, sofort isoliert werden und manchmal eine Stunde oder mehr auf die Abholung durch ihre arbeitenden Eltern warten müssen. Thematisiert wird das gegenüber Unfug wie Böllern an Sylvester oder dem Ferienflug nach Lanzarote aber kaum.
Der Grund dafür sind Prioritäten. Die Pandemiepolitik wird von alten Menschen für alte Menschen gemacht. Man kann das am Kommunikationsbudget selbst sehen, wo sagenhafte 2,2% für die Sozialen Medien vorgesehen sind, aber stattliche 50% für das Sorgentelefon der Kassenärzt*innen. Die Schulen werden um jeden Preis offengehalten, nicht weil das für die jungen Menschen gesund wäre (dann würde man sich um die erwähnten außerunterrichtlichen Angebote, um ihre Kommunikation und so weiter Sorgen machen), sondern weil man sie betreut wissen muss, damit die Eltern arbeiten gehen können, und damit sie die Klausuren schreiben, deren Noten für (ältere) Personaler*innen und überkommene Zugangsberechtigungen immer noch als entscheidende Wasserscheide fungieren. Schlicht: Man sieht am Geld, wo die Prioritäten liegen, gerade im Bildungsbereich.
Die Folge dieses Austragens der Pandemie auf dem Rücken der jungen Generation ist die gestiegene Selbstmordrate, die dieser Tage für Streit sorgt. Die Zahlen sind alarmierend. Sie sind angesichts der Belastungen, die der jungen Psyche zugemutet werden, nicht weiter verwunderlich. Isolation und Bedrückung sind für gestandene Erwachsene über eine Zweijahreszeitraum bereits kaum erträglich – von Kubicki bis Fleischhauer finden sich dafür genügend Belege. Für junge Menschen sind zwei Jahre eine Ewigkeit, sind eine komplette, formative Phase. Die einzige Antwort, die ihnen Politik und Gesellschaft geben, ist, dass sie jeden Tag in die Schule dürfen, in die Schule müssen – nicht, um dort etwas zu lernen, um dort ihren Charakter zu formen, sondern um zu funktionieren und Noten zu produzieren.
Dieses Versagen von Politik und Gesellschaft ist parteiübergreifend. Ob Links oder Rechts, das trübe Bild ist überall dasselbe. Ich verweise hier exemplarisch auf einen Artikel im Atlantic („Why I soured on Democrats“), dessen Kritik quasi universell ist. Ob blaue Staaten, ob rote Staaten, ob USA, ob Deutschland, überall ist es dasselbe Bild.
Kein Fazit
Mir ist bewusst, dass dieser Artikel strukturell eine kleine Katastrophe ist. Ich schreibe seit mittlerweile fast sechs Wochen daran herum. Es fällt mir schwer, die vielen oft genug widerstreitenden Gefühle in mir in eine kohärente Struktur zu gießen, aber ich möchte in der Ganzheit dieser Widersprüchlichkeit, in meinem eigenen Ärger, meinen eigenen Sorgen, Ängsten und Nöten, wahrgenommen werden. Ich kann daher auch kein Fazit bieten; es ist nicht diese Art von Artikel. Noch erwarte ich, dass ich damit irgendjemandes Meinung ändere. Meine Hoffnung ist vielmehr, dass meine Haltung dadurch klarer und nachvollziehbarer wird, auch wenn man sie nicht teilt, und beleidigende Klischees von „du willst dass alle Maske tragen“ oder „du willst unbedingt den Lockdown“ zu durchbrechen. Ich hasse die Masken. Ich will keinen Lockdown. Ich will ein Ende der Pandemie. Aber ich will auch kein Covid. In diesem Dilemma bewegen wir uns alle, ob Eltern, ob Kinder, ob Arbeitgebende, Arbeitnehmende, Wissenschaftler*innen oder Politiker*innen. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Der Streit wird weitergehen. Aber vielleicht ist das wenigstens ein Beitrag dazu, ihn etwas zu vermenschlichen.
Anhang:
Noch drei empfehlenswerte Artikel, die ich in den Artikel nicht sinnvoll einbauen konnte, deren Lektüre aber lohnt:
Die Unerträglichkeit der höheren Gewalt
Charité-Virologe Drosten im Interview: „Wie lange geht diese Quälerei noch weiter?“
Mit unserer Zurückhaltung erkaufen wir eine Eindämmung der Pandemie, ein Brechen von Wellen, ein Aufrechterhalten des Gesundheitssystems.
Wir brechen aber die Omikron Welle nicht, sondern lassen sie nur gebremst durchlaufen. Deutschland hat eine Verdopplungszeit statt von 2 nur von 3 bis 4 Tagen. Die Welle wird bis zur Spitze der Durchseuchung etwas länger brauchen. In Großbritannien dauerte die Omikron Wand 3 Wochen, bei uns werden es ca. 6 Wochen sein. Das ist alles.
Durch das Bremsen verlängern wir die Dauer der Wand ohne irgendjemanden zu retten. Die Belastung der Krankenhäuser wird, da ja die Patienten länger liegen, auch nur geringfügig abnehmen. Dafür steigen die Kosten der Pandemie aufgrund der verlängerten Dauer und ein langsameres Virus kann tiefer in die Gesellschaft eindringen als ein schnelles. Die Infektionsketten werden durch die Verlangsamung verlängert.
Entweder man bricht die Welle, dann ergeben Tests und niederschwellige Maßnahmen einen Sinn oder man Durchseucht, dann verkommen Tests zur reinen Dokumentationspflicht und die Pandemiemaßnahmen richten nur noch zusätzliche Schäden an.
In Kurzform: Entweder bricht man die Welle oder man Durchseucht möglichst schnell. Alles andere ist ein völliger Irrsinn.
Meinem Verständnis nach nicht, weil ja die Verlangsamung gerade die Überlastung des Systems verhindert. Das ist ja die erklärte Strategie gewesen, von Anfang an.
Ein Brechen der Welle führt zu einer sicheren Entlastung. Das gebremste oder ungebremste Durchlaufen lassen ist nichts anderes als eine Wette, dass die Belastung durch Omikron nicht zu einer Überlastung führt. Ohne Kontrolle bestimmt das Virus die Belastung, nicht wir.
P.S: In Südafrika, wo Omikron entdeckt wurde, steigt die Fallsterblichkeit Wochen nach der Durchseuchung stark an:
https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSelection=true&facet=none&pickerSort=asc&pickerMetric=location&Metric=Case+fatality+rate&Interval=7-day+rolling+average&Relative+to+Population=true&Color+by+test+positivity=false&country=~ZAF
Der Preis der Durchseuchung kann leider höher werden als gedacht.
@ Marc 18. Januar 2022, 12:15
Der Preis der Durchseuchung kann leider höher werden als gedacht.
Die Durchseuchung wird zwangsläufig am Ende stehen. Ich hoffe, Du bist nicht so naiv zu glauben, dass man auf Dauer Corona entkommen kann. Irgendwann wird der Virus praktisch jeden erwischt haben. Irgendwann werden die Menschen gegen Corona eine vergleichbare Widerstandsfähigkeit aufgebaut haben wie gegen Schnupfen oder Grippe.
Bis dahin kann der Versuch wie von Stefan Sasse erläutert nur lauten, die Zahl der Erkrankten soweit im Griff zu halten, dass man sich bestmöglich drum kümmern kann.
Bis dahin kann der Versuch wie von Stefan Sasse erläutert nur lauten, die Zahl der Erkrankten soweit im Griff zu halten, dass man sich bestmöglich drum kümmern kann.
Exakt das tut man nicht. Wir stehen derzeit bei einer Inzidenz über 550 mit einer erheblichen Dunkelziffer. Omikron Peaks hatten:
Südafrika: 1.700
Großbritannien: >2.600
Ohne Peaks und über 4.000 sind: Frankreich, Israel und Dänemark.
Wo wir landen werden und ob unser Gesundheitssystem es verkraften wird, ist ein Glücksspiel. Die Lage ist alles andere als im Griff.
Hallo Marc,
Ob man das tut oder nicht – das ist jedenfalls das angestrebte Ziel. Und dass Corona irgendwann jeden erreicht haben wird, sollte auch klar sein.
Guter Artikel. Enthält treffende Feststellungen, auch was Kinder und Schulen betrifft. Hab beim Lesen oft genickt.
Die „Kämpfer“ für die Kubicki-Freiheit erinnern mich an „Patrioten“, die ihrem angeblich so geliebten Vaterland schaden oder es gar ruinieren, wenn sie die Oberhand gewinnen. Verstörend für mich, dass es auch (vor allem?) Apologeten von Recht&Ordnung/Rechtsstaat sind.
Omicron schafft allerdings eine neue Lage. Für einen Lockdown ist es eh zu spät und er würde nur wenig helfen, sagt auch Lauterbach, und selbst die Israelis haben es aufgegeben, mit harten Maßnahmen gegenzusteuern.
Ich sehe nicht, dass noch signifikant was getan wird. Mir scheint auch diese ganze Impfpflichtdebatte nur noch Nebelkerze. Da kommt doch nichts mehr.
@ CitizenK 18. Januar 2022, 12:53
Hab beim Lesen oft genickt.
Das heißt nicht, dass Stefan Sasse Recht hat. Es bedeutet nur, dass Du – ob richtig oder falsch – es genauso siehst.
Verstörend für mich, dass es auch (vor allem?) Apologeten von Recht & Ordnung / Rechtsstaat sind.
Wie Du und mit vergleichbarer Berechtigung fragt sich die Gegenseite (durchaus vergleichbar verstört), wo die vielen Falschfahrer herkommen.
Omicron schafft allerdings eine neue Lage.
Du mit Deiner Neigung zu Plattitüden – welche s Corona-Thema, welche Virus-Variante hat nicht für eine neue Lage gesorgt? 🙂
Darf er ja trotzdem sagen, das ist ja für die Einordnung gut und angenehm für mich als Autor.
@ Stefan Sasse
Keine Einwände
„Das heißt nicht, dass Stefan Sasse Recht hat. Es bedeutet nur, dass Du – ob richtig oder falsch – es genauso siehst.“
Korrekt. Genau das wollte ich sagen. Du mit Deinen Plattitüden 😉
@ CitizenK 19. Januar 2022, 08:52
Du mit Deinen Plattitüden
Das ist doch sonst immer mein Ding, anderen ihre dummen Sprüche unter die Nase zu halten. 🙂
Der Text leidet etwas an der Zuspitzung auf die sog. „Kubicki-Liberalen“, von denen aber kein Mensch weiß, wodurch sie sich tatsächlich auszeichnen und wieviele es sind.
Noch ein Gedanke, der Deinen Rant ggf. relativiert: Der Staat startete völlig unvorbereitet in die Epidemie, veranlasste teilweise vollkommen blödsinnige Maßnahmen, versemmelte zentrale Infrastrukturaufgaben (etwa Impfkampagne und Kontaktverfolgung) und hat es (im Gegenzug zu etwa England) bis heute versäumt, das allerwichtigste Instrument überhaupt einzurichten: ein repräsentatives Corona-Monitoring. Die Performance in den deutschen Krankenhäuser war Weltklasse, aber was die Gesundheitsämter und Ministerien mit ihrem staatlichen Gewaltmonopol im Rücken mitunter geleistet haben, kann man nur mit sehr viel Wohlwollen noch mit „ausreichend“ bewerten. Ich persönlich finde, man kann das ruhig auch Staatsversagen nennen. Überschlagsweise gehe ich davon aus, dass min. 50.000 Corona-Opfer durch ordentliches Krisenmanagement eben nicht gestorben wären. Ob irgendwelche Liberalen in irgendwelchen Kneipen feiern, spielt überhaupt keine Rolle. Die Bräsigkeit der deutschen Behörden und der deutschen Politik aber schon.
Ich habe oben bewusst geschrieben: „mit ihrem staatlichen Gewaltmonopol im Rücken“. Wenn man sich mit liberaler Kritik an staatlichen Maßnahmen befasst, muss man das immer im Hinterkopf behalten. Der Staat maßt sich an, massiv in unserer Leben einzugreifen. Das ist ein enormer Anspruch, der im Gegenzug auch eine enorme Begründung erfordert – die in der Praxis dann allerdings oft wenig überzeugend ist. Hieraus entspringt die Empörung vieler Liberaler über viele staatliche Maßnahmen.
Noch einmal: Ich weiß gar nicht, welche Positionen Kubicki und seine Freunde in der Pandemie vertreten haben. Mir ging es nur darum, verständlich zu machen, woraus sich ihre Frustration (denn das steht wohl dahinter) speist. Vor allem, wenn man das sehr schlechte staatliche Krisenmanagement berücksichtigt.
Ist natürlich kein wissenschaftlich definierter Begriff, keine Frage.
True, dieses Staatsversagen hab ich in den letzten zwei Jahren ja auch in zig Artikeln angeprangert.
Jein. Die Empörung war immer schon da und sucht nur einen Anlass, der hier halt teils gerechtfertigt ist. Sooo schlecht war es nun auch wieder nicht.
Danke für die Perspektive!
Ja, dem würde ich zustimmen. Liberale leiden daran, dass sie keine Chance gegen den Staat haben. Es ist wie eine offene Wunde. Oder vielleicht eher wie eine Allergie: Die Grundempfindlichkeit ist stets da, und durch Corona wird nun eine besonders starke Reaktion ausgelöst.
Aber das gilt ja für Linke gegen den Kapitalismus auch.
Wobei Linke jederzeit (fast) alle Möglichkeiten hätten, ihre Träume umzusetzen. Genossenschaften sind in praktisch jeder kapitalistischen Gesellschaft eine zugelassene Rechtsform. Man könnte wunderbar einen Großteil seines Lebens genossenschaftlich organisieren. Sogar die Segnungen eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte man so umsetzen. Die israelischen Kibbuzim zeigen, dass sowas in einer kapitalistischen Gesellschaft funktionieren kann, ja sogar besonders gut funktioniert.
Andersrum gilt diese Freiheit aber übrigens nicht. Kein Linker würde einem Liberalen zugestehen, frei unter den Bedingungen des liberalen Prinzips leben zu dürfen. 🙂
Andersrum gilt diese Freiheit aber übrigens nicht. Kein Linker würde einem Liberalen zugestehen, frei unter den Bedingungen des liberalen Prinzips leben zu dürfen.
Immer schön, so einen Unsinn einfach widerlegen zu können. Ich als Linker gestehe es zu.
Das halte ich für eine steile These.
Ich könnte hier eine endlose Liste von Regeln anführen, die aus linker Gesinnung entstanden sind und an die ich mich halten muss, ob ich nun will oder nicht. Ich muss auch sehr viele Dinge mitfinanzieren, die ich – selbst aus linker Perspektive! – für Quatsch halte. Aber ich werde nicht gefragt und laufe relativ klaglos mit.
Linke fordern, fordern und fordern. Es sollen sich bitte immer die anderen kümmern und es sollen auch immer die anderen bezahlen. Weil natürlich die anderen schuld sind. Aber, um auf meinen Gedanken oben zurückgekommen: Wo sind all die linken Genossenschaften, mit denen man so vieles doch problemlos selbst besser machen könnte? Es gibt sie nicht. Eigenes Engagement: fast null.
All dies trägt natürlich zur Verbitterung von Liberalen bei. Ich schreibe dies, um vielleicht etwas Verständnis zu wecken für den trotzigen Frust, den ich auch bei Kubicki vermute.
Da hast du durchaus Recht.
Und nein, diese Unschuld geb ich Kubicki nicht.
Ich kann Kubicki verstehen. Zum einen ist sein Verhalten im größeren Kontext normal. Wir bleiben nachts um zwei auch nicht an einer menschenleeren Kreuzung mit roter Ampel stehen, sondern hasten weiter. Die Verordnungen, sich in den heimischen Räumen nur mit X Personen zu treffen (später spezifiert in Geimpfte, Genesene, vom Baum Gefallene) wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit millionenfach verletzt.
Kubicki wohnt ihn Schleswig-Holstein mit seit langem den niedrigsten Inzidenzwerten. Das Bundesland wurde einfach mit bundesweiten Regeln in Mitleidenschaft gezogen, ohne dass es pademisch Sinn machte. Und einige Kilometer weiter feierte man zu der Zeit Freedom Days und schüttelte über die ängstlichen Deutschen den Kopf.
Es erfordert da schon eine überschäumende Disziplin und blinde Treue zur Klugheit des Staates, da nicht in vertrauter Runde „über die Stränge“ zu schlagen. Und das sind Kritierien, die zu Liberalen im Allgemeinen und Kubicki im Besonderen eher weniger passen.
Regeln für andere, nicht für mich. Kubicki-Liberalismus.
Die rote Ampel gilt auch immer. Aber die meisten Menschen haben durchaus ein feines Gefühl, was der Sinn von Regeln ist. Und wann sie eben auch mal missachtet werden können.
Lernt man übrigens, auch wenn es niemand glauben wird, ausgerechnet bei der Bundeswehr. Wer sich da als Offizier oder Feldwebeldiensgrad auf „Vorschrift“ beruft, dürfte in seinem dienstlichen Leben häufig genug gehört haben, dass man die Vorschriftenauslegung der Lage anzupassen hat, weil sich die Lage nicht an Vorschriften hält.
Und wer hier noch nie Regeln gebrochen hat – von der Steuererklärung über Rote Ampeln bis hin zu Überquerungen von eigentlich gesperrten Rasen- bzw. Grundstücken, der hebe jetzt die Hand.
Ich sage ihm dann freundlich, dass ich ihn für einen Lügner halte :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
„trotzigen Frust…“
Ja, verständlich. Als Freiheitsliebe sollte man das aber nicht ausgeben. In welchen Kategorien der Mann denkt, zeigt doch seine „Impflicht ist Rache für Ungeimpfte“-Phantasie. Das ist unreif, für einen Liberalen nicht sehr schmeichelhaft.
@ Tim 18. Januar 2022, 17:13
Kein Linker würde einem Liberalen zugestehen, frei unter den Bedingungen des liberalen Prinzips leben zu dürfen. 🙂
Das ist ja komplett falsch – es müsste „fast kein Linker“ heißen. 🙂
Ich denke auch, dass Liberale eher die Umstände für sich bestimmen wollen, Linke eher für andere.
Tendenziell ja. Liberale übersehen dabei gerne, dass ihre Umstände auch andere beeinflussen; Linke gerne, dass sie allzu oft Umstände für sich selbst auf andere übertragen wollen. Fair?
@ Stefan Sasse 19. Januar 2022, 11:08
Fair?
Halbwegs, durchaus. Der Unterschied für mich ist halt der, dass ‚links‘ explizit auf andere zielt, während ‚liberal‘ vom Ansatz her toleranter ist. Aber dass sich die Umsetzung liberaler Prinzipen auch auf andere auswirkt (und wenn auch in Richtung Eigenverantwortung / Eigeninitiative), stimmt natürlich
Geh ich mit. Wobei natürlich der liberale Ansatz anno 1790 hunderttausende Menschen in Sklaverei hielt, nicht? ^^
@ Stefan Sasse
Wobei natürlich der liberale Ansatz anno 1790 hunderttausende Menschen in Sklaverei hielt, nicht? ^^
Echt jetzt? Soll ich nun die Februarrevolution 1917 hervorkramen?
Echt jetzt? Soll ich nun den linken Ansatz von
War doch nur ein Scherz. Natürlich nicht.
@ Tim 18. Januar 2022, 14:16
Der Staat startete völlig unvorbereitet in die Epidemie, veranlasste teilweise vollkommen blödsinnige Maßnahmen, versemmelte zentrale Infrastrukturaufgaben (etwa Impfkampagne und Kontaktverfolgung) und hat es (im Gegenzug zu etwa England) bis heute versäumt, das allerwichtigste Instrument überhaupt einzurichten: ein repräsentatives Corona-Monitoring. Die Performance in den deutschen Krankenhäuser war Weltklasse, aber was die Gesundheitsämter und Ministerien mit ihrem staatlichen Gewaltmonopol im Rücken mitunter geleistet haben, kann man nur mit sehr viel Wohlwollen noch mit „ausreichend“ bewerten. Ich persönlich finde, man kann das ruhig auch Staatsversagen nennen.
Viel Wahres dabei, da kann ich nur zustimmen.
Das heißt nicht, dass Tim Recht hat. Es bedeutet nur, dass Du – ob richtig oder falsch – es genauso siehst.
😛
🙂 Nette Retourkutsche …
Aber richtig, da bin ich mir klar drüber. Schreibe ich auch in der Regel, wenn es „nur“ meine Meinung ist.
Konnte nicht widerstehen. 🙂
@ STEFAN SASSE on 18. JANUAR 2022
Vorab: ich bin kein Freund von der Schwarzweiß-Malerei, die heutzutage in so viele gesellschaftlichen Bereiche eingezogen ist.
‚Kompletter Lockdown‘ vs. ‚alle ungeschützt‘, ‚absolute Freiheit‘ vs. ‚Diktatur‘, ‚keine Geschwindigkeitsbeschränkung‘ vs. ‚Tempo 130 immer, überall und für alle‘. Diese überzogenen, absoluten Standpunkte kann ich nur in Kommerz- oder Show-Situationen (BILD, ‚Hart aber fair‘, ‚Markus Lanz‘) oder bei (vergleichsweise) Extremisten feststellen.
„Die Freiheit des anderen ist seine Freiheit. Subjektiv, individuell und nicht relativierbar.“
vs.
„Es gibt keine Freiheit, die nicht gegen die Interessen Dritter abgewogen wäre.„
Natürlich endet meine Freiheit, die eigenen Fäuste schwingen zu dürfen, vor der Nase meines Gegenübers. Aber bis dahin darf ich ausholen. Was ich immer wieder feststelle, ist, dass die Argumente der Gegenseite nur allzu bereitwillig, fast schon liebevoll überzogen interpretiert werden. Wenn ich auf der Erhaltung der Formensprache meiner Nase bestehe, heißt das NICHT, dass sich der andere nicht bewegen darf. Und wenn ich zum Frühsport mir das Recht und den Platz zum Schwingen meiner Fäuste herausnehme, heißt da NICHT, dass ich bereits zugeschlagen habe.
Es ist glaube ich für niemanden hier eine Überraschung, wo ich in diesem Konflikt stehe, …
Schon mal nicht in der Mitte 🙂
aber wir müssen an dieser Stelle anerkennen, dass es sich um einen Wertekonflikt handelt, und zwar um einen, der nicht auflösbar ist, schon gar nicht durch Berufungen auf das Grundgesetz oder andere heilige Texte.
Zustimmung. Aber ich erkenne beide von Dir genannten Pole nicht als absolut berechtigt an.
… und sie wird hier im Blog exemplarisch von Stefan Pietsch geteilt.
Wenn Du Stefan Pietsch auf der einen Seite nennst, darfst Du Marc auf der anderen Seite nicht vergessen. So „freiheitsorientiert“ der andere Stefan sein mag, ist Marc Argumenten noch weniger zugänglich.
Umso ärgerlicher ist es, wenn andere freigiebig davon abheben, um sich selbst etwas zu gönnen.
Diesen Vorwurf finde ich in seiner Pauschalisierung für die meisten DEUTLICH überzogen. KEINER (auch DU nicht!) hat das optimale Pandemie-Verhalten.
Dazu weißt Du genauso gut wie ich, dass die von Bund, Ländern und KOmmunen vorgeschriebenen Anti-Corona-Maßnahmen in weiten Bereichen irrational ausgelegt sind und oft nur dem Aktionismus frönen – bestimmte Maßnahmen, die helfen könnten, verkneift man sich; bestimmte andere legt man fest, ohne das es die Situation voranbringt (Als lobenswerte Ausnahme sei hier mal der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer erwähnt, der genau darauf schaut, was Wirkung zeigt oder nicht, wer besonders gefährdet ist oder nicht).
Unter diesen Bedingungen und dem vielstimmigen Politiker:innen- und Virolog:innen-Chor für sich und andere festzulegen, was das ‚richtige‘ Verhalten ist, erweckt in mir den Eindruck von Anmaßung; zielführend (was immer das selbsterklärte Ziel von wem auch immer ist) ist es jedenfalls nicht.
Ich habe eingangs das niedrige Niveau der Freiheits-Debatte beklagt. Für mich – und ich möchte erneut klarmachen, dass mir bewusst ist, dass andere das anders sehen und es hier ein wenig polemisch wird – sind die „Kubicki-Liberalen“ dabei das Problem.
Das ‚Problem‘ sind die Außenläufer auf BEIDEN Seiten – Wolfgang Kubicki ist für mich genauso ein ‚Problem‘ wie Karl Lauterbauch, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Corona-Weltuntergang ausrief; wenn bei der 100sten Variante tatsächlich der Super-GAU eintritt, wird er glauben, dass er immer Recht gehabt hat, aber in Wirklichkeit hat er bis dahin 99 mal geirrt.
Was mir letztendlich bei vielen fehlt – Du sprichst das am Schluss mit dem Aspekt der Vermenschlichung der Debatte ja durchaus und zu Recht an – ist die den meisten abgehende Einsicht, dass es keine ‚absolute‘ Situation gibt; ein jeder empfindet und erlebt die Corona-Pandemie auf seine Weise. Und selbst dort, wo die Situation vergleichbar wäre, sind es die Menschen nicht; ein jeder ist anders sozialisiert, ist mit einer anderen Persönlichkeit auf die Welt gekommen.
Um im Bild zu bleiben: nein, ich darf nicht ausholen, weil das Ausholen, auch wenn es nur angetäuscht ist, ja bereits mein Gegenüber stresst und in Verteidigungsstellung bringt. Damit traumatisiere ich es auf Dauer sogar. Was ich damit sagen will: so klar ist dieser Fall eben auch nicht.
Wer ist schon jemals in der Mitte? Die ist doch nur ein ideeller Ort.
Ja, ich seh mich nur näher bei Marc als bei Stefan, und ich wollte gerade nicht den falschen Eindruck erwecken, mich in der Mitte zwischen zwei Extremen zu positionieren. Ich hasse diesen billigen rhetorischen Trick.
Ich behaupte auch nicht, dass ich das optimale Pandemieverhalten hätte, far from ist. Darum geht es in dem Absatz ja aber auch überhaupt nicht.
Ich dachte, das wäre hinreichend klar. Das ist ja genau mein zentraler Punkt: es ist eine Wertefrage, auf die es keine richtige Antwort gibt. Jede gegenteilige Behauptung ist Hybris.
Nur zur Klarheit: Ich fühle mich nicht falsch dargestellt. Ich bin mir bewusst, dass ich mich ein ganzes Stück abseits der Mittellinie der Gesellschaft befinde, in der ich lebe. Schicksal eines Liberalen.
Freut mich, ich versuche, die Gegenposition zu verstehen, auch wenn ich sie nicht teile. Ich bin übrigens auch abseits der Mittellinie. Jeder ist abseits der Mittellinie. Die ist ein ideeller, kein realer Punkt.
Um im Bild zu bleiben: nein, ich darf nicht ausholen, weil das Ausholen, auch wenn es nur angetäuscht ist, ja bereits mein Gegenüber stresst und in Verteidigungsstellung bringt. Damit traumatisiere ich es auf Dauer sogar.
Nein, das ist nicht richtig. Übrigens nutzt der Staat selbst die Möglichkeiten, in den Komfortbereich des Bürgers einzudringen – bei Demonstrationen, bei Verhören von Verdächtigen u.ä. Solche Verhaltensweisen werden bewusst genutzt, um den anderen zum Verlassen seiner Komfortzone zu zwingen und unter Stress zu setzen.
Ja, das ist erlaubt. Ich darf andere Menschen unter Stress setzen. Das ist nirgends verboten und verstößt gegen kein Grundrecht. Ich kann dem Stress durch Zurückweichen entgehen oder in dem ich die genaue Abgrenzung zu meiner Rechtssphäre ziehe. Das ist aber gleichzeitig die Rechtssphäre des anderen.
Ja, ich darf Ausholbewegungen gegen einen anderen machen. Wenn ich ihn berühre, habe ich einen Fall. Sonst nicht.
Dich will ich sehen wenn ich vor deiner Tür auflauere und Schläge antäusche. Das ist so was von illegal.
Ich mach‘ die Türe zu.
Und gehst in häusliche Isolation? Aber lass gut sein, das führt eh zu nix.
Mir fallen dazu spontan die „Ausholbewegungen“ ein, die z. B. Söder öffentlich verlesen hat und von denen auch Lauterbach et. al. berichten.
Disclaimer: Dies ist meine subjektive und private Sicht, die keinerlei Anspruch auf objektive Richtigkeit erhebt. Wie groß der Abstand von der Mittelinie ist, kann ich nicht abschätzen.
@ Stefan Pietsch 18. Januar 2022, 19:11
[Um im Bild zu bleiben: nein, ich darf nicht ausholen, weil das Ausholen, auch wenn es nur angetäuscht ist, ja bereits mein Gegenüber stresst und in Verteidigungsstellung bringt. ]
Nein, das ist nicht richtig.
…
Solche Verhaltensweisen werden bewusst genutzt, um den anderen … unter Stress zu setzen.
Deiner Aussage kann ich nicht zustimmen. Wenn ich mit den Armen in der Gegend herumfuchtele, und jemand anders fühlt sich gestört, hat er Pech gehabt. Gehe ich gezielt auf jemanden los, um ihn zu „stressen“ oder zu irritieren (selbst wenn ich den Schlag nicht bis zum Ende durchziehe), greife ich ihn an.
Mir ging es um den Punkt, das sich im Moment die Neigung ausbreitet, Aussagen, die noch im Rahmen liegen, allzu bereitwillig als Provokation missverstehen zu wollen.
Ich glaube, wir haben die Analogie getötet 😀
Ja, ich darf Ausholbewegungen gegen einen anderen machen. Wenn ich ihn berühre, habe ich einen Fall. Sonst nicht.
Klar dürfen Sie. Sie müssen dann nur ggf. mit einem schnellen Echo leben – und damit, dass Ihr Counterpart vor Gericht sehr wahrscheinlich mit Notwehr durchkommt, weil er einen rechtswidrigen Angriff vermuten durfte :-).
Ich würde das mit den Ausholbewegungen gegen andere Menschen auf alte und nahezu bewegungsunfähige Omas beschränken, da ist es halbwegs sicher. Sonst nicht.
Gruss,
Thorsten Haupts
Danke für den Tipp!
@ Stefan Sasse 18. Januar 2022, 15:50
Um im Bild zu bleiben: nein, ich darf nicht ausholen, weil das Ausholen, auch wenn es nur angetäuscht ist, ja bereits mein Gegenüber stresst und in Verteidigungsstellung bringt.
Das war meine Aussage, und das war gemeint:
„Und wenn ich zum Frühsport mir das Recht und den Platz zum Schwingen meiner Fäuste herausnehme, heißt da NICHT, dass ich bereits zugeschlagen habe.“
Mein Punkt war explizit, dass von beiden Seiten die Aussage der Gegenseiten (nicht immer, aber) gerne überdramatisiert werden …
(ich habe mit unsichtbarer Tinte darunter geschrieben, dass ich für den Beleg der Behauptung danke; deswegen unsichtbar, weil ich weiß, dass Du nicht in die Kategorie ‚Provocateur‘ gehört 🙂 )
@ Stefan Sasse 18. Januar 2022, 15:50
Wer ist schon jemals in der Mitte? Die ist doch nur ein ideeller Ort.
Ich sehe die Mitte nicht als Punkt, sondern als eine gar nicht mal so kleine Fläche.
Ja, ich seh mich nur näher bei Marc als bei Stefan, …
Ich bin, obwohl ich vermutlich eher Deine oder Marcs Einstellung zu Corona teile und mich eher wie ihr beide verhaltet, eher bei Stefan Pietsch.
Der stellt jedem frei, sich so zu verhalten, wie er es für richtig hält; Marc ist seeeeeehr weit davon entfernt. Und selbst ein Stefan Pietsch wird nicht rufend und singend ohne Maske durch den Supermarkt toben und das als ‚Freiheit‘ verstehen.
… und ich wollte gerade nicht den falschen Eindruck erwecken, mich in der Mitte zwischen zwei Extremen zu positionieren. Ich hasse diesen billigen rhetorischen Trick.
Hhm, ich sehe mich dort (nicht exakt auf dem Punkt, sondern in der Fläche). Ich sehe mehr, die in meine Richtung unterwegs sind als in die Richtung von Stefan Pietsch, und ich sehe mehr, die dessen Meinung teilen, als Anhänger von Marcs Einstellung.
Für billig halte ich das nicht.
Ich behaupte auch nicht, dass ich das optimale Pandemieverhalten hätte, far from ist. Darum geht es in dem Absatz ja aber auch überhaupt nicht.
Nein. Es geht um das nicht optimale Pandemie-Verhalten von anderen.
Es ist eine Wertefrage, auf die es keine richtige Antwort gibt. Jede gegenteilige Behauptung ist Hybris.
Nicht meine Intention, anderen grundsätzlich ihr Recht auf eigene Werte abzuerkennen. Aber mir ist natürlich eine Werte-Position, die anderen ihre Werte belässt, deutlich lieber als eine Werteposition, die eigene Werte den anderen nicht zugesteht. DAS – nicht seine Einstellung zu Corona – ist der Punkt, wo ich große Probleme mit Marc habe.
Es gibt unterschiedliche Begrifflichkeiten von Mitte, fürchte ich, und wir reden von verschiedenen Konzepten. Eine Mitte der Gesellschaft gibt es zwangsläufig, so eine Art Mainstream, aber der ist fluide und schwer zu packen.
Worum es mir wegen „billig“ geht: ich hasse den Taschenspielertrick, zwei Extreme zu nennen, sich selbst in die Mitte zu stellen und dann moralisierend die eigene Überlegenheit zu betonen.
Durch Supermarkt rennen: Stefan würde ich so was auch nie vorwerfen.
Korrekt.
Wir haben hier auch noch das leider übliche Problem, Kritik an den eigenen Werten mit einer Nicht-Akzeptanz dieser Werte zu verwechseln. Das sind aber zwei Paar Stiefel.
@ Stefan Sasse 19. Januar 2022, 11:12
Eine Mitte der Gesellschaft gibt es zwangsläufig, so eine Art Mainstream, aber der ist fluide und schwer zu packen.
Deswegen kein Punkt, sondern eine Fläche
… ich hasse den Taschenspielertrick, zwei Extreme zu nennen, sich selbst in die Mitte zu stellen und dann moralisierend die eigene Überlegenheit zu betonen.
Da Du mir das vorgeworfen hast – mache ich das?
Ich werf dir das nicht vor, nein. Ich sage dass ich das nicht machen will.
Ehe wir nach Wesenheit der Freiheit fragen sind ein paar andere Verständnisprobleme aus dem Weg zu räumen.
Aus dem Schulunterricht Sozialkunde ist bekannt: Freiheit findet dort ihre Grenze, wo sie mit dem anderen kollidiert. (Ich darf dir dein Geld nicht mopsen und du mir meins auch nicht.) So weit kein Ding. Freiheitsbeschränkung gründet nur auf Gesetz in GG Art. 2 Abs. 2 Satz 3.
Das Gesetz, das die Freiheit beschneidet, ist seinerseits dem Grundsatz der drei Kriterien unterworfen:
– Ist es erforderlich?
– Ist es geeignet?
– Ist es angemessen?
Zusammenhang des Blog-Artikels sind ausweislich oberste Absätze die Corona-Maßnahmen. Wenden wir die drei Grundsätze auf die Maßnahmen an!
Alles, was darüber hinaus geht, greift ins Moralische. Aus meiner Fortune-Sprüchesammlung:
Der Gütige ist frei, auch wenn er ein Sklave ist.
Der Böse ist ein Sklave, auch wenn er ein König ist.
— Aurelius Augustinus
@ Wolf-Dieter Busch 18. Januar 2022, 16:50
Das Gesetz, das die Freiheit beschneidet, ist seinerseits dem Grundsatz der drei Kriterien unterworfen:
– Ist es erforderlich?
– Ist es geeignet?
– Ist es angemessen?
Zusammenhang des Blog-Artikels sind ausweislich oberste Absätze die Corona-Maßnahmen. Wenden wir die drei Grundsätze auf die Maßnahmen an!
Da kann ich folgen.
Zustimmung
Alles, was darüber hinaus geht, greift ins Moralische. Aus meiner Fortune-Sprüchesammlung:
Der Gütige ist frei, auch wenn er ein Sklave ist.
Der Böse ist ein Sklave, auch wenn er ein König ist.
— Aurelius Augustinus
In dem Artikel versuchst Du einfühlsam und verständlich Deine vorsichtige Position zu erklären und den Begriff von Freiheit stark zu relativieren. Was Du nicht siehst:
1. Die Berechtigung der anderen Position
2. Die Grundlage für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und
3. Die Absolutheit der Freiheit.
1. Die Berechtigung der anderen Position
Im Artikel wird der typische Kampf der Guten gegen die Bösen inszeniert. Die Bösen, das sind die Egoisten, die nur sich selbst und ihr Verlangen sehen, in diesem Fall Party feiern zu dürfen, maskenlos durch das Leben gehen. Die Guten, das sind die, welche sich der tödlichen Gefahren des Virus bewusst sind, die sich, vor allem aber auch die Mitmenschen schützen wollen. Gerade dieser Verweis darf nie fehlen:
Wir machen das nicht, weil wir es total toll finden, weitgehende Isolation zu betreiben und unsere Hobbies und unser Privatvergnügen einzuschränken. Wir tun es, um uns und andere zu schützen.
Ich kenne niemanden, der sich im letzten Jahr hat impfen lassen, weil er indifferent unbesorgt für sich selbst war, aber an seine Nächsten gedacht hat. Jeder, ausschließlich jeder tut dies aus egoistischen Motiven, entweder, weil er sich vor Erkrankung fürchtet oder einfach weiter am öffentlichen Leben teilhaben will. Veredelt wird dieser Egoismus durch die Verkleisterung der Rücksichtnahme auf andere.
Wer so argumentiert, stuft das Anliegen der Gegenseite bereits als unberechtigt und nachrangig ein. Und das ist ja auch die Linie. Es geht nicht um Freiheitsrechte versus vernunftsgetriebenes Verhalten, es geht schon im Vorfeld um die Durchsetzung der eigenen Interessen.
Als Zeugnis für den Egoismus der Freiheitspropheten wird Wolfgang Kubicki herangezogen. Er hat eine Ordnungswidrigkeit begangen wie die Steuererklärung verspätet abgeben oder bei Rot über die Ampel laufen. Er hat niemanden direkt geschadet. Und weil das so ist, müssen andere Kriterien herhalten, um den anderen herabzuwürdigen. Die Vorbildfunktion als Repräsentant des Staates, die (höchst) indirekte Gefährdung anderer, die Verantwortung für die Überlastung des Gesundheitswesens. Auf die Art lässt sich ausnahmslos jedes Verhalten als schwerer Eingriff in die Freiheitsrechte anderer deklarieren.
Die Grundlage für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse
Wer verhandeln will, darf nicht mit leeren Händen an den Verhandlungstisch gehen. Doch die Vorsichtigen kommen ohne ein Angebot, zumindest eins, das ein Mindestmaß an Realismus beinhaltet. Schlimmer, sie setzen sich als Lügner an den Verhandlungstisch.
Wer verhandeln will, macht sich im Vorfeld Gedanken darüber, was der andere will. Am besten sollte es ein Angebot sein, das er nicht ablehnen kann, um an dieser Stelle den Paten zu zitieren. Doch auch dieser Artikel zeigt, solches Denken ist den Vorsichtigen fremd. Deswegen heißt es:
Ich will in die Kneipe, ich will keine Maske tragen, ich will nicht impfen. Dabei geht die andere Seite der Medaille unter: die „Freiheit von“. Freiheit von Furcht, Freiheit von Krankheit, Freiheit von Hospitalisierung.
Freiheit beginnt mit der Überwindung mit Furcht, nicht in das Zurückfallen in Angst. Jeder Unfreie hat Angst, der Freie beherrscht seine Ängste. In einer freien Gesellschaft gibt es deswegen keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Furcht und Sorge, ja nicht einmal vor Krankheit oder Hospitalisierung. Jeder Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens unzählige Male und die meisten Leben enden im Krankenhaus.
Die Hände sind leer, stattdessen steht die Forderung nach Einhalt des natürlichen Freiheitsdrangs. Niemand ist mit Maske geboren, wohl aber mit einem Immunsystem, das sich erst an Viren und Bakterien herantasten muss. Wir sind soziale Wesen, keine Einsiedler.
Ja, Demokratie ist ein Aushandlungsprozess, manchmal auch über Teilbeschränkungen. Dieser folgt aber bestimmten Regeln, zu der nicht gehört, die Mehrheit bestimmt. Das Wesen von erfolgreichen Verhandlungen ist Verlässlichkeit. Es ist schon schwer erträglich, eine Vereinbarung einmal zu brechen. Fortgesetzt dagegen zu verstoßen disqualifiziert jeden.
Vor einem Jahr wurde den Bürgern versprochen, gegen einen Picks die Rückkehr zu den (uneingeschränkten) Freiheitsrechten. Obwohl im Frühjahr die Alten- und Pflegeheime durchgeimpft waren, blieb den Heimbewohnern die Rückkehr zur Normalität versagt. Als im April die Impfkampagne der Bundesregierung richtig Fahrt aufnahm und sich Deutschland zeitweise an die Spitze der Länder mit den höchsten Quoten an Tagesimpfungen setzte, verschärfte die Bundesregierung die Lockdown-Regeln. Auch in den Sommermonaten, als alle anderen Länder ihre Beschränkungen praktisch vollständig aufhoben und manche Freedom Days feierten, blieben die Begrenzungen erhalten.
Nun vollzieht sich der Bruch gebrochener Versprechen mit den Drittimpfungen und der Impfpflicht. Es gibt kein Thema in der Rechtsgeschichte dieses Landes, wo Politik und Gesellschaft binnen weniger Wochen einen radikalen Positionswechsel ihrer Mehrheitsmeinung vollzogen, soweit es um Grundrechte ging.
Natürlich wurden immer gute Gründe angeführt: noch zu gefährlich, neue Varianten, zu wenig Geimpfte. Nur: diese Einschränkungen waren nie Teil des Aushandlungsprozesses, sie wurden später von der Mehrheitsseite eingefügt. Man stelle sich vor, man erhielte vom Arbeitgeber endlich die so lange herausgezögerte, vertraglich jedoch vereinbarte Gehaltserhöhung. Man freut sich wie ein Schneekönig. Kurz vor Einlösung des Versprechens kommt der Vorgesetzte und bedauert, die Zusage einkassieren zu müssen, weil sich die Ertragslage verschlechtert habe. Es gilt ein neuer Termin, der allerdings wegen anstehender Rationalisierungsmaßnahmen ebenfalls für ungültig erklärt wird. Kurz bevor die Erhöhung endlich wirksam werden soll, ist bedauerlicherweise ein wichtiger Kunde abgesprungen und des stehen wichtige Übernahmegespräche an.
Ein solcher Vorgesetzter hat längst das Vertrauen seiner Mitarbeiter – und nicht nur der unmittelbar Betroffenen – verspielt. Er ist als Lügner entlarvt. Mit einem Lügner setzt man sich nicht mehr an den Verhandlungstisch, den bekämpft man nur noch dort, wo er nicht die Regeln bestimmen kann. Genau dieser Aushandlungsprozess ist vielfach gescheitert und zwar deswegen, weil eine Seite falschgespielt hat.
Inzwischen ist den meisten in der Politik klar, dass jeglicher Kredit aufgebraucht ist. Und der war vor zwei Jahren enorm. Selber der bayrische Ministerpräsident Markus Söder kündigt einen Kurswechsel seiner harten Linie an, mitten im Winter und mitten in der fünften Welle.
Verlässlichkeit und Benchmarks: all das haben die Vorsichtigen in dieser Pandemie weggeworfen wie verfaulte Äpfel. Sie kommen mit leeren Händen und man weiß, wenn sie weiter das Sagen haben, werden die pandemischen Einschränkungen nie enden.
Die Absolutheit der Freiheit
Im vorherigen Jahrhundert hat sich die Menschheit Freiheitsrechte gegeben, die sie gleichzeitig für unveräußerlich erklärte. Alle demokratische und freiheitlich gesinnten Länder haben diese in ihrer Verfassung. Sie sind in ihrem Wesensgehalt nicht verhandelbar. Die Vorsichtigen erklären sie jedoch seit zwei Jahren zum Gegenstand des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses. Sie irren. Exemplarisch definiert Artikel 14 des Grundgesetzes den absolutistischen Grundrechtsanspruch.
Auch wenn sich andere an dem Vermögen, an der Architektur eines Hauses, am Schnellboot des Nachbarn eschauffiert – sein Recht, dieses zu besitzen ist nicht verhandelbar. Wir müssen es ertragen, selbst wenn wir persönlich der Ansicht sind, große Vermögen würden der Gesellschaft Schaden zufügen, das Haus sei hässlich und Schnellboote passten nicht in die Zeit.
Absatz 2 definiert dann, wie sich ein verantwortungsbewusster Bürger verhalten sollte. Er solle nicht nur an sich, sondern auch an die Allgemeinheit denken. Und Absatz 3 besagt dann, wenn es ein sehr übergeordnetes Interesse der Allgemeinheit gibt, einzugreifen weil es wahrlich keine andere Möglichkeit gibt, dann ist der Eigentümer vollumfänglich für den erlittenen Schaden von der Allgemeinheit zu entschädigen.
Doch es gibt Schäden, die sich nicht wiedergutmachen lassen. Traumatisierte Kinder haben oft einen lebenslangen Schaden. Das Misstrauen in der Gesellschaft, die Unmöglichkeit des Abschiednehmens von einer geliebten Person lassen sich oft nicht so leicht überwinden wie vielleicht irgendwann mit Long Covid: einfach eine Pille eingeworfen und gut ist die Sache.
Freiheit bedeutet den Abschied der Herrschaft der Angst. Das Leben besteht aus lauter Gefahren, die wir ständig und ständig neu bewerten müssen. Wer Angst haben will, wird immer Gründe dafür finden. Mich irritiert nicht, wenn ein Siebzigjähriger lieber FFP2-Maske als eine Alltagsmaske trägt, er seine Kontakte beschränkt und voll Sorge auf Infektionszahlen schaut. Im Falle des Falles ist er Hauptbetroffener und bekommt massive gesundheitliche Probleme. Sein Risiko ist quantifizierbar.
Aber welchem Risiko unterliegen gesundheitlich fitte Mittdreißigjährige? Geimpft und geboostert, konfrontiert mit einem Virus, das harmlosere Verläufe verspricht, an dem praktisch niemand in der Altersklasse auf Intensiv landet und schon gar nicht verstirbt. Ach, dann ist ja noch Long Covid. Das Virus muss dazu nicht nur den durch eine Impfung verabreichten Schutz durchbrechen, es muss sich im Körper ausbreiten um Langzeitfolgen zu bewirken, und es muss überhaupt eine Erkrankung auslösen. Und dann ist die generelle Wahrscheinlichkeit nur 10%. Diese Wahrscheinlichkeiten multipliziert ergibt ein Risiko, das man auch im Haushalt eingehen kann. Nur, wer im Haushalt stirbt, erwacht nicht mehr zum Leben. Wer an Long Covid leidet, hat zwei weitere Hoffnungen: wahrscheinlich halten die Einschränkungen nicht mehr als einige Monate und wahrscheinlich lassen sich die Probleme bald medikamentös behandeln.
Wer jetzt mit dem Vorwurf kommt, ich verharmlose Long Covid, hat das Argument der Wahrscheinlichkeiten nicht verstanden. Und ein letztes: Die Vorsichtigen erwarten Rücksichtnahme auf ihre Ängste und Befindlichkeiten. Und gleichzeitig haben sie kein Verständnis für die Ängste und Befindlichkeiten derjenigen, die sich nicht impfen lassen wollen. So etwas nennt man selbstgerecht.
– Ich schreibe explizit „uns“, das zitierst du sogar.
– Wo ist der Aushandlungsprozess, wenn jemand ohne Maske in die Kneipe geht, weil er Bock drauf hat? Da wird doch nichts ausgehandelt.
– Freiheit ist nicht absolut und kann es auch nicht sein. So was nennt sich extremistisch.
Zur Unternehmens-Analogie: Im Zivilrecht gibt es das Rechtsinstitut „Wegfall der Geschäftsgrundlage“. Wenn eine Zusage wegen nicht erwartbarer Umstände nicht eingehalten werden kann, ist das kein Wortbruch.
Gewerkschaften haben aus den genannten Gründen auf Lohnerhöhungen verzichtet – und sitzen weiterhin am Verhandlungstisch.
Die Hoffnung, der Impfstoff werde die Normalität wieder bringen, haben fast alle geteilt. Das kann man nicht allein der Politik vorwerfen. Das Ausmaß an Irrationalität und Radikalität der Impfgegner war für einen vernünftig denkenden Menschen nicht vorhersehbar.
Der Fehler war, die Impflicht explizit auszuschließen. Daraus haben die Politiker hoffentlich gelernt.
Kategorisches Ausschließen hat sich bisher nur bei Grundsatzfragen bewährt.
Man kann nicht 10 mal in einem Jahr erklären, die Geschäftsgrundlage wäre weggefallen. Das ist eine Regel für außerordentliche Umstände, nicht für den täglichen Gebrauch.
Die erwartbaren Umstände waren monatelang, von September 2020 bis Juni 2021, kommuniziert. Da stand nirgends, erst wenn eine bestimmte Impfquote erreicht sei, könne man über die Rückgabe von Grundrechten nachdenken. Zudem haben andere Länder mit ähnlichen Ratings Freedom Days gefeiert. So leicht ist es nicht, die Bedingungen einseitig zu ändern.
Angesichts der Verhältnisse und der tiefsitzenden Ressortiments in der Bevölkerung gegen Impfungen konnte niemand ernsthaft eine Quote von über 80 Prozent erwarten. Hat auch keiner, so wie ich das 2020 gelesen habe. Im Gegenteil, es kam einige Male der Vergleich, dass die Ablehnung in Ländern wie den USA und im deutschsprachigen Raum hoch sei, in Spanien dagegen weniger Ablehnung gemessen wurde. Die Ergebnisse sind entsprechend. Die Situation, die wir heute haben, war vorhersehbar.
Sie weigern sich einen annehmbaren Vorschlag zu unterbreiten, wann Normalität hergestellt werden kann. Das ist bei Stefan ganz genauso. Offensichtlich setzen Sie diesen Zeitpunkt mit: „wenn das Virus ausgerottet ist“ an. Sorry, das ist nicht akzeptabel, zumal längst alle ernstzunehmenden Wissenschaftler davon ausgehen, dass das Virus nicht mehr verschwinden wird und immer weitere Mutationen auftauchen werden.
„Man kann nicht 10 mal…“
Hat man ja auch nicht. Bezog sich auf den Vorwurf Wortbruch/Impfpflicht. Mit Alpha wären wir längst durch und mit Delta inzwischen fast auch. Aber niemand kann wissen, ob eine künftige Mutation nicht infektiöser und gefährlicher sein wird. Hoffen statt Vorkehrungen treffen? Dann käme prompt wieder der Vorwurf des total unfähigen Staates. Es gibt gute Argumente für und gegen eine allgemeine Impfpflicht.
Das starre Festhalten an einmal festgelegten Regeln (Mietverträgen, Gewerbesteuern) treibt Unternehmen in die Pleite, während andere bei flexibleren Partnern die Krise überstehen. Die Unternehmens-Analogie war ein Eigentor. Passiert auch Top-Spielern – wo ist Ihr Sportgeist?
Es geht nicht um die Impfpflicht. Es geht darum, was vor einem Jahr für Zusagen gemacht und nicht eingehalten wurden. Das Versprechen bezüglich der Impfpflicht ist nur eines, das man bereit ist zu brechen. In dieser Pandemie reiht sich eine Lüge an die andere, ein Täuschungsmanöver folgt dem nächsten, siehe aktuell die radikale Verkürzung des Genesenenstatus.
Selbst Spitzenpolitikern dämmert inzwischen, wie viel Vertrauen man verspielt hat. Das machen andere Länder besser. Die Niederlande beispielsweise verfügten Mitte Dezember einen erneuten Lockdown, versprachen aber, diesen Mitte Januar wieder aufzuheben. Die Infektionszahlen sind weiter sehr hoch, aber es wurde Wort gehalten. Dänemark und die Niederlande hatten im Frühjahr letzten Jahres Milestones benannt, wie schrittweise Normalität wieder hergestellt werden sollte. Sie haben sich daran gehalten, der Bürger wusste damit immer, woran er war.
Hier müssen die Leute auf die nächste MPK warten und werden dann über Pressekonferenzen kurzfristig informiert. Oder, neu, sie müssen auf der Homepage des Gesundheitsministeriums nachschauen, ob sie überhaupt noch unter 2G fallen.
Andere Länder machen das besser, keine Frage. Hierzulande ist (viel zu viel) Murks.
Aber „Lügen“ und „Wortbruch“ ist nochmal eine andere Kategorie. Das setzt Vorsatz und bösen Willen voraus. Den sehe ich nicht.
Oh bitte! Den Spruch lese ich nun seit fast zwei Jahren. Das reicht nicht. Das reicht definitiv nicht. Merken Sie etwas? Eine Welle rollt durch Deutschland, wie Dominosteine kippen die Länder. Ein Verwaltungsgericht nach dem anderen verwirft in diesen Tagen die Verordnungen der Politik zu 2G was auch immer. Mit anderen Worten: Die Politik hat sich in den Monaten einen Kehricht um die rechtliche Ordnungsmäßigkeit ihrer Regeln geschert. Man hat das verworfen, was die Basis unseres Zusammenlebens ist: Das Recht. Eine Innenministerin entblödet sich in diesen Tagen nicht, die Bürger aufzufordern, auf ihr Demonstrationsrecht zu verzichten. Die Verfassungsministerin! Das ist der Tiefpunkt. Jene Ministerin, die geschworen hat, die Verfassung zu achten und zu verteidigen, fordert die Menschen auf, sich nicht darum zu kümmern.
Lüge ist im juristischen Sinne zu stark, sicher. Aber die Politik will erkennbar nicht die Sprache des Rechts sprechen. Ein Gesundheitsminister überlässt es gerade mal einer nachgeordneten Behörde, über Grundrechtseinschränkungen zu befinden. Und die Beamten sind unfähig, schlüssige Regeln zu verfassen. Bei genauerer Betrachtung ist dieses Land längst ein Tollhaus.
Wortbruch gilt. Jens Spahn hat anscheinend mehrmals gegen besseres Wissen gelogen. Die Politik hat zur Bundestagswahl ein Versprechen in einer ganz elementaren Frage abgegeben und weiß nur Wochen später, dass es anders herum besser ist. Oder doch wieder nicht?
Andere Länder haben Fahrpläne verfasst. Die deutsche Politik wollte das nicht, konnte das nicht, es war ihr egal. Was auch immer. Das ist bananenrepublikhaft.
Es reicht, es reicht, es reicht!
Ich will Ihnen ja nicht grundsätzlich widersprechen, aber dass hier:
„Eine Innenministerin entblödet sich in diesen Tagen nicht, die Bürger aufzufordern, auf ihr Demonstrationsrecht zu verzichten. Die Verfassungsministerin! “
ist Ihre (falsche) Interpretation.
Am 13.1. wird die Ministerin so zitiert:
„Innenministerin appelliert: Angemeldete Demos aufsuchen“, anstelle von unzähligen unangemeldeten „Spaziergängen“,
und wenig später hat sie das getwittert:
„Ich wiederhole meinen #Appell: Man kann seine #Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“.
Es ist offensichtlich was die Ministerin meinte, nämlich das Recht einzuhalten und nicht es zu umgehen indem Demos als Spaziergänge deklariert werden. Das Schlimmste, was man ihr unterstellen sollte ist Twitter zu benutzen, aber nicht, dass sie die Verfassung misachtet.
Dann kann man aber nicht so schön Schaum vor dem Mund haben.
Kann man, muss man nicht. Bestand irgendeine politische Notwendigkeit der Bundesinnenministerin, sich in der Sache zu äußern? Eher nein.
Es ist schon anderen Politikern nicht gut bekommen, dauernd auf Twitter ihren Senf in den Orkus zu schicken.
@ CitizenK 21. Januar 2022, 15:28
Aber „Lügen“ und „Wortbruch“ ist nochmal eine andere Kategorie. Das setzt Vorsatz und bösen Willen voraus. Den sehe ich nicht.
Vorsatz: der ist da. Ob nun Jens Spahn irgendwelche Versprechen über ausgedachten Impfstoff-Mengen in den Raum stellt oder Zusagen zur Einsatzbereitschaft von Impfzentren gab, oder nun Olaf Scholz eine Impfpflicht auch dann noch für März versprochen hatte, als klar war, dass sich dieser Termin schon verfahrenstechnisch nicht einhalten lässt – stets und ständig wurden im Wissen, dass man falsch liegt bzw. liegen wird, Versprechungen gegeben.
Böser Wille? Die wollen nicht unbedingt jemandem schaden, sondern eher ihre Haut retten.
Dennoch: Lüge! Wortbruch!
Erkläre niemals etwas mit Bösartigkeit, wo Ignoranz, Dummheit oder Borniertheit zur erklärung völlig ausreichen :-).
Tradierte Lebenserfahrung. Und auch meine persönliche.
Dem (gedankenlosen) Wortbruch schliesse ich mich zwar an, aber da ist in den letzten 30 Jahren Gewöhnung eingetreten.
Gruss,
Thorsten Haupts
Wenn ich also von Kubicki-Liberalen schreibe meine ich Leute, die ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse sowohl über die ihrer Mitmenschen stellen als auch über geltendes Recht.
Geltendes Recht ist an die Verfassung a. k. a. Grundgesetz gebunden. Ein verfassungswidriges Gesetz kann gekippt werden, und das ist auch schon geschehen.
Ein Gesetz ist verfassungswidrig, wenn es
– nicht erforderlich oder
– nicht geeignet oder
– nicht angemessen ist
für jeglich behaupteten Notstand.
Alle drei Bedingungen sind in den Corona-Maßnahmen nicht erfüllt. Die Tatsachen schreien dir ins Gesicht. Dagegen zu opponieren ist ein Gebot der Souveränität des Bürgers, von dem mir so oft erzählt wird.
Es ist eine Vulgarisierung von „Freiheit“ zu einem „Ich! Ich! Ich!“, das den großen Philosophen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte.
Die Reduktion des Freiheitswillen auf asoziales „Ich! Ich! Ich!“ implementiert eine Sklavenmoral. Motto: tu mit mir was du willst, ich bin fügsam.
Keine Angemessenheit der Corona-Maßnahmen:
Sie kosten Ressourcen ohne Ende.
Quarantäne und Lockdowns waren sinnvoll zu Zeiten der Schwarzen Pest – weil ohne den heutigen Stand der Medizin. Behandlung von Corona ist heute Tagesgeschäft.
Angemessen wären die Maßnahmen dann, wenn ohne sie das Gesundheitssystem einbräche. Das brächte den Staat in Schieflage. Dass das nicht der Fall ist beweist der Fakt, dass die Regierung tatenlos zusieht, wie Krankenhäuser weg optimiert werden.
Erst durch den Ressourcenverbrauch gerät der Staat in die Schieflage, die es zu vermeiden gälte. (Die coronabedingte Verschuldung der Länder ist märchenhaft)
Also. Auch angemessen sind die Maßnahmen nicht.
Was hat es denn mit Verfassungswidrigkeit zu tun wenn er sich nicht an die Verordnungen hält, die geltendes Recht sind?
Die Rede ist von den Corona-Maßnahmen, die in Gesetz gegossen sind. Ein menschliches Verhalten kann nicht verfassungswidrig, sondern nur ungesetzlich sein. Nur ein Gesetz kann verfassungswidrig sein. Vorliegend die Maßnahmen.
Gesetz ist: Hab Maske auf in Innenräumen. Wovon reden wir hier eigentlich?
Mein Thema ist nicht Maske, sondern Gesetz. Und von nichts anderem. Im Zusammenhang mit deinem Freiheitsbegriff als freiheitsbegrenzende Maßnahme.
Ich geb mir wirklich alle Mühe, mich kurz und verständlich zu fassen. Bitte im Zweifelsfall konkret nachfragen. Danke.
Jetzt versteh ich gar nicht mehr wovon du redest.
Jetzt versteh ich gar nicht mehr wovon du redest. – Ich versuchs dir zu erklären.
Bundesrecht von den Ländern exekutiert. Also umgesetzt in Landesrecht, das letztlich zur Anwendung kommt. Ok für dich?
Ich als Niedersachse hab mich vor Zeiten nach Kriterium für Pflicht zur Maske erkundigt weil diese mir stinkt. Brauchst du nicht gut zu finden von mir, aber ich darf es definitiv.
Was kam zur Antwort? Kein Kriterium. Also Willkür. Falls du nicht glaubst, ich hab es – für alle nachzulesen – veröffentlicht.
Daraufhin hab ich im öffentlich Aufhebung der Maskenpflicht gefordert. Etwas höher in der Navigationsspalte links. Meine Forderung wurde sogar beantwortet – unverändert ohne Begründung einer Pflicht, die ich entwürdigend finde.
Find ich weniger in Ordnung. (Aber ich werd niemand reinreden.) Ich bevorzuge unbeaufsichtigtes Denken.
Nun, es ist aber nicht an dir, Verordnungen nur dann zu befolgen, wenn du sie für richtig hältst.
Ich vermisse meine Kommentare zu erforderlich und geeignet.
Wir hatten das schon mal, ich lass hier nichts drin das Corona verharmlost und/oder die Wirksamkeit von Impfungen und Masken wider alle Konsensergebnisse verleugnet.
Falls das eine Verharmlosung war gehört das in der Diskussion korrigiert. Denn ich vertrete die äußerst legale und rechtmäßige Auffassung, dass Corona [Gelöscht]
Rechtmäßig ja, kein Zweifel. Aber Blödsinn und hier nicht toleriert.
Blödsinn ist eine a-priori-Entscheidung.
Es ist Fake News. Während die Grippe nur auf die Lunge geht, greift Covid 19 fast jedes Organ des Körpers an und kann dort Komplikationen auslösen bis hin zur Todesfolge. Eine ziemlich frische Studie zeigt, dass Covid 19 deutlich stärker alte Menschen tötet. Ihre Meinung ist also faktisch unzutreffend. Sie ist legal, muss aber nicht publiziert werden.
@Stefan Pietsch
Danke. Das ist mal eine Diskussion. – Nun also. Du sagst:
Während die Grippe nur auf die Lunge geht, greift Covid 19 fast jedes Organ des Körpers an und kann dort Komplikationen auslösen bis hin zur Todesfolge.
Ich darf entgegnen: die Grippe ist eine Seuche, die ich ca. 4 mal überlebt habe, und ich schwöre dir, die geht in die Knochen. Aber so was von.
Dass die Grippe zum Tod führt kann ich aus eigener Erfahrung zwar nicht bestätigen, aber gehört und gelesen habe ich sehr wohl davon. Bei besonders anfälligen Leuten (Alte, Vorerkrankte und Immungeschwächte).
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8375609/
@Stefan Pietsch – Danke für den Link, hab ihn angeschaut.
Zwei Sachen fallen mir auf.
Erstens, weil ich kein Fachmann bin, sondern Laie, fällt mein erster (und einziger) Blick auf das Abstract. (Bei englischsprachiger Veröffentlichung die vorangestellte Zusammenfassung, erspart mir Studienjahre.) Hab ich hier erfolglos versucht zu finden.
Zweitens. Wirf einen Blick in die URL. Das Kürzel *.gov/* fällt bei mir in die Rubrik Regierungsverlautbarung. Wie siehst du das?
„Zweitens. Wirf einen Blick in die URL. Das Kürzel *.gov/* fällt bei mir in die Rubrik Regierungsverlautbarung. “
Das ist eine elektronische Bibliothek – National Library of Medicine. Der Artikel wurde in einer Fachzeitschrift des Springer-Verlages veroeffentlicht, da ist erstmal gar nichts verdaechtig:
https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00408-021-00468-0#citeas
Danke für die Recherche. Springer halte ich ebenfalls für unverdächtig. Trotzdem, gibts ein Abstract, das ich nur nicht gefunden habe?
Ich denke, es bringt nichts, wenn Laien versuchen Daten eines Fachbereichs zu interpretieren statt zu lesen und (vermeintliche) Lücken mit Spekulationen füllen. Das ist keine gehaltvolle Debatte.
Bist du vom Fach?
Ich bin im Gegenteil der Meinung, dass eine derartige Diskussion etwas bringt. Vom Fach sind wie beide nicht, aber wir beide sind Betroffene (von den Maßnahmen). Das genügt um uns zu äußern. Nicht vergessen bei den staatlichen Maßnahmen: uns wird ständig erzählt, das Volk sei der Souverän. Du und ich.
Sind wir auch. Wir haben Repräsentant*innen gewählt.
Exakt das.
Eine Untersuchung von John P. A. Ioannidis – gilt als Experte – weist für Corona-Infektion bei Unter-70-jährigen eine Überlebensrate von 99% aus.
Hier die Untersuchung.
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.08.21260210v2.full
Ganz oben im Paper steht das Abstract, man muss sich also nicht durch die komplette Studie Kämpfen.
Ich bleibe dabei: hier geht es nicht um Seriösität. Ioannidis ist ein sehr exponierter Wissenschaftler mit Sendungsbewusstsein und offensichtlicher Agenda. Das ist okay. Aber ich hätte meinen Uni-Abschluss verfehlt, wenn ich anhand einer einzigen Quelle komplexe Sachverhalte hätte aufzeigen wollen.
Wer sich um Objektivität bemüht, nimmt den einen, den anderen und den Dritten, hört sich das an und versucht sich aus der Vielfalt an Informationen ein Bild zu machen. Ich reagiere allergisch, wenn man versucht mich zu manipulieren. Dir geht es anscheinend auch nicht um Abwägung, sondern Deine vorgefertigte Meinung zu unterfüttern. Womit auch immer.
Voll in Ordnung. Du denkst gar nicht so viel anders als ich. Dass wir hier uneins sind ist kein Unglück. Man wächst aneinander.
Nachträglich fällt mir noch folgendes auf: du schreibst, „Dir geht es anscheinend auch nicht um Abwägung, sondern Deine vorgefertigte Meinung zu unterfüttern“.
Geht es dir anders? Geht es nicht jedem so? Ist deine Meinung weniger vorgefertigt als meine oder die jedes anderen, sei es hier oder sei es woanders?
War dein Motiv, mir einen Link zu liefern, anders motiviert als deinen Standpunkt zu unterfüttern?
Ich sehe es als Herausforderung an, dennoch auf die jeweils andere Meinung sachlich einzugehen.
Schau meine Kommentare hier oder woanders an. Ich empfinde es als einen Sport, sachlich zu bleiben – und ich empfinde es als Sport, mich besserem Argument zu beugen. So eins kommt. Ohne Ironie.
Ich fahre fort mit konstruktiver Kritik. Dein genannter Link kam kommentarlos. Um ihn zu bewerten hätte ich mich fachlich reinknien müssen, und vom Fach sind wir beide nicht. Selbst ein Abstract fehlte.
Zu meinem Link oben habe ich die Gesamtaussage zuvor benannt, die Quelle (Ionannidis). Und schließlich war dort ein Abstract vorhanden. Alles Sachen, die dir Bewertung erleichtern. Und richtig – du hast die Gelegenheit genutzt, ihn wegen Urheber Ioannidis abzulehnen.
Geht es dir anders? Geht es nicht jedem so? Ist deine Meinung weniger vorgefertigt als meine oder die jedes anderen, sei es hier oder sei es woanders?
Ein beliebter Vorwurf, gerade auch gegen jemanden wie mich, der Artikel schreibt und die gerne prononciert. Er stimmt nur nicht. Vor dem Schreiben habe ich kein Grundidee. Um die Formulierungen herum soll dann der Artikel entstehen und mit Fakten angefüttert werden. Nur fügen sich des öfteren bestimmte Fakten nicht in den Verlauf des Artikels, manchmal widersprechen sie sogar diametral. Dann muss ich die Argumentation umbauen.
Entweder nehme ich den Fakt direkt rein und korrigiere die Argumentation oder ich relativiere den Fakt. Aber ich habe keine Lust, einen Meinungsartikel zu schreiben, wo mir dann in der folgenden Debatte die Fakten um die Ohren fliegen, weil es einfach falsch ist oder auch nur höchst strittig, was ich behaupte. Das geht gegen die Qualität und ich lege durchaus viel Wert darauf, nicht im Grundtenor widerlegt werden zu können.
Die Leser merken diese Korrekturen nicht, weil sie die Artikel mit einem anderen Blick lesen. Mehr analytisch betrachtet sind manchmal sogar plötzliche Wendungen zu erkennen. Wie gesagt, fällt nur keinem auf, interessanterweise.
Antwort unten!
Inzwischen macht für mich der Begriff Neoliberal wieder Sinn. Das ist ein Kampf-Liberalismus, der auf jede Frage ein Antwort hat. In den 70/80ern machte das Sinn, aber nach der Finanzkrise und dem Zusammenbruch des chilenischen Modells endgültig definitiv nicht mehr. Ich hab meine VWL Diplomarbeit Ende der 90er bei einem der wildesten Neoliberalen der Zeit geschrieben. Ganz überzeugt war ich nie, aber heute würde ich sagen viel-zu-viel. Das ist gesellschaftlich auf Dauer weder wünschenswert noch tragfähig. In der chilenischen Debatte liebe ich progressive Ökonomen/Wirtschaftsjournalisten, die klare politische Zielvorstellungen wie ökologischer Umbau und mehr Gleichheit mit einem sehr tiefen liberalen Wirtschaftsverständnis verbinden. „Die Maßnahme könnte diese und diese und diese Auswirkungen haben, weil… einerseits … andererseits. Wollen wir das wirklich?“ Diese Sekundäreffekte sind für Leute ohne eine gute wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung und jahrelange berufliche Praxis nicht intuitiv. Andrea Repetto, Eduardo Engel, Iván Weissman verblüffen mich oft. Es ist vom Auftreten ganz anders als die allwissenden Kampf-Ökonomen.
Das macht mich nicht wirklich zum „Linken“. Hab darüber lange nachgedacht. Es existiert eine Welt dazwischen.
„Freiheit von Furcht, Freiheit von Krankheit, Freiheit von Hospitalisierung …“
Seltsames Freiheitsverständnis. Weder Freiheit von Furcht noch Freiheit von Krankheit sind beim Menschen überhaupt erreichbar, bleibt also Freiheit von Hospitalisierung als halbwegs valides Argument.
Und da sind wir beim Kern der Debatte. Ob und wieweit die Corona-Massnahmen Deutschlands zu diesem Ziel beitragen/beitrugen ist nämlich angesichts der dürren Datenlage eine völlig legitime Debatte, die aber die „Freiheit von“ Gefängnisaufseher nicht führen wollen und wollten. Wenn aber technisch wie wirtschaftlich weit fortgeschrittene Staaten re Krankheit und Tod grosso modo dasselbe Ergebnis erzielen, dann müssen sich die Staaten, die mit mehr oder weniger konsistenten Einschränkungen arbeiten, völlig berechtigt fragen lassen, ob ihre Massnahmen gerechtfertigt sind oder waren.
Freiheitseinschränkung ist in liberalen Gesellschaften begründungsprflichtig, nicht das Gegenteil. Und genau dabei haben die „Freiheit von“ Gefängnisaufseher so richtig gründlich versagt, deshalb die Ersatzdebatte über Vulgärliberalismus.
Ich bin ja alter Reaktionär und hätte in Kenntnis von geltenden Menschheitskonstanten sehr früh eine Impfpflicht verfügt, anstatt sie über die Drangsalierung der Ungeimpften über die Hintertür einzuführen, mit alle den vorhersehbaren gesellschaftlichen Folgen. Aber in der Freiheitsdebatte sind Sasses Argumente nicht nur wenig stichhaltig, sie zeigen darüber hinaus in erschreckender Weise auf, wie man Freiheit grundsätzlich missverstehen kann. Mit „Freiheit von“ als Basis endet man logisch und denknotwendig im betreuten Kindergarten oder im Gefängnis.
Gruss,
Thorsten Haupts
„sehr früh eine Impfpflicht verfügt, anstatt sie über die Drangsalierung der Ungeimpften über die Hintertür einzuführen“
Sonst sagt ihr immer: Der Staat muss zuerst das mildere Mittel probieren, bevor er zu rigideren Maßnahmen greift. Das hat er getan, aber jetzt kommst Du mit Begriffen wie „Gefängnisaufseher“, die den Kriterien einer „deliberation“ nicht entsprechen.
Ich wiederhole: keine führende Demokratie hat bisher eine Impfpflicht eingeführt. Dafür gibt es Gründe, die weit über Zielerreichung hinausreichen. Ausgerechnet wir Deutschen sagen aber, wir brauchen dieses Zwangsmittel unbedingt, sonst kommen wir nicht zurecht. Das ist nicht glaubwürdig.
„Wir Deutschen“ haben halt auch eine signifikant niedrige Quote an Immunisierungen. Auch die Befürworter der Impfpflicht wiederholen es immer wieder: Hätten wir die Impfquote der anderen „führenden Demokratien“ (mit Ausnahme der USA), bräuchten wir sie nicht.
Da wird etwas nachgeplappert, was Politiker vorplappern und Medien verbreiten. Es ist Unsinn.
Deutschland liegt mit seiner Impfquote von rund 70% auf Normalmaß. Von den besonders gefährdeten Gruppen über 60 sind über 90% der Menschen geimpft. Ob UK nun 68%, Schweden 71%, Frankreich 70% oder Italien 73% hat, macht statistisch keinen merklichen Unterschied. Vor allem: es ist zunehmend egal.
https://www.rtl.de/cms/corona-impfquote-weltweit-interaktive-grafik-zeigt-wo-deutschland-und-andere-laender-stehen-4746908.html
Die Politik selbst und das RKI haben die Erst- und Zweitimpfungen für obsolet erklärt (Wortbruch). Längst wissen wir, dass auch Geimpfte sich fleißig an der Verbreitung des Virus beteiligen. Omikron hat das Spiel ohnehin verändert, reihenweise erkranken Geboosterte.
Boostern ist der neue Goldstandard, der allein vor schweren Verläufen schützen kann. Beim Boostern allerdings liegt Deutschland seit Mitte Dezember ganz gut im Rennen. Dem Virus ist es ohnehin egal, es infiziert die Menschen. Umgekehrt ist die Statistik egal: Selbst Länder mit Inzidenzen von 3000 haben es entspannt im Gesundheitswesen. Und die Politik erklärt unzählige Deutsche für nicht immun, was dem Virus auch wieder egal ist.
Vorschlag: Da wir den Feldversuch mit dem vergleichbarsten Staat, Österreich, haben, sehen wir in einem halben Jahr, wie sinnvoll eine Impfpflicht gewesen wäre.
Wenn ich also von Kubicki-Liberalen schreibe meine ich Leute, die ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse sowohl über die ihrer Mitmenschen stellen als auch über geltendes Recht.
Das stammt nicht von mir und ist trotzdem legitimer Bestandteil von Deliberation.
Der Staat muss zuerst das mildere Mittel …
Das stammt ganz sicher nicht von mir :-). Ich bin ein grosser Anhänger des „Klotzen, nicht kleckern“. Des „Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende“.
Und ich hätte die Impfpflicht (für alle) auch nicht vorrangig aus medizinischen, sondern aus sozialen Gründen eingeführt – a) war die völlig vergiftete „Geimpfte gegen Ungeimpfte“ Eigenangst-Verdrängungsdiskussion gut prognostizierbar und hätte vermieden werden müssen und b) muss man bei 2G oder 3G Regeln die Regeldurchsetzung fast vollständig auf die Bürger (in ihren Berufsfunktionen als z.B. Kellner) verlagern und das geht dauerhaft einfach gar nicht.
Gruss,
Thorsten Haupts
Ob und wieweit die Corona-Massnahmen Deutschlands zu diesem Ziel beitragen/beitrugen ist nämlich angesichts der dürren Datenlage eine völlig legitime Debatte [..]
Für sie eine Gegenüberstellung Europa und NoCovid-Länder.
https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSelection=true&facet=none&pickerSort=asc&pickerMetric=location&Metric=Confirmed+deaths&Interval=Cumulative&Relative+to+Population=true&Color+by+test+positivity=false&country=DEU~FRA~GBR~ESP~NZL~AUS~TWN~CHN~KOR~JPN
Sehen sie den Effekt?
???? Ich sprach über den Vergleich zwischen „mehr oder weniger Einschränkungen“, also bspw. Deutschland versus Schweden oder Schweiz, nicht über den Vergleich von 4 Inselstaaten und einer totalitären Diktatur mit dem Rest der Welt. Trotzdem danke für diesen wertvollen Einblick – offenbar halten „Freiheit von“ Verfechter selbst China für ein Vorbild. Immerhin haben die Chinesen ja „Freiheit von CoVid“ …
Gruss,
Thorsten Haupts
Nein, sie sprachen von einer dürren Datenlage zur Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen. Die gibt es nicht. Die Wirksamkeit von Kontaktbeschränkungen wurde in zahlreichen Studien belegt und zeigt sich klar bei NoCovid-Länder.
Jo. Die Datenlage zeigt, dass die Selbst-Quarantänisierung eines kompletten Inselstaates oder ein gefängnisähnlicher, militärisch abgesicherter Lockdown unter Todesdrohung (bis heute …) tatsächlich funktionieren. Im Falle Chinas auch nur unter der Annahme, dass dessen veröffentlichte Daten nicht frei erfunden sind (wovon ich als default ausgehe). Ach was?
Was die Datenlage mitnichten zeigt, ist, dass der deutsche Corona-Massnahmenmix gegenüber dem – wesentlich (!) milderen – Massnahmenmix der Schweiz oder Schwedens überlegen ist. Und genau darauf wollte ich hinaus. Der Vergleich mit Taiwan ist in einem Land mit tausenden von Kilometern Landgrenze nach allen Seiten einfach albern.
Gruss,
Thorsten Haupts
Natürlich ist der Effekt der Maßnahmen in den Daten zu sehen, sie müssen nur ein paar Klicks machen:
https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSelection=true&facet=none&pickerSort=asc&pickerMetric=location&Metric=Confirmed+deaths&Interval=Cumulative&Relative+to+Population=true&Color+by+test+positivity=false&country=DEU~CHE~SWE~FIN
Deutschland hatte im Vergleich zu Schweiz und Schweden stets deutlich weniger Todesfälle, jetzt nähern wir uns an. Wir machen leider die hart errungenen Erfolge kaputt, da wir unkontrolliert durchseuchen.
Nein, diese Annäherung müsste nicht sein, dazu habe ich extra Finnland hinzugefügt.
Nein, der Effekt ist nicht zu sehen- das ist in meiner Wahrnehmung grosso modo dieselbe Grössenordnung (Finnland akzeptiere ich als deutliche Abweichung).
Aber wir können die Debatte hier auch gerne beenden, wir reden erkennbar aneinander vorbei.
1) Bisher gibt es keine auch nur annähernd ausreichende Datengrundlage, um Einzelmassnahmen auf ihre Effektivität oder Angemessenheit hin zu überprüfen
2) Kurven der „Todesfälle pro X Einwohner“ und Kurven der „Übersterblichkeit pro X Einwohner“ verlaufen nicht einmal annähernd parallel
3) Niemand kann bisher seriös die Frage beantworten, ob Leute „mit“ oder „an“ Corona gestorben sind
Ich halte deshalb meine Aussage „dürre Datenlage“ aufrecht.
Gruss,
Thorsten Haupts
1) Es gibt hunderte und daher bereits einige Meta-Studien. Beispiel:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.abd9338
2) Müssen sie auch nicht. Es gibt nicht nur Covid-19.
3) Es gibt aber einen weltweiten empirisch belegten Zusammenhang zwischen Infektion, Hospitalisierung und Übersterblichkeit.
Langsam fühle ich mich von Ihnen veralbert :-).
Zu 1)
Aus dem Abstract der gelobten Meta-Studie:
“ To describe these trends, we categorized intervention effect sizes as small, moderate, or large, corresponding to posterior median reductions in the reproduction number R …“
Jo. Ausgerechnet der R-Wert. Der auf den kumulierten Meldungen von Gesundheitsämtern beruht. Deren Datensammlung, Aktualität, Genauigkeit und Sicherheit – in Deutschland – war jetzt so häufig Thema von Medienberichten, dass ich zum aktuellen deutschen R-Wert genausogut Astrologen befragen könnte. Und nach dem uralten Datenbank-Standardspruch „Shit in, shit out“ ist eine Auswertung, die sich auf diesen Wert konzentriert, kaum irgendetwas etwas wert.
Zu 2)
Unter ceteribus paribus Bedingungen ist es dann allerdings allerhöchst erklärungsbedürftig, warum die Kurven nicht annähernd parallel verlaufen. Das müssten sie nämlich, wäre CoVid die einzige „neue“ Variable.
Zu 3)
Wenn Ihnen das reicht? Mir nicht. Das reduziert die Datenlage auf die Frage „Ist CoVid gefährlich? Jau“ – was kein ernsthafter Kritiker der politischen, deutschen, CoVid Massnahmenjemals bestritten hat. Und rechtfertigt allemal meine „dürre Datenlage“.
Gruss,
Thorsten Haupts
1) Die Studie war über 41 Länder.
2) Die anderen Variablen sind dynamisch, sie rauschen.
3) Ja, Daten sind im Übermaß vorhanden. Man muss sie nur lesen können.
Auch die anderen Freiheiten bleiben pin Reinform unerreichbar, das ist kein Argument. Es gibt IMMER Einschränkungen. Wir streben ja nur nach „so viel wie möglich“.
Das Problem ist doch, dass die Behauptung und die darauf folgenden Einschränkungen das durch die Maßnahmen etwas erreicht wurde, von keiner Seite mehr hinterfragt wird.
Auch das – wie in früheren Zeiten – bei einer Epedemie zuerst
geforscht wird, was die Ursachen für die schwere der Krankheit ist und wie man diese behandeln kann, ist nicht mehr der Fall.
Alles was im Vordergrund steht ist eine Dramatisierung der Lage. Das ist unwissenschaftlich und läßt Zweifel aufkommen bei denen die genaues Wissen wollen. Denn es ist beileibe nicht so, dass tatsächlich Krankenhäuser überfüllt waren – im gegenteil 2020 waren sie historisch leer – auch die Zeitreihen auf der Seite des DIVI zeigen keine sonderlich beängstigenden Ausschläge an. Wichtiger als die Zahlen von Inzidenzen, die diesen Namen nicht verdienen, wäre die Antwort darauf, wo und woran die Menschen erkranken die, die in Krankenhäuser behandelt werden müssen?
Am Anfang, im März 2020, klang das auch noch so. Wir müssen eine Welle einer Viruserkrankung in den Griff kriegen, damit nicht so viele schwer erkrankte im KH landen – das hat aber nicht statt gefunden. Jetzt geht es plötzlich um eine Impfung(pflicht) gegen ein rasch mutierendes Erkältunsvirus, was in der Vergangenheit nur leidlich gelungen ist und durch das neue Verfahren noch keineswegs besser aussieht. Aktuell ist die vierte „Auffrischung“ im Gespräch und das nach noch nicht mal einem Jahr. Mich wundert es, dass so wenig sich darüber wundern. Aber das aufgrund dieser Lage die massiven Einschränkungen als legitim betrachtet wird, hinterläßt mich eher ratlos. Ich verstehe die Argumente für die Einschränkungen nicht. Das Menschen krank werden und sterben, kann es ja nicht sein. Das tun sie immer und bisher war es so, das uns z.b. die MRSA Toten mehr der weniger egal waren, da wurden keine massiven Maßnahmen beschlossen (wie z.b. in den Niederlanden) trotz vieler tausend Toten und Verstümmelter jedes Jahr. Ähnliches gilt für andere „Volkskrankheiten“ die man mit sinnvollen Maßnahmen drastisch reduzieren könnte, aber nicht tut. Plötzlich ist bei einem Erkältungsvirus alles anders?
Du schreibst selber, dass der Artikel eher eine „Stoffsammlung“ von Gefühlen als eine strukturierte Argumentation ist. Dennoch möchte ich ein paar rhetorische Fallacies ‚aufspießen‘, weil sie in meinen Augen symptomatisch sind für den Kulturkampf, der um die Coronapolitik gemacht wird.
1) Der Freiheitsbegriff: Dieser existiert in vernünftiger Definition : „die Möglichkeit, ohne äußeren Zwang zwischen unterschiedlichen Handlungs- oder Unterlassensoptionen entscheiden zu können.“ Dieser sagt noch nichts aus, welche Einschränkungen legitim isnd. Und die liberale Zauberformel „endet dort, wo die des anderen beginnt“ ist bei der Enge einer modernen Wirklichkeit nicht praktikabel (Stell dir Erwin Gabriel ‚Luftschläge‘ in einer vollen U-Bahn vor.) Hier sind andere Werte entscheidende Faktoren: Rücksichtnahme und Toleranz.
2) Der andere Freiheitsbegriff: Darauf gehst du aber nicht ein, sondern verwendest den rhetorischen Trick der Homonymie, indem du Freiheit im Sinne von Absenz (Freiheit von…) hineinbringst. (Das stößt mir besonders bitter auf, weil diese Begriffsverschiebung in „1984“ als Beispiel für newspeak aufgeführt wird „Dieser Hund ist frei von Flöhen“)
3) „der Staat“ du siehst zwar die absolute dysfunktionalität, wenn verantwortungsbewusstes Handeln durch staatliche Regeln einzelfallgerecht vorgeschrieben werden soll, aber dass eigentlich vernünftiges Handeln unglaublich verbreitet wäre, siehst du nicht, denn
4) „die anderen“, die nicht zu deinen Schlüssen kommen, was richtig und was falsch ist, können nur egoistisch motiviert sein.
5) „Der Verzicht“ deinerseits ist dabei der Schlüssel. Warum wirst du nicht für dein ‚Wohlverhalten‘ belohnt? Und wenn nicht das, soll die ‚kognitive Dissonanz‘ aufgelöst werden, indem die öffentliche Meinung jede Übertretung sanktioniert.
6) „die Kinder“ sind vernachlässigt worden, Das wurde auch oft genug angesprochen worden – von den Maßnahmenkritikern ( erinnerst du dich etwa an die Brüggemann- Videos?) Es wäre ehrlich, wenn du dir eingestehst, dass sie ‚Kollateralschäden‘ einer Politik sind, die du im großen und ganzen unterstützt und verteidigt hast und selbst lebst.
7) „das Ende“ wird nicht kommen. Lothar Wieler wird sich nicht hinstellen und verkünden „Corona ist vorbei. Die Schäffler sollen tanzen.“ Darauf dürfen wir (gemeint ist nicht die Gesellschaft als ganzes, sondern jeder einzelne für sich) nicht warten, sondern die Frage stellen, wie wir in absehbarer Zukunft mit Corona leben wollen. Die Werkzeuge sind da : Impfung, Tests, bessere Behandlungsmöglichkeiten.
Danke für’s Lesen und Diskutieren auf jeden Fall!
1) Klar, das ist eine vernünftige Definition. Aber es gibt eben auch andere und weiterführende. Es gibt halt nicht die eine, richtige. Darauf wollte ich hauptsächlich raus.
2) Erklärt sich aus 1)
3)/4) Ja und nein. Eine Regelung wie Maskenpflicht ist halt grundsätzlich sinnvoll, wenn sich alle dran halten. Und wer sagt „ich hab aber keine Lust“ – was ist das, wenn nicht Egoismus?
5) Ich lasse ja keinen Zweifel daran, dass das mit Sicherheit reinspielt. Ist in meinen Augen auch legitim. Warum dürfen sich Maskenverweiger*innen darüber ärgern, ich aber nicht? Wie ich schreibe, ich hab auch Sorgen und Nöte.
6) Nein, das wäre nicht ehrlich, denn das habe ich von Anfang an kritisiert und das war mitnichten ein unvermeidbarer Kollateralschaden. Es war eine bewusste politische Entscheidung, die ich kritisiere.
7) Doch, das wird kommen. Genauso wie diesen Spätherbst die Lage aufgehoben wurde, wird das auch für den Rest kommen.
3/4) Gerade die Masken sehe ich als ein Musterbeispiel, wie unterschiedlich die Lebenssituationen sind. Ich habe in der Arbeit den Luxus, bei einem Kundentermin unter 4 Augen die Frage vorab zu stellen „Ist es Ihnen lieber ohne Maske. Ich bin geimpft und getestet.“, sehe aber natürlich genauso, dass du diese Möglichkeit vor einer Schulklasse nicht hast.
6) Grundsätzlich vor allem in letzter Zeit immer deutlicher. Aber es gab z.B. auch Fundstück 7) im Vermischten vom 15.10.2020:
„Weil popper hier in den Kommentaren sich so gerne zum Rächer der entrechteten Kinder aufschwingt, sei hier einmal auf diese Studie verwiesen. Wenig überraschend findet sich hier ziemlich stützendes Material dazu, dass die Erwachsenen hier Projektion betreiben und ihr eigenes Unwohlsein auf die Jugend übertragen. Wie so oft gilt, dass die kids alright sind.“
Einer der schönen Kommentare zur deutschen Corona-Politik. Ich werf das mal hier ab:
https://twitter.com/ClareCraigPath/status/1484474785627262980
Gruss und gute Nacht,
Thorsten Haupts
Die Pandemie-Politik ist in sich stimmig. Die Formel lautet: möglichst ungebremste Durchseuchung mit maximalem Druck auf Ungeimpfte – damit ergeben die Maßnahmen einen Sinn.
Das tolle ist, dass der Mehrheit ein Aktionismus vorgetäuscht wird, den sie bereitwillig glauben. Die Wahrheit ist jedoch: Alle derzeitigen Beschränkungen sind wirkungslos und teilweise schädlich, da sie die Welle nicht Brechen, sondern sie im Gegegteil verlängern werden.
@ Thorsten Haupts 22. Januar 2022, 23:27
Einer der schönen Kommentare zur deutschen Corona-Politik. Ich werf das mal hier ab:
https://twitter.com/ClareCraigPath/status/1484474785627262980
Trifft die ‚wasch mich, aber …‘-Politik der Regierung ganz gut. Hätte man das vorhergesagt, wäre man verlacht worden.
@Stefan Pietsch – Antwort zu oben
– Ein beliebter Vorwurf, gerade auch gegen jemanden wie mich, der Artikel schreibt und die gerne prononciert. –
War kein Vorwurf gedach (ich bekenne mich ja daz), aber ok.
Also du hast keine feste Voreinstellung. Steht in Widerspruch zu Ablehnung meines Verweises auf Ionannidis – wohlverstanden ohne Sachbezug, nur mit Berufung auf seine „Agenda“, die du höherrangig bewertest als ein Paper, das er der wissenschaftlichen kritischen Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.
Eine Arbeit, wohlverstanden, die du als Fachfremder ebensowenig beurteilen kannst wie ich.
Sehe ich als Widerspruch an. Du bist voreingestellt. Was nicht schlimm ist!
Also du hast keine feste Voreinstellung.
Ich schrieb, ich gehe mit einer Idee an einen Artikel heran. Aufgrund der Beschäftigung mit Informationen kann sich die Richtung ändern.
Ich habe auch nichts gegen Ionannidis. Ich habe ein Problem damit, wenn jemand versucht, micht mit der politischen Position eines Wissenschaftlers in die Richtung des Wissenschaftlers zu drücken. Das passierte vor dem Hintergrund, dass Du selbst die Zahlen einer Erhebung nicht akzeptieren mochtest, spekuliert hast, wie man es denn lesen könne und bei Ionannidis endetest, der hier zu Hilfe eilen sollte. So geht fundierte Debatte nicht.
Ich kann Zahlen beurteilen. Das ist mein Metier. Ich kann nicht den naturwissenschaftlichen Hintergrund bewerten.
Danke für die Antwort.
– „Ich habe auch nichts gegen Ionannidis. Ich habe ein Problem damit, wenn jemand versucht, mich mit der politischen Position eines Wissenschaftlers in die Richtung des Wissenschaftlers zu drücken.“ –
Falls du mit „politischer Position“ Wahrung von Schutzrechten gegen den Staat meinst – die Legislative ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterworfen. Um diese zu beurteilen muss das Gefahrenpotential des Virus ermittelt werden. Dazu ist nicht der Politiker, sondern der Fachwissenschaftler kompetent. Da sehe ich Ioannidis durchaus in der Pflicht.
Zu deiner Studie – jetzt hab ich doch was genauer reingeschaut und wegen er Fachsprache eine Übersetzmaschine bemüht.
Die Zahlen sind genau dann verwertbar, wenn die Rohdaten stimmen. Die Studie ist augenscheinlich aus den Staaten, die dortigen Verhältnisse sind mir weniger bekannt. Ich erlaube mir, dein Augenmerk auf den Abschnitt „Results“ zu richten, dort steht gegen Ende – nach Übersetzmaschine auf Deutsch –:
„Im Vergleich zu den Verstorbenen mit Influenza litten die Verstorbenen mit COVID-19 häufiger an Diabetes, Fettleibigkeit und Bluthochdruck, aber seltener an bösartigen Erkrankungen, chronischen Lungenerkrankungen, Nierenversagen und Herzversagen.“
Das korrespondiert mit der Tatsache, dass – in Deutschland – keine reelle Statistik der wirklichen C-19-Opfer existiert. Wir haben nur Zahlen von Toten, mit positivem PCR-Test. – Nochmal, ich weiß es nicht. Ich könnt mir vielleicht denken, dass die Amis bessere Rohdaten haben, aber … glaubst du das im Ernst? Zur Erinnerung, das RKI hat Anfang 2020 – pflichtwidrig – von Obduktion abgeraten.
(Falls ich irre und eine saubere Statistik existieren sollte – nur immer her damit. Aber ich bin skeptisch.)
Schlussendlich bin ich gestern erstmals auf einen Covid-Patienten gestoßen (sogar ein Mediziner); hat dicken Kopf und Schüttelfrost, Montag will er in Behandlung gehen. Sah für mich aus wie ein Grippepatient, so wie ich diese aus eigener Erfahrung erlebt habe. Ich halt ein Auge drauf.
Ich hab dir meine schlichten Gedanken offenbart. Wenn du einen Fehler findest höre ich aufmerksam zu.