Die Iden des Merz


Es ist alles, aber kein ausgeschlossenes Szenario, dass Friedrich Merz die CDU in die kommende Bundestagswahl 2021 führen wird. Minimal unwahrscheinlicher, aber eng verknüpft, ist seine zukünftige Kanzlerschaft. Grund genug für uns, sich etwas näher mit dem Mann zu beschäftigen, der 2018 wie ein Phönix aus der Asche aus der politischen Rente trat und die Herzen der CDU-Parteibasis im Sturm eroberte. Wer ist dieser Mann, was macht seine Anziehungskraft für seine Anhänger aus, woher kommt sein Erfolg und was bedeutet er für die Republik im kommenden Superwahljahr 2021?

Ein Blick zurück

Friedrich Merz‘ große Zeit lag in den frühen 2000er Jahren, als der Reformdiskurs in voller Blüte war und sich die vier (damals) etablierten Parteien in Vorschlägen um möglichst tiefgreifende Kürzungen im Sozialsystem und möglichst große Steuergeschenke an die Oberschicht überboten. Einer der Bietkönige war Friedrich Merz, der innerhalb der CDU die Rolle des Finanzexperten einnahm (für die glücklicherweise keinerlei Finanzexpertise notwendig ist). Zusammen mit Paul Kirchhof bildete er eine Konstellation, für die die Beinahe-Wahlniederlage 2005 und die daraufhin vollzogene Abkehr vom radikalen Leipziger Parteiprogramm 2003 – das er maßgeblich mitgestaltet hatte – einen schweren Schlag und den Rückzug aus der aktiven Politik bedeutete.

Merz‘ Name wird wohl auf ewig mit der „Bierdeckelsteuer“ verknüpft bleiben. Hierbei handelt es sich um eines der brillantesten politischen Framings der letzten 20 Jahre, das muss man neidlos anerkennen. Die Idee war, das Steuersystem so radikal zu vereinfachen, dass die Steuererklärung „auf eine Bierdeckel“ passe, eine Metapher, die gleichzeitig Volksnähe (durch die Assoziation mit Kneipen und Feierabendbier) als auch die patriarchalische Ordnung (durch die männliche Konnotation derselben) mit den neuen Reformideen verknüpfte. Wäre es nicht um eine Politik gegangen, die in den Etagen der Chefredaktionen auf helle Begeisterung stieß, man hätte es glatt Populismus nennen können; der Begriff wurde dann aber doch für die in Reaktion auf all diese Kürzungsbegeisterung entstandene LINKE reserviert.

Die Bierdeckelsteuer fiel dann aber genauso Merkels erster Kanzlerschaft zum Opfer wie die Kirchof’sche Steuerreform oder, in Merzens Fall wichtiger, der Posten des Finanzministers. Der ging an Peer Steinbrück von der SPD, dem wir das glimpfliche Überstehen der Finanzkrise maßgeblich mit verdanken. Man denkt mit Schaudern daran, was ein Finanzminister Merz in einer schwarz-gelben Koalition in dieser Situation getan hätte. Doch bereits vor dieser Merkel’schen Kehrtwende war das Verhältnis der Beiden nicht unbedingt warm: Merkel hatte in Vorbereitung des Wahlkampfs 2005 nach Stoibers Desaster von 2002 den Fraktionsvorsitz über die CDU von Merz beansprucht, der ihn seit Schäubles kurzem Vorsitz und folgendem Abtritt aus der Spendenaffäre innegehabt hatte. Diese Degradierung hat Merz Merkel nie verziehen.

Die Große Koalition war, trotz der aggressiven Steigerung des Schröder’schen Reformkurses, kein Habitat für Merz. Es ist spannend, die Parallelen zur Biographie Oskar Lafontaines zu lesen. Ohne Chancen, den Kurs seiner Partei maßgeblich weiter beeinflussen zu können, die er unter einer ungeeigneten Vorsitzenden und Kanzlerin sich deutlich von den von ihm wahrgenommenen Wurzeln entfernen sah, und unwillig, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, quittierte er frustriert die Politik und zog sich 2007 bis 2009 in Raten ins Privatleben zurück. Hier hören die Parallelen dann aber auch auf. Abgesehen von einem gelegentlichen Grummeln von der Seitenlinie hörte man von ihm dann aber nichts mehr. Während er bei Blackrock an seinem bescheidenen Mittelschichtenstatus arbeitete und die ersten Millionen machte, dampfte die Republik unter Merkel fröhlich und unreformiert dahin.

Ich kenne Merz zu wenig um beurteilen zu können, warum er der Lafontaine’schen Versuchung widerstand, 2013 zusammen mit ideologischen Nachbarn wie Konrad Adam oder Bernd Lucke die AfD mitzugründen. Vermutlich ist er dem europäischen Projekt und dem Euro wesentlich mehr verbunden als diese. Die Partei wäre ansonsten eigentlich sehr passend für ihn gewesen, und man darf annehmen, dass er sie vor dem Absturz in das rechtsextreme Spektrum hätte bewahren können. So aber blieb er weiter in der Versenkung. Selbst die beginnende Grundsatzkritik an Merkel im Zuge der Flüchtlingskrise ab 2015 brachte ihn nicht zurück, hier reüssierten andere. Erst die Bundestagswahl 2017, die erkennbar die letzte in Merkels Kanzlerschaft sein würde, und ihre Ankündigung, sich vom Vorsitzendenposten zurückzuziehen, schoss Merz wieder zurück in den CDU-Führungsorbit – unterstützt maßgeblich von Wolfgang Schäuble, der auch nach 20 Jahren seine Instinkte nicht verloren hat.

Der zweite Versuch

2018 reichte das allerdings nicht, um den Sieg zu erringen. In der CDU waren etablierte und gut geschmierte Netzwerke sowie der Ritterschlag von oben schon immer die beste Währung, um an höchste Weihen zu kommen, und trotz der offensichtlichen Begeisterung großer Teile der Parteibasis entschloss sich die CDU, Merkels designierte Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer (wenngleich knapp) zu küren. Erneut verschwand Merz in der Versenkung, was mit Sicherheit nicht der falsche Zug war. Keiner mag schlechte Verlierer und Besserwisser. Seine zweite Chance sollte früher als erwartet kommen. AKKs Ägide verlief einerseits deutlich schlechter und andererseits deutlich kürzer als angenommen. Bereits nach Monaten war sie am Ende. Ohne die Corona-Pandemie wäre die Führungsfrage der Partei auch schon längst entschieden; so wird es – sehr zum Schaden der Partei – noch bis März dauern, ehe die Führungsfrage in der CDU geklärt sein wird, ohne dass dies notwendigerweise auch die Frage der Kanzlerkandidatur klärte.

Ein Sieg Friedrich Merz‘ im Machtkampf um die Führung der CDU wird immer wahrscheinlicher. Wenngleich noch längst nicht in trockenen Tüchern ist es Merz gelungen, seinen UnterstützerInnenanteil von der Kampfabstimmung gegen Annegret Kramp-Karrenbauer von 2018 im Wesentlichen stabil zu halten – was angesichts dessen, dass sein Konkurrentenfeld zersplittert ist, auf eine ordentliche Pluralität der Stimmen hinausläuft. Eine Mehrheit ist das freilich nicht, was der CDU noch deutliche Probleme bescheren konnte. Auf der anderen Seite ist es auch durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der Sieg Merz‘ die Machtfrage so klärt, wie es die Durchsetzung Merkels seinerzeit tat und seine aktuellen Gegner entweder aufgeben oder die Seiten wechseln. Ich würde die Gefahr eines „CDU-Bürgerkriegs“ oder Flügelkampfs daher nicht überbewerten wollen.

Ich muss offen eingestehen, dass ich mich mit den parteiinternen Dynamiken der CDU zu wenig auskenne um kompetent abschätzen zu können, wie die Chancen aktuell stehen. In der Basis genießt Merz zwar mehr Unterstützung als jeder andere Kandidat, aber die Basis wählt, anders als in der SPD, den Vorsitzenden nicht – das tun die Delegierten. Ob diese allerdings so stark abweichen, ist für mich nicht einsichtig. Mein aktueller Eindruck ist, dass sich Laschet und Röttgen weitgehend selbst kannibalisieren – der Erfolg des Einen ist der Verlust des anderen, und der lachende Dritte ist Merz. Die Dynamik gleicht darin ein wenig den republikanischen primaries 2015, ohne Merz mit Trump gleichsetzen zu wollen. Die beiden profitieren nur vom selben Effekt.

Das Angebot

Was aber bietet Merz, das ihn für einen solch großen Teil der Parteibasis so attraktiv macht?

Ein nicht zu verachtender Teil ist, dass er nicht Merkel ist oder mit ihr in Zusammenhang steht. Durch seine Abwesenheit der letzten Jahre und weitgehende Funkstille bildet er eine großartige Projektionsfläche für alle Merkel-Kritik. Er hätte sicherlich alles anders und besser gemacht, und das Schöne ist, dass das nicht widerlegbar ist. Es gibt praktisch keine öffentlichen Äußerungen von ihm aus der Zeit, und er trug keine Verantwortung. Was normalerweise ein Nachteil wäre, ist dank seiner vorherigen starken Prominenz ein Vorteil, so wie es für Lafontaine seinerzeit ein Vorteil war, weder beim Kosovo-Krieg noch bei den Reformen der Schröder-Regierung beteiligt gewesen zu sein.

Aber das ist natürlich nicht alles. Es ist kein Geheimnis, dass die CDU über die Politik Merkels ähnlich tief gespalten ist wie die SPD seinerzeit über die Agenda2010. Alle diejenigen, die mit Merkels Modernisierungspolitik unzufrieden sind (und die meist nicht an den Schaltstellen der direkten Macht in ihrem Umfeld sitzen, was sicherlich auch eine Rolle spielt), empfinden Merz als einen Vertreter der „guten alten Zeit“, das mythische Damals, als die Welt noch im Lot war. Erneut dient er hier als Projektionsfläche für Wünsche und Hoffnungen; da er selbst keine aktuelle politische Vergangenheit hat, gibt es nichts, weswegen man mit ihm sauer sein müsste. Das ist ein mächtiger Antrieb.

Diese „weichen“ Faktoren aber würden nicht ausreichen. Merz vertritt auch Positionen, die in der aktuellen CDU-Führungsriege nicht oder nur sehr gedämpft zum Ausdruck kommen. Im Guten wie im Schlechten.

So ist Merz immer noch fest in der Rhetorik der Reformzeit verhaftet, die gerade in der CDU-Mittelstandsvereinigung und im Wirtschaftsflügel gut ankommt. Ein Beispiel?

Dieser Sound wurde in Deutschland nicht mehr vernommen, seit Westerwelle vom FDP-Parteivorsitz zurückgetreten ist. Ich erinnere mich noch an das große Befremden, dass er mit seinem Getöse von der „spätrömischen Dekadenz“ auslöste; 2010 schien das einfach nur noch aus der Zeit gefallen. Merz nutzt weniger spitzige Metaphern, aber in der Substanz sagt er Ähnliches. Ich bin noch unsicher, ob das bisher einfach nur nicht großartig aufgefallen ist – seine Äußerungen diesbezüglich also nicht rezipiert wurden – oder ob sich der Massengeschmack geändert hat. Wir werden darauf später noch einmal zurückkommen; mein Bauchgefühl weist auf Ersteres.

Das liegt auch daran, dass seine andere Strategie wesentlich auffälliger ist:

Nichts funktioniert dieser Tage so zuverlässig, wie einen neuen Shitstorm im immer gleichen Kulturkampf auszulösen. Irgendjemand beklagt sich von rechts über mangelnde Meinungsfreiheit – nennen wir den hypothetischen Fall Dieter – und sofort ist das wieder zwei Tage in den Schlagzeilen. Cancel Culture! Nicht, dass der Mechanismus anders herum nicht auch funktionieren würde, aber es ist auffällig, wie oft gerade diejenigen, die die Debatte angeblich so verabscheuen, sie permanent und ohne jede Not auslösen.

Und machen wir uns nichts vor, Merz ist Politiker und geschickter Stratege genug, um das zu wissen und für sich auszunutzen. Seine Basis liebt den Scheiß, wie die Mitte-Rechts-Basis aller Parteien in allen Ländern das liebt. Das ist wie Forderungen nach Millionärssteuern und soziale Gerechtigkeit bei einer SPD-Versammlung heiser ins Mikro brüllen. Am besten nach einer Bratwurst. Ihr wisst schon, die Volksnähe.

Auch hier ist die Professionalität Merz‘ beeindruckend. Der Mann ist nicht eben ein digital native, seine Präsenz in den Sozialen Netzwerken ist komplett die eines Marketingteams. Die Tweets sind ja sogar entsprechend gekennzeichnet, das ist seriös. Beeindruckend ist übrigens auch, welche Reichweite diese Tweets haben, obwohl sie effektiv nur Presseerklärungen sind, an denen Merz nichts selbst schreibt und die von Profis gegengelesen werden. Das würden sich diverse andere PolitikerInnen so wünschen.

Probleme

Soweit, was der Zug Merz‘ ist. Was ihn attraktiv macht, auch aus rein strategischer Sicht, selbst wenn man ihn nicht mag. Da ist offensichtlich Kompetenz dahinter; nicht die viel behauptete Finanz- oder Wirtschaftskompetenz (die ist Show und für KanzlerkandidatInnen ohnehin keine Priorität), aber politische Kompetenz.

Es gibt aber einige Aspekte, bei denen Merz mir Bauchschmerzen bereitet. Das ist nicht überraschend, ich zähle jetzt nicht unbedingt zur Zielgruppe. Es dürfte wenig überraschend sein, dass mich seine 90er-Jahre-Kulturkrieger-Techniken ziemlich nerven. Der Mann ist in jeder Hinsicht ein Fossil; dafür gibt es gerade einen beschränkten Markt (der wie beschrieben für die Kanzlerschaft ausreichen mag, oder auch nicht). Aber begeistern muss mich die Aussicht natürlich nicht.

Mit der Wahrheit hat es Merz auch nicht so. Seine dramatische Behauptung, China habe die größte zusammenhängende Wirtschaftszone der Welt geschaffen, klingt zwar super – ist aber falsch. Zwar umfasst die RCEP-Zone beeindruckende 29% der Weltwirtschaftsleistung. Die EU kommt aber auf 33%, mit besseren Wachstumsraten. Ich will mich deswegen auch gar nicht mit der ohnehin überschaubaren Substanz des Themas beschäftigen; das haben bereits andere erledigt:


Klar, so what, PolitikerInnen lügen und übertreiben, könnte man da jetzt entgegnen. Aber ich war noch nie ein Fan von solchem Politzynismus. Merz hat eine gewisse Aggressivität in seinem Auftreten und seinen Behauptungen, die mir sauer aufstoßen. Die seinen Kulturkrieger-Allüren eine gewisse Schärfe verleihen, seine Kommentare zu Fridays-For-Future und Corona-Opfern als genuin unmenschlich erscheinen lassen. Das mag meiner Warte des ideologischen Gegners geschuldet sein. Aber der Eindruck bleibt.

Aussichten

Ich habe bereits darauf hingewiesen dass Merz trotz allem keine Mehrheit der CDU beherrscht, nur ihre größte Pluralität. Und das ist ein gewisses Problem, wenn es – wie unzweifelhaft der Fall – der radikalere Teil der Partei ist (radikal hier auf einer gleitenden Skala, à la Andrea Nahles ist radikaler als Wolfgang Clement; wir reden unzweifelhaft von Demokraten). Denn das könnte eine ziemlich harte Decke schaffen, die zu durchbrechen schwer ist. Zudem sind viele von Merz‘ Positionierungen – sein Wandeln hart am Grad der Klimawandelleugnung, seine nachgerade grausame Einstellung gegenüber Hilfen für Corona-Opfer oder Arbeitslose, etc. – nicht wirklich mehrheitsfähig und finden Schnittmengen nur bei AfD und FDP.

Mit der AfD kann er schlecht koalieren; ich nehme sowohl ihm als auch der CDU problemlos ab, dass sie auf Bundesebene keine Bündnisse eingehen wollen (keine Garantie für Landesverbände wie Thüringen oder Sachsen). Bleibt die FDP. Und das ist aus mehreren Gründen eine unsichere Bank. Einerseits schlicht Arithmetik: Die Chancen auf eine schwarz-gelbe Mehrheit sind nicht sonderlich gut. Andererseits ist die FDP selbst ein Haufen, der nur eingeschränkt regierungsfähig ist. Die Bilanz 2009 bis 2013 war eher bescheiden, die Flucht aus der Verantwortung 2017 lässt ebenfalls wenig Grund, sich auf ihre Belastbarkeit verlassen zu wollen, ebenso wenig die Person Lindners selbst.

Für diese Allianz spricht natürlich der wesentlich größere inhaltliche Überlapp als mit Merkel, auch, dass sich das patriarchalisch geprägte Spitzenpersonal beider Parteien besser verstehen dürfte. Aber die Gefahr für die CDU, am Ende in einer 2017-kompatiblen Situation dazustehen, wo es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Rot-Grün reicht, ist sehr real. Und Merz ist jetzt nicht unbedingt der Typ, an den man bei Schwarz-Grün oder gar Jamaika denken würde (was ja auch Basis von Markus Söders Kanzlerhoffnungen ist).

Aber: Only Nixon can go to China, und vielleicht ist es ja gerade Merz als Reformer wider Willen, der die CDU in das erste Bundesbündnis mit den Grünen führt und wider alle seine bisherigen Positionen eine aktive Klimapolitik in der Partei durchdrückt. Er könnte theoretisch den Schröder der CDU machen. Theoretisch.

Das Argument dagegen, Merz würde stärker polarisieren als etwa Laschet, Spahn oder Röttgen, und damit die Unterscheidbarkeit zwischen CDU und SPD (und Grünen) deutlich verbessern, ist unzweifelhaft richtig. Ich halte es nur für eine verquere Idee, dass dies demokratieförderlich sein sollte. Wenn uns die Geschichte der USA in den letzten vier Jahren etwas gezeigt haben sollte, dann, dass Polarisierung nicht nur kein Wert an sich ist, sondern extreme Schattenseiten besitzt.

Zweifellos würde Friedrich Merz Wunder für die Unterscheidbarkeit von CDU und SPD bewirken. Aber diese Unterscheidbarkeit kommt mit einem ordentlichen Preisschild. Ich habe darauf in den letzten Jahren immer wieder hingewiesen. In den „goldenen Zeiten der Demokratie“ der 1960er bis 1980er Jahre, als um große Zukunftsentwürfe gerungen wurde, war die deutsche Gesellschaft auch tief gespalten. Die CDU war immer schnell mit dem Vorwurf des Landesverrats bei der Hand, während Vergleiche mit den Nazis durchaus zum Repertoire der Sozialdemokraten gehörten.

Gerne wird behauptet, dass so die Demokratie lebendiger wird. Aber das Gleiche hat man auch für den Einzug der AfD in den Bundestag vorhergesagt, und das ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht unbedingt das, was passiert ist. Das heißt nicht, dass ich Merz und die CDU mit der AfD gleichsetzen will, nur, dass ich solche Voraussagen für überoptimistisch halte. Man kann trotzdem eine größere Polarisierung und schärfere Töne begrüßen. Aber man soll sich nicht einbilden, das sei ohne Nachteile zu haben.

Fazit

Das wären soweit meine Gedanken zu Friedrich Merz. Ich bin, das gestehe ich offen, kein Experte auf diesem Gebiet, weder für ihn noch für die CDU noch für die Teile der CDU, die er vertritt. Ich schaue da als ein Fremder drauf, so wie auch die Flügelkämpfe auf der LINKEn nur als außenstehender Beobachter ansehen kann. Alle meine Analysen sind aus der Warte von jemandem, der Merz ablehnt. Ich wünsche mir, dass jemand anderes das Rennen in der CDU macht. Ich halte ihn für ein rückwärtsgewandtes Fossil. Aber: Ich denke nicht, dass die Republik mit ihm untergehen wird. Es wird eher wie die Kabinette Merkel I und Merkel II. Ich werde mich über mehr ärgern, über mehr wütend sein, mehr mit heißem Herzen opponieren. Aber ich werde ihn überleben.

Zumindest hoffe ich, dass ich mich nicht täusche.

{ 107 comments… add one }
  • ClaudiaBerlin 25. November 2020, 09:35

    Habe das gerne gelesen und finde deine „Schreibe“ super! Sehr differenzierend und auch vorsichtig, Unterstellungen und Populistisches vermeidend, deutlich machend, wovon du nichts Genaues weißt – und doch sehr informativ, mit nachvollziebaren Analysen und Schlussfolgerungen!
    Insgesamt wesentlich besser als vieles, was ich so in den Großmedien zum Thema lese!

  • Dobkeratops 25. November 2020, 09:36

    Immer wenn ich Merz sehe oder höre, muss ich an den folgenden Absatz von Max Goldt denken:

    Zwar hat mich der Film gelangweilt, aber nicht so sehr wie die von Wim Wenders. Zwar ging mir das Gesicht der Hauptdarstellerin auf die Nerven, aber nicht so sehr wie das von Friedrich Merz, besonders wenn er in Diskussionen das Kinn auf die Brust preßt, sobald er jemandem von einer anderen Partei zuhören muß. Als ob er dem gleich eine reinhauen will.“

  • Erwin Gabriel 25. November 2020, 09:50

    @ Stefan Sasse on 25. November 2020

    Ärgerlicher Beitrag. Du hättest es kurz machen und einfach „Ich kann den alten Sack nicht leiden“ schreiben können.

    Und Du solltest aufhören, Dich über Stefan Pietsch und seine Neigung, auch an unpassenden Stellen gegen Grüne und Linke zu polemisieren, zu beschweren. Du bist, wie man hier nachlesen kann, keinen Deut besser.

    Friedrich Merz‘ große Zeit lag in den frühen 2000er Jahren, …

    Er ist 13 Jahre jünger als Joe Biden, und die ‚große Zeit’ von Adenauer lag in der Weimarer Republik – bevor er zum Kanzler gewählt wurde.

    … als der Reformdiskurs in voller Blüte war und sich die vier (damals) etablierten Parteien in Vorschlägen um möglichst tiefgreifende Kürzungen im Sozialsystem und möglichst große Steuergeschenke an die Oberschicht überboten.

    Du schimpfst über den Geschmack und die Nebenwirkungen der Medizin, ohne Dich über ihre Wirksamkeit oder die zugrundeliegende Krankheit auszulassen. Dass Du populistisch verkürzt, sei mal dahingestellt. Wirtschaft ist ja nicht so Dein Thema.

    Hierbei handelt es sich um eines der brillantesten politischen Framings der letzten 20 Jahre, das muss man neidlos anerkennen. Die Idee war, das Steuersystem so radikal zu vereinfachen, dass die Steuererklärung „auf eine Bierdeckel“ passe, …

    Findest Du den aktuellen Vorschriften-Wust, bei dem sich kein einziger Mensch umfassend auskennt, besser? Hier betreiben Unternehmen mit hochbezahlten Spezialisten das Aufspüren von steuererleichternden Lücken, während Ottilie Normalverbraucherin samt Gatte keine Spielräume haben und für jede Kleinigkeit ans Kreuz genagelt werden. Da muss man schon arg links sein, um so eine Bevorzugung der „Reichen“ zu präferieren.

    … eine Metapher, die gleichzeitig Volksnähe (durch die Assoziation mit Kneipen und Feierabendbier) …

    Mehr Volksnähe würde unseren Politikern grundsätzlich nicht schaden, oder?

    … auch die patriarchalische Ordnung (durch die männliche Konnotation derselben) mit den neuen Reformideen verknüpfte.

    Ach Stefan. Glaubst Du allen Ernstes, dass Friedrich Merz das im Sinn hatte, als er das Konzept entwickelte? Never miss an opportunity, nicht wahr?

    Man denkt mit Schaudern daran, was ein Finanzminister Merz in einer schwarz-gelben Koalition in dieser Situation getan hätte.

    Wenn ich Dir erzählen würde, mit welchem „Schaudern“ ich an die Politik einer grünen Kanzlerin denken würde, hätte ich gleich wieder „toxische Maskulinität“ und „alter weißer Mann“ am Hals.

    Ich kenne Merz zu wenig, um beurteilen zu können, …

    Ganz offenbar. Was Dich von nichts abhält, so etwas zu schreiben:

    Der Mann ist in jeder Hinsicht ein Fossil; …

    Verglichen mit dem, was Du hier schreibst, denkt er moderner als Du.

    Ich wünsche mir, dass jemand anderes das Rennen in der CDU macht.

    Ich mir auch, aber das ist nicht der Punkt.

    Dein Wunsch ist genauso ernsthaft oder lächerlich wie meine Wünsche nach einem bestimmten Vorsitzenden der LINKEn, obwohl ich mir darüber im Klaren bin, dass ich die Partei nie wählen werde, und dass deren Politik nicht auf mich zielt.

    Ich habe von Dir noch nichts gelesen, was ich so sehr als „Pamphlet“ und als handwerklich schwach wahrnehme. Du betonst ständig Dein Nichtwissen, und lieferst dennoch ein abfälliges Urteil nach dem anderen. Schade.

    Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, dass ich meine letzten beiden Bundestags-Wahlkreuzchen nicht bei der CDU gemacht habe, und Jens Spahn für einen besser geeigneten CDU-Chef und Markus Söder für einen besser geeigneten Kanzler(kandidaten) halte.

    • TBeermann 25. November 2020, 11:20

      Findest Du den aktuellen Vorschriften-Wust, bei dem sich kein einziger Mensch umfassend auskennt, besser? Hier betreiben Unternehmen mit hochbezahlten Spezialisten das Aufspüren von steuererleichternden Lücken, während Ottilie Normalverbraucherin samt Gatte keine Spielräume haben und für jede Kleinigkeit ans Kreuz genagelt werden. Da muss man schon arg links sein, um so eine Bevorzugung der „Reichen“ zu präferieren.

      Da machst du es dir aber auch etwas einfach. Sicher gibt es diese Fälle (auch in ausreichender Zahl), aber die Masse an Steuergesetzen in Deutschland hat vor allem den Zweck, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Richtig ist, dass das oft Lücken offen lässt, die von geschickten Akteuren zur Steuervermeidung genutzt werden. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass von den bisherigen Ideen, die Gesetzgebung zu reformieren und die Steuersätze (selbst aufkommensneutral) zu glätten auf wieder immer die Reichen profitiert hätten (selbst wenn man solche Extreme wie Flat-Tax außen vor lässt) und kleine und mittlere Einkommen nichts gewinnen würden.

      • Erwin Gabriel 26. November 2020, 00:58

        @ TBeermann 25. November 2020, 11:20

        Da machst du es dir aber auch etwas einfach. …

        Sicherlich …

        Die Grundzüge unseres Steuersystems sind wie alt? Das Problem mit unserer Steuergesetzgebung ist, dass sich die Wirtschaft verändert, die Einkommensstrukturen verändern, die Unternehmensstrukturen ändern. Und der gesetzgeber schraubt hier eine Sonderregelung, dort eine Ausnahme, und irgendwo dazwischen eine neu Steuerabschreibungsmöglichkeit an.

        Nimm einen VW Käfer, bau einen Motor mit Wasserkühlung ein (um Platz zu schaffen, muss die Karosserie ausgebeult werden), baue die Trommelbremsen auf Scheibenbremsen um, rüste den Heckantrieb auf Frontantrieb um, verlege den Kofferraum von vorne nach hinten und den Motor von hinten nach vorne ….
        Kannst Du Dir vorstellen, wie die Karre nach ein paar Jahren aussieht, fährt, oder gewartet werden muss? Warum nicht lieber einen Golf bauen?

    • Stefan Sasse 25. November 2020, 11:22

      Adenauer hatte in der Perspektive 1945 seine große Zeit sicher in Weimar. Darauf wollte ich ja raus. Was ich bei Merz spannend finde ist, dass er so lange weg war. Das ist sehr ungewöhnlich. Vielleicht macht er uns den Adenauer, wer weiß? Ich wollte mit der Formulierung nicht werten.

      Du schimpfst über den Geschmack und die Nebenwirkungen der Medizin, ohne Dich über ihre Wirksamkeit oder die zugrundeliegende Krankheit auszulassen. Dass Du populistisch verkürzt, sei mal dahingestellt. Wirtschaft ist ja nicht so Dein Thema.

      Faire Kritik. Das war polemisch.

      Findest Du den aktuellen Vorschriften-Wust, bei dem sich kein einziger Mensch umfassend auskennt, besser? Hier betreiben Unternehmen mit hochbezahlten Spezialisten das Aufspüren von steuererleichternden Lücken, während Ottilie Normalverbraucherin samt Gatte keine Spielräume haben und für jede Kleinigkeit ans Kreuz genagelt werden. Da muss man schon arg links sein, um so eine Bevorzugung der „Reichen“ zu präferieren.

      Nein, ich finde nur den Bierdeckel-Populismus keine Lösung. Und ich halte das für eine faire Kritik meinerseits; schließlich ist Extinction Rebellion auch nicht das Maß aller Dinge, obwohl sie ein Grundproblem korrekt benennen. Da machst du eine falsche Dychothomie auf.

      Mehr Volksnähe würde unseren Politikern grundsätzlich nicht schaden, oder?

      Nö, ich wende mich ja nur gegen den billigen Performanzscheiß.

      Ach Stefan. Glaubst Du allen Ernstes, dass Friedrich Merz das im Sinn hatte, als er das Konzept entwickelte? Never miss an opportunity, nicht wahr?

      Nein, das ist unterbewusst.

      Wenn ich Dir erzählen würde, mit welchem „Schaudern“ ich an die Politik einer grünen Kanzlerin denken würde, hätte ich gleich wieder „toxische Maskulinität“ und „alter weißer Mann“ am Hals.

      Nicht solange es dir um policy geht.

      Ganz offenbar. Was Dich von nichts abhält, so etwas zu schreiben: Der Mann ist in jeder Hinsicht ein Fossil; … Verglichen mit dem, was Du hier schreibst, denkt er moderner als Du.

      Fair point.

      • Erwin Gabriel 26. November 2020, 01:18

        @ Stefan Sasse 25. November 2020, 11:22

        Nein, ich finde nur den Bierdeckel-Populismus keine Lösung. Und ich halte das für eine faire Kritik meinerseits; …

        Ich verstehe Dich (und auch Thorsten) an dieser Stelle nicht. Selbst wenn die Bierdeckel-Nummer etwas überspitzt formuliert war, sollte es so sein, dass ein normaler Angestellter ohne Extra-Spirenzchen wie Nebeneinkünfte durch ein vermietetes Haus seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel selbst berechnen kann. Und auch für Unternehmen würde ein schlichteres Steuerrecht weniger Schlupflöcher, weniger Arbeit und mehr Rechtssicherheit bieten. Und was siehst Du: eine Befürwortung des Patriarchats, weil er statt „Postkarte“ das Wort „Bierdeckel“ benutzt hat.

        • Stefan Sasse 26. November 2020, 06:43

          Schließt sich ja nicht aus.
          Ich glaube, ich habe weniger ein Problem mit der Vereinfachung des Steuersystems per se. Ich bin nur unglaublich misstrauisch, dass ich was davon hätte und dass es nicht eine massive Umschichtung bedeuten würde.

          • Erwin Gabriel 26. November 2020, 12:51

            @ Stefan Sasse 26. November 2020, 06:43

            Ich glaube, ich habe weniger ein Problem mit der Vereinfachung des Steuersystems per se. Ich bin nur unglaublich misstrauisch, dass ich was davon hätte und dass es nicht eine massive Umschichtung bedeuten würde.

            Ziel dieses „Bierdeckel-Steuersystems“ war nicht die Umverteilung, oder Steuermehr- bzw. -mindereinahmen, sondern weniger Aufwand, weniger Bürokratie bei Privatpersonen, Unternehmen und Behörden.

            • TBeermann 26. November 2020, 13:06

              Ganz so einfach ist es aber halt nicht.

              Der (fraglos vorhandene) Regelwust im deutschen Steuersystem stammt vor allem von dem Versuch, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, indem besonderen Belastungen beim Erwirtschaften des Lebensunterhalts/des Unternehmensgewinns eine steuerliche Entlastung gegenübergestellt wird.

              Man kann natürlich diese ganzen Ausnahmeregelungen streichen und einfach aufkommenstneutral einen porgressiven Steuertarif ansetzen, aber dann haben diejenigen, die keine besonderen Belastungen tragen müssen, einen niedrigeren Steuersatz und diejenigen, die besondere Aufwendungen haben, haben die Belastung immer noch und erhalten keinen Ausgleich dafür.

              Dann müsste es dem Staat also zum Beispiel egal sein, ob du besonders lange Wege pendeln oder einen Zweitwohnsitz unterhalten musst, um deine Arbeit und deine Familie unter einen Hut zu bekommen.

              • Erwin Gabriel 26. November 2020, 23:51

                @ TBeermann 26. November 2020, 13:06

                Ganz so einfach ist es aber halt nicht.

                Das ist auch unser aktuelles System nicht.

                Der (fraglos vorhandene) Regelwust im deutschen Steuersystem stammt vor allem von dem Versuch, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, indem besonderen Belastungen beim Erwirtschaften des Lebensunterhalts/des Unternehmensgewinns eine steuerliche Entlastung gegenübergestellt wird.

                Ja, hatten wir schon. Der Bierdeckelspruch zielte ganz allgemein auf eine Vereinfachung der Steuergesetzgebung, und bezog sich im Speziellen ganz direkt normale Arbeitsverhältnisse.

                Der normale Arbeitnehmer wird/soll nicht mehr oder weniger bezahlen, sondern weniger bis keine Arbeit haben, auch deutlich weniger Risiko, bei der Steuererklärung etwas falschzumachen.

                Dann müsste es dem Staat also zum Beispiel egal sein, ob du besonders lange Wege pendeln oder einen Zweitwohnsitz unterhalten musst, um deine Arbeit und deine Familie unter einen Hut zu bekommen.

                nur zur Richtigstellung: „müsste“ nicht, „könnte“ aber.

                Ansonsten: Gelegenheit macht Diebe. Ein hoher Steuersatz mit zahlreichen Ausnahmegenehmigungen bevorzugt nur diejenigen unter den Arbeitnehmern und Unternehmen, die tricksen wollen und tricksen können

                Wenn mal wieder ein Promi mit problematischer Steuerehrlichkeit angeprangert wird, ist das Beifallsgejohle und der Ruf nach Rache groß; Rechtsbeugung und Rechtsverstöße gegen Steuersünder werden beklatscht, während unvermeidbar die Hinweise auf „Reiche“, „die da oben“ etc. kommen, die schon so viel haben und betrügen, während die „Kleinen“ und „Armen“ gar nicht die Möglichkeit zu Tricksereien haben.

                Wie das mit dem Wunsch nach einem komplizierten Steuersystem einhergeht, dass Betrüger produziert und begünstigt, will nicht in meinen Kopf. Aber ich muss auch nicht alles verstehen.

                Aber Mordsgeschrein

                • TBeermann 27. November 2020, 10:14

                  Also noch vor wenigen Tagen hast du doch hier selbst die raffgierigen Steuervermeider als Begründung für die Notwendigkeit der Vereinfachung aufgeführt. (Das meine ich übrigens unter anderem mit dem ständigen Wechsel von Rollen und Standpunkten, wenn es der eigenen Argumentation dient.)

                  Ansonsten demonstrierst du hier gerade sehr schön das Problem: System vereinfachen, Steuererleichterungen abschaffen ja, aber bitte nicht die, von denen ich selbst profitiere. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

                  Wir werden für (so gut wie) jeden dieser Ausnahmetatbestände Personen oder Firmen finden, die sie zu Recht in Anspruch nehmen. Und die werden darauf genau so wenig verzichten wollen, wie du auf deine Abschreibungsmöglichkeiten für die Pendelei.

                  Wenn man es konsequent angeht, heißt radikale Vereinfachung, dass jeder, der Summer X verdient Summer Y an Steuern zahlt und zwar egal, ob er gegenüber von seinem Firmengelände wohnt oder zwei Stunden pendelt. (Das gleiche gilt für andere Faktoren.)

                  Ich sage nicht, dass eine Vereinfachung des Steuersystems nicht auch ein Ziel sein kann, aber es ist nicht ansatzweise so einfach, wie diese neoliberalen Clowns es Anfang der 2000er darstellen wollten. Man muss sich klar machen, dass man damit auch berechtigte Ansprüche streicht und neue Ungerechtigkeiten schafft.

                  • Stefan Sasse 27. November 2020, 14:21

                    Das ist ja ein Grundproblem jeder Politik, ob Steuern, Masken oder Klima: Es soll mich immer nicht betreffen. NIMBY.

                    • Erwin Gabriel 30. November 2020, 03:10

                      @ Stefan Sasse 27. November 2020, 14:21

                      Das ist ja ein Grundproblem jeder Politik, ob Steuern, Masken oder Klima: Es soll mich immer nicht betreffen. NIMBY.

                      Wenn Du das wie TBeermann auf mich beziehst, kannst Du genauso schlecht lesen wie er.

                    • Stefan Sasse 30. November 2020, 08:06

                      Nein, mein Punkt ist, dass eine Politik im Abstrakten immer Zustimmung hat und sobald es konkret wird rapide an Ablehnung gewinnt.

                  • Erwin Gabriel 30. November 2020, 03:07

                    @ TBeermann 27. November 2020, 10:14

                    Also noch vor wenigen Tagen hast du doch hier selbst die raffgierigen Steuervermeider als Begründung für die Notwendigkeit der Vereinfachung aufgeführt. (Das meine ich übrigens unter anderem mit dem ständigen Wechsel von Rollen und Standpunkten, wenn es der eige-nen Argumentation dient.)

                    Ja, habe ich. Da habe ich meinen Standpunkt nicht gewechselt. Es gibt zuviel Steuerhinterzie-hung, dem leistet der Staat durch sein Verhalten Vortrieb.

                    Wenn ein Steuersystem so kompliziert ist, dass der normale Angestellte nicht mehr klarkommt, ist es zu kompliziert. Wenn ein Steuersystem so kompliziert ist, dass der normale Beamte nicht mehr klarkommt, ist es zu kompliziert.
                    Und mit „Vereinfachung“ meine ich nicht, dass ALLE Ausnahmebestände gestrichen werden, sondern „Vereinfachung“.

                    Ansonsten demonstrierst du hier gerade sehr schön das Problem: System vereinfachen, Steuererleichterungen abschaffen ja, aber bitte nicht die, von denen ich selbst profitiere. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

                    Ich habe Deine Falschaussage korrigiert, nicht für mich irgendwelche Forderungen aufgestellt.

                    Wenn man es konsequent angeht, heißt radikale Vereinfachung, dass jeder, der Summer X verdient Summer Y an Steuern zahlt und zwar egal, ob er gegenüber von seinem Firmengelände wohnt oder zwei Stunden pendelt. (Das gleiche gilt für andere Faktoren.)

                    Von „radikal“ war bei mir nicht die Rede. Ansonsten ist Dein Argumentationsschema: „Du willst kein WEISS, also meinst Du SCHWARZ“. Und wenn Du aus einer „Vereinfachung“ eine „radikale Vereinfachung“ machst und mir dann erklärst, was das zu bedeuten hat, diskutierst Du mit Dir selbst.

                    Ich sage nicht, dass eine Vereinfachung des Steuersystems nicht auch ein Ziel sein kann, aber es ist nicht ansatzweise so einfach, wie diese neoliberalen Clowns es Anfang der 2000er darstellen wollten. Man muss sich klar machen, dass man damit auch berechtigte Ansprüche streicht und neue Ungerechtigkeiten schafft.

                    Bis auf den „Clown“ (ohne Beleidigungen geht es wohl nicht) ist zwar richtig, was Du schreibst, aber auch irreführend. Dass für einen normalen Angestellten eine Steuererklärung auf einen Bierdeckel passen sollte, ist nachvollziehbar. Bei allem, was darüber hinausgeht, bestimmten nicht Merz‘ Aussagen, sondern Deine Interpretation davon Deine Denke.

                    • TBeermann 30. November 2020, 08:21

                      Das gilt aber eben genau so für normale angestellte. Es ist doch nicht so, als wären die Grundzüge vom Bierdeckel-„Plan“ nicht bekannt gewesen. Und ja, die waren radikal. Es sollte nur noch drei feste Steuertarife geben (alle deutlich niedriger, als der Status Quo) und praktische alle Abschreibungsmöglichkeiten sollten wegfallen.

                      Und das ist (abgesehen davon, dass die Steuereinnahmen massiv eingebrochen wären) genau die Situation, die ich hier jetzt mehrfach skizziert habe: Arbeitnehmer A, der fünf Minuten zu Fuß von seiner Firma entfernt wohnt bezahlt exakt den gleichen Betrag wie Arbeitnehmer B, der täglich eine Stunde je Strecke pendelt, wenn beide das gleiche Gehalt bekommen. DAS IST DER MERZ-„PLAN“.

                      Du kannst dir dein Ansonsten ist Dein Argumentationsschema: „Du willst kein WEISS, also meinst Du SCHWARZ“. also sonstwohin schieben.

            • Stefan Sasse 26. November 2020, 18:03

              Ich weiß! Ich zweifle nur daran, dass das so gekommen wäre. Ich meine, das Ziel linker Wirtschaftspolitik ist ja auch nicht mehr Schulden und schlechteres Wirtschaftswachstum, aber ihr habt kein Problem, diese Folge zu prognostizieren. Da ist meine Skepsis auch erlaubt, finde ich.

              • Erwin Gabriel 27. November 2020, 00:00

                @ Stefan Sasse 26. November 2020, 18:03

                Ich meine, das Ziel linker Wirtschaftspolitik ist ja auch nicht mehr Schulden und schlechteres Wirtschaftswachstum, aber ihr habt kein Problem, diese Folge zu prognostizieren. Da ist meine Skepsis auch erlaubt, finde ich.

                „Linke“ gegen „rechte“ Wirtschaftspolitik ist vergleichbar mit „linker“ oder „rechter“ Steuerpolitik. Ich kann „linke“ oder „rechte“ Steuerpolitik entschlacken; um „links“ oder „rechts“ geht es dabei nicht. Und so, wie ein Politikwechsel eine andere Wirtschaftspolitik nach sich zieht, wird er vermutlich auch eine andere Steuerpolitik nach sich ziehen. Diese nachzusteuern (ob von links nach rechts oder andersherum) geht einfacher und schneller mit einem einfachen System.

                Mag sein, dass Du skeptisch bist, aber das hat mit Dir zu tun und nicht mit dem Thema.

                • Stefan Sasse 27. November 2020, 07:41

                  Das ist schon richtig! Aber Merz ist halt in dem Spektrum „recht“, nicht „links“, weswegen ich skeptisch bin.

                  • Erwin Gabriel 30. November 2020, 03:12

                    @ Stefan Sasse 27. November 2020, 07:41

                    Das ist schon richtig! Aber Merz ist halt in dem Spektrum „recht“, nicht „links“, weswegen ich skeptisch bin.

                    Meine Güte …

                    • Stefan Sasse 30. November 2020, 08:06

                      Wieso?

                    • Erwin Gabriel 30. November 2020, 14:33

                      @ Stefan Sasse 30. November 2020, 08:06

                      Wieso?

                      Du sagst, dass das problem zwischen Deinen ohren liegt, und gibst gleichzeitig Friedrich Merz die Schuld dafür 🙂

                    • Stefan Sasse 30. November 2020, 16:06

                      Politics 😛

  • Kning4711 25. November 2020, 10:06

    Vielen Dank für Deinen Artikel – anhand des Titels hätte ich eine deutlichere Mahnung / Verriss erwartet, aber Dir ist ein sehr differenzierende Skizze gelungen!

    . Aber die Gefahr für die CDU, am Ende in einer 2017-kompatiblen Situation dazustehen, wo es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Rot-Grün reicht, ist sehr real.
    Genau das ist für mich der springende Punkt – ich halte Merz für einen klugen Politiker, aber er hat bislang nicht mit Kompromissbereitschaft geglänzt. Für die anstehenden Aufgaben (insb. die Maßnahmen die uns irgendwie in die Nähe des 1,5 Grad Ziels bewegen) wird es einen Brückenbauer und Vermittler benötigen der ein großes gesellschaftliches Bündnis schmieden kann. Der Wahlkampf wird hart und wahrscheinlich ein Plebiszit über die Klimapolitik – Merz als Unionskandidat würde in diesem wichtigen Feld die Polarisierung verstärken. Die FDP, ohnehin angeschlagen, könnte aus dem Bundestag fliegen. Die CDU zu Lasten der AfD wachsen. Gleichsam aber auch unter jungen Menschen und im städtischen Bereich droht eine weitere Abwanderung von Wählern zu den Grünen.
    Ich traue einem Kanzlerkandidat Merz nicht zu, nachdem sich der Pulverdampf des Wahlkampfes verzogen hat, eine Koalition zu schmieden, die den Herausforderungen die auf das Land warten gewachsen sein wird.

    • Stefan Sasse 25. November 2020, 11:23

      Jepp, aber er mag uns überraschen.

    • Erwin Gabriel 26. November 2020, 01:24

      @ Kning4711 25. November 2020, 10:06

      Vielen Dank für Deinen Artikel – anhand des Titels hätte ich eine deutlichere Mahnung / Verriss erwartet, aber Dir ist ein sehr differenzierende Skizze gelungen!

      Naja. Kein gutes Wort in den Beschreibungen, von einem zweischneidigen „professionell“ mal abgesehen, jede persönliche Bewertung negativ (verbunden mit dem KOmmentar, ihn nicht gut genug zu kennen).

      Ist, wie wenn ein eingefleischter Schalke-Fan über Dortmund schreibt.

  • Stefan Pietsch 25. November 2020, 10:19

    Selten einen Artikel von Dir gelesen, der in vielerlei Aspekten so falsch ist wie dieser. Historisch, wirtschaftlich, politisch. Du zeichnest weder ein Portrait noch ziehst Du eine Karikatur, denn dafür gehen Deine Beschreibungen völlig an der öffentlichen Person Friedrich Merz‘ vorbei. Der Politiker Merz wird von Dir nicht nur als Person ablehnt, daraus machst Du ja keinen Hehl, sondern alles, wofür er steht und noch mehr stehen könnte oder Du vermutest, dass der steht. Um es pointiert zu beschreiben: für Dich ist das Gendersternchen und die letzte diskriminierungsfreie Hose-/Rock-Träger(in) ohne geschlechtliche Verortung wichtiger als die Leitungsfähigkeit der westlichen Volkswirtschaften. Ist halt ein besonderer Luxus.

    Fangen wir an. Die Bierdeckelsteuer war keine Stand-Alone-Aktion des Finanzpolitikers Friedrich Merz, sondern wie so oft Kulminationspunkt einer mindestens acht Jahre währenden Entwicklung und wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisgewinnung. Erst Knaller war die Liste der sogenannten Bareis-Kommission 1994, welche zu einer langanhaltenden Debatte über die Reform des (Einkommen-) Steuerrechts in Deutschland führte. Der erste Anlauf dazu ging wegen der Blockade durch Oskar Lafontaine schief, aber damit war das Thema nicht tot. Inhalt war, dass ein Steuersystem mit hohen Steuersätzen und dadurch bedingt vielen Ausnahmetatbeständen die Gewandten, Kenntnisreichen und Pfiffigen begünstigt und dazu führt, dass die tatsächliche Belastung einen Verlauf nimmt, der politisch nicht gewollt ist.

    Hierauf setzten auch die späteren Finanzminister Hans Eichel und Peer Steinbrück auf, welche die Bareis-Liste als Skizze für den Steinbruch nahmen. Im Ergebnis hat dies dazu geführt, dass deutsche Einkommensteuerzahler heute mit der höchsten Belastung in der OECD unterliegen.

    Merz setzte wie der zeitähnlich erschienene ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof und der Hamburger CDU-Politiker Gunnar Uldall an der Idee an, dass nur ein einfaches System ohne Ausnahmetatbestände, dafür aber vergleichsweise niedrigen Sätzen allgemeinen Gerechtigkeitsaspekten genügen könne.

    Merz entwickelte sein System, als er sich schon weitgehend aus der Politik zurückgezogen hatte, fraglos schmollend – eine der großen Schwachpunkte des Friedrich M., die Du ebenfalls völlig unerwähnt lässt. Tatsächlich fühlte sich der damalige Hoffnungsstern mit dem Deal zwischen Stoiber und Merkel abserviert, was der ehemalige bayrische Ministerpräsident erst vor Wochen nochmals genau so ausbreitete. Kann man wissen.

    Merkel fuhr denn auch ihre Wahlniederlage nicht deswegen ein, weil sie eine gegen die Interessen der Gesellschaft gerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik bewarb. Auf dem Höhepunkt nach dem legendären Leipziger Parteitag schwebte die CDU auf einer Wolke nahe der absoluten Mehrheit in den Umfragen. Doch auch Angela Merkel zeigte sich danach so beratungsresistent und von Trends unbeirrt, wie wir sie heute wieder in der Corona-Krise erleben. Statt den erfahrenen Parteipolitiker Friedrich Merz oder zumindest Uldall zum Finanzminister in ihrem Schattenkabinett zu machen, wählte sie den völlig politikunerfahrenen, in diesem Sinne naiven Paul Kirchhof zu ihrem Running Mate. Ein fataler Fehler, denn der Jura-Professor bot dem Political Animal Gerhard Schröder all die Angriffsflächen, die dieser weidlich ausnutzte. Das ist die Geschichte.

    Inzwischen scheint Merz in der Partei, anders als 2018, wieder gut vernetzt, was ihn zweifellos zum Favoriten und heimlichen Star macht. Stände er sich nicht immer selbst im Wege, wie zuletzt mit seinem unerträglichen Munkeln über das Parteiestablishment, das ihn verhindern wolle. Da ist es wieder: nichts von den wirklichen Schwächen des Friedrich M., seiner Ungeduld, seinem fehlenden politischen Gespür. Auf der anderen Seite nichts von seinen unzweifelhaften Stärken, seiner Faszination der Klarheit der Sprache, der Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen garniert mit einer rhetorischen Überlegenheit, die in der heutigen Politik fast ein Alleinstellungsmerkmal darstellt.

    Und natürlich ist Friedrich Merz ein exzellenter Fachmann. Niemand wird einfach so Aufsichtsrat beim größten Finanzinvestor der Welt. Da passen Deine Geschichten nicht zusammen, einerseits ein Politiker, der längst den Kontakt zur aktiven Berliner Szene verloren hatte, andererseits jemand, der wegen seiner Connections angeheuert worden wäre.

    Merz und Merkel waren jahrelang als Tandem angetreten, er hatte sie maßgeblich gestützt. Tatsächlich hat die Frau ihn dann ziemlich rüde abserviert, so wie sie es später noch mit einigen handhabte, selbst ihr sehr vertraute Personen. Es ist menschlich, darüber erbost und enttäuscht zu sein. Es ist aber nicht so, dass nur Merz ihr das nie verziehen habe (richtig). Wahr ist auch, dass Merkel alles getan hat, um die Einbindung und später die Rückkehr eines der größten Politiktalente zu verhindern.

    Merz war schon vor seiner kurzen Berliner Karriere ein herausragender Wirtschaftsjurist und betrieb seine Kanzlei auch in der Zeit, in der er in Brüssel Abgeordneter des Europaparlaments war. Anders als andere behielt er damit immer so etwas wie Bodenhaftung – zumindest, wenn man Bodenhaftung nicht nur mit der Welt der Sozialhilfeempfänger umschreibt.

    Dein Lavieren, Merz einerseits immer eine gewisse Nähe und Sympathie für die AfD zu unterstellen und andererseits, genau dies abzugrenzen, zeigt Bemühen um Redlichkeit, ist aber dennoch falsch und daher ehrenrührig. Merz hat in seiner politischen und unternehmerischen Karriere nie irgendwelche Sympathien für nationalistische Tendenzen, Separatismus und nationale Alleingänge, ganz zu schweigen von einer Nähe zum Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus, erkennen lassen oder gar verfolgt. Er ist das, was man einen Wertkonservativen nennt, eine Richtung, zu der sich große Teile der CDU-Mitglieder bekennt, weshalb er so großen Rückhalt genießt. Nur fürchte ich, viele außerhalb der Union erkennen solche Wertkonservativen selbst dann nicht, wenn sie vor ihnen stehen.

    Armin Laschet, der gewünschte Favorit des Kanzleramtes, schwimmt seit Beginn seiner Karriere zu sehr auf der Welle des linksgrünen Zeitgeistes, als dass er glaubwürdiger Vertreter des Wertkonservativen sein könnte – obwohl ihm fair betrachtet dies nicht einmal abzusprechen wäre. Er blockiert seinen Sozius Jens Spahn, der für das alles in Modernität steht, was auch Merz verkörpert. So wird wieder einmal im Merkel-Lager der bessere Kandidat blockiert, weil die entrückte Kanzlerin auch mit dem Darling in der Coronakrise nicht kann.

    Beide, Spahn und Merz, verkörpern das, was Merkel nie war: Politiker, die nicht völlig beliebig sind. In der heutigen Zeit zu behaupten, bestimmte Politiker seien innerhalb des mittigen demokratischen Spektrums nicht anschlussfähig, ist vorgestrig. In Österreich zeigt sich, dass pointierte Konstellationen einen neuen Charme besitzen können.

    Die Grünen werden eine linke Koalition machen, wenn die Mehrheiten dies hergeben. Das ist zweifellos der Wunsch der Basis. Und sie werden in eine Unionsgeführte Regierung eintreten, wenn die Mehrheiten dies erzwingen. Dabei wird es völlig unerheblich sein, wer der Kanzlerkandidat der Konservativen sein wird.

    Und Du unterliegst einer weiteren Täuschung: Markus Söder hat den Schuss Populismus, der ihn als Franken zu einem Liebling der Bayern werden lassen. Das an sich ist schon eine Leistung. Söder reagiert flexibler auf Wendungen des Zeitgeistes. Ob dies nun gut oder falsch ist, wird erst der Realitätscheck zeigen.

    Die von Merz verbreiteten Zahlen stammen vom Handelsblatt und sie sind nach Überschlag korrekt. Allein China hat inzwischen ein BIP, das an die EU heranreicht. Nimmt man noch Japan als den anderen großen Player dazu und kalkuliert die kleineren Staaten ein, kommt man in den Größenordnungen hin. Schlimm, wenn einem Politiker ob der Richtigkeit und der Seriosität der Quellen „Lüge“ unterstellt wird.

    • Marc 25. November 2020, 10:38

      Die Bierdeckelsteuer war keine Stand-Alone-Aktion des Finanzpolitikers Friedrich Merz, sondern wie so oft Kulminationspunkt einer mindestens acht Jahre währenden Entwicklung und wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisgewinnung.

      Die Ökonomie ist keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie. Daher handelt es sich mit Nichten um Kenntnisgewinnung, sondern schlicht um eine politische Forderung.

      • Stefan Pietsch 25. November 2020, 10:56

        Es gab damals eine Studie, die Mitte der Neunzigerjahre aufführte, dass nicht hohe Einkommen die höchste steuerliche Belastung erfuhren, sondern mittlere und gehobene Einkommen. Dies war verursacht durch umfangreiche Ausnahmetatbestände. Das ist keine Ideologie, sondern nennt man allgemeinhin Fakten.

        Es war der damalige Minister für Arbeit in Rheinland-Pfalz, Florian Gerster, der dies politisch in der SPD bekannt machte und dafür kämpfte, dass eine solche Steuerwirkung gegen die eigentliche Klientel der sozialdemokratischen Partei ginge. Dies öffnete die SPD für Verhandlungen mit der konservativ-liberalen Bundesregierung.

        • Marc 25. November 2020, 11:09

          Es ist und bleibt eine politische Forderung. Die Ökonomie mit ihren Excelechens ist nicht in der Lage, die Wirkungsweise einer solchen Steuerrevolution realitätsnah modellieren zu können.

      • Stefan Sasse 25. November 2020, 11:31

        Das ist mir wesentlich zu pauschal.

        • Erwin Gabriel 26. November 2020, 01:29

          @ Stefan Sasse 25. November 2020, 11:31

          Das ist mir wesentlich zu pauschal.

          Echt jetzt? Nach Deinem Eingangsartikel?

          • Stefan Sasse 26. November 2020, 06:44

            Seit wann macht es denn einen Fehler besser, dass er vorher von jemand anderem begangen wurde?

            • Erwin Gabriel 26. November 2020, 12:53

              @ Stefan Sasse 26. November 2020, 06:44

              Seit wann macht es denn einen Fehler besser, dass er vorher von jemand anderem begangen wurde?

              Grunsätzlich richtig, aber der andere Stefan hat doch Deinen Artikel deutlich weniger pauschal kommentiert. Da steht doch viel Relevantes drin.

              • Stefan Sasse 26. November 2020, 18:03

                Deswegen kommentieren wir uns ja auch die Finger wund 🙂

      • derwaechter 25. November 2020, 11:31

        „Die Ökonomie ist keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie. Daher handelt es sich mit Nichten um Kenntnisgewinnung, sondern schlicht um eine politische Forderung.“

        Im Ernst?

        • Marc 25. November 2020, 11:46

          Die derzeitigen Modelle der Ökonomie bilden sie Komplexität der Realität nicht ab. Das ist an den zahlreichen Fehlprognosen der Ökonomen deutlichst ablesbar.

          • derwaechter 25. November 2020, 15:10

            Das ist ganz was anderes als dein erstes Statement.

            „Die derzeitigen Modelle der Ökonomie bilden sie Komplexität der Realität nicht ab“
            Ach was? Das gilt für viele (die meisten?) Modelle, sogar in den Naturwissenschaften.

            Nach dem Maßstab wären alle Sozialwissenschaften keine Wissenschaften.

            „Das ist an den zahlreichen Fehlprognosen der Ökonomen deutlichst ablesbar.“
            Die Realität ist halt sehr komplex, daher werden Prognosen i.d.R. unter gewissen Annahmen gemacht. Wenn jemand z.B. für 2020 ein gewisses Wirtschaftswachstum vorausgesagt hat, und die Realität wegen Corona eine ganz andere geworden ist, war das deshalb keine schlechte Prognose.

            Außerdem haben Prognosen oft Auswirkungen auf ihr eigenes Ergebnis. Wenn z.B. Ökonomen den Schaden von Brexit vorhersagen, Akteure und Politiker entsprechend aktiv werden, um den Schaden zu minimieren und die Vorhersagen entsprechend nicht eintreten, waren die Vorhersagen nicht deshalb schlecht.

            • Marc 25. November 2020, 18:37

              „Die derzeitigen Modelle der Ökonomie bilden sie Komplexität der Realität nicht ab“
              Ach was? Das gilt für viele (die meisten?) Modelle, sogar in den Naturwissenschaften.

              Nach dem Maßstab wären alle Sozialwissenschaften keine Wissenschaften.

              Nein. Es gibt zwei Möglichkeiten:
              – Ich beschränke mich auf Bereiche, die ich realitätsnah modellieren kann.
              – Ich kommuniziere, dass es sich nur um ein Pi Mal Daumen Szenario handelt.

              Dann wäre es wissenschaftlich, aber beides macht die Ökonomie bei komplexen Szenarien nicht. Die übrigen Sozialwissenschaften halten sich auch nicht immer daran, aber weitaus mehr als Ökonomen.

              • derwaechter 25. November 2020, 22:12

                So pauschal („die Ökonomie “ ) würde ich das nicht unterschreiben. Und erst recht nicht, wenn es wie Pietsch weiter oben anmerkt um Studien geht.

        • Erwin Gabriel 26. November 2020, 01:30

          @ derwaechter 25. November 2020, 11:31

          [„Die Ökonomie ist keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie. Daher handelt es sich mit Nichten um Kenntnisgewinnung, sondern schlicht um eine politische Forderung.“]

          Im Ernst?

          von linker Seite schon 🙂

    • Stefan Sasse 25. November 2020, 11:30

      Danke für die Hintergründe mit der Steuerdebatte.

      Was ich nicht verstehe ist deine Kritik an Stärken/Schwächen. Ich betone doch mehrfach, wie brillant die politische Kommunikation ist. Seine Ungeduld etc. konnte ich nicht beurteilen und habe mich deswegen zurückgehalten. Warum legst du mir als Schwäche aus, wenn ich nicht einfach in Bausch und Bogen ein charakterliches Pauschalurteil fälle? Ich nehme gerne deine entsprechenden Hinweise auf. Vielen Dank für den zusätzlichen Kontext!

      Ich bezweifle auch keine Sekunde, dass Merkel sich nicht um Versöhnung bemüht hat. Aber das Thema des Artikels war ja nicht Merkel, sondern Merz. Schröder hat sich auch nicht um Lafontaine bemüht, wozu auch? Das war zerbrochen.

      Laschet als Vertreter eines linksgrünen Zeitgeists? Sorry, aber das ist hahnebüchen. Laschet ist moderater als Merz, aber er ist ein Konservativer, genauso wie Spahn. Dir sind echt völlig die Maßstäbe verrutscht.

      Die Grünen machen R2G, wenn die Mehrheit passt. Da haben wir keinen Dissens, und ich schreib nirgendwo etwas anderes. Ich schreibe auch nicht, dass Söder der Favorit aufs Kanzleramt ist. Er hat eine Mini-Chance, und diese Mini-Chance beruht auf den Faktoren, die ich genannt habe. Das ist alles. Komm runter.

      • Stefan Pietsch 25. November 2020, 11:57

        Mich stört, dass die Bierdeckelreform immer als Solotanz eines eitlen Politikers dargestellt wurde. Das war sie mitnichten. Angesichts der Stimmung im Land (die längste Rezession der Nachkriegsgeschichte nach dem Zusammenbruch der New Economy, Deutschland der kranke Mann Europas, dazu der skizzierte Vorlauf) hatte die CDU-Führung einen Kreis unter Führung von Friedrich Merz beauftragt, ein Konzept für eine Steuerreform zu entwickeln, welche auf den Petersberger Beschlüssen von 1997 aufbaute. Eher war der Uldall ein Solitär in der Frage.

        Deswegen habe ich immer gesagt, Merkel hat es 2005 verbaselt. Nicht, weil sie Stimmungen falsch einschätzte, sondern weil sie große Schwächen in der Personalpolitik hat. Merz statt Kirchhof und die Flanke wäre zugewesen, schließlich hatte Schröder selbst gerade eine Steuerreform mit Erleichterungen und Steuersatzsenkungen umgesetzt gehabt. Das wurde damals von vielen Journalisten wie Parteipolitikern genauso gesehen. Vorteil des Zeitzeugen. 🙂

        Es sind die charakterlichen Schwächen, die Merz ungeeignet für die Führung des Landes erscheinen lassen, nicht seine politische Profilierung. Deine Akzentsetzung ist genau umgekehrt. Der Charakter macht die Führungspersönlichkeit, nicht das Programm. Merz ist aufbrausend, unbeherrscht, ungeduldig und schnell persönlich verletzt. So kann man zwar über einen Aufsichtsrat oder die Atlantikbrücke residieren, aber nicht ein Land mit widerstreitenden Interessen und Meinungen regieren. Merz ist ein exzellenter Analytiker und Wirtschaftspolitiker. Aus Kanzlerholz ist er nicht.

        Schröder hat sich nach der Demission mehrmals um Lafontaine bemüht. Er wollte das Gespräch, er hat versucht, den Saarländer nochmals einzubinden, ihm passte auch nicht der Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden. Das war ein ganz anderes Verhältnis.

        Laschet gehörte zur legendären Pizza-Connection, Merz zum Andenpakt. Zwei gänzlich gegensätzlich positionierte Männerbündeleien. Auch danach suchte Laschet eher die Nähe zu Grünen-Politikern, eine besondere Sympathie zu FDP-Kollegen wurde ihm nie nachgesagt – anders als bei Spahn und Dobrindt. Daneben habe ich ja geschrieben, dass Laschet durchaus Wertkonservatismus verbindet, nur steht er dafür eben nicht. Er ist ein jovialer Rheinländer – und möglicherweise politisch bisher überschätzt. Söder ist da aus anderem Holz, wenn er sich lange gegen den Übervater Seehofer behaupten und letztendlich durchsetzen konnte und dazu die den Franken ablehnend gegenüberstehenden Landsmannschaften in Bayern auf seine Seite ziehen konnte. Du solltest mal in Bayern gelebt haben, um das etwas schätzen zu können.

        Anders als die neuen Söder-Fans schätze ich an ihm die Verbindung von Seriosität mit einem Schuss Populismus. Genau diese Prise sorgt dafür, dass ein Politiker selbst in hohen Ämtern immer auch etwas auf die Stimmung in der Bevölkerung achtet – auch, wenn gerade nicht Wahlen sind.

        Ich denke, es gibt in der CDU starke Kräfte, die Söder präferieren. Der Vorteil von Bürgerlichen ist, dass sie geerdet sind und nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen – was man über Linke nicht sagen kann, wenn sie Wählerschrecks wie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihren Vorsitzenden machen. Am Ende wird man eine weise Entscheidung treffen.

        • Stefan Sasse 25. November 2020, 12:20

          Mich stört, dass die Bierdeckelreform immer als Solotanz eines eitlen Politikers dargestellt wurde. Das war sie mitnichten. Angesichts der Stimmung im Land (die längste Rezession der Nachkriegsgeschichte nach dem Zusammenbruch der New Economy, Deutschland der kranke Mann Europas, dazu der skizzierte Vorlauf) hatte die CDU-Führung einen Kreis unter Führung von Friedrich Merz beauftragt, ein Konzept für eine Steuerreform zu entwickeln, welche auf den Petersberger Beschlüssen von 1997 aufbaute. Eher war der Uldall ein Solitär in der Frage.

          Daher danke für den Hinweis und Kontext.

          Es sind die charakterlichen Schwächen, die Merz ungeeignet für die Führung des Landes erscheinen lassen, nicht seine politische Profilierung. Deine Akzentsetzung ist genau umgekehrt. Der Charakter macht die Führungspersönlichkeit, nicht das Programm. Merz ist aufbrausend, unbeherrscht, ungeduldig und schnell persönlich verletzt. So kann man zwar über einen Aufsichtsrat oder die Atlantikbrücke residieren, aber nicht ein Land mit widerstreitenden Interessen und Meinungen regieren. Merz ist ein exzellenter Analytiker und Wirtschaftspolitiker. Aus Kanzlerholz ist er nicht.

          Ja, das ist ein absolut fairer Kritikpunkt.

          Schröder hat sich nach der Demission mehrmals um Lafontaine bemüht. Er wollte das Gespräch, er hat versucht, den Saarländer nochmals einzubinden, ihm passte auch nicht der Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden. Das war ein ganz anderes Verhältnis.

          Kann ich nicht beurteilen, daher danke für die Sichtweise.

          Laschet gehörte zur legendären Pizza-Connection, Merz zum Andenpakt. Zwei gänzlich gegensätzlich positionierte Männerbündeleien. Auch danach suchte Laschet eher die Nähe zu Grünen-Politikern, eine besondere Sympathie zu FDP-Kollegen wurde ihm nie nachgesagt – anders als bei Spahn und Dobrindt. Daneben habe ich ja geschrieben, dass Laschet durchaus Wertkonservatismus verbindet, nur steht er dafür eben nicht. Er ist ein jovialer Rheinländer – und möglicherweise politisch bisher überschätzt. Söder ist da aus anderem Holz, wenn er sich lange gegen den Übervater Seehofer behaupten und letztendlich durchsetzen konnte und dazu die den Franken ablehnend gegenüberstehenden Landsmannschaften in Bayern auf seine Seite ziehen konnte. Du solltest mal in Bayern gelebt haben, um das etwas schätzen zu können.

          Laschet steht den Grünen mit Sicherheit näher als Merz, das ist überhaupt keine Frage. Das ist auch eine absolut valide und wertvolle Analyse. Wo ich nicht bereit bin mitzugehen und wo du meilenweit über das Ziel hinausschießt ist da, wo du ihn zu einem Grünen machst (oder Merkel zu einer Sozialdemokratin). Das ist mit viel zu breitem Pinsel gezeichnet, da verschwindet jegliche Nuance und ziemlich große Unterschiede im politischen Programm und der Mentalität. Den Schuh musst du dir anziehen.

          Anders als die neuen Söder-Fans schätze ich an ihm die Verbindung von Seriosität mit einem Schuss Populismus. Genau diese Prise sorgt dafür, dass ein Politiker selbst in hohen Ämtern immer auch etwas auf die Stimmung in der Bevölkerung achtet – auch, wenn gerade nicht Wahlen sind.

          Was schätzen denn „neue“ Söder-Fans? Ich bin kein Söderfan, deswegen kann ich das nicht wirklich beurteilen. Ich stimme dir aber zu, was deine Analyse der Kombination von Populismus und Seriosität angeht. Das konnte ja Schröder auch super. Und Merkel kann das unzweifelhaft nicht.

          Ich denke, es gibt in der CDU starke Kräfte, die Söder präferieren. Der Vorteil von Bürgerlichen ist, dass sie geerdet sind und nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen – was man über Linke nicht sagen kann, wenn sie Wählerschrecks wie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihren Vorsitzenden machen. Am Ende wird man eine weise Entscheidung treffen.

          Vielleicht. Aber auch das sage ich in meinem Artikel ja auch. Bürgerliche haben einen wesentlich gesünderen Machtinstinkt als Linke, sind wesentlich bessere Strategen. Nur, ist Merz da der richtige Mann? Das ist die Frage. Ich bin skeptisch, aber ich sehe es nicht als unmöglich an. Ja, ich mag ihn nicht. Aber ich mag auch Merkel nicht. Das ist nicht die Frage. Und ich finde, Erwin und du sehen meinen Artikel da deutlich zu kritisch.

          • Stefan Pietsch 25. November 2020, 13:02

            Laschet steht den Grünen mit Sicherheit näher als Merz, das ist überhaupt keine Frage. (..) Wo ich nicht bereit bin mitzugehen und wo du meilenweit über das Ziel hinausschießt ist da, wo du ihn zu einem Grünen machst.

            So habe ich das weder formuliert noch gemeint. Ich kenne überhaupt keinen Spitzenpolitiker, der nicht in der „richtigen“ Partei ist. Aber: Laschet begeht den Fehler – oder es ist einer seiner Charakterzüge – zu flexibel, zu biegsam zu erscheinen. Derzeit dominiert in der öffentlichen Stimmungslage eine Melange aus sozialer Absicherung und Klimasorge. Man meint, er neige dem zu. Auf der anderen Seite regiert er mit der FDP und sorgt dafür, dass innere Sicherheit in NRW ein präsentes Thema ist. Das erscheint nicht nur mir zu viel Beliebigkeit, die profillos macht.

            Angela Merkel präsentierte sich die meiste Zeit in Bereichen, die stark mit sozialdemokratischen und grünen Vorstellungen überschneiden. In diesen Bereich hat sich auch ein ganzes Stück die CDU reingeschoben, ohne dass Programm oder politische Forderungen entsprechend angepasst wurden. Und das finde ich doch eine sehr interessante Tatsache.

            Das Bedenkliche an Merkel finde ich, dass sie auch nach so vielen Jahren eine unbekannte Politikerin geblieben ist. Sie steht nicht für neoliberale Wirtschaftsmodelle. Sie steht nicht für die Atomenergie. Sie steht aber auch nicht für eine mehr absichernde Sozialpolitik, auch wenn der Sozialstaat in ihrer Ära weiter ausgebaut wurde. Sie steht nicht für die Ehe für alle, denn angeblich präferiert sie den Vorbehalt der Ehe für die Verbindung von Mann und Frau. Sie ist nicht Vorkämpferin für Europa und nicht Bremsklotz. Sie ist nicht Klimaschützerin und nicht Klimawandelleugnerin.

            Das macht sie alles für Menschen im linken wie linksliberalen Spektrum zu einer akzeptablen Politikerin. Für Wertkonservative („Hier stehe ich“) ist das dagegen schwer zu ertragen. Ich bin, darauf lege ich Wert, kein Konservativer, obwohl ich mich im Spektrum liberal-konservativ verorte. Geht auch. Und so geht auch, sozial-grün verortet zu sein ohne eine Grüne oder Sozialdemokratin zu sein. Verständlich?

            Was schätzen denn „neue“ Söder-Fans?

            Wie ich lesen konnte, dass er sich „grünen“ Themen öffnet und den Kampf ums Klima (derzeit) zur wichtigsten Frage erklärt. In der Corona-Krise, dass er dem starken Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung trägt und rechtsstaatliche Bedenken unterordnet. Doch wenn diese Themen und Schwerpunktsetzungen an Gewicht verlieren, wird auch Markus Söder anderes propagieren. Sollte der Überdruss an den Coronabedingten Beschränkungen deutlich zunehmen, wird Söder der erste sein, der sich vor die Kameras stellt und verkündet, jetzt müsse auch mal gut sein.

            Ich bezweifle, dass dies alles auf tiefsten Überzeugungen beruht. Auf Überzeugungen: ja. Aber nicht so, dafür hohe Preise zu zahlen. Und eine solche Haltung eines Politikers in Sachfragen ist auch gut. Das macht seine Politik anpassungsfähig.

            Bei der derzeitigen Kandidatenauswahl halte ich Friedrich Merz für die beste Option. Bekanntlich präferiere ich ja jemand anderen, aber Mehrheitstauglichkeit ist in einer Demokratie nicht zu unterschätzen. Aber die CDU wählt ihre Vorsitzenden mit Blick auf die Kanzlerschaft. Entweder wird man Merz beibringen müssen, sorry, aber Du wirst es nicht, oder, man wählt gleich das richtige Tandem: Spahn, the rising star, als Parteivorsitzender und Söder als Kanzlerkandidat.

            Und ich finde, Erwin und du sehen meinen Artikel da deutlich zu kritisch.

            Hm.

            Absolut gerechtfertigt. Nur Du weißt, wie Du ein Thema, einen Artikel gemeint hast. Es steht niemanden zu, etwas anderes einzureden. Wir spiegeln, wie er von uns gelesen wurde. Ich respektiere absolut den Aufbau einer anderen Position, das ist spannend. Was mich störte waren die vielen falschen – objektiv falschen – Darstellungen.

            • Stefan Sasse 25. November 2020, 13:22

              Laschet ist eine Fahne im Wind, überhaupt keine Frage. Das habe ich die letzten Monate an ihm ständig kritisiert. Ich glaube wir sind uns beide einig darin, weder in ihm noch in Merz den Traumkandidaten zu erblicken. Aber leider sind die zwei die Favoriten 🙁

              Merkel ist gleichfalls ein Chamäleon. Letztlich ist spätestens seit 2013, aber eigentlich schon vorher, ihr ganzes Regierungsmotto Stabilität und Status Quo. Ich denke, sie hat es in ihrem Abschlussstatement 2013 selbst am besten gesagt: „Sie kennen mich.“ Die ganze Botschaft, in einem Satz. Mit Merkel wird es nicht dramatisch anders. Wenn man Änderung will – und ich glaube, wir wollen das beide, wenngleich auf unterschiedlichen Feldern – ist das furchtbar.

              Ich stimme deiner Einschätzung zu Söder zu. Der hat schon mehrere Wandlungen hingelegt. Aber das ist zum Teil halt auch ein „comes with the territory“. Auch Horst Seehofer hat sich ständig neu erfunden. Sonst hältst du dich da einfach nicht.

              Spahn und Söder oder so was würde ich vor Merz präferieren, einfach, weil ich das Merz’sche Spaltungspotenzial fürchte. Ob er bessere Wahlergebnisse als Laschet bringen kann – who knows? Mein Gefühl ist, dass bei Merz sowohl floor als auch ceiling höher sind. Er hat mehr Potenzial für hohe Ergebnisse, aber auch eher die Chance für einen Totalausfall. Risiko halt.

              Deswegen diskutieren wir ja in den Kommentaren – spiegeln, klarstellen, weiterentwickeln 🙂

              • Stefan Pietsch 25. November 2020, 16:41

                Ich denke, sie hat es in ihrem Abschlussstatement 2013 selbst am besten gesagt: „Sie kennen mich.“

                Was eine falsche Behauptung war. Als sie das sagte, konnte keiner erwarten, dass sie besonders migrationsfreundlich werden könnte. Egal, ob ich sie mochte oder nicht: sämtliche Kanzler, die ich erleben durfte, hatten einen Punkt, über den man mit ihnen nicht hinausgehen konnte, etwas, wofür sie standen. Schröder hat sogar plakativ sein Amt dafür in die Waagschale geworfen, Schmidt Rücktrittsschreiben verfasst. Das habe ich immer bewundert. Das Amt ist auf Zeit und deswegen muss ein Politiker bereit sein, es aufzugeben, wenn elementar gegen seine Überzeugungen gehandelt wird. Merkel hat keinen solchen Punkt je erkennen lassen, weswegen es mir an Bewunderung für eine Person mangelt, die unbestritten Statur hat.

                Wenn man Änderung will – und ich glaube, wir wollen das beide, wenngleich auf unterschiedlichen Feldern – ist das furchtbar.

                Ich denke, wir haben Schnittmengen, z.B. in der Klimapolitik, aber auch im Sozialen und der Verteidigungspolitik. Nur unterscheiden sich unsere Lösungsansätze. Meine Hoffnung ist unter den heutigen Bedingungen eine Jamaika-Koalition unter einem Kanzler Markus Söder. Man wird ja wohl noch hoffen dürfen. 😉

                • Stefan Sasse 25. November 2020, 20:54

                  Sorry, aber da war Schröder wesentlich unehrlicher. Der hat einen harten „Soziale Gerechtigkeit“-Wahlkampf geführt und dann direkt nach der Wahl auf die Agenda2010 umgeschwenkt. Egal was man von der Politik hält, das war unehrlich.

                  Hätte ich grundsätzlich nichts dagegen.

              • Stefan Pietsch 25. November 2020, 16:48

                Seehofer war mir, wie der spätere Lafontaine, vor allem Populist. Mir kommt es auf den Schuss Populismus an, ich mag jedoch weder Populisten, noch möchte ich sie in Ämtern sehen. Es ist das Beiwerk zu einem seriösen Politiker. Meine Idealtypen dazu kennst Du.

                Darüber hinaus war Seehofer immer (also schon Anfang der Neunzigerjahre) in einem politischen Spektrum unterwegs, wo ich mich nicht zuhause gefühlt habe, nämlich dem konservativ-sozialen Bereich. Beides stößt sich mit dem Liberalen, egal ob liberal-sozial oder liberal-konservativ definiert.

                • Stefan Sasse 25. November 2020, 20:56

                  Ich kann ihn auch nicht ausstehen, wenngleich mich vor allem seine autokratischeren Ansätze stören. Wie bei Beckstein und Huber seinerzeit. Grauenhaft. Mit Liberalismus ist bei der CSU wenig.

            • Erwin Gabriel 26. November 2020, 13:14

              @ Stefan Sasse

              Und ich finde, Erwin und du sehen meinen Artikel da deutlich zu kritisch.

              Was (ist nur meine Wahrnehmung) ich aus deinem Artikel herauslese, ist, dass Du Dich weder der Person noch der Politik des Friedrich Merz genähert hast. Merz als Mensch ist nicht ansatzweise erkennbar, seine Politik mit „Wirtschaft“, „Populist“, „rechts“ (und den entsprechend negativen Konnotationen eher aus linker Ecke) bestenfalls holzschnittartig charakterisiert.

              Das ist schade. Denn anders als die Kanzlerin, als Olaf Scholz, Armin Laschet, Peter Altmaier & Co, die politisch eher „grau“ daherkommen, die unter dem Fehlen eigener Überzeugungen eine politische Stärke verstehen, bietet Friedrich Merz viel schwarz und weiß, Licht und Schatten, Ecken und Kanten (hat Stefan Pietsch wirklich gut und klar herausgearbeitet). Das macht Merz nicht automatisch zum besseren Kanzler, aber zu einem sehr interessanten Politiker, der seine intellektuellen Fähigkeiten auch in der Wirtschaft bereits unter Beweis stellen konnte.

              Wenn ich die wirtschaftliche Kompetenz eines Friedrich Merz und unseres Wirtschaftsministers Peter Altmaier vergleiche, wird mir ob des großen Unterschieds übel.

              Ist jedenfalls keine Person, der Deine Beschreibung annähernd gerecht wird.

              Wie gesagt, ich bevorzuge sowohl für den CDU-Vorsitz als auch für den Kanzlerkandidaten der Union

      • Stefan Pietsch 25. November 2020, 12:09

        Du betonst Merz‘ strategische Brillanz. Die wiederum sehe ich so nicht. Er ist Profi und agiert so. Nicht mehr, nicht weniger. Er knüpft Verbindungen, versichert sich Loyalitäten und wirbt für sich. Das Geschäft eines Politikers. Das Brillante sehe ich nicht.

        • Stefan Sasse 25. November 2020, 12:22

          Weniger strategische Brillanz, die sehe ich nicht. Sonst wäre er besser im coalition building. Er kann sehr gut kommunizieren, das ist keine Frage. Da ist er echt ziemlich gut.

      • Erwin Gabriel 26. November 2020, 01:32

        @ Stefan Sasse 25. November 2020, 11:30

        Was ich nicht verstehe ist deine Kritik an Stärken/Schwächen. Ich betone doch mehrfach, wie brillant die politische Kommunikation ist.

        Ja, das kann man auch über Trump sagen, nicht war? Seine Leute hat der im Griff …

        Warum legst du mir als Schwäche aus, wenn ich nicht einfach in Bausch und Bogen ein charakterliches Pauschalurteil fälle?

        Bist Du Dir sicher, dass Du das nicht getan hast?

  • TBeermann 25. November 2020, 11:08

    Also vorweg: Du hättest es wenigstens „die Ideen des Merz“ nennen können (wobei mindestens eine Zeitung den Gag auch schon mal gebracht hat)

    Zu Merz Beliebtheit:

    Zunächst muss man sehen, dass die Beliebtheit natürlich eine relative Sache ist. Die aktuellste Umfrage die ich gesehen habe, sieht Merz bei 26 %. Dahinter käme Spahn mit 24 %, wobei der sich dafür erstmal aus dem Tandem mit Laschet lösen müsste. Bei Umfragen zwischen den aktuell antretenden Kandidaten liegt er mit 45 % noch mal ein ganzes Stück besser im Rennen, allerdings ist auch das keine Mehrheit und da stehen eben auch nur Laschet (mit einer desaströsen Performance in der Corona-Krise) und der eher farblose Röttgen zu Auswahl. Da könnte eine Kandidaten-Rochade auf dem Parteitag noch einiges ändern.

    Ich nehme auch an, dass er vor allem als Anti-Merkel gesehen wird. Auch weil bis heute beweint wird, wir furchtbar Angela Merkel seinerzeit mit ihm umgegangen sei. Da gibt es auch eine recht starke Diskrepanz zwischen seinen Inhalten und dem, was selbst Teile seiner Anhänger (offen) vertreten. Auch wenn er so wirkt, als hätte man ihn bei Blackrock einfach mal eineinhalb Jahrzehnte auf Eis gelegt hätte, aber genau so aus der Zeit gefallen sind viele seiner Aussagen. Wenn man die einzeln und ohne ihn als Urheber betrachtet, würde die Zustimmung da denke ich auch geringer ausfallen.

    Die andere Seite ist die Frage, was die offene CDU-Mitte mit einem Vorsitzenden Merz machen würde und wie viele Wähler (und Mitglieder) die Partei damit verlieren würde. (Das ist der Ansatz, unter dem ich die Idee gar nicht mal so unattraktiv finde.)
    Gleichzeitig sehe ich da auch das große Risiko, zwei monolithische Blöcke zu bilden. Auf der einen Seite SPD, Grüne und (mittelfristig) Linke und auf der anderen Union, FDP und (mittelfristig) die AfD (letzteres dann eher früher als später auch auf allen Ebenen). Merz ist nicht Trump, aber er könnte ein großer Schritt sein, um den deutschen Trump zu ermöglichen.

    • Stefan Sasse 25. November 2020, 11:34

      Ich konnte ihn mir nicht verkneifen.

      Ich habe Umfragen von über 40% für den CDU-Vorsitz gesehen. Aber unter den Delegierten gibt es eh keine, das macht die alle reichlich ungenau.

      • TBeermann 25. November 2020, 12:05

        Das ändert sich sehr, je nachdem ob nur die aktuell aufgestellten Kandidaten zur Auswahl stehen oder auch andere Optionen wählbar sind. Im zweiten Fall scheint Merz ziemlich abzustürzen, während Span dann fast gleichauf zu sein scheint.

        • Stefan Sasse 25. November 2020, 12:21

          Spahn ist kein Kandidat, der ist zweiter Mann von Laschet. Und der kannibalisiert sich gerade mit dem Rest des Kandidatenfelds. Daher mein Vergleich mit den Primaries 2015.

  • cimourdain 25. November 2020, 16:10

    Entscheidend ist in meinen Augen, welche policies durch einen Kanzler Merz kommen könnten:

    Lobbyismus: Wird etwas gegen die ‚Weisse Korruption‘ aus Beraterhonoraren, Aufsichtsratposten und Pantouflage geschehen? Mit Merz, der seinerzeit gegen die Offenlegung von Nebeneinkünften geklagt hatte und der Aufsichtsratsmandate sammelt wie andere Panini-Bildchen eher nicht.
    Privatisierung: Alle öffentlichen Kassen werden 2021 schwer verschuldet sein. Was ist wohl die Lösung, die ein INSM-Mitglied anstreben könnte?
    Arbeitslosigkeit: wird 2021 und 2022, wenn die Insolvenzverzögerungen und Kurzarbeitprogramme auslaufen, massiv ansteigen. Da kann sich die von dir beschrieben ‚Herzlosigkeit‘ konkret auf Mindestlohn, prekäre Beschäftigung etc.. auswirken.
    Sozialversicherung: Auch hier sehe ich bei dem Einbruch der Beiträge (s.o.) die Gefahr weiterer kapitalmarktorientierter Alternativen zur gesetzlichen SV – passend zu einem Ex-Blackrock-Mann.
    Steuern: Die nachträgliche Finanzierung der Coronakrise wird unter Merz wohl kaum durch Abgaben stattfinden, die ausdrücklich Unternehmen betreffen, die über dem ESt-Tarif progressiv sind oder die Substanz besteuern.

    Eine Nebenbemerkung: Die RCEP als größten Wirtschaftsraum zu bezeichnen ist weniger Lüge als vielmehr weitverbreiteter Irrtum (Tagesschau, BR, SZ, Wikipedia, …). Man kann es auch angesichts des Brexits und des EU-Wirtschaftseinbruchs 2020ff. auch als vorausschauend bezeichnen.

  • cimourdain 25. November 2020, 17:05

    Zum Titel eine kleine Besserwisserei meines früheren Lateinlehrers: Warum folgt ihr jungen Leute alle Shakespeare, der ohne Not aus dem tagesbestimmenden Singular ‚Cave Idus martias‘ den Plural ‚Beware the Ides (dt. Iden) of march‘ gemacht hat ?

  • Stefan Sasse 25. November 2020, 20:58

    @Stefan und @Erwin:
    Wozu ihr noch gar nicht wirklich was gesagt habt ist der Punkt mit Merz‘, sagen wir, sozialstaatsfeindlichen Haltung. Ich halte das für eine ziemlich fiese offene Flanke, denn wenn er Vorsitzender oder gar Kanzlerkandidat wird, dürfte dieses „sollen sie halt Kuchen essen“ elektoral ziemlich schädlich sein, oder? Das kostete die CDU ja schon 2005 und die Wahl, und ich glaube, so ein geiler Kommunizierer kann er gar nicht sein, dass er gegen die 75-80% der Deutschen ankommt, die das nicht abkönnen…

    • Stefan Pietsch 25. November 2020, 22:19

      Ich habe nur zwei Passagen zu dem Thema bei Dir gefunden:

      Wir müssen aufpassen, in der Bevölkerung nicht die Erwartung zu wecken, dass wir nun alles aus den Staatskassen abfedern können.
      (tm)

      Zudem sind viele von Merz‘ Positionierungen – sein Wandeln hart am Grad der Klimawandelleugnung, seine nachgerade grausame Einstellung gegenüber Hilfen für Corona-Opfer oder Arbeitslose, etc. – nicht wirklich mehrheitsfähig und finden Schnittmengen nur bei AfD und FDP.

      Das ist nichts wirklich Konkretes.

      Unter dem Stichwort „Corona“ und „Hilfen“ habe ich nur gefunden, dass Friedrich Merz die Ausgestaltung einiger Unterstützungsmaßnahmen kritisiert, sowie die Scholz’sche Finanzpolitik und Planung für bedenklich hält. Das hat gerade gestern auch der ehemalige Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof getan. Die Kritik ist aus fachlicher Sicht fundiert und zulässig.

      Bezüglich der Arbeitslosen gibt es den inzwischen berühmten Spruch “Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können”.

      Ich denke, auf diese Äußerungen spielst Du an. Letzteres hat Merz als Ökonom und aus unternehmerischer Perspektive gesprochen. Seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland vor neun Monaten unterstützen rund 80 Prozent die getroffenen Einschränkungen oder wünschen sich Verschärfungen. Maßnahmen, die viele Menschen von ihrer Arbeit fernhalten, zu Kurzarbeit zwingen oder auf der anderen Seite in Form von Freistellungen, Erleichterungen der sonstigen Abwesenheit das Arbeitsleben erleichtern, Speed rausnehmen und den Stress (z.B. Lieferzuverlässigkeit) reduzieren. Anders als in Ländern mit sehr dünnem sozialen Netz spürt zumindest ein Teil der Erwerbstätigen nicht, was sich unter der Oberfläche zusammenbraut.

      Vor Corona gab es 43 Millionen Erwerbstätige bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen. Abzüglich der Selbständigen und Unternehmer reden wird von 34-35 Millionen abhängig Beschäftigten. Die Begeisterung bei Unternehmern und Selbständigen für die Beschränkungen hielten sich von Anfang an in Grenzen, schließlich sind sie die ersten, die solche Maßnahmen unmittelbar treffen.

      Selbst wenn wir von der nicht naheliegenden Annahme ausgehen, dass sämtliche 40 Millionen Mitmenschen, die sich nicht in Erwerbsarbeit befinden, die Arbeitsbeschränkungen begrüßen, gibt es einen gewichtigen Teil Erwerbstätiger, die dies auch tun, obwohl sie deswegen kaum oder wesentlich schwerer ihren eigentlichen Job erledigen können.

      Schließen wir den Bogen: ein Teil jener, die bisher beruflich nicht unter den Maßnahmen zu leiden haben, sondern eher persönliche Vorteile genießen, wollen diese so lange wie möglich erhalten wissen. Sie haben sich daran gewöhnt. Nun wissen Arbeitsmarktforscher wie Praktiker, dass Menschen sich nach einem Jahr – ominöse Schwelle – von der Arbeit, den Prozessen und der Geschwindigkeit – entwöhnt haben und nach überstandener Arbeitslosigkeit erst mühsam wieder integriert werden müssen. Das ist der Grund, warum Menschen bei Überschreiten der 12-Monatsgrenze wachsende Probleme haben, wieder einen Job zu finden und ihn zu halten. Des Weiteren sind sie dauerhaft in ihren Verdienstmöglichkeiten geschädigt. Dies ergab übrigens vor einigen Jahren mal eine internationale Studie. Die Ergebnisse gelten länderübergreifend, egal ob in den USA, Australien oder Deutschland.

      Aus Unternehmenssicht und aus Arbeitsmarktperspektive hat Friedrich Merz absolut Recht. Nur bewirbt er sich nicht um den Chefposten des BDI, sondern um die Kanzlerschaft über den Umweg CDU-Vorsitz. Die Menschen wählen und sympathisieren selten mit jenen, die ihnen Unangenehmes sagen, selbst wenn dies der Wahrheit entspricht. Von daher ist es ein Zeichen für sein politisches Ungeschick. Auf der anderen Seite bedient er einen größeren Teil der CDU-Mitglieder.

      • Stefan Sasse 25. November 2020, 22:55

        Aus Unternehmenssicht und aus Arbeitsmarktperspektive hat Friedrich Merz absolut Recht. Nur bewirbt er sich nicht um den Chefposten des BDI, sondern um die Kanzlerschaft über den Umweg CDU-Vorsitz. Die Menschen wählen und sympathisieren selten mit jenen, die ihnen Unangenehmes sagen, selbst wenn dies der Wahrheit entspricht. Von daher ist es ein Zeichen für sein politisches Ungeschick. Auf der anderen Seite bedient er einen größeren Teil der CDU-Mitglieder.

        Das gleiche Problem haben die Grünen ja auch. Die können auch nicht laut sagen, wie ernst der Klimawandel ist, weil es zwar der Wahrheit entspricht, aber unangenehm ist. Vielleicht machen die am Ende doch noch die Allianz der unangenehmen Wahrheiten auf oder so was.

        • Stefan Pietsch 26. November 2020, 00:51

          Nein. Wir haben in Deutschland in den vergangenen Jahren eine apokalyptische Einstellung zum Klimawandel entwickelt. Bewegungen wie FFF und Extinction Rebellion haben dazu ihren Teil beigetragen. Teile der Gesellschaft wollen eher etwas zu schnell und die Maßnahmen sind in diesen Bereichen schon bis auf die kleinsten Details ausformuliert.

          Dagegen ist der deutsche Konjunkturmotor über ein Jahrzehnt auf Hochtouren gelaufen. Auch wenn gegenwärtig einige ihren Job verlieren, sind wir weit von den kritischen Zahlen der Nachkriegszeit entfernt. Erst recht reden wir von keinem europäischen oder gar globalen Problem. Und anders als der Klimawandel geht es um die Besorgnis eines kurzfristig heraufträuenden Problems.

          Da ist keine Vergleichbarkeit.

          • Stefan Sasse 26. November 2020, 06:42

            „Wir“ haben überhaupt keine apokalyptische Einstellung entwickelt. Es ist eine kleine Gruppe, die das vertritt. Die breite Mehrheit teilt diese Einstellung überhaupt nicht.

            • TBeermann 26. November 2020, 08:39

              Ja, leider.

              Denn die Folge ist, dass „wir“ immer noch so tun, als wären Naturgesetze auch nur Verhandlungsmasse, die mit Profitstreben und dem „Bedürfnis“ nach neuen SUVs in Einklang gebracht werden muss.

            • Stefan Pietsch 26. November 2020, 10:49

              Das ist nicht richtig. Um Dramatik und politischen Druck in einem sehr langen Rennen zu erzeugen, wird seit Jahren von „Tipping-points“, „Kipppunkten“ und „Point of no return“ gesprochen, obwohl zahlreiche Wissenschaftler sich gegen solche Auslegungen ihrer Forschungen wehren. Klarheit, ob nur ein Erwärmungsziel von maximal 1,5° oder doch auch 2° ausreichend sein können, fehlt, was nicht wirklich verwundern kann, aber politisch wenig verwertbar ist. Greta Thunberg geriert sich als Engel der Apokalypse und die Grünen-Spitze heiligt ihr.

              Die Grünen haben sich zum Büttel der Radikalen gemacht, verteidigen Gesetzesbrecher, aber nicht die eigene Regierungsverantwortung. Sollten sie tatsächlich der nächsten Bundesregierung angehören, werden sie Probleme mit ihren Radikalen bekommen, die sie nun Jahre gewähren ließen. Die FfF-Aktivisten Luisa Neubauer hat dies schon mehrmals überdeutlich formuliert, die Grünen müssten radikaler und bestimmter werden, sonst verlieren sie die Unterstützung der Jugendbewegung.

              • Stefan Sasse 26. November 2020, 11:00

                Die Grünen-Spitze hält ziemlich großen Abstand zu Thunberg und FFF. Das wäre wie zu behaupten die CDU huldige Pegida. Es ist einfach völlig überzogen.

                • Stefan Pietsch 26. November 2020, 11:52

                  Sag‘ das mal den Fraktionsvorsitzenden Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Fraktionsvorsitzende zählen doch zur Parteispitze, oder?

              • TBeermann 26. November 2020, 11:05

                Das ist doch auch schon wieder Quark.

                Ich weiß nicht, welche „zahlreichen Wissenschaftler“ das sind, aber die überwältigende Mehrheit die Klima-Wissenschaftler scheint sich ziemlich einig zu sein, dass zum einen schon das 1,5 °-Ziel grenzwertig ist und zum anderen, dass es Kipp-Punkte gibt, ab denen wir auch mit schärferen Maßnahmen die Entwicklung zu bestimmten Ergebnissen nicht mehr in überschaubaren Zeiträumen umkehren können. (Wenn es diese Punkte nicht gebe, wäre das auch überraschend.)

                Wir werden die Naturgesetze nicht dazu bringen, mit uns einen Kompromiss zu schließen. Wer etwas anderes glaubt, mag gerne im zehnten Stock aus dem Fenster steigen und mit der Schwerkraft verhandeln.

                Dass sich jetzt gerade die selbsternannten Hüter von Rationalität und Realismus den Tatsachen verweigern, wäre ironisch, wenn das nicht immer schon nur Etiketten gewesen wären.

      • Erwin Gabriel 26. November 2020, 01:43

        @ Stefan Pietsch

        Mich irritiert immer wieder, wie sehr die immense Bedeutung der Wirtschaft für unseren Wohlstand und unser System unterschätzt wird. So viele, die das bestenfalls nachrichtlich zur Kenntnis nehmen.

        So wie der Strom für eionige aus der Steckdose kommt, kommt für andere das Geld aus der Wand.

        Ansonsten danke für Deine Ausführungen.

        • TBeermann 26. November 2020, 09:01

          Mich irritiert eher, dass „Wirtschaft“ als Selbstzweck gesehen wird.

          Wirtschaft hat den Zweck, die Gesellschaft mit den nötigen Gütern zu versorgen. Wir haben dagegen angefangen, dieser Sphäre alles unterzuordnen und im Zweifelsfall scheinbar auch unsere Lebensgrundlage.

          Wenn die Wissenschaft auch nur ansatzweise richtig liegt, mit den Szenarien für 2° und mehr, dann wird ein Nicht-Handeln „die Wirtschaft“ vermutlich auch einschränken.

          • Stefan Sasse 26. November 2020, 10:01

            Auch auf die Gefahr hin, hier ein bisschen den billigen Ausweg zu wählen und mich in der Mitte zu positionieren: Selbstverständlich ist Wirtschaft nicht nur Selbstzweck, quasi eine Macht von außen, der wir uns bedingungslos unterwerfen müssen. Aber auf der anderen Seite ist es leider auch so, dass wir noch kein besseres Mittel gefunden haben, um Güter zu produzieren und zu verteilen.

            • TBeermann 26. November 2020, 11:10

              Ja, aber die Wirtschaft solle die Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen und ihren Handlungsrahmen von der Politik erhalten. Im Moment ist es in beiden Fällen umgekehrt.

              Ja, die Kapitalismus war bisher am besten, schnell viele Dinge zu produzieren. Allerdings funktioniert das schon seit Jahrzehnten auch nur noch, indem Bedürfnisse künstlich geschaffen werden und wir immer schneller wechselnde Moden haben, schneller verbrauchen und entsorgen.

              Und den Preis dafür lernen wir (im Westen) gerade so langsam abzuschätzen. Andere zahlen ihn schon lange.

              • Erwin Gabriel 26. November 2020, 13:39

                @ TBeermann 26. November 2020, 11:10

                Das ist mal wieder ein typischer Thorsten-Beermann-Artikel, der mit Andeutungen, Unterstellungen, unzulässigen Verallgemeinerungen und zahlreichen Unschärfen daherkommt.

                Ja, aber die Wirtschaft solle die Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen …

                Das ist wieder einmal erschreckend unscharf und vieldeutig formuliert – selbst dann, wenn ich „Bedürfnisse“ mit „Konsum-Bedürfnisse“ interpretiere (eine Pflicht, allen, die es wollen, eine Beschäftigung nach deren Gusto bei Tätigkeitsbereichen, zu erbringenden Arbeitsleistungen oder Gehaltsvorstellungen zu garantieren, sehe ich beispielsweise nicht). Wer ist diese „Gesellschaft“? Alle? Oder einmal mehr eine (möglichst linke?) Elite, die den Menschen dieses Landes sagt, wie sie zu Leben haben? Meinst Du gar Planwirtschaft?

                … und ihren Handlungsrahmen von der Politik erhalten. Im Moment ist es in beiden Fällen umgekehrt.

                Mal wieder falsch. Es ist eine Form der gegenseitigen Beeinflussung und Abhängigkeiten, die zum Teil durch etwas stärkere Einflüsse seitens der Industrie (z.B. bei Autos die Verzögerung der Einführung strengerer Abgaswerte aufgrund von Lobby-Arbeit, milliardenschwere Corona-Unterstützung der Lufthansa), mal durch den Staat (z.B Abschaltung der Atomkraftwerke) sieht.

                Ja, die Kapitalismus war bisher am besten, schnell viele Dinge zu produzieren. Allerdings funktioniert das schon seit Jahrzehnten auch nur noch, indem Bedürfnisse künstlich geschaffen werden und wir immer schneller wechselnde Moden haben, schneller verbrauchen und entsorgen.

                In dieser Form eine populistische Falschaussage. Es werden sicherlich auch viele Mode- und Wegwerf-Artikel produziert, aber eben nicht nur. Man stellt auch (über)lebenswichtige Produkte her; die meisten Nahrungsmittel, ein Großteil der Kleidung, Medizin, Häuser und Wohnungen etc.

                Und den Preis dafür lernen wir (im Westen) gerade so langsam abzuschätzen. Andere zahlen ihn schon lange.

                Ja. Wir lernen langsam den Preis für das Leben in einer Überflussgesellschaft kennen, und andere kennen seit Jahrhunderten den Preis einer Mängelgesellschaft.

                • TBeermann 26. November 2020, 18:37

                  Das ist mal wieder ein typischer Thorsten-Beermann-Artikel, der mit Andeutungen, Unterstellungen, unzulässigen Verallgemeinerungen und zahlreichen Unschärfen daherkommt.

                  Das ist wieder einmal erschreckend unscharf und vieldeutig formuliert – selbst dann, wenn ich „Bedürfnisse“ mit „Konsum-Bedürfnisse“ interpretiere (eine Pflicht, allen, die es wollen, eine Beschäftigung nach deren Gusto bei Tätigkeitsbereichen, zu erbringenden Arbeitsleistungen oder Gehaltsvorstellungen zu garantieren, sehe ich beispielsweise nicht). Wer ist diese „Gesellschaft“? Alle? Oder einmal mehr eine (möglichst linke?) Elite, die den Menschen dieses Landes sagt, wie sie zu Leben haben? Meinst Du gar Planwirtschaft?

                  Ja, ich bin dafür, dass der Staat sehr viel mehr eingreift und den Handlungsrahmen der Wirtschaft sehr viel enger steckt. Dass „die Wirtschaft“ es seit Jahrzehnten nicht schaft, über das nächste Quartalsergebnis hinaus zu denken, kann man eigentlich kaum übersehen. Dann muss es eben der Staat tun.

                  Und um es noch mal klarer auszudrücken: Sinn und Zweck der Wirtschaft ist es, die Gesellschaft mit den materiellen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, die sie benötigt. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist nicht die Aufgabe der Gesellschaft, sich zu verbiegen, um der Wirtschaft möglichst optimale Bedingungen zu bieten.

                  Mal wieder falsch. Es ist eine Form der gegenseitigen Beeinflussung und Abhängigkeiten, die zum Teil durch etwas stärkere Einflüsse seitens der Industrie (z.B. bei Autos die Verzögerung der Einführung strengerer Abgaswerte aufgrund von Lobby-Arbeit, milliardenschwere Corona-Unterstützung der Lufthansa), mal durch den Staat (z.B Abschaltung der Atomkraftwerke) sieht.

                  Mit dem Atomausstieg hat die Politik einfach getan, wofür sie da ist, ganz unabhängig davon, ob man die Entscheidung jetzt richtig findet oder nicht. Dafür wählen wir abgeordnete. Sie sollen Entscheidungen treffen, wie die Dinge in diesem Land angegangen werden. Genau dieses Primat der Politik als gewählte Vertreter der Bevölkerung gerät zu oft ins Hintertreffen und müsste wieder dauerhaft hergestellt werden.

                  In dieser Form eine populistische Falschaussage. Es werden sicherlich auch viele Mode- und Wegwerf-Artikel produziert, aber eben nicht nur. Man stellt auch (über)lebenswichtige Produkte her; die meisten Nahrungsmittel, ein Großteil der Kleidung, Medizin, Häuser und Wohnungen etc.

                  Du bist offensichtlich mal wieder nicht in der Lage, einen kurzen Text inhaltserfassend zu lesen. Ich habe nicht geschrieben, dass NUR Schrott produziert wird, sondern dass der Kapitalismus NUR noch durch die Produktion von Schrott funktioniert. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Aussagen. Natürlich werden AUCH essenzielle Waren Produziert, aber wenn NUR NOCH essenzielle Produkte hergestellt würden, wäre das System längst kollabiert, weil man das mit einem Bruchteil der Arbeitskraft tun könnte. Kapitalismus bleibt auch nur durch stetiges Wachstum ansatzweise stabil, weil sonst durch Steigerung der Produktivität und mehr Effizienz schnell immer größere Teile der Arbeiterschaft überflüssig werden. (Unter anderem deshalb haben wir ja die ganzen Bullshit Jobs © David Graeber)

                  Ja. Wir lernen langsam den Preis für das Leben in einer Überflussgesellschaft kennen, und andere kennen seit Jahrhunderten den Preis einer Mängelgesellschaft.

                  Die technischen und vor allem medizinischen Innovationen, die den Mangel tatsächlich angegangen sind, kamen überwiegend nicht aus der kapitalistischen Wirtschaft. Aber ich gebe durchaus zu, dass der Kapitalismus eine Zeit lang gut darin war, den Lebensstandard eines kleinen Teils der Weltbevölkerung sehr schnell anzuheben. (Nur eben immer schon wesentlich auf Kosten des Restes). Allerdings haben wir als Gesellschaft die Kontrolle über das Ganze schon eine Weile verloren.

                  • Erwin Gabriel 27. November 2020, 00:41

                    @ TBeermann 26. November 2020, 18:37

                    Ja, ich bin dafür, dass der Staat sehr viel mehr eingreift und den Handlungsrahmen der Wirtschaft sehr viel enger steckt. Dass „die Wirtschaft“ es seit Jahrzehnten nicht schafft, über das nächste Quartalsergebnis hinaus zu denken, kann man eigentlich kaum übersehen. Dann muss es eben der Staat tun.

                    Flapsig formuliert willst Du dem Staat vorschreiben, was der den Unternehmen vorzuschreiben hat.

                    Ansonsten kann jeder Unternehmer sein Unternehmen nach Kennziffern führen oder nicht, grad, wie er es für wichtig erachtet. Quartalsbetrachtungen sind sicherlich gang und gäbe, waren aber in keinem „meiner“ Unternehmen die einzige Zahl. Daneben gab es stets Jahresbetrachtungen, Vergleiche zum Vorjahresmonat, und die Betrachtung einzelner Marktsegmente, einzelner Kunden, oder der Vergleich der eigenen Entwicklung zur Entwicklung des Konkurrenzumfelds, Betrachtungen über die Dauer von Produktzyklen, Entwicklung von Stückkosten, Betrachtungen zu Kannibalisierungseffekten bei der Einführung neuer Produkte, Veränderungen in Zielgruppen uvm.

                    Wenn Du wieder mal die ganze Wirtschaft verallgemeinernd in einen Sack steckst, was schlägst Du dann als Kennziffer oder Kontrollmechanismus vor, um ein bisschen weiter nach vorne zu kommen?

                    Und um es noch mal klarer auszudrücken: Sinn und Zweck der Wirtschaft ist es, die Gesellschaft mit den materiellen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, die sie benötigt. Nicht mehr und nicht weniger.

                    Wer sagt das, bzw. wer hat das so festgelegt?

                    Mit dem Atomausstieg hat die Politik einfach getan, wofür sie da ist, ganz unabhängig davon, ob man die Entscheidung jetzt richtig findet oder nicht.

                    Ich bin mir fast sicher, dass sich Deine Kommentare zu Merkels Atomausstieg-Austieg anders gelesen haben.

                    Du bist offensichtlich mal wieder nicht in der Lage, einen kurzen Text inhaltserfassend zu lesen.

                    Ich pingele nur bei Dir so herum. Du warst derjenige von uns beiden, der ständig den Korinthenkacker gab, der bei ähnlichen Unschärfen Beleidigungen wie „Dummschwätzer“ raushaute, den der Stil nicht interessiert. Also hör auf zu jammern, ich bin immer noch nicht auf Dein Stil-Niveau herabgestiegen.

                    … sondern dass der Kapitalismus NUR noch durch die Produktion von Schrott funktioniert. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Aussagen.

                    Mag sein, ist trotzdem falsch.

                    Natürlich werden AUCH essenzielle Waren Produziert, aber wenn NUR NOCH essenzielle Produkte hergestellt würden, wäre das System längst kollabiert, weil man das mit einem Bruchteil der Arbeitskraft tun könnte.

                    Du gehst bei Deinen Vorstellungen immer wieder davon aus, dass man klar sagen kann, was erforderlich ist oder nicht (bzw. Dass vielleicht DU eine klare Vorstellung davon hast. Danach sollen sich alle anderen richten. Diese Denke ist mir fremd.

                    Dann haben wir in einigen Bereichen natürlich genau den von Dir beschriebenen Effekt, wo durch künstlich angefachte Nachfrage Bedürfnisse geweckt und durch die Produktion von Schrott gedeckt werden. Das sehe ich (zumindest vom Grundsatz her) genauso. Aber wie willst Du das allgemeingültig lösen? Wie auf Markt- und Technologie-Entwicklungen eingehen? Wie verhindern, dass uns eine deutsche Insellösung vom Rest der Welt abkoppelt?

                    Unbestreitbar bringt der Schrott neben seinen negativen Begleiterscheinungen Umsätze und Gewinne samt dazugehörigfer Steuern, bringt Jobs, Gehälter samt dazugehöriger Steuern. Wie willst Du den Einnehmeausfall kompensieren; schließlich soll der Staat nach Deinen Vorstellungen ja noch mehr Aufgaben übernehmen?
                    Das andere System, dass ich (nach meinem eingeschränkten Verständnis Deiner Vorstellungen) halbwegs durch Anschauung miterleben durfte, war das System DDR. Fand ich auch nicht so prickelnd, und das nichtvorantreiben von Technologie hatte auch seine Schwächen.

                    Wie sieht also Deine präferierte Lösung aus?

                    • TBeermann 27. November 2020, 09:52

                      Flapsig formuliert willst Du dem Staat vorschreiben, was der den Unternehmen vorzuschreiben hat.

                      Ja natürlich, so wie jeder Vertreter jeder politischen Richtung. Die Unterschied ist nur, was jeweils inhaltlich.

                      Ansonsten kann jeder Unternehmer sein Unternehmen nach Kennziffern führen oder nicht, grad, wie er es für wichtig erachtet. Quartalsbetrachtungen sind sicherlich gang und gäbe, waren aber in keinem „meiner“ Unternehmen die einzige Zahl. Daneben gab es stets Jahresbetrachtungen, Vergleiche zum Vorjahresmonat, und die Betrachtung einzelner Marktsegmente, einzelner Kunden, oder der Vergleich der eigenen Entwicklung zur Entwicklung des Konkurrenzumfelds, Betrachtungen über die Dauer von Produktzyklen, Entwicklung von Stückkosten, Betrachtungen zu Kannibalisierungseffekten bei der Einführung neuer Produkte, Veränderungen in Zielgruppen uvm.

                      Wenn Du wieder mal die ganze Wirtschaft verallgemeinernd in einen Sack steckst, was schlägst Du dann als Kennziffer oder Kontrollmechanismus vor, um ein bisschen weiter nach vorne zu kommen?

                      Es geht nicht darum, nach welchen Kennzahlen man sich richtet, sondern um den Zeithorizont und die Folgen des Handelns.

                      Wenn sich alle Akteure so verhalten würden, wie Firma X, wäre das gesellschaftlich (national wie global) und ökologisch langfristig nachhaltig tragbar?

                      Wenn wir uns die Szenarien für 2° (und selbst schon 1,5 °) anschauen, wird das „die Wirtschaft“ sehr viel mehr beeinträchtigen bzw. verunmöglichen.

                      Wer sagt das, bzw. wer hat das so festgelegt?

                      Das ist die Basisdefinition von Wirtschaft. Hier die Formulierung von Wikipedia: „Unter Wirtschaften werden alle menschlichen Aktivitäten verstanden, die mit dem Ziel einer bestmöglichen Bedürfnisbefriedigung planmäßig und effizient über knappe Ressourcen entscheiden.“

                      Sinngemäß habe ich das im Grundstudium schon gelernt.

                      Und was sollte auch sonnst die Aufgabe sein, Es wäre ja vollkommen bescheuert, alle sozialen Bedürfnisse, gesellschaftlichen Strukturen dem totalen Konsum unterzuordnen…halt, da war was.

                      Ich bin mir fast sicher, dass sich Deine Kommentare zu Merkels Atomausstieg-Austieg anders gelesen haben.

                      Du wirfst schon wieder verschiedene Ebenen durcheinander.

                      Es ist die Aufgabe der Politik, der Wirtschaft den Handlungsrahmen vorzugeben und festzulegen, was sie machen darf und was nicht. Das bedeutet nicht, dass man alle Entscheidungen richtig finden oder unterstützen muss.

                      Aber grundsätzlich wählen wir die Abgeordneten und indirekt die Regierung, damit sie als Vertreter des Gesamtgesellschaft die (unter anderem wirtschaftlichen) Abläufe regeln.

                      Du gehst bei Deinen Vorstellungen immer wieder davon aus, dass man klar sagen kann, was erforderlich ist oder nicht (bzw. Dass vielleicht DU eine klare Vorstellung davon hast. Danach sollen sich alle anderen richten. Diese Denke ist mir fremd.

                      Wir können da von verschiedenen Seiten drangehen. Es gibt schon mal viele Produkte, bei denen man schon sehr weit ausholen müsste, um sie nicht komplett sinnlos zu finden. Dazu kommen viele Produkte, die zwar sinnvoll sind, aber deutlich seltener produziert werden müssten, wenn sie langlebiger wären (was sie zum Teil in der Vergangenheit auch schon waren) oder wenn mehr Menschen das gleiche Exemplar nutzen würden (was oft genug möglich wäre).

                      Auf der anderen Seite ist es durchaus möglich die essenziellen Dinge zu benennen, angefangen bei der Befriedigung, körperlicher Grundbedürfnisse.

                      Von der Seite kommend müsste man sich anschauen, was nötig wäre, damit für jeden Menschen Dach über dem kopf, gesunde Ernährung und Zugang zu sauberem Wasser und medizinische Versorgung gewährleistet ist.

                      Danach können wir uns anschauen, was unser Rohstoff- und Emissionsbudget noch hergibt und dann kann ja jede(r) mit dem eigenen Anteil machen, was man will.

                      So oder so ist das Wirtschaftssystem, das wir heute haben, damit aber am Ende.

                      Dann haben wir in einigen Bereichen natürlich genau den von Dir beschriebenen Effekt, wo durch künstlich angefachte Nachfrage Bedürfnisse geweckt und durch die Produktion von Schrott gedeckt werden. Das sehe ich (zumindest vom Grundsatz her) genauso. Aber wie willst Du das allgemeingültig lösen? Wie auf Markt- und Technologie-Entwicklungen eingehen? Wie verhindern, dass uns eine deutsche Insellösung vom Rest der Welt abkoppelt?

                      Unbestreitbar bringt der Schrott neben seinen negativen Begleiterscheinungen Umsätze und Gewinne samt dazugehörigfer Steuern, bringt Jobs, Gehälter samt dazugehöriger Steuern. Wie willst Du den Einnehmeausfall kompensieren; schließlich soll der Staat nach Deinen Vorstellungen ja noch mehr Aufgaben übernehmen?
                      Das andere System, dass ich (nach meinem eingeschränkten Verständnis Deiner Vorstellungen) halbwegs durch Anschauung miterleben durfte, war das System DDR. Fand ich auch nicht so prickelnd, und das nichtvorantreiben von Technologie hatte auch seine Schwächen.

                      Wie sieht also Deine präferierte Lösung aus?

                      Ich würde da grundsätzlich auf meinen Text: Es ist nur Geld (http://www.deliberationdaily.de/2020/01/schluss-mit-wachstum-exkurs-2-es-ist-nur-geld/) verweisen.

                      Die Fixierung auf Geld ist ein relativ neues Phänomen und wenig sinnvoll. Es geht darum, welche bzw. wie viele Waren wir nachhaltig produzieren können und wie wir die verteilen. (Und, wie wir allen bzw. allen, die das wollen, ermöglichen, einen Beitrag zu dieser Produktion oder anderen gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeiten zu leisten.)

              • Stefan Sasse 26. November 2020, 17:57

                Ich bin überzeugt, dass wir damit auch die Probleme des Klimawandels lösen können – wenn die Marktenergien nur dorthin gelenkt würden.

                • TBeermann 26. November 2020, 18:39

                  Sehe ich absolut nicht. Der Euro von heute ist immer besser als der Euro von morgen, deshalb ist das System darauf ausgelegt, immer so schnell wie möglich so viel wie möglich heraus zu pressen.

                  In Zeiten, in denen auch Manager oft nur noch Gastspiele geben, weiß man ja nie, ob man vom Erfolg morgen überhaupt noch etwas hätte.

  • Stefan Pietsch 25. November 2020, 21:41

    Noch zu einem Punkt, den ich bereits gestreift hatte:

    Ich kenne Merz zu wenig um beurteilen zu können, warum er der Lafontaine’schen Versuchung widerstand, 2013 zusammen mit ideologischen Nachbarn wie Konrad Adam oder Bernd Lucke die AfD mitzugründen.

    Ich hatte im Spätsommer 2017 ein Gespräch mit jemanden, der einige Zeit zuvor persönlichen Kontakt zu Friedrich Merz hatte. Als ich zu dem Punkt „Rückkehr in die Politik“ kam, über die man ja in den Jahren immer gemunkelt hatte, winkte er ab. Merz habe sich so weit vom Politikbetrieb entfernt, das tue er sich nicht mehr an. Er verdiene ja hervorragend und das ermögliche ein angenehmes Leben.

    Wie man sich halt so täuscht. Richtig ist daran, dass Merz ziemlich unvorbereitet wieder in der Berliner Politik auftauchte und eine Kampagne aus dem Boden stampfen musste. Nur hatte er Blut geleckt und nach 2018 seinen beruflichen Mittelpunkt wieder ins Politische verlegt. Seit dem spielt er „Jetzt oder nie“.

    Jedenfalls kann ich mir bei Betrachtung der Person Merz nicht vorstellen, dass eine neue Partei für ihn nur eine Sekunde ein Gedanke war. Für die meisten politisch Aktiven ist ihre Partei so etwas wie Heimat und Familie. Identität. Die meisten gründen aus Karrieregründen oder Verbitterung eine neue Partei. Doch Merz war nie verbittert über seine Partei, sondern über eine Person. Und wahrscheinlich hat er wirklich nicht mehr mit einer Rückkehr nach Berlin geliebäugelt.

    Politiker, die ihrer Partei den Rücken kehren, werden von ihren Ehemaligen als Abtrünnige empfunden. Wie das so ist bei Familien. Das hätte nicht zu einem Wertkonservativen wie Merz gepasst. Alexander Gauland dagegen ist allein zur AfD gegangen, weil er sich von der Gruppe um Merkel verstoßen fühlte. Jan Fleischhauer hat die einmal vor der Bundestagswahl 2017 nachgezeichnet. Das ist plausibel, denn seine Ablehnung gegen Merkel („Wir werden sie jagen!“) ist schon sehr persönlich.

    • Stefan Sasse 25. November 2020, 22:53

      Danke für den Kontext. Aber war Lafontaine nicht auch verbittert über Schröder? Wenn nicht, woher kam bei ihm das Problem mit seiner Partei?

      • Stefan Pietsch 26. November 2020, 02:07

        Ja, war er. Aber Lafontaine war immer das, was sich in der demokratischen Politik nicht wirklich verträgt, ein Egoshooter. So bekam er auch frühzeitig seinen Spitznamen verpasst: Saar-Napoleon.

        Lafontaine war immer der Erste, der Jüngste, der Begabteste. Als er in seiner Heimat im Sturm die absolute Mehrheit eroberte, hatte er sich sein eigenes Refugium geschaffen, Rückzugsort, wo er geliebt und verehrt wurde. Die Opposition hatte während seiner Regierungsjahre die Arbeit weitgehend eingestellt, Lafontaine selbst hatte nie den Ruf eines Arbeitstieres.

        Lange konnte er seine Partei vor den Kopf stoßen und Ämter ausschlagen, er wurde immer geliebt. 1990 musste ihm die Kanzlerschaftskandidatur regelrecht angetragen werden, obwohl er der natürliche Kandidat war. Der Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel war ob des Gehabes so erbost, dass der ihm nach der Niederlage 1990 den Vorsitz der SPD vor die Füße warf. Die ultimative Forderung des treuen Parteisoldaten an den Lebemann: jetzt müsse Oskar übernehmen.

        Doch Oskar übernahm nicht. Nach einem kräftezehrenden Wahlkampf und noch geschwächt von dem lebensgefährlichen Attentat zog er sich vorerst zurück. Die Sozialdemokraten mussten ohne ihn einen neuen Vorsitzenden auskungeln und es traf den großen klaren aus dem Norden, Björn Engholm.

        Die Zeiten in der Opposition wechselten zwischen regelmäßigen Stänkereien, Verweigerungen (auch 1992 trat er nicht ins Rennen um den Parteivorsitz ein) und seiner unbestrittenen politischen Brillanz. Ich erinnere mich an eine Debatte im Bundesrat(sic!) zur Mehrwertsteuererhöhung, in der er die Gesetzesvorlage der Bundesregierung in freier Rede zerlegte. Der Höhepunkt seiner Parteikarriere war gleichzeitig der niederträchtigste. Ohne Vorankündigung und Absprache kandidierte er auf dem Mannheimer Parteitag 1995 gegen Rudolf Scharping, demütigte und stürzte den Pfälzer. Einerseits feierte ihn die Partei, andererseits war man beschämt ob des Umgangs. Und die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles saß mittendrin und feixte damals.

        Lafontaine wollte auch die Regierungspolitik der neuen rot-grünen Koalition entscheidend bestimmen. So dachte er, wäre es vereinbart gewesen. Doch zum ersten Mal war er nicht die Nummer eins, Schröder hatte das mächtigere Amt, weswegen es schon bald im Frühjahr 1999 zum Showdown zwischen den beiden Alphatieren kam. Während Lafontaine den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland herausforderte, wurde ihm wahrscheinlich klar, dass er überreizt hatte. Schröder war zum Rücktritt bereit, aber der Königsmörder Oskar wäre mit ihm untergegangen.

        Dass Lafontaine hernach auch die LINKE auf dem Göttinger Parteitag fast ebenso zerstört hätte, zeigt den destruktiven, ja auch selbstzerstörerischen Charakter von Lafontaine. Er gründete die LINKE mit, weil er sich an seiner SPD rächen wollte, die ihn aus seiner Sicht unverständlicherweise nicht mehr liebte. Auch seine spätere Gattin Wagenknecht instrumentalisierte er mit zum Kampf gegen die SPD.

        Beide Parteien haben den Politiker Lafontaine nur schwer havariert überlebt. Ihre Blüte wie ihr Abstieg sind mit seinem Namen eng verbunden. Es ist dieser Charakterzug, der mich von den frühen Jahren von einem Fan Lafontaines zum politischen Gegner werden ließ. Und ich kann das Datum der Abwendung genau benennen. Es war der 16. November 1995, als ich am Abend von den dramatischen Ereignissen erfuhr.

        • Stefan Sasse 26. November 2020, 06:47

          Zum Mannheimer Parteitag hatte DLF jüngst ein Feature. Scharping hatte Lafontaine die Kandidatur dort selbst angetragen, in der nicht eben strategisch brillanten Idee, die Kampfabstimmung zu gewinnen und die Partei zu befrieden. Das kann man nicht nur Lafontaine vor die Füße werfen. Ich teile völlig deine Kritik des Lafontaine der frühen 1990er Jahre; der Wahlkampf 1990 alleine war… *argh*

          Aber danke für die ausführliche Kommentierung. Ich würde dir ansonsten in den Charakterisierungen auch nicht widersprechen.

          • Stefan Pietsch 26. November 2020, 10:39

            Hm, ich stelle immer wieder fest, dass die Erinnerung von Zeitzeugen und (jüngeren) Historikern sich ein ganzes Stück unterscheiden. Das gilt auch für Deinen neuen Artikel.

            Ich erinnere mich, dass Scharping damals Lafontaine herausgefordert und ihn gefragt habe, ob er kandidieren wolle. Über die Motive ist damals wenig bekannt geworden, beide SPD-Granden äußerten sich damals nicht. Ich war damals fleißiger Leser des SPIEGELs, aber der hatte auch nichts anzubieten.

            Tatsächlich war Scharping gut ein Jahr nach einer als relativ erfolgreich eingeschätzten Wahl stark angeschlagen und ob des steten Kampfes um die innerparteiliche Macht weidwund. Der dauernden Kritik von Gerhard Schröder („Es gibt keine rechte oder linke Wirtschaftspolitik“) hatte sich der SPD-Vorsitzende per Rausschmiss aus der Troika entledigt. In der Stimmungslage hielt er zur Eröffnung des Parteitags ein schwache, uninspirierte Rede, wobei Scharping nie ein guter Redner war.

            Lafontaine konterte, wie man es in einer Hierarchie nicht tut. Er hielt eine grandiose, begeisternde Rede, welche die Delegierten von den Sitzen riss. Nicht ausgesprochene Signale der Macht sind, dass niemand eine bessere Rede als der Chef hält. Kohl, selbst ein schwacher Redner, sah sich auf Parteitagen nie solchen Herausforderungen gegenüber, obwohl die CDU mit Wolfgang Schäuble und Kurt Biedenkopf durchaus herausragende Protagonisten in ihren Reihen wusste.

            Scharping verstand die Signale zu werten, schließlich war er trotz aller Pannen Profi. Alle professionellen Beobachter wussten die Rede Lafontaines zu werden, das war eine Herausforderung auf offener Bühne gewesen. Scharping blieb als taktischer Zug nichts anderes übrig als den Fehdehandschuh aufzunehmen oder zurückzutreten, zu sehr hatte der Parteitag seinem Kontrahenten zugejubelt.

            Angesichts dessen bezweifle ich die Story, Scharping habe geglaubt, Lafontaine besiegen zu können, in dem er ihn provoziert. Es war wohl eher anders. Bis zuletzt glaubten nur wenige, dass der Saarländer tatsächlich antreten würde. Schließlich hatte er zuvor drei Gelegenheiten ausgelassen, nach dem Parteivorsitz zu greifen. 1987 galt er schon als natürlicher Nachfolger des Übervaters Willy Brandt, der ob einer Lappalie zurückgetreten war. Doch Lafontaine zierte sich und so musste Hans-Jochen Vogel wie zuvor schon 1983 als hoffnungsloser Kanzlerkandidat ins Geschirr.

            Auch 1990 und 1992 verweigerte sich der Saar-Napoleon. Lafontaine galt schon damals als jemand, der vor der Verantwortung zurückscheut. Umso erstaunlicher war dann, dass er sich wählen ließ und noch mehr, mit welcher auch eigenen Disziplin er 3 Jahre lang die SPD, der frühere, aufgescheuchte Hühnerhaufen, auf einer einheitlichen Linie hielt.

            Lafontaine war einer der besten Vorsitzenden, welche die SPD je hatte. Schade, dass er nur für wenige Jahre die eigene Kraft und Disziplin aufbrauchte, die Partei zu führen.

            • Stefan Sasse 26. November 2020, 10:59

              Ich kann nicht beurteilen, welches der Narrative stimmt. Ich kann dir auf jeden Fall sagen, dass ich Lafontaine keine Sekunde glaube wenn er sagt, dass das für ihn überraschend kam und er das eigentlich nicht vorhatte. Wobei es schon spannend ist, dass Scharping diese Version mehr oder weniger stützt. Ansonsten stimme ich deiner Einschätzung über den Mann zu.

              • Stefan Pietsch 26. November 2020, 11:58

                Ich glaube die Geschichte sehr wohl, sie passt zur Sprunghaftigkeit von Lafontaine. Ich bin sicher, dass er nach Mannheim fuhr ohne zu ahnen, dass er als Parteivorsitzender zurückkäme. Es hieß damals, das länger bei den Vertrauten von Lafontaine beratschlagt wurde. Oskar soll sich, so hieß es auch damals, sehr kurz zur Kandidatur entschlossen haben.

                Auch sein Rücktritt von allen Ämtern 1999 hatte etwas absolut Sprunghaftes und wenig Überlegtes, das auch im Nachgang nicht erklärt werden konnte. Seine Geschichten dazu waren nie plausibel. Solch faszinierende Politiker wie Brandt, wie Lafontaine, aber auch Trump haben etwas Erratisches, plötzlich und unerwartet, was Anhänger später zur Strategie erklären oder eher verklären.

                • TBeermann 26. November 2020, 12:25

                  Sein Rückzug 1999 war zwar relativ abrupt, aber durchaus schlüssig.

                  Es hatte in der eigenen Partei, die immer mehr Richtung „New Labour“ statt Arbeiterpartei tendierte, kaum noch Rückendeckung für seine politischen Vorhaben. Auch wenn sich einige seiner Vorhersagen knapp zehn Jahre später bewahrheiteten, waren sie Ende der 90er dem Zeitgeist diametral entgegengestellt. (Wir erinnern uns noch an die Bezeichnung als „Gefährlichsten Mann Europas“ und das war nur der Gipfel der Negativpresse.)

                  Ich habe damals öfter mit SPD-Mitglieder der dritten und vierten Reihe gesprochen, die dann zur WASG gingen oder zumindest aus der SPD austraten. Und alle berichteten davon, dass in der Partei zu diesem Zeitpunkt praktisch kein Widerspruch zur neoliberalen Linie der Schröders, Clements und Münteferings mehr möglich gar, ohne (oft in ziemlich harschem Ton) abgebügelt zu werden.

                  Die Wahl Lafontaines zum neuen Parteivorsitzenden 1995 war ein letztes Aufbäumen der Parteilinken und schon nur durch den sehr schwachen Gegenkandidaten möglich.

                  • Stefan Pietsch 26. November 2020, 13:17

                    Sein Rückzug 1999 war zwar relativ abrupt, aber durchaus schlüssig.

                    Das haben seine Fans immer behauptet, ich weiß. Objektiv war es nicht stimmig und passte auch nicht zur Beobachtung von unabhängigen Teilnehmern wie Jürgen Trittin. Wie so oft strickte Lafontaine hinterher ein Narrativ.

                    Der Titel „Gefährlichster Mann Europas“ stammte von der britischen Boulevardzeitung „Sun“ und es wäre das erste Mal, dass sich die deutsche Öffentlichkeit nach dem Agitationsblatt des Robert Murdoch gerichtet hätte. Außer bei den Pin-ups von Samantha Fox natürlich.

                    Ich war Ende 1998 als junger Wirtschaftsprüfer erbost über Lafontaine. Zum einen bürdete sein Finanzministerium binnen Wochen den Unternehmen einen Wust neuer bürokratischer Regeln auf. Mehr noch aber zeigte sich der vierfach Verheiratete eiskalt gegenüber Unverheirateten.

                    Im November 1998 kassierte die neue Bundesregierung als Folge einer seit vielen Jahren laufenden Klage ein verheerendes Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht für die steuerrechtliche Gleichstellung von Alleinerziehenden mit Verheiratenden. Das Urteil besagte, dass der Gesetzgeber unabhängig vom Familienstand Eltern den Haushaltsfreibetrag für die Betreuung eines Kindes zu gewähren habe. Doch Lafontaine dachte gar nicht daran, Familien mit erziehungspflichtigen Kindern eine Steuerbonus zu gewähren und strich den Haushaltsfreibetrag gleich für alle mit Ausnahme von solchen, wo nur ein Elternteil die Fürsorge trägt. Dass in solchen Fällen die Vergünstigung nur in seltensten Fällen zur Anwendung kommt, spielte dem Robin Hood der Entrechteten in die Karten.

                    Lafontaine versuchte im Frühjahr den Wahlerfolg Schröders in Niedersachsen zu sabotieren, da dies gleichzeitig die Kanzlerkandidatur entschieden hätte. Kein Wort dazu von den Lafontaine-Fans. Müntefering stand bis um die Jahrtausendwende im Lager Lafontaines und der Skeptiker Schröders. Von daher kann er die SPD gar nicht gewendet haben.

                    Tatsächlich hatte die Sozialdemokratie sehr lange nach dem Abgang des Saarländers Phantomschmerzen, Schröder selbst erzielte bei der Wahl zum Parteivorsitzenden ein schlechte, oder wie er es bezeichnete „ehrliches“ Ergebnis.

                    Es ist nun wahrlich nichts Neues, dass Abtrünnige behaupten, in der Organisation, die sie gerade aus Enttäuschung verlassen haben, würden andere Ansichten nicht geduldet. Das passiert jeden Tag. Profis haben dazu eine klare Haltung: es dient nicht der eigenen Glaubwürdigkeit, schlecht über den alten Arbeitgeber zu sprechen. Wer’s nötig hat, auf solche Leute zu hören, hat nicht wirklich Argumente auf der Hand.

                    Lafontaine ist unter großer Begeisterung gewählt worden. Die Wende hin zu Schröder geschah nur höchst widerwillig, aber selbst Sozialdemokraten wollten nach 16 Jahren in der Opposition zur Abwechslung auch mal wieder regieren. Gute Chancen auf den Wahlsieg besaß trotz einer völlig abgehalfterten Regierung nur der neue Star Gerhard Schröder.

                  • Stefan Sasse 26. November 2020, 18:02

                    Schlüssig war das nicht wirklich, sorry. Wenn du sagst, das Land geht in die krass falsche Richtung, und dann ein „macht euren Kram doch alleine“ hinpfefferst ist das wenig geil.

                    • TBeermann 26. November 2020, 18:28

                      Halt ich für kompletten Unsinn. Wenn ich keinen Ansatz einer Chance sehe, meine Inhalte durchzusetzen, dann muss ich gehen. Und die Einschätzung finde ich durchaus nachvollziehbar.

                      Das ist genau so ein Quatsch die der Vorwurf an die Ex-SPDler damals, warum sie nicht in der Partei für einen Wandel gekämpft haben (gerne von Leuten, die sich noch nie politisch engagiert haben).

                      Man muss sich da nicht aufreiben.

                      Ich kann mir auch vorstellen, dass er das Potenzial der WASG damals deutlich überschätzt hat. Das Zusammengehen mit der PDS dürfte ja kaum von Anfang an geplant gewesen sein.

                    • Stefan Sasse 26. November 2020, 23:21

                      Gut möglich.

                • Stefan Sasse 26. November 2020, 18:01

                  Echt ein weirder Typ.

  • Ariane 26. November 2020, 03:04

    Danke für den ausführlichen Artikel.

    Ich glaube ja immer noch nicht, dass es Merz wird. Und wieso sind wir jetzt eigentlich plötzlich bei Merz im März? War jetzt nicht der Januar für den Vorsitz geplant? Oder bin ich da falsch?

    Ich denke weiterhin, dass sein größtes Problem sein Image und damit zusammenhängend das Timing ist. Er hat nun mal ein äh neoliberalistisches Image, das er ja auch gut gepflegt hat „müssen aufpassen, dass wir uns nicht dran gewöhnen, nicht zu arbeiten“ Er wäre auch der personifizierte Kandidat für schwarz-gelb (gehen wir der Einfachheit mal davon aus, dass die FDP im BT verbleibt).

    In der Bevölkerung gab es nie die große Beliebtheit dafür, schon vor der Krise jetzt. Auch die Front der Medien ist da längst nicht mehr so geeint wie sie es 2005 zb war. Mittlerweile hat sich das Pendel – mit einigen Ausnahmen – deutlich in die andere Richtung geneigt. Das verschärft sich durch die Krise nur noch, nicht zu vergessen, dass sie so durchschlägt, dass sie eben auch Leute betrifft, die sich durchaus eher weniger Sorgen um Arbeitslosigkeit machen müssen sonst.

    Dazu kommt, dass Merkel natürlich für eine andere Art von Wandel steht als Laschet oder Röttgen, so etwas macht man auch eher in einer ruhigen Phase, während in Krisen mehr Sehnsucht nach Stabilität herrscht. Das kann Merz auch in der Bevölkerung erwecken (wogegen Scholz da perfekt als Gegenkandidat wäre, er kann sagen „sie kennen mich“)
    Auch sein Bonus als Antimerkel ist durch Corona mE verpufft, weil die Beliebtheit der Union aktuell hauptsächlich durch sie (und Söder) hervorrührt und sich der Anti-Merkelkampf ziemlich aufgelöst hat.

    Wir reden hier ja von den CDU-Delegierten und nicht von der Basis oder der ganzen Bevölkerung, Und auch die CDU ist nicht mehr dieselbe wie 2005, die hat sich in vielen Teilen eben auch gewandelt und hier spielt mE auch die Machtperspektive eine Rolle. Söder hatte das im Sommerinterview glaube ich, erwähnt. Sie können nicht damit rechnen, dass sie automatisch den Kanzler stellen und die guten Umfrageergebnisse sich in der Bundestagswahl genauso niederschlagen. Und ich denke, da ist Merz das deutlich größere Risiko. Und dafür ist die Union nicht bekannt und ich glaube das Revolutionspotenzial ist dafür aktuell echt nicht groß genug. Dazu kommt, dass die aktuelle Performances von der FDP und der AfD bzw Werte-Union auch aktuell weniger verfangen und selbst etliche der rechtsliberalkonservativen da auf mehr Distanz gegangen sind. (die Werte-Union hat sich ja irgendwie halb aufgelöst, da sind ja wirklich nur noch die ziemlich Extremen unterwegs).

    Von daher sehe ich das alles nicht so richtig. Ich glaube auch nicht, dass Merz es schafft oder auch nur will, ein weicheres Image zu bekommen und das bräuchte er eigentlich für einen Wahlkampf. Sein größtes Plus ist halt, dass Laschet sein Konkurrent ist. (oder Röttgen, aber ich glaub das ist halt mehr so ein Sidekick).

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.