Ist Deutschland wirklich eine Demokratie? – Teil 1: Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit


Es gibt in der öffentlichen Debatte eine Gruppe, die ich als die Besseren Demokraten ™ bezeichnen möchte. Mit Warenzeichen, damit Unverkennbarkeit besteht. Die Besseren Demokraten ™ sind jene, die immer am besten wissen, was genau demokratisch ist. Besser als alle Verfassungsrechtler, Politikwissenschaftler, Politiker und besser als die Journalisten sowieso. Alle Jahre wieder kommt von den Besseren Demokraten ™ die Vorstellung, dass wir eigentlich gar nicht in einer Demokratie leben. Schließlich wurde dieses oder jenes vom Parlament beschlossen, das in Umfragen keine Mehrheit findet. Oder ohne vorherige Volksbefragung. Das ist Quatsch. Ich will in diesem Artikel einen umfassenden Überblick darüber geben, wie die deutsche Demokratie eigentlich tatsächlich funktioniert – und warum die Besseren Demokraten ™ häufig (wenngleich nicht immer) mit ihrer Kritik Unrecht haben.

Macht, und woher man sie bekommt – Die Ursprünge

Alle Macht geht vom Volke aus. Das ist das Prinzip der Volkssouveränität. Jedes Land hat einen Souverän, der den eigentlichen Quell der Macht darstellt. Ist die Machtfrage jemals ungeklärt, fällt die Macht an den Souverän zurück. Andere Quellen von Souveränität sind vor allem historisch relevant.

Einen Sonderfall will ich gleich zu Beginn ansprechen: In Großbritannien ist das Parlament souverän. Es entscheidet allein über seine Zusammensetzung, über seine Kompetenzen und über seine konkrete Ausgestaltung. Zwar ist Großbritannien de facto eine normale westliche Demokratie. Aber es bezieht seine Souveränität weder aus Volk noch aus Monarch, sondern aus dem Parlament, auf dessen Einladung der Monarch überhaupt erst im Buckingham Palace sitzt.

Die häufigste Quelle von Souveränität aber ist Gott; in absoluten Monarchien etwa speist sich die Souveränität direkt aus dem Auftrag Gottes an den Monarchen, das Land in seinem Sinne zu regieren. Die einzig verbliebene absolute Monarchie in Europa ist der Vatikanstaat, ein in den internationalen Beziehungen eher irrelevanter Faktor.

Besonders im Mittelalter wurde Souveränität auch mittelbar verliehen, etwa durch Wahlen hervorgehobener Personen. Der deutsche König wurde durch Wahl der Kurfürsten bestimmt. Auch das zweite deutsche Kaiserreich bezog seine Souveränität aus der freien Entscheidung der deutschen Landesfürsten, sich zum Reich zusammenzufügen; das Volk selbst spielte dafür keine Rolle.

Zuletzt spielt Gott heutzutage in den Theokratien eine Rolle, in denen oberste Priester die Macht beanspruchen. Das war der Normalfall in der Antike (die Pharaonen Ägyptens etwa waren Theokraten) und trifft heute etwa in Teilen auf den Iran zu.

Moment, mag nun der geneigte Leser fragen. Gott trifft selten direkte Entscheidungen; die letzte Meinungsumfrage im Himmel ist schon eine Weile her. Auch sonst sind die Träger der Souveränität nicht unbedingt die entscheidende Größe. Was ist mit dem Reichstag im Kaiserreich? Oder den Wahlen im Iran?

Und damit sind wir bereits beim Thema. Die Souveränität sagt nur aus, woher sich Macht legitimiert. Viele Diktaturen berufen sich auch auf die Volkssouveränität. Sie ist ein legitimatorisches Vehikel. Aus ihr leitet sich noch keine konkrete Verfassungswirklichkeit ab. Ihren größten Ausdruck findet sie im Grundgesetz in Artikel 146, dem Recht zum Widerstand und zum Finden einer neuen Verfassung. Nach so etwas sucht man im Kaiserreich vergeblich. Dort konnte (theoretisch) der Kaiser eine neue Verfassung geben, weil er der Souverän war.

In der Bundesrepublik kann dies nur „das Volk“. Ohne, dass die Verfassung sich Mühe geben würde zu erklären, wie das dann funktionieren soll. Eine Versammlung der 81 Millionen auf einem großen Platz wird es sicher nicht sein. Aber darum geht es hier auch nicht. Relevant ist, dass das Volk die Legitimation dafür hat. Es ist die letztlich entscheidende Größe. Dafür muss es aber im politischen Alltag erst einmal keinerlei reale Macht innehaben. Es handelt sich, erneut, um ein legitimatorisches Konstrukt. Das ist der erste wichtige Faktor, den wir verstehen müssen.

Im Folgenden befassen wir uns nur mir Demokratien, also solchen Nationen, in denen die Volkssouveränität auf regelmäßiger Basis ausgeübt wird (anders als in Diktaturen, die sich auf irgendeinen Wahlakt in der Vergangenheit oder irgendwelche Deklamationen berufen). Noch konkreter: Wir befassen uns mit der Bundesrepublik Deutschland. In der leben wir ja schließlich.

Der allseits geliebte Föderalismus

Deutschland ist ein föderaler Bundesstaat. Gleichwohl haben die Bundesländer selbst keine eigene Legitimationskraft, können also weder ihnen unleidige Gesetze nullifizieren noch die Bundesrepublik verlassen (auch wenn Bayern und Sachsen das notorisch anders sehen möchten). Wir haben daher einen recht eindeutigen pyramidenförmigen Aufbau: Bundesrepublik –> Bundesland –> Kreis –> Gemeinde.

In jeder dieser Pyramidenebenen wählen wir die entsprechende übergeordnete politische Instanz: Bundestag –> Landtag –> Kreisrat –> Gemeinderat. Die Gemeinden weisen darüberhinaus die Besonderheit auf, dass ihr Exekutivoberhaupt (BürgermeisterIn) mit langer Amtszeit direkt gewählt wird; der Kreisrat besitzt gar keines. Die Landtage und der Bundestag aber wählen ihr Exekutivoberhaupt (MinisterpräsidentIn und BundeskanzlerIn). Das ist von erheblicher Bedeutung, und wir werden darauf zu sprechen kommen.

Eine Ausnahme übrigens sind die kreisfreien Städte; wer etwa in Stuttgart wohnt, wählt keinen Kreisrat, sondern „nur“ den jeweiligen Gemeinderat (dafür aber in Teilstadtgliederungen) und BürgermeisterIn. Generell aber gilt, dass in Deutschland auf jeder Ebene ein legislatives Gremium existiert, das von den Bürgern in direkter, gleicher und geheimer Wahl gewählt und ihnen direkt verantwortlich ist. In keinem dieser Fälle gibt es eine Möglichkeit seitens der BürgerInnen, diesem Gremium nach der Wahl das Vertrauen zu entziehen und es vor der nächsten Wahl neu zu wählen; sehr wohl können einige dieser Gremien sich aber selbst auflösen und dem Souverän für den Wahlakt die Macht zurück übertragen.

Die konkreten Machtverhältnisse zwischen diesen Gremien sind in beständigem Wandel. Zu Beginn der Bundesrepublik etwa waren die Bundesländer stärker, als sie es heute sind. Besonders seit dem Ende des Kalten Krieges hat zudem ein Prozess an Fahrt aufgenommen, in dessen Verlauf die Bundesländer Kompetenzen zugunsten des Bundes verloren haben. Stellvertretend hierfür mag etwa die Förderalismusreform II von 2006 stehen.

Ein spiegelbildlicher Prozess findet in den Bundesländern selbst statt. Die Gemeinden hatten (sehr zum Leidwesen der amerikanischen Besatzer, die andere Vorstellungen von der zukünftigen bundesdeutschen Demokratie hatten) nie besonders viel Macht, aber von dem bisschen, das sie hatten, haben sie seit 1949 ebenfalls größere Teile verloren, sowohl an die Bundesländer als auch an den Bund. Generell sind die Kommunen nicht sonderlich souverän; die geringe Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen mag auch in einem instinktiven Verständnis dieses Zusammenhangs beim Bürger liegen.

Nachdem wir jetzt also die Gliederung Deutschlands verstanden haben, schauen wir einmal genauer darauf, wie der Wahlprozess eigentlich funktioniert.

Macht, und woher man sie bekommt – Wahlen, Teil I

Die relevanteste Größe in er einer Demokratie sind Wahlen. In Deutschland wählen wir vergleichsweise wenig verschiedene Gremien, die zudem alle eher mittelbar organisiert sind. Schaut man etwa in die USA, darf man dort als mündiger Bürger vom Hundefänger über den Sheriff bis zum Richter Einfluss auf viele Ämter nehmen. Nicht, dass das deren Qualität notwendigerweise verbessert; wir begnügen uns hier mit der Feststellung, dass wir in Deutschland nur die jeweiligen übergeordneten politischen Verantwortlichen wählen, während die Behörden selbst unserem wählenden Zugriff entzogen sind.

Diese Behörden waren früher vor allem von Beamten besetzt. Beamte sind eine spezifisch deutsche Erfindung. Sie sind Staatsdiener, und als solche Ausdruck eines Staatsverständnisses, das mit dem Prinzip der Volkssouveränität wenig anzufangen weiß. Es mag eine historisch interessante Fußnote sein, dass die Amerikaner zwischen 1945 und 1949 in ihrem Versuch, das zu ändern, gegen Wände liefen. Der Zahn der Zeit war erfolgreicher. Heute ist ein Großteil der Behörden aus Angestellten zusammengesetzt, und die Mentalität ist deutlich bürgerfreundlicher und offener geworden. Da dies sich aber auch auf Beamte erstreckt, dürfte der Grund dafür eher in einem allgemeinen Mentalitätswandel als im geänderten Beschäftigungsverhältnis zu suchen sein. Aber zurück zum Thema.

Wahlen sind, wie bereits etabliert, unmittelbar, frei, geheim und gleich.

Unmittelbar bedeutet, dass das Wahlrecht nicht, wie etwa in den USA, durch eine weitere Instanz „verwässert“ wird. Die Deutschen geben ihre Stimme den jeweiligen Kandidaten, sei es durch Direktwahl oder über eine Liste. Aber sie wählen nicht Vertrauensleute, die dann an ihrer statt die Stimme abgeben. Das ist das Prinzip der Unmittelbarkeit.

Frei bedeutet konkret, dass jede BürgerIn unter den vorhandenen Optionen wählen darf, was auch immer er oder sie will; es beinhaltet aber auch ein Recht zum Nichtwählen. Zu einer Demokratie gehört das Recht, sich nicht für Politik zu interessieren, wenngleich der Anstand dann gebietet, sich danach auch nicht lautstark zu beklagen. Das ist der Aspekt der Freiheit.

Geheim heißt, dass niemand die Wahlentscheidung nachvollziehen können darf. Dies macht die Wahl sogar ungültig, um dem Prinzip größten Nachdruck zu geben. Die DDR etwa hatte keine geheimen Wahlen, entsprechend die Praxis des Zettelfaltens und Zustimmungsraten von 97% aufwärts. Deswegen ist die DDR auch keine Demokratie, wenngleich sie sich als eine bezeichnete. Das ist der Aspekt des Geheimen.

Gleich heißt, dass sämtliche StaatsbürgerInnen ab einem gewissen Alter (früher 21, seit Willy Brandt 18) ohne Ansehen seiner/ihrer Hautfarbe, des Geschlechts oder anderer Faktoren wahlberechtigt sind. Davon gibt es einige Ausnahmen (psychisch Kranke, Auslandsdeutsche, Obdachlose und einige Straftäter), deren Zahl ist aber mit rund 80.000 in Deutschland vernachlässigbar. Das ist der Aspekt der Gleichheit.

Verfassungstheorie vs. Verfassungswirklichkeit, Teil I: Das Bundeskanzleramt

Damit haben wir geklärt, was die theoretischen Grundlagen des Wahlprozesses sind. Wie aber sieht das in der Praxis aus? Hier stoßen wir zum ersten Mal auf jenen Konflikt, den die Politikwissenschaften als den zwischen Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit beschreiben. Nicht alles, was in der Verfassung steht, ist zwingend wörtlich zu nehmen. Für unsere Zwecke sind dafür zwei Bereiche besonders relevant: die Rolle der Parteien und des Bundeskanzleramts.

Kümmern wir uns zuerst um den leichteren der beiden Aspekte, das Bundeskanzleramt. Laut Artikel 65 des Grundgesetzes bestimmt zwar der/die BundeskanzlerIn die so genannten „Richtlinien der Politik“, also eine Art grobe Vision, wohin die Reise gehen soll. Weiter heißt es: „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung. Der Bundeskanzler leitet ihre Geschäfte nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung.“ Klingt das nach der Realität, in der in Deutschland Politik gemacht wird?

Vielmehr hat sich, vor allem unter Deutschlands erstem Kanzler, Adenauer, eine Realität herausgebildet, die diesen Verfassungsrahmen interpretiert und ausdehnt. Und bevor wir schauen, inwiefern das passiert ist, möchte ich einen zentralen Punkt machen, den die Besseren Demokraten ™ häufig nicht verstehen und der für alle unsere Themen wichtig ist:

Diese Interpretation und Ausdehnung des Verfassungsspielraums ist absolut in Ordnung. Aus den dürren Sätzen des GG, die ich oben zitiert habe, lässt sich keine Realität schaffen. Diese erfordert wesentlich detailreiche Regelungen. Wo diese Regelungen nicht durch ein nachgeordnetes Regelwerk erfolgen, etwa ein Bundesgesetz (wie es für die Parteien der Fall ist), ist es Aufgabe und Pflicht der Politik, diese Regeln zu interpretieren und mit Leben zu füllen.

Was Adenauer tat war zu sehen, inwieweit der (formaljuristisch undefinierte) Begriff der Richtlinienkompetenz trägt. Anstatt dem Wortlaut zu folgen und anzunehmen, er sei primus inter pares und die Entscheidungsfindung fände konsensual in Kabinettssitzungen statt, was durchaus eine Lesart des Artikels 65 wäre, entschloss er sich, den ersten und letzten Satz besonders in den Blick zu nehmen: Richtlinienkompetenz und Leitung der Regierungsgeschäfte. Der Rest war ihm Makulatur. Und jeder Kanzler hat es seither ähnlich gehalten.

Eine Kaskade von Konsequenzen

Das hat Folgen. Eine der offensichtlichsten ist die herausgehobene Stellung des Bundeskanzleramts. Innerhalb der Regierung liegt die Macht unzweifelhaft im Kanzleramt. Selbst unter nicht besonders dominant auftretenden KanzlerInnen wie Kurt Georg Kiesinger oder Angela Merkel bestand nie Zweifel darin, wer im Fall des Falls eine Entscheidung herbeiführen könnte. Erfolgreiche Aufstände einzelner Ministerien sucht man in der bundesdeutschen Geschichte vergebens. Solche Konflikte endeten noch immer mit dem Rücktritt des jeweiligen Ministers (und ja, es waren bisher nur Männer).

Aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmt diese Verfassungswirklichkeit vor jeder Realität. Es gibt, auch wenn dies viele Menschen immer wieder überrascht, keine formale Möglichkeit für WählerInnen, Einfluss auf die BundeskanzlerInnenwahl zu nehmen. In der Theorie hält nichts die CDU davon ab, mit Merkel in den Wahlkampf zu ziehen und dann Philipp Amthor zu wählen. Oder, sagen wir, für die CDU und FDP mit dem Versprechen in den Wahlkampf zu ziehen, nicht mit der AfD zu kooperieren und dann mit ihren Stimmen einen FDP-Mann zum Ministerpräsidenten zu wählen, dessen Partei mit 12 Stimmen über die 5%-Hürde kletterte und dessen Wahl im Wahlkampf selbst nie eine Rolle spielte.

Die Absurdität dieses Szenarios auf Bundesebene und der gewaltige Backlash auf die tatsächliche Umsetzung in Thüringen zeigen aber, dass die Verfassungstheorie ein schlechter Ratgeber für politische Entscheidungen ist. Weder Amthors hypothetische noch Kemmerichs sehr reale Wahl entsprechen dem, was der Souverän unter Politik versteht. Die Kanzlerkandidatur, die dem Grundgesetz völlig fremd ist, ist seit der Bundestagswahl 1953 ein Fixpunkt deutscher Politik. Legitime(r) KandidatIn für das Amt ist (bislang!) nur, wer auch in den Bundestagswahlen selbst bereits als KandidatIn gehandelt wurde.

Der Grund dahinter ist einfach.  Jegliches politisches System braucht Legitimität. Ohne Legitimität bricht es zusammen. Man muss nur auf den geräuschlosen und vollständigen Zusammenbruch der DDR 1989/90 sehen, um das zu erkennen. Das System genoss in den Augen der Bevölkerung keine Legitimität, ergo gab es keinen Widerstand gegen sein Wegfallen, gab es niemanden, der es in seiner Form erhalten wollte. Wäre dies nicht so gewesen, hätte die SED keinen Grund gehabt, sich in PDS umzubenennen. Legitimität gewinnt in unserer Demokratie aber nur, wer sich vorher auch zur Wahl stellte.

Deswegen ist die theoretisch eigentlich mächtige Rolle des Parlaments in der Kür des/der BundeskanzlerIn auch eine rein praktisch rein zeremonielle. Folgen wir dem Wortlaut des Grundgesetzes, könnte der Bundestag in einer riesigen, lebendigen Debatte bei der ersten konstituierenden Sitzung in freier Wahl eine beliebige Person deutscher Staatsbürgerschaft über 35 Jahren zur/zum KanzlerIn wählen. De facto ist das unvorstellbar.

Aber: Solche in der Verfassungstheorie vergrabenen Relikte können in Zeiten der Krise urplötzlich mit gewaltiger Wirkmacht hervorbrechen. Würden die Wahlen 2021 etwa keine Mehrheit für irgendeine Seite ergeben – ein Szenario, das ja 2017 bereits für einige Tage Realität war, ehe der Bundespräsident die SPD zu der staatsbürgerlichen Verantwortung zwang, aus der die FDP sich zuvor geflüchtet hatte -, so könnte ein solcher Passus urplötzlich wieder hervorgegraben werden. Thüringen hat gezeigt, wie schnell solche formaljuristisch korrekten Prozesse die etablierten demokratischen Normen aushebeln können. Systemzersetzende Parteien wie die AfD warten nur auf solche Momente, um mit Verfassungstheorie die Verfassungspraxis auszuhebeln – und neue Praxis zu schaffen.

Als Seitenbemerkung zu diesem ganzen Themenkomplex wäre es im Übrigen durchaus möglich, das Bundespräsidentenamt wesentlich expansiver auszulegen, als das bisher getan wird. Die Verfassung erlaubt es durchaus, eine wesentlich aktivere Rolle im Politikgeschehen einzunehmen. Dass dies bisher nicht passiert ist, liegt an der starken Kraft der Normen, die vor allem durch Theodor Heuss‘ Präzedenzfall als erster Bundespräsident und die Selbstbindung aller folgenden Bundespräsidenten an diese Normen. Aber es gibt keinen Grund, warum nicht etwa ein AfD-Bundespräsident das Amt nicht nutzen sollte, um die Demokratie aktiv zu zerlegen. Die Mittel dafür stünden ihm (und sind wir ehrlich, es wäre ein „er“) zur Verfügung. Dieses Horrorszenario liegt aber außerhalb des Fokus dieses Artikels. Es sei nur darauf hingewiesen, dass man solche Normen nicht für gegeben halten sollte.

Damit haben wir gesehen, wie die Exekutive durch den Konflikt von Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit definiert wird. Aber im Guten wie im Schlechten geht die Bevölkerung, selbst die Besseren Demokraten ™, ohnehin davon aus, dass die Regierung umsetzt, was auch immer die Regierung umzusetzen in der Lage ist. Die Hoffnung auf ein Korrektiv richtet sich daher nicht an das Kabinett – auch wenn diesem laut GG die Rolle eigentlich durchaus zusteht – sondern auf die Judikative und die Legislative. Und letztere wird von den Parteien dominiert, im Guten wie im Schlechten.

Verfassungstheorie vs. Verfassungswirklichkeit, Teil II: Die Parteien

Nirgendwo wird der Widerspruch zwischen Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit so deutlich wie bei den Parteien. Der entsprechende Passus des Grundgesetzes, Artikel 21, verdient es, dazu zur Gänze zitiert zu werden. Keine Bange, das dauert nicht lange.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.
Nur wenig an der bundesdeutschen Verfassungsordnung fasziniert mich so sehr wie die offensichtliche Diskrepanz zwischen diesem Artikel und dem, was in der Realität passiert. Und hier besteht, glaube ich, auch das größte Verständnisproblem der Besseren Demokraten ™. Sehen wir uns zuerst kurz die harmlosen Absätze an.

Absatz 2 gibt dem deutschen Staat das Recht, verfassungswidrige Parteien zu bekämpfen. Was hier in einem Satz abgefrühstückt wird ist das Kernstück der so genannten „wehrhaften Demokratie“, einer der entscheidenden Lehren aus Weimar: Die Demokratie muss, im Sinne Karl Poppers, intolerant gegenüber den Intoleranten sein, um tolerant bleiben zu können. Seit den Urteilen von 1952 und 1956, die die SRP und KPD verboten, kam es in der BRD zu keinem erfolgreichen Urteil mehr. Drei Versuche, die NPD zu verbieten, scheiterten.

Aber wie so häufig ist es die aus der Theorie entstehende Praxis und die aus ihr strömende Legitimität, die den eigentlichen Kernpunkt ausmacht: Zwar werden keine Parteien verboten; aber die Existenz dieses Artikels, die Drohung mit dem scharfen Schwert des Rechtsstaats sorgt dafür, dass Parteien gewisse Grenzen nicht überschreiten. Ohne die Drohung von Absatz 2 wäre die AfD sicherlich eine weitaus extremistischere Partei, als sie es ist.

Absatz 3 und 4 sind dafür nur Ergänzungen; sie geben die formaljuristische Grundlage für den Entzug von Geldern – in Deutschland das Todesurteil jeder Partei – und regeln, wo der Prozess stattfindet (im BVerfG).

Kommen wir zum eigentlichen Kern des Artikels: Absatz 1.

Die drei Sätze dieses Artikels haben es in sich. Sie ziehen die Leitplanken der gesamten politischen Realität in Deutschland ein, weit mehr noch, als es die meisten anderen Artikel tun. Schauen wir sie uns nacheinander an.

Der zweite Satz ist, ebenso wie gerade diskutierten Parteiverbote, ein Erbe Weimars. Jede Partei Deutschlands muss zwingend demokratisch sein, nach innen wie nach außen. Das ist von zentraler Bedeutung. Damit sind in der BRD Parteien, die die parlamentarische Demokratie in der Form des Grundgesetzes ablehnen, nicht zulässig. Aber noch mehr: Die Parteien müssen alle parteiintern ebenfalls demokratisch sein. Das ist eine clevere Setzung, denn sie sorgt dafür, dass die Funktionsträger dieser Parteien demokratisch sozialisiert werden und in demokratischer Politik versiert sind.

Der dritte Satz klingt nach dröger Verwaltung, ist aber ebenfalls von herausragender Wichtigkeit. Die öffentliche Rechenschaftspflicht über ihre Gelder sorgt dafür, dass die Parteien nicht von mächtigen Einzelinteressen gekapert werden können. Es ist kein Zufall, dass sich CDU und FDP mit Händen und Füßen gegen diese Regel wehren und dass gerade aus der CDU der größte Parteispendenskandal der bundesdeutschen Geschichte entsprang (oder dass die PDS ihr Parteivermögen mit so großem Aufwand verschleierte). Ohne Geld gibt es keine Macht. Demokratie ist teuer. Aber nur auf demokratischem Weg erzieltes Geld garantiert demokratische Ergebnisse. Daher dieser Absatz.

Der erste Satz ist der faszinierendste. Die Parteien „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Das ist Verfassungstheorie in Reinform. In der Verfassungsrealität läuft die politische Willensbildung des Volkes praktisch ausschließlich über die Parteien. Wir werden gleich sehen, warum.

Die Antwort auf diese Frage findet sich im fünften Absatz. „Das Nähere regeln Bundesgesetze.“ Ein Satz von geradezu poetischer Schlichtheit, in dem sich der Sprengstoff verbirgt, der die Besseren Demokraten ™ zur Verzweiflung treibt und den sie auf Teufel komm raus nicht verstehen. Im nächsten Artikel dieser kleinen Serie werden wir uns damit auseinandersetzen, warum, und einen Blick auf die Maschinisten der deutschen Politik werfen.

{ 123 comments… add one }
  • Rauschi 2. März 2020, 11:15

    Fütr mich müssen Sie das alles nciht ausbreiten, die Realität ist mir sehr wohl bewusst.
    Sie wollen aber doch in Wahrheit nicht diesutieren, das beweisen doch allein disee Sätze:
    [Alle Jahre wieder kommt von den Besseren Demokraten ™ die Vorstellung, dass wir eigentlich gar nicht in einer Demokratie leben. Schließlich wurde dieses oder jenes vom Parlament beschlossen, das in Umfragen keine Mehrheit findet. Oder ohne vorherige Volksbefragung. Das ist Quatsch. ]
    Wobei das ja nur Faktenfestellung ist und kein Quatsch. Worüber man reden kann, ist zweifellos, wie diese Diskrepanz demokratietheoretisch zu erklären bzw. zu legitimieren ist.

    Ich habe mich nie als „besser“ gesehen oder beschrieben, aber egal.

    Ihren größten Ausdruck findet sie im Grundgesetz in Artikel 146, dem Recht zum Widerstand und zum Finden einer neuen Verfassung. Nach so etwas sucht man im Kaiserreich vergeblich. Dort konnte (theoretisch) der Kaiser eine neue Verfassung geben, weil er der Souverän war.

    In der Bundesrepublik kann dies nur „das Volk“. Ohne, dass die Verfassung sich Mühe geben würde zu erklären, wie das dann funktionieren soll. Eine Versammlung der 81 Millionen auf einem großen Platz wird es sicher nicht sein. Aber darum geht es hier auch nicht. Relevant ist, dass das Volk die Legitimation dafür hat. Es ist die letztlich entscheidende Größe.
    Wie seltsam, das einzige Mal, als das hätte Wirkung entfalten können, bei er Wiedervereinigung, wurde das Volk gar nicht einbezogen, sondern nur das Parlament, was natürlich irgendwie das gleiche zu sein scheint.
    Ich steige hier erst gar nicht ein, denn mir Quatsch befasse ich mich nicht.

    • Stefan Sasse 2. März 2020, 13:39

      Die Diskussion 1990 war, ob man die Wiedervereinigung nach Artikel 23 oder nach Artikel 146 vollzieht. Letzteres hätte das Schreiben einer neuen Verfassung bedurft. Das wäre vielleicht (!) durch eine Volksabstimmung beschlossen worden, und dann hätte man wohl wieder eine verfassungsgebende Versammlung gewählt, wie 1949 auch. Aber die 81 Millionen wären auch da nur mittelbar beteiligt gewesen, weil es anders eben nicht geht.

      Im Übrigen hast du in den Kommentaren explizit um eine Erklärung gebeten. You’re welcome.

      • Rauschi 2. März 2020, 16:19

        Die Diskussion 1990 war, ob man die Wiedervereinigung nach Artikel 23 oder nach Artikel 146 vollzieht.
        Und das erklärt jetzt wie genau, das es nicht so war, wie Sie es geschildert haben? Nein, das beschriebt nur die Vergangenheit, Erklärung geht anders.

        Im Übrigen hast du in den Kommentaren explizit um eine Erklärung gebeten. You’re welcome.
        Nö, meine Frage war nie, wie es jetzt denn real so läuft, sondern immer, wie denn die Worte Leben erlangen wie z.B.
        [Alle Staatsmacht geht vom Volk aus]
        und auch
        [Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.]
        Bislang kam da noch nichts , auch nicht, wie das geht mit der Repräsentanz aller Wähler eines Wahlkreises, weil auch bei den wenigen die Abgeordente deren Willen gar nicht kennt. Der steht für eine Anzahl X an Einwohnern, wie allerdings alle anderen Abgeordenten auch. Demokratisch ist daran erst mal nichts.

        • Ariane 2. März 2020, 17:40

          [Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.]
          Bislang kam da noch nichts , auch nicht, wie das geht mit der Repräsentanz aller Wähler eines Wahlkreises, weil auch bei den wenigen die Abgeordente deren Willen gar nicht kennt

          Ich hatte schon unten was dazu geschrieben und will Stefan da auch nicht zu sehr vorgreifen:
          Aber in meiner Interpretation steht und fällt der Volkswillen mit der Wahl (ich beschränke mich hier mal auf die Bundestagswahl).

          Die Parteien geben den Rahmen der politischen Willensbildung vor, in dem sie sich gründen, ein Programm haben und dann im Wahlkampf jedem erzählen, wie sie das Land führen wollen.
          Und das Volk drückt dann seinen Volkswillen aus, in dem jeder einzelne sagt, welche Partei seiner Meinung nach den Laden schmeißen soll. Und da hier sehr viele Willen zusammenkommen, wird es in den meisten Fällen schon verwässert, weil es Koalitionen braucht und eine Partei alleine fast nie regiert (glaub die CDU hatte in den 50ern eine absolute Mehrheit).
          Medienschlagzeilen wie „Wähler wünscht sich schwarz-gelb“ oder „der Wähler verpasst der FDP einen Denkzettel“ sind eigentlich schon überinterpretiert und Quatsch.
          Am Ende wissen alle nur, welche Partei wieviele Stimmen bekommen hat. Der Rest des „Wählerwillens“ muss interpretiert und irgendwie praktikabel gemacht werden.

          Natürlich gibt es noch viele weitere Formen, um den Wählerwillen auszudrücken, aber die hängen eigentlich immer mit so einer Wahl zusammen. Wer wiedergewählt werden will, muss sich beliebt machen. Hier würde ich zb Thüringen als Beispiel nennen.
          Demokratisch war es überhaupt kein Problem, den Kemmerich mithilfe der AfD zu wählen. War korrekt und verfassungsgemäß, da hätte niemand mehr das „Recht“ gehabt einzugreifen.
          Dann kam aber der Volkswillen ins Spiel, Demonstranten vor dem Parlament, sämtliche Medien haben es verurteilt, die eigenen Parteikollegen haben gemeckert, die sozialen Netzwerke sind explodiert. Und das hat die FDP vor allem so erschreckt, dass sie mit Volldamp in die andere Richtung abgerauscht sind. Eben weil sie gerne gewählt werden wollen. Sie hätten es nicht gemusst, sie hätten auch ganz legitim mit der AfD und CDU eine Koalition bilden und fünf Jahre lang regieren können.
          Das hat hier wirklich nur der Volkswillen beeinflusst, eben durch seine Macht des Wählens.

          • Stefan Sasse 2. März 2020, 19:01

            Völlig bei dir.

          • Rauschi 3. März 2020, 10:39

            Der Rest des „Wählerwillens“ muss interpretiert und irgendwie praktikabel gemacht werden.
            Also, mal ganz abgesehen davon, das Du zwar meine Frage zitierst, aber überhaupt nicht darauf eingehst. Den Rest? Den rest wovon? Den gesamten Willen, abgesehen von den prozentualen Werten für die Parteien. Aha, das ist also die Souveränität des Wählers, den rest besorgen die Parteien dann schon in schöner Einigkeit mit der auf sie einflüsternden Lobby. Der Wille wird praktikabel gemachtß Wie habe ich mir das denn vorzustellen? Interpretiert, weil das ja immer in die richtige Richtung geht?
            Nee, also das ist mir meilenweit zu schwammig, um auch nur ansatzweise zu klären, was der Willen sein könnte.

            Das hat hier wirklich nur der Volkswillen beeinflusst, eben durch seine Macht des Wählens.
            Nein, in keiner denkbaren Welt war es das, denn wenn es diese Überlegung gegen haben sollte, dann ja wohl auch schon, bevor man den Kandidaten aufstellt, newa?
            Das ist nur dem Medienecho zu verdanken, nichts anderem. Denn das Ergebniss der Wahl hätte die ja erst in 5 Jahren getroffen.
            Wenn die Parteien das so genua wissen würden, dann ist überhaupt nicht erklärbar, warum die FDP aus dem Bundestag geflogen ist. Hätten die doch wissen müssen, weil die gewählt werden wollen, oder nicht?
            Das Beispiel ist in Wahrheit gar keines. Jedenfalls nicht für die Wirkung des Wählerwillens.

            • Ariane 3. März 2020, 11:55

              Also, mal ganz abgesehen davon, das Du zwar meine Frage zitierst, aber überhaupt nicht darauf eingehst. Den Rest? Den rest wovon? Den gesamten Willen, abgesehen von den prozentualen Werten für die Parteien.

              Verzeihung, ging im Textwust ein bisschen unter.
              Ich meine, die Auszählung der Wahlergebnisse ist das einzige Mal überhaupt, dass wir „den Wählerwillen“ wirklich definitiv kennen. Wir wissen dann „30% der Wähler wollen, dass die CDU die Regierung führt“

              Und alles andere – ausnahmslos! – ist Interpretation. Selbst die einfache Frage, was diese 30% denn bedeuten sollen. Oder ob das viel oder wenig ist. Oder gar, welche Regierung man daraus basteln soll, denn dafür braucht man ja 51%
              Man kann sich dem Wählerwillen zwar annähern zb über Umfragen, aber auch da erhält man immer wieder nur Interpretationen, das Wahlergebnis ist die einzige definitive Antwort mit ganz richtig und ganz falsch.

              Deswegen war ich im anderen Strang auch so streng. Wenn die Wähler anfangen, Fragen zu beantworten, die überhaupt nicht gestellt werden, verlieren wir die einzige Gewissheit.
              Dann sitzen wir plötzlich da und überlegen, ob AfD Wähler eigentlich nette Menschen sind, die nur ein Bus-Problem haben. Die Gesellschaft, das Land, alle sind darauf angewiesen, dass jeder Wähler zumindest die richtige Frage beantwortet.

              Nein, in keiner denkbaren Welt war es das, denn wenn es diese Überlegung gegen haben sollte, dann ja wohl auch schon, bevor man den Kandidaten aufstellt, newa?

              Ich fürchte ehrlich gesagt, sie haben wirklich gedacht, andere finden die Kemmerich-Idee genau so genial wie sie selbst. Oder dass es anderen zumindest egal genug ist, um sich nicht groß aufzuregen.

              Und zum Glück sind ja irgendwo immer Wahlen, nicht nur einmal in fünf Jahren. Die FDP ist aus HH ganz rausgeflogen und CDU & AfD hatten deutliche Verluste, bis zur „Quittung“ hat es also nicht lange gedauert. Und die Umfragen in Thüringen sind ja so dermaßen abgerauscht, dass die CDU gleich gar nicht mehr wählen will, fast zuviel des Guten.^^

              • Rauschi 3. März 2020, 17:12

                Ich fürchte ehrlich gesagt, sie haben wirklich gedacht, andere finden die Kemmerich-Idee genau so genial wie sie selbst.
                Mag sein, denke ich eigentlich nicht. Aber trotzdem isr Fakt, das keine Wahl den Rücktritt bewirkt hat, sondern die Presse, immer noch.

                Wenn die Wähler anfangen, Fragen zu beantworten, die überhaupt nicht gestellt werden, verlieren wir die einzige Gewissheit.
                Dann sitzen wir plötzlich da und überlegen, ob AfD Wähler eigentlich nette Menschen sind, die nur ein Bus-Problem haben.

                Ja ja, das ist immer die Ausrede der Politik, die Bürger würden auf nicht gestellte Fragen antworten. Mag sein, deswegen sollte man auch im kleinen mit den Abstimmungen anfangen. Wo allerdings die Gesellschaft am Ende ist, wenn Beweggründe so verkürzt werden, wie Du das jetzt wiederholt gemacht hast. Da kannn dann keiner mehr irgendeine Interpretation liefern.

                Und zum Glück sind ja irgendwo immer Wahlen, nicht nur einmal in fünf Jahren.
                Nochmal, die haben nicht den Rücktritt bewirkt, wie man da überhaupt auf die Idee verfalllen kann, das wäre dem Wählerwillen geschuldet, keinen Schimmer.

                • Ariane 3. März 2020, 20:39

                  Nochmal, die haben nicht den Rücktritt bewirkt, wie man da überhaupt auf die Idee verfalllen kann, das wäre dem Wählerwillen geschuldet, keinen Schimmer.

                  Ich sage übrigens auch nicht, dass die Wahl den Rücktritt bewirkt hat, sondern die Angst vor künftigen Wahlniederlagen. Das ist ein Unterschied.

                  Und das geht dann ja auch innerparteilich weiter. Die jetzt arbeitslosen Parlamentarier aus Hamburg sind vermutlich erstmal nach Thüringen oder zu Lindner gefahren, um da mal auf den Tisch zu hauen. Da gehts ja nicht mehr nur um Macht und Mandate, da hängen ganze Existenzen dran.

                  • Rauschi 4. März 2020, 12:26

                    Ich sage übrigens auch nicht, dass die Wahl den Rücktritt bewirkt hat, sondern die Angst vor künftigen Wahlniederlagen. Das ist ein Unterschied.
                    Nein, Deine genaue Wortwahl war:
                    [Das hat hier wirklich nur der Volkswillen beeinflusst, eben durch seine Macht des Wählens.]
                    Es fand danach eine Wahl statt, an die von den betreffenden Parteien offenbar auch nicht gedacht wurde, sonst wäre es anders gelaufen.
                    Wenn es wäre, wie Du vermutest, wieso ist dann überhaupt jemals eine Partei aus dem Parlament geflogen? Sind die Parteien alle total naiv, oder was?

                    • Ariane 4. März 2020, 12:56

                      Naja, die Wahl war ja in HH und hatte für die Thüringer auch keine direkten Auswirkungen.

                      Und die Parteien kennen den Wählerwillen eben auch nicht, meistens ist er ja auch eher diffus, aber diesmal war er sehr laut und einhellig. Hätten die vorher gewusst oder auch nur gedacht, dass es so einen Aufstand mit Wahlniederlagen und Umfragenverlusten gibt, hätten sie davon wohl eher die Finger gelassen.

                    • Rauschi 4. März 2020, 15:37

                      Hätten die vorher gewusst oder auch nur gedacht, dass es so einen Aufstand mit Wahlniederlagen und Umfragenverlusten gibt, hätten sie davon wohl eher die Finger gelassen.
                      Genau das habe ich schon am 3. März 2020, 10:39 geschrieben:
                      [Deine AussageDas hat hier wirklich nur der Volkswillen beeinflusst, eben durch seine Macht des Wählens.
                      Meine Aussage: Nein, in keiner denkbaren Welt war es das, denn wenn es diese Überlegung gegeben haben sollte, dann ja wohl auch schon, bevor man den Kandidaten aufstellt, newa?
                      Das ist nur dem Medienecho zu verdanken, nichts anderem. ]
                      Dann wär das ja geklärt.

  • popper 2. März 2020, 12:19

    Herr Sasse stellt einen Popanz in den Raum: „Bessere Demokraten“ und arbeitet sich daran ab. Dabei sollte es bei der Hinterfragung demokratischer Strukturen nicht allein um besser, schlechter oder gut, gehen, sondern um eine authentische Beschreibung derselben. Demokratien oder Demokraten als Oberbegriffe taugen dann wenig, wenn man nicht inhaltlich hinterfragt, inwieweit politische Entscheidungen von Instanzen und Akteuren bestimmt werden, die nicht mehr der Kontrolle der Wähler unterliegen. Eine wichtige Frage wäre, ob es sich bei der repräsentativen Demokratie nicht nur um eine Bemäntelung handelt, weil sich herausstellt, dass sie eben nur formal intakt erscheint, und bei näherem Hinsehen erkennbar ist, dass sie ihres demokratischen Kerns fast vollständig beraubt ist, und diese Form der Demokratie für die eigentlichen Zentren der Macht keine Gefahr mehr darstellt.

    Eine zweite Komponente ist die in den letzten Jahrzehnten entstandene neoliberale Extremform eines Kapitalismus, aus dem heraus sich autoritäre kapitalistische Organisationsformen des Staates bemächtigt haben und die verbliebenen Hülsen der repräsentativen Demokratie sich der relevanten Entscheidungsmechanismen in geradezu totalitärer Weise bemächtigt haben. Hier einen Einblick in die strukturellen Bedingungen zu erhalten, wäre wesentlich interessanter, als sich der Intoleranz der Toleranten zu widmen und föderalistische Strukturen zu beschreiben, die jeder nachschlagen kann. Ganz zu schweigen von einer Verfassungstheorie, die in der Frage der Gewaltenteilung auf einer Idee beruht, die sich in der Verfassungswirklichkeit nicht abbildet. Ich hatte dazu ja schon einiges geschrieben. Bin gespannt, wie das hier in den Kommentaren weitergeht.

    • Ariane 2. März 2020, 13:27

      Ich glaube wir haben in diesem Komplex immer zwei, bzw drei Probleme. Das eine ist die Verfassungstheorie und das andere wirklich ganz schnöde Praxis.
      Die USA oder ganz viele andere Verfassungen kennen überhaupt keine Parteien, die tauchen da gar nicht auf. Wurden einfach dazu erfunden, weil Wahlen mit übergeordneten Kategorien wie Parteien in der Praxis leichter sind. Ist hier ja auch so. Wenn eine Kommunalwahl ansteht, muss ich nicht unbedingt nachschauen, was jeder einzelne Kandidat will, sondern kann davon ausgehen, dass zum Beispiel der Kandidat der Grünen eine Pro-Windrad-Einstellung hat.

      Das Problem hab ich auch mit dem Bundesverfassungsgericht. Ich finde es nicht per se undemokratisch, aber ich finde es hat zuviel Macht bei zuwenig Legitimität. Nur: ich wüsste auch keine bessere Lösung. Ich finds eigentlich zu speziell, um Verfassungsrichter unmittelbar per Volksabstimmung wählen zu lassen. Und abschaffen will ich es auch nicht, weil ich schon glaube, wir brauchen noch eine Instanz über dem Parlament.
      Und ich glaub, das meint Stefan mit den besseren Demokraten, wenn ich sagen würde, es wäre erst perfekt demokratisch, wenn wir das Bundesverfassungsgericht abschaffen, wäre ich ein besserer Demokrat TM.
      So grummel ich nur so rum, ohne eine Lösung zu wissen^^

      • popper 3. März 2020, 09:12

        Ich finde es nicht per se undemokratisch, aber ich finde es hat zuviel Macht bei zuwenig Legitimität.

        Dazu zunächst folgender Hinweis: „Allein das selbstverwaltete Bundesverfassungsgericht ist nicht (mehr) in die Exekutive integriert. Nach seiner Konstituierung unterstand selbst dieses Gericht der Aufsicht der Exekutive (des Bundesministers der Justiz). In einer Denkschrift (Jahrbuch des öffentlichen Rechts »JöR« Band 6, 1957, Seiten 144 ff.) forderte das Bundesverfassungsgericht seine organisatorische Unabhängigkeit, einen eigenen Etat und für seine Richter einen besonderen Amtsstatus. Unter großem Druck der Öffentlichkeit wurden diese Forderungen schließlich erfüllt.“ (siehe https://www.gewaltenteilung.de/#1)

        „Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings nicht die im Grundgesetz genannte „rechtsprechende Gewalt“. Es ist keine oberste Rechtsmittelinstanz für die sonstigen Gerichte des Bundes und der Länder und es ist ausschließlich für Spezialaufgaben zuständig (siehe Bundesverfassungsgerichtsgesetz“ (ebenda).

        Wichtig ist, auch hier darauf hinzuweisen, dass gegen die Abkoppelung der Justiz von der Exekutive regelmäßig das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz mobilisiert wird.

        Zu der Frage der Legitimität schreibt K.R. Popper in seinem Buch: „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“:

        „Immer wieder sehen wir die Platonische Frage »Wer soll herrschen?«, sie spielt noch immer eine große Rolle in der politischen Theorie, in der Theorie der Legitimität, und insbesondere in der Theorie der Demokratie. Es wird gesagt, daß eine Regierung das Recht hat zu herrschen, wenn sie legitim ist, das heißt, gemäß den Regeln der Konstitution von einer Mehrheit des Volkes oder seiner Vertreter gewählt wurde. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß Hitler auf legitime Weise an die Macht kam und daß das Ermächtigungsgesetz, das ihn zum Diktator machte, von einer parlamentarischen Mehrheit beschlossen wurde. Das Legitimitätsprinzip reicht nicht hin.“

        Auch Paulus van Husen – Präsident des Verfassungsgerichtshofes und des Oberverwaltungsgerichts für Nordrhein-Westfalen – führte aus eigener Erfahrung zu der Macht der Regierung über die Richter aus:

        „Das Grundübel liegt in der Richterernennung durch die Exekutive. Zunächst besteht die häufig verwirklichte Gefahr, daß für das Richteramt ungeeignete Personen aus sachfremden Gründen, die der Exekutive nützlich erscheinen, ernannt werden. Wie soll ein Richter unabhängig sein, der sein ganzes Leben lang hinsichtlich der Beförderung in Aufrückestellen von der Exekutive abhängt. Nicht jeder Mensch ist zum Märtyrer für eine Idee geboren, andererseits hat aber jeder Mensch die Pflicht, für seine Familie und sein eigenes Fortkommen zu sorgen. Die richterliche Unabhängigkeit ist eine verlogene Angelegenheit, so lange dies System besteht. ( …. ) Ein ganz böses Kapitel ist die sogenannte Dienstaufsicht der Exekutive, die tausend Hände hat, um den Richter abhängig zu machen und die Rechtsprechung zu beeinflussen“

        • Ariane 3. März 2020, 11:43

          Danke für die Ausführungen. Ich weiß allerdings nicht genau, worauf du hinauswillst. Die Richter werden doch auch durch die Legislative bestimmt?

          • popper 3. März 2020, 13:40

            Die Richter werden doch auch durch die Legislative bestimmt

            Ja? Dem wage ich zu widersprechen. Die Aufgabe der Legislative ist die Gesetzgebung, das heißt, die Verabschiedung und Beratung von Gesetzen im inhaltlichen und formellen Sinn. Sie bestimmt keine Richter.

            Die Exekutive ist Teil der Regierung, die alleinige Autorität und Verantwortung für die tägliche Verwaltung des Staates hat.

            In Deutschland entscheiden zu Ministern (Bund, Länder) ernannte Politiker und die ihren Weisungen unterstellten Beamten über die Auswahl, die Anstellung, die Benotung in Dienstzeugnissen und die Beförderung von Richtern. Sie allein haben die Personalhoheit. Daran sieht man auch, dass schon aufgrund einer sogenannten Belohnungsstruktur nicht unabhängig sind. Sie sind insoweit Teil der Exekutive. Das bedeutet, in Deutschland ist die Judikative in die Exekutive integriert. Also keine Gewaltenteilung.

            Im Übrigen Sozialpsychologe Stanley Milgram schreibt über den Zusammenhang von Hierarchie, Beförderung und Machterhalt:

            „Im gesamten Verlauf der Konfrontation mit Autorität trifft der Mensch ständig auf eine Belohnungsstruktur; in der die Nachgiebigkeit gegenüber der Autorität im allgemeinen belohnt wird, während die Verweigerung der Unterordnung in den meisten Fällen bestraft wird. Obgleich es viele Arten gibt, Belohnung für pflichtgemäße Unterordnung zuzumessen, ist doch die genialste die folgende: Das Individuum darf in der Hierarchie eine Stufe höher steigen, wobei zugleich der einzelne motiviert und das System in seiner Struktur bestärkt und fortgesetzt wird. Diese Art von Belohnung – »Beförderung« – enthält eine tiefe emotionale Befriedigung des Individuums; ihr Hauptcharakteristikum ist jedoch, dass sie die Kontinuität der hierarchischen Form sichert.“ Ich weise hier auch deshalb darauf hin, weil im Blog immer so legalistisch auf die verfassungsgemäße Unabhängigkeit der Richter verwiesen wird.

            • Stefan Sasse 3. März 2020, 14:39

              Ich denke das bezog sich auf das BVerfG.

              • popper 3. März 2020, 19:18

                Ja, das stimmt, Bundestag und Bundesrat wählen die Verfassungsrichter und sind Vertreter der Legislative, da habe ich wohl den Sachgegenstand aus dem Blick verloren.

                • Stefan Sasse 3. März 2020, 19:44

                  Kein Thema, war auch nicht genau genug formuliert glaube ich.

    • Stefan Sasse 2. März 2020, 13:40

      Ich schaue sehr genau hin und erkenne eben dies nicht. Das ist ja genau mein Thema.

      Ist definitiv ein Problem, wenngleich ich deine Analysekategorien nur bedingt teile.

    • CitizenK 2. März 2020, 19:14

      Dein (oder bestehen Sie auf dem „Sie“?) ist allerdings noch größer:

      „der relevanten Entscheidungsmechanismen in geradezu totalitärer Weise bemächtigt haben.“ Das hätte ich dann doch etwas näher erklärt.

      Die deutschen Bundeskanzler waren – im Vergleich zu anderen, auch den Mutter-Demokratien – Menschen aus dem Volk. Sie kamen nicht von Eliteschmieden, hatten keine Milliarden und wohnten nicht in Villen oder Palästen, sondern in Reihenhäusern oder Eigentumswohnungen. Bis auf Schröder (und der auch nach der Amtszeit) ist keiner (vor allem keine) den Verlockungen des großen Geldes erlegen.

      Auch das ist Verfassungs-Wirklichkeit. Noch kann man sich bei uns die Macht nicht kaufen. Großspenden der Quandt-Erben, Flick- und CumCum-Affären sind grobe unschöne Flecken im Bild, ja, rechtfertigen aber nicht dieses Pauschal-Urteil.

      • Stefan Sasse 2. März 2020, 19:41

        Danke!

      • Ariane 2. März 2020, 22:37

        Genau! Ich glaube, es würde in Deutschland auch nicht funktionieren, könnte mir nicht vorstellen, dass dieser Hohenzollern-Preußen-Erbe wirklich eine Chance hätte, ins Parlament gewählt zu werden.

      • popper 3. März 2020, 11:45

        Wir können uns zukünftig gerne duzen. Deinen Einwand „der relevanten Entscheidungsmechanismen in geradezu totalitärer Weise bemächtigt haben.“ Das hätte ich dann doch etwas näher erklärt. möchte ich gerne so beantworten:

        Es geht mir dabei nicht sosehr um die formalen Entscheidungsmechanismen, sondern die ihr vorgelagerten Einflüssen und Einflussnahmen, die man gelegentlich auch als „Tiefer Staat“ bezeichnet. Ich denke, es liegt doch auf der Hand. So ziemlich alle gesellschaftlichen Bereiche sind heute durchdrungen von der sogenannten Selbstregulierung des Marktes. Und ich sehe keine neuzeitliche Ideologie, die den Markt zum alles bestimmenden Demiurgen erklärt, als den Neoliberalismus. Angefangen in unseren Schulen und Universitäten, wo mit Pisa und Bologna Kontrollinstanzen installiert wurden, die unser Bildungssystem herausdrängen aus den originären menschlichen Bedürfnissen neugierig und autonom zu sein, den Wunsch zu haben, Dinge zu verstehen oder methodologisch betrachtet, das Lernen lernen. Ohne ein Curriculum, das dem kontraproduktiv entgegenwirkt.

        Stattdessen wird unser gesamtes Bildungssystem ökonomischen Kategorien unterworfen, dessen Aufgabe allein darin besteht, marktkonformes Humankapital zu erzeugen. Studierende werden fit gemacht, ihre Fremdverwertbarkeitskompetenz zu optimieren. Die persönliche Freiheit bezieht sich einzig und allein darauf, sich den Kräften des freien Marktes zu unterwerfen. Ich könnte das hier weiter fortführen, die Erkenntnis bleibt, dass der Neoliberalismus einen pervertierten Freiheitsbegriff kreiert hat, der den Menschen psychisch deformiert. Nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse sind verantwortlich, sondern allein das persönliche Versagen, die mangelnde Resilienz, wie man es heute in jeder Karrierebibel nachlesen kann.

        Das setzt sich fort in der Wirtschaft, Politik, aber auch bei unseren höchsten Verfassungsorganen. Schaut man sich an, welche Volkswirtschaftslehren an deutschen Universitäten unterrichtet werden (Lehrstühle), dann dominiert nach wie vor die Neoklassik. In der Geldtheorie der neoliberale Monetarismus. Politiker schließen millionenschwere Beraterverträge, forcieren ÖPPs, die dem neoliberalen Vorteil vor staatlicher Verantwortung und Daseinsvorsorge das Wort reden. Die Hartz-Gesetze, die Renten- und Arbeitsmarktreformen tragen das Siegel neoliberaler Infiltration. Selbs das BVerfG musste über geldpolitische Fragen entscheiden und tat es auf der Grundlage neoliberaler Einflüsterer (Sachverständige), was natürlicher einer eingehenderen Analyse bedürfte, aber auf die ich hier nicht weiter einsteigen möchte. Es zeigt mir zumindest, dass, wenn Ökonomie auf Jura trifft, noch rein gar nichts gewonnen ist, weil in dem Falle Juristen auf Sachverstand angewiesen sind, der sich außerhalb ihrer Profession befindet und damit auf das zurückgeworfen werden, was ihre Kollegen in die politischen Verträge der EWU hineingeschrieben haben, die aber nur ökonomisch zu lösen sind. Da hilft dann das sich Beziehen auf Paragraphen nicht weiter, sondern verschlimmbessert das Ganze nur noch. Was nicht zuletzt am rasanten Niedergang der EWU immer mehr erkennbar wurde. Weil man die Probleme mit Mitteln bekämpfen will, die deren Ursache sind.

        • CitizenK 3. März 2020, 16:26

          Die Kritik an der Ökonomisierung fast aller Lebensbereiche teile ich (wie meine Beiträge, glaube ich, zeigen), ebenso wie an der neoliberalen Ausrichtung der „Volkswirtschaftslehre“ und der langjährigen Beweihräucherung in den Medien .

          Aber: Zu den „originären Bedürfnissen“ junger Menschen gehört nun mal auch, für einen Beruf ausgebildet zu werden. Das ist die Grundlage des Lebensentwurfs für den Normalbürger (nicht für den Künstler, den Rebell, den Aussteiger, aber um die geht es hier nicht).
          Dies sollte man nicht als perfide „Femdverwertungskompetenz“ abwerten. Ich kenne die Verhältnisse noch aus der Zeit vor der Übernahme des neoliberalen Zeitgeistes. Auch in den 70ern war die Vorbereitung auf einen (am besten erfüllenden und gut bezahlten) Beruf ein originäres Bedürfnis .

          Wenn die Gesellschaft sich von Friedman mehr verspricht als von Keynes und entsprechend wählt, ist das eine Form der Legitimation für diese Politik. Und das ist ja das Thema hier.

          Das Ergebnis gefällt uns nicht. Aber wir können das nur mit demokratischen Mitteln ändern. Und sollten die Kirche im Dorf lassen: Von US-amerikanischen (oder russischen oder brasilianischen Verhältnissen sind wir weit entfernt).

          • popper 4. März 2020, 12:47

            Zu den „originären Bedürfnissen“ junger Menschen gehört nun mal auch, für einen Beruf ausgebildet zu werden.

            Ich habe einen Beruf erlernt und in den siebziger Jahren studiert. Die berufliche Ausbildung war damals Aufgabe der Unternehme, das sollte heute auch noch sein. Nicht die Schule. Ich weiß jetzt nicht so recht, was an dem Wort:„Femdverwertungskompetenz“ perfide sein soll, wenn ich damit meine, dass unsere Schulen heute kleine Ich-AGs heranbilden, was mitunter schon im Kindergarten beginnt. Am Ende kommen fragmentierte Kompetenzbündel heraus. Bereits das Wort Kompetenz, ist neoliberal. Weil es nicht mehr um die Person geht, sondern seine Kompetenz. Dadurch geschieht eine Auflösung des Kerns des Ichs, eventuelle persönliche Ansprüche der Person werden ausgeschaltet.

            Wenn die Gesellschaft sich von Friedman mehr verspricht als von Keynes und entsprechend wählt, ist das eine Form der Legitimation für diese Politik. Und das ist ja das Thema hier.

            Die Gesellschaft entscheidet sich für Friedman oder Keynes? Das halte ich für eine ziemlich steile These. Wenn eine bestimmte Politik zusammen mit Wirtschaftsverbänden (z.B. INSM) Menschen seit jetzt schon fünfzig Jahre mit neoliberalen Sprüchen füttert und Medien verstärkend daran mitwirken, Menschen einzureden, es gäbe dazu keine Alternative, muss sich niemand wundern, wenn die Gesellschaft einen kollegialen homo oeconomicus hervorgebracht hat, der heute diese Funktionalitäten total verinnerlicht und akzeptiert.

            Dasselbe passiert, wenn den Leuten eingeredet wird, die Notwendigkeit des Sparens sei die Voraussetzung für Investition, oder fürs Alter zu sparen sei wegen des demografischen Faktors unabdingbar, unabhängig davon, dass Politiker genau die Voraussetzungen geschaffen haben, dass die Renten vieler Menschen nicht mehr das Existenzminimum sichern, geschweige den auskömmlich sind. Dann folgt hieraus keineswegs, die Gesellschaft hätte sich dafür entschieden und diesen Weg legitimiert. Es war vielmehr die Politik, sie hat mit Gesetzesänderungen und „Reformen“, Menschen in diese Verhältnisse hineingezwungen. Und die dann seit Jahren überhaupt nicht mehr wählen gehen. Die anderen, die davon profitieren, gehen wählen und sodass man kann dann vom Ergebnis her behaupten kann, dies sei eine eindeutige Legitimation für die neoliberale Politik, obwohl sie nach wie vor eine Mehrheit der Menschen ablehnt.

            Und, bitte, die Tatsache, dass wir von Verhältnissen in anderen Ländern noch weit entfernt sind, ist doch kein Argument das die Zustände bei uns rechtfertigt. Die Verhältnisse in den USA, Brasilien und Russland sind überhaupt nicht vergleichbar. Ich habe einen russischen Kollegen, der sich immer schief lacht, wenn er hört, was über Russland bei uns für Schauermärchen erzählt werden, nur um opportunistisch den Konfrontationskurs zu halten. Das fängt an mit: Russland ist grundsätzlich der Aggressor, hat ja angeblich die Krim annektiert und in Syrien den Krieg begonnen, nur, Tatsache ist, die Werte-Guten führen völkerrechtswidrige Kriege, morden mit Drohnen oder beteiligen sich daran oder leisten sich Schauprozesse, wie derzeit in England. Und das alles ergibt sich aus der Legitimation durch Wahlen? Bestimmt nicht.

  • Ariane 2. März 2020, 13:00

    Vielen Dank für den Artikel. Hab mir wegen Thüringen und einiger Diskussionen sowas gewünscht, um nochmal schnell nachschauen zu können. Ist auch überhaupt ein spannendes Thema find ich, auch in anderen Ländern. GB find ich da immer total undurchsichtig, die haben ja nicht mal eine „richtige“ Verfassung. Weiß ich nicht genau, aber wirkt immer so, als wenn sie da noch Kram aus der Magna Charta heranziehen, um zu „beweisen“, dass der König keine Leute mehr enthaupten darf oder so.

    Ich hätte dazu zwei konkrete Fragen:
    1. Sind Obdachlose wirklich gesetzlich von Wahlen ausgeschlossen? Gibt natürlich praktische Probleme wegen Einwohnermeldeverzeichnis und Wahlbenachrichtigung, aber spontan wäre ich davon ausgegangen, dass ein Obdachloser die Teilnahme irgendwie einklagen könnte. Und der Staat dann eben einen anderen Weg finden muss, ihm sein Grundrecht zu gewähren.

    2. Was mich in Thüringen und auch hier im Text erstaunt, ist dass Leute in oberste Ämter gewählt werden können, die gar nicht im jeweiligen Parlament sitzen. Ein Amthor oder auch Kemmerich sind zwar ungewöhnlich, aber wurden zumindest in das richtige Parlament gewählt, haben nach meiner Definition also genug Legitimität. Fände ich bei Lieberknecht schon schwierig. Aber was wäre denn zb mit jemandem wie Joachim Gauck? Meines Wissens hat der sich überhaupt noch nie irgendeiner unmittelbaren Wahl gestellt und saß zb in einem Parlament.

    Wenn er nun plötzlich vom Parlament die Regierungsgeschäfte übertragen bekäme, würde ich auch zum besseren Demokraten werden und protestieren. Außer jetzt der Lieberknecht (die zumindest früher unmittelbar gewählt wurde) fiele mir allerdings auch kein Beispiel ein. Gibt es da welche?

    Ich bin ja schon immer unglücklich, dass das Bundesverfassungsgericht so wahnsinnig viel Macht hat, ohne dass die Richter irgendwie wirklich gewählt werden. Meines Wissens werden die nicht mal direkt vom Parlament gewählt, sondern nach Mehrheitsverhältnissen ernannt oder so ähnlich. Find ich für diese extreme Macht, die sie haben, eigentlich schon zuwenig (ohne spontan eine bessere Lösung parat zu haben allerdings).

    • TBeermann 2. März 2020, 13:21

      Ich war in den letzten Jahren eher immer wieder froh darüber, dass das Bundesverfassungsgericht so viel Macht hat und so immer wieder als Korrektiv wirken kann.

      • Stefan Sasse 2. März 2020, 13:44

        Das sind funktionierende Normen. Wir akzeptieren das Wort des BVerfG. Hüte dich vor dem Moment, in dem diese Norm bricht. Schau mal nach Ungarn oder Polen. Glaubst du, die AfD ließe sich von einem Papier aus Karlsruhe abhalten? Verwechsle Normen nicht mit Macht.

        • Ariane 2. März 2020, 14:04

          Ich glaube, es braucht nicht mal Horrorvisionen dafür. Hartz-IV-Sanktionen und auch das Sterbehilfe-Urteil haben die Richter direkt aus der Menschenwürde abgeleitet, da kann das Parlament im Notfall nicht mal mehr einfach die Verfassung ändern.

          Das führt meiner Meinung nach jetzt schon dazu, dass das Parlament quasi gezwungen ist, mit einem erweiterten Gesetz zu Hartz-IV (also einer arg kleinteiligen Entscheidung) gegen die Menschenwürde zu verstoßen – oder sie schmeißen alles weg.
          Das bekommen die Politiker natürlich immer irgendwie hingewurschtelt (Ausdehnung der Verfassung!^^), aber wenn die Richter so weitermachen und jeden Kleinkram mit der Menschenwürde begründen, kommen wir auch irgendwann an den Punkt, dass wir da richtige Gesetzesregeln brauchen, wie zb „Verfassungsrichter dürfen für diesdas nicht mehr mit der Menschenwürde kommen“ und das wäre sauschwer.

          • Stefan Sasse 2. März 2020, 14:16

            Ich meine was anderes. Stell dir vor, ein AfD-Minister macht etwas, das er einfach formal nicht darf. Sagen wir, ein AfD-Innenminister setzt die Bundeswehr gegen Antifa-Demonstranten ein. Das BVerfG sagt „nein, darfst du nicht“. Und er macht es trotzdem. Was jetzt?

            • Ariane 2. März 2020, 14:27

              Stimmt.
              Ich finde, bei Normen gibt es eine Verschiebung von Legitimität hin zu Vertrauen.
              Wenn ich nicht darauf vertrauen würde, dass in so einem Fall Kanzlerin, Bundeswehrkommandant oder die anderen Akteure eingreifen würden, müsste ich sofort vorsorglich Koffer packen.

              Bei Helmut Schmidt damals wurde das meines Wissens im Nachhinein legitimiert, weil er die Bundeswehr zur Hochwasser-Rettung eingesetzt hat und damit auch gegen die Verfassung verstoßen hat. Und die haben dann auch ein richtiges Gesetz dazu gemacht.
              Bei Bundeswehr gegen Demonstranten wäre alles im Nachhinein irgendwie zu spät.

              • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:11

                Korrekt, Helmut Schmidt nahm es mit der Verfassung da nicht so genau. ^^

                • Dennis 2. März 2020, 20:33

                  Na ja, wie das immer so ist in politicis hat er diese Geschichte zwecks Legendenbildung etwas überhöht.
                  Kann man ihm ja nicht vorwerfen. Er hat ja nichts falsch gemacht und auch hernach nichts grob verfälscht, nur halt’n bissle dick aufgetragen, danach. Das Volk will halt einen Helden, auch das gehört zur hier besprochenen Volkssouveränität^^

                  https://www.zeit.de/2018/30/helmut-schmidt-hamburg-retter-flut-1962

                  • Ariane 2. März 2020, 22:40

                    Danke! naja, er war halt auch Politiker, finde es da immer ein bisschen wohlfeil, ihm vorzuwerfen, daraus politischen Profit zu ziehen.

                    Aber ist auch ein Grund, warum ich es sorum besser finde als vorab zig Notstandsgesetze zu verfassen. Wenn es eindeutig um Rettung von Menschenleben geht, helfen die Normen dabei, so etwas zu ermöglichen.

            • CitizenK 2. März 2020, 22:11

              Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt. Die Soldaten dürften bzw. müssten den Befehl verweigern. Aber für die praktische Situation ist das bedeutungslos.

              „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ (Carl Schmitt). Nach dem GG ist das der Bundestag bzw. das Notparlament, der Gemeinsame Ausschuss. Aber wenn auch deren Entscheidungen missachtet werden, gibt es kein Halten.

              • Stefan Sasse 2. März 2020, 22:17

                Exakt. Zu glauben, das BVerfG werde uns im Zweifel schützen, ist naiv.

                • Ariane 3. März 2020, 01:44

                  Auf jeden Fall, mein Vertrauen ist da sowieso arg gering.
                  Allerdings wäre es in diesem Fall auch eine Frage der Exekutivmacht. In so einem Notfall (Afd-Minister dreht durch und will auf Demonstranten schießen lassen) würde ich eher auf Kanzler/Ministerpräsident gucken, die ihn halt notfalls erstmal festnehmen lassen. Oder eben auf den Bundeswehrkommandanten, der ihn am besten auch vorsorglich festnimmt, damit er nicht den nächsten fragt^^

                  Das BVerfG kann dann hinterher das Chaos aufräumen und darüber sinnieren, wer wann die Verfassung gebrochen hat oder nicht. Ich würde es zwar ungerecht finden, aber trotzdem erwarten, dass zb die Kanzlerin dann die Konsequenzen trägt und zurücktritt, wenn das Urteil negativ auffällt, um ihren Notfall-Verfassungsbruch eben zu „reparieren“ und die Normen wieder herzustellen.

                  Das hast du bestimmt auch schon mal schlau aufgeschrieben, aber erst wenn sämtliche Kontrollinstanzen gleichgültig oder hilflos die Achseln zucken, ist der totale Zusammenbruch da. Dann geht wirklich alles zum Teufel.

                  Wie in den USA, die haben mit dem Impeachment die extremste Karte gezogen, die sie haben und es ist im Endeffekt alles scheißegal. Letzte Hoffnung (mit Glück!) ist die Abwahl von Trump und „Normenreparatur“ durch die Demokraten.

                  • Stefan Sasse 3. März 2020, 06:43

                    Habe ich tatsächlich glaube ich bisher nicht aufgeschrieben. Ich denk mal drüber nach, ob das noch rein muss.

                    • Ariane 3. März 2020, 20:48

                      Also für Deutschland ist das ja eine Extremsituation. Da sind wir Gott sei Dank noch nicht.

                      Aber bzgl der USA kam mir schon mehrmals der Gedanke, dass die Democrats am Ende der völlig demokratischen Fahnenstange angekommen sind.
                      Und selbst wenn sie die Wahl haushoch gewinnen, frage ich mich manchmal, ob sie das alles reparieren können, ich glaub nur ein anderer Präsident reicht da gar nicht.

              • Ariane 2. März 2020, 22:51

                Ich hab eine ähnliche Frage mal mit einigen Soldaten diskutiert. Da gings allerdings um eine 9/11-Situation, also dass zb der Befehl ergehen könnte, ein volles Flugzeug abzuschießen.

                Und die sagten sehr einhellig, dass sie eben auch darauf angewiesen sind, dass an jeder einzelnen Schaltstelle der Macht vernünftige Leute sitzen. Die sind ja komplett auf ihr eigenes Gewissen zurückgeworfen, ohne Möglichkeit die Entscheidungswege nachzuvollziehen oder mal fix in der Verfassung nachzuschlagen.
                Nach dem Gespräch war ich auf jeden Fall von jeder Idee kuriert, Knallköpfe wie Trump irgendwohin zu wählen.

          • Stefan Pietsch 2. März 2020, 14:20

            Die Menschenwürde ist die sogenannte Generalnorm. Eine solche kennen wir aus vielen Gesetzen. Die Generalnorm ist die Klammer, was in den Grenzrechten nicht einzeln zu regeln ist.

            • Ariane 2. März 2020, 14:58

              Ja, das ist ja auch vollkommen richtig.

              Ich finde aber, es ist ein Unterschied, wenn sich Herr Voßkuhle als oberster Richter hinstellt und aus der Menschenwürde einfach ein Grundrecht auf sanktionsfreies Hartz-IV und Grundrecht auf Selbsttötung ableitet.

              Ich fand das merkwürdig und hab die Zusammenfassungen und Interviews dazu gelesen und genau so macht er das. Das wird ja irgendwann auch nur noch absurd. Man hat ja kein von Gott gegebenes Recht auf sanktionsfreies Hartz-IV, sondern nur ein Anrecht, wenn man bestimmte Bedingungen erfüllt. Das ist ein mordsmäßiger Unterschied.

              Und auch unfair dem Parlament gegenüber, die Gesetze schneidern müssen und jetzt vor Problemen stehen, weil der „Oberboss“ ganz neue Grundrechte in den Raum stellt. Die sie theoretisch laut Verfassung und Norm eigentlich gar nicht überschreiten dürfen.
              Das kann/darf er natürlich machen, aber die praktische Arbeit wird damit irgendwann behindert, wenn er neue Grundrechte „erfindet“. Da stößt man ja irgendwann an Grenzen, könnte morgen schon ein Grundrecht auf „unlimitiertes Rasen“ geben und dann fragen wir uns plötzlich, ob jedes Tempolimit gegen die Verfassung verstößt.

              • Stefan Pietsch 2. März 2020, 15:13

                Es ist durchaus im Sinne des Rechtsstaates, dass Normen Interpretationsspielraum – Auslegung, Ermessen – lassen. Dazu gibt der Gesetzgeber den Rechtsnormen noch Erläuterungen bei, um klarzumachen, was man sich dabei gedacht hat und wie die Dinge zu sehen sind.

                Richter haben den Willen des Gesetzgebers herauszufinden. Legen Gerichte wiederholt Gesetze anders als gewollt aus oder bleibt zu große Unsicherheit, so spezifiziert der Gesetzgeber sein Anliegen. Bei der Verfassung ist das naturgemäß schwerer. Aber auch hier gibt es Klarstellungen wie bei dem später eingefügten Artikel 16a Grundgesetz, der den Rechtsanspruch auf Asyl spezifiziert.

                • Ariane 2. März 2020, 15:50

                  Ja, hast du recht. Aber ich finde schon, das ist ein Grenzbereich und dass Voßkuhle strenggenommen die Normen schon sehr ausreizt, wenn er plötzlich teilweise absurde Grundrechte „dazudichtet“.

                  In der wirklichen Praxis geht das vermutlich problemlos weiter, weil das Parlament was zusammenwurschtelt, das wieder beim BverfG landet und irgendwer gibt dann auf und winkt das so durch. Aber wie immer bei Normen, wir sind plötzlich darauf angewiesen, dass das Parlament sich an die alten Normen hält und nicht einfach ein Grundrecht auf sanktionsfreies H-IV und Selbsttötung und freies Rasen in ein Gesetz gießt.
                  Sonst bricht irgendwann ja auch wieder alles zusammen.

                  • Stefan Pietsch 2. März 2020, 16:00

                    Das tun oberste Richter ja üblicherweise. Sie bleiben in einer Rechtstradition. In den Neunzigerjahren testete die Politik aus, inwieweit das Grundgesetz Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr ermöglicht. Die regelmäßige Antwort aus Karlsruhe: das sind praktisch ausschließlich politische Fragen, die sich der juristischen Interpretation entziehen. Die Einzige nennenswerte Bedingung: das Parlament entscheidet, nicht die Exekutive.

                    Bei der Homoehe waren die Verhältnisse ein bisschen angepasst. Der Gesetzgeber hatte 20 Jahre zuvor einen Wechsel vollzogen und erklärt, dass auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften unter die Kriterien des Grundrechts auf Ehe und Familie fallen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann die Rechtsprechung die Neudefinition übernimmt. Die Entscheidung Karlsruhes war daher konsequent, auch wenn sie mir in dem Punkt natürlich nicht besonders gefiel. Aber das muss es ja auch nicht.

                    Bei den Hartz-IV-Sanktionen hat das oberste Gericht dem Gesetzgeber weiterhin großen Ermessensspielraum gelassen. Er darf ein Drittel sanktionieren. Aber auch Sozialhilfeempfänger sind dem nicht hilflos ausgeliefert. So ist eine Sanktion sofort zu beenden, wenn der Bedürftige die Bedingungen erfüllt. Ein einmal getroffener Verwaltungsbeschluss ist dann zu revidieren.

                    • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:16

                      Was übrigens eine ziemlich krasse Bedingung ist, die in der westlichen Welt praktisch einzigartig ist.

                    • Stefan Pietsch 2. März 2020, 16:23

                      Dass ein einmal ergangener Verwaltungsbeschluss revidiert werden kann? So selten ist das nun auch nicht.

                    • Ariane 2. März 2020, 16:29

                      Ich glaub, damit ist die Entscheidung für die „Parlamentsarmee“ gemeint.
                      In den USA kann der Präsident das ja ziemlich alleine entscheiden, zumindest schnelle Maßnahmen.

                    • Stefan Pietsch 2. März 2020, 16:31

                      Das ist in den meisten Ländern so, dass die Exekutive über den Einsatz der Armee entscheidet.

                    • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:41

                      Meine ich ja.

              • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:13

                Und ziehen die ganze Legitimität des BVErfG in Frage. Das erleben wir gerade beim Supreme Court in den USA.

              • TBeermann 2. März 2020, 16:20

                Man hat ja kein von Gott gegebenes Recht auf sanktionsfreies Hartz-IV, sondern nur ein Anrecht, wenn man bestimmte Bedingungen erfüllt. Das ist ein mordsmäßiger Unterschied.

                Das wäre eben die Frage. Wenn das Grundgesetz mit Artikel 1.1 und Artikel 20.1 einen Mindeststandard vorgibt, das ALG II gleichzeitig von der Politik als Erfüllung dieses Mindeststandards (und nicht mehr) definiert wird, dann kann man durchaus der Meinung sein, dass jede Kürzung gegen die Vorgabe des Grundgesetzes verstößt.

                • Ariane 2. März 2020, 16:27

                  Ja eben. Ich finde, es würde dann sogar viel weiter gehen, wenn das Parlament als Gesetzgeber einfach seiner „Grundrechtableitung“ blind folgt.

                  Dann wäre selbst ein Antrag nicht mehr legitim. Menschenwürde und Grundrechte hat jeder einfach so, von Geburt an. Es wäre schon grundgesetzwidrig, wenn wir unsere Meinungsfreiheit beantragen müssten. Dann hätte jemand nämlich – wie bei H-IV – auch die Möglichkeit, das einfach abzulehnen, weil zb Bedingungen nicht erfüllt sind.

                  Das ist natürlich eine ziemlich absurde Diskussion, ich finds einfach unnötig, immer dieses Grundrecht-Fass aufzumachen. Würde mich als Parlamentarier ziemlich ärgern, wenn ich aus diesen Widersprüchlichkeiten neue Gesetze schneidern müsste.

                  • TBeermann 2. März 2020, 16:38

                    Das ergibt jetzt nicht wirklich Sinn, finde ich. Das bedeutet ja nicht, dass man diese Leistungen automatisch vom Staat erhält, sondern nur dass der Staat einspringt, wenn man diesen Mindeststandard nicht anderweitig erreicht.

                    • Ariane 2. März 2020, 17:01

                      Naja, ich finde er macht hier einen Interpretationsspielraum auf, der gar nicht nötig wäre.

                      Natürlich findet das Parlament da praktikable Lösungen und die Urteilsbegründungen sind immer ewig lang.
                      Aber zb bei Sterbehilfe hatte der Spiegel ein Interview, wo Voßkuhle selbst von einem Grundrecht auf Selbsttötung und sogar Grundrecht auf Sterbehilfe spricht.

                      Das ist nicht verboten, aber ich finde es einfach fahrlässig, wenn der „oberste Gralshüter“ plötzlich ganz neue Grundrechte in den Raum stellt. Und gerade er sollte ja den Unterschied zwischen Grundrecht und ganz normalem Recht kennen.

                    • TBeermann 2. März 2020, 17:25

                      Ich komme da eher aus der anderen Richtung. Mit welchem Recht sollte jemand einem Menschen verbieten können, sein Leben zu beenden?

                      Und wenn ich dieses Recht nicht sehe, muss ich es ihm auch erlauben, sein Leben in einer kontrollierten Form zu beenden, die ihn und sein Umfeld so wenig wie möglich beeinträchtigt,

                    • Rauschi 3. März 2020, 11:44

                      Und wenn ich dieses Recht nicht sehe, muss ich es ihm auch erlauben, sein Leben in einer kontrollierten Form zu beenden, die ihn und sein Umfeld so wenig wie möglich beeinträchtigt.
                      Sehe ich auch so, volle Zustimmung.

          • Rauschi 3. März 2020, 11:42

            Das führt meiner Meinung nach jetzt schon dazu, dass das Parlament quasi gezwungen ist, mit einem erweiterten Gesetz zu Hartz-IV (also einer arg kleinteiligen Entscheidung) gegen die Menschenwürde zu verstoßen – oder sie schmeißen alles weg.
            Nein, absolut nicht, das gibt das Urteil überhhaupt nicht her.

            Was mich allerdings noch mehr wundert, das Du eigentlich forderst, das ein Parlament Gesetze machen könne soll, die auch gegen die Verfassung verstossen. Oder was die Kritik?
            Darf ich denn nicht erwarten, das die erst gar keine gesetze machen, die eben gegen den Gedanken des GG verstossen?

            Wo kämen wird denn hin, wenn alles auch auf Paragraph 1 ausgerichtet werden muss? Irrsinn, keine Frage.

            • Ariane 3. März 2020, 12:21

              Naja, ich finde die Richter widersprechen sich da sogar schon selbst. Erst leiten sie zb ein Grundrecht auf Selbsttötung ab und müssen dann drei Absätze weiter plötzlich extra betonen, dass sie dem Gesetzgeber keine Suizidhilfe verbieten wollen.

              Das wäre ja noch schöner! Aber wenn sie am Anfang nicht so weit gehen, müssten sie das eben gar nicht erst wieder betonen.
              Bei Hartz-IV war es ähnlich, erst erzählen sie von Menschenwürde und irgendwo ganz am Ende erlauben sie (unter bestimmten Bedingungen) dann plötzlich sogar 100%-Sanktionen. Ich bin ja keine Verfassungsrechtlerin, aber das widerspricht meiner Logik. Entweder verstoßen Sanktionen gegen die Menschenwürde oder eben nicht. Aber wenn man die Menschenwürde mit hineinbringt, kann man nicht mal so und mal so sagen, weil die nun mal das wichtigste überhaupt ist.

              Ich will das Gericht ja auch gar nicht abschaffen. Ich hätte auch überhaupt kein Problem, wenn sie gesagt hätten „in dieser Form verstößt das Gesetz gegen die Menschenwürde, macht das mal besser und beachtet diesdas und jenes“. Das kommt in der Praxis natürlich auch heraus.
              Aber mit abgeleiteten neuen Grundrechten zwingt das Gericht das Parlament dazu, gegen die Kernaussagen des eigenen Richterspruchs zu verstoßen und irgendwann hört dann niemand mehr auf den anderen und alle machen, was sie wollen.

              • Rauschi 3. März 2020, 17:21

                Aber mit abgeleiteten neuen Grundrechten zwingt das Gericht das Parlament dazu, gegen die Kernaussagen des eigenen Richterspruchs zu verstoßen und irgendwann hört dann niemand mehr auf den anderen und alle machen, was sie wollen.
                Das sind doch keine neuen Grundrechte und ich finde das Urteil auch unlogisch. Da wird aber ganz eindeutig die politische Ausrichtung der Gerichtes sichtbar. Weil denen eben klar war, was eine Totalabschaffung der Sanktionen bedeuten wurden, machen die solche Verrenkungen. Die weitgehende Abschaffung muss ja auch begründet werden und da die Kläger genau die Menschenwürde angeführt haben, konnte die sich ja nicht was ganz neues aus den Fingern saugen.

                Das Parlament kann das einfach machen, die Vorgaben umsetzen, Sanktionen nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen. Das Urteil gilt im Ürigen auch nur für den Fall der Arbeitsverweigerung. Die meisten werden aber auf Grund von Meldeversäumnissen verhängt und sind damit davon gar nicht berrührt. Nur mal am Rande.

        • CitizenK 4. März 2020, 05:09

          Was aber, wenn die Mehrheit der Wähler keine liberale Demokratie mehr will wie in Ungarn? Orban erfüllt die Kriterien für demokratische Legitimation. Da bleibt nur zu sagen: wir wollen das nicht.

          • Stefan Sasse 4. März 2020, 08:15

            Deswegen ist die blinde Vergötterung der Mehrheitsentscheidung auch ebenso ein Fehler wie das absolute Vertrauen in Plebiszite.

            • CitizenK 4. März 2020, 09:18

              Deshalb ja auch die „Ewigkeitsgarantie“ in Art. 79.3 GG und den Minderheitenschutz der Grundrechte.

              Bisher war ich mir sicher, dass dieser „Backstop“ halten würde. Inzwischen nicht mehr so ganz. Wenn, wie in Deinem Fall, ein Politiker einfach dagegen verstößt und er (mit Verweis auf Umfragen) auch mögliche Eilentscheidungen der Gerichte ignoriert? Werden ihm verfassungstreue Mitarbeiter die Gefolgschaft aufkündigen – oder mit Rücksicht auf ihre Karriere oder ihre Familie einknicken? Aus USA und GB kommen da ungute Vorzeichen.

              Unwirklich das alles? Aber warum ist dann Höcke immer noch Beamter? Müssen wir auf die „Straße“ hoffen, wie immerhin jetzt noch in Thüringen?

              • Stefan Sasse 4. März 2020, 10:21

                Verfassungen sind am Ende des Tages immer Papier. Ihre Macht kommt daher, dass Leute sich dran halten. Nicht daher, dass es jemand draufgeschrieben hat. Solange die Normen halten, ist gut. Wenn die brechen, ist rum. Das kann man gerade live in den USA beobachten.

                • Ariane 4. März 2020, 12:11

                  „nur Papier“ find ich allerdings auch wieder schnöde. Ich finde, sie sind schon eine Art Vertrag des Staates mit dem Bürger oder aller Staatsbürger untereinander. Die Amtseide und vielleicht sogar Einbürgerungen beziehen sich ja auch darauf.

                  Vermutlich wäre es wirklich legal, wenn der Soldat den Minister nach Schießbefehl auf Demonstranten festnehmen würde und er könnte sich auf den offensichtlichen Verfassungsbruch berufen. Die Notfallerlaubnis zur Gewaltanwendung ist direkt mit drinnen.
                  Könnte mir auch vorstellen, dass Höcke nach Ablauf seines Abgeordnetendaseins noch berufliche Probleme bekommt, als Parlamentarier hat er aktuell mehr Rechte als normale Beamte – meine ich.

                  • Stefan Sasse 4. März 2020, 14:09

                    Verstehe mich nicht falsch, ich liebe unsere Verfassung. Man sollte sich nur nicht dem Irrglauben hingeben, das Dokument schütze sich selbst. Geschützt wird es dadurch, dass Leute sich dahinterstellen. Dass Menschen protestieren, sich wehren, im Notfall auch einer bewaffneten Macht entgegenstellen. Wenn sie das nicht tun, ist die Verfassung nur Papier – wie in Weimar.

      • Ariane 2. März 2020, 13:48

        Ja, es ist auch paradox. Ich hab mich durchaus auch über Einzelentscheidungen gefreut, bin aber mit der „Gesamtsituation“ unzufrieden.

        Das sind ja irgendwie schon religiöse Kategorien. Da sitzen acht Menschen herum, die keiner gewählt hat und die quasi auch keiner kennt, und haben die oberste Deutungshoheit über ein Schriftstück.
        Wie früher die Priester mit der Bibel. In den USA gibts ja auch ständig Diskussionen, was die Verfassungsväter denn nun genau gemeint haben. Das ist exakt wie Bibeldiskussionen, nur dass wir uns nicht mehr fragen, was Gott gemeint hat, sondern Leute vor 200 Jahren.

        Und damit bin ich unglücklich, weil theoretisch finde ich, dass einzelne Menschen überhaupt nicht diese Macht haben sollten. Das sind dann wirklich schon göttliche Kategorien. Deswegen fand ich zb das Sterbehilfeurteil auch nicht gut. Vielleicht schreibe ich noch was darüber, aber im Endeffekt läuft es in der Praxis darauf hinaus, dass irgendein Mensch am Ende entscheiden muss, wann ein Leben unlebenswert genug ist, um Sterbehilfe zu erlauben außer wir erlauben es immer und machen sowas wie Euthanasie für alle Lebenskrisen.
        Und hier – meiner Meinung nach – sind wir in Kategorie, wo sich gar keine reale Legitimität mehr herstellen lässt. Das müssen wir quasi Gott oder dem Schicksal überlassen, weil kein Mensch oder Gremium auf dieser Welt solche Entscheidungen treffen darf.
        Kommt natürlich selten vor, aber hier kollidieren dann alle meine Zweifel miteinander.

    • Stefan Sasse 2. März 2020, 13:43

      1) Nein, nur de facto, weil du einen Wohnort brauchst.
      2) Minister hatten wir schon immer wieder ohne Parlamentserfahrung, und das ging noch jedes Mal schief. Schau nur mal auf Rot-Grün 1998, bei denen war die Hälfte (!) der Minister Außenseiter, und das Resultat blankes Chaos. Innerhalb von zwei Jahren waren die fast alle weg.

      • Ariane 2. März 2020, 14:14

        Stimmt, ich glaub bei Kirchhoff damals gab es im Vorfeld auch Überlegungen, ihn auf ne CDU-Liste zu setzen, damit er gleichzeitig auch normales Parlamentsmitglied ist oder so. Gott, bin ich froh, dass dieser Kelch an uns vorbeigegangen ist. Dieses Außenseiter-Gehype find ich total blöd, bin ganz froh, dass das in der Politik in letzter Zeit meistens außer Mode ist.

        • Stefan Sasse 2. März 2020, 14:16

          Ja. Das war eine bittere Lektion der letzten zwanzig Jahre. Die Liste ist lang. Müller, Köhler, Kirchhof sind da nur die herausragendsten Exemplare.

          • Ariane 2. März 2020, 15:10

            Bei Merz wird auch versucht, seine Parlamentsabwesenheit als positives Außenseitertum darzustellen. Er bringt irgendwie wirklich zig Diskussionen der 90er wieder aufs Tableau, wenn er gewählt wird, brauchen wir alle ein Geschichtsbuch^^

            • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:14

              Exakt. Deswegen würde er, gewänne er, auch aller Wahrscheinlichkeit nach versagen.

      • cimourdain 2. März 2020, 16:01

        Jein: Bei 5 von 15 Ministerien im Kabinett Schröder I gab es Personalwechsel innerhalb der Legislaturperiode (Verkehr doppelt). Von den gegangenen Ministern hatten drei langjährige bundespolitische Erfahrung ( Lafontaine, Müntefering, Scharping), eine war zumindest seit 94 MdB ( Andrea Fischer), einer ( Funke) war mit Schröder aus NRW gekommen und einer (Klimmt) war ein reines Provisorium ohne Erfahrung ausserhalb des Saarlandes.

        • Ariane 2. März 2020, 16:13

          Spannend. Allerdings ging es mir mehr darum, ob die auch gewählt sind und also gleichzeitig im Parlament sitzen. Die Kanzlerin ist ja mW gleichzeitig auch normale Abgeordnete.

          Hab das jetzt nur stichprobenartig überprüft. Aber wie ist das denn bei Abstimmungen? Wenn Spahn nicht gleichzeitig Abgeordneter ist, darf er dann ja über eins „seiner“ Gesetze gar nicht abstimmen. Oder?

        • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:16

          Danke! Hab aus dem Gedächtnis geschrieben 😐

        • Maniac 3. März 2020, 11:00

          Niedersachsen. Funke ist mit Schröder aus Niedersachsen gekommen. Und Funke war (und ist) ein Politikurgestein mit reichlich Erfahrungen in Kommunalpolitik, Landesparlament und Landesministerium.

          btw. Nach der reinen Lehre der Gewaltenteilung, ist es sogar problematisch, Minister aus den Reihen der Abgeordneten zu stellen, weil damit Exekutive und Legislative vermischt werden.

          Gruß, M.

    • TBeermann 2. März 2020, 13:52

      Hier vielleicht noch mal direkt: Die RichterInnen werden werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit für eine zwölfjährige Amtszeit gewählt.

      • Stefan Sasse 2. März 2020, 13:56

        Und bisher auch ziemlich konsensual. Das garantiert eine ziemlich mittige Ausrichtung des Gerichts.

      • Ariane 2. März 2020, 14:05

        Danke! Find ich als Notlösung eigentlich auch ziemlich perfekt, besser als das in den USA vonstatten geht.

    • Stefan Pietsch 2. März 2020, 14:27

      Richter sollen ja unabhängig sein. Dem kann man nachkommen, in dem Richter auf Lebenszeit ernannt werden. Oder eben, in dem sie einer direkten Bestimmung durch Wahlen entzogen sind. Müssten sich Richter zur Wahl stellen, würden sie in ihrer Arbeitsweise strengere Urteile verhängen. In Deutschland wird bei der Judikativen beklagt, den Rechtsrahmen, den der Gesetzgeber vorgibt, nicht angemessen auszuschöpfen und sich bei der Urteilsfindung an den Untergrenzen zu orientieren.

      Im Zentrum des Verfassungsstaates steht die Legislative. Sie beschließt Gesetze und bestimmt die Exekutive, welche die Normen zu administrieren hat. Die Judikative überwacht die Rechtsauslegung. Alles dreht sich somit um das Parlament.

      • Ariane 2. März 2020, 14:34

        Jep. So gesehen bin ich eine „bessere Parlamentsdemokratin (TM)“, alles was woanders beschlossen wird, sehe ich mit einem gewissen Misstrauen, ob Volksabstimmung oder Verfassungsgericht.

        Und ich will es auch nicht wirklich ändern, weil wir uns in Deutschland dem Problem schon am besten angenähert haben. In der Praxis werden wir immer an Probleme stoßen, wie dass überhaupt kein Mensch über Leben und Tod entscheiden sollte. Oder die Macht über die Interpretation der Verfassung haben sollte. Deswegen bin ich absolut dafür, dass die Richter sich mäßigen und sozusagen eigenverantwortlich ihre Macht beschneiden und an Untergrenzen orientieren.

        • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:12

          Ich möchte mich dem Eindruck entgegenstellen, ich würde denen rückhaltlos vertrauen.

      • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:11

        Ich bin sehr froh, dass Richter in Deutschland nicht gewählt werden. Das ist eine absolut bescheuerte Idee. Daher volle Zustimmung.

        • CitizenK 3. März 2020, 07:50

          In den Ideen und Forderungen der 1848er (Offenburger Versammlung) war das noch drin. Die „Friedensrichter“-Idee der Angelsachsen und sogar bei den „Arbeitergerichten“ in der DDR gab es noch Reste davon, wie auch beim Schöffengericht.

          Diese Idee einer Graswurzel-Demokratie spukt noch in manchen Köpfen. Bedarf einer gründlichen Diskussion.

          @ Stefan Sasse

          Gehst Du in der nächsten Folge auch auf den Föderalismus ein? Der schafft Legitimation durch regionale Verbundenheit, schadet ihr aber auch durch unsinnige Übertreibungen. Außer Kretschmann versteht wohl kaum einer, warum man Mathe in Hamburg anders unterrichten soll als in BW und warum je nach Bundesland unterschiedliche Schadstoffgrenzen beim Pflanzenschutz (und Cannabis-Mengen) gelten.

          • Stefan Sasse 3. März 2020, 08:40

            Nein, hab ich nicht weiter drin. Stimme dir aber völlig zu.

          • Ariane 3. März 2020, 11:42

            Ich denke, irgendwann wird es auch eine Sache des „Trainings“.
            Die USA sind an sich ja eigentlich keine instabile Demokratie, im Gegenteil die machen das am längsten ohne Systemzusammenbruch. GB könnte man da vielleicht auch nennen, die hatten ja nie einen richtigen Neustart, sondern haben „nur“ übertrieben gesagt immer wieder die Magna Charta verbessert.

            Aber dann wächst das auch und man sieht, wo Probleme sind, die vielleicht behoben werden müssen. Ich glaube das geht besser, als wenn wir von heute auf morgen mit dem System der USA oder GB versuchen, zurechtzukommen.

  • Ariane 2. März 2020, 13:15

    Als Ergänzung, weil das so schön zum ersten Teil zu Souveränität und Legitimation passt:
    Es gibt in der Serie „The Queen“ vor der Krönung eine interessante Diskussion zwischen Elisabeth II und ihrer Großmutter mit der Fragestellung, wem die Königin Englands eigentlich verpflichtet ist. Dem Volk? Dem Land? Dem Parlament?
    Und von der Großmutter wird das mit „Gott“ beantwortet und auch so erklärt, dass deswegen die Krönung durch Priester vollzogen wird und nicht zb vom Premierminister.

    Und ich finde auch mit der Frage „wer ist wem verpflichtet“ bzw wer hat wem gegenüber Rechenschaftspflichten versteht man es einfacher. Merkel ist ja auch für den Satz „Ich bin die Kanzlerin aller Menschen“ ein bisschen berühmt und ich glaube, das zielt eben auch in diese Richtung ab, dass sie sich allen Menschen verpflichteter fühlt als zb den CDU-Wählern oder so.

    • Stefan Sasse 2. März 2020, 13:43

      Exakt, das ist die Idee dahinter.

    • Dennis 2. März 2020, 15:08

      Zitat Ariane:
      „Es gibt in der Serie „The Queen“ vor der Krönung eine interessante Diskussion zwischen Elisabeth II und ihrer Großmutter mit der Fragestellung, wem die Königin Englands eigentlich verpflichtet ist“

      Interessante Fragestellung, aber der Souverän ist niemendem verpflichtet, sonst wäre er ja nicht souverän^^. Souverän heißt nu mal „überlegen“, „zuoberst befindlich“.

      Zitat:
      „Und ich finde auch mit der Frage „wer ist wem verpflichtet“ bzw wer hat wem gegenüber Rechenschaftspflichten versteht man es einfacher“

      Klar, die Politik ist dem Volk verpflichtet, von dem die Staatsgewalt ausgeht. Das ist wolkig genug, um im Zweifelsfalle nichts zu bedeuten. Das wiederum ist so, weil das Volk ein metaphysisches Konstrukt ist.

      Aber selbst wenn das was bedeutet: Wieso besteht Grund für die Annahme, dass das Volk, also der Souverän, für das Gute steht? Es gibt also keine Sicherheit gegen wie auch immer geartete moralische Schweinereien, weil das Volk die ja auch wollen kann. warum denn nicht ?

      Volkssouveränität hin oder her: Am Ende des Tages ist Politik immer elitistisch, da beißt die Maus keinen Faden ab.

      • Ariane 2. März 2020, 15:30

        Interessante Fragestellung, aber der Souverän ist niemendem verpflichtet, sonst wäre er ja nicht souverän^^. Souverän heißt nu mal „überlegen“, „zuoberst befindlich“.

        Hmmm, jein. Ich finde es ist ein Unterschied, ob man niemandem verpflichtet ist oder jemand/etwas Unerreichbarem.
        Die Queen ist ja nicht sämtliche Verpflichtungen losgewurden, sondern sie ist Gott verpflichtet, der mächtigsten Instanz überhaupt.
        Genau wie ein Abgeordneter letztendlich seinem eigenem Gewissen verpflichtet ist, wenn er abstimmt.
        Das ist ja die wichtigste Verpflichtung überhaupt, nur fehlen Kategorien von falsch und richtig. Die Queen verschiebt das Endurteil mit Gott quasi auf später, nach dem Tod gibt es ein Urteil, ob das alles so richtig war. Beim eigenen Gewissen fehlt das Urteil komplett, man kann ja nirgendwo anrufen und nachfragen, sondern muss selbst praktikable Lösungen finden. Deswegen werden die extremsten Entscheidungen dann ja auch freigegeben vom Fraktionszwang, damit wirklich nur noch das Gewissen im Vordergrund steht und nicht noch Parteizugehörigkeiten. Aber leichter wirds dadurch eben auch nicht^^

        Aber selbst wenn das was bedeutet: Wieso besteht Grund für die Annahme, dass das Volk, also der Souverän, für das Gute steht? Es gibt also keine Sicherheit gegen wie auch immer geartete moralische Schweinereien, weil das Volk die ja auch wollen kann. warum denn nicht ?
        Die Sicherheit gibts auch nicht, es gibt ja auch nicht „den Volkswillen“. Jeder Bürger hat ja nur einen einzelnen Willen und bei allen zusammen hat man schon Chaos. Und dann will das Volk auch noch widersprüchliche Dinge wie keine Steuern, dafür alles umsonst.

        Deswegen soll das Parlament auch möglichst wenig Extrementscheidungen fällen, sondern für jedes Problem eine Kompromisslösung finden. Wie eben moderate Steuern und Schulbildung zb umsonst.
        Im Grunde genommen ist der Volkswillen ähnlich wie Gott oder das eigene Gewissen, man kann nicht irgendwo anrufen und fragen, sondern muss das immer interpretieren und Lösungen abseits von genau richtig und genau falsch finden. Oder generell Lösungen, weil null Steuern und alles umsonst nicht mehr umsetzbar ist.

        • Ariane 2. März 2020, 15:37

          Als Ergänzung:
          Und ich finde, es macht einen gewaltigen Unterschied, ob die Kanzlerin sich allen verpflichtet fühlt, also auch mir als Nichtwählerin oder Sahra Wagenknecht und Höcke. Oder ob sie sich nur den Leuten verpflichtet fühlt, die sie auch wirklich gewählt haben.

          Ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber sollte man vielleicht in Zeiten des Normenzusammenbruchs nochmal erwähnen. Sie steigt quasi eine Stufe auf.
          Und! Es gilt auch umgekehrt, ich hab Merkel noch nie im Leben gewählt, aber durch das Kanzlerwerden, wird sie eben auch meine Kanzlerin. Ich finde sie vielleicht doof, aber akzeptiere ihr Kanzlerdasein.

          Deswegen kriegt Stefan Pietsch von mir auch immer Kontra, wenn er seinen Putschfantasien nachhängt^^

          • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:15

            Geht mir auch so. Ich war früher ein „Nicht meine Kanzlerin!“, aber ich hab sie inzwischen akzeptiert.

          • popper 2. März 2020, 22:11

            Sehen Sie, Ariane, mit einer solchen Aussage: …ob die Kanzlerin sich allen verpflichtet fühlt, also auch mir als Nichtwählerin oder Sahra Wagenknecht und Höcke, bedienen Sie bewusst oder unbewusst Vorurteile. Sie ziehen damit ein Register, das den zumindest den Anschein erweckt, die beiden Politiker hätten eine gemeinsame politische Agenda. Was bei objektiver, sachlicher Betrachtung völlig abwegig ist. Ich würde nur zu gerne davon auszugehen, dass ich mich hier täusche oder ein Versehen ihrerseits vorliegt und dies eben kein absichtsvoller Teil einer boshaften Querfront-Debatte sein soll.

            • Ariane 2. März 2020, 23:32

              Tut mir leid, wenn ich diesen Eindruck erweckt habe. Meine Vorstellung war kein Hufeisen, wo beide wieder zusammentreffen. Sondern eher eine Linie, wo sie am weitesten auseinander stehen und ich wollte die unterschiedlichsten Politiker nehmen, die mir einfielen.

              Ich kann auf jeden Fall versichern, dass ich hier nicht die Hufeisen-Theorie ins Spiel bringen wollte^^

              • popper 2. März 2020, 23:54

                Hätte mich auch gewundert. Vielen Dank für die Klarstellung.

        • Dennis 2. März 2020, 23:05

          Zitat Ariane:
          „Hmmm, jein. Ich finde es ist ein Unterschied, ob man niemandem verpflichtet ist oder jemand/etwas Unerreichbarem.“

          Uiiiiiii, sehr feinsinnig gedacht, aber wirklich gut. Ich glaub, mit dieser Differenzierung kann ich mich evtl. anfreunden; ich denk mal drüber nach (keine Ironie !)

          Zitat:
          „Die Sicherheit gibts auch nicht, es gibt ja auch nicht „den Volkswillen“.“

          Nu ja, wenn es den nicht gibt kann es auch keine Volkssouveränität geben. Ein nicht zusammenhängendes Sammelsurium von Privatsouveränitäten konstituiert ja kein Volk. Da muss es zwischen den Privatmenschen schon einen Kitt geben, GEDACHT jedenfalls, also metaphysisch.

          Zitat:
          „Jeder Bürger hat ja nur einen einzelnen Willen und bei allen zusammen hat man schon Chaos.“

          Dieses Problem kann man gaaaanz einfach lösen^, indem man wie Rousseau, der uns die „Volkssouveränität“ ja wesentlich eingebrockt hat, die volonté générale zu etwas grundlegend anderem erklärt als die Summe aller privaten Willen. Auch Mehrheit gegen Minderheit ist nicht einschlägig. Es gibt nur eine volonté générale (angeblich). Es kann ja auch nur ein Gemeinwohl geben und nicht mehrere Gemeinwohle. Plurale Wohle sind kein Gemeinwohl. Es hat ja auch nicht jeder sein privates GG. Es gibt nur eins.

          Man kommt schnell in Aporien, die schlechterdings nicht lösbar sind, so ist das Leben 🙁

          Im Spannungsverhältnis zwischen ICH und WIR gibt’s halt keine 100%ig saubere Lösung. Da hilft nur noch Pragmatismus, so wie du das im letzten Absatz ja auch umschreibst.

          • Ariane 2. März 2020, 23:57

            Uiiiiiii, sehr feinsinnig gedacht, aber wirklich gut. Ich glaub, mit dieser Differenzierung kann ich mich evtl. anfreunden; ich denk mal drüber nach (keine Ironie !)

            Danke, das freut mich! 🙂

            Nu ja, wenn es den nicht gibt kann es auch keine Volkssouveränität geben. Ein nicht zusammenhängendes Sammelsurium von Privatsouveränitäten konstituiert ja kein Volk.
            Ja. Im Nachhinein gefällt mir mein Vergleich mit Gott/Gewissen eigentlich nicht mehr. Dem Willen des Volkes kann man sich ja annähern, durch Wahlergebnisse, Umfragen, Medien oder dem Gespräch am Wahlkampftisch. Ist ketzerisch gesagt erfolgversprechender, als Gottes Meinung in der Bibel zu suchen. ^^ Trotzdem ist beides Interpretation.

            Es gibt nur eine volonté générale (angeblich). Es kann ja auch nur ein Gemeinwohl geben und nicht mehrere Gemeinwohle. Plurale Wohle sind kein Gemeinwohl. Es hat ja auch nicht jeder sein privates GG. Es gibt nur eins.

            Jep, im Grunde haben wir ja zwei Grenzen. Den Volkswillen und das GG. Damit so ein Verbrechen wie der Holocaust in der Theorie nicht mehr funktioniert, selbst bei extremen Zustimmungsraten.

            Und ja, das Thema ist hochinteressant, aber auch irgendwie frustrierend. Weil man ständig höchste Hochphilosophie hat und dann kommen einem die popligsten Praxisprobleme in die Quere. Und man braucht eben zwingend beides, ein Parlament aus Philosophen würde nie ein einziges Gesetz zustande bringen und ganz reinen Pragmatismus (ohne zb das GG als Wertegerüst) will auch niemand haben. Also ich zumindest nicht.^^

          • CitizenK 4. März 2020, 21:49

            Rousseau wird als politischer Theoretiker ebenso überschätzt wie als Pädagoge. Seine Idee von der „Volkssouveränität“ ist totalitär und steht quer zur Idee des Pluralismus und damit zur liberalen Demokratie.

      • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:13

        Exakt.

    • cimourdain 2. März 2020, 16:11

      Finde ich schön, dass du damit klarmachst, dass auch die modernen ,westlichen und konstitutionellen Monarchien immer noch ganz klar dem Gottesgnadentum entwachsen. Elisabeth II hat auf Münzen entsprechend den Titel: ELIZABETH D.G. REG. F. D. ( Dei Gratia Regina fidei defensatrix).

      • Ariane 2. März 2020, 16:50

        Ja, Gottesgnadentum hätte ich auch nicht so einfach aufgegeben, auch wenn das in der Realität heute nicht mehr so weiterhilft^^

        Aber die Idee an sich ist ja total genial, sich einfach von so einem unsichtbaren Überwesen Legitimät „auszuleihen“. Ich hatte die Reihe über Otto den Großen von Gablé gelesen und da kann man die Anfänge ganz gut nachvollziehen. Die Ungarn wurden damals auch nicht einfach nur Feinde genannt, sondern „Feinde Gottes“ und damit wurde es zum heiligen Krieg. Also das ist alles keine Erfindung des IS.^^

  • cimourdain 2. März 2020, 14:23

    1. Dein Begriff der ‚Besseren Demokraten‘ hat den selben unangenehmen Geschmack wie der inzwischen verpönte ‚Gutmensch‘. Ich behalte mir deshalb vor, darauf mit Begriffen wie ‚SoLala-Demokrat‘ oder ‚lowered-expectations-Demokrat‘ zu antworten. (Das direkte Analogon ‘Schlechterer Demokrat‘ ist für schlechtere Demokraten vorbehalten)
    2. Danke für den Beitrag zur politischen Bildung – wenn man die Teile, die eher meinungsgeprägt sind, rauslässt, dann sollte das zur Erinnerung vor jeder Wahl mal veröffentlichen.
    3. Detailkritik (wenn man die von dir zitierten 80.000 Bürger als ‚Detail‘ bezeichnen will ??): Es gibt nur drei Gründe, warum einem Staatsbürger das Wahlrecht entzogen wird: Richterlicher Beschluss z.B. bei Wahlbetrug, Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung aufgrund einer gerichltich festgestellten Tat mit verminderter Schuldfähigkeit und gerichtlich festgestellte Unfähigkeit die Alltagsgeschäfte zu verrichten (Entmündigung). Obdachlosigkeit gehört nicht dazu. Der Obdachlose muss sich allerdings vorher ins Wählerverzeichnis aktiv eintragen lassen. Auch Auslandsdeutsche haben dann das Wahlrecht, wenn Sie seit ihrem 14. Lebensjahr mindestens drei Monate im Inland verbracht haben und dieser Aufenthalt nicht mehr als 25 Jahre zurückliegt.
    3a) Interessanter ist die Frage nach den ca. 8 Millionen dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländern. Diese haben kein Wahlrecht – mit der Ausnahme, dass EU-Bürger an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen.
    4. Richtigerweise trennst du den reinen Text des Grundgesetzes von der praktischen Umsetzung. Aber dass sich diese Umsetzung auch ändern kann, geht dabei total unter mit Passagen wie ‚Vielmehr hat sich, vor allem unter Deutschlands erstem Kanzler, Adenauer, eine Realität herausgebildet, die diesen Verfassungsrahmen interpretiert und ausdehnt.‘ – als ob diese ‚originalistische‘ Lesart in Stein gemeisselt ist und nicht auch durch einen entsprechenden Veränderungswillen seitens des Parlaments ( unter Druck durch die Bevölkerung ) hin zu mehr oder zumindest besserer Demokratie geändert werden kann. Details folgen dann bei weiteren Teilen der Serie.

    • Stefan Sasse 2. März 2020, 16:10

      1) Ich mag lowered-expectations-Demokrat.
      2) Ich glaube die meiunungsgeprägten Teile halten sich in engen Grenzen, aber danke 🙂
      3) Ich weiß, aber ich wollte den Absatz nicht mit Details überfrachten. De facto tragen sich viele Obdachlose und Auslandsdeutsche nicht ein, weil sie den Aufwand scheuen.
      3a) Korrekt, aber auch das führte mir hier zu weit weg. Gerne können wir das in den Kommentaren thematisieren. Ich würde ihnen das Wahlrecht zugestehen.
      4) Da hast du völlig Recht, ich will darauf auch noch eingehen. Ich wollte an dieser Stelle nur festhalten, dass der Text überhaupt auslegungsfähig ist und sein MUSS.

  • Erwin Gabriel 3. März 2020, 19:05

    Lieber Stefan,

    habe ich zwar alles schon mal irgendwann irgendwo in Versatzstücken gehört, aber so zusammengefasst (erst recht in dieser Schreibe) ist das schon ein gelungenes und wohltuendes Stück Journalismus, dass ich sehr genossen habe, und für das ich mich gerne bedanke. Einfach gut!

  • Stefan Sasse 7. März 2020, 23:38
    • Ariane 7. März 2020, 23:48

      Danke! Die Seite ist in Gänze sehr spannend. Obwohl sie früher irgendwie viel übersichtlicher und leichter lesbar war.

    • Ariane 7. März 2020, 23:49

      Achja, und das ist doch der Typ mit dem Buch „Mit Rechten reden“ oder? Glaub, die hab ich deswegen ne Weile boykottiert, weil ich das für so schwachsinnig gehalten hab^^

      • Stefan Sasse 8. März 2020, 08:34

        Ich finde es weiterhin beknackt. Aber ich will nicht ein dummes Produkt gegen den Autor halten. Ich hab früher auch Sachen geschrieben, die aus heutiger Perspektive mehr so doof sind. ^^

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