Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die „Fundstücke“ werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die „Resterampe“, in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Jetzt mal ernsthaft, Frau Prien!
Die CDU-Familienministerin Karin Prien plant, die Pflege von älteren Menschen stärker in die Verantwortung der Familien zu legen. Sie schlägt ein „Pflegegeld“ als Lohnersatz für pflegende Angehörige vor. Kritiker sehen darin einen Rückschritt in die Zeit, als Care-Arbeit überwiegend in Familien geleistet wurde. Udo Knapp betont, dass diese Vorstellung „wirklichkeitsfremd“ sei, da es in der heutigen Gesellschaft keine generationenübergreifenden Lebensgemeinschaften mehr gebe und viele ältere Menschen allein lebten. Knapp warnt zudem vor einem wachsenden Generationenkonflikt: Immer weniger junge Menschen müssten eine wachsende Zahl alter Menschen versorgen, während die Sozialabgaben stark steigen könnten. Er fordert stattdessen Investitionen in öffentliche Pflegeinfrastrukturen und eine bessere Bezahlung von Pflegekräften. Nur so könne eine flächendeckende und effiziente Pflege sichergestellt werden. Priens Vorschlag würde lediglich den Personalmangel verschärfen und die Pflegekrise weiter verschlimmern. (Udo Knapp, taz)
Das ist das übliche Problem der CDU: ihre bevorzugten Politiken beißen sich gegenseitig und sind unvereinbar. Auf der einen Seite fahren sie eine wirtschaftsliberale Agenda: die Menschen sollen mehr arbeiten, die Erwerbsquote steigen. Dafür werden dann Maßnahmen gefordert, diskutiert und umgesetzt wie eine Aufhebung der maximalen Arbeitszeit, Steuerbefreiung von Überstunden, Anreize für Rentner*innen länger zu arbeiten, und und und. Auf der anderen Seite hat man aber das konservative Familienbild, das davon ausgeht, dass die Frau für Care-Arbeit kostenlos zur Verfügung steht – und damit eben nicht für den Arbeitsmarkt. Könnte die CDU alles umsetzen, was sie fordert, würde sie einerseits die Zahl der geleisteten Stunden erhöhen (Hurra, der Haupternährer sieht die Kinder noch weniger!) und auf der anderen Seite senken (Hurra, Mama pflegt die Großeltern zwischen Kochen und Hausaufgaben!). Dazu möchte man mehr abschieben und ausweisen und keinesfalls Anreize, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen (weniger Erwerbstätige), aber Migration von Fachkräften fördern (mehr Erwerbstätige). Das passt alles nicht zusammen. Aber da bei der CDU nie jemand nach konkreten Policies oder Realisierbarkeit fragt, spielt das auch keine große Rolle.
2) Die „Ent-Diabolisierung“ der politischen Rechten
In Frankreich hat sich der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen und Jordan Bardella in den letzten Jahren strategisch gewandelt. Die Partei verfolgt eine Politik der „Ent-Diabolisierung“, um sich von ihrem rechtsextremen Image zu lösen und als mehrheitsfähige Kraft in der politischen Mitte zu etablieren. Le Pen hat den RN seit 2011 gezielt von antisemitischen und nationalsozialistischen Tendenzen befreit und sogar ihren Vater, Jean-Marie Le Pen, aus der Partei ausgeschlossen. Diese Strategie führte dazu, dass der RN bei den letzten Wahlen zur stärksten Oppositionskraft in der französischen Nationalversammlung wurde. Bardella wurde als erster RN-Chef zu einer internationalen Antisemitismuskonferenz eingeladen, was den Imagewandel unterstreicht. Doch trotz des Erfolgs zeigen interne Strukturen weiterhin autoritäre Züge, und es gibt berechtigte Zweifel, ob der demokratische Kurs tatsächlich von allen Parteimitgliedern getragen wird. Kritiker warnen vor den möglichen Kollateralschäden für die politische Mitte in Frankreich. (Martina Meister, Welt)
Mir fällt es sehr schwer zu beurteilen, wie gefährlich oder ungefährlich der RN nun tatsächlich ist. Offensichtlich geht das Martina Meister genauso, denn ihr Artikel ist voll von vorsichtigen Formulierungen, die alle Optionen offenlassen. Ihrer Analyse allerdings kann ich problemlos zustimmen. Die Strategie des RN unter Marine Le Pen (und wohl ihren Chargen ebenfalls) ist sonnenklar die Entdiabolisierung, und sie ist erfolgreich. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass eine Präsidentschaft Le Pens ähnlich aussehen würde wie die Regierung Meloni in Italien. Die Wahrscheinlichkeit ist gut, dass auch ein gehöriger Schuss der Verachtung von Rechtsstaat und Liberalismus dabei sein wird, der Trump, Orban oder Kazcinsky auszeichnet. Wie viel von den anderen, richtig ekligen Sachen noch zum Wesenskern der Partei gehören und nur versteckt werden, ist anyone’s guess, aber die Chance ist gut, dass wir es bald herausfinden. Als letzter Gedanke: es bewahrheitet sich wie üblich, dass der Sprung nach rechts den Konservativen nicht eben geholfen hat. Um es milde auszudrücken.
3) A Disillusioned Musk, Distanced From Trump, Says He’s Exiting Washington
Elon Musk hat angekündigt, sich aus der Washingtoner Politik zurückzuziehen und stattdessen wieder stärker auf seine Unternehmen zu konzentrieren. Obwohl er weiterhin gute Beziehungen zu Präsident Trump pflegt, sei er frustriert über die bürokratischen Hürden, die er bei dem Versuch, die Verwaltung umzugestalten, erlebt habe. Musk kritisierte insbesondere Trumps neues Haushaltsgesetz, das seiner Meinung nach das Haushaltsdefizit erhöhen werde. Zudem blieb eine versprochene Spende von 100 Millionen Dollar an Trumps politische Organisation bisher aus. Seine Arbeit mit dem „Department of Government Efficiency“ (DOGE), das angeblich Milliarden einsparen sollte, wurde öffentlich teils als überzogen kritisiert. Musks Rückzug folgt auch persönlichen Enttäuschungen, etwa durch den Verlust eines teuren Wahlkampfs in Wisconsin. Trotz seiner Kritik bleibt sein Einfluss durch enge Vertraute in Regierungspositionen spürbar. Musk betonte zuletzt, sich wieder „24/7“ auf seine Firmen wie Tesla und SpaceX konzentrieren zu wollen. (Tyler Pager/Maggie Haberman/Theodore Schleifer/Jonathan Swan/Ryan Mac, New York Times)
Die wohl voraussehbarste Entwicklung der ganzen zweiten Trump-Amtszeit ist ehrlich gesagt noch früher eingetreten, als ich erwartet hatte. Immerhin kann ich mit einem gewissen Stolz vermerken, dass meine politischen Instinkte an der Stelle problemlos funktioniert haben. Dass die Kooperation zwischen Trump und Musk nur ein Ende haben konnte, nämlich dass Musk erkennen würde, dass er keine Macht hat und deswegen gehen würde, war von Anfang an klar, und ich habe das hier auch oft genug kommentiert. Dieses ganze Gerede vom „heimlichen Präsidenten“ und so weiter dürfte, wenn man Trumps Mentalität in Betracht zieht, alles noch beschleunigt haben. Genauso war von Anfang an klar, dass DOGE ein gigantischer Fehlschlag werden würde, weil solche Sachen IMMER fehlschlagen. Ideologisch gesteuerte, bar jeder Sachkenntnis mit größter Radikalität agierende Operationen wie diese können nur fehlschlagen. Good riddance.
4) Wir haben es nicht geschafft
Ahmad Mansour wirft Angela Merkel vor, mit „Wir schaffen das“ einen strategischen Fehler begangen zu haben, indem sie moralische Appelle ohne konkrete Strategien zur Integration formulierte. Die Grenzen seien geöffnet worden, ohne dass es ausreichend klare Vorstellungen darüber gab, wie Integration konkret erreicht werden solle. Es habe an messbaren Zielen, Ressourcen und Strukturen gefehlt. Mansour betont, dass Integration mehr verlange als Sprachkurse oder Arbeitsmarktintegration – nämlich ein inneres Bekenntnis zu grundlegenden Werten wie Gleichberechtigung und Demokratie. Zudem sei die Überforderung von Schulen, Verwaltungen und Kommunen vorhersehbar gewesen. Kritik an der Migrationspolitik sei jedoch oft moralisch entwertet worden, wodurch der Aufstieg der AfD begünstigt worden sei. Er kritisiert, dass nicht genug investiert und gefordert worden sei, und warnt vor Parallelgesellschaften und der Gefahr der Radikalisierung. Mansour fordert nun einen Kurswechsel mit klarer Begrenzung der Zuwanderung und einer stärkeren Fokussierung auf Integration der bereits im Land befindlichen Menschen. Nur so könne Mitgefühl mit Ordnung verbunden werden. (Ahmed Mansour, Welt)
Was mich an dieser Kritik stört ist nicht das inhaltliche; dass das alles nicht hervorragend funktioniert hat, ist glaube ich Konsens. Auch die ständige Fehldarstellung des Kontexts von Merkels „Wir schaffen das“ ist wohl nicht aus der Welt zu bekommen, dafür ist es einfach zu verlockend für das rechte Spektrum. Nein, was mich nervt ist vielmehr einerseits die Nicht-Anerkennung dessen, was da eigentlich trotz allem geleistet wurde und wie viel gemacht wurde; Deutschland leistet bei der Integration einiges mehr als viele andere Länder. Dass wir den Geflüchteten bekloppte Regeln auferlegen, die das alles konterkarieren (besonders das Arbeitsverbot), wird hier ja nie erwähnt. Und andererseits, dass daraus nichts folgt außer einem „hab’s ja immer schon gesagt“. Großartig, meckern kann jeder. Aber ich höre von Seiten derer, die kritisieren, dass die „messbaren Ressourcen und Strukturen fehlen“, nie, dass man die schaffen müsste. Stattdessen wollen die das üblicherweise kürzen, denn Gott bewahre wenn da Geld ausgegeben oder gar Personal investiert wird. Das ist einer der üblichen inneren Widersprüche bei dem Ding: man beklagt lautstark ein Fehlen von Ressourcen, wehrt sich aber mit Händen und Füßen dagegen, die bereitzustellen, weil man die Leute ja gar nicht integrieren will, die sollen ja schließlich wieder gehen. Solche Widersprüche gibt es übrigens auf der anderen Seite auch zuhauf, ich hatte darüber geschrieben. Deswegen sind wir ja in so einer Sackgasse.
5) Heide Lutosch: »Der Kapitalismus fordert viel Liebe«
Heide Lutosch kritisiert die Familienpolitik und die Rolle der Familie im Kapitalismus. Sie argumentiert, dass Familienarbeit unbezahlt bleibt und durch emotionale Stabilität und Pflege die Reproduktion der Arbeitskraft sicherstellt. Die Familie dient somit als Stabilisator der Gesellschaft, was sich auch in politischen Programmen widerspiegele, die sie als „Leistungsträger“ preisen. Lutosch erklärt, dass staatliche Versprechungen wie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur die doppelte Belastung verstärken, da die Logiken von Lohnarbeit und Familienleben schwer vereinbar seien. Die Liebe, die die Politik betone, sei eher eine moralische Pflicht als ein echtes Gefühl, das vor allem an Frauen gerichtet sei. Diese Erwartungen führten oft zu Schuldgefühlen und Überlastung. Lutosch fordert eine Vergesellschaftung der Sorgearbeit und eine Abkehr vom traditionellen Familienbild. In einer befreiten Gesellschaft könnte Arbeit zwischen Produktiv- und Care-Arbeit aufgeteilt werden, um Druck und Isolation zu mindern. Auch neue Familienmodelle wie Mehr-Elternschaft könnten entstehen, die Verantwortung und Geborgenheit kollektiv organisieren. (Stephan Kaufmann, Neues Deutschland)
Ich zitiere normalerweise nicht das „Neue Deutschland“, aber in dem Fall mache ich eine Ausnahme, weil ich diese Argumentation so faszinierend finde. Lutosch spricht einen zentralen Punkt an, der von progressiver Seite mittlerweile absolut Konsens ist: die Anerkennung von Care-Arbeit als (üblicherweise unbezahlte) Zusatzarbeit, die Frauen aufgebürdet wird. Was das Lutosch-Interview hier zeigt ist aber, dass diese Anerkennung alleine wenig nützt, weil weder die Ursachen dafür noch die entsprechenden Rezepte klar sind. Wenig überraschend für das „Neue Deutschland“ ist die Antwort, woher das Problem kommt, der böse Kapitalismus. Das ist aber Quatsch. Denn die von Lutosch geforderte Abschaffung des Kapitalismus (die das Ende des Interviews in ein unfreiwillig komisches Ansammeln von linken Phrasen abgleiten lässt) würde am grundlegenden Problem nicht die Bohne etwas ändern, weil die Ursachenbeschreibung völlig daneben ist. Hätte sich Lutosch (oder Kaufmann) einmal dahingehend kritisch mit der DDR beschäftigt, dass sie ein beliebiges halbwegs aktuelles Geschichtsbuch aufschlagen, dann hätten sie dort nachlesen können, dass die Frauen in der Spätphase des geteilten Deutschlands weniger, nicht mehr, gleichberechtigt waren als in der BRD und dass ihre Doppelbelastung durch den Haushalt höher, nicht geringer war, als in der Bundesrepublik. Und das, wo die DDR doch so „erfolgreich“ den Kapitalismus überwunden hatte. Auch blinde Hühner finden manchmal Körner, aber das Aufpicken eines solchen lässt das Huhn trotzdem blind zurück, und es wird beim nächsten Mal immer noch willkürlich am Boden herumsuchen, statt irgendeine relevante Information aus dem gefundenen Korn ziehen zu können.
Resterampe
a) Natürlich darf Jette Nietzard linksradikales Zeug reden (Welt). Vergiftete Großzügigkeit natürlich, aber trotzdem schön, dass Anna Schneider hier konsequent ist.
b) Guter Artikel dazu, warum Bildungsvoraussetzungen für das Wahlrecht eine dumme Idee sind. (Campaign Trails)
c) Surprise, die Chinesen nutzen uighurische Sklavenarbeit. (The Bureau Investigates)
Fertiggestellt am 31.05.2025
1) Jetzt mal ernsthaft, Frau Prien!
Ist den bei den Grünen irgendeine Forderung konsistent? Oder bei solchen, die mehr professionelle Betreuung für Kinder fordern mit dem Ziel, Frauen mehr Erwerbsarbeit zu ermöglichen, die aber wunschgemäß auf 32 Stunden reduziert werden soll – also auf das Niveau, das heute besteht?
Die Union vereint viele Milieus unter einem Dach, die einzig eine konservative Grundeinstellung eint. Die Wirtschaftsliberalen haben betonen die Ausrichtung der Politik auf wirtschaftliche Prosperität, andere die Familie. Genau das ist das Wesen von Volksparteien – weshalb die Grünen nie eine werden.
2) Die „Ent-Diabolisierung“ der politischen Rechten
Eine Regierung Meloni in Paris wäre ja nicht gerade das Schlechteste. Nur gibt es deutliche Unterschiede zwischen der italienischen Ministerpräsidentin und der französischen Rechtspopulistin – angefangen bei ihrem Deutschen-Haß. Aber für solche Feinheiten ist kein Platz, wenn es um die Ablehnung allen Rechten geht.
Es bewahrheitet sich wie üblich, dass der Sprung nach rechts den Konservativen nicht eben geholfen hat. Um es milde auszudrücken.
Um es Milde auszudrücken: Das ist total geschichtsvergessen. Die französische Brandmauer wurde von den Konservativen, nicht den Linken gezogen. Die Diabolisierung des Front National wurde von Jacques Chirac durchgesetzt, nicht von Mitterand.
Wenn man etwas aus den französischen Verhältnissen lernen kann, dann, dass eine Diabolisierung von Rechtspopulisten nichts bringt und das Ignorieren ihrer Themen schon gar nicht.
In dem Meloni-Thema überhole ich dich in Sachen Schulden-sind-kein-Spaß.
https://www.reuters.com/markets/europe/italy-sees-debt-to-gdp-ratio-rising-through-2026-new-budget-plan-2024-09-27/
Ich finde das echt bedrohlich.
Wir steuern auf eine globale Staatsschuldenkrise zu, mit Vollgas. Es will hier nur niemand hören.
Es gibt theoretisch drei Alternativen, die Staatsschulden zu senken:
1. Schuldentilgung
2. Default
3. Inflationierung
Nur der letzte Weg scheint wirklich gangbar. Wir werden in den nächsten Jahren eine Asset-Inflation erleben bzw. sie läuft bereits. Gold notiert auf Höchstständen, Silber hat zuletzt stark angezogen und eine Rallye gestartet. Trotz nicht so doller Wirtschaftsaussichten steigen die Aktien immer weiter.
Auch Italien kann seine Schulden nicht wirklich tilgen und die Bedingungen für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum sind eher schlecht. Aber, Italien ist in einer Währungsunion mit solventen und finanzwirtschaftlich sehr gesunden Staaten. Die Erpressung mit einem Staatsbankrott im Euro hat schon einmal gut funktioniert und hohe Milliardenbeträge aus den Nordstaaten in den Süden transferiert.
Warum sollte das nicht noch einmal funktionieren?
4) Wir haben es nicht geschafft
Das ist wohl eine exzellente Bewerbungsrede für einen Grünen-Parteitag, aber keine politische Analyse. Worum geht es denn um Grunde bei der Aufnahme von Flüchtlingen? Es geht nach internationalem Recht darum, Verfolgten für eine Übergangszeit einen Fluchtort zu bieten. Worum es nicht geht ist Integration. Dieses Missverständnis auf deutscher Seite zeigt sich eklatant bei der Debatte um den Familiennachzug von Geduldeten: Hierbei handelt es sich um eine Gruppe, die keinen legalen Aufenthaltsstatus erlangen konnte, aber denen befristet ein Aufenthalt gewährt wird. Man möchte nicht, dass diese Menschen sich hier integrieren oder wohlfühlen. Es ist nur ein humanitärer Akt. Das schließt aber genau den Familiennachzug aus.
Für wen sollte eigentlich etwas „geschafft“ werden? Für das Volk in Deutschland (Grundgesetz)? Dann ist der Nutzen zu definieren und zu prüfen, ob das definierte Ziel nach einer angemessenen Zeit erreicht wurde.
Wenn der Großteil der Aufgenommenen nach einem Jahrzehnt nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, ist das höchstens eine humanitäre Leistung, die weder verlangt wird noch von irgendeinem anderen Land der UN erbracht wird. Und die auch nicht von der deutschen Bevölkerung überhaupt gewünscht wird. Und was ist gewonnen, wenn Migranten die Kriminalitätsstatistiken bei schweren Gewalttaten spürbar nach oben treiben?
Längst wollen Zweidrittel und mehr eine sehr restriktive Zuwanderungspolitik, also praktisch keine. Die Politik hat es geschafft, die Verhältnisse völlig zu drehen. Chapeau! Mit den Flüchtlingen wurde die politische Mitte erschüttert und die Gefahr besteht, dass sie aufgrund des Unwillens einiger Teile von ihr – Grüne vorweg, aber auch die SPD – zerstört wird.
Klug geht anders.
Es gibt übrigens diejenigen, die echtes politisches Asyl suchen.
Bei mir in der Gruppe arbeitet jetzt ein Türke, der in seinem Heimatland Berufsverbot hat. Erdogan verteilt seit etwa 2014 wie verrückt Berufsverbote.
Mein Kollege war in der Türkei politisch und sozial bestimmt engagiert, aber halt aus einer islamisch-religiösen Perspektive, ohne dass er fanatisch wäre. Viele dieser Leute sind beruflich gut ausgebildet.
Ich finde aber auch, dass Sozialamt der Welt unsere Kräfte übersteigt, ausser für Ukrainer, natürlich.
Fraglich, ob zeitweilige Einschränkungen bei der Berufsausübung ein Recht auf Asyl begründen. Das wird ja in einem Verfahren geprüft.
Wir sollten übrigens nicht vergessen, dass die in Deutschland lebenden Türken mit größerer Mehrheit den Diktator Erdogan „wählen“ als die Menschen in ihrem Heimatland. Ich denke, wir hätten längst eine Debatte führen müssen, ob die Doppelte Staatsbürgerschaft nicht ein Irrweg ist. Gerade die türkische Community ist ein Paradebeispiel, dass die Folgen eher unerwünschter Natur sind.
Ist sie, war sie und wird sie immer bleiben. Sie dient – ausschliesslich – einem Zweck: Bestimmten migrantischen Gruppen das Leben zu erleichtern. Und dafür sind ihre offen sichtbaren Nachteile zu gross.
a) Noch schöner, dass es so gut ins Konzept passt. Dann braucht man auf andere Stimmen aus dieser Partei nicht mehr zu hören. Und bringt die in ein unauflösbares Dilemma: Spinner(innen?) wie N. zum Schweigen aufzufordern oder gar auszuschließen – wie undemokratisch.
Das ist Schadenfreude, nicht „Konsequenz“.
True enough.
Man sollte nicht vergessen, dass die Grünen nicht aus edlen Motiven von einem Parteiausschlussverfahren gegen Jette Nietzard absehen. Bei Boris Palmer war man schließlich nicht so zimperlich, wo man nicht „auf andere Stimmen hören“ wollte. Nein, wer Parteitage der Grünen verfolgt, weiß, dass die Jugendorganisation entscheidend für Mehrheiten ist.
Jette Nietzard ist die Erinnerung der bürgerlicher Wähler an den radikalen und auch extremistischen Kern der Partei. Robert Habeck und Cem Özdemir sind Camouflage. Das sieht man auch an den Wählerwanderungen in diesem Halbjahr: Während die Linkspartei mit linkspopulistischen Aktionen immer radikaler werdend sich mehr als verdoppeln und sechs Prozentpunkte hinzugewinnen konnte, schwanden genau die bei den Grünen und katapultieren sie in den einstelligen Bereich.
Ja, Jette Nietzard leistet der Demokratie einen Dienst, indem sie die Fassade bei den Grünen einreißt.
Ja was denn nun: Sind die Grünen satte Wohlstands- und Bildungsbürger oder verkappte Linksradikale?
Geht nicht beides?
Natürlich sind die Grünen keine homogene Partei. Aber ihre Milieus repräsentieren so 20 Prozent der Gesellschaft. Besonders deutlich wird das bei Fragen zur Migration. Zweidrittel der Wähler sind für Härte, ziemlich genau 20 Prozent vertreten eine Politik der sehr offenen Grenzen für Jedermann/-frau.
Dieses 20-Prozent-Milieu lebt hauptsächlich in den Großstädten und ist zwischen Grünen, LINKE und zum Teil der SPD heftig umkämpft. Und dieses Milieu hat fließende Übergänge zum Radikalismus (denken Sie an Luisa Neubauer und bekannten Vertretern der Grünen Jugend der letzten Jahre) bis hin zum Extremismus.
Mit diesen Wählern erreichen die Grünen aber nur eben 8-10 Prozent. Das sehen sie in den Wahlergebnissen der Partei in den Nuller- und Zehnerjahren. Die Idee von Habeck, bei der Baerbock mitgemacht hat, war, diese Kernwähler etwas zu verdecken um für mittige Wähler attraktiv zu werden, hauptsächlich solche aus dem konservativ-sozialen Bereich.
Und das funktionierte auch eine Weile. Habeck wirkte nicht nur bürgerlich im Habitus, sondern auch glaubwürdig. Dass er nicht für die Breite der Partei stand, zeigte sich bei seiner „Kanzlerkandidatur. Vor einem halben Jahr griffen Sie und Ralf mich an, warum ich nicht die 70 Prozent Entgegenkommen der Grünen bei der Migrationspolitik nehme statt 100 Prozent zu erwarten.
Doch Habecks Ansätze wurden von seiner eigenen Partei gecancelt und totgeschwiegen. Dass er seine Partei nicht hinter sich hatte, wusste er ganz genau, weshalb er seine Vorschläge an den Gremien vorbei in der BILD präsentiert hatte. Politik der Grünen war es nie und wäre es nie geworden.
Das ist ein typisches Beispiel für politische Camouflage.
Why choose? 😀
zu 2) Ich glaube nicht, dass das Rassemblement National die nächste Wahl Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat. Der Mitte-rechts Kandidat Édouard Philippe (39%) erhält in Umfragen mehr Stimmen als Bardella (35%) oder Marine Le Pen (34%).
53% sehen – wie ich auch – das Kandidatur-Verbot von Le Pen NICHT als politisches Urteil an.
Bardella hat in seinem Lebenslauf einige Verbindungen zu unappetitlichen extrem-rechten Kreisen.
Édouard Phillipe vertritt eine deutlich verschärftere Asylpolitik und ein Renteneintrittsalter von 64 Jahre. Hier faselt die RN populistisch noch von 60 Jahre rum, was echt komplett unrealistisch ist.
Bei einer erneuten Auflösung des Parlaments wird dem RN zwar 33% vorausgesagt, aber das ist halt keine Mehrheit. Der aus meiner Sicht durchgeknallte Teil der Linken Le France Insoumise verliert auf der Linken Seite an die Sozialisten.
RN erzeugt viele Anti-Körper. Die Linke wird auch besser im Internet und Phillipe wählbarer für eher rechte Franzosen, die Veränderung wollen. Frankreich ist politisch nicht Italien. Das ist alles viel komplizierter.
Zitat Lemmy:
„Hier faselt die RN populistisch noch von 60 Jahre rum, was echt komplett unrealistisch ist.
Okay, aber auf „populistisch“ kommt es ja an, für „unrealistisch“ interessiert sich niemand; oder sagen wir mal: Eher Wenige^.
Und ja, für 2027 kann man noch keine Aussagen machen, falls der Macron bis dahin durchhalten sollte. Aktuell geht’s erst mal um das beliebte Thema Staatsbankrott, wozu sich der Bayrou was einfallen lassen sollte, aber bis jetzt nur rumeiert. Und Kettensägen-Ideen à la Trump sind auch beim Publikum von Le Pen/Bardella durchaus nicht populär (s. die o.g. Rentensache); am besten, die tun so, als ob es einen Trump gar nicht gäbe. Zum Beispiel auch unlängst beim Thema Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung (90 % Zustimmung im kombinierten Parlament) musste Le Pen in Deckung gehen und am besten den Mund halten und die klassische konservative Position in dieser Sache NICHT bedienen und hat das auch nicht gemacht. Auch ihr Publikum war mehrheitlich dafür.
Und die „Linke“ (großzügig gerechnet momentan ca. 1/3 der politischen Klasse) ist aufgeteilt in diverse sich bekämpfende feindliche Lager und Lägerchen; eigentlich wie immer^.
Traditionell ist es in F politisch ja so, dass die Alphatiere jeweils ihren eigenen Laden aufmachen, gerne auch öfters, mindestens bereits bestehende in ihrem Sinne gefügig machen, wie z.B. weilend Mitterrand. Der Philippe kam ursprünglich aus der Familie de jetzigen „Républicains“, wurde dann vom Macron aufgekauft (das schien mal eine große Zukunft zu haben, lange her^) und ist jetzt – da sich die sterbende Macronie in Einzelteile zerlegt – eine eigene Firma mit dem netten Namen „Horizonte“, auf dem Papier noch ein Teil der Rest-Macronie, aber zunehmend wieder nah an der früheren Familie. Vielleicht gibt’s ja mal einen „Philippisme“. Die Verwendung von Personennamen für politische Richtungen ist drüben bei den Galliern je üblich. Also analog hierzulande Scholzismus oder Merzismus oder die ausgestorbenen Lindneristen; ist aber halt hier nicht so üblich^.
Zitat:
„Das ist alles viel komplizierter.“
Richtig. Momentan fehlt ein De Gaulle, der den unübersichtlichen Schlamassel sozusagen transzendieren kann.
Ich weiss nicht, ob die Leute alle unrealistisch sind. Die kriegen das schon mit, dass ueberall sonst die Rentenalter auf mindestens 67 hochgezogen werden.
Bardella und Le Pen ueberzeugen vor allem durch zwei Dinge:
– alle franzoesischen Regierungen seit Mitterand sind zunehmend im Desaster geendet.
– ihre Performance im Fernsehen und auf Veranstaltungen ueberzeugt viele. Ich vermute, dass dies auch den Erfolg der AfD in Ost-Deutschland erklaert.
Im Falle eines Sieges von Phillipe waere das der dritte Versuch einer mitte-rechts Regierung nach Sarkozy und Macron. Aber die Theorie der unaufhaltsam ansteigenden RN-Flut erscheint mir auch nicht als zwangslaeufig als plausibel. Widerstaende dagegen existieren.
Ich persoenlich finde Jean-Luc Mélenchon unmoeglich. Streiten mit dem erscheint mir als Ausweis von Integritaet.
„Ich weiss nicht, ob die Leute alle unrealistisch sind. Die kriegen das schon mit, dass ueberall sonst die Rentenalter auf mindestens 67 hochgezogen werden.“
Ich bin mir da nicht so sicher. Wenn ich mich mit Franzosen unterhalte (was zugegebenermaßen nicht so oft passiert), bin ich überrascht, wie sehr sie die Arbeit (jegliche bezahlte Arbeit) hassen und nur auf die Rente hinfiebern. Ich habe das Gefühl, dass jede Anhebung des Rentenalters politischer Selbstmord ist.
Kann kich aus meinen beruflichen Kontakten mit Franzosen – allerdings 10 Jahre her – tendentiell bestätigen. Viele von denen bedauerten irgendwie, für „andere“ gegen Entlohnung arbeiten zu müssen. War ungewöhnlich, weil die meisten Ingenieure und Projektleute anderer Nationen ihren Job normalerweise durchaus gerne machen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Hab von dem Schlag Israels auf Iran in einem gerade zu Ende gehenden x space gehoert. Sehr hitzige Debatte. Einmal hatten sich die Nahost-Sicherheitsexperten gegenseitig als muppets beschimpft. Es besteht Einvernehmen, dass dies das nine-eleven der Islamische Republik Iran ist.
Intraday WTI-Oelpreis +8,41% aktuell.
Trump und Netanjahu haben echt nicht mehr alle an der Marmel.
Du weißt genauso gut wie ich, dass nicht nur Israel, sondern die gesamte freie Welt nicht zulassen kann, dass ein Terrorregime und noch dazu Mittelmacht wie der Iran in den Besitz der Atombombe gelangt. Nordkorea darf sich nicht wiederholen, solche Waffen immunisieren Terrorstaaten und machen sie außenpolitisch nur aggressiver.
Mit einem derartigen Präventivschlag war doch seit Jahren zu rechnen und ja, Netanjahu hat die Gunst der Stunde genutzt, angefangen zu regeln, was beispielsweise der EU in Jahren der Verhandlungen nicht annähernd gelungen ist.
Um Deine Worte zu benutzen: Die Kritiker Israels haben echt nicht mehr alle an der Murmel.
Sidenote: Vielleicht war es auch gar nicht so clever, den Irandeal zu scrappen?
Im Gegenteil: Ich halte die Aufkündigung des Abkommens für eine wenigen klugen und richtigen Entscheidungen von Donald Trump in seiner ersten Amtszeit. Trump hatte durchschaut, dass das Abkommen, mit viel Pomp gefeiert, im Grunde eine Farce war. Der Iran hatte nie die Absicht, auf die Bombe zu verzichten. Dazu sind die Vorteile für eine Diktatur zu verführerisch und nicht aufzuwiegen. Punkt,
Die Mullahs wollten durch das Abkommen schlichtweg nur Zeit gewinnen. Zahlreiche Verstöße und die weitere, mit Hochdruck vorangetrieben Entwicklung zeigen das. die Europäer waren schlichtweg naiv zu glauben, dass Diktaturen nach einer regelbasierten Ordnung spielen.
Israel zeigt erneut, dass man heutzutage aussen- und sicherheitspolitisch nur Erfolg hat, wenn man die billigen Ratschläger der Europäer schlicht ignoriert und zum richtigen Zeitpunkt das exakte Gegenteil macht. So sieht das eben aus, wenn Gesellschaften verkindlichen und verkitschen.
Ich begrüsse den völlig überfälligen Last Minute Angriff auf den Iran sehr! Der entwickelt gerade mit Hochdruck seine Nuklearwaffen und hat – vielfach und öffentlich von Staatsführungsseite aus angekündigt, Israel vernichten zu wollen, das reicht als Rechtfertigung für mich vollkommen. Nach der Niederlage seiner Proxi-Terroristen von Hamas und Hisbollah ist er so schwach wie nie, also jetzt.
Gruss,
Thorsten Haupts