Die Irrtümer bei der Staatsverschuldung

Der Zeitgeist hat auch in Deutschland gewendet, womit die deutsche Politik dem dynamischen Verschuldungstrend der globalen Finanzwirtschaft hinterherrennt. Eine alte Börsenweisheit besagt jedoch, wenn die Amateure auf den Allzeithochs einsteigen, ist es für die Profis Zeit auszusteigen. So scheint man das auch in den Finanzmachtzentren zu sehen. Die USA bekommen gerade Probleme, allein 8 Billionen US-Dollar in Bonds, in dieses Jahr fällig werden, zu angemessenen Konditionen zu refinanzieren. Die USA geben mit rund einer Billion US-Dollar so viel fürs Militär aus, wie kein anderes Land. Allerdings noch höher sind die die Zinsausgaben mit 1,2 Billion US-Dollar, Tendenz stark steigend. Die Notenbanken horten derweil keine Banknoten mehr für schlechte Zeiten, sondern Gold. In den deutschen Koalitionsverhandlungen haben sich die Fans von Verschuldungsorgien endlich durchgesetzt. Ihre Begründungen bleiben jedoch dünn wie der Tränenfilm einer Siebzigjährigen und beschränken sich auf substanzlose Metaphern und Slogans.

Diese Artikel war eigentlich als Replik auf einen kurzen, emotionalen Austausch zwischen dem Bloginhaber und Erwin Gabriel gedacht. Fehler in der rhetorischen Anpassung gehen daher zu meinen Lasten.

Mein Punkt ist nur, du kannst nicht sagen „weil die 2009ff. das Geld für alle möglichen Konsumausgaben rausgehauen haben war die Forderung nach Schulden für Investitionen falsch“. Und in dem benötigten Umfang war es kein Ausgabenproblem – ja, Geld hätte man anders verwenden können, aber so viel konntest gar nicht streichen an Merkel-Ausgaben, dass du auf die benötigten Summen kommst.“

I. Wie hoch sollte die Investitionsquote des Staates sein?

Kaum jemand kann darauf eine Antwort geben, denn die meisten kennen diese wichtige Größe nicht einmal näherungsweise. Wie im realen Leben kann auch der Staat nicht unbegrenzt investieren. Eine „zu“ hohe Investitionsquote verursacht politische Widerstände durch Zielkonflikte, die Finanzen sind nicht unendlich und die Ressourcen an Menschen und Maschinen sind es auch nicht.

Aus all diesen Gründen ist es logisch, dass seriös arbeitende Staaten ein bestimmtes Level an Quote haben, worum die tatsächlichen Investitionen oszillieren. Die Schuldenbefürworter sagen deswegen einfach: Egal wie die Investitionsquote ist, die Bedarfe sind größer.

Dabei nehmen sie zur Begründung lieber die Abkürzung. Schulden sind immer gut, nur die Begründung muss gefunden werden. Und damit der Begriff „für Investitionen“ nicht zu einengend ist, wird so ziemlich jede staatliche Ausgabe zur potentiellen Investition umgedeutet. Kein Mensch, kein Unternehmen wäre mit einer solch undifferenzierten Zieldefinition erfolgreich.

II. Die Verschleierung der eigentlichen Absicht

Die These, wenn der Staat schon vor 15 Jahren höhere Schulden aufgenommen hätte, stände Deutschland besser da, ist beliebt, aber falsch. Der Beweis des Gegenteils wird schlicht ignoriert. Das ist nämlich unser Nachbar Frankreich, das genau so verfahren ist. Zur Zeit der globalen Finanzkrise standen die beiden europäischen Schwergewichte bei einer Staatsverschuldung von jeweils um die 85 Prozent. Deutschland führte danach die Schuldenbremse ein, die Gallier bekamen dagegen ihre jährlichen Defizite nicht in den Griff – und wollten es auch nicht. 15 Jahre später sind die französischen Staatsausgaben nicht mehr ohne erhebliche Kredite finanzierbar, das Top-Rating ist weg und der Finanzminister muss vor jeder Zinsentscheidung in Frankfurt zittern. Die Zinsen fressen die Einnahmen auf.

Der Ertrag einer Investition setzt sich typischerweise aus der Formel zusammen Zusätzliche Einnahmen – Ausgaben für Zinsen und Tilgung. Tatsächlich behaupten die Schuldenbefürworter, der Staat brauche nicht zu tilgen, da die Schulden durch das wachsende BIP an Gewicht verlieren würden. Und so würde der Ertrag größer. Sie tun so, als wäre der Verzicht auf Tilgung kostenlos zu haben. Die hohen Zinsausgaben in den USA, die fast erdrosselnden Lasten im französischen Haushalt und die explodierten Zinskosten im Bundeshaushalt werden einfach ignoriert. Genauso wie die stetige Verschlechterung der Bonität.

Seit der Jahrtausendwende hat der Bund 1,5 Billion Euro zusätzliche Kredite aufgenommen, gleichzeitig aber knapp 1 Billion Euro an Zinsen bezahlt. Der Großteil der neuen Schulden schafft keine Werte, sondern dient nur zur Bedienung von Altlasten.

III. Die Verweigerung von Prioritäten

Der deutsche Staat kassiert von seinen Bürgern immense Summen zur Regelung der res populi. Die Erhebung von Steuern bedeutet für die Bürger Verzicht, ihnen werden Mittel genommen, mit denen sie für sich selbst Sinnvolles hätten tun können. Die Mehrheit der Wähler erwartet, dass die Politiker sich dieses Verzichts bewusst sind und verantwortungsvoll mit dem Geld umgehen. Wie ein seriöser Umgang aussieht, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Das Verhältnis von Investitionen zu konsumptiven Ausgaben ist eine politische Entscheidung über die Prioritäten. Sie ist durch den demokratischen Willensbildungsprozess zustande gekommen. Wenn der Staat mit dem Steuergeld, was der Steuerzahler für den Hausbau hätte verwenden können, in den Unterhalt von Migranten und Bürgergeldempfänger steckt, dann ist dies Ausdruck der politischen Willensbildung. Die Deutschen sind im Grunde sehr genügsam und akzeptieren das.

Aber das könnte vielen, die sich über die Konjunktur des Rechtspopulismus wundern, erklären, warum die Deutschen zunehmend auf der Zinne sind, wenn sie hören, dass sehr viele eigentlich arbeitsfähige Menschen und kriminelle Migranten Jahre und jahrzehntelang ausgehalten werden. Dafür verzichten sie selber auf Eigenheim und Urlaub?

Die Politik will diesen unabweisbaren Konflikt mit Schulden heilen. Die linken Parteien formulieren das mit Standardsprüchen der Art, man dürfe die Rentner nicht gegen Migranten nicht gegen Schulen und anderes ausspielen. Doch Politik ist genau das: Der Streit über Prioritäten.

Irgendwann kommt es zwangsläufig zum Schwur. Wenn der Bund nun in Neubewertung der äußeren Sicherheit (einer Grundanforderung an jeden Staat) die Verteidigungsausgaben auf 3,5 oder gar 5 Prozent des BIP erhöhen will, wird das nicht ohne die Umschichtungen gehen, denen sich die politische Linke seit Jahrzehnten verweigert. Würden diese Ausgaben nur über einen kurzen Zeitraum von 8-10 Jahren durch Schulden gedeckt wie es aufgrund der Grundgesetzreform möglich wäre, wäre Deutschland binnen einer Dekade so hoch verschuldet wie Italien.

IV. Der Irrglaube vom ewig wachsenden BIP

Das Volkseinkommen – wichtigster Bestandteil des BIP – wächst nicht unbegrenzt. Seit einem halben Jahrzehnt wächst es in Deutschland praktisch überhaupt nicht mehr. Und spätestens seit Anfang der Neunzigerjahre wissen Wissenschaftler – und Politiker müssten es eigentlich auch wissen – dass das deutsche BIP in den nächsten zwei Dekaden schrumpfen wird. Das BIP setzt sich nämlich aus der Leistung jedes einzelnen Erwerbstätigen zusammen. Zwar können die arbeitenden Menschen noch ihren Lohn und ihren Gewinn steigern. Wenn es aber immer weniger werden, die arbeiten, dann wird die Summe der BIPs pro Kopf immer kleiner. Genau das ist für Deutschland aufgrund der drastisch schrumpfenden Erwerbsbevölkerung zwingend zu erwarten.

Dann ist aber die Annahme falsch, dass ein Land wie Deutschland aus den Schulden rauswachsen würde. Wenn das BiP schrumpft, aber die Schulden zunehmen, dann wächst das Land in die Schulden rein. Denn die Formel lautet: Schulden / BIP = Schuldenquote.

{ 7 comments… add one }
  • Lemmy Caution 19. Juni 2025, 21:20

    Ich fuerchte inzwischen, dass die EU entlang von Interessensgegensaetzen um Schulden zerbrechen wird.
    Es gibt in jedem Fall kein klarer Unterschied zwischen rechts/links in den Ergebnissen der Schuldenpolitik. Sarkozy, Macron, Berlusconi, Meloni haben als Regierungschefs heftige Neuverschuldungen zu verantworten, obwohl das in ihren Reden sehr anders klang.
    Ich habe nun 3 Jahre aus dem Bauch der Maschine beobachten duerfen, wie Menschen in einem sehr langlaufenden IT-Grossprojekt des Staates agieren. Trump wuerde sagen: Not good. Das laeuft nicht wie in Telespielen: Man entwickelt 4 Eisenerzminen, bildet 5 Koehler aus. Schwupps man erreicht die Eisenzeit und kann bessere Produkte herstellen.
    Das mittelgrosse Projekt vorher war produktiver, auch weil die Individuen an der Entwicklungsumgebung mehr Gestaltungsspielraum hatten und man grundsaetzliche Dinge in Frage stellen konnte.
    Leute, die sich zu lange in so einem staendig vom Bundesrechnungshof sehr unbeliebten Grossprojekt aufhalten, entwickeln irgendwie eine ganz eigene Sicht der Realitaet. Ich sehe es immer mehr als eine Art von Wahnsinn, auch wenn sie eigentlich liebenswerte Zeitgenossen sind.

  • CitizenK 20. Juni 2025, 06:47

    Merkwürdigerweise wird selten danach gefragt, wer die Gläubiger sind, wem also die Zinsen zufließen. Und wer ggf. bei einem Schuldenschnitt oder Zahlungsausfall quasi enteignet würde.
    In den USA ist die Rede vom Umtausch in 100jährige unverzinsliche Anleihen, also praktisch das. Wen würde das treffen? Wen in Italien, Frankreich, Belgien?

    • Lemmy Caution 20. Juni 2025, 08:00

      Es wird statistisch nicht genau ausgewiesen wer wirklich diese Schuldpapiere besitzt. Es sind Zentralbanken, große Banken und Versicherungen, aber auch viele Anleger. Unter letzteren auch solche, die für ihre Rente angelegt haben. Ganz sicher nicht nur die oberen 1%.
      Als 2002 die in den 10 Jahren vorher sehr rentablen argentinischen Schuldscheine rasiert wurden, brachte das damals viele Rentensparer in Italien in existentielle Probleme.
      Die deutsche Entscheidung die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bip mit der Schuldenbremse zu senken war zwar in der Zeit im Vergleich zu vielen anderen hochverschuldeten OECD Staaten ungewöhnlich, historisch gab es das aber oft. Man schaue sich etwa die Entwicklung des Vereinigten Königreichs seit 1700 an: https://cepr.org/voxeu/columns/323-years-uk-national-debt

    • Lemmy Caution 20. Juni 2025, 08:15

      Wenn ein Schuldnerstaat unilateral erklärt, dass er einfach den versprochenen Zins auf seine Darlehen nicht mehr zahlt, dann hat das Auswirkungen auf die zukünftigen Darlehen. Seine Bonität ist halt zerstört und Gläubiger werden in Zukunft Finanzmittel nur zu sehr hohen Zinsen bereitstellen. In der Lateinamerikanischen Verschuldungskrise versuchte man einvernehmliche Lösungen von Gläubiger-Banken und Schuldner-Staaten zu finden. Die Banken verzichteten auf einen Teil ihrer Forderungen, erhielten aber für die verringerten Forderungen auch wirkliche Aktiva wie z.B. etwa Anteile an privatisierten Staatsunternehmen.
      So ein Schuldenschnitt kann man eigentlich moralisch nicht wirklich verurteilen. Die Entscheidungen zu der Vergabe von Darlehen sind von erwachsenen Menschen getroffen worden, die halt die Risiken falsch eingeschätzt haben. Der rasante Aufbau der Lateinamerikanischen Schulden in den 70ern bis 1982 erklärte sich zum Großteil daraus, dass aufgrund der hohen Ersparnisse der OPEC Staaten einfach viel ungenutzte Erparnisse herumlagen.

    • Stefan Pietsch 20. Juni 2025, 08:57

      Doch, darüber wird schon sehr viel gesprochen. Gerade in der gegenwärtigen Lage hat die Debatte, wer ist eigentlich Gläubiger der Staaten, die allgemeine politische Ebene erreicht. In Echtzeit werden die Schattenseiten einer hohen Staatsverschuldung in den USA ausgeleuchtet. Staatsanleihen haben normalerweise eine Laufzeit von 1-10 Jahren, darauf verteilt sich das Gros, auch wenn 25- und 50jährige Anleihen verfügbar sind. Sie formulieren ja das Problem, über das sich Anleger Gedanken machen, wenn sie in Bonds investieren: Wie sicher ist die Anlage vor Ausfällen? Es ist natürlich schwierig, gerade zu beschließen, die Staatsschuld um eine Billion Euro und mehr zu erhöhen und gleichzeitig die Möglichkeit eines Default diskutieren zu wollen.

      China und einige andere ostasiatische Länder sind die größten Einzelgläubiger der US-Staatsschuld. Gleichzeitig halten sie hohe Dollarreserven, die derzeit abgebaut und mit Gold aufgefüllt werden. Die seit Jahren angestrebte Entflechtung der Wirtschaftsräume ist in vollem Gange. Während die USA einerseits aus politischen Gründen Schwierigkeiten haben, neue Gläubiger zu finden und andererseits mit Deutschland ein zusätzlicher Anbieter von Bonds bester Qualität auftritt, steigen die Zinserwartungen an den US-Treasurer. Das bedeutet höhere Ausgaben für den Staatshaushalt und keine Spielräume für die Verlängerung von früheren Steuersenkungen. Das wiederum verschlechtert die Attraktivität des amerikanischen Wirtschaftsraums. Entsprechend schichten Investoren Kapital nach Europa um, was aktuell die hiesigen Börsen pusht. Trotz jahrelanger Wirtschaftsflaute steht der DAX auf einem Allzeit-Hoch.

      Die französischen Staatstitel liegen zu 70-80 Prozent in ausländischen Händen. Frankreich gilt inzwischen nicht mehr als absolut zuverlässig, was nicht zuletzt der Haushaltsstreit gezeigt hat. Außerdem ist die französische Finanzpolitik in enge Abhängigkeit zur Geldpolitik der EZB und Berlins geraten. Mehr als in früheren Jahren muss Paris auf die Vergemeinschaftung der europäischen Schulden und neue Programme aus Brüssel, finanziert von Berlin, hoffen. Und jetzt tritt Deutschland auf dem Anleihemarkt in scharfe Konkurrenz zum westlichen Nachbarn. Wer Finanzanleihen kaufen oder halten will, wird nun in seinem Depot über Umschichtungen nachdenken.

      Ungefähr 38-40 Prozent der japanischen Bonds werden von der Bank of Japan gehalten. Das macht den japanischen Staat einerseits immun gegen Währungsspekulanten, andererseits lähmt es seit drei Jahrzehnten die Wirtschaft. Auch die amerikanische und die europäische Notenbank lagern einen beträchtlichen Teil der Staatsschuld. Gerade die Fed hat aber nach den Coronajahren die Bestände deutlich reduziert. Aufgrund der enormen Nebenwirkungen wie Ausweitung der Inflation und Bremsen für das Wirtschaftswachstum sieht die Fed von einer Neuauflage ab.

      Ein Staatsbankrott der USA geht nur zusammen mit Europa und Japan, den wichtigsten Wirtschaftsräumen. Nicht nur braucht eine solche Aktion jahrelange Vorlaufzeiten und damit Anpassungszeiten für die Gläubiger, was zur Self Fulfilling Prophecy führen würde. Die Glaubwürdigkeit aller wichtigen Währungen wäre für mindestens eine Dekade völlig zerstört, die USA würden sogar für alle Zeiten ihre Leitwährung verlieren. Einen solchen Preis wird kein verantwortlicher Politiker und Notenbanker zahlen.

      Deswegen wird es zur Inflationierung der Staatsschulden kommen, was allerdings ein Balanceakt ist, da gleichzeitig die Wirtschaftsaussichten darunter leiden. Nicht ohne Grund hat der Goldpreis in diesem Jahr um 30 Prozent zugelegt. Das schafft kein Börsenindex. Hauptleidtragende sind wie bisher Menschen ohne nennenswerte Assets, die Empfänger von Betriebsrenten, privat Krankenversicherte, Besitzer von Kapitallebensversicherungen und Bausparverträgen. Diese Titel laufen auf Währungsnamen und sind nicht durch inflationsgesicherte Vermögenswerte abgesichert.

    • Erwin Gabriel 27. Juni 2025, 15:47

      @CitizenK 20. Juni 2025, 06:47

      Merkwürdigerweise wird selten danach gefragt, wer die Gläubiger sind, wem also die Zinsen zufließen. Und wer ggf. bei einem Schuldenschnitt oder Zahlungsausfall quasi enteignet würde.

      Warum auch?

  • Erwin Gabriel 22. Juni 2025, 23:29

    @ Stefan

    Sehr nachvollziehbare Folgerungen. Vielen Dank

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